Ingrid Haselberger
DenJahreswechsel nehme ich zum Anlaß, einige herausragende Ereignisse des vergangenen Jahres Revue passieren zu lassen – und auch wenn inzwischen sehr viel weltpolitisch „Wichtigeres“ (und jedenfalls Skandalträchtigeres) geschehen ist: eines dieser Ereignisse war für mich die Goetheanum-Welt-Konferenz.
Schon der Einladungsmodus war ungewöhnlich. Unter dem Motto „Menschen sehen Menschen“ konnten die zunächst Eingeladenen Persönlichkeiten nominieren, die ihrer Einschätzung nach »mit der Anthroposophie innerlich und tatkräftig verbunden sind«, und die dann in weiteren Einladungswellen von der Goetheanum-Leitung angeschrieben wurden. Dabei legte man offenbar von Anfang an keinen Wert auf eine Mitgliedschaft in der AAG.
So kam es, daß auch ich zu meiner großen Überraschung und Freude ein Einladungsschreiben erhielt.
Was ich in der Zeit vom 27. September bis zum 1. Oktober 2016 am Goetheanum erlebt habe, das war vor allem sehr viel Freude und Begeisterung – und gute Organisation.820 Menschen aus 50 Ländern waren zusammengekommen. BesonderenDank den Simultanübersetzern, die es ermöglichten, daß die Vorträge und Kurzbeiträgein mehreren Sprachen gehalten und gehört werden konnten!
Jeder der drei Tage stand unter dem Zeichen einer Strophe des Grundsteinspruches, die jeweils eurythmisch dargestellt wurde: Mittwoch Geist-Erinnern (»Kraft aus dem Ursprung«), Donnerstag Geist-Besinnen (»Michaelische Weltbejahung«), Freitag Geist-Erschauen (»Was möchte auf uns zukommen?«).
An den vier Abenden erlebten wir verschiedene Aufführungen, unter anderem ein Orchesterkonzert („Der Weg des Lebens“ von Alois Hába) sowie Szenen aus Rudolf Steiners Mysteriendramen und aus Goethes „Faust“.
(Am Michaeliabend allerdings verzichtete ich auf die Eurythmieaufführung „Der Götterflamme im Menschenherzen“ und begab mich stattdessen in die Schreinerei am Blumenweg.
Aber das ist eine andere Geschichte und soll ein andermal erzählt werden.)
Aber das ist eine andere Geschichte und soll ein andermal erzählt werden.)
Ich hatte vom ersten „Terrassengespräch“ an (bei durchwegs herrlichstem Wetter bildeten wir draußen auf der Terrasse kleine Gesprächsgruppen, zu dritt oder viert) gute Gespräche mit Menschen, denen die Anthroposophie am Herzen liegt – und die sich darin einig waren, daß Anthroposophie viel zuwenig ernst genommen wird in der Welt. »Mostly«, wie es ein Mitglied aus den USA ausdrückte, »because anthroposophists behave as they do«. Vor allem gäbe es viel zuviel Streit.
Streitaber, sagte Michaela Glöckler (1) in ihrem Vortrag, Streit bedeute, daß die geistige Welt sich zurückziehe. Und sie fragte: »Wie können wir die geistige Welt interessieren? Wie können wir so arbeiten, daß Michael CEO sein will?«
Streitaber, sagte Michaela Glöckler (1) in ihrem Vortrag, Streit bedeute, daß die geistige Welt sich zurückziehe. Und sie fragte: »Wie können wir die geistige Welt interessieren? Wie können wir so arbeiten, daß Michael CEO sein will?«
Auf der Reise nach Dornach hatte ich in der Wochenschrift „Das Goetheanum“ (Nr 39) eine Zuschrift von Reinhard Kummer gelesen, die sich, im Nachhinein gesehen, fast wie ein Programm der Weltkonferenz ausnimmt:
»Innerhalb der Anthroposophischen Gesellschaft sollte der Anfang gemacht werden, die Mitarbeiter in der Peripherie als Mitglieder der weltweiten Hochschulgemeinschaft zu betrachten. […] Sich als ein Mitarbeiter in einer weltweiten Erkenntnis-Gemeinschaft in einer Hochschule zu fühlen, kann ein erster Schritt sein. Er liegt näher, als einer Anthroposophischen Gesellschaft beizutreten, die im Ruf steht, ein Gesinnungsverein zu sein.«
»Innerhalb der Anthroposophischen Gesellschaft sollte der Anfang gemacht werden, die Mitarbeiter in der Peripherie als Mitglieder der weltweiten Hochschulgemeinschaft zu betrachten. […] Sich als ein Mitarbeiter in einer weltweiten Erkenntnis-Gemeinschaft in einer Hochschule zu fühlen, kann ein erster Schritt sein. Er liegt näher, als einer Anthroposophischen Gesellschaft beizutreten, die im Ruf steht, ein Gesinnungsverein zu sein.«
Ob in den Beiträgen von Paul Mackay (2) (»Wir sind nicht darauf aus, Seelen zu gewinnen.« und »Wir wollen keine extra Gruppe bilden in der Menschheit«), Ueli Hurter (3) (Wir wollen assoziative Zonen bilden in der Wüste der Marktwirtschaft; unseren Beitrag leisten in Allianzen für die Erde, statt allein zu stehen »in dem Bewußtsein, daß man es besser wüßte – aber es fragt einen halt keiner!« Es gehe darum, den Geist in der Welt wahrzunehmen) oder Wolfgang Held (4) (Wir sollten das Belehren hinter uns lassen!) –überall war die Rede von der Verbindung zur „Peripherie“, von der Begegnung auf Augenhöhe mit den Mitarbeitern in den „Lebensfeldern“, in denen jetzt, wie Matthias Girke (5) es formulierte, die Saat keime, die Rudolf Steiner vor ca 100 Jahren gelegt habe: »Was können wir tun, damit das außen Keimende wieder zurückkommt und die Quelle verstärkt?« – aber auch: »Wie kann der Hochschulimpuls außen aufkeimen?«
Auch Paul Mackay sprach davon, daß die Hochschule sich mit der Welt verbinden wolle: »Die Menschen in den Lebensfeldern sindRepräsentaten – sie repräsentieren die Anthroposopie in der Wirklichkeit!«
In der Nachmittags-Gruppe der Sektion für Schöne Wissenschaften hielt Wolf-Ulrich Klünker (6) ein Plädoyer für mehr Selbstbewußtsein und meinte, wichtiger als der ständige Diskurs über die Wahrheitsfrage sei es, Ergebnisse in der Welt zu präsentieren.
Und im dialogischen Vormittags-Workshop bei Gerald Häfner (7) fragte man danach, wie man die in den Arbeitsfeldern gewonnenen Ergebnisse präsentierbar bekomme – vor allem dann, wenn diejenigen Menschen, die sie erarbeitet hatten, keine Menschen der Feder seien… Auch hier war man sich einig: »Wir müssen eine Sprache finden, in der wir vor Nichtmitgliedern über Hochschulinhalte sprechen können.« Und hier wurde sogar der Vorschlag gemacht, die Mitgliedsbeiträge ganz abzuschaffen – die nötigen finanziellen Mittel sollten »aus den Instititutionen kommen«... (wobei sich für mich die Frage erhob, ob „die Institutionen“ das Geld bereitwillig zur Verfügung stellen würden bzw überhaupt über ausreichende Mittel verfügen – da blieb es allerdings bei der Frage.)
Mehrfach wurde Bezug genommen auf Rudolf Steiners Hinweis, daß eine Initiative nach 100 Jahren entweder sterben oder aber ganz neu geboren werden müsse, und auch auf seine Darlegung, daß jeder Same durch das Chaos gehe, bevor eine neue Pflanze daraus werde.
Constanza Kaliks (8) schilderte eine jüdisch-chassidische Imagination zur Weltschöpfung:
Gott zieht sich in unglaublicher Verdichtung willentlich zurück, dadurch entsteht ein leerer Raum, in den hinein die Schöpfung geschieht. Auf diese Weise wird die Welt– mit Freiheit, mit Anderssein, und mit der Möglichkeit zum Bösen.
In seinem Rückzug aber hat Gott sich um die Leere herum gestellt – er hat also die von ihm geschaffene Welt nicht verlassen, sondern ist jetzt außen, um seine Schöpfung herum, zu finden...
Daran wiederum knüpften sich in Gesprächen Gedanken wie »Ein Baum wächst nicht in der Mitte, sondern direkt unter der Rinde.« – aber auch: »Wenn auf einem Baum Efeu wächst und den Baum nach und nach erstickt, lebt es ebenfalls außen weiter… allerdings ist das dann nicht mehr der Baum…«
Nachdenklich machte auch ein Hinweis Peter Selgs (9), der mich erinnerte an Reinhard Kummers oben zitierten Satz vom »Ruf« der Anthroposophischen Gesellschaft, »ein Gesinnungsverein zu sein«:
Lange nach Rudolf Steiners Tod habe Marie Steiner den Zyklus „Zeitgeschichtliche Betrachtungen“ in einem anderen Verlag veröffentlicht, denn: »das darf doch nicht in einer Sekte begraben bleiben!« - - -
Lange nach Rudolf Steiners Tod habe Marie Steiner den Zyklus „Zeitgeschichtliche Betrachtungen“ in einem anderen Verlag veröffentlicht, denn: »das darf doch nicht in einer Sekte begraben bleiben!« - - -
An den Nachmittagen war im Plenum Gelegenheit für mehr oder weniger spontane Beiträge der Teilnehmer – da ging es oft bunt durcheinander.
Am Donnerstag (Geist-Besinnen) meinte jemand, er erlebe hier zwar sehr viel erfreuliches Bemühen um die „Horizontale“ (die Verbindung zwischen „Zentrum“ und „Peripherie“), vermisse aber die „Vertikale“ – die Verbindung „nach oben“. Müßten denn die „Horizontale“ und die „Vertikale“ einander ausschließen? Sollte es nicht möglich sein, beide zu pflegen?
Am Donnerstag (Geist-Besinnen) meinte jemand, er erlebe hier zwar sehr viel erfreuliches Bemühen um die „Horizontale“ (die Verbindung zwischen „Zentrum“ und „Peripherie“), vermisse aber die „Vertikale“ – die Verbindung „nach oben“. Müßten denn die „Horizontale“ und die „Vertikale“ einander ausschließen? Sollte es nicht möglich sein, beide zu pflegen?
Am nächsten Morgen (Geist-Erschauen) fotografierte ich dieses Zeichen am Himmel:
In seinem Einführungsvortrag hatte Paul Mackay von seiner kürzlich gemachten Erfahrung am Gletscher erzählt: wenn man mit anderen Bergsteigern durch ein Seil verbunden ist, so muß dieses Seil stetsunter Spannung stehen – sonst nimmt man einander nicht wahr.
In Gesprächen und Plenumsbeiträgen konnte man die Freude und Erleichterung vieler Mitarbeiter in den „Lebensfeldern" erleben: »Wir sind gesehen worden!«
In Gesprächen und Plenumsbeiträgen konnte man die Freude und Erleichterung vieler Mitarbeiter in den „Lebensfeldern" erleben: »Wir sind gesehen worden!«
Und am letzten Tag der Welt-Konferenz rief Paul Mackayallen Teilnehmern zum Abschied zu: »Betrachten Sie sich als Mitarbeiter am Goetheanum!«
Ich bin sehr gespannt, wie es weitergeht.
Ich bin sehr gespannt, wie es weitergeht.
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1) Michaela Glöckler: bisherige Leiterin der Medizinischen Sektion
2) Paul Mackay: Vorstand am Goetheanum; bis vor kurzem Leiter der Sozialwissenschaftlichen Sektion
3) Ueli Hurter: im Dreierteam Leiter der Landwirtschaftlichen Sektion
4) Wolfgang Held: zuständig für Öffentlichkeitsarbeit am Goetheanum
5) Matthias Girke: seit kurzem Leiter der Medizinischen Sektion
6) Wolf-Ulrich Klünker: Professor für Philosophie und Erkenntnisgrundlagen der Anthroposophie an der Alanus-Hochschule in Alfter
7) Gerald Häfner: Leiter der Sozialwissenschaftlichen Sektion
8) Constanza Kaliks: Vorstand am Goetheanum; Leitung der Jugendsektion
9) Peter Selg: Leiter des Ita-Wegman-Instituts; Professor für anthroposophische Grundlagen der Medizin an der Alanus-Hochschule in Alfter