Quantcast
Channel: Egoisten
Viewing all articles
Browse latest Browse all 678

Entwurf einer Hinleitung zu Rudolf Steiners philosophischen Schriften

$
0
0
Der folgende Text ist Aktualisierung eines früheren Entwurfs, der auch hier eingestellt wurde. Für Hinweise auf sachliche Fehler oder argumentative Unstimmigkeiten wäre der Autor dankbar. 


Ihr aber, Brüder, seid zur Freiheit berufen worden […]
darum lasst euch nicht wieder unter ein Joch der Knechtschaft spannen
(Gal. 5:13a, 1b)


Einleitung


Wir sollten endlich zugeben, daß der Gott, den eine abgelebte Menschheit in den Wolken wähnte, in unserem Herzen, in unserem Geiste wohnt. Er hat sich in voller Selbstentäußerung ganz in die Menschheit ausgegossen. Er hat für sich nichts zu wollen übrig behalten, denn er wollte ein Geschlecht, das frei über sich selbst waltet. Er ist in der Welt aufgegangen. Der Menschen Wille ist sein Wille, der Menschen Ziele seine Ziele. [0]


Zentrale Inhalte und Probleme der Philosophie Rudolf Steiners



Freiheit, Erkenntnis und Kunst als Kernthemen des steinerschen Denkens

Als Rudolf Steiner im Jahre 1918 eine Neuauflage seiner knapp ein Vierteljahrhundert[1]zuvor erschienenen Philosophie der Freiheit herausgab, identifizierte er in der neu hinzugefügten Einleitung »zwei Wurzelfragen«, auf die »alles, was durch dieses Buch besprochen werden soll«, ausgerichtet sei. Als erstes Kernthema benannte er die Frage nach der Freiheit:
»Darf sich der Mensch als wollendes Wesen die Freiheit zuschreiben, oder ist diese Freiheit eine bloße Illusion, die in ihm entsteht, weil er die Fäden der Notwendigkeit nicht durchschaut, an denen sein Wollen ebenso hängt wie ein Naturgeschehen?« (PF, 1).
Diese Frage aber sei nur zu beantworten, so Steiner weiter, wenn zugleich bzw. zuvor[2]nach dem Wesen des Denkens gefragt werde. Denn frei sei der Mensch nur da, wo sein Denken und sein Handeln aus einer bestimmten Art des Erkennens hervorgehen; eines Erkennens, das im gewöhnlichen Alltagsbewusstsein nur in Ausnahmefällen spontan eintrete, prinzipiell aber von jedem Menschen hervorgebracht und kultiviert werden könne. In seinen philosophischen Texten nannte er dieses die Freiheit ermöglichende und verwirklichende Denken zunächst ein »intuitives« oder »reines«; später, im Rückblick von 1918, hieß es auch »leibfreies« oder »sinnlichkeitsfreies« Denken. Dahinter stand die Idee, dass das Bewusstsein und das Erkenntnisvermögen des Menschen, ja sein seelisches und geistiges Leben überhaupt, in der gleichen Weise einem fortschreitenden Entwicklungsprozess unterworfen sind wie die Natur und die Kultur im allgemeinen; dass aber die kognitive Evolution, anders als die biologische, zu ihrer weiteren Entfaltung der freien und bewussten Mitarbeit des Menschen bedürfe. Und daraus folgerte Steiner, dass es in der Philosophie nicht primär darauf ankomme, diese oder jene Ansicht über das »Bewusstsein« oder die »Freiheit« theoretisch zu beweisen oder zu widerlegen, sondern darauf, durch »innere Seelentätigkeit«, d. h. durch Übung und Verwandlung der Wahrnehmungs- und Denkfähigkeit an der Entwicklung und Schulung jener Bewusstseinsverfassung zu arbeiten, in der Freiheit sich verwirklichen und ihrer selbst gewiss werden kann:
»Es wird nicht eine theoretische Antwort gegeben [...] sondern auf ein Erlebnisgebiet der Seele wird verwiesen, auf dem sich durch die innere Seelentätigkeit selbst in jedem Augenblicke, in dem der Mensch dessen bedarf, die Frage erneut lebendig beantwortet« (PF, 6).
Gestrichen bzw. in einen Anhang verbannt hat Steiner 1918 die Formulierung einer dritten »Wurzelfrage«, welche in der ursprünglichen Fassung der Schrift noch an prominenter Stelle im Anfangskapitel figuriert hatte, und zwar die Frage nach der Bedeutung der Kunst. Diese ist in der Philosophie der Freiheiteng mit dem Freiheits- und dem Erkenntnisthema verwoben, ja stellt gewissermaßen die Einheit zwischen beiden her, indem auf der einen Seite das Denken als »Begriffskunst« definiert und auf der anderen Seite die Verwirklichung der Freiheit als eine Art Lebenskunst charakterisiert wird, welche auf dem Erlernen und der Ausübung einer »moralischen Phantasie« und einer »moralischen Technik« beruhen soll. Dem heutigen Leser, der Steiners Texte zumeist nur in deren letzter Gestalt kennt, tritt diese trinitarische Signatur nicht mehr so deutlich vor Augen, denn der das Thema der Erstausgabe umreissende entscheidende Satz findet sich in späteren Fassungen erst in einem Anhang am Ende der Schrift:
Wie sich die Philosophie als Kunst zur Freiheitdes Menschen verhält, was die letztere ist, und ob wir ihrer teilhaftig sind oder es werden können: das ist die Hauptfrage meiner Schrift (PF, 281 f.)
Freiheit, Erkenntnis und Kunst sind also die drei grundlegenden Themen, die das Denken Rudolf Steiners Werk beherrschen. Das gilt nicht nur für die anthroposophischen Texte des späten Steiner, sondern auch ganz besonders für seine philosophischen Schriften. Dabei wird allerdings das Element des Künstlerischen im Verlauf von Steiners Entwicklung als Philosoph immer weniger direkt angesprochen[3]und schwingt in der Neuauflage der Philosophie der Freiheit eher wie ein subtiler Kontrapunkt im Hintergrund seiner Darstellungen mit. Beim Theosophen und Anthroposophen Steiner hingegen trat es ab dem Münchner Kongress 1907 zunehmend in den Vordergrund, kulminierte in seinen Mysteriendramen sowie in der Schaffung der Eurythmie als neuer Kunstform und durchdringt bis heute, zumindest dem Anspruch nach, als atmosphärisches Element alle Bereiche der anthroposophischen Arbeit.[4]

Vergangenheitsbezug und Aktualität       

Durch die beschriebene Grundausrichtung stellt sich das steinersche Denken unübersehbar in die philosophischen Traditionen des deutschen Idealismus und  des Weimarer Ästhetizismus. Auch wenn sich eine Reihe weiterer philosophischer Strömungen benennen lassen, an die Steiner anknüpfte (vgl. unten, ### ff.), so scheinen doch Fichte, Schelling und Hegel sowie Schiller und Goethe ihn tiefer als andere Denker geprägt zu haben. Die für Steiners Philosophie charakteristische Zentralstellung der Freiheitsfrage, die Verknüpfung derselben mit einer Theorie des Erkennens auf der einen und einer Theorie der Kunst und des Schönen auf der anderen Seite, ferner der Anspruch, mittels einer nach Kunstregeln vollzogenen Schulung und Verwandlung des Denkens zu einer »intellektuellen Anschauung« kommen zu können, in welcher sich, wie das Schlusskapitel der Schrift verspricht, die »letzten Fragen« beantworten, die bis dahin nur Gegenstand des Glaubens sein konnten – diese Konzeption einer aus der Verwirklichung von Freiheit erwachsenden Synthese von Wissenschaft, Kunst und Religion war in den Schriften Fichtes und Schellings als zentrale Aufgabe der Philosophie, besonders auch der »deutschen Philosophie«,[5]postuliert und auf mannigfaltige Weise angegangen worden und Steiners Freiheitsschrift knüpfte an dieses universalistische Programm an. Sie deutete wie Hegel die Geschichte des menschlichen Geistes als »Fortschritt im Bewusstsein der Freiheit« und war in vieler Hinsicht ein Echo auf Fichte, der über seine Philosophie schrieb, sie sei »vom Anfange bis zu Ende nur eine Analyse des Begriffs der Freiheit«.[6]Sie machte sich aber auch das Glaubensbekenntnis Schillers und Goethes zu eigen, dass der Weg zur geistigen und moralischen Vervollkommnung des Menschen nur durch das Tor der ästhetischen Erfahrung bzw. einer künstlerisch-produktiven Erkenntnishaltung beschritten werden kann. Und sie stellte an sich selbst den von den Idealisten formulierten Anspruch, dass eine »ächte« Philosophie nicht nur »Tangente« des Lebens zu sein und das Leben nur zu berühren habe, sondern dass ihre Aufgabe darin bestehe, ein »Mittelpunkt«[7] zu sein, von dem aus alle Bereiche des Lebens, auch und gerade die praktischen, bereichert und befruchtet werden (vgl. PF, 280 f.). Betrachtet man im Lichte dieser Programmatik die heute weltweit florierende Vielfalt der von Anthroposophen ins Leben gerufenen und geleiteten Kliniken, Schulen, Kindergärten, Lebensmittelketten, Banken, Landwirtschaftsbetriebe, Sozialeinrichtungen und politischen Initiativen, dann wird man in der auf Steiners Denken basierenden Kulturbewegung eine zwar vielleicht nur ansatzweise verwirklichte aber dennoch beispiellose Realisierung jener Vision des deutschen Idealismus von einer wirklich ins Leben eingreifenden und dieses in allen Bereichen gestaltenden Philosophie sehen können.
Steiners Philosophie ist somit keine rein akademische Angelegenheit; sie hat das soziale und gesellschaftliche Leben nicht nur tangiert, sondern ist in dieses ungleich tiefer eingedrungen als in den Wissenschafts- und Lehrbetrieb. Und sie weist auch nicht nur in eine überkommene philosophische Vergangenheit, sondern war in vieler Hinsicht Vorspiel bedeutsamer und hochaktueller Gegenwartsentwicklungen und nahm zentrale Themen der neueren und neuesten Philosophie vorweg. Indem Steiners Freiheitsphilosophie beispielsweise das Erkennen wie das freie Handeln unter dem Begriff des Künstlerischen zu vereinigen suchte, antizipierte sie nicht nur die Anschauung moderner Künstler wie Joseph Beuys, für den alle sozialen und gesellschaftlichen Fragen der Gegenwart im Kern Gestaltungsfragen und somit künstlerische Probleme sind, sondern auch in das im Rahmen des postmodernen Diskurses diskutierte Modell einer Entwicklung des abendländischen Denkens vom bildhaften Mythos über das abstrakte Begriffsdenken hin zum neuen Bewusstseinsparadigma eines »ästhetischen Denkens«, dessen Begriff von Wirklichkeit sich nicht mehr von den Dichotomien des »Rationalen« oder des »Irrationalen«, des »Realistischen« oder des »Ideellen« bestimmen lässt, sondern welches Wirklichkeit als vom Menschen schöpferisch mit-hervorgebracht und somit als über diesen Gegensätzen stehend, nämlich als ästhetisch bzw. »aisthetisch« konstituiert begreift. Stellvertretend für diese Strömung schreibt etwa Wolfgang Welsch:
Das moderne Denken hat sich seit Kant zunehmend auf die Einsicht zubewegt, daß die Grundlagen dessen, was wir Wirklichkeit nennen, fiktionaler Natur sind. Wirklichkeit erwies sich immer mehr als nicht ›realistisch‹, sondern ›ästhetisch‹ konstituiert. Wo diese Einsicht durchdringt – und das geschieht heute weithin –, da legt die Ästhetik den Charakter einer speziellen Disziplin ab und wird zu einem generellen Verstehensmedium für Wirklichkeit.[8]
Dieser Satz könnte so, in etwas anderen Worten, auch im Frühwerk Rudolf Steiners stehen und man täte Steiner somit unrecht, wenn man in seiner nachhaltigen Anknüpfung an den deutschen Idealismus und in seiner Bewunderung für Schiller und Goethe nur ein nostalgisches und rückwärtsgewandtes Motiv erkennen würde, eine Flucht vor der Komplexität und Unsicherheit der Moderne oder, wie jüngst von Helmut Zander von Steiners Denken insgesamt behauptet hat, eine Abwehrreaktion gegen den Historismus. Vielmehr zeigt der Blick auf die gesellschaftlichen Praxisanwendungen seines Denkens oder auf die gegenwärtige Debatte um eine postmoderne Ästhetik (andere Beispiele ließen sich anführen), dass diese Anknüpfung enormes Zukunftspotential barg und dass Steiners Philosophie mittels dieser Anknüpfung in mancher Hinsicht vor 120 Jahren Jahren bereits ein Problembewusstsein für Fragen entwickelt hatte, welche das Gegenwartsbewusstsein sich gerade erst zu stellen beginnt. Wie also immer man sich zu Steiners philosophischen Texten im Einzelnen stellen mag; die Aktualität ihrer Fragestellungen und der von ihnen angebotenen Lösungsvorschläge lässt sich, trotz ihres Herauswachsens aus einem mittlerweile 200 Jahre alten Gedankenparadigma, kaum von der Hand weisen. Rudolf Steiner, so haben wir zur Kenntnis nehmen, ist ein philosophischer Zeitgenosse, auch wenn das Bewusstsein dafür in der akademischen Welt bisher erst in Ansätzen entwickelt ist.

Genuine Philosophie oder Mystik im philosophischen Gewand?

Allerdings muss die Frage erhoben werden, ob es sich bei den Texten dieses Bandes oder zumindest bei der Philosophie der Freiheit, trotz Steiners dezidierter Anknüpfung an bestehende philosophische Traditionen und besonders an den deutschen Idealismus, und trotz der oben skizzierten Evidenz für die Aktualität seines Denkens, tatsächlich um Philosophie im akademischen Sinne des Wortes handelt, oder ob ihr Verfasser, der später als bedeutender Esoteriker und Begründer der Anthroposophie hervortrat, schon in diesen frühen Schriften das Philosophische vielleicht nur als äußere Form, als Medium nutzte, um eine in Wirklichkeit mystisch-esoterische Weltanschauung auszusprechen. Diese Frage ist keine von übelwollender Kritik an Steiners Texte herangetragene, sondern ihr Verfasser hat sie durch vielfache während seines Lebens gemachte Äußerungen, selbst aufgeworfen. Und er tat dies nicht erst als gereifter Esoteriker im Rückblick auf die Schriften seiner vortheosophischen Lebensphase, sondern schon zur Zeit ihrer Abfassung. So heißt es in einem Brief Steiners an seine damalige Gesprächspartnerin Rosa Mayreder aus dem Jahr 1894:
Ich lehre nicht; ich erzähle, was ich innerlich durchlebt habe. Ich erzähle es so, wie ich es gelebt habe. Es ist alles in meinem Buche persönlich gemeint. Auch die Form der Gedanken. Eine lehrhafte Natur könnte die Sache erweitern. Ich vielleicht auch zu seiner Zeit. Zunächst wollte ich die Biographie einer sich zur Freiheit emporringenden Seele zeigen. Man kann da nichts tun für jene, welche mit einem über Klippen und Abgründe wollen. Man muß selbst sehen, darüberzukommen. Stehenzubleiben und erst andern klar zu machen: wie sie am leichtesten darüberkommen, dazu brennt im Innern zu sehr die Sehnsucht nach dem Ziele. Ich glaube auch, ich wäre gestürzt: hätte ich versucht, die geeigneten Wege sogleich für andere zu suchen. [...] Willkürlich, ganz individuell ist bei mir manche Klippe übersprungen, durch Dickicht habe ich mich in meiner nur mir eigenen Weise durchgearbeitet. Wenn man ans Ziel kommt, weiß man erst, dass man da ist. Vielleicht ist aber überhaupt die Zeit des Lehrens in Dingen, wie das meine, vorüber. Mich interessiert die Philosophie fast nur noch als Erlebnis des Einzelnen.[9]
Solche und ähnliche Äußerungen Steiners werfen das Problem auf, ob es sich bei seinen philosophischen Texten tatsächlich um fachphilosophische Abhandlungen über das »Grundproblem der Erkenntnistheorie«, das Wesen von »Wahrheit und Wissenschaft« und die Frage nach der Willensfreiheit handelt oder nicht vielleicht eher um Erzählungen von persönlichem inneren Erleben während der Beschäftigung mit philosophischen Fragen, um eine »innere Biographie« des mit dem Erkenntnisproblem und der Freiheit ringenden Rudolf Steiner und somit um eine Art in Philosophie gekleidete Mystik.[10]
Noch schwieriger wird das Verständnis unserer Texte dadurch, dass Steiner als gereifter Esoteriker im biographischen Rückblick weitere Deutungsmodelle angeboten hat. So erklärte er in der 1918 vorgelegten Neuauflage der Philosophie der Freiheit, nachdem er inzwischen gute 14 Jahre im Rahmen der theosophischen und dann der anthroposophischen Gesellschaft als Esoteriker und spiritueller Lehrer gewirkt hatte, seine Schrift zu einer theoretischen Grundlegung und Rechtfertigung jener höheren »sinnlichkeitsfreien« Erkenntnis, aus welchem seine späteren übersinnlichen Erkenntnisse hervorgegangen seien. »Denn«, so heißt es da, »in diesem Buche wird versucht, zu zeigen, daß richtig verstandenes Denk-Erleben schon Geist-Erleben ist« (PF, 267). Und nicht nur zur theoretischen Grundlegung der »höheren Erkenntnis«, auch zu einem Anleitungs- und Übungsbuch für die praktische Ausbildung derselben wurde die Philosophie der Freiheit jetzt erklärt. »Vom lebendigen Ergreifen des in diesem Buche gemeinten intuitiven Denkens«, so die Vorrede von 1918, »wird sich [...] naturgemäß der weitere lebendige Eintritt in die geistige Wahrnehmungswelt ergeben« (ebd.). Angesichts der Tatsache, dass Steiner von einer systematischen Methode zur Ausbildung »höherer« Erkenntnis jedoch erst ab 1904 (in Anknüpfung an Annie Besants theosophischen Erkenntnispfad) gesprochen hatte, erscheinen solche Aussagen problematisch und sind von der Kritik als retrospektive Umdeutung (Hartmut Traub), gar als Versuch der Verschleierung einer offensichtlichen Bekehrung des Philosophen Steiner zum Theosophen (Helmut Zander) gedeutet worden.
Steiner hingegen hat zeit seines Lebens die Anschauung vertreten, dass sein Wandel zum Esoteriker keinen prinzipiellen Neuansatz und schon gar nicht einen Bruch in seinen Anschauungen bedeute, sondern dass er als Philosoph wie auch als Theosoph und Anthroposoph stets eine einhaltliche Linie verfolgt habe, wenn auch mit Akzentverschiebungen und aus je verschiedenen Perspektiven mit unterschiedlichen Darstellungsweisen. 1904 schrieb er in seiner Theosophievon »zwei Wegen« zur Erlangung des in der Anthroposophie zum Ausdruck kommenden und ihr zugrundeliegenden höheren Wissens und stellte dabei den »Denkweg« der Philosophie der Freiheit gleichberechtigt neben den in seinen theosophischen bzw. anthroposophischen Schriften dargelegten »Meditationsweg«:
Wer noch auf einem anderen Wege [als auf dem der Meditation, C.C.] die hier dargestellten Wahrheiten suchen will, der findet einen solchen in meiner »Philosophie der Freiheit«. In verschiedener Art streben diese beiden Bücher nach dem gleichen Ziele. Zum Verständnis des einen ist das andere durchaus nicht notwendig, wenn auch für manchen gewiß förderlich.[11]

Bruch oder Kontinuität? Zur Textentwicklung der philosophischen Schriften

Die Kontinuitätsfrage stellt sich freilich nicht nur im Hinblick auf Steiners Entwicklung vom Philosophen zum Esoteriker, sondern wird auch von den philosophischen Texten als solchen aufgeworfen. Sowohl die Philosophie der Freiheit als auch ihre wesentlich schmalere Vorgängerschrift Wahrheit und Wissenschaft liegen in zwei jeweils deutlich voneinander abweichenden Fassungen vor. Letztere erblickte zuerst als Inauguraldissertation Steiners im Jahre 1891 das Licht der Welt unter dem Titel Die Grundfrage der Erkenntnistheorie, mit besonderer Rücksicht auf Fichte’s Wissenschaftslehre. Prolegomena zur Verständigung des philosophierenden Bewußtseins mit sich selbst. Die ein Jahr später herausgegebene Buchversion der Arbeit trug nicht nur einen gänzlich neuen Titel – Wahrheit und Wissenschaft. Vorspiel einer Philosophie der Freiheit–, sondern wies auch eine neue Vorrede und eine hinzugefügte Schlussbetrachtung auf, in der Steiner einen ganz anderen Ton anschlug und inhaltlich weit über das zuvor Geschriebene hinausging. Vieles von dem, was Steiner während der Niederschrift offensichtlich bewegt hatte, was er aber seinem akademischen Prüfungskomitee anscheinend nicht hatte zumuten wollen, zeigte sich erst in dieser Buchausgabe.[12]So wurde aus der erweiterten Neuauflage, obwohl der Dissertationstext weitgehend unverändert übernommen ist, in gewisser Hinsicht ein neues Buch mit einer ganz neuen Ausrichtung.[13]
In der Philosophie der Freiheit hingegen musste Steiner sich in der Erstauflage keine formale Zurückhaltung auferlegen und schrieb ohne große Rücksicht auf akademische Normen und Vorgaben. Doch legte er knapp 25 Jahre später eine Neuausgabe vor, in welcher der Text des jungen freiheitsdurstigen Philosophen aus der rückblickend-saturierten Perspektive des mittlerweile beinahe sechzigjährigen und zu einem der führenden Esoteriker des Abendlandes herangereiften Anthroposophen revidiert, wesentlich erweitert und in mehreren inhaltlichen Fragen tiefgreifend nachjustiert wurde (vgl. unten, ### ff.). Und so liegt auch diese gemeinhin als Steiners philosophisches Hauptwerk verstandene Schrift mit den Fassungen von 1894 und 1918 in zwei völlig verschiedenen Gestalten vor.[14]
Bisher ist es weder innerhalb der akademischen Steinerforschung noch im binnenanthroposophischen Diskurs gelungen, die verschiedenen Phasen in Steiners geistiger Entwicklung und seine verschiedenen Selbsteinschätzungen zufriedenstellend miteinander zu vermitteln. In der inneranthroposophischen Literatur herrscht die Tendenz, entweder Steiners philosophisches Werk von seiner späteren esoterischen Selbstdeutung her zu verstehen, oder (allerdings viel seltener) vom philosophischen Frühwerk her die spätere Esoterik Steiners zu deuten. Dabei besteht die Gefahr, tiefgreifende Wandlungen in Steiners Denken auszublenden und ihn auf eine Rolle zu reduzieren: auf den »Goetheanisten«, den »Freiheitsphilosophen« und »Anarchisten«, den »Anthroposophen« oder gar den »Erneuerer des Christentums«. Die akademische Forschung hingegen neigt dazu, Steiners Selbstdeutungen allesamt in Frage zu stellen und seine Philosophie generell durch die Optik eines von außen an sein Werk herangebrachten Interpretationsparadigmas zu verstehen,[15]statt es am Maßstab seiner eigenen methodischen und hermeneutischen Ansprüche zu messen. Solche Untersuchungen erweisen sich oft blind für die bei allem Wandel deutlich wahrnehmbare Kontinuität und kommen zu der Diagnose von tiefgreifenden Brüchen, Konversionen und Widersprüchen, wo die Rede von Perspektivwechseln und Metamorphosen die Entwicklung Steiners vielleicht sachgemäßer beschreiben würde.

Die Aporie der Freiheit: selbstbestimmtes Handeln oder geistige Führung?

Einher mit den Problemen der Einordnung und der inneren Kontinuität von Steiners philosophischen Schriften gehen tiefgreifende Ambivalenzen auf der inhaltlichen Ebene. Nur eine davon, die Aporität des steinerschen Freiheitsbegriffs, soll hier angesprochen werden. Freiheit wird bei Steiner nicht nur formal in zweifacher Weise verstanden, nämlich als Handlungsfreiheit im ethischen Sinne einerseits und bewusstseinsphilosophisch als Fähigkeit zu einem schöpferisch-produktiven Denken andererseits; sie wird auch inhaltlich auf zwei völlig unterschiedliche Weisen gefasst. So definiert sich der »freie Geist« einerseits dadurch, dass er sich »der Idee als Herr« gegenüberstellt, d. h. dass er die sein Handeln bestimmenden »Motive« und »Triebfedern« nicht nur passiv empfängt, sondern mittels »moralischer Phantasie« selbst schöpferisch hervorzubringen vermag. Dabei formuliert Steiner seine Position in Anknüpfung an Fichtes Begriff des menschlichen »Ich« als reiner sich selbst bestimmender Tätigkeit und in stark pointierter Abgrenzung zu Kant, in dessen Ethik der Mensch sich (nach Steiners Ansicht) einem von außen ihm vorgeschriebenen Sittengesetz zu unterwerfen habe. An anderen Stellen jedoch erscheint die Freiheit in ganz anderem Licht, indem Steiner behauptet, dass diejenigen Sittlichkeitsimpulse, die der Mensch im »intuitiven Denken« ergreift, eben nicht hervorgebracht, sondern aus einer über dem Individuellen liegenden Seinssphäre entnommen würden, nämlich – und damit positioniert sich Steiner in ganz ähnlicher Weise wie der von ihm oft als Gegenpol dargestellte Kant! – aus dem überindividuellen und transpersonalen Element des Denkens bzw. der praktischen Vernunft.
Beim Esoteriker Steiner öffnet sich diese Kluft sogar noch weiter, denn dieser scheute sich nicht, die menschliche Freiheit als Verwirklichung des Willens höherer, über dem Individuum stehender Mächte und Wesen zu charakterisieren. Der esoterische Steiner versteht zwar weiterhin die vom freien Menschen erzeugten Handlungsmotive als Erzeugnisse der produktiven Geistestätigkeit und der »moralischen Phantasie« des Menschen, arbeitet aber jetzt mit einer erweiterten Epistemologie, die neben der Intuition auch »Imaginationen« und »Inspirationen« kennt. Von dieser ausgehend beschreibt er, wie im imaginativen und inspirierten Bewusstsein dem Menschen von »höheren Mächten« vor Augen geführt bzw. zugesprochen werde, was er in bestimmten Situationen zu tun habe bzw. was sein Karma von ihm verlange.[16]Allerdings verbildlicht die esoterische Rede oftmals nur das, was schon in der philosophischen Rede ausgesprochen oder angelegt war, wie die eingangs zitierte Äußerung Steiners aus dem Aufsatz Die Natur und ihre Ideale deutlich vor Augen führt: Schon 1886 soll der Wille des Menschen nach Steiner sein eigener sein, und zugleich derjenige des in ihn aufgegangenen bzw. in ihm aufgehenden Gottes.
Vor dem Hintergrund dieser Ambivalenzen tauchen zwei zentrale Probleme der steinerschen Freiheitskonzeption auf. Zunächst wäre zu fragen, wie das freie Handeln einerseits auf dem »Hervorbringen« (PF, 45) und »Erschaffen« individueller Handlungsmotive begründet und zugleich als ein »Erfassen« bzw. »Erkennen« von aus der Wesenheit des Denkens stammenden Intuitionsinhalten verstanden werden kann. Und zweitens ergibt sich das Probem, wie und ob der auf Autonomie und Ideenschöpfung begründete Freiheitsbegriff der Frühschriften mit den Darlegungen des Esoterikers Steiner zu vereinbaren ist, in denen Freiheit als Übereinstimmung des individuellen Wollens mit den Absichten »höherer Mächte« bzw. mit den in seinem Karma veranlagten Notwendigkeiten beschrieben wird. Die Frage wäre zu stellen, ob nicht der 1894 von Steiner gegenüber Kant erhobene Vorwurf, dessen Ethik sei heteronom und unterwerfe den Menschen einer »Stimme aus dem Jenseits«, nicht auch auf einige seiner eigenen Darstellungen nach 1904 und auf die Fassung der Philosophie der Freiheit von 1918 zutrifft.[17]
Schon dieses erste Herantretens an die Texte dieses Bandes macht deutlich, dass die Philosophie Rudolf Steiners und insbesondere die Philosophie der Freiheit ein spannendes und faszinierendes Forschungsfeld darstellt, welches eine Reihe von grundlegenden und bisher von der Forschung weitgehend ungeklärten Fragen aufwirft. Je nachdem, aus welcher Perspektive man an sie herangeht, kann man einen philosophischen oder einen anthroposophisch-esoterischen Text darin sehen, ein Frühwerk oder eine Schrift des reifen Anthroposophen, das kaum beachtete Experiment eines gescheiterten Akademikers oder das vielgelesene Hauptwerk eines der einflussreichsten Gestalten des deutschsprachige Kulturraums im ersten Viertel des 20. Jahrhunderts.[18]Man kann mittels dieser Texte Brüche und Konversionen in Steiners Entwicklung postulieren oder für die innere Kontinuität seines Gesamtwerks argumentieren. Und man kann die Philosophie der Freiheitentweder als unfruchtbares Nebengleis oder als Vorwegnahme hochaktueller Gegenwartsdebatten ansehen.
Diese vielfachen Perspektiven spiegeln sich in der gegenwärtigen Steinerforschung wieder, in der sich kritisch-akademische und anthroposophisch ausgerichtete Interpretationsversuche bisher weitgehend als disparate und unversöhnliche Lager gegenüberstehen, und in der auch die verschiedenen akademischen und anthroposophischen Deutungsansätze unter sich bisher keine zusammenhängende Forschungslandschaft darstellen, sondern mehr oder weniger isoliert und unvermittelt koexistieren. Manche anthroposophische Autoren sträuben sich nach wie vor dagegen, die Methoden der kritischen Textforschung auf die, wie sie meinen, »inspirierten« Texte des »Eingeweihten« Steiner anzuwenden; aber auch das ernsthafte Aufgreifen und kritische Auseinandersetzen mit der Interpretation eines anderen anthroposophischen Autors hat eher Seltenheitswert. Auf der anderen Seite haben akademische Deutungen oft Schwierigkeiten damit, Steiners Texte in ihrem wissenschaftsmethodischen Selbstverständnis und Anspruch ernstzunehmen. Entsprechend sind die Fragen nach dem Stellenwert der Philosophie der Freiheit und worum es in diesem Buch eigentlich geht, das Verhältnis des Philosophen Steiner zum späteren Theosophen und Anthroposophen, das Verhältnis der beiden Ausgaben der Philosophie der Freiheit von 1893/94 und von 1918 zueinander sowie die Frage nach Gestalt und Stellung von Steiners Freiheitsbegriff in seinem Gesamtwerk bis heute Gegenstand kontroverser und oft ideologisch geführter Auseinandersetzungen.
Es steht zu hoffen, dass es der künftigen Anthroposophieforschung gelingen wird, diese Situation zu überwinden und durch Vermittlung und Integration der verschiedenen Perspektiven zu einem differenzierteren und sachgemäßeren Steinerbild zu kommen oder doch zumindest ein geschärftes Methoden- und Problembewusstsein für die vielfachen mit seinen philosophischen Texten verbundenen Schwierigkeiten und Deutungsmöglichkeiten auszubilden. Die in diesem Band erstmalig vollständig vorgelegte kritische Edition der beiden philosophischen Hauptschriften Steiners mit sämtlichen Textvarianten und Entwicklungsstufen[19]versteht sich als Anregung und Hilfsmittel zu einer erst in den Anfängen befindlichen Grundlagenforschung in dieser Richtung.



[0] Rudolf Steiner: Die Natur und unsere Ideale (1886), in: GA 30 (31989), 237–239. Steiner bezeichnete diesen Aufsatz in seiner Autobiographie als die »Urzelle« seiner Philosophie der Freiheit. Die zitierte Stelle fährt fort: »Indem er [Gott] den Menschen seine ganze Wesenheit eingepflanzt hat, hat er seine eigene Existenz aufgegeben. Es gibt einen ›Gott in der Geschichte‹ nicht; er hat aufgehört zu sein um der Freiheit der Menschen willen, um der Göttlichkeit der Welt willen. Wir haben die höchste Potenz des Daseins in uns aufgenommen.« In dem von Steiner verwendenten Begriff der »Potenz« an dieser Stelle könnte ein früher Hinweis auf seine Auseinandersetzung mit der Spätphilosophie Schellings gesehen werden, von der im Weiteren noch die Rede sein wird.


[1] Die Schrift war im November 1893 erschienen, trug aber das Erscheinungsjahr 1894.

[2] Zur Problematik des Verhältnisses von theoretischer und praktischer Philosophie in den Schriften Steiners, besonders der Frage nach der Vorrangigkeit der Erkenntnistheorie vor der Ethik bzw. nach einem Primat des Denkens gegenüber dem Fühlen und dem Wollen, vgl. unten S. ### sowie PuA, 236 ff., 321 ff., 396, 671 ff., 753.

[3]In seinen Einleitungen zu Goethes naturwissenschaftlichen Schriften sowie in den Grundlinien einer Erkenntnistheorie von 1886 hatte Steiner der Frage nach dem Zusammenhang von Erkennen und künstlerischen Schaffen noch je ein ganzes Kapitel gewidmet. In Wahrheit und Wissenschaft wird die Frage der Kunst hingegen nicht berührt. In der Philosophie der Freiheit wird das Künstlerische Element im Anfangskapitel der Erstausgabe thematisiert, tritt aber in der Neuauflage fast völlig in den Hintergrund.

[4] So verstehen sich Waldorfpädagogen dezidiert als »Erziehungskünstler«, anthroposophische Ärzte als »Heilkünstler« etc.

[5]Vgl. etwa folgende charakteristische Aussage Schellings aus der neunten Vorlesung seiner Philosophie der Offenbarung: »Es ist nur meiner entschiedenen Ueberzeugung gemäß, wenn ich ausspreche, daß keine Philosophie bis jetzt an die Sache selbst gekommen, d. h. wirkliche Wissenschaft geworden, sondern stets nur in den Präliminarien zu derselben stecken geblieben ist. Besonders gleicht die deutsche Philosophie der neueren Zeit einer Vorrede ohne Ende, zu der noch immer das Buch vergeblich erwartet wird. Ein neuerer Franzose sagt sehr richtig: die Philosophie war bisher eine bloße Tangente des menschlichen Lebens, sie berührte es, aber sie lief bloß neben demselben her. Es ist jetzt an den Deutschen zu zeigen, daß die ächte Philosophie mehr vermag, als das Leben bloß berühren. Sie muß tief in dasselbe eindringen, sie muß der Mittelpunkt werden, um den sich alle Kräfte bewegen«, zit. n. Schelling (1858), 178.

[6] Brief Fichtes an Karl Leonhart Reinhold, zit. n. Fichte (1973) III, 178. Vgl. auch Fichtes Beurteilung seiner eigenen Philosophie als »das erste System der Freiheit« im Brief an Jens Baggersen (ebd. II, 298). – Auch der Bezug auf Schellings Freiheitsschrift von 1809, in welcher sich ähnlich hymnische Passagen finden wie die einleitend zitierte von Steiner, ist unübersehbar. »Der Gedanke, die Freiheit einmal zum Eins und Alles der Philosophie zu machen, hat den menschlichen Geist überhaupt, nicht bloß in bezug auf sich selbst, in Freiheit gesetzt und der Wissenschaft in allen ihren Teilen einen kräftigern Umschwung gegeben als irgend eine frühere Revolution. […] Nur wer Freiheit gekostet hat, kann das Verlangen empfinden, ihr alles analog zu machen, sie über das ganze Universum zu verbreiten. Wer nicht auf diesem Weg zur Philosophie kommt, folgt und tut bloß andern nach, was sie tun; ohne Gefühl weswegen sie es tun. […] in dem zum System gebildeten Idealismus [reicht es aber] keineswegs hin, zu behaupten, ›daß Tätigkeit, Leben und Freiheit allein das wahrhaft Wirkliche seien‹ [...]; es wird vielmehr gefordert, auch umgekehrt zu zeigen, daß alles Wirkliche (die Natur, die Welt der Dinge) Tätigkeit, Leben und Freiheit zum Grund habe.« Zit. n. Friedrich Wilhelm Joseph Schelling, Philosophische Untersuchungen über das Wesen der menschlichen Freiheit (1809), in: Schelling (1834), 27 ff.

[7]Vgl. vorstehende Fußn.

[8]Welsch (1990), 7. Für ein solches ästhetisches Herangehen an Steiners Freiheitsphilosophie vgl. auch Clement (1997) sowie Witzenmann (1980), Krüger (1992) und Ravagli (2015).

[9] Steiner an Rosa Mayreder am 4. November 1894 (GA 39, 232 f.).

[10] Steiner hat später in Vorträgen die oben zitierte Selbstcharakterisierung des Buches wieder zurückgenommen und behauptet, die Philosophie der Freiheit sei ganz und gar »kein persönliches Werk«, sondern als ein »Begriffsorganismus« primär von der immanenten Gesetzmäßigkeit der Gedanken bestimmt: »Für die, welche sich einleben wollen in ein ganz sinnlichkeitsfreies Denken, versuchte ich ein Buch zu schreiben wie das meiner Philosophie der Freiheit. Es ist kein persönliches Werk. Es ist so entstanden wie ein Organismus. Es ist ein Gedankenorganismus und nur eine Anleitung für das, was man im Rosenkreuzer-Sinne Studium nennt« (GA 284, 48).

[11]TH, XIII; GA 9, ##. In der Geheimissenschaftvon 1910 wird der Denkweg sogar gegenüber dem Meditationsweg als ein solcher bezeichnet, der zwar »für viele Menschen schwieriger«, dafür aber »sicherer und vor allem genauer« sei (GU, 302).

[12] An Pauline Specht schrieb Steiner am 20. März 1892: »Was auf Seite 1 bis 46 steht, war im wesentlichen die Arbeit, auf deren Grund meine Promotion erfolgt ist. Diese Ihnen übersandte Schrift wird den Titel führen: ›Wahrheit und Wissenschaft. Vorspiel einer Philosophie der Freiheit.‹ Daß das auf Seite 47 und 48 Befindliche nicht in meiner Doktorarbeit war, können Sie sich aus dem Inhalte wohl denken« (GA 39, 145).

[13] Vgl. PuA, 160 ff. Bei Zander (AiD, 506) bleibt die Darstellung der neuen Qualität, welche durch Vorwort und Praktische Schlussbetrachtung in das Buch hineinkam, weitgehend unberücksichtigt.

[14] Die dritte Fassung von 1921 hingegen weist keine nennenswerten inhaltlichen Änderungen auf.

[15] So geht etwa Helmut Zander an diese Texte mittels der historisch-quellenkritischen Methode heran, während Hartmut Traub die Philosophie Steiners vor allem ideengeschichtlich von Vater und Sohn Fichte her interpretiert und dann eine immanent-systematische Kritik an den Texten übt.

[16] Vgl. etwa die Darstellung der sogenannten »Absichten« in der Theosophie (TH, 116 u. 126 f..; siehe auch unten, ###, Fußn. #).

[17] Bevor man jedoch Steiner vorschnell vorwirft, er falle als Esoteriker in eben jene Form von heteronomer Ethik zurück, welche er als Philosoph Kant zum Vorwurf gemacht hat, wäre zu bedenken, dass man den philosophischen Diskurs Steiners in den achtziger und neunziger Jahren und seine ab 1904 entwickelte Esoterik nicht ohne weiteres gegeneinander auspielen kann. Denn wenn der Esoteriker Steiner von »höheren Wesen« oder »Mächten« spricht, die dem Menschen seine Handlungsziele vorgeben, so bedient er sich einer bildhaft-imaginativen Darstellungsweise, deren Charakteristik eine andere ist als die der begrifflich-diskursiven Erörterung. Innerhalb der imaginativen Darstellung fungiert oftmals die Schilderung von »Kräften« oder »Wesen«, die von außen an den Menschen herantreten, als Bild von Prozessen, die in Wirklichkeit im Wesen des Menschen selbst vorgehen bzw. von ihm ausgehen. Ferner wäre zu bedenken, dass auch das »Karma« bzw. das »Schicksal« nach Steiners Auffassung eben gerade nicht eine dem menschlichen Wesen fremde oder äußerliche Macht darstellt, sondern vielmehr als eine zwar in früheren Leben verursachte und daher jetzt wie eine äußerliche Macht wirkende, im Grunde aber eben doch vom Individuum selbst hervorgebrachte Gesetzmäßigkeit zu verstehen ist, durch welche der Mensch daher in seinem »Schicksal« auch niemandem als sich selbst begegnet. Sowohl die Rede von den »höheren Mächten« als auch die vom »Karma« kann also im esoterischen Diskurs durchaus die Vorstellung implizieren, dass es letztendlich eben doch das innerste Wesen des Menschen selbst ist, von dem hier die Handlungsanweisung ausgeht, auch wenn dieses autonome Handeln sich – in der verbildlichenden Darstellung des esoterischen Sprechens – scheinbar als heteronome Bestimmung von »außen« darstellt. Steiner selbst hat sich mit dieser Frage in seiner Theosophievon 1904, also zeitlich etwa in der Mitte zwischen den beiden Ausgaben der Philosophie der Freiheit von 1894 und 1918, intensiv auseinandergesetzt und im Rahmen seiner Reinkarnationskonzeption aufzulösen versucht. Diese Darstellung wird man daher für ein angemessenes Verständniss zumindest der Neuauflage der Freiheitsschrift mit heranzuziehen haben. Steiner stellt dort das intuitive Denken und somit auch die Freiheit im Rahmen seiner Reinkarationsvorstellung als eine Form des Zugriffs auf das eigene vorgeburtliche Dasein dar, in welchem der Mensch als Individuum am Absoluten selbst partizipiert und seine individuellen Ziele für das bevorstehende Leben mit den universellen »Weltabsichten« bzw. mit den die Welt lenkenden »höheren Wesenheiten« abstimmt und insofern sich selbst im Vorgeburtlichen eine »göttliche Sendung« gibt, die er dann später erfüllt, indem er sich in der Intuition an seine vorgeburtlichen Erlebnisse und Entschlüsse gewissermaßen »erinnert« (vgl. dazu die Einleitung zu SKA 6 sowie TH, 129 f.). Mit dieser Auffassung der Intuition als »Wiedererinnerung« nimmt die spätere steinersche Erkenntnislehre freilich einen dezidiert platonischen Charakter an, der sich mit dem Monismus der frühen Schriften deutlich reibt.

[18] Zur inneranthroposophischen und akademischen Rezeption vgl. unten, ###.

[19] Bisher gab es zwei Versuche einer textkritischen Aufarbeitung der Philosophie der Freiheit. David Marc Hoffmann veröffentlichte 1994 als GA 4a (vgl. DPF) die Korrekturbögen der Erstausgabe mit den Korrekturen Steiners für die Neuauflage. Damit war ein hilfreiches Arbeitsinstrument geschaffen, das aber den Wunsch nach einem durchgehend lesbaren Text, wie die SKA ihn bietet, offenließ. Daneben wird eine Ausgabe der Schrift von Pietro Archiati im Selbstverlag herausgegeben (Archiati 32015), die aber aufgrund willkürlicher Eingriffe des Herausgebers in den Inhalt und die Orthographie des Textes (um, wie Archiati argumentiert, Steiner besser lesbar zu machen) für die ernsthafte Forschung unbrauchbar ist.

Viewing all articles
Browse latest Browse all 678

Trending Articles