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Vom höheren Sinn zum Unsinn

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Schlummernde Anlagen, Evolutionen und die unbefangene Aufnahme der Geisteswissenschaft


Natürlich war dem Archivar und Teilzeit- Philosophen, Herausgeber und Hauslehrer Rudolf Steiner früh klar, was er tat - was er für Bedürfnisse zu befriedigen haben würde, wenn er unter Theosophen Offenbarungen und Geistesschulung verbreitete. Denn mit Denken, Philosophie und einem Nietzsche- Mackay- Verschnitt war in der bürgerlichen, im permanenten Aufbruch befindlichen Gesellschaft des frühen 20. Jahrhunderts kein Staat zu machen- es bedurfte umfänglicher Narrative, einer besonderen Sprache (Geisteswesen, Seelenlicht), eines Theaters der Einweihung, ja einer ganzen Produktionsstätte Sinn stiftender Bildwelten, um zerfallende gesellschaftliche Ordnungen und weltanschaulicher Orientierungen - vielleicht- auf neue Beine zu stellen. Und so formulierte der Meister auch schon ganz offen 1910, vor der Verselbständigung mit Hilfe der Begründung der autonomen Anthroposophische Gesellschaft, in Bezug auf das Ziel des ganzen Unternehmens: „Es ist im Grunde genommen recht egoistisch, wenn wir anfangen, uns für Anthroposophie zu begeistern, weil uns die Gedanken der Anthroposophie begeistern, uns als wahr erscheinen. Denn was befriedigen wir dann? Wir befriedigen das, was unsere Sehnsucht nach einer harmonischen Weltanschauung ist.“ (1)

Nein, mit einer „Philosophie der Freiheit“, die die Autonomie & Souveränität des Denkens hochhielt, kann man in solchen Zeiten keinen Blumentopf gewinnen. Die „Wege und Ziele des geistigen Menschen“ - so der Titel der gerade zitierten Vorträge- führten geradewegs zu den ganz großen Geschichten, die Steiner dann auch gleich präsentierte: Sagenhafte geheime Rosenkreuzer- Vereinigungen, Reinkarnation und Karma, die „welthistorische Stimmung anthroposophischer Vorstellungsart“ (2) eben. Eine dauernde Produktion von Narrativen, die die „harmonische Weltanschauung“ mittels „welthistorischer Stimmung“ in „rechter Vorstellungsart“ bediente, hatte schon kurz nach der Jahrhundertwende eingesetzt und wurde nun - wegen der Permanenz und intrinsischen Eskalation- zur narrativen Herausforderung für den Meister, seine Mitstreiter und Nachkommen: Geheimverschwörungen, mörderische Jesuiten, Kaspar Hausers, amerikanische Präsidenten, die eigentlich Kalifen waren, englische Weltkriegsverschwörer in Logen, die Brandstiftung am Goetheanum, die entmenschlichende technische Entwicklung, die Vergiftung des Meisters selbst- das alles wurde ständig in großen Bildern vor die Seelen der Sinnsucher gestellt, ganz ähnlich übrigens, wie es, den Erzählungen Rudolf Steiners zufolge, die Meister der Rosenkreuzer schon - nämlich in Märchenform- im Mittelalter gemacht hatten. Ein solcher Troubadour der starken Bilder und großen, wenn auch simplifizierenden Narrative wurde auch der Meister selbst, denn: „Dasjenige, was übersinnliche Tatsachen sind, kann ich nur in Bildern, in Imaginationen zusammenfassen. Das kann man nicht durch abstrakte Begriffe darstellen, da muß man bildhaft schildern.“ (3)

Die wunderbare Wandlung der Mysten


Es war und blieb das zentrale Versprechen des Meisters, dass diese Einbettung der Anhänger in Bilder, Erzählungen und Vorstellungswelten auch individuell zu Erkenntnis- Fortschritten führen könnte: „Die Erkenntnis der in diesem Buche gemeinten Geisteswissenschaft kann jeder Mensch sich selbst erwerben. Ausführungen von der Art, wie sie in dieser Schrift gegeben werden, liefern ein Gedankenbild der höheren Welten. Und sie sind in einer gewissen Beziehung der erste Schritt zur eigenen Anschauung.“ (4) Was, bitte, ist ein „Gedankenbild“? Und wie vage kann es denn werden, wenn der Meister schon in seinen zentralen Schriften von „in einer gewissen Beziehung der erste Schritt“ murmelt? Und ist nicht die Konstruktion des Bildzusammenhangs „höherer Welten“ an sich schon der denkbar größte Dualismus, der die Hindernisse erst aufbaut, die er zu überwinden vorgibt?

Natürlich wird der Meister auf der anderen Seite nicht müde, sein Produkt gegen die bloß „mystischen“ und religiösen Sinnstiftungs- Formate abzugrenzen- etwa indem er erklärt, die von ihm dargelegte Mystik schaffe „Sinn“ im ganz wortwörtlichen Sinn, nämlich ein übersinnliches Wahrnehmungsorgan: „Aber man muß die volle Begriffsklarheit in die Erfahrungen des mystischen Organes bringen, wenn Erkenntnis entstehen soll. Es gibt aber Leute, die wollen in das «Innere» sich flüchten, um der Begriffsklarheit zu entfliehen. Diese nennen «Mystik», was die Erkenntnis aus dem Licht der Ideen in das Dunkel der Gefühlswelt – der nicht von Ideen erhellten Gefühlswelt – führen will. Gegen diese Mystik sprechen meine Schriften überall; für die Mystik, welche die Ideenklarheit denkerisch festhält und zu einem seelischen Wahrnehmungsorgan den mystischen Sinn macht, der in derselben Region des Menschenwesens tätig ist, wo sonst die dunklen Gefühle walten, ist jede Seite meiner Bücher geschrieben. Dieser Sinn ist für das Geistige völlig gleichzustellen dem Auge oder Ohr für das Physische.“ (5)

Im Gegensatz zu den ausschweifenden Narrativen in seinen Vorträgen seien- so Rudolf Steiner- seineü Bücher bewusst so anspruchsvoll geschrieben, dass die mit dem Lesen verbundene „Gedankenanstrengung“ bereits „der Anfang der Geistesschulung“ sei: „Ich habe ganz bewußt angestrebt, nicht eine «populäre» Darstellung zu geben, sondern eine solche, die notwendig macht, mit rechter Gedankenanstrengung in den Inhalt hineinzukommen. Ich habe damit meinen Büchern einen solchen Charakter aufgeprägt, daß deren Lesen selbst schon der Anfang der Geistesschulung ist. Denn die ruhige, besonnene Gedankenanstrengung, die dieses Lesen notwendig macht, verstärkt die Seelenkräfte und macht sie dadurch fähig, der geistigen Welt nahe zu kommen.“ (6) Freilich, solche Verstärkung der Seelenkräfte  wie Fokussierung erreicht man ebenso durch das Studium von Wittgenstein, Hegel oder Merleau- Ponty, wobei sich letzterer auf seine „Phänomenologie der Wahrnehmung“ beschränkt, womit sich der Meister leider nicht zufrieden geben konnte.

Konkurrenten und Widersacher unter den Schauenden


Dennoch, betont er, seien seine Erkenntnisse nicht irgendwie vom Himmel gefallen oder in Form einer Erleuchtung in den Kamin geschliddert, sondern quasi wie guter Wein gereift: „Gewisse Dinge mußten natürlich in den ersten Jahren mit einer starken Reserve von mir dargestellt werden, einfach aus dem Grunde, weil Jahre notwendig waren, um gewisse Dinge genau nachzuprüfen, und weil ich von Anfang an mir vorgesetzt hatte, nichts anderes zu veröffentlichen und im wesentlichen auch nichts anderes zu sagen, als wofür ich in der Weise einstehen konnte, daß ich es nachgeprüft hatte.“ (7)

Etwas anderes, was dem Meister ein Dorn im Auge gewesen ist, war die Abgrenzung gegen andere Sinnstiftungs- Konkurrenten, die ebenfalls auf „Schauungen“ aufbauen. Einerseits schreibe er besonders anspruchsvoll, fördere die Herausbildung übersinnlicher Sinne, denke lange nach und produziere dennoch „volle Begriffsklarheit“, er als Meister sei auch absolut originell: „Meinen Schauungen in der geistigen Welt hat man immer wieder entgegen gehalten, sie seien veränderte Wiedergaben dessen, was im Laufe älterer Zeit an Vorstellungen der Menschen über die Geist-Welt hervorgetreten ist. Man sagte, ich hätte mancherlei gelesen, es ins Unterbewußte aufgenommen und dann in dem Glauben, es entspringe aus dem eigenen Schauen, zur Darstellung gebracht. (..) (8) Dann nimmt er für sich selbst in Anspruch, diese seine „Schauungen“ „wie der Mathematiker“ zu bilden, zu verfolgen und letztlich auch zu formulieren: „Wie der Mathematiker von Gedanke zu Gedanke schreitet, ohne daß Unbewußtes, Autosuggestion und so weiter eine Rolle spielen, so – sagte ich mir – muß geistiges Schauen von objektiver Imagination zu objektiver Imagination schreiten, ohne daß etwas anderes in der Seele lebt als der geistige Inhalt klar besonnenen Bewusstseins.“ (8) Es bleibt eine Besonderheit - oder auch eine spezifische Hybris- der anthroposophischen Lehre, zwischen solcher angeblich „objektiver Imagination“ einerseits, und den Schauungen, Verschwörungstheorien (Logen, Jesuiten), simplen Welterklärungsmodellen (Ahriman, Luzifer, Christus) und populären Narrativen (a la Kaspar Hauser) hin und her zu pendeln. Der so exakte, mathematische Geist des Meisters mag nämlich keine Zweifler unter seinen Anhängern: „Der unbegründete Unglaube allerdings ist schädlich. Denn er wirkt in dem Empfangenden als eine zurückstossende Kraft. (9)

Wer nun den Meister doch festnageln möchte auf eine vielleicht von ihm abgestaubte oder fehlerhafte Legende, ein schiefes Bild oder einen behaupteten Fakt, der widerlegbar ist, dem erklärt er vorsichtshalber im voraus, dass eben doch alles, wie exakt auch immer die Imagination gewonnen sei, zumindest im Augenblick der Formulierung relativierbar oder eben auch nur „halb wahr“ sei: „Die große Geduld und Entsagung der Erkenntnis, die müssen wir erst lernen. Zu einem Urteil muß man heranreifen. Es ist die Welt in jedem Punkte selbst unendlich. Und man muß die Bescheidenheit haben, zu sagen, daß alles gewissermaßen nur halb wahr ist. (10)

Die schlummernden Anlagen und das Stricken der Legenden


Halb wahr auch insofern, als auch Rudolf Steiner selbst zugesteht, dass es nur eine von ihm vorgebrachte Hoffnung sei, von den großen Narrativen der Anthroposophie zu eigenständiger Erkenntnis vorzudringen: „Denn der Mensch ist ein Gedankenwesen. Und er kann seinen Erkenntnispfad nur finden, wenn er vom Denken ausgeht. Wird seinem Verstande ein Bild der höheren Welten gegeben, so ist dieses für ihn nicht unfruchtbar, auch wenn es vorläufig gleichsam nur eine Erzählung von höheren Tatsachen ist, in die er durch eigene Anschauung noch keinen Einblick hat. Denn die Gedanken, die ihm gegeben werden, stellen selbst eine Kraft dar, welche in seiner Gedankenwelt weiter wirkt. Diese Kraft wird in ihm tätig sein; sie wird schlummernde Anlagen wecken.“ (11) Was aber, wenn nicht? Was, wenn die Versprechen des Geistesforschers nichts wert sind, da die Adepten, statt ihre „schlummernden Anlagen“ zu wecken, die Erzählungen, Bilder und Narrative einfach endlos weiter stricken? Wenn sie sich in einer assoziativen anthroposophischen Echo- Welt bewegen, in der sie sich gegenseitig mit nackter Hybris, verzicktem Lifestyle und geistigem Ping- Pong gegenseitig beeindrucken wollen? Was, wenn sie ganz zufrieden sind mit bedeutungsschweren Selbstgefühlen? Was, wenn sie den „unbegründeten Unglauben“ (9) endgültig zu den Akten gelegt haben und jetzt ihren Kult zelebrieren, als Akt intellektueller Regression?

„So hatte ich die Ergebnisse meines Schauens vor mir“ (12), schrieb Steiner. Er meinte damit nicht seine Anhänger, freilich, sondern seine noch ohne theosophische Begrifflichkeit vorhandenen „«Anschauungen», die ohne Namen lebten.“


Timothy Leary, LSD und die unbefangene Aufnahme der Geisteswissenschaft




So ist da auf der einen Seite der geniale Mathematiker und Geisteswissenschaftler, der in seinen übersinnlichen Schalungen blättert wie in einem Buch, sie ausbrütet und mit Namen und Begriffen versieht, damit das Volk sich an den entstehenden Bildern und Legenden laben möge. „Take this, Brother, may serve you well“, sagte auch Timothy Leary, wenn er an die Seinen das LSD aushändigte. Bei Steiner waren es Mythen, die, einmal im Adepten aufgenommen, auf alchemistische Art zum Verstehen und zur Erkenntnis, ja zum Bilden höherer Organe führen sollte. Was aber passiert, wenn dieser Nahrungsbrei konsumiert, aber nicht verdaut wird? Wird statt höherer geistiger Organe Unsinn re- produziert? Und war es nicht der Meister selbst, der die Adepten unselbständig machte, indem er von ihnen unkritische und „unbefangene Aufnahme“ verlangte? Denn so will es der Meister: „Wer also fragt: wie gewinne ich selbst die höhere Erkenntnis der Geisteswissenschaft? – dem ist zu sagen: unterrichte dich zunächst durch die Mitteilungen anderer von solchen Erkenntnissen. Und wenn er erwidert: ich will selbst sehen; ich will nichts wissen von dem, was andere gesehen haben, so ist ihm zu antworten: eben in der Aneignung der Mitteilungen anderer liegt die erste Stufe zur eigenen Erkenntnis. Man kann dazu sagen; da bin ich ja zunächst zum blinden Glauben gezwungen. Doch es handelt sich ja bei einer Mitteilung nicht um Glauben oder Unglauben, sondern lediglich um eine unbefangene Aufnahme dessen, was man vernimmt.“ (11)

Und so ist das Steinersche Mantra vom alchemistischen „innerlichen Verarbeiten“ (14) seiner eigenen Schauungen vielleicht zum zentralen anthroposophischen Antrieb geworden. Die Schuld darüber, dass die versprochene Erleuchtung ausbleibt, wird den Zeitverhältnissen, den elektrischen Strahlen, dem Wirken der westlichen Logen, dem Doppelgänger oder wahlweise Angela Merkel oder Hillary Clinton zugewiesen. Es ist eben nicht leicht. Man war als Anthroposoph so nah dran, aber dann muss man doch ein paar Inkarnationen warten. Immerhin besteht Hoffnung, denn der Maitreya wird uns irgendwann erlösen, in etwa 3000 Jahren. Bis dahin folgen wir dem Meister und meditieren sein Mantra „Mit dem bloßen Nachbeten der theosophischen Dogmen kommen wir nicht weiter.“ (13)


Anmerkungen

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1 Rudolf Steiner, 125.219 Allerdings fährt er an dieser Stelle auch fort: „Das ist sehr schön. Das Größere ist aber, wenn wir unser ganzes Leben durchdringen von dem, was sich aus diesen Ideen ergibt; wenn die Ideen in die Hände, in jeden Schritt und in alles gehen, was wir erleben und tun. Dann erst wird Anthroposophie ein Lebensprinzip, und bevor sie das nicht wird, hat sie keinen Wert.“
2 https://anthrowiki.at/GA_125
3 237.115
4 9.172f
5 2.140
6 13.10f
7 254.125
8 13.11ff
9 9.176
10 98.146
11  9.172f
12 13.11ff
13 Steiner erläutert an dieser Stelle auch noch die Möglichkeit des Irrens, selbst beim Meister selbst: „Mit dem bloßen Nachbeten der theosophischen Dogmen kommen wir nicht weiter. Allerdings muß sich der einzelne seiner großen Verantwortlichkeit bezüglich seiner Angaben bewußt sein. Andererseits muß beachtet werden, daß auf diesen Höhen der Beobachtung Irrtümer im einzelnen durchaus möglich sind; ja sie sind hier gewiß viel wahrscheinlicher als bei wissenschaftlicher Beobachtung der sinnlichen Welt. Der Schreiber dieser Ausführungen bittet daher alle diejenigen um die entsprechende Nachsicht, die selbst etwas auf diesem Felde zu sagen haben.“ 34.136
14 „Indem man das Material verarbeitet, das in den Zyklen geboten ist, schreitet man weiter von einem äußerlichen Aufnehmen zu einem innerlichen Verarbeiten. Dieses innerliche Verarbeiten hat einen hohen Wert für das wirkliche Vorwärtskommen. Es werden durch solche Zusammenstellungen (verschiedener Vorträge, Anmerkung) wirklich innere Evolutionen durchgemacht. Es werden die Einzelnen weiterkommen, wenn solche fruchtbaren Zusammenstellungen gemacht werden.“ 161.21f


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