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Channel: Egoisten
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Even Richard Nixon has got soul...

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Nagorno Krabakh, 2017; Photo: Nazik Armenakyan

Auf dem Höhepunkt der Proteste gegen den Vietnam-Krieg, deren bejubelter Barde er mit seinem Song über die vier erschossenen Demonstranten von Ohio geworden war, tourte Neil Young durch Amerika. Eines Abends, es war gerade Wahlkampf, lag er auf dem Bett eines Hotelzimmers im Nirgendwo und schaltete den Fernseher an. Die Nachrichten zeigten Richard Nixon, die Hassfigur der Bewegung, den Kriegstreiber, diesen machtversessenen amerikanischen Präsidenten, wie er aus einem Krankenhaus trat und, ohne zu winken, mit versteinertem Gesicht in eine Limousine stieg. Der Sprecher sagte, dass Richard Nixon seinen Vater besucht habe, der im Sterben liege.
In derselben Nacht, auf dem Hotelbett, schrieb Neil Young „Campaigner“, das eines seiner rührendsten Lieder ist: ein Lied für Richard Nixon.

[…]

Wie Sie vielleicht wissen, bin ich viel auf Reisen und komme dann oft in Gebiete, in denen Krieg, Terror und Not herrscht. Gerade erst bin ich für den „Spiegel“ durch den Osten Europas bis nach Iran gefahren und stand nacheinander an drei Fronten, in der Ostukraine, im Norden Georgiens und in Bergkarabach. Man trägt dann auch als Berichterstatter, der noch nie eine Waffe in der Hand gehalten hat, einen Helm und eine schwere Schutzweste und sieht damit, nun, nicht martialisch, aber doch ziemlich unentspannt aus.
Dabei passiert in so einem Schützengraben nicht viel, wenn nicht gerade eine Schlacht tobt oder wieder mal ein Scharmützel. Man hockt neben den Soldaten, die zusätzlich zu Schutzweste und Helm auch ein Sturmgewehr tragen, gibt Acht, dass man nicht aus der Deckung der Sandsäcke und Erdhügel gerät, und hat eigentlich Zeit. Ja, man hat Zeit. Die Soldaten langweilen sich ja besonders häufig ausgerechnet im Krieg. Man fängt an zu plaudern, nein, nicht nur über die Gefechtslage, sondern über alles Mögliche, übers Wetter, über die gekaufte Weltmeisterschaft in Qatar, über Led Zeppelin.

Und warum auch immer habe ich mir angewöhnt, in einem Schützengraben zu fragen, was den Soldaten – fast überall junge Leute, achtzehn, zwanzig, fünfundzwanzig Jahre alt – am wichtigsten ist im Leben: Was sind eigentlich eure Ziele, eure Wünsche, eure Pläne, wenn der Krieg vorbei ist? Und ungelogen, egal, in welchem Krieg ich gerade bin, höre ich auf beiden Seiten der Front das Gleiche, das Übliche, das Einfachste: Gesundheit, Familie, eine gute Arbeit, Freunde. Dann frage ich die Rekruten – an vorderster Front dienen meistens Rekruten, denen keine Wahl blieb –, ob sie denn ernsthaft glaubten, dass die Rekruten im gegenüberliegenden Schützengraben, dreihundert oder achthundert Meter entfernt und genauso jung wie sie, andere Wünsche haben als sie. Und zu meiner Verblüffung antworten die Rekruten im Krieg oft mit „ja“. Ja, die anderen, die Feinde seien verblendet, seien hasserfüllt und wünschten sich nichts sehnlicher, als unser Land zu zerstören. Sie seien nicht wie wir. Wenn das Gespräch verebbt, murmele ich im Stillen dann jedesmal ein Lied: „Hospitals have made him cry / But there’s always a freeway in his eye / Though his beach got too crowded for a stroll. / Roads stretch out like healthy veins / And wild gift horses strain the reins / Where even Richard Nixon has got soul, / Even Richard Nixon has got soul.“

Aus der Dankesrede Navid Kermanis anläßlich der Verleihung des Staatspreises des Landes Nordrhein-Westfalen; hier geht’s zur ganzen Rede:
href=http://plus.faz.net/feuilleton/2017-11-28/577c1b0ebfc1fd225c9ee8a96963874a/?GEPC=s2

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