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Kleckern und Klotzen -eine Richtigstellung gegenüber Judith von Halle

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In der Schule gab es immer mal diese Typen, die mit den Autos ihrer Väter angaben, wegen des exorbitanten Preises oder Tempos, wegen der sagenhaften Ausstattung und Fähigkeiten. Man war zwangsläufig, wenn auch widerwillig beeindruckt. Bei den Esoterikern ist es mir später nicht viel anders ergangen. Die hatten zwar keine astronomischen PS- Zahlen, aber konnten dafür fliegen, hatten Kontakt zu ungeheuer geheimen Meistern, waren in Grade eingeweiht, die, wie alles andere auch, jenseits des Vorstellbaren lagen.
Eine solche PS- starke Esoterikern ist auch Judith von Halle, die sich mit dem Nimbus der Wundmale, geheimer Offenbarungen aus teilweise unklarer Quelle, einem Leib, der keine Nahrung mehr benötigt und anderen Superlativen umgibt und selbst ansonsten rationale Zeitgenossen in ihren Anhängerkreis zieht. Im Gegensatz zum okkulten Hokuspokus hat sie sich mit höchst aktiven PR- Leuten umgeben, die schriftlich, innerhalb der Anthroposophischen Gesellschaft und selbst im Internet ihre Interessen vertreten, und zwar auf durchaus aggressive Art und Weise.
Im Verlaufe ihrer Publikationen nähert sie sich langsam der Gegenwart an - sie bewegt sich inzwischen thematisch im Mittelalter -, und das hat den Nachteil, dass ihre Schauungen allmählich in ein Zeitalter kommen, in dem ihre Angaben durch den Abgleich mit historischen Quellen nachprüfbar werden.
In dieser Hinsicht hat Andreas Meyer im Märzheft von Die Drei ihr letztes Buch - (1) - einmal untersucht, und ist schon im Titel zu dem Ergebnis gekommen: "Vernachlässigung der Quellen".

Abgesehen von ihren romanhaften, zuspitzenden Formulierungen, die - ebenso wie die filmischen Elemente- ihre meisten Bücher durchziehen, entsteht an einigen Stellen eine Dichte, in denen Meyer empfindet: "Die Schilderung berührt tief, ist wie ein innerer meditativer Weg zu lesen und kann Anregung zu eigenem Erleben sein." Aber zugleich schleichen sich auch - nach Meyer- gravierende Fehleinschätzungen ein, wie man den vorliegenden Protokollen der Vernehmungen der Templer entnehmen kann. So verwechselt sie die Rituale der Templer, schätzt die Funktion des Großmeisters Molay falsch ein und gerät in Widerspruch zum dokumentierten Aufenthaltsort von Molay: "Insbesondere Molay hat an keiner Stelle okkulte Rituale von Einweihungszeremonien verraten; aus guten Grund. Denn Molay war weder eingeweiht (jedenfalls nicht in den dritten Grad), noch Leiter eines Initiationsritus und auch nicht 1305 in Frankreich in den Pyrenäen. Hier zeigt sich die größte Schwäche des ansonsten sehr  lesenswerten Buches: die fehlende Historizität und Vernachlässigung des »irdischen Quellenstudiums«." Quellenangaben finden sich bei von Halle nicht. So kommt Meyer zu dem ziemlich ernüchternden Ergebnis: "Aus guter Kenntnis und aufgrund des Studiums der historisch greifbaren Fakten und Quellen muss der Schilderung der Autorin hinsichtlich des Ordens und seiner Strukturen, der Rolle der Komture, des Großmeisters und in weiteren historischen Details fast durchgängig widersprochen werden.."

Die inneren Konflikte im Orden selbst sowie Ränkespiele und individuelle Probleme des Großmeisters, die auch maßgeblich gewesen sein könnten für das Gelingen des vernichtenden Schlages Philipps des Schönen gegen die Templer werden bei von Halle ebenso wenig thematisiert wie die politischen Intentionen Philipps- nämlich die Konstitution eines Nationalstaats mittels der internationalen Ressourcen des Ordens. Auch die inneren Strukturen des Ordens erfasst von Halle nicht, sondern folgt eher den gängigen Klischees: "Die Struktur des Ordens gestaltete sich viel differenzierter als von Halle es schildert; es gab Ritter, dienende Brüder und Priesterbrüder sowie verschiedenste Ämter."

Die Fehleinschätzungen von Halles haben Meyer zur vorliegenden "Richtigstellung" veranlasst.

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(1) JUDITH VON HALLE: Die Templer, Band I: Der Gralsimpuls im Initiationsritus des Templerordens, Verlag für Anthroposophie, Dornach 2012

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