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Natürlich kann man sich bei einem Begriff wie „Schamballa“ genüsslich zurück lehnen, abschalten und die Aussicht auf ein weiteres verbrauchtes New- Age- Symbol geniessen. Tatsächlich hat die Mutter aller New- Age- Visionäre, Alice A. Bailey „Schamballa“ als einen Ort im Himalaya verortet, von dem der Herr der Welt, der neue Christus, angeblich herab steigen wird, wenn genügend „Herz- Energie“ in der „menschlichen Rasse“ aufgebracht werden kann, damit dieses Ereignis statt finden kann: „The central home of this Hierarchy is at Shamballa, a centre in the Gobi desert, called in the ancient books the “White Island.” It exists in etheric matter, and when the race of men on earth have developed etheric vision its location will be recognised and its reality admitted.“(1)
Bailey sieht diesen „Ort“ als etwas bestehend aus „ätherischem Material“ - aus Lebens- Energien-, das somit gar nicht verortet werden kann. Das verheißene „Zentrum in der Wüste Gobi“ ist eine Irreführung- so irreal wie der verheißene kommende physische „Führer der Menschheit“. Dieser wird als Retter für spirituelle, politische, religiöse und soziale Probleme der Menschen auftreten, wenn diese keinerlei eigene Lösungsmöglichkeiten mehr sehen, aber zugleich ihr „göttliches Zentrum im Herzen“ aufgetan haben: „It is that divine centre in every human heart which, when awakened into activity, can call forth response from the high Place where the Coming One awaits His hour of appearance.“ (2)
Baileys minimale okkulte Verdrehung hat den denkbar größten Effekt, eine Verballhornung des ätherischen Christus und des Schamballa- Aspekts zu erreichen, ganz abgesehen von ihrer spezifischen Massen- Initiation und dem dahinter stehenden gesetzmäßig- evolutionären Zwang. Das Einweihungs- Prinzip folgt den traditionell- östlichen Methoden der unmittelbaren Erweckung des Herz- Zentrums durch Kundalini- Kräfte, wie man in ihrem Initiations- Buch (1) nach lesen kann- eine Prozedur, die in ihrer spezifischen Ausrichtung nur durch Anleitung eines Gurus und im Schutz eines Ashrams gewagt werden kann.
Dagegen setzt Sergej O. Prokofieff in seinem späten zentralen Werk „Das Erscheinen des Christus im Ätherischen“ (3) ein Gegengewicht. Er folgt natürlich ganz der anthroposophischen Nomenklatur, widmet sich dem zentralen Christus- Begriff Rudolf Steiners und schlägt die denkbar größten Bögen auf diesem Gebiet - vom Ego bis zum kosmischen Ich. Es ist in seiner Dichte und Konzentration ein schwer zugängliches, aber kaum erschöpfbares Mysterienbuch, das in immer neuen Anläufen um die Rosenkreuzer- Initiation kreist.
Ein zentraler Begriff dabei ist auch für Prokofieff - auf Steiner fußend- Schamballa. Darunter ist kein Ort gemeint, sondern die Erfahrung voll bewusster, denkend erfasster michaelischer „Kraft“. Dabei lässt diese „Kraft seines (Michaels) Abbildes im Ätherleib des Menschen den geistigen Raum im Herzen entstehen, aus dem alle Drachen- Kräfte entfernt sind, damit die bewusste Begegnung mit dem ätherischen Christus möglich wird“. (S. 74) Dem geht eine „Reinigung“ von Oben nach Unten voraus: „Und dann wäre in diesem Menschenhaupt sichtbar geworden, aber herunterwirkend zum Herz, die Kraft des Michael, zermalmend den Drachen, sodass sein Blut herunterfließt vom Herzen in die Gliedmaßen des Menschen.“ (4) Der Erweckung des Stirn- Chakras durch das fokussierte, sich seiner selbst gewahr werdende Denken folgt der Anstoss des Kehlkopf- und Herz- Chakras. Im Zusammenklang dieser Kräfte entsteht ein bewusster innerer geistiger Raum. Das „Michaelische“ meint dabei das aufrechte, klare Stehen des Bewusstseins inmitten der strömenden Kräfte reinen Lebens. Das „reine“, meditative Denken ist ein Erleben der Präsenz inmitten der Zeitlosigkeit, ja ein aktives Gestalten und eine Selbsterfahrung „im Licht der Welt“- das Bewusstsein erscheint nicht mehr nur gespiegelt als Intellekt, sondern als innere Gestalt, die im rein energetischen Feld besteht.
Dadurch wird es auch möglich, die Sphäre zu berühren, die im „Makrokosmos“ der Natur genauso „in sich“ besteht- Im Makrokosmos kämpft er (Michael) "für den geistigen Raum, in dem Christus in einer unentstellten Imagination vor den Menschen erscheinen kann. Um welchen Raum geht es dabei? Es ist eben die Sphäre, in der heute die ätherische Wiederkunft stattfindet und die eine Art des durch die Auferstehung des Christus verwandelten Paradieses darstellt. in alten orientalischen Überlieferungen wird diese Sphäre mit dem Namen „Schamballa“ bezeichnet, in der die ursprünglichen Kräfte der Menschheit aufbewahrt sind..“ (5) So sah Steiner als ein natürliches Hineinwachsen des individuellen Menschen von seinem reinen geistigen Innenraum in den hell gewordenen, durch die Auferstehung neu belebten natürlichen Makrokosmos hinein eben „das Hineinwachsen in das geheimnisvolle Land Schamballa.. Und zu dem ersten, was die Menschen erblicken werden, wenn Schamballa sich wieder zeigen wird, wird der Christus in seiner Äthergestalt gehören.“ (6) Dem sich frei kämpfenden, selbständig bestehenden Bewusstsein des Individuums zeigt sich dieses natürliche Umfeld „lichtdurchwoben“ und „lichtdurchglänzt“ - als „von unendlicher Lebensfülle strotzend“ (6). Man spürt die Seligkeit, die in diesen Worten Rudolf Steiners mitschwingt, wenn er diese heutige Einweihung schildert.
Eine Verortung - sei es im Himalaya oder im Ruhrgebiet- findet man allerdings ebenso wenig wie die äußere Führung durch einen wie auch immer vorgestellten „Menschheitsführer“. Es handelt sich um eine chymische Hochzeit, die ganz im Inneren statt findet.
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(1) Alice A Bailey: Initiation, Human and Solar
(2) Alice A Bailey: The Reappearance of the Christ
(3) Sergej O. Prokofieff, Das Erscheinen des Christus im Ätherischen. Geisteswissenschaftliche Aspekte der ätherischen Wiederkunft, Dornach 2010
(4) Rudolf Steiner, GA 223, 27.9.1923
(5) Prokofieff nach Rudolf Steiner, GA 96, 17.12.1906
(6) Rudolf Steiner, GA 118, 6.3. 1910