Betrachten wir, rein zur Anschauung, Leszek Kolakowskis allgemeinen Leitsatz: „Es gibt zwei Umstände, deren wir uns immer gleichzeitig erinnern sollen: Erstens, hätten nicht die neuen Generationen unaufhörlich gegen die ererbte Tradition revoltiert, würden wir noch heute in Höhlen leben; zweitens, wenn die Revolte gegen die ererbte Tradition einmal universell würde, werden wir uns wieder in den Höhlen befinden.“ (Kolakowski, nach Blumenberg, Höhlenausgänge, Frankfurt 1989, S. 55)
Nun war Rudolf Steiner, aus einer unaufhörlichen inspirierten Quelle schöpfend, sicher ein Pionier, der eine Revolte gegen verquaste Denkmodelle anführte. Er war vor allem der letzte Universalist, der sich um nahezu jede beliebige Fragestellung bemühte- dabei häufig nicht mehr als Anregungen anstossend, manchmal in seiner ständigen Fortbewegung nicht nur irritierend, sondern auch missverständlich. Missverständlich vor allem für diejenigen, die einen einzelnen Punkt seiner strömenden Quelle nicht dynamisch weiter entwickelten, sondern festnagelten und zum Fixpunkt einer sich daraus entwickelnden Ideologie machten, die dann für jede Situation, jedes Zeitalter, jedes Publikum, jede Generation, alle politischen und wirtschaftlichen Umstände universelle Bedeutung haben sollte.
Steiners Dynamik, seine beweglichen Begriffe werden zum ideologischen Skelett für einen Verein von - nach Hans Büchenbacher - „Verein von alten Tanten“. Schlimmer noch - dort, wo Rudolf Steiner nicht nur beweglich und ambivalent, sondern politisch dubios wurde, wo er sich zwischen Universalismus und Nationalismus verhaspelte, wurde er in der Folge immer wieder auch zum Bezugspunkt für politische Abenteurer und rechtslastige Apologeten. So schreibt Peter Staudenmaier im Waldorfblog: "Der Grundgedanke kann treffend mit dem Begriff „nationalist cosmopolitanism“ erklärt werden. Für Steiner bestand die deutsche Mission gerade darin, das Eng-Nationale zu überwinden und das Allgemein-Menschliche zu verkörpern. Dies bedeutete eine deutsche Vorreiterrolle in der Weltentwicklung. Anthroposophen begrüßten den Krieg als eine „Zeitenwende, die Deutschland und dem germanischen Volkstum die Führerschaft im Gesamtbereiche der menschlichen Geisteskultur bringen wird.“ (Das Reich April 1916, S. 1) Steiner zufolge war der Krieg „im Karma der Völker begründet.“ Es musste geschehen „zum Heile der Menschheit.“ (Steiner, Die geistigen Hintergründe des Ersten Weltkrieges, S. 19, 25) Als solche Standpunkte ab 1917 zunehmend unhaltbar wurden, kamen andere Töne zum Vorschein, und Steiner stellte die Mittelmächte als unschuldige Opfer eines lange vorbereiteten Planes vor, der Mitteleuropa zerstören und seine weltgeschichtlich entscheidende Aufgabe verhindern sollte. England, Frankreich, und Rußland wollten den Krieg und haben ihn geistig wie auch militärisch ausgelöst. Deutschland und Österreich wurde also ein Verteidigungskrieg aufgezwungen.“
Auch der negierten Kriegsschuld Deutschlands 1914 hat Steiner selbst widersprochen: "Die Welt will ein ehrliches Wahrheitsbekenntnis des deutschen Volkes … Und diese Wahrheit, sie ergibt, recht gelesen, die restlose Verurteilung der deutschen Politik. Eine Verurteilung, die schärfer nicht sein könnte.“ (Quelle Waldorfblog) Das ändert nichts daran, dass „Mitteleuropa“ als Konzept eines deutschen Pendels zwischen den politischen Großblöcken bis heute durch die anthroposophischen Köpfe wabert, wie Ansgar Martins im verlinkten Artikel reichlich belegt. Die fixierten Thesen vom kosmopolitischen deutschen Geist werden nahtlos in die heutige Zeit projiziert, der tiefe Fall dieses „deutschen Geistes“ im Nationalsozialismus möglichst ausgeblendet. Auch die Schuldzuschreibungen von 1914 werden durch weiter wuchernde Verschwörungstheorien endlos erweitert. Denn das Versagen des beschworenen „Mitteleuropas“ wird durch die von Steiner zeitweilig behauptete angloamerikanische Konspiration und die Pläne angeblicher Geheimbünde erklärt. Damit werden dann gleich der Zweite Weltkrieg, der Kalte Krieg, in schweren Fällen der Höhlenhaftigkeit auch der Anschlag auf die Twin Towers und der Krieg gegen den Kosovo und den Irak mit vom Tisch gewischt. Bedenklich, dass auch angesehene Herausgeber wie Stephan Stockmar einen Abenteurer wie Terry Boardman, der das Erklärungsmodell der angloamerikanischen Weltverschwörung bis ins Mittelalter zurück führt, durch Zitate und Tagungseinladungen hoffähig machen: "Terry Boardman, Autor und Dozent aus England, zeichnete in seinem Vortrag den Weg »Vom englischen zum amerikanischen Weltreich« nach. Auch er nahm im frühen Mittelalter seinen Ausgangspunkt, als England von Norden her dem Einfluss der rücksichtslos erobernden, seefahrenden Wikinger ausgesetzt war und von Süden her dem der arabischen Welt, der seinen Niederschlag in der Intellektualität von Oxford und Cambridge fand.“ (Stockmar nach Martins, dito)
Terry Boardman, der sich selbst als Anthroposophen bezeichnet, hängt der rechtslastigen These der „New World Order“ an, wobei er die Hegemonie der angloamerikanischen Welt als treibende „materialistische“ Kraft für sämtliche historischen Entwicklungen sieht - die Deutschen waren z.B. ausschließlich Opfer: „..an Anglo-American world hegemony that can be traced back to the activities of Cecil Rhodes in the 1890s. Behind this drive, I suggested, lies a spiritual purpose - to create a uniform world state of unfreedom based on a philosophy of materialism, a state in which freedom would simply not arise, a Brave New World by stealth for which Hitler’s Third Reich was only a stammering and crude testbed.“
Auch der Kosovo- Krieg war danach ein anti- humanistischer, ahrimanischer Schlag der im Sinne der „New World Order“ agierenden NATO. In letzterer sieht Boardman damit eine Vertretung dessen, was er in Hitler repräsentiert sieht: "66 years after Hitler came to power, his spectre has been made much of by the propaganda ministries and channels of the West.“ Das wirre, spirituell durchsetzte Traktat, das die gesamte moderne westliche Welt als faschistisch denunziert, entspringt einer nicht nur monokausalen, sondern paranoid- okkulten Sicht, die keinerlei Fakten oder Belege mehr benötigt. Paranoia kann man nicht widerlegen. Die Ideologie der „New World Order“ sieht sich in den Fängen einer weltweiten „Ultradikatatur“: "Die NWO ist das Endziel einer Verschwörung, die eine Ultradiktatur durch die Infiltrierung aller Systeme errichten will, auch bekannt unter dem harmlosen Begriff Globalisierung.“ Illuminaten, Templer und „Zionisten“ werden dabei als angebliche frühe treibende Kräfte ausgemacht, wodurch die antisemitische Grundtendenz des Ganzen ans Tageslicht tritt.
Somit befinden wir uns in der geistigen Höhle der paranoiden, monokausalen Verschwörungstheorien. Dass Vertreter solchen trüben Wassers heute auf anthroposophischen Tagungen auftreten und als Quellen benutzt werden, dass anthroposophische Verlage wie Die Europäer aktuell Boardmans wirre Thesen besprechen, dass Thomas Meyer tatsächlich nach Boardman die angebliche NATO-Aggression aufgreift, stimmt mehr als bedenklich: "Heute stehen wir vor einer neuen akuten Gefahr in dieser Richtung. Der 70 Jahre bolschewisierte Osten wurde nach 1989 überwiegend mit ökonomischen, militärischen und geopolitischen Interessen überschwemmt. Der Marsch der NATO nach Osten trägt neue Kriegsimpulse in die Ukraine und nach Russland.“ ("Die spirituelle Ur-Katastrophe, die Ziele der NATO und die Aufgabe Europas“)
Für diese Höhlenbewohner steht am Ende des Dunkels offenbar KGB- Mann Putin als Held gegen die vereinten ahrimanischen Kräfte. Man kann nur den Kopf schütteln.
Nun war Rudolf Steiner, aus einer unaufhörlichen inspirierten Quelle schöpfend, sicher ein Pionier, der eine Revolte gegen verquaste Denkmodelle anführte. Er war vor allem der letzte Universalist, der sich um nahezu jede beliebige Fragestellung bemühte- dabei häufig nicht mehr als Anregungen anstossend, manchmal in seiner ständigen Fortbewegung nicht nur irritierend, sondern auch missverständlich. Missverständlich vor allem für diejenigen, die einen einzelnen Punkt seiner strömenden Quelle nicht dynamisch weiter entwickelten, sondern festnagelten und zum Fixpunkt einer sich daraus entwickelnden Ideologie machten, die dann für jede Situation, jedes Zeitalter, jedes Publikum, jede Generation, alle politischen und wirtschaftlichen Umstände universelle Bedeutung haben sollte.
Steiners Dynamik, seine beweglichen Begriffe werden zum ideologischen Skelett für einen Verein von - nach Hans Büchenbacher - „Verein von alten Tanten“. Schlimmer noch - dort, wo Rudolf Steiner nicht nur beweglich und ambivalent, sondern politisch dubios wurde, wo er sich zwischen Universalismus und Nationalismus verhaspelte, wurde er in der Folge immer wieder auch zum Bezugspunkt für politische Abenteurer und rechtslastige Apologeten. So schreibt Peter Staudenmaier im Waldorfblog: "Der Grundgedanke kann treffend mit dem Begriff „nationalist cosmopolitanism“ erklärt werden. Für Steiner bestand die deutsche Mission gerade darin, das Eng-Nationale zu überwinden und das Allgemein-Menschliche zu verkörpern. Dies bedeutete eine deutsche Vorreiterrolle in der Weltentwicklung. Anthroposophen begrüßten den Krieg als eine „Zeitenwende, die Deutschland und dem germanischen Volkstum die Führerschaft im Gesamtbereiche der menschlichen Geisteskultur bringen wird.“ (Das Reich April 1916, S. 1) Steiner zufolge war der Krieg „im Karma der Völker begründet.“ Es musste geschehen „zum Heile der Menschheit.“ (Steiner, Die geistigen Hintergründe des Ersten Weltkrieges, S. 19, 25) Als solche Standpunkte ab 1917 zunehmend unhaltbar wurden, kamen andere Töne zum Vorschein, und Steiner stellte die Mittelmächte als unschuldige Opfer eines lange vorbereiteten Planes vor, der Mitteleuropa zerstören und seine weltgeschichtlich entscheidende Aufgabe verhindern sollte. England, Frankreich, und Rußland wollten den Krieg und haben ihn geistig wie auch militärisch ausgelöst. Deutschland und Österreich wurde also ein Verteidigungskrieg aufgezwungen.“
Auch der negierten Kriegsschuld Deutschlands 1914 hat Steiner selbst widersprochen: "Die Welt will ein ehrliches Wahrheitsbekenntnis des deutschen Volkes … Und diese Wahrheit, sie ergibt, recht gelesen, die restlose Verurteilung der deutschen Politik. Eine Verurteilung, die schärfer nicht sein könnte.“ (Quelle Waldorfblog) Das ändert nichts daran, dass „Mitteleuropa“ als Konzept eines deutschen Pendels zwischen den politischen Großblöcken bis heute durch die anthroposophischen Köpfe wabert, wie Ansgar Martins im verlinkten Artikel reichlich belegt. Die fixierten Thesen vom kosmopolitischen deutschen Geist werden nahtlos in die heutige Zeit projiziert, der tiefe Fall dieses „deutschen Geistes“ im Nationalsozialismus möglichst ausgeblendet. Auch die Schuldzuschreibungen von 1914 werden durch weiter wuchernde Verschwörungstheorien endlos erweitert. Denn das Versagen des beschworenen „Mitteleuropas“ wird durch die von Steiner zeitweilig behauptete angloamerikanische Konspiration und die Pläne angeblicher Geheimbünde erklärt. Damit werden dann gleich der Zweite Weltkrieg, der Kalte Krieg, in schweren Fällen der Höhlenhaftigkeit auch der Anschlag auf die Twin Towers und der Krieg gegen den Kosovo und den Irak mit vom Tisch gewischt. Bedenklich, dass auch angesehene Herausgeber wie Stephan Stockmar einen Abenteurer wie Terry Boardman, der das Erklärungsmodell der angloamerikanischen Weltverschwörung bis ins Mittelalter zurück führt, durch Zitate und Tagungseinladungen hoffähig machen: "Terry Boardman, Autor und Dozent aus England, zeichnete in seinem Vortrag den Weg »Vom englischen zum amerikanischen Weltreich« nach. Auch er nahm im frühen Mittelalter seinen Ausgangspunkt, als England von Norden her dem Einfluss der rücksichtslos erobernden, seefahrenden Wikinger ausgesetzt war und von Süden her dem der arabischen Welt, der seinen Niederschlag in der Intellektualität von Oxford und Cambridge fand.“ (Stockmar nach Martins, dito)
Terry Boardman, der sich selbst als Anthroposophen bezeichnet, hängt der rechtslastigen These der „New World Order“ an, wobei er die Hegemonie der angloamerikanischen Welt als treibende „materialistische“ Kraft für sämtliche historischen Entwicklungen sieht - die Deutschen waren z.B. ausschließlich Opfer: „..an Anglo-American world hegemony that can be traced back to the activities of Cecil Rhodes in the 1890s. Behind this drive, I suggested, lies a spiritual purpose - to create a uniform world state of unfreedom based on a philosophy of materialism, a state in which freedom would simply not arise, a Brave New World by stealth for which Hitler’s Third Reich was only a stammering and crude testbed.“
Auch der Kosovo- Krieg war danach ein anti- humanistischer, ahrimanischer Schlag der im Sinne der „New World Order“ agierenden NATO. In letzterer sieht Boardman damit eine Vertretung dessen, was er in Hitler repräsentiert sieht: "66 years after Hitler came to power, his spectre has been made much of by the propaganda ministries and channels of the West.“ Das wirre, spirituell durchsetzte Traktat, das die gesamte moderne westliche Welt als faschistisch denunziert, entspringt einer nicht nur monokausalen, sondern paranoid- okkulten Sicht, die keinerlei Fakten oder Belege mehr benötigt. Paranoia kann man nicht widerlegen. Die Ideologie der „New World Order“ sieht sich in den Fängen einer weltweiten „Ultradikatatur“: "Die NWO ist das Endziel einer Verschwörung, die eine Ultradiktatur durch die Infiltrierung aller Systeme errichten will, auch bekannt unter dem harmlosen Begriff Globalisierung.“ Illuminaten, Templer und „Zionisten“ werden dabei als angebliche frühe treibende Kräfte ausgemacht, wodurch die antisemitische Grundtendenz des Ganzen ans Tageslicht tritt.
Somit befinden wir uns in der geistigen Höhle der paranoiden, monokausalen Verschwörungstheorien. Dass Vertreter solchen trüben Wassers heute auf anthroposophischen Tagungen auftreten und als Quellen benutzt werden, dass anthroposophische Verlage wie Die Europäer aktuell Boardmans wirre Thesen besprechen, dass Thomas Meyer tatsächlich nach Boardman die angebliche NATO-Aggression aufgreift, stimmt mehr als bedenklich: "Heute stehen wir vor einer neuen akuten Gefahr in dieser Richtung. Der 70 Jahre bolschewisierte Osten wurde nach 1989 überwiegend mit ökonomischen, militärischen und geopolitischen Interessen überschwemmt. Der Marsch der NATO nach Osten trägt neue Kriegsimpulse in die Ukraine und nach Russland.“ ("Die spirituelle Ur-Katastrophe, die Ziele der NATO und die Aufgabe Europas“)
Für diese Höhlenbewohner steht am Ende des Dunkels offenbar KGB- Mann Putin als Held gegen die vereinten ahrimanischen Kräfte. Man kann nur den Kopf schütteln.