Drei Auszüge aus der Rede Navid Kermanis anläßlich der Preisverleihung in der Frankfurter Paulskirche:
»Ich würde jedem Muslim widersprechen, dem angesichts des Islamischen Staates nur die Floskel einfällt, daß die Gewalt nichts mit dem Islam zu tun habe.
[…]
Jemand wie ich kann den Islam nicht auf diese Weise verteidigen, er darf es nicht: die Liebe zum Eigenen, zur eigenen Kultur wie zum eigenen Land, und genauso zur eigenen Person, erweist sich in der Selbstkritik.
Die Liebe zum Anderen, zu einer anderen Person, einer anderen Kultur und selbst zu einer anderen Religion kann viel schwärmerischer, sie kann vorbehaltlos sein.
Richtig: die Liebe zum Anderen setzt die Liebe zu sich selbst voraus. Aber verliebt, verliebt wie es Pater Paolo und Pater Jacques in den Islam sind – verliebt kann man nur in den Anderen sein.
Die Selbstliebe hingegen muß, damit sie nicht der Gefahr des Narzissmus, des Selbstlobs, der Selbstgefälligkeit unterliegt, eine hadernde, zweifelnde, stets fragende sein.
Wie sehr gilt das für den Islam heute!
Wer als Muslim nicht mit ihm hadert, nicht an ihm zweifelt, nicht ihn kritisch befragt – der liebt den Islam nicht.«
»Was aber geschieht, wenn man die sprachliche Struktur eines Textes mißachtet, sie nicht einmal mehr angemessen versteht oder auch nur zur Kenntnis nimmt, das läßt sich heute überall in der arabischen Welt beobachten: der Koran sinkt herab zu einem Vademecum, das man mit der Suchmaschine nach diesem oder jenem Schlagwort abfragt. Die Sprachgewalt des Korans wird zum politischen Dynamit.«
»Vielleicht sollte ich angesichts der Leichtfertigkeit, der Geringschätzung und offenen Mißachtung, die nicht nur unsere Politiker, nein: die wir als Gesellschaft seit einigen Jahren dem europäischen Projekt der Einigung entgegenbringen, dem politisch Wertvollsten, das dieser Kontinent je hervorgebracht hat – vielleicht sollte ich an dieser Stelle erwähnen, wie oft ich bei meinen Reisen auf Europa angesprochen werde. Als Modell, ja beinahe schon als Utopie.
Wer vergessen hat, warum es Europa braucht, muß in die ausgemergelten, erschöpften, verängstigten Gesichter der Flüchtlinge blicken, die alles hinter sich gelassen, alles aufgegeben, ihr Leben riskiert haben – für die Verheißung, die Europa immer noch ist.«
Der gesamte Festakt (ab Minute 51 die Rede Kermanis) ist in der Mediathek des ZDF nachzusehen.
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Danke für den Hinweis, Mischa Butty!
»Ich würde jedem Muslim widersprechen, dem angesichts des Islamischen Staates nur die Floskel einfällt, daß die Gewalt nichts mit dem Islam zu tun habe.
[…]
Jemand wie ich kann den Islam nicht auf diese Weise verteidigen, er darf es nicht: die Liebe zum Eigenen, zur eigenen Kultur wie zum eigenen Land, und genauso zur eigenen Person, erweist sich in der Selbstkritik.
Die Liebe zum Anderen, zu einer anderen Person, einer anderen Kultur und selbst zu einer anderen Religion kann viel schwärmerischer, sie kann vorbehaltlos sein.
Richtig: die Liebe zum Anderen setzt die Liebe zu sich selbst voraus. Aber verliebt, verliebt wie es Pater Paolo und Pater Jacques in den Islam sind – verliebt kann man nur in den Anderen sein.
Die Selbstliebe hingegen muß, damit sie nicht der Gefahr des Narzissmus, des Selbstlobs, der Selbstgefälligkeit unterliegt, eine hadernde, zweifelnde, stets fragende sein.
Wie sehr gilt das für den Islam heute!
Wer als Muslim nicht mit ihm hadert, nicht an ihm zweifelt, nicht ihn kritisch befragt – der liebt den Islam nicht.«
»Was aber geschieht, wenn man die sprachliche Struktur eines Textes mißachtet, sie nicht einmal mehr angemessen versteht oder auch nur zur Kenntnis nimmt, das läßt sich heute überall in der arabischen Welt beobachten: der Koran sinkt herab zu einem Vademecum, das man mit der Suchmaschine nach diesem oder jenem Schlagwort abfragt. Die Sprachgewalt des Korans wird zum politischen Dynamit.«
»Vielleicht sollte ich angesichts der Leichtfertigkeit, der Geringschätzung und offenen Mißachtung, die nicht nur unsere Politiker, nein: die wir als Gesellschaft seit einigen Jahren dem europäischen Projekt der Einigung entgegenbringen, dem politisch Wertvollsten, das dieser Kontinent je hervorgebracht hat – vielleicht sollte ich an dieser Stelle erwähnen, wie oft ich bei meinen Reisen auf Europa angesprochen werde. Als Modell, ja beinahe schon als Utopie.
Wer vergessen hat, warum es Europa braucht, muß in die ausgemergelten, erschöpften, verängstigten Gesichter der Flüchtlinge blicken, die alles hinter sich gelassen, alles aufgegeben, ihr Leben riskiert haben – für die Verheißung, die Europa immer noch ist.«
Der gesamte Festakt (ab Minute 51 die Rede Kermanis) ist in der Mediathek des ZDF nachzusehen.
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Danke für den Hinweis, Mischa Butty!