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Hinter den Kulissen des Weltgeschehens |
Stephan Birkholz hat dies gerade in einem Kommentar so benannt: „Alle Süchte haben eine Gemeinsamkeit: Sie schaffen Weltbilder oder erleichtern durch 'Aufweichung' die Erschaffung von Weltbildern. Wenn jemand sein Weltbild auf eine bestimmte Vorstellung gebaut hat, so kann die Korrektur dieser Vorstellung u.U. (wenn sie eine tragende Säule darstellt) das gesamte Weltbild zum Einsturz bringen.
Es ist nicht immer eine gute Idee, Illusionen extrinsisch zu beenden; der Betroffene wird dadurch biografisch genau an jenen Punkt zurückkatapultiert, an dem er die Illusion in sein Leben eingebaut hat; da sich die Verhältnisse aber insgesamt verändert haben, reißt der Faden und der Betroffene fällt in eine regressive Unzugänglichkeit; er hat quasi den Anschluss verloren.“
So ist das Manöver führender Anthroposophen, die gemeinsamen Veranstaltungen mit Verlegern, die mit Autoren des Kopp- Verlages kooperieren, rechtslastigen YouTubern, Verschwörungstheoretikern der billigsten Kategorie und Einflüsterern, die die New- World- Order- Paranoia vertreten, zu behaupten, eben diese Regression auf die flachste Ebene des Populismus sei ein Zeichen von Toleranz und Offenheit, ein Manöver wie aus den berüchtigten Tweets Donald Trumps: „Marcus Schneider, Präsident des veranstaltenden Paracelsus-Zweiges der Anthroposophischen Gesellschaft, sieht keine Probleme: "Das ist doch interessant" sagt er und plädiert für ein "offenes Geistesleben". "Die Einseitigkeit sei gerechtfertigt zur Einseitigkeit, die einem sonst durch die Medien um die Ohren geschlagen" werde. Die Vorträge seien ganz im Sinn von Rudolf Steiner, da man versuche, "hinter die Kulissen" zu schauen und hätten eine "hygienische Funktion“.“ (bobby)
Nein, die Regression im Sinne jeglicher Ausblendung von Reflexion, im freien Fall auf die Ebene der Populisten, KGB- Propagandisten und Trumpisten aufzuschlagen, schaut weder "hinter die Kulissen" des Weltgeschehens noch hat es "hygienische Funktion". Es erscheint so hygienisch wie sich in der Gemeinschaftstoilette zu verrammeln und Anthroposophie unter dem Klodeckel zu betreiben. Freilich, der gemeine anthroposophische Deckel passt auf diesen Topf. Man kann nicht gerade von einer Usurpation der Rechtspopulisten in die Szene sprechen- sie werden mit offenen Armen empfangen. Die Tendenz des geschlossenen Welt- und Selbstbildes, das sich selbst als Krone der Steinerschen Evolution des Menschen und seiner Rassen betrachtet, passt einfach zu schön zur Fremdenfeindlichkeit der politischen Rassisten; die Freimaurer- und Jesuiten- Verschwörungen Rudolf Steiners gehen nahtlos über in den zeitgenössischen Soros-, Clinton-, EU-. Macron- und „Eliten“- Hass, die Sympathien für die heute herrschenden Diktatoren - allen voran Putin- passen hervorragend zum anthroposophischen Misstrauen gegenüber parlamentarischer Demokratie. Ja, dieser Deckel passt auf diesen Topf.
Über die weiteren Motive, abgesehen vom Weltanschaulichen, kann man nur spekulieren. Anthroposophischer Populismus bis hin zur puren, identitären Anthroposophie entspringt sicherlich auch der immer schmaler und älter werdenden Mitgliederbasis. Da kommen die YouTuber und Politik- Schwadroneure mit ihren vollen Sälen und hunderttausenden Klicks wie gerufen. Man fragt sich unwillkürlich, ob die Basler und Dornacher Biedermänner, die dies als ihr Verständnis von „freiem Geistesleben“ erklären, wohl auch zu Goebbels geströmt wären? Ob ihre Fremdenfeindlichkeit den kleinen Sprung zum offenen Antisemitismus (der sich bislang noch als Anti- Intellektualismus tarnt) schaffen wird? Ob sie, wie vereinzelt schon aus anthroposophischem Mund vernommen, für die Einrichtung von Lagern oder Nordseeinseln für Schwarzafrikaner und Syrer stimmen werden? Wie weit wird der anthroposophische Populismus gehen? Und wann, wann darf der Reichsbürger Xavier Naidoo endlich im Großen Saal des Goetheanums singen, während die Zweigleiter und Klassenleser mit den Fußspitzen im Takt wippen?
Die Sucht, das eigene sterile Weltbild permanent bestätigt zu bekommen, kann in jeder normalen anthroposophischen Facebook- Gruppe betrachtet werden. Es sind Rituale, deren intrinsische Selbstentblössung und Erniedrigung vollständig übersehen wird. Wieder und wieder wird die eigene eingebildete Überlegenheit zelebriert in der Betrachtung aktueller Katastrophen, die stets der „ahrimanischen“ Intellektualität zugeschrieben werden. Das entbindet von jeglicher politischen Reflexion. Es gibt auch dieses schöne, süchtig machende Selbstgefühl gerechter Empörung. Klodeckel zu. Das Weltbild ist gesichert. Die Sekte feiert sich selbst.
Ein weiteres Motiv für den anthroposophischen Populismus könnte auch darin liegen, dass die vielen ewig zerstrittenen Lager, die sich teilweise seit Jahrzehnten im Streben nach Dominanz und dem wahren Erbe Rudolf Steiners intern bekämpfen, schlichtweg endlich einen gemeinsamen Nenner in den Eckpunkten der postfaktischen Anthroposophie finden: Eliten- und Fremdenfeindlichkeit als archaischer, aber gemeinsamer Nenner. Die Rituale der Selbstvergottung und Abgrenzung gegenüber dem angeblichen ahrimanischen Zeitgeist finden im politischen Populismus zu sich selbst.