Nun wird ja in der anthroposophischen Binnenwelt gern tradiert, das bürgerliche Bilderbuchheim ausgeschmückt mit Symbolen, Ritualen, Accessoires, aber auch mit mehr oder weniger durch die Mangel gedrehten Aussagen Rudolf Steiners. Das funktioniert beispielsweise so, dass zusammengesuchte Aussagen Rudolf Steiners - etwa zu den Zwölf Heiligen Nächten und den Advents-Stimmungen - in einem Brevier von Herbert Hahn zusammen getragen, bearbeitet, interpretiert und in Form gebracht worden sind, was dann durch eine Waldorflehrerin ins Netz gestellt worden und schließlich in Facebook- Foren weiter gegeben wird.
Eventuelle Umschreibungen sind dabei ebenso wenig erkennbar wie die Frage geklärt ist, ob in der Quelle eventuell hinterlassene private Äußerungen Rudolf Steiners (manchmal im Nachlass eines Anhängers gefunden, manchmal nachgewiesenermaßen gefälscht) zugrunde gelegt werden oder zumindest einfließen. Auch wenn das alles nicht der Fall ist, bekommen die hier gemeinten Äußerungen einen deutlichen Spin weg von individueller „Erkenntnis“ hin zu normativem Verhaltenskodex, um sich als ein „anständiger Anthroposoph“ zu beweisen- und zwar, was Vor- und Weihnachtszeit betrifft, geradezu mit klösterlichem Strenge und mit höchstem spirituellem Anspruch. So bekommt das daraus entspringende Brevier einen geradezu mittelalterlichen Duktus, kategorischen Charakter und moralisch-spirituellen Norm-Charakter- weit entfernt von einer „Erkenntniswissenschaft“. Dazu kommt - in der Überlieferung von Hahn- die spezifisch anthroposophische Larmoyanz- das Selbstgefühl, als sensibler spiritueller Mensch an der Grobgestricktheit und Oberflächlichkeit der Gegenwart zu leiden: „Für den Lichtsuchenden sollen in der Advents-Zeit die Widerstände des Lebens ein besonderer Prüfstein sein.“
Ja, die Widerstände der Zeit. Und, vor allem, die der Zeitgenossen. Schon werden aus der Erkenntniswissenschaft einige Phrasen abgeleitet wie „Leid und Schwierigkeiten werden uns als Proben geschickt“ und es wird ermahnt, diese schrecklichen Zeitgenossen, „durch die uns Schweres geschieht“, nur als „Werkzeug“ zum eigenen inneren Wachstum anzusehen. Das wird als besondere Toleranz ausgelegt, als „Einfügen“ in die Situation, „ohne uns zu verlieren“. Leider ist die implizierte Überheblichkeit, die darin liegt, Andere als störende Elemente anzusehen, nicht im geringsten Thema dieser selbsterhebenden Weihnachtsbetrachtungen.
Im Gegenteil. Es geht dem strebsamen Anthroposophen schließlich darum, sich „das Göttliche“ mit Haut und Haaren „tatsächlich einzuverleiben“- d.h. noch weiter das „aus(zu)schalten“, was „mit der irdischen Persönlichkeit zusammenhängt“. Aus dem Willen zur Erkenntnis wird der Anspruch, der Impetus, der kategorische Befehl: „Wir sollen ganz kindhaft sein“. Den ganzen Ärger wie „Diskussionen“ mit Anderen sollen wir lassen, um die „Gereiztheit zu überwinden“. Das wiederholt benutzte „Wir“ ist dabei ebenso verräterisch wie das „Sollen“: Ein Brevier für Insider, eine Anleitung zur korrekten anthroposophisch- kollektiven Einstellung.
Tatsächlich lautet die nächste Zwischenüberschrift auch „Weihnachtseinstellung“. Nun wird zunächst jede adventliche Woche mit Verhaltensvorgaben im Detail besprochen, stets bezogen auf die natürlichen Vorgänge und auf korrektes spirituelles Vorgehen, das allerdings als reine Phrase daher kommt („..denn da ich Negatives abbaue, wird Raum für das Göttliche“) Bis zum Vierten Advent steigert sich das Vokabular stetig, bis hin zur „Beherrschung des irdischen Körpers; nur dann kann der Gottessohn im Menschen erwachen.“ Also reißt Euch zusammen, Weihnachten steht vor der Tür.
Mit dem Weihnachtsabend beginnen die zwölf Heiligen Nächte. Nun geht das Brevier über in den Tagesrhythmus. Der sprachliche Modus wechselt von „Sollen“ zu „Müssen“: „Am 24.Dezember beginnen die Zwölf Heiligen Nächte. Sie sind Symbole für die zwölf Seelenkräfte, die wir in uns lebendig machen müssen. Und so gilt diese Einstellung für immer, nicht für die zwölf Nächte allein.“ So werden die Anweisungen immer spezifischer: „In die Zwölf Heiligen Nächte soll man wachbewusst hineingehen. Für die erste Nacht bis ein oder zwei Uhr wach bleiben; während der anderen Nächte möglichst regelmäßig, also zur gleichen Zeit zu Bett gehen. Überhaupt einen regelmäßigen Rhythmus haben in dieser Zeit. Ist das im Äußeren nicht möglich, dann soll man es innerlich versuchen. Wer die Stille im äußeren Ritus nicht durchführen kann, soll versuchen, sich der Heiligkeit der Zeit stets bewusst zu sein. Besonders bewusst selber aber nichts durchgehen lassen, keine hässlichen Regungen in der Seele haben, immer strenger und strenger mit sich selber sein.“
Ich persönlich finde, dass die kulturellen Erwartungen, symbolisiert durch Konsum und gegenseitige Geschenke, aber auch der Druck, im familiären Rahmen friedlich miteinander umzugehen, durchaus schon belastende Faktoren sind. Die erwachsenen Kinder stossen auf das Elternpaar mit seinen spezifischen Konflikten, die ohnehin dazu neigen, unterm Weihnachtsbaum zu eskalieren. Die überzogenen Erwartungen, womöglich gesteigert durch das Hinzustossen von Oma oder Schwiegermutter, lassen das Dogma des friedlichen Familienfestes nicht selten ins Gegenteil umkippen. Die spezifische anthroposophische Dogmatik, „immer strenger und strenger mit sich selber“ zu sein, um die eigene „Wiedergeburt“ zu erlangen, setzt dann die christliche Norm gewissermaßen auf Droge: „Wir müssen versuchen, die Zwölf Heiligen Nächte gesetzmäßig und richtig zu verleben, denn wir brauchen jedes Jahr, um an unserer Wiedergeburt zu arbeiten und dürfen keines verlieren.“
Wir dürfen nicht, wir müssen, wir sollen: Unter dem zentnerschweren Druck anthroposophischer Weihnachtsbreviere feiert sich eine Dogmatik selbst, die zu allem anderen führt als zu federleichter, entspannter geistiger Hingabe: So wird Egozentrik gezüchtet, ein krampfhaftes Klammern an das, was gerade verhindert, „die Gralsburg in uns auf(zu)bauen.“ Das ist einerseits natürlich Geschmackssache, andererseits aber so symptomatisch für die anthroposophische Bewegung selbst, die Rudolf Steiners Erkenntnisse über die Jahrzehnte hinweg immer mehr zu etwas gemacht hat, was jede klassische katholische Dogmatik um Längen übertrifft.
Eventuelle Umschreibungen sind dabei ebenso wenig erkennbar wie die Frage geklärt ist, ob in der Quelle eventuell hinterlassene private Äußerungen Rudolf Steiners (manchmal im Nachlass eines Anhängers gefunden, manchmal nachgewiesenermaßen gefälscht) zugrunde gelegt werden oder zumindest einfließen. Auch wenn das alles nicht der Fall ist, bekommen die hier gemeinten Äußerungen einen deutlichen Spin weg von individueller „Erkenntnis“ hin zu normativem Verhaltenskodex, um sich als ein „anständiger Anthroposoph“ zu beweisen- und zwar, was Vor- und Weihnachtszeit betrifft, geradezu mit klösterlichem Strenge und mit höchstem spirituellem Anspruch. So bekommt das daraus entspringende Brevier einen geradezu mittelalterlichen Duktus, kategorischen Charakter und moralisch-spirituellen Norm-Charakter- weit entfernt von einer „Erkenntniswissenschaft“. Dazu kommt - in der Überlieferung von Hahn- die spezifisch anthroposophische Larmoyanz- das Selbstgefühl, als sensibler spiritueller Mensch an der Grobgestricktheit und Oberflächlichkeit der Gegenwart zu leiden: „Für den Lichtsuchenden sollen in der Advents-Zeit die Widerstände des Lebens ein besonderer Prüfstein sein.“
Ja, die Widerstände der Zeit. Und, vor allem, die der Zeitgenossen. Schon werden aus der Erkenntniswissenschaft einige Phrasen abgeleitet wie „Leid und Schwierigkeiten werden uns als Proben geschickt“ und es wird ermahnt, diese schrecklichen Zeitgenossen, „durch die uns Schweres geschieht“, nur als „Werkzeug“ zum eigenen inneren Wachstum anzusehen. Das wird als besondere Toleranz ausgelegt, als „Einfügen“ in die Situation, „ohne uns zu verlieren“. Leider ist die implizierte Überheblichkeit, die darin liegt, Andere als störende Elemente anzusehen, nicht im geringsten Thema dieser selbsterhebenden Weihnachtsbetrachtungen.
Im Gegenteil. Es geht dem strebsamen Anthroposophen schließlich darum, sich „das Göttliche“ mit Haut und Haaren „tatsächlich einzuverleiben“- d.h. noch weiter das „aus(zu)schalten“, was „mit der irdischen Persönlichkeit zusammenhängt“. Aus dem Willen zur Erkenntnis wird der Anspruch, der Impetus, der kategorische Befehl: „Wir sollen ganz kindhaft sein“. Den ganzen Ärger wie „Diskussionen“ mit Anderen sollen wir lassen, um die „Gereiztheit zu überwinden“. Das wiederholt benutzte „Wir“ ist dabei ebenso verräterisch wie das „Sollen“: Ein Brevier für Insider, eine Anleitung zur korrekten anthroposophisch- kollektiven Einstellung.
Tatsächlich lautet die nächste Zwischenüberschrift auch „Weihnachtseinstellung“. Nun wird zunächst jede adventliche Woche mit Verhaltensvorgaben im Detail besprochen, stets bezogen auf die natürlichen Vorgänge und auf korrektes spirituelles Vorgehen, das allerdings als reine Phrase daher kommt („..denn da ich Negatives abbaue, wird Raum für das Göttliche“) Bis zum Vierten Advent steigert sich das Vokabular stetig, bis hin zur „Beherrschung des irdischen Körpers; nur dann kann der Gottessohn im Menschen erwachen.“ Also reißt Euch zusammen, Weihnachten steht vor der Tür.
Mit dem Weihnachtsabend beginnen die zwölf Heiligen Nächte. Nun geht das Brevier über in den Tagesrhythmus. Der sprachliche Modus wechselt von „Sollen“ zu „Müssen“: „Am 24.Dezember beginnen die Zwölf Heiligen Nächte. Sie sind Symbole für die zwölf Seelenkräfte, die wir in uns lebendig machen müssen. Und so gilt diese Einstellung für immer, nicht für die zwölf Nächte allein.“ So werden die Anweisungen immer spezifischer: „In die Zwölf Heiligen Nächte soll man wachbewusst hineingehen. Für die erste Nacht bis ein oder zwei Uhr wach bleiben; während der anderen Nächte möglichst regelmäßig, also zur gleichen Zeit zu Bett gehen. Überhaupt einen regelmäßigen Rhythmus haben in dieser Zeit. Ist das im Äußeren nicht möglich, dann soll man es innerlich versuchen. Wer die Stille im äußeren Ritus nicht durchführen kann, soll versuchen, sich der Heiligkeit der Zeit stets bewusst zu sein. Besonders bewusst selber aber nichts durchgehen lassen, keine hässlichen Regungen in der Seele haben, immer strenger und strenger mit sich selber sein.“
Ich persönlich finde, dass die kulturellen Erwartungen, symbolisiert durch Konsum und gegenseitige Geschenke, aber auch der Druck, im familiären Rahmen friedlich miteinander umzugehen, durchaus schon belastende Faktoren sind. Die erwachsenen Kinder stossen auf das Elternpaar mit seinen spezifischen Konflikten, die ohnehin dazu neigen, unterm Weihnachtsbaum zu eskalieren. Die überzogenen Erwartungen, womöglich gesteigert durch das Hinzustossen von Oma oder Schwiegermutter, lassen das Dogma des friedlichen Familienfestes nicht selten ins Gegenteil umkippen. Die spezifische anthroposophische Dogmatik, „immer strenger und strenger mit sich selber“ zu sein, um die eigene „Wiedergeburt“ zu erlangen, setzt dann die christliche Norm gewissermaßen auf Droge: „Wir müssen versuchen, die Zwölf Heiligen Nächte gesetzmäßig und richtig zu verleben, denn wir brauchen jedes Jahr, um an unserer Wiedergeburt zu arbeiten und dürfen keines verlieren.“
Wir dürfen nicht, wir müssen, wir sollen: Unter dem zentnerschweren Druck anthroposophischer Weihnachtsbreviere feiert sich eine Dogmatik selbst, die zu allem anderen führt als zu federleichter, entspannter geistiger Hingabe: So wird Egozentrik gezüchtet, ein krampfhaftes Klammern an das, was gerade verhindert, „die Gralsburg in uns auf(zu)bauen.“ Das ist einerseits natürlich Geschmackssache, andererseits aber so symptomatisch für die anthroposophische Bewegung selbst, die Rudolf Steiners Erkenntnisse über die Jahrzehnte hinweg immer mehr zu etwas gemacht hat, was jede klassische katholische Dogmatik um Längen übertrifft.