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Altstadtbummel in Damaskus |
Ich möchte keine Details über die Gruppe preisgeben, die ihre Tour seit einem halben Jahr gründlich vorbereitet hatte und mir und einer weiteren Person aus Südtirol die Möglichkeit geboten hat, mitzureisen – buchstäblich in letzter Minute, und bis zur effektiven Einreise ohne jegliche Garantie. Das Einreisevisum wurde erst an der Grenze erteilt, da ein Ansprechpartner in Syrien eine Einladung kurzfristig an die betreffende Grenzstation geschickt hatte. Dazu war es notwendig, dass die gesamte Gruppe einen Umweg zu einem kleineren Grenzübergang in Kauf nahm, der angeblich „einige Besonderheiten“ aufweist. Die übrigen Mitglieder der Gruppe verfügten über ein bereits 6 Monate im Voraus beantragtes Touristenvisum – ja, auch das gibt es, wenn es auch kaum erteilt wird, da die Regierung anscheinend sehr negative Erfahrungen mit alleine im Land herumreisenden Ausländern gemacht hat.
Insgesamt 15 Teilnehmer aus 3 Ländern hatten auf Initiative einer Person mit ausgezeichneten Kontakten in Syrien ein Programm zusammengestellt und reisten 12 Tage lang durch den von der Assad-Regierung beherrschten Teil Syriens.
Die im Voraus geplanten Programmpunkte waren:
Der Besuch einer christlichen Gemeinde, mit der wir den Palmsonntag (in der orthodoxen Kirche zeitgleich mit unserem Osterfest) feiern durften, und mit der wir Gespräche führten über mögliche Unterstützungen ihrer Tätigkeiten,
eine „touristische Rundreise“ (wenn auch mit gewissen Einschränkungen),
und ein Zusammentreffen mit Vertretern von Religionsgruppen und Glaubensgemeinschaften sowie in Syrien lebenden Ausländern.
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Innenhof der Omajaden-Moschee |
Aus Sicherheitsgründen waren der geplante und auch zugesagte Besuch eines russischen Militärstützpunktes, sowie die heißersehnte Fahrt nach dem absoluten touristischen Highlight, der Wüsten-Ruinenstadt Palmyra, letztlich doch nicht möglich.
In den 12 Tagen in Syrien trafen wir lediglich einen einzigen (!!) „echten Journalisten“, eine „free lancerin“ aus Spanien (geradezu todesmutig von der alleine reisenden Dame) und ebenfalls einen einzigen (!!) anderen „echten Touristen“, einen Russen.
Die Reise hatte keinen offiziellen Charakter, d.h. sie war weder von einer europäischen Regierungs- oder sonstigen Stelle, noch von der Assad-Regierung offiziell eingefädelt oder genehmigt. Demzufolge wurde auch kein von der Regierung vorgegebenes Programm absolviert, sondern nur das eigene selbst vorbereitete und geplante. Dieses war schon aus Sicherheitsgründen nicht auf den Tag genau festgelegt und ließ Abweichungen zu, um der schwer vorhersehbaren Lage vor Ort besser Rechnung tragen zu können.

Oft mussten, um möglicherweise von Islamisten durchsetzte Gebiete zu umfahren, zeitraubende Umwege in Kauf genommen werden.
Beispielweise war ein kurzer Abschnitt der Autobahn Aleppo-Damaskus immer noch in der Hand einer Terrorgruppe, was statt der 15 Minuten, die nötig gewesen wären, um diesen Abschnitt zu durchfahren, einen stundenlangen Umweg über Bergstraßen erforderte.
Über ein so gut wie überall (fast unbegreiflicherweise) ausgezeichnet funktionierendes Handy-Netz (auch Auslandsgespräche und Internet sind nirgendwo ein wirkliches Problem) tauschen alle Menschen ständig Infos über die überall naturgemäß volatile Sicherheitslage aus.
Das aus direkter Erfahrung gewonnene Bild von Syrien weicht erheblich von jenem ab, das in unseren Köpfen aufgrund der einseitigen und auslassenden Berichterstattung existiert.
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touristisches Motiv ohne Touristen |
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auf Touristen wartender Laden |
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Ausländer zahlen mehr |
Sehr viele Einheimische, mit denen wir spontan zusammentreffen und sprechen konnten, freuten sich unbeschreiblich über die Anwesenheit einer Touristengruppe, nahmen uns regelrecht in die Arme und hießen uns unendlich willkommen. Man merkte es ihnen an, wie unendlich wichtig für sie dieses kleine Normalisierung versprechende Zeichen war, das wir mit unserer Reise setzten. Außerhalb der Hauptstadt versicherten sehr viele Menschen uns glaubhaft, seit mindestens 6 Jahren keine Ausländer mehr gesehen zu haben.
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nicht erwünschtes Christkind |
Alle sprachen die Hoffnung aus, dass der Krieg bald vorbei sein möge, allerdings – und das ist das Überraschende und Unerwartete – nicht durch Zusammenbruch der Assad-Regierung, wie es uns in unseren Medien als „ersehnter Volkswille“ immer verkauft wird, sondern durch die endgültige Vertreibung aller Terrorgruppen. Es wurde ausschließlich von Terrorgruppen und Kriminellen gesprochen, die schuld an allem Übel seien.
Viele Syrer erzählten uns von Greueltaten, die sie selbst oder enge Freunde oder Familienmitglieder erlebt hatten. Besonders schlecht kam dabei die freie syrische Armee (FSA) weg, die laut Meinung all derjeniger, die sich dazu äußerten, nicht einmal aus irregeleiteten Glaubenskämpfern bestünde, sondern vorwiegend aus reinen Kriminellen und Deserteuren. In Maloulla, einem christlichen Ort mit einem sehr berühmten, in eine steil abfallende Felswand gebauten Kloster, konnte man die durch die Islamisten angerichteten Schäden noch deutlich sehen. Auf Christus- und Mariendarstellungen wurde geschossen, die Gesichter entstellt.
Die Menschen erzählten uns von dem Leid der Klosterfrauen, und dass viele christliche Zivilisten umgebracht worden waren oder aus der Ortschaft fliehen mussten – dass die Geflüchteten aber heute, nach der Befreiung vom islamistischen Terror, zum Teil wieder zurückgekehrt sind.
Sie erzählten auch von den von der Assad-Regierung geförderten „Wiedereingliederungsprogrammen“ zugunsten jener Minderheit unter den Moslems, welche anfänglich mit den Islamisten kooperierten, dann aber fliehen mussten und nun reumütig in ihre Häuser zurückkehren möchten, weil sie bemerkt haben, daß die islamistischen „Rebellen“ und „Kämpfer“ nicht für eine Verbesserung ihrer Lebensumstände stehen, sondern für tiefstes Mittelalter – sofern sie nicht überhaupt aus entleerten Gefängnissen weiter Teile der Welt stammen. Diese Wiedereingliederung stellt eine für alle Beteiligten nicht gerade leichte Herausforderung dar.
Mit internationaler Hilfe ist zur Zeit auch schon der Wiederaufbau von niedergebrannten Kirchen und zerstörten Kulturdenkmälern im Gange, auch für den ausländischen Besucher ein deutliches Zeichen der Normalisierung. Im Kloster von Maloulla und den dortigen Kirchen berichteten uns die Aufsichtspersonen, wie es ihnen gelungen war, beim Anrücken der Terroristen bewegliche Kulturgüter noch schnell in Sicherheit zu bringen und damit vor Zerstörung und Diebstahl zu bewahren.
Überall erlebten wir eindeutige, angesichts der geschilderten traumatischen Erfahrungen mit islamistischem Terror auch durchaus nachvollziehbare, pro-Assad Stimmung. Und zwar unabhängig davon, ob es sich bei den Gesprächspartnern um Christen oder Moslems handelte.
Wenn Vorwürfe gegen das Assad-Regime laut wurden, betraf es nicht die von westlichen Medien kolportierte „Abschlachtung des eigenen Volkes“, sondern so gut wie immer die Amnestie, welche Assad denjenigen aus den Islamisten-Gebieten zurückkehrenden oder gefangen genommenen syrischen Kämpfern gewährt, die sich zunächst von den Islamisten als Söldner anwerben ließen, dann aber zurückkehrten. Denn schließlich hätten diese ja aufs eigene Volk geschossen und müssten eigentlich dafür hart bestraft werden.
Die Bevölkerung betrachtet Assad als Garant für Stabilität und kulturell-fortschrittliche, einigermaßen an westlicher Kultur orientierte und an westlichen Grundsätzen ausgerichtete Politik – während die Islamisten, auch wenn sie vom Westen finanziert bzw. sonstwie unterstützt werden (auch das ist den meisten Einheimischen sonnenklar), als kulturelle wie politische Rückwärtsentwicklung wahrgenommen werden.
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Assad ist allgegenwärtig |
Vor allem gebildete Syrer ließen durchblicken, dass ihrer Ansicht nach der Westen ganz klar versagt hätte, dass er – mit Verweis auf das in Afghanistan, Lybien und dem Irak hinterlassene Chaos – offenbar nicht in der Lage sei, dem syrischen Volk vernünftige Perspektiven zu bieten und dem Land Freiheit, Wohlstand und Demokratie zu bringen.
Der westlichen Lesart, wonach der Westen ebenfalls Krieg gegen die Islamisten führe, begegnete man mit Unverständnis und tiefer Ablehnung dieser Sichtweise.
Der Konflikt ist für die allermeisten Menschen kein Bürgerkrieg, sondern die berechtigte Reaktion der Regierung auf einen kriminellen und völkerrechtswidrigen Überfall von hauptsächlich ausländischen bzw. auslandsunterstützen Terrorgruppen und Kriminellenbanden.
Die Menschen wünschen sich Freiheit und weitgehend auch westlichen Lebensstil. Ich habe vor allem in Damaskus, aber auch anderswo, Frauen alleine in Bars sitzen gesehen, westlich gekleidet, aufgeputzt und geschminkt, in kleinen Gruppen, manchmal auch nur zu zweit (tagsüber sogar alleine), welche sogar noch nach 23 Uhr abends ohne Männerbegleitung Alkohol trinken und Wasserpfeife rauchen. Das gibt es kaum in Europa.
Für dieses westlich inspirierte Lebensmodell steht in den Augen der Syrer nur Assad, und es verwundert nicht, dass die Vereinnahmung durch Islamisten zutiefst abgelehnt wird.
Natürlich fragten wir uns, warum dies niemals journalistisch in den westlichen Medien kolportiert wird. Der so eklatante Widerspruch, in dem sich der Westen befindet, wenn er auf der einen Seite Assad als „üblen Diktator“ verteufelt, auf der anderen Seite aber den Menschen dort keine Alternativen bietet, trat hier offenkundig erlebbar hervor und stand immer wieder im Raum und in der Diskussion.
Denn die Islamisten und anderen Terrorgruppen sind sicher keine Alternative. Die Menschen fühlen sich im Stich gelassen, und sie kennen das auch uns wohlbekannte Schicksal der Bevölkerungen in den vom Westen als Horroszenarien dargestellten Diktaturen, die später „befreit“ wurden, aber heute immer noch von warlords beherrscht werden. Immer wieder fallen die Verweise auf Afghanistan, Libyen und den Irak.
Viele Einheimische sprechen es aus, dass nicht Assad-Syrien das undemokratischste, politisch und kulturell rückschrittlichste arabische Land ist, oder der Irak und Libyen dies waren, sondern die mit dem Westen engstens kooperierenden absoluten Monarchien à la Saudi-Arabien und die Ölscheichtümer.



In den Städten findet man überall belebte Straßen, in Damaskus sogar extremen Verkehr mit Staus, gut besuchte und von Waren überquellende Märkte und Bazare, Restaurants mit Tanz und Musik.
Wer denkt bei Syrien an solche Bilder? Warum sieht man kein einziges solches Bild in unserem Fernsehen? Das fragten sich viele von uns immer wieder...
Das gewohnte Narrativ, das von unseren westlichen Medien geprägte Syrienbild – bestehend allein aus zerbombten Häusern, Schulen und Krankenhäusern – trat durch diese Reise in den Hintergrund, und ein anderes, nicht minder reales und vor allem selbst wahrgenommenes wurde für uns greif- und erlebbar.
Die Herzlichkeit und Fröhlichkeit der Menschen, die ihre Hoffnungen nicht aufgegeben haben, gaben auch uns Hoffnung.
Ich habe viele zuvor nicht für möglich gehaltene Aspekte im Zusammenhang mit den so unendlich komplexen Kriegsursachen erfahren – deren genaue Beschreibung allerdings das Ausmaß eines kurzen Reiseberichtes bei weitem sprengen würde.
Immer deutlicher wurde unser Eindruck, dass der Syrienkrieg wohl nur ein Baustein ist in einer aus Dominanzgründen gegenüber Russland und China und aus wirtschaftlichen Gründen vom Westen betriebenen Destabilisierungskampagne, welche von Afghanistan über den mittleren und nahen Osten bis nach Nordafrika reicht. Die Menschen in Syrien sind unfreiwillige Opfer des ganzen Theaters. Schuldzuweisungen und Rechtfertigungen bzgl. der Kriegsgründe treten angesichts der realen Erlebnisse vor Ort als nicht mehr zielführend in den Hintergrund.
Ob das angestrebte eigene Bild betreffend den Syrienkonflikt auch wirklich absolut und „umfassend real“ sein kann, ist und bleibt natürlich eine offene Frage, die ich keinesfalls mit ja beantworten kann.
Jedenfalls ist der Konflikt durch viel zu viele, sich oft auch nur lokal artikulierende, interagierende Interessen bestimmt, als dass man sie alle rational zu einem Gesamtpuzzle zusammenfügen könnte. Die derzeitige Situation wird sich sicherlich nicht erklären lassen durch vereinfachende Modelle des Guten hier und des Bösen da, die sich immer genau und eindeutig erkennbar auf einander getrennt gegenüberstehenden Seiten bekämpfen.
Eine Frage drängt sich allerdings auf:
Ist es nicht ein sehr viel gefährlicheres Spiel mit dem Feuer, vermeintlich lokale Konflikte zu schüren und damit einen Weltenbrand zu riskieren, als das überfällige Gebot der Stunde umzusetzen, im Sinne eines Ausgleichs mit allen Beteiligten?
Die Erkenntnis stellt sich ein, dass das ernsthafte Verhindernwollen eines weltweiten Konflikts vor allem Bereitschaft zum Verzicht erfordert, nicht nur wirtschaftlich, sondern auch in puncto eines moralischen Überlegenheitsanspruchs.
Klar ist, dass derjenige, der sich die Mühe macht, vor Ort zu recherchieren, in Bezug auf eigene Erkenntnis nur dazugewinnen kann – auch wenn er dabei gewisse Risiken in Kauf nimmt, nicht nur physische vor Ort, sondern auch, von Freunden in der Heimat missverstanden zu werden.
Von dieser Reise nach Syrien bin ich trotz vieler auch erschreckender Erfahrungen unermesslich reich belohnt nach Hause gefahren. Belohnt nicht nur durch zuvor nicht für möglich gehaltene menschliche Erfahrungen, die sich unauslöschlich in die Seele gebrannt haben und die ich nie mehr missen möchte, sondern vor allem auch durch die sich zur Gewissheit heranbildende persönliche Erkenntnis, dass sich in Syrien zur Zeit sehr wahrscheinlich auch unser eigenes Schicksal, die Zukunft der gesamten Welt entscheidet.
Es geht nicht um einen Dienst für den Frieden durch die kriegerische Beseitigung eines schlimmen Diktators.
Es geht letztlich um die Erkenntnis, dass Frieden niemals durch Krieg erreicht werden kann, sondern nur durch gegenseitige Achtung, Annäherung, Ausgleich, menschliche Begegnung mit dem (meistens auch nur vermeintlichen) Gegner – sei es in anderen Teilen der Welt oder auch in uns selbst.