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Ansgar Martins veröffentlicht den ihm widersprechenden János Darvas


Ingrid Haselberger

In seiner vor kurzem im Info3-Verlag erschienenen Edition von Hans Büchenbachers Erinnerungen nahm Ansgar Martins Bezug auf jüdische Rezipienten der Anthroposophie, unter anderem auf János Darvas.
Nun veröffentlicht er in seinem waldorfblog die Einwände, die Darvas gegen Martins’ Interpretation seiner Publikationen über Judentum und Anthroposophie erhebt.

Darvas begrüßt es zunächst, daß Martins Fragen um die Ambivalenz zwischen »dem von Steiner formulierten erkenntnisorientierten Programm einer „Wissenschaft vom Geist“ einerseits und der bekenntnisartigen, religionsbildenden Tendenz in „real existierenden“ anthroposophischen Zusammenhängen andererseits« aufgreift, spricht dann aber von dem »falschen Verdacht, der seinen [Martins’, I.H.] Formulierungen zu Grunde zu liegen scheint, ich praktizierte etwas wie eine Anpassungsstrategie, um jüdische Motive durch anthroposophische zu legitimieren. Offenbar will er auch in mir jemanden sehen, der letztendlich als anthroposophischer Apologet agiert. Seine anthroposophiekritischen Motivationen scheinen ihm den Blick auf das zu verdecken, was ich tatsächlich sage und tue. Weil er mich als Anthroposophen verortet, springen ihm offenbar bestimmte Begriffe oder Formulierungen in die Augen, auf die er dann zugreift. Meine Texte sind in zwar in anthroposophischen Zeitschriften, mein Buch „Gotteserfahrungen“ in einem anthroposophischen Verlag erschienen. Ich bin lebensweltlich und beruflich – aber nicht auschließlich – mit dem anthropsophischen Milieu verflochten. Martins’ Charakterisierung greift dennoch daneben. «

Es scheint also keine inner-anthroposophische Spezialität zu sein, aus dem äußerlich sichtbaren Lebensumfeld eines Menschen auf seine Einstellungen und Motivationen zu schließen und diese Schlußfolgerungen in die inhaltliche Beurteilung seiner Schriften einfließen zu lassen, wie es derzeit dem von Kritikern als „Mormonenprofessor“ bezeichneten Christian Clement und der von ihm herausgegebenen Kritischen Ausgabe der Schriften Rudolf Steiners geschieht.

János Darvas betont, sein »religionsphilosophischer Ansatz geht […] nicht von der teleologischen Voraussetzung aus, der Sinn der Religionen sei letztendlich vom Christentum her und auf das Christentum hin legitimiert«, sondern kreist um gewissermaßen „religionsneutrale“ Fragen wie die, ob es »stringente spirituelle Methoden [gibt], die das Erfahrungsprinzip in Denken und Beobachten mit den Erfahrungen, die durch religiöse Offenbarungen vermittelt werden, so in Zusammenhang bringen, dass dieser Zusammenhang selbst als Erfahrung einsichtig werden kann«.
Dazu scheint es ihm »notwendig, einzelne Religionsformen in ihren seelischen und geistigen Qualitäten von innen her kennen zu lernen. […] Will man einen empirischen Weg gehen, der an Erfahrungen anknüpft, ist es hilfreich, die eigenen Prägungen und/oder Affinitäten theoretisch und praktisch einerseits zu vertiefen und sie andererseits durch das Kennenlernen anderer Religionen und Religionspraktiken zu objektivieren. Neben dem Studium von Texten und dem Praktizieren von Religion ist der Kontakt zu Menschen, die selber authentisch in der eigenen wie in anderen Traditionen stehen, hilfreich.«
Daß das, wie Darvas sehr wohl bewußt ist, »in mehrerer Hinsicht ein schwieriges Unterfangen« ist, hindert ihn nicht daran, es zu versuchen.

Auch ein weiterer Einwand, den János Darvas gegen Ansgar Martins erhebt, läßt mich an die Vorwürfe denken, die von so manchen Kritikern (ob zu Recht oder zu Unrecht, lasse ich hier offen) gegen den Herausgeber der SKA erhoben werden – wobei Darvas diesmal auf der Seite dieser Kritiker steht:

Wie schon erwähnt, geht Darvas einen empirischen Weg – und sieht sich darin von Martins nicht verstanden, denn der Standpunkt, von welchem her dieser »blickt und urteilt, klammert das Moment der Empirie, die für ein mögliches übersinnliches Forschen ins Spiel käme, aus.«
Im von Martins propagierten »methodischen Agnostizismus« sieht Darvas zwar »ein faires Vorgehen, eine Geste der Selbstbescheidung akademischer Wissenschaft«, nicht aber eine »empirische Methode«:
Der »vorgeblich methodische Agnostizismus entpuppt sich gelegentlich als verkappter weltanschaulicher Antignostizismus. Aber auch schon einem ehrlichen „wertneutralen“ methodischen Agnostizismus droht die Selbstbeschränkung zu Verengungen und Verflachungen zu entarten. Wenn bei Anthroposophen und anderen Spiritualisten durch eine Tendenz zum Elevationismus – gleichsam trunken nach ersehnten höheren Sinnerfüllungen – das Denken die Bodenhaftung zu verlieren droht, entsteht bei akademisch-wissenschaftlichen Interpreten spiritueller Lehren und Strömungen Reduktionismus dadurch, dass mögliche oder tatsächliche Erfahrungshorizonte, auf welche die untersuchten Schriften hinweisen, in einer all zu engen Weise ausgeblendet werden, die verzerrend wirkt. Ein zureichendes Verständnis der Texte ist dann unter Umständen gar nicht mehr möglich.«

Was mich an János Darvas’ Text besonders berührt, das ist sein Tonfall - fortiter in re, suaviter in modo:
»Und so kommt denn die peinliche Behauptung zustande, die vielleicht ungewollt, aber doch so klingt, als ob des alten Juden János Darvas’ – Juden sind bekanntlich sensible Leute in Bezug auf ihr Judesein – positive Auseinandersetzung mit dem Judentum im Wesentlichen aus Kompatibilitäts- oder Anpassungsstrategien an „anthroposophisch korrekte“ Begrifflichkeiten bestünde! Mein junger Gesprächspartner wird mir erlauben müssen, ihm zu mehr Besonnenheit und Taktgefühl im Formulieren von Urteilen zu raten.«

Es fällt nicht schwer, zu erkennen, daß János Darvas’ (hier im Interview mit Christine Gruwez) Fragestellungen und Forschungsintentionen tatsächlich in Richtung einer „Tiefentheologie“ gehen – er zitiert dazu den Religionsphilosophen Abrahm Joshua Heschel: »Theologie trennt uns. Tiefentheologie eint uns.«

Das weckt mein Interesse an seinen Essays und seinem Buch Gotteserfahrungen: Perspektiven der Einheit. Anthroposophie und der Dialog der Religionen.

Herzlichen Dank an Ansgar Martins für die Veröffentlichung dieses interessanten Textes – hier kann man ihn vollständig lesen.



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