Einer der kontroverstesten Punkte in SKA 6, an dem sicher viele der anthroposophischen Freunde Anstoß nehmen werden, ist der Hinweis auf ein von Steiner 1909 formuliertes "geistiges Gesetz" (bisweilen als "Endeckungsprivileg" bezeichnet) - und die Konsequenzen, die sich aus dem Ernstnehmen und der Anwendung dieser Regel auf Steiners eigenes Werk ergeben.
Hier der Entwurf der entsprechenden Stellen:
Steiner formulierte 1909 ein ›geistiges Gesetz‹, nach dem übersinnliche Tatsachen, wenn sie einmal entdeckt und beschrieben worden sind, von anderen Forschern nur dann gefunden und erforscht werden können, wenn diese sich zuerst durch das Studium der Darstellung des Entdeckers mit den entsprechenden Tatsachen vertraut gemacht haben. Steiner hat dieses Gesetz nicht in seinen öffentlichen Schriften ausgesprochen, sondern nur in Vorträgen vor Mitgliedern. Dabei bezog er sich nicht ausdrücklich auf die eigene Forschung, formulierte aber doch so, dass eine Anwendung des Gesetzes auch auf die eigenen theosophischen und anthroposophischen Anschauungen konsequent erscheint. Steiner konzedierte somit indirekt, dass er auf diejenigen seiner Schilderungen, welche Vorbilder in der theosophischen oder sonstigen spirituellen Literatur haben (und somit auf einen Großteil dessen, was er in den Schriften Theosophie und Geheimwissenschaft darstellt hatte), keinen Entdeckeranspruch erhob, sondern notwendig durch ›Studium‹ zu den diesen Schilderungen zugrundeliegenden Erlebnissen gelangt war (vgl. dazu die Anm. zu TH, XII »Nur in diesem Sinne Selbsterlebtes«).
Die angesprochene Anmerkung lautet:
XII Nur in diesem Sinne Selbsterlebtes] Was Steiner an dieser Stelle mit dem Begriff ›Selbsterlebtes‹ meint, wird nicht ganz deutlich. Gemeint sein könnte, und manche anthroposophische Autoren legen die Äußerung in diesem Sinne aus, dass Steiner beansprucht, die von ihm beschriebenen Phänomene alle oder großenteils selbst entdeckt und die Begriffe und Bilder der theosophischen Literatur nur dazu genutzt zu haben, um das Selbstgefundene literarisch darzustellen. Dem steht jedoch nicht nur die schiere Implausibilität einer solchen Vorstellung entgegen, sondern auch die Tatsache, dass Steiner 1909 ausdrücklich feststellte, dass übersinnliche Inhalte, die bereits erforscht sind, nur dann von nachfolgenden Forschern entdeckt werden können, wenn diese die betreffenden Tatsachen bereits aus der Schilderung ihres Entdeckers kennen: »Es gibt in der geistigen Welt ein ganz bestimmtes Gesetz, dessen ganze Bedeutung wir uns durch ein Beispiel klarmachen wollen. Nehmen Sie einmal an, in irgendeinem Jahre hätte ein beliebiger, geschulter Hellseher dies oder jenes in der geistigen Welt wahrgenommen. Nun stellen Sie sich vor, daß zehn oder zwanzig Jahre später ein anderer ebenso geschulter Hellseher dieselbe Sache wahrnehmen würde, auch dann, wenn er von den Resultaten des ersten Hellsehers gar nichts erfahren hätte. Wenn Sie das glauben würden, wären Sie in einem großen Irrtum, denn in Wahrheit kann eine Tatsache der geistigen Welt, die einmal von einem Hellseher oder einer okkulten Schule gefunden worden ist, nicht zum zweiten Mal erforscht werden, wenn der, welcher sie erforschen will, nicht zuerst die Mitteilung erhalten hat, daß sie bereits erforscht ist« (GA 109, 167 f.). Auf die Schwierigkeiten, die mit einem solchen geistigen ›Entdeckungsprivileg‹ verbunden sind, soll hier nicht eingegangen werden; wendet man es jedoch konsequent auf Steiner selbst an, so wäre daraus zu folgern, dass er die theosophischen Inhalte, über die er spricht, unmöglich ›selbst entdeckt‹ haben kann. Die Rede vom ›Selbsterleben‹ wäre also, im Kontext der obigen Äußerungen, sinnvoller so zu verstehen, dass Steiner meinte, er habe sich der durch die theosophische Literatur vermittelten Inhalte nachträglich in innerlicher Erfahrung versichert bzw. sie im Einzelfall gemäß seiner eigenen Anschauung korrigiert (vgl. Einleitung, ###).
Meine Frage ist: Können Steiners Äußerungen von 1909 so verstanden werden, dass er eindeutig konzediert: Diejenigen Inhalte seiner Geisteswissenschaft, für die es historische Vorläufer gibt (etwa in der Theosophie Blavatskys und Besants), habe er nicht "selbst entdeckt", sondern nur "selbst erlebt", nachdem er sie durch das Studium der theosophischen Texte kennengelernt habe. Oder, in andern Worten: Ohne eine Rezeption der Theosophie durch ihn (Steiner) hätte es eine Anthroposophie nicht gegeben; Anthroposophie ist eine gedankliche Weiterentwicklung jener Theosophie, die Steiner vorfand. - Würde dies allgemein als das Selbstverständnis der Anthroposophie anerkannt, so wäre ein wichtiger Schritt in Richtung Dialog und Verständigung mit dem allgemeinen Wissenschaftsbetrieb getan.
Diese Deutung steht jedoch der Ansicht einiger Anthroposophen entgegen, die immer wieder und vehement behaupten, Steiner habe die Inhalte seiner Geisteswissenschaft als Ergebnisse seiner eigenen Geistesforschung angesehen und sei zu diesen völlig unabhängig von historischen Vorläufern gekommen. Nicht wenige Extremisten vertreten sogar die Position, Steiner sei der einzige Mensch in der bisherigen Weltgeschichte, der jemals in diesem Sinne die geistige Welt erforscht habe.
Um diese Frage angemessen in der SKA zu behandeln, habe ich schon auf meiner Webseite um Beiträge geboten, und stelle daher das Thema auch hier noch einmal ein mit der Bitte um konstruktives feedback.
Hier der Entwurf der entsprechenden Stellen:
Steiner formulierte 1909 ein ›geistiges Gesetz‹, nach dem übersinnliche Tatsachen, wenn sie einmal entdeckt und beschrieben worden sind, von anderen Forschern nur dann gefunden und erforscht werden können, wenn diese sich zuerst durch das Studium der Darstellung des Entdeckers mit den entsprechenden Tatsachen vertraut gemacht haben. Steiner hat dieses Gesetz nicht in seinen öffentlichen Schriften ausgesprochen, sondern nur in Vorträgen vor Mitgliedern. Dabei bezog er sich nicht ausdrücklich auf die eigene Forschung, formulierte aber doch so, dass eine Anwendung des Gesetzes auch auf die eigenen theosophischen und anthroposophischen Anschauungen konsequent erscheint. Steiner konzedierte somit indirekt, dass er auf diejenigen seiner Schilderungen, welche Vorbilder in der theosophischen oder sonstigen spirituellen Literatur haben (und somit auf einen Großteil dessen, was er in den Schriften Theosophie und Geheimwissenschaft darstellt hatte), keinen Entdeckeranspruch erhob, sondern notwendig durch ›Studium‹ zu den diesen Schilderungen zugrundeliegenden Erlebnissen gelangt war (vgl. dazu die Anm. zu TH, XII »Nur in diesem Sinne Selbsterlebtes«).
Die angesprochene Anmerkung lautet:
XII Nur in diesem Sinne Selbsterlebtes] Was Steiner an dieser Stelle mit dem Begriff ›Selbsterlebtes‹ meint, wird nicht ganz deutlich. Gemeint sein könnte, und manche anthroposophische Autoren legen die Äußerung in diesem Sinne aus, dass Steiner beansprucht, die von ihm beschriebenen Phänomene alle oder großenteils selbst entdeckt und die Begriffe und Bilder der theosophischen Literatur nur dazu genutzt zu haben, um das Selbstgefundene literarisch darzustellen. Dem steht jedoch nicht nur die schiere Implausibilität einer solchen Vorstellung entgegen, sondern auch die Tatsache, dass Steiner 1909 ausdrücklich feststellte, dass übersinnliche Inhalte, die bereits erforscht sind, nur dann von nachfolgenden Forschern entdeckt werden können, wenn diese die betreffenden Tatsachen bereits aus der Schilderung ihres Entdeckers kennen: »Es gibt in der geistigen Welt ein ganz bestimmtes Gesetz, dessen ganze Bedeutung wir uns durch ein Beispiel klarmachen wollen. Nehmen Sie einmal an, in irgendeinem Jahre hätte ein beliebiger, geschulter Hellseher dies oder jenes in der geistigen Welt wahrgenommen. Nun stellen Sie sich vor, daß zehn oder zwanzig Jahre später ein anderer ebenso geschulter Hellseher dieselbe Sache wahrnehmen würde, auch dann, wenn er von den Resultaten des ersten Hellsehers gar nichts erfahren hätte. Wenn Sie das glauben würden, wären Sie in einem großen Irrtum, denn in Wahrheit kann eine Tatsache der geistigen Welt, die einmal von einem Hellseher oder einer okkulten Schule gefunden worden ist, nicht zum zweiten Mal erforscht werden, wenn der, welcher sie erforschen will, nicht zuerst die Mitteilung erhalten hat, daß sie bereits erforscht ist« (GA 109, 167 f.). Auf die Schwierigkeiten, die mit einem solchen geistigen ›Entdeckungsprivileg‹ verbunden sind, soll hier nicht eingegangen werden; wendet man es jedoch konsequent auf Steiner selbst an, so wäre daraus zu folgern, dass er die theosophischen Inhalte, über die er spricht, unmöglich ›selbst entdeckt‹ haben kann. Die Rede vom ›Selbsterleben‹ wäre also, im Kontext der obigen Äußerungen, sinnvoller so zu verstehen, dass Steiner meinte, er habe sich der durch die theosophische Literatur vermittelten Inhalte nachträglich in innerlicher Erfahrung versichert bzw. sie im Einzelfall gemäß seiner eigenen Anschauung korrigiert (vgl. Einleitung, ###).
Meine Frage ist: Können Steiners Äußerungen von 1909 so verstanden werden, dass er eindeutig konzediert: Diejenigen Inhalte seiner Geisteswissenschaft, für die es historische Vorläufer gibt (etwa in der Theosophie Blavatskys und Besants), habe er nicht "selbst entdeckt", sondern nur "selbst erlebt", nachdem er sie durch das Studium der theosophischen Texte kennengelernt habe. Oder, in andern Worten: Ohne eine Rezeption der Theosophie durch ihn (Steiner) hätte es eine Anthroposophie nicht gegeben; Anthroposophie ist eine gedankliche Weiterentwicklung jener Theosophie, die Steiner vorfand. - Würde dies allgemein als das Selbstverständnis der Anthroposophie anerkannt, so wäre ein wichtiger Schritt in Richtung Dialog und Verständigung mit dem allgemeinen Wissenschaftsbetrieb getan.
Diese Deutung steht jedoch der Ansicht einiger Anthroposophen entgegen, die immer wieder und vehement behaupten, Steiner habe die Inhalte seiner Geisteswissenschaft als Ergebnisse seiner eigenen Geistesforschung angesehen und sei zu diesen völlig unabhängig von historischen Vorläufern gekommen. Nicht wenige Extremisten vertreten sogar die Position, Steiner sei der einzige Mensch in der bisherigen Weltgeschichte, der jemals in diesem Sinne die geistige Welt erforscht habe.
Um diese Frage angemessen in der SKA zu behandeln, habe ich schon auf meiner Webseite um Beiträge geboten, und stelle daher das Thema auch hier noch einmal ein mit der Bitte um konstruktives feedback.