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Anthroposophische Rattenfänger

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Der Ärger eines anonymen Kommentators ("Jeremy Smith the Waldorf School Inspector and his side-kick Gemma the ignoramus soul sucker.") soll nicht ganz unerläutert bleiben, obwohl ich eigentlich nicht vorhatte, einzelne Beiträge des Blogs von Jeremy Smith zu kommentieren. "Anthropopper" entspricht in vieler Hinsicht den heute typischen, weit verbreiteten anthroposophischen Standpunkten, wie sie sich rund um den Globus in sozialen Netzwerken, Newsletters, Zeitschriften und Internetseiten darstellen, wobei ebenso typisch bleibt, dass diese typischen Sichtweisen sich als konträr zu einem vorgestellten "Mainstream" stehend sehen. Damit ist schon, nicht nur von den Inhalten her, eine Haltung eingenommen, die hierzulande der von AfD- und in Großbritannien Brexit- Anhängern entspricht.

Anthropopper kritisiert natürlich auch die Anthroposophie- Kritiker. "Anthroposophie", wie sie von Smith gesehen wird, wird als Ideal verteidigt, insbesondere dann, wenn der Vorwurf des Sektiererischen erhoben wird: No, anthroposophy is not a cult. Sektiererisch sei "Anthroposophie"* nicht, weil Steiner ja selbst gefordert hätte, seine Aussagen zu prüfen. Hier und da gäbe es vielleicht Anthroposophen, die mit Hilfe von Steiner- Zitaten esoterische Autorität einfordern würden, das sei aber keineswegs die Regel: "Anthroposophists who are given to quoting Steiner on all subjects rather than speaking from their own experience and knowledge are not doing what Steiner asked of them – and such behaviour does not make anthroposophy a cult, even if a few anthroposophists sometimes can give that impression."

Zweifel seien - so Smith- substantiell für Anthroposophie, es gäbe keinerlei Zwänge in Auffassungsfragen, ja geistige Freiheit sei der Kern des anthroposophischen Denkens: "The word “must” does not exist in the anthroposophical vocabulary, since freedom is at the core of anthroposophy." Obgleich Steiner von Anthroposophen als "Initiierter" - also als unumstössliche geistige Autorität in jedem Detail seiner Aussagen- aufgefasst werde, würden sie sich selbst als Anthroposophen keineswegs als elitär erleben, sondern, ganz im Gegenteil, eng mit "der Welt" verbunden bleiben: "As mentioned under (1) above, anthroposophists often regard Steiner as an initiate and anthroposophy certainly sees itself as having much to contribute towards current world problems – but there is no sense in which anthroposophists regard themselves as an elite separate from the rest of society."Und schließlich gäbe es natürlich keine Führer und Leiter der Anthroposophie- von Steiner einmal abgesehen: "Since Steiner’s death in 1925, there has been no ‘leader’ of anthroposophy."

Das ist nur ein kleiner Teil der griffigen Argumentationskette, die aufzeigt, wieso sich Anthroposophen Anthroposophie vorstellen, ohne die impliziten Widersprüche zu bemerken. Keine Autoritäten, außer der von Steiner, der aber dennoch keine Autorität darstelle, auch wenn ihm niemand unter den lebenden und verstorbenen Anthroposophen das Wasser reichen könne. Keine Bluffs bezüglich nachgebeteter und abgeleiteter okkulter Selbstdarsteller, da Anthroposophie per se "Freiheit des Denkens" repräsentiere, obwohl das Internet, die Seminare und Hauspostillen überquellen von angemaßten Esoterik- Steiner- Nachbetern. Selbst ein Katechismus wie dieser hier von Smith aufgezeigte, wie man Anthroposophie aufzufassen habe, ist ja selbst die Postulierung eines Ideals, das vor allem echte kritische Nachfragen abwürgen und die bedenklichen Auswüchse im anthroposophischen Umfeld negieren will. Seis drum.

Was der oben genannte Kommentator noch meint, ist vielleicht die politische Positionierung des freiheitlichen Denkers Smith und seiner Gefolgschaft. Denn Smith ist erwartungsgemäß Pro Brexit, stimmt also ein in den Chor der neo- nationalistischen Reaktionäre. Seine erste und größte Klage ist die, dass die Brexit- Gegner die Ermordung von Jo Cox im Rahmen der rassistischen Brexit- Kampagne instrumentalisieren könnten, um die Abspaltung Britanniens noch zu verhindern: "Jo Cox had been a fervent advocate for Remain and her death seems to have coincided with opinion polling showing increasing support for Remain and the tide turning against Leave. It was distasteful to see some of the leaders of the Remain campaign try to suggest that her death was in some way the fault of those who want to leave the EU." Wie ekelhaft ist das denn?

Wer es sich antun möchte, lese nicht nur den weitschweifigen Artikel, sondern auch die Kommentar- Linie, in der z.B. "Gemma" das ganze Repertoire der heutigen Populisten aufbietet, um z.B. die EU als verdammenswerten "ahrimanischen" Apparat darzustellen. Sie wissen schon, was folgt, wenn Sie als Leser ein wenig vertraut sein sollten mit den heute gängigen neo- rechten und offen faschistischen Verschwörungstheorien. Die Zutaten bzgl. Antiamerikanismus und Antisemitismus sind die gleichen, wenngleich hier überhöht mit eben den pseudo- okkulten Bluff- Argumenten, die so viele gläubige Steiner- Anhänger aus seinen Aussagen von vor 100 Jahren ableiten.

Smith selbst spiegelt auch die internen Argumente der UKIP- Anhänger, was die Struktur des politischen Systems Großbritanniens angeht: "This result will be a salutary shock to London, which voted overwhelmingly for Remain. It is revealed as an arrogant and centralising city state, out of touch with the rest of England." Dass die UKIP- Kampagne, deren Vertreter inzwischen so kläglich vor den Folgen ihrer Initiative von Bord gesprungen sind, die rassistische und nationalistische Karte gezogen haben, um mit Hilfe eines Medien- Moguls wie Murdoch die Massen zu täuschen, irritiert den "Freiheitsdenker" Smith nicht im geringsten. Falls er und seine Mitstreiter(innen) tatsächlich die repräsentative Haltung von "Anthroposophie" darstellen sollten, wäre diese in billigsten rechten populistischen Meinungsströmen, im braunen Mainstream- Sumpf versickert,  kaum unterscheidbar von reaktionären, rassistischen "Soul suckern" und Rattenfängern.

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* von mir in Anführungszeichen gesetzt, weil es meiner Meinung nach keine "Lehre", keinen Katechismus dieses Namens gibt, sondern allenfalls eine historische Bewegung

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