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Wählt die alte Tante vom Tübinger Zweig!

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Liebe Freizeit- Bolsonaros, liebes Janas aus Kassel und aus Tübingen, lieber Betreiber einer anthroposophischen Studienstätte, manchmal vertritt man etwas energisch, weiß aber gar nicht genau, was es bedeutet und woher es stammt. Ist euch das schon mal so ergangen? Mit etwas Mindfulness und Positivität lässt sich die Hürde vielleicht umschiffen. Oder auch nicht.

Einer der übelsten Hetzer auf anthroposophischer Seite, der zu Hochzeiten des Donaldismus rassistische QAnon- Gerüchte, auf anthroposophische Art umgedeutet, unters begierige Volk brachte, und natürlich die Botschaften der Kreml- freundlichen, gern im örtlichen Zweig zitierten Friedensforscher, Bestseller- Autoren und ehemaliger (weil immer wieder wegen Verbreitung falscher Behauptungen gesperrter) YouTuber Ken Jebsen und „Dr. Ganser“ verbreitete (1), hat sich zurück gezogen auf sein eigentliches Metier, die Seite seit 2019 stehen gelassen, um als Micha Amthor wieder Waldorf- Bilder in Acryl zu malen- mit Themen wie „Erdenäther Acryl auf Leinwand“ (2). Aber dann geht es auch dort, auf der Seite, die eigentlich den höheren und geistigeren Künsten gewidmet sein sollte, wieder mit ihm durch, und er wendet sich dem „Zeitgeschehen“ zu (3), worunter er versteht, Proteste gegen Corona- Maßnahmen, die Gründung der WIR2020- Partei und die üblichen anthroposophischen Grundsatzzweifel mit bebendem Herzen zu posten, was den Kreis schließt. 



Denn in der WIR2020- Partei findet sich als Kandidat der Landesliste auch unser allseits bekannter anthroposophischer Meditations- Lehrer, Fortbilder und Seminarhaus- Leiter Professor Hueck (4), der in der Redaktion der Zeitschrift diedrei (5) auch die Anti- Corona- Liga vertritt und zum Beispiel im Dezemberheft 2020 das „Menschsein in Zeiten der Pandemie“ reflektiert.* Es ist anzunehmen, dass Professor Hueck inzwischen die frühen Exzesse seines Coronablogs (6) nicht mehr ganz so aggressiv vertritt- oder diese Verschwörungstheorien- Gefolgsleuten wie Andreas Neider (7) überlässt. Momentan konzentriert man sich auf eine Kampagne (8) von Ärzten, Tierärzten und allen möglichen Personen gegen die kommende, „jetzt anrollende(..) Massenimpfungskampagne“, wegen der man der Bundeskanzlerin ja einen offenen Brief geschrieben habe. Da rollt auch einer der anderen Erz- Anthroposophen, Lorenzo Ravagli, wieder heftig die Augen (9) und hängt sich an die Proteste ran: „Sie fordern die Regierungen dieser Welt dazu auf, sich dem wissenschaftlichen Diskurs zu stellen, statt mit Notstandsgesetzen die Bevölkerungen zu kujonieren.“ (9) Dass die notwendige Kühlung des Impfstoffs zur Bevorzugung von Impfzentren mit ihrer „Massenabfertigung“ (8) führt, wird politisch umgedeutet, aber auch mit dem andauernden Lockdown verknüpft, so dass unter den scheinbar sachlichen Kritikpunkten immer weiter das Gefühl geschürt wird, dass der Rechtsstaat nicht mehr existiere. Daher Warnungen davor, „das Wiederherstellen rechtsstaatlicher Verhältnisse von der Verfügbarkeit eines solchen Impfstoffs abhängig zu machen“, wie in der „Stellungnahme der „Ärzte für einen individuellen Impfentscheid““ (8)

Mit der Parteigründung WIR2020 beginnt Professor Hueck sich auch gleich von den GRÜNEN abzusetzen, indem er sie als „Digitalisierungsfetischisten“ (10) demaskiert (eine typisch anthroposophische Feindbild- Attitüde, hier zudem mit sexueller Konnotation), die zudem „mainstream“ (10) (eine bei der Neuen Rechten üble Assoziation) in ihrem Grundsatzprogramm orientiert seien und sich manipulativ wie zu Zeiten von Präsident Woodrow Wilson aufführten (der von Rudolf Steiner personifizierte Erzfeind mit ahrimanischer Inspiration): „Walter Lippmann, der amerikanische Publizist, Intellektuelle und Berater von Präsident Woodrow Wilson, hat in seinem berühmten Buch „Die öffentliche Meinung“ (1922) beschrieben, dass Menschen in einer modernen Demokratie durch öffentliche Meinungsbildung gelenkt werden müssen. Die öffentlichen Medien, so Lippmann, schaffen eine Pseudoumwelt in den Köpfen des Publikums, die durch mehr oder weniger gleichsinnige Berichterstattung erst konstruiert wird und mit der wahren Wirklichkeit keinesfalls übereinstimmen muss.“ (10) Dass auch Hueck und Co mittels Blog, Büchern, Parteigründungen „öffentliche Meinung“ beeinflussen, von den Massenmedien der Jebsens und Gansers ganz abgesehen, fällt irgendwie unter den Tisch. Wenn die GRÜNEN ein digitales Grundsatzprogramm veröffentlichen, dann wollen sie ganze Generationen „noch manipulierbarer“ machen, wie Hueck in seinem irgendwie aus den 60ern des letzten Jahrhunderts stammenden Abschluss palavert: „Vor dem Bildschirm werden Kinder nicht mit der wahren Wirklichkeit konfrontiert, sondern im Gegenteil darauf dressiert, eine digitale Scheinwirklichkeit für bare Münze zu nehmen. Damit wachsen weitere Generationen heran, die durch Medien noch manipulierbarer sein werden, als wir es gegenwärtig schon sind. Die Grünen scheinen das nicht mehr zu wissen, oder nicht wissen zu wollen. Die meisten von ihnen sind ja selbst schon in der digitalen Welt aufgewachsen.“ (19) Präsident Wilson, übernehmen Sie! Corona wird Euch alle kriegen! Und die Digitalisierung! Wählt Baden-. Württemberg von 1960! Wählt die alte Tante vom Tübinger Zweig! 


------------------------links


1 https://ondoor.de/tag/ken-jebsen/

2 https://amthor-art.de/

3 https://amthor-art.de/328-2/

4 https://www.wir2020bw.de/vorstand-bw/

5 https://diedrei.org/

6 https://www.akanthos-akademie.de/

7 https://egoistenblog.blogspot.com/2020/11/so-seufzt-die-geschundene.html

8 https://www.akanthos-akademie.de/2020/11/28/%C3%A4rzte-f%C3%BCr-einen-individuellen-impfentscheid/

9 https://www.anthroweb.info/nachricht/detail/News/aerzte-stehen-auf-offener-brief-an-die-bundeskanzlerin.html

10 https://www.akanthos-akademie.de/2020/11/23/fremdbestimmtes-heranwachsen-in-einer-digitalisierten-welt-die-gr%C3%BCnen-verabschieden-sich-von-gesunder-kindgerechter-bildung/

*Heft noch nicht ausgeliefert, wodurch sich eine eventuelle Besprechung erübrigt







Der alternde Modernismus und die Revolte der Corona- Skeptiker

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Das individuelle Altern


Natürlich erinnere ich mich gern an das Missverständnis, dem Zeitgenossen des Grafen von Saint- Germain (3), Alchemist um 1760, zwischen Pompadour, Versailles und dem alten Lästerer Casanova, politischer Abenteurer und viel denunzierter Rosenkreuzer, aufgesessen sein sollen, die sich aus seiner kolportierten Aussage „Ich habe kein Alter“ irgend etwas pseudo- Okkultes zurecht legten, das davon raunte, er sei schon ewig am Leben, ein Unsterblicher. Aber die Bemerkung muss viel mehr etwas bedeutet haben wie „Das Ich hat kein Alter“- und bemerken wir das nicht alle, dass es wahr ist, dass, selbst wenn wir biologisch, selbst wenn wir von der Initiative, Energie oder Konzentration her altern sollten, die Art unserer konzentrierten Präsenz dies nicht ganz mit vollzieht? Die in der eigenen Präsenz unbemerkte Essenz, die sich in der Wahrnehmung verliert und im Nachklang der angeregten Gedanken verloren geht, kennt kein Alter. Sich ihrer bewusst zu werden ist der Beginn jedes verantwortlichen Schulungswegs. 

Aber sich dem Alter zu stellen, ist natürlich ebenso notwendig, ein Teil der konkreten Selbstvergegenwärtigung. Wenn man das verpasst, entstehen emotionale Gespenster aus den Ruinen verpasster Träume; eine latente Wut vielleicht, ein sinnloser Groll, eine hysterische Einsamkeit, seltsame Gewohnheiten, bizarre Rituale. Ich erinnere mich an eine alte Frau im Altenheim, die täglich im Mantel und mit Täschchen auf dem Stuhl vor dem Aufzug in ihrem Stockwerk erschien, sich auf einen Stuhl setzte und auf die Abfahrt eines Busses wartete, der niemals kam. Ein Kommen und Gehen war da trotzdem, dem sie aber stoisch mit unbewegter Miene begegnete. Das alles interessierte sie ebenso wenig wie ein Gruß oder gar ein Scherz, denn sie wartete offensichtlich auf den nur für sie bestimmten Bus.

Jean Amery hat in „Über das Altern“ (1) über das Ich geschrieben, das wir deshalb nur mehr schwer wieder erkennen, weil es ein Ich ist, das „vielfach dissoziiert im Alternsleiden“ (2) in dem Sinne ist, dass es nicht mehr ein Körper habe, sondern dass der Körper „schmerzenderweise mich hat“ (2). Mitgerissen von den Beschwernissen leugnet Amery, dass es dann „ein gelebtes Ich, ein wahre Identität“ (2) noch gäbe. Vielmehr sei der Zustand zu beschreiben als der einer der Ich- Dissoziation, einer anhaltenden, umfassenden Selbst- Entfremdung.

Natürlich übertreibt Amery, oder generalisiert zumindest. Wer mit Hospiz und Sterbebegleitung auch nur von fern zu tun hat, kennt viele Lebensgeschichten von Menschen, die um jeden Tag unter körperlichen Bedingungen ringen, die man von außen als vollkommene Entstellung, als unmenschliche Sondersituation zu beurteilen gewillt ist. Offensichtlich zu Unrecht. Und man kennt auch viele Geschichten, in denen Menschen durch die äußerste Grenze der Ich- Dissoziation, des Schmerzes und der Todesnöte gehen und danach in einer Weise in einen stabilen Zustand zurück kommen, den man nicht hätte vorher sagen können, sich „fangen“ und für manchmal längere Zeit fort leben, mit Genuss im Rahmen dessen, was ihnen möglich ist. Es gibt Formen des Hedonismus, die offenbar auf Messers Schneide beheimatet sein können. 


Selbst- Entfremdung und Welt- Entfremdung

Aber für Amery, und auch für viele Menschen, ist mit einem gewissen Grad der Selbstentfremdung im Alter die Grenze überschritten, die uns ohnehin immer als ambiguente Wesen zwischen Ich und Welt begleitet hat- der Körper neigt sich ebenso dem bloßen Weltsein zu wie auch der Geist, ja letztlich die Logik. Wir schauen im entsetzlichen Schmerz auf das alles wie von außen, und es ist uns fremd.  

Und so entwickelt sich die letzte, umfassende Entfremdung: „Schon ist, wenn wir die Höhe überschritten haben und es abwärts geht, immer steiler, immer geschwinder, ein Denken, das der Weltbewältigung gilt und darum in der Logik sich ein Weltabbild anziehen hat müssen, nicht mehr ganz unsere Sache. Die Urkontradiktion, der Tod, erwartet uns und zwingt uns, logisch unsaubere Sätze zu bilden, wie „wenn ich nicht mehr bin“. Er ist schon in uns und schafft Raum für Zweideutigkeit und Widerspruch. Wir werden Ich und Nicht- Ich. Wir besitzen das in der Haut eingeschlossene Ich und dürfen zugleich erfahren, dass die Grenzen immerdar fliessend waren und es blieben. Wir werden uns fremder und vertrauter. Nichts ist mehr selbstverständlich. Die Evidenzen sind nicht mehr glaubhaft. Die Selbst- Entfremdung wird zur Seins- Entfremdung, wie getreulich auch immer wir noch nach dem Tage nachgehen, unsere Steuererklärung ausfüllen, den Zahnarzt aufsuchen. Sagten wir, dass im Alter die Welt zu unserer Verneinung werde? Wir hätten ebenso sagen dürfen, dass wir schon im Begriffe stehen, die Negation unserer selbst zu sein. Tag und Nacht heben sich auf in der Dämmerung.“ (2)

An diesem Grad der Weltentfremdung möchte man sich nicht einmischen, aber auch niemanden aufhalten. Sollte der Gesetzgeber sich hilfreich bei Entscheidungen Einzelner zeigen, ein solches Leben zu beenden? Eine simulierte TV- Diskussion vor der Ethik- Kommission - „Gott“ von Ferdinand von Schirach (4) hat das Dilemma einem Millionen- Publikum nochmals vor Augen geführt: Der, der sich nur mehr als „Negation seiner selbst“ empfand, durfte in Deutschland nicht unter ärztlicher Begleitung würdig sterben, obwohl das Verfassungsgericht zu seinen Gunsten entschieden hatte, da die Bundesregierung eine Regelung jedweder Sterbehilfe durch Nichtstun einfach auszusitzen scheint. Während sich die evangelische Kirche auf die Seite der Sterbewilligen schlägt, stutzen die Katholiken wie üblich die Freiheitsrechte des Einzelnen auf das hinunter, was in ihren antiken Wertekanon passt. 

Die weltweite Pandemie wird, durch häufig auftretende Blutgerinnsel und Schlaganfälle, aber auch Atem- Probleme und frühe Demenz, chronische Fatigue und Organschäden für Zehntausende die Frage noch einmal neu und intensiver stellen. 


Eine alternde Palliativgesellschaft

Ist das alles eine Form des Lamentieren? Sollten wir mal den Hintern zusammen kneifen, uns zusammen reißen und auf die Seins- Entfremdung pfeifen? Byung- Chul Han jedenfalls teilt in seiner so diagnostizierten und benannten „Palliativgesellschaft“ (5) kräftig gegen die moderne Weichei- Gesellschaft aus, in der die „palliative Politik“ schon keinen „Mut zum Schmerz“ (5) habe, was Han in alle mögliche Richtungen generalisierend ausweitet. Im Prinzip habe die Selbstoptimierung als neoliberale Ideologie alle Winkel des modernen Denkens ergriffen, so dass selbst traumatische Erfahrungen des Individuums lediglich zum Zwang führten, daraus noch einmal einen Selbst- Optimierungssprung zu gewinnen: „Die neoliberale Ideologie der Resilienz macht aus traumatischen Erfahrungen Katalysatoren für Leistungssteigerung“ (5), da Schmerz an sich als „Zeichen der Schwäche“ gedeutet werde. Die grassierende Palliativgesellschaft  habe, als Symptom ihrer Tabuisierung des Schmerzes, den Missbrauch von Schmerzmitteln gefördert: „Die US- amerikanische Opioid- Krise hat paradigmatischen Charakter. An ihr ist nicht nur die materielle Gier einer Pharmakrise beteiligt. Ihr liegt vielmehr eine verhängnisvolle Annahme zur menschlichen Existenz zugrunde. Allein eine Dauerwohlfühl- Ideologie kann dazu führen, dass Medikamente, die ursprünglich in der Palliativmedizin eingesetzt wurden, im großen Stil auch an Gesunde verabreicht werden“ (5)

So reitet Han seine These mit der gewissen Monotonie einer Spur, die ein industrieller Traktor zieht, bis zum bitteren Ende, das dann thematisch doch nicht von der Corona- Epidemie lassen kann, die „postindustrielle, immaterielle Produktion“ (5) der kreativen Medien und der Social Media beklagt, die „die Hölle des Gleichen“ (5) herauf ziehen lässt, da das wahre „Angerührtsein“ vom Anderen verschütt gegangen, und man nun, in der Quarantäne, zur erzwungenen Untätigkeit“ (5) verdammt sei. So wird aus der glatt gebügelten, neoliberalen Palliativgesellschaft ein Lamento über den Schmerz, in eine globale Pandemie geraten zu sein. 

Offenbar schmiedet Han aus der erzwungenen Isolation sein populistisch geratenes Schwert gegen die Selbst- Optimierer, Instagrammer und Menschen der Gegenwart, die er so beschreibt: „Diese narzisstische, hypochondrische Introspektion ist wohl mitverantwortlich für unsere Hypersensibilität. (..) Die Menschen sind heute wohl am „Prinzessin-auf-der-Erbse-Syndrom“ erkrankt.“ (6) Von da wendet sich Han dem chronischen Schmerz und der Selbstverletzung zu, die er in Anlehnung (ausgerechnet!) an Ernst Jüngers markiger These von der „List des Schmerzes“ auf unterdrückte, aber latent virale Schmerzen zurück führt, die er wiederum generalisiert auf die „sinnentleerte Gesellschaft“ (7) der Gegenwart bezieht. So kommt er, was nicht besonders erstaunt, zur Diagnose einer den Schmerz leugnenden, und in der Folge postfaktischen Gesellschaft, die durch das Auftreten der Pandemie um so mehr erschüttert werde: „Im postfaktischen Zeitalter mit Fake News oder Deepfakes entsteht eine Wirklichkeitsapathie, ja eine Wirklichkeitsanästhesie. Allein ein schmerzender Wirklichkeitsschock könnte uns aus ihr herausholen. Die Panikraktion auf das Virus geht teilweise auf diese Schockwirkung zurück. Das Virus restituiert die Wirklichkeit. Die Wirklichkeit meldet sich zurück in Form eines viralen Gegenkörpers.“ (8) Wird das Virus also eine Art heilsamen Schock auf eine materialistische, surreal wirklichkeitsfremde neoliberale Gesellschaft bewirken?


Social Distancing als Empathie- Losigkeit

Han bemüht sich um eine Poesie des Schmerzes, der die Produktivität des Schönen in der Kunst stets beflügelt habe. Schubert, Nietzsche und Kafka dienen als Belege: „Das Schöne ist die Gegenfarbe des Schmerzes“. Der Schmerz, der in unserer Gegenwart zu einer reinen Angelegenheit medizinischer Technik verkommen sei, solle wieder „singbar“ (9) gemacht werden. Zudem zwinge er zum „radikalen Perspektivenwechsel“ (10) und führe daher zu einer höheren Gesundheit im Sinne einer geistigen und intellektuellen Rekonvaleszenz. Natürlich kann man den immer zwischen Verborgenheit und Unverborgenheit raffiniert chargierenden Heidegger in diesem Zusammenhang verwursten. Das geht immer, selbst wenn es ziemlich unklar aus dem Unterholz des Schwarzwalds tönt: „Die Erde ist das wesenhaft Sichverschließende“ (11) Ach ja, die Erde. 

Daraus wird bei Han, wieder passend zur Grundthese: „Die terrane Ordnung, die Ordnung der Erde geht heute zu Ende. Sie wird durch die digitale Ordnung abgelöst.“ (11). Da ist er wieder, der Weltschmerz. Kafka und Heidegger, wie auch eine größere Anzahl Anthroposophen, klatschen begeistert aus dem terranen Unterholz. Der „Datentotalitarismus“ der eskalierenden Konsumgesellschaft, die nur noch das Numerische, nicht mehr das Narrative kenne, die Algorithmen und KI über die Poesie stelle, sie ist den reaktionären Romantikern ein Stich ins Herz, so dass Han in deren Namen aufschreit: „Die verfügbare Welt verliert die Aura, ja den Duft.“ (11) Kein Wunder, dass Han auch das im Zeichen der Pandemie notwendige Social Distancing als Symptom für die grassierende Empathielosigkeit sieht. Den Anderen lediglich als möglichen Virusträger zu sehen, empört Han wie die Anti- Corona- Demonstranten, die zu Zehntausenden durch die Innenstädte fluten, ganz ohne Maske, aber, im Sinne von Han, doch offenbar von Poesie und Empathie beseelt. Sind diese Ritter gegen die Corona- Welle die letzten tapferen Kämpfer gegen den grassierenden Hedonismus der Moderne, der letzte Aufschrei der Zivilisationsmüden? 

Jedenfalls prophezeit Han: Der "westliche Liberalismus scheitert offensichtlich am Virus“ (12)- schon deshalb, weil die „biopolitische Überwachung des Individuums“ (12) in der Zukunft zu einem digitalen Überwachungsregime führen werde, schon aus der Notwendigkeit heraus. Alle „Gedanken, Gefühle und Absichten werden ausgelesen und ausgebeutet.“ (12). Der Orwellsche Alptraum steht bei Kulturpessimisten wie Han nicht nur vor der Tür, er ist bereits vollzogen. Dass diese apokalyptische Weltsicht selbst ein Beleg für die grassierenden Narrative ist, die nach Byung-Chul Han alle Macht in einer gealterten, todgeweihten liberalen Gesellschaft verloren haben sollen, da diese nur noch den Zahlen, Daten und der schmerzfreien Selbstausbeutung diene, ist diesem reaktionären Traktat völlig entgangen. Selbst der Narzissmus derer, die mit Ernst Jünger im Gepäck ein Loblied auf die Unmittelbarkeit des Schmerzes singen, als wären Soldaten- Tugenden das probate Mittel gegen eine palliative, nihilistische Gesellschaft, die auf Datensätze und Vermassung setze, bleibt unbemerkt. Eine intellektuelle Elite gefällt sich in der Attitüde des Widerstands gegen den herrschenden Liberalismus, dem die Maske (buchstäblich in Zeiten der Pandemie) herunter gerissen werden soll. Die „Selbstentfremdung“, die Amery dem alternden Individuum unterstellte, wird hier wie dort, als moderne reaktionäre Revolte, dem Liberalismus selbst vorgeworfen. Der Krieger in der Revolte gegen den Modernismus eint die Zivilisationsmüden. Kein Wunder, dass Ernst Jünger wieder aus den Regalen gekramt wird. 


Globale Märkte und unerfüllbares Begehren

Nun ist die zeitgeistige Zeitgeist- Kritik auch kein Privileg der Rechten, auch wenn sie sich zur Zeit so gibt. Die Linke ist natürlich seit langem der materialistischen Selbstausbeutung auf der Spur, und nennt sie sogar „Zombie Anthropophagie- zur neoliberalen Subjektivität“. (13) Eine ursprüngliche, radikale Subjektivität entsprang den 60ern und 70ern des letzten Jahrhunderts- auch im hier beschriebenen Brasilien, und führte zu einem waghalsigen „Experiment“, zu einem radikalen „Bruch mit dem Establishment“ (14), was zu einer Massenbewegung, einem umfassenden Protest und auch zu „makropolitischem Widerstand“ (14) führte. Der folgende „Prozess des kulturellen und existenziellen Experimentierens“ (14) hat dort wie hier eine Generation geprägt. Aber nach und nach wurde daraus eine „globale Reality Show“ (15), indem die flexible Subjektivität zu Treibstoff für neue Produktionsweisen wurde, was schließlich zu einer „Erfindung einer neuen produzierenden Klasse“ (15) führte, die man als „Kognitariat“ bezeichnen darf, das dazu beiträgt, etwa in der Werbung und in den Massenmedien „Welt- Bilder“ zu produzieren, „die den kulturellen, subjektiven und sozialen Boden für die Einrichtung der Märkte“ (15) bereiten- ein Begehren, das durch neue Märkte erschlossen wird, die in den neuen technischen Kommunikations- Formen, in visuellen Medien und Märkten global, aber auf die Subjektivität zielend, wirken. Es entsteht eine Klasse von „Kreativen“, Fotografen, Visualisten, Beratern, die eigentlich Selbstbilder produzieren und verkaufen, aber auch immer neue Produzenten dieser Reality Show benötigen und erschaffen- hin zu Trendscouts, Marketing, Investment- und Marketing- Experten. Ganze „Schöpfungsmaschinen“ (16) produzieren Welt- und Subjektivität- Bilder, denen gegenüber die eigentlichen,  gegenständlichen Produkte unwesentlich sind. 

Inzwischen tritt insofern eine neue Phase ein, als die Beworbenen über Social Media und YouTube ihre eigene Reality Show produzieren- sich selbst verzehren und zu Markte tragen, immer einen Steinwurf entfernt von der Erfüllung ihres Begehrens, in einer Massenmedien- Kultur wahrnehmbar zu werden: „In der Hoffnung, jenes Tages an ihrer Welt teilhaben zu können; identifiziert sie sich mit jenen Bildwesen, nimmt sie sich zum Vorbild und findet sich schließlich, durch das Begehren, so wie sie zu sein, in einer untergeordneten Position der Zärtlichkeit und des unablässigen Bettelns nach Anerkennung wieder. Weil ein solches Begehren notwendigerweise für immer unbefriedigt bleiben muss, ist der Hoffnung ein kurzes Leben beschieden. Das Gefühl der Ausgeschlossenheit kehrt immer wieder und um sich zu befreien, erniedrigt sich die Subjektivität noch tiefer.“ (17)

Die ewige Versuchung, den Idealen, die durch die Bilder produziert werden, zu entsprechen, ja selbst zu einer Instagram- Präsenz zu werden, die unendliches Begehren weckt, wie sie zu sein, muss unerfüllt bleiben und führt zu einer Selbstausbeutung, die Rolnik Anthropophagie nennt. Diese Markt- Mechanismen stehen einerseits im schärfsten Gegensatz zu dem, was Byung-Chul Han als post- narrative Gesellschaft beschreibt, die sich schmerzfrei nur dem Zählbaren verschrieben hätten. Die globalen Märkte funktionieren, wie Rolnik es beschreibt, vielmehr so, dass in den Massenmedien Subjektivität verkauft wird, die völlig idealistisch, völlig in ihren eigenen Narrativen verharrt. Geschichten, Begehren, ideale Gestalten, perfekte Körper: es geht eigentlich um ein transzendentes Begehren. Dass die idealisierten Bilder Märkte und Produzenten erschaffen, ist eine Sache. Der Versuch, Alter und Realismus dabei vollständig auszublenden, in dem Begehren, begehrt, angeschaut und angeklickt zu werden, wird zu einem Mechanismus eigenen Begehrens, der einer Sucht ähnelt und immer schmerzhaft enden muss. 


Instrumentalisierung durch die Rechte

Denn wir sind ja nicht die Figuren, die wie Saint- Germain von sich behaupten können: Ich habe kein Alter. Das Altern, die Realität des Vergänglichseins wird sicherlich in einer Kultur der idealistischen Anthropophagie doppelt, ja hundertfach schmerzhaft sein. Weltschmerz und Klage über „Datentotalitarismus“ sind selbst ein Narrativ, das vermarktet und politisch genutzt wird. Daher sind Corona- Proteste so schnell und gründlich von rechten Interessenkreisen zu instrumentalisieren. Die Corona- Leugner und Masken- Feinde passen so schön ins Weltschmerz- Narrativ. Das um so mehr, je gründlicher sie sowieso einem Elitarismus entspringen, der auch noch esoterisch aufgeladen daher kommt. So bei den Anthroposophen, vielen Yoga- Clubs und sonstigen Alternativen Denkern. Sie alle eint der Widerstand gegen die elektrische Anthropophagie, aber sie bemerken nicht, wie sie selbst vermarktet werden. Es ist dann eher niedlich, wenn ein Quer- Denker, Anthroposoph und Corona - Kritiker wie Professor Hueck erklärt: „Ich distanziere mich ausdrücklich von jeglichen rechtsnationalistischen oder rechtsradikalen Ideen und Bestrebungen, die sich gegen das Grundgesetz oder gegen die freiheitliche Grundordnung in Deutschland richten. Ich bilde mir mein eigenes Urteil über die Corona-Politik.“ (18) Das ist respektabel, wird aber schon deshalb schwierig werden, weil Hueck bis dahin einige der Narrative, derer sich die Rechten bedienen (Verschwörung, Bill- Gates), selbst vertreten hat. 

Die Attitüde des Widerstands gegen die durch Massenmedien vermittelten gesellschaftlichen Bilder, die sich selbst derselben Medien und ähnlicher suggestiver Bilder bedient, die Byung- Chul Han von philosophischer Seite her zu untermauern versucht, wird die rationale Corona- Maßnahmen- Kritik eher unterlaufen, weil die emotionale Besetzung und das Zielen auf subjektive Empfindlichkeiten alles andere mit sich reissen: So sind die Markt- Mechanismen, die längst - spätestens seit Trump- auch politisch einsetzbar sind. Trump gewann durch die Attitüde des Widerstands eines Individuums gegen das Establishment und die Fake- News. Auch er bediente sich der Fake- News- Mechanismen, die er vordergründig anprangerte: Das ist die schmerzhafte Spiegelwelt, in der wir stecken. Es wird immer schwieriger, Standpunkte einzunehmen, die nicht entweder schon Produkt solcher Bild- Mechanismen sind, oder doch schnell instrumentalisiert werden. 


——————Verweise


1 Jean Amery, Über das Altern, Revolte und Resignation,  Stuttgart 1968 

2 JA, S 74ff

3 https://de.wikipedia.org/wiki/Graf_von_Saint_Germain

4 „Der 78-jährige ehemalige Architekt Richard Gärtner möchte seinem Leben ein Ende setzen. Dies soll jedoch nicht im Ausland, sondern ganz legal mit der Hilfe seiner Hausärztin geschehen. Für Dr. Brandt kommt es aus persönlicher Überzeugung nicht infrage, ihrem zwar betagten, aber gesunden Patienten ein todbringendes Präparat zu besorgen. Richard Gärtners Fall wird exemplarisch vor dem Deutschen Ethikrat diskutiert. Strittig ist dabei nicht die Frage, welche Formen von Sterbehilfe für Ärzte straffrei sind, sondern ob Mediziner dem Patientenwunsch eines Lebensmüden gerecht werden müssen – egal ob jung, alt, gesund oder krank.“ https://www.daserste.de/unterhaltung/film/gott-von-ferdinand-von-schirach/sendung/index.html

5 Byung-Chul Han, Palliativgesellschaft: Schmerz heute, Fröhliche Wissenschaft 169 oA

6 Han, S. 22

7 Han, S. 27

8 Han, S. 29

9 Han, S. 32

10 Han, S. 36

11 Han, S. 41ff

12 Han, S. 49

13 Suely Rolnik, Zombie Anthropophagie. Zur neoliberalen Subjektivität, Wien 2018

14 Rolnik, S. 35f

15 Rolnik, S. 41f

16 Rolnik S. 47

17 Rolnik, S. 53

18 https://www.akanthos-akademie.de/2020/12/01/wiederholte-distanzierung-von-rechts/


Ich bin so geil, geil, geil oder: Jahresrückblick mit die drei

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Endlich liegt das letzte Heft der anthroposophischen Fraktion der Querdenker mit dem bezeichnenden Titel „Menschsein in Zeiten der Pandemie“ (1) vor, auch mit Berichten von wichtigen Büchern wichtiger Persönlichkeiten, wichtigen Beiträgen, wichtigen Berichten von wichtigen Vorträgen und wichtigen Erläuterungen der Weltlage vor. Wieso der so typisch jiddische Begriff nun als Selbstbeschreibung der geehrten Anthroposophenschaft benutzt wird, wird nur die Redaktion verstehen, wir bleiben lieber dabei, Andere damit zu ehren: „Die Bedeutung präzisierte Rosten 2002 in seiner Jiddisch-Enzyklopädie: »Es ist gar nicht leicht, den Respekt, die Würde und die Zustimmung zu vermitteln, die in dem Begriff mitschwingt, wenn jemand ›a real mentsh‹ genannt wird: ein Vorbild, ein edler Mensch.« Von den vielen jiddischen Lebensregeln zum Menschen thematisierte Max Weinreichs History of the Yiddish Language (1980) den Spruch »A mentsh heyst mentsh vayl er menthshet zikh«, bei dem das Wortspiel erst durch die Integration der slawischen Komponente »mentshen« (= kämpfen) entsteht.“ (2) 

Ein „richtiger Mensch“ ist jedenfalls, in all seiner Bedeutung, Peter Selg, der Schweizer Vorstand fürs Grobe, der schon im September einer Autorin der Zeitschrift Die Zeit, die einen Zusammenhang zwischen Rechtspopulismus und Anthroposophie in einem vielleicht sehr kritischen Artikel (4) gesehen hatte, schlicht Dummheit oder Ahnungslosigkeit unterstellt hatte: „Die Autorin behauptet, ein rassistischer Gedankenkern durchziehe das anthroposophische Werk Rudolf Steiners. Bis zum Verbot der Anthroposophischen Gesellschaft im November 1935 seien die Anthroposophen mit den Nationalsozialisten in eine „gemeinsame Sache“ vereint gewesen und hätten die Weimarer Republik, die Demokratie, den Pluralismus und den Parlamentarismus abgelehnt. Diese Behauptungen sind unzutreffend, ja vollkommen abwegig. Sie zeugen von einer eklatanten Unkenntnis der Anthroposophie sowie der historisch-wissenschaftlichen Literatur zu diesen Themenkomplexen.“ (3) So etwas kommt immer gut an, vor allem mit Machismo- Attitüde und so von oben herab. Auch in der am Ende des die Drei- Hefts aufgeführten Buch- Besprechung zu Peter Selgs „Aufruf zur Zivilcourage“ thematisiert er in etwas herrischer Art „die heutige Situation der Freien Waldorfschulen in den aktuellen, dramatischen Zeitereignissen vor dem Hintergrund des Verhaltens der Freien Waldorfschulen im Nationalsozialismus“- um den „in der Geschichte wirkenden Kräften mit wachem Bewusstsein zu begegnen“ (5) Dass dann als Kronzeugin für die hier wie dort attestierte „Zivilcourage“ (eine begriffliche Anleihe, die so sehr an John F. Kennedy erinnert) ausgerechnet Elisabeth Klein aufgeführt wird- der aus Kreisen von Kritikern eine opportunistische Politik gegenüber den nationalsozialistischen Machthabern zugunsten der Waldorfschule, aber auch eine Beschönigung der Untaten des hingerichteten Kriegsverbrechers Otto Ohlendorf vorgeworfen wurde, ist bedenkenswert. In dieser merkwürdigen Positionierung Selgs, eine äußerst umstrittene Person zur Kronzeugin gegen die Verwicklungen der Waldorfschulen in faschistische Zusammenhänge zu machen, sieht der Autor Mochner „eine Art geistige(..)n Heilungsprozess(es)“. Im normalen Leben nennt man so etwas Beschönigung. 

Zumal Selg „Zivilcourage“, nun doch, parallel zur Haltung im Nationalsozialismus, von den Schulen „öffentlich“ fordert, wobei er dabei erwartet, dass diese „zur Zielscheibe vieler diffamierender Angriffe werden können“, worunter er versteht: „vom angeblichen „Okkultismus“ bis zur vermeintlichen Kollaboration mit rechtsextremen Kräften“ (7) Da die Tagung, in der Selg diesen Vortrag hielt, das Thema Corona und die pädagogischen Folgen thematisiert hatte, darf man sich vorstellen, dass Selg eine kämpferische Haltung gegenüber Corona- Maßnahmen empfahl. Diese Haltung sehen wir ja auch quer durch das ganze vorliegende Heft hindurch. Offenbar steht Selg in seiner zu vermutenden Intention, Widerstand gegen Corona- Maßnahmen zur „Zivilcourage“ zu erklären, ganz und gar nicht allein, sondern stimmt ein in den Chor der Querdenker.

Auch der kluge, hoch angesehene Andreas Laudert klagt „habituell gewordene“ (8) Begriffe wie Corona-Leugner und Covidiot als „totalitärer Moralismus“ an, wobei doch die „übertrieben auf Covid-19 Fixierten hier die Idioten sein müssten“ (8). Da grölt der Saal. Aber dann schwenkt Laudert von der Attacke wieder um und erhofft die „Sehnsucht (..), von anderen Gesichts- Punkten zu erfahren“, um „Hellsichtigkeit“ im „Bemerken von Feinheiten“ zu entfalten, im Gewahrenden des „Gewissenskonflikts, in dem auch der Andere ist, in dem auch der „Christus“ wirkt.“ (8) Das ist ein schneller Schwenk vom Idioten zum Christus, zumal Laudert vorher lange und breit Anläufe über Parzival, Gral, Kafka unternommen hat- und alles nur, um die „winzige Gestalt“ dessen zu umschreiben, der sich von staatlichen Corona- Regeln und deren „formale oder demoskopische Schein- Legitimation“ (8) gegängelt fühlt. Selbst Kinder seien moralisch eingeschüchtert, wenn sie Masken deshalb trügen, weil ihnen gesagt würde, dass sie ansonsten Opa töten würden. Dann schwenkt Laudert etwas in Richtung Golgatha, fügt eine Prise Novalis dazu und schwebt über die geistige Welt in den Raum der nackten Panik, der einen wegen der Frage der „Statistik und Sicherheit“ (8) abhalte, einen Freund zu umarmen. Und dann: Erleben wir uns als Maskierte! Als Menschen, die nur noch, unauthentisch, „durch die Öffentlichkeit (..) geistern, ohne unsere Identität preiszugeben“ (8)- wie bei Tinder, wie im Internet, wie hinter gefakten Fotos auf Facebook! Wir sind nur noch Geister!

Aber das alles ist natürlich völlig gesittet und geistig gesetzt im Vergleich zum frei drehenden Stephan Eisenhut in „Der große Umbruch“ (9), der in aller epischen Breite diesmal nicht auf die Machenschaften von Freimaurern und Jesuiten hinter den Kulissen, sondern, ganz im Gegenteil, vor allem auf einen hochrangigen Vatikan- Mitarbeiter namens Vigano setzt, der die kommende „Gesundheitsdiktatur“ (9) ankündige, generelle Impfungen und einen digitalen Gesundheitspass, mit dem alle Bürger der Erde praktisch überwacht werden würden- ein globalisierter Totalitarismus, angeführt von Bill Gates persönlich, aber mit Hilfe von Pharma- Unternehmen, Regierungen und des Internationalen Währungsfonds. Irgendwie hängt in dieser Verschwörung auch der Papst mit drin, bzw die „Deep Church“ genannte Geheim- Agenda des Vatikans. (10) Damit haben wir die gewohnte Eisenhut- Spur wieder, die jesuitischen Geheimkräfte. Covid ist dann, um all diesen wirren Kram aus dem Baukasten der dummdreisten Verschwörer zusammen zu fassen, nur der Trick, um den „Great Reset“ weltweit durch zu setzen. Selbst die Opioid- Krise in den USA, die durch massenweise verschriebene Schmerzmittel - Verschreibungen entstand, wird in den argumentativen Mix gerührt, weil ein Pharma - Unternehmen, das darin verstrickt war, auch an der Covid- Impfstoff- Forschung beteiligt ist. Das sind noch nicht einmal originell gestrickte Kausalitäten, weil nahezu jedes Pharma- Unternehmen sowohl an Schmerzmitteln wie an Impfstoffen forscht. In aller Breite werden noch die üblichen Verdächtigen wie Blackrock, Amazon und digitale Währungen mit in den Brei gemischt, bis endlich das Ziel aller Mühen erreicht ist: Der große Imperator Bill Gates wird präsentiert, und dann ein knallhartes Argument nach dem anderen, das die Mittel, mit denen die globale Gesundheitsdiktatur durchgesetzt werden soll, enttarnt. Und da gibts Fakten, Fakten, Fakten. Und die zeigen uns eindeutig, dass der „Mensch 2.0“ (11), das Ziel des Transhumanismus, jetzt endlich durchgesetzt werden kann. Hurra, das Ende des Menschen ist da, so wie wir ihn kannten. 

Vielleicht auch das Ende der Kern- Anthroposophen. Jedenfalls berichtet Heinz Mosmann in „Die Heilkraft des Geistes“ von einem Kolloquium im Rudolf Steiner Haus Berlin, an dem alle Teilnehmer selbstverständlich „in jeder Hinsicht unmaskiert“ (12) drei Tage beieinander saßen und klassischen Anthroposophen- Vorträgen lauschten. Natürlich ging es einerseits um „Corona- Experimente“ und „Planspiele“ des „Überwachungskapitalismus“ und der „wissenschaftlichen, politischen und ökonomischen Eliten“ (12) einerseits, aber auch „ein wahrhaftig michaelisches Geistesleben“ (12), was Anthroposophen sich stets selbst zugestehen und sich dabei geil, geil, geil finden. Alle anderen befinden sich in stattlicher wie geistiger „Vormundschaft“, da sie der „Sozialstaat“ gängelt, von „der Impfpflicht über die Schulpflicht bis zur „Totalversorgung““ (12). Diese eingesperrten Menschengeister der schönen neuen Welt seien wie in einem Märchen gebannt in ihr „überkommenes, selbstbezogenes und geistig unverbindliches „Framing““ (13). Da sind Schwellen in Willen, Fühlen und Denken, eine einzige Framing- Hölle. Anthroposophie wird dir helfen, um Momente des „Gewahrwerdens dieser Schwellensituation“ (13) zu erleben. Das erinnert an die Flower- Power- Zeit, in der freigiebig LSD- Trips ausgehändigt wurden, mit dem Spruch „Take this Brother, may serve you well“. 

Aber hier, in diesem Kolloquium, saßen leider keine kiffenden Hippies, sondern verbiesterte, selbstverliebte alte Menschen, die von ihrem eigenen „intuitiven Denken“ in einer angeblich totalitären Zeit schwärmen, wobei von Intuition absolut nichts zu erkennen ist. Es wurde stattdessen dogmatisch Stimmung gemacht - auch gegen die Verwendung des Begriffs Verschwörungstheorie schlechthin, wie dies in rechten Kreisen gängig ist. Man bezog sich auch auf freiheitliche Denker wie Hannah Arendt und versuchte, dem Virologen Droste Widersprüchlichkeit und Sprunghaftigkeit nachzuweisen. Endlich kommt der Bulle aus dem Dickicht, der anthroposophische Prachtkerl „Prof. Dr. Karen Swassjan“ (15), der, wie immer, „seelisch- geistige Immunität“ einfordert, weil „der Schwachsinn ansteckend ist“ (15). Schwachsinnig sind bei Swassjan immer die anderen. Anthroposophen finden den Bullen amüsant. So geht es, in einer halluzinogenen Selbstbezüglichkeit und in einer Verachtung des rationalen politischen Handelns weiter. Geil, geil, geil.

Natürlich sind die Perspektiven surreal, wirken die penetrant vorgetragenen Selbst- Glorifizierungen, apokalyptischen Deutungen, Verdammungen ritualisiert, sinnentleert, psychotisch. Andererseits hat sich die anthroposophische Binnenwelt, die sich selbst ihre identitäts- stiftenden Brocken mit solchen Symposien und Heften selber liefert, selten so sehr im Trend mit Protestbewegungen gesehen wie in dieser Pandemie. Und es geht natürlich immer noch doller, so im radikal rechtslastigen Heftchen Der Europäer Dezember/ Januar 2020/21 (16). Da beginnt das Heft schon im Vorwort mit der Hölle und kann in der Folge nur irrer werden: „Bedenkt man die Verbindung der WHO (World Health Organization) zu Bill Gates, Herrn Drosten und dem deutschen RKI, und bedenkt man ferner den durch Gates’ Impfexperimente in Afrika und Indien im missbrauchten Namen der Gesundheit angerichteten irreversiblen Schaden, so könnte man diese Organisation künftig besser als World Hell Organization bezeichnen.

Was die Drei betrifft, so finden sich neben der halluzinogenen Corona- Positionierungen auch vieles Lesenswertes im Heft, das kulturell weit ausholt. Leider neigen diese Inhalte zu verblassen hinter der Aura selbstgefälliger Paranoia, die die anthroposophische Pandemie- Diskussion so weithin und so dogmatisch ausleuchtet.



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1 Menschsein in Zeiten der Pandemie, die Drei Zeitschrift für Anthroposophie in Wissenschaft, Kunst und sozialem Leben, Dezember 2020

2 https://www.juedische-allgemeine.de/kultur/a-real-mentsh/

3 https://dasgoetheanum.com/offener-leserbrief-peter-selg/

4 Annika Brockschmidt unter der Überschrift ‹Sind das jetzt alles Nazis?› am 1. September 2020 in Zeit online

5 Die Drei. 12/2020, S. 135 Autor: Matthias Mochner

6 Elisabeth Klein, Begegnungen „Mitteilenswertes aus meinem Leben“, Freiburg 1978, Kapitel „Das Schicksal von Otto Ohlendorf“: 

Unergründlich und schwer verständlich, ja schwer zu tragen sind manche Lebensschicksale, die in tragischen Zeiten dem eigenen Lebensweg begegnen. Mit Scheu versucht man, der Größe mancherlei Verknotungen nahezukommen. So ging es mir bei meinen Berliner Bemühungen mit Persönlichkeiten, die mir auf verschiedenen Ämtern entgegentraten, besonders aber mit der Persönlichkeit von Otto Ohlendorf. Dieser arbeitete im SD für das Amt der „Volksbefragung" und in leitender Stellung in der Reichsgruppe Handel. Sein Mitarbeiter, Dr. Dütsch, berichtet über seine Ziele: „Ohlendorf war bekannt als Gegner aller kollektivistischen Bestrebungen in der Wirtschaft und aller Versuche, die privaten Unternehmen zu Gunsten von Großbetrieben abzubauen." So wird es verständlich, dass er sich auch mit großer Energie für die Erhaltung der biologisch-dynamischen Landwirtschaft, auch gegen den Widerstand der Kunstdüngerkonzerne, einsetzte, ebenso aber auch für die Waldorfschulen. Auch für die Erhaltung heilpädagogischer Heime hat er viel Hilfreiches getan. Herr Leitgen machte uns auf ihn aufmerksam. Ohlendorf war als Kämpfer gegen die Maßnahmen eines Bormann, eines Heydrich und besonders Himmlers bekannt.Intern hat Ohlendorf gegen viele Zwangsmaßnahmen des Nationalsozialismus, vom Kulturleben an bis hin zur Judenfrage opponiert. Kein Wunder, dass er sich dadurch Feinde schuf und dass man nach einem Grund suchte, gegen ihn vorzugehen. Das gelang erst 1941, als Heß nicht mehr in Deutschland war; in erster Linie wegen seiner Angriffe auf die führenden Persönlichkeiten der SS, aber auch wegen seines Einsatzes für die biologisch-dynamische Landwirtschaft, die Waldorfschulen und heilpädagogischen Heime. Er wurde strafversetzt und kam an die Ostfront. Als Beauftragter der an die der II. Armee angeschlossenen Polizeitruppe erhielt er von dort seinen Einsatzbefehl: Rückwärtige Säuberung der Front von Partisanen. Das hieß nicht nur die Vernichtung ganzer Dörfer, wenn dort ein Schuss gefallen war, sondern häufig auch das Töten von Juden und Zigeunern, die generell als Partisanen angesehen wurden. Aller Widerstand, den er gegen den Befehl geleistet hatte, erwies sich als vergeblich. Es gelang ihm aber, Zehntausende von rumänischen Juden zu retten, indem er sie auf rumänisches Gebiet zurückführen ließ und so vor dem sicheren Tod bewahrte. An alle Armeen in Russland waren solche Polizei- Abteilungen der SS angeschlossen, und es war Himmlers Bemühungen nur schwer gelungen, Ohlendorf in eine solche Polizeitruppe in Russland versetzen zu lassen. Ohlendorf war 10 Monate durch die Strafversetzung in diesem Einsatz. Ich habe ihn nach diesem furchtbaren Erleben wiedergesehen. Todesernst ging von ihm aus, als er sagte: „Ich hätte mich dort an die Wand stellen lassen können. Für einen, der so viel Grauen gesehen hat, wäre das nicht schwer gewesen. Aber ich durfte es nicht tun. Ich kannte meinen Nachfolger, der grausam war. Vor allem wusste ich, dass ich in Berlin mit anderen zusammen Mittel und Wege finden könnte, um diesen furchtbaren Mißständen in Russland ein Ende zu machen." Das war aber nicht mehr zu bewältigen. Er kämpfte nicht nur gegen jene Führer Heydrich, Himmler usw., sondern in Wahrheit gegen Mächte, für die jene Genannten nur Werkzeuge des Machtwillens und der Grausamkeit waren.In einem Brief aus Landsberg vom 22. Mai 1949 findet sich: „Nicht das Gefängnis ist für mich schwerstes Leiden. Mein Leiden ist vielmehr zu keiner Zeit größer gewesen als in den letzten Kriegsjahren in äußerer Freiheit und rastloser Tätigkeit im großen Kreis." Ohlendorf hat sich bei Kriegsende sofort den Alliierten gestellt und über das Geschehen in Russland, in das er 1941/42 verwickelt war, Mitteilung gemacht. So kam er in den Nürnberger Prozess, dem sich viele andere durch Selbstmord oder Flucht entzogen hatten.Er hat sich im Nürnberger Prozess als einziger selbst verteidigt mit etwa den folgenden Ausführungen: Wenn englische Flieger auf Befehl Phosphorbomben auf Hamburg und seine Frauen und Kinder werfen, oder wenn Flieger die „Christbäume"über Berlin setzen und eine Stadt mit Frauen und Kindern ausradieren, so geschah dies auf Befehl. Auch ich habe auf Befehl, gegen den ich mich mit allen Kräften vorher gewehrt hatte, gehandelt. Sind das nicht alles Kriegsverbrechen oder nur meine Handlung? Übereinstimmend mit solchen Gedanken sagt Barbara Nordmeyer im „Zeitgewissen": „Auch Claude Eytherly, der amerikanische Pilot, war nur ein Rädchen in der großen Kriegsmaschine. Er tat nur seine Pflicht, als er das Zeichen zum Abwurf der Atombombe über Hiroshima gab, eine Pflicht, die ihn in den Augen seiner Nation sogar auszeichnete. Nicht in seiner Verantwortung lag der Krieg und das, was er tat in Ausübung seiner Pflicht — musste er das verantworten?"Ohlendorf wurde zum Tode durch den Strang verurteilt und wurde zwischen 1945 und 1951 nach Landsberg überführt. Viermal kam er in die Todeszelle. Immer wieder kamen Gnadengesuche für diesen außergewöhnlichen Menschen. In Landsberg hatte er von neuem Gelegenheit, sich mit Anthroposophie zu beschäftigen. Sein Anwalt Merkel, der Anthroposoph war, gab ihm viele Bücher Rudolf Steiners sowie das Johannesevangelium von Rittelmeyer, und er berichtet, daß er sie mit stärkster Anteilnahme las. Seine Frau konnte ihn nach seinem Tod sehen und teilte mit, daß er trotz der Todesart sehr friedlich ausgesehen habe. Er war ein Bauernsohn und wurde in seinem Heimatdorf Hoheneggelsen in Gegenwart von etwa 1200 Menschen auf seinen eigenen Wunsch von einem Pfarrer der Christengemeinschaft bestattet. Nach seinem Tode fühlte ich mich sehr bedrängt und bat Herrn Steffen um ein Gespräch. Herr Steffen hatte sich aber damals ganz zurückgezogen. Es ergab sich jedoch, dass ich in der Aufführung seines Dramas „Die Märtyrer" durch die Güte Dr. Poppelbaums auf dessen Platz neben Herrn Steffen sitzen konnte. Das Drama hat nicht die Kriegsfrage und was jemand auf Befehl tut zum Inhalt, sondern das Leben einer Persönlichkeit, die Misshandlung und Grausamkeit selber will, wie es etwa bei Heydrich der Fall war.Als nach der Vorstellung alle den Saal verlassen hatten, stand ich wie schon einmal mit Herrn Steffen allein in dem großen Saal. „Nun, haben Sie noch eine Frage?", wandte er sich gütig an mich. Das Drama selbst aber hatte alle Abstufungen von Schuld und Wandlung gezeigt und Fragen beantwortet. Albert Steffens Abschiedsworte waren: „Ich verspreche Ihnen, dass ich mich um den toten Otto Ohlendorf kümmern werde."Es sind viele Fragen, die angesichts eines solchen Schicksals in einem aufsteigen können, Fragen, die sich einer nur individuellen Beurteilung entziehen und die das Böse in seiner menschheitlichen Gewalt in den Blickpunkt rücken.Eines ist mir aber sicher: Wo eine solche Schuld entstanden ist, bedeutet es eine Hufe, wenn der Betreffende noch in seinem Erdenleben die Folgen seiner Taten als Leiden zu tragen hat. Dieser Gesichtspunkt kann mit dem Schicksal von Otto Ohlendorf aussöhnen. In diesem Sinn waren die Jahre schwersten Leidens in Landsberg auch eine Hilfe für ihn.Wie verschieden sind die Schicksale einiger der schon vorher genannten Persönlichkeiten.Lothar Eickhoff hatte in Berlin alles, was in seinen Möglichkeiten lag, getan. Bei den letzten Besuchen traf ich ihn in großer Angst und Sorge. „Es ist zu erwarten, dass ich in der nächsten Zeit einen Unfall haben werde", sagte er. „Das macht man heute so! Wenn jemand unbequem ist, hat er einen Unfall. — Werden Sie meiner Frau beistehen, wenn das geschieht?"— In seiner Situation griff der Minister Frick helfend ein. Er versetzte den Ministerialrat als Regierungspräsident nach Aurich in Ostfriesland, entfernte ihn also vom Kampfplatz. Nach dem Krieg hat Eickhoff Schweres durchgemacht. Ihm war aber ein ruhiges Alter, in dem er sich mit wissenschaftlichen Studien beschäftigen konnte, beschieden. Bei der Entnazifizierung Professor Bäumlers stellte sich heraus, dass er nicht nur 38 Bücher Rudolf Steiners zum öffentlichen Verkauf freigegeben hatte, sondern auch Tausende von anderen sogenannten „unerwünschten Schriften". Er war mit einigen anthroposophischen Staatsschullehrern zusammen in einem automatischen Arrest. Dort trug er ihnen, wie sie berichteten, begeistert die Philosophie der Freiheit vor. Er wurde in allen Ehren und voller Pension entlassen. Otto Ohlendorf ist durch seinen Tod einen Weg gegangen, an dessen Ende die volle Einsicht in seine Schuldverknüpfung und der Wille zur Sühne stand. Das gibt die Berechtigung, sich um ein Verständnis des Menschen Ohlendorf zu bemühen, der mit teuflischer Absicht von jenen in seinen Auftrag hineingestoßen wurde, die sich zu Vollstreckern des Bösen gemacht hatten und die ihn dadurch schuldig werden ließen. Aus meinen eigenen Erfahrungen mit ihm habe ich die Überzeugung gewonnen, dass über diesem hochbegabten, mutigen und in seinem Kern lauteren Mann ein Karma waltete, das im Durchschreiten der Finsternis den Weg frei machte für ein neues bewusstes Leben im Lichte eines Aufarbeitens vergangener Schuld.Ein ähnliches Bild entstand durch die eidesstattlichen Erklärungen eines Dr. zur Linden, eines Dr. Hauschka oder eines Herrn Pickert und einer Fülle anderer Persönlichkeiten, mit denen er im Leben zu tun gehabt hatte.Ohlendorf ist in eine furchtbare Situation und in Gewissenskonflikte geraten, aus denen er keinen Ausweg fand, vielleicht, weil es keinen Ausweg gab. Darum kann sein Schicksal als tragisch bezeichnet werden. Licentiat Bock hat die historische Gewalt dieses tragischen Schicksals am deutlichsten erkannt. Er schrieb ihm handschriftlich am 13. Mai 1948, also etwa in der Mitte seiner Gefangenschaft, nach Landsberg und nach seinem Tod an Frau Ohlendorf, die er kannte.Ich stelle hier an den Abschluss Teile aus diesen beiden Briefen, weil sie für diesen besonderen Fall historische Größe offenbaren. Aus dem Brief vom 13. Mai 1948: „. . . Sie sind auf den Wegen Ihres Schicksals vielfältig mit dem Schicksalskreis in Berührung gekommen, in welchem wir leben und wirken. Große, überpersönliche Zeitalter-Schicksale haben in diese Begegnung hineingewirkt und es mit sich gebracht, dass Sie an Plätze gerieten, wo Sie zum Exponenten gigantisch tragischer Entwicklungen wurden. Sie sollen wissen, dass in unserem Kreise angesichts der Gestalt, die das Schicksal nunmehr für Sie annimmt, alle trennenden Fragen und Bedenken getilgt werden. Es soll nur auf die Tatsache der Blick gerichtet sein, dass Ihr Schicksal sich mit dem unsrigen real berührt hat, und dass Sie ... bestrebt waren, unseren Bestrebungen hilfreich zu sein. Wir möchten darin ein Hervortreten der latenten Schicksalszusammengehörigkeit sehen, die wir an unserem Teile für jetzt und zukünftig bejahen und durch Positivität des Herzens real machen möchten..."Aus dem Brief vom 21. Juni 1951 an Frau Käthe Ohlendorf: „Wenn ich Ihnen erst heute ein Wort der Teilnahme sende, so bitte ich Sie, das nicht als Zeichen eines Zuwenig, sondern vielmehr als das Zeichen eines Zuviel anzusehen. Das Schicksal Ihres Mannes hat mich so sehr erfüllt und beschäftigt, dass ich auch heute noch das Gefühl habe, keinen geeigneten Ausdruck für meine Empfindungen finden zu können. Vor einiger Zeit ließen Sie mich wissen, dass Ihr Mann Ihnen die Zeilen, die ich ihm in der Oster zeit geschrieben habe, gezeigt hat. Auch damals war es mir fast unmöglich, auch nur einen andeutenden Ausdruck für meine Empfindungen zu finden. Ich habe trotzdem ein paar Worte zu sagen versucht. Mein sicheres Gefühl war, dass das prüfungsreiche, schwere Schicksal angesichts einer höheren Welt durchaus richtig, positiv und fruchtbar verlief. Die innere Fruchtbarkeit, von der ich mir vorstellte, dass sie sich in der Seele Ihres Mannes offenbarte, war so leuchtend groß, dass demgegenüber die Frage nach dem weiteren äußeren Verlauf verblasste, aber es war natürlich, dass ich an der Sehnsucht derer teilnahm, die wünschten, dass der äußere Verlauf der Positivität des inneren Verlaufes entsprechen möchte. Schon die Folter der langen Ungewissheit war aber ein Ergebnis derjenigen politischen Rücksichtnahmen und Machenschaften, die nachher erst recht den äußeren Verlauf bestimmt haben. Und so musste ja auch schon zu Ostern und später immer wieder damit gerechnet werden, dass der äußere Verlauf ein tragischer werden würde. Trotzdem habe ich bis zum letzten Augenblick gehofft, dass sich letzte Regungen von Menschlichkeit und Gerechtigkeit gegen die kalten politischen Berechnungen durchsetzen könnten. Es ist anders gelaufen. Eine Tragik kam zustande, in der sich die letzte Kälte und Herzlosigkeit, die aus der heute üblichen Denkungsart resultiert, weltgeschichtlich symbolisiert. Fast noch deutlicher als durch die Hinrichtung selbst ist das in der Strategie des Totschweigens zutage getreten, durch die man erreicht hat, dass weite Kreise der Weltöffentlichkeit schließlich meinen mussten, es handele sich um eine Bagatelle, wo es sich in Wirklichkeit um ein Zeichen der Zeit allerersten Ranges handelte. Sie wissen, und ich habe auch in meinem Brief zu Ostern darüber gesprochen, dass wir uns in die Arena des Politisierens niemals begeben haben und auch niemals begeben werden. Wir müssen es uns zur Aufgabe machen, im Spirituellen, wenn auch in aller Stille, Gegentatsachen zu schaffen gegen die Taten des Ungeistes, die das politische Feld heute mehr denn je beherrschen. Meine Überzeugung ist, dass die innere geistige Fruchtbarkeit, zu der sich Ihr Mann in der schweren Prüfungszeit der letzten Jahre hindurch gerungen hat, in erster Linie zu solchen Gegen Tatsachen zu rechnen ist, wie wir sie durch unsere religiöse Wirksamkeit zu erzielen streben. . . Aus einem 3. Brief Emil Bocks an Frau Ohlendorf vom 26. April 1959 (die Urteilsvollstreckung war 1951) sei folgender Passus zitiert: „ Als ich das Schreiben verfasste, in welchem ich Sie bat, Ihren Mann zur Abfassung einer ausführlichen Denkschrift über die kultischen und okkulten Tendenzen der SS zu veranlassen, habe ich das wirklich ohne jeden Hintergedanken gemacht. Nie ist mir der Gedanke gekommen, dass Ihr Mann an den Manipulationen, die ich da meinte, irgend einen Anteil gehabt haben könnte. Ich stellte mir nur vor, dass er als Beobachter doch manches wahrgenommen habe, über das ein Bericht von ihm eben historisch aufschlussreich gewesen wäre."Frau Ohlendorf konnte dieser Bitte Emil Bocks nicht nachkommen. Kämpfte sie doch damals mit der Prinzessin Isenburg zusammen um das Leben ihres Mannes. Auch konnte sie bei den kurzen erlaubten Besuchen, immer in Gegenwart mehrerer Zuhörer, solche intimen Dinge wohl schwer zur Sprache bringen. Während seiner Tätigkeit im SD hatte Ohlendorf seiner Frau über die Schwierigkeiten und seinen Kampf mit Hitler so gut wie nichts mitgeteilt, um sie nicht zu belasten. Mir selbst ist durch seine eigenen Worte bekannt, dass er gerade gegen diese okkulten Umtriebe in der SS auf das heftigste gekämpft hat.Nicht zuletzt ist es gerade durch den Kampf Ohlendorfs gegen die okkulten Machenschaften in der SS zu der Strafversetzung dieses unbequemen Mannes in die Krim 1941 gekommen. Die Tragik des Schicksals von Otto Ohlendorf wird durch diesen Umstand noch deutlicher.Ich habe diese Darstellung über Otto Ohlendorf gebracht, entgegen aller Opportunität, weil meine Verantwortung der Wahrheit gegenüber es notwendig machte.“

7 Selg, zitiert in 5

8 Laudert in die Drei S. 55

9 Eisenhut in die Drei S. 29ff

10 Eisenhut in die Drei, S. 32

11 Eisenhut in die Drei, S. 43

12 Mosmann in die Drei. S. 22

13 Corinna Gleise in Mosmann, S. 24

14 S. 25

15 S 26

16 https://perseus.ch/wp-content/uploads/2020/12/Europaer_JG25_02_03_DEZ_JAN_2020_2021_PRINT_SMALL.pdf?fbclid=IwAR10QgHCxR066ipb0jNT9AFOJAZo0xfPMmmEMRZPlDfvLyvLP71GTlv1gzw


Magischer Traditionalismus und Anthroposophie. Evola, Dugin, Bannon und die Zärtlichkeit der jungen Faschisten

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Man stolpert ja in mancher Hinsicht auch über Sätze- manche so, dass man in ihnen eine Nuance entdeckt, die man erst allmählich auskosten kann- manche so, dass sie eine ungeahnte Tiefe in einem selbst berühren, und manche in der Art, die etwas Abstossendes verbirgt. So geht es einem - vielleicht nicht nur mir- in der Beschäftigung mit Traditionalisten  wie Evola, Dugin oder Bannon und ihrem Einfluss auf heutige Staatstheorie, Politik und Destruktion im globalen und nationalen Maßstab. 

Schließlich handelt es sich beim Traditionalismus um den Einbruch des Spirituellen in die politische Vision, und die handelnden Personen sehen sich, so unterschiedlich individuelle Ausgangslage, Intentionen und Systeme sein mögen, durchweg selbst auch in spiritueller Hinsicht als Eingeweihte- nicht im mystischen, sondern in einem politisch -aktionistischem Sinn.

In dem Satz, über den ich stolperte, handelt es sich um ein Zitat aus einer Betrachtung von Lorenzo Ravagli zu Julius Evola, dem Traditionalisten. Es geht auch um junge Faschisten, die Evola später in Italien in die Praxis umzusetzen versuchten, nicht wenige davon im Rahmen des Terrorismus: „1971 sprach Evola mit Henri Hartung, einem Traditionalisten, der keinerlei Sympathie mit der politischen Rechten besaß, über die Studiengruppen in Genua, Palermo und Kalabrien, die seine Werke studierten. Laut Hartung sprach er mit »Zärtlichkeit« von jenen jungen Männern, die sich der weltlichen Erniedrigung durch das Errichten eines spirituellen Staates zu entziehen suchten. Gleichzeitig verurteilte er jedoch entschieden jeden »anachronistischen Aktivismus«, der nicht über die erforderliche theoretische Grundlage verfüge.“ (1)

Folgt man Ravagli, bezog sich bereits die zweite Generation von Rechten nach dem Zerfall des Faschismus in Mussolini Machart auf den Traditionalisten Evola. Die FAR versuchte schon ab 1946 den Faschismus in Italien zu  re- etablieren, wobei Evola in diese Aktivitäten auf unklare Weise verwickelt war: „Die FAR wurde 1946 gegründet und teilte sich bald in zwei Gruppen, eine revolutionäre und eine utopische. 1949 veröffentlichte Evola in »Imperium«, der Zeitschrift einer Jugendorganisation der MSI einen Artikel, der vermutlich an den utopischen Flügel der FAR gerichtet war und die Bedeutung der spirituellen Revolution hervorhob.“ (1) Während sich sein Freund und Gesinnungsgenosse Massimo Scaligero (2) mehr an einer anthroposophischen Variante inklusive christlicher Initiation und Saulus- Paulus- Wandlung versuchte, marschierte Evola, gelegentlich auch im Streit mit Scaligero, unbeirrt fort in seinen Versuchen, einen spirituellen Orden zu begründen, politisch Einfluss zu nehmen- wobei er Adel präferierte. 

Evola Traditionalismus wurde zwischen tantrischer Initiation, Drogen, Literatur, Philosophie und Futurismus geboren, eine in der Zeit des ersten Weltkrieges und im Rahmen sizilianischen Landadels äußerst schicke Kombination: „Baron Giulio Evola wurde 1898 in Rom geboren. Streng katholisch im sizilianischen Landdel geboren, brach er früh aus, indem er als Nihilist, Dadaist, Futurist künstlerisch tätig wurde. Mit 20 Jahren experimentierte er exzessiv mit Drogen, hatte einerseits „Offenbarungen“ dabei, geriet aber auch nahe an den „Wahnsinn“. In der Folge - also um 1918 herum - erlebte er eine Art dionysischer Erleuchtung, eine Art bis auf höchste gesteigerter Orgasmus“. Von nun an nahm er, seiner Darstellung nach, „eine transzendente Welt von Wesenheiten und Kraftfeldern“ wahr, auf die er durch "magische Akte Einfluss nahm.“ (3) Magie hin oder her, bereits 1925, nach einem Studium der Sexualmagie Aleister Crowleys in Sizilien, bestanden Verbindungen zur UR, in der sich um Mussolini herum eine Bewegung versammelte, die sich zwischen Cäsaren- Kult und Faschismus verortete. Das 1926 erschienene Buch „Der Machtmensch“ stellte die erste spirituell- faschistische Grundlegung Evola dar. Die zwischen antisemitisch geprägter Ablehnung der materialistischen Gegenwart und einem schwärmerischen Rückblick auf Ur- Königstum schwankende Argumentationslinie prägte zugleich die Muster, die im Traditionalismus bis heute einen Gegenentwurf zu Liberalismus und Demokratie bilden. 

In den 50ern und 60ern bildeten sich in Italien obskure Orden, von denen einige offenbar zeremonielle Magie praktizierten, aber auch Tieropfer darbrachten und zumindest teilweise terroristische Akte mit anstiessen: „Die meisten Aktivitäten des Ordine Nuovo waren zugleich geistig und politisch. Der italienische Soziologe Franco Ferraresi ist überzeugt, der Ordine Nuovo habe auch einer Reihe weiterer, lose verbundener Gruppen als Vorbild gedient, von denen einige bewaffnete Aktionen – Bombenattentate und einen Putschversuch – durchführten.“ (1) Andere Anhänger Evolas bedienten sich eindeutig selbst terroristischer Mittel, wobei diese nicht selten linken Gruppen zugeschrieben wurden. Die sich häufenden terroristischen Akte, deren Hintermänner immer häufiger enttarnt wurden und manchmal selbst Teil des staatlichen Sicherheits- Apparats und der politischen Kaste waren, führten zu einer Umorientierung der jungen Generation der 60er in Italien- eine unliebsame Umkehrung auch des Traditionalismus im Sinne von Evola und seinen Anhängern. Statt der dritten faschistischen Revolte erlebten diese Kreise eine Demaskierung wie in den den populären Theaterstücken Dario Fos: „Das Stück, ein vernichtender Angriff auf die Brutalität und Dummheit der Polizei, war in den folgenden Jahrzehnten äußerst erfolgreich, besonders an Universitäten, und förderte antiautoritäre Einstellungen in Generationen von Studenten in ganz Europa. Eine der wichtigsten Konsequenzen dieses Versuchs, den Traditionalismus in die Praxis umzusetzen, war also entschieden anti-traditionalistisch. Versuche, in einer bestimmten Epoche gegen den Strom zu schwimmen, laufen stets Gefahr, vom Strom mitgerissen zu werden.“ (1)

Obwohl sich Evola im anfangs geposteten Zitat gegen Exzesse politischer Gewalt ausgesprochen hatte, distanzierte er sich keinesfalls generell gegen Faschismus und Terrorismus. Letztlich waren dies Konsequenzen, die Evola ein Leben lang initiiert hatte. Er erwartete lediglich die in seinen Augen richtige, nämlich "spirituelle" Gesinnung dabei- wie er auch in seinem in den 60ern entstandenen Grundlagenbuch Cavalcare le Tigre ausführte, das er nach eigenem Bekunden für Traditionalisten geschrieben hatte.

Was aber sind Traditionalisten und wer hat, außer den spätestens mit den 80ern zurück gedrängten terroristischen Attentätern, das Erbe Evola - und das von Rene Guenon- angetreten? Guenon, der als der andere Patriarch des Traditionalismus gilt, ist 1951 in Cairo gestorben, als konvertierter Muslim. Bis heute gilt Christentum ja für viele Traditionalisten als Religion für Weichlinge, deren Begründer sich selbst auch noch ans Kreuz nageln ließ. Da bevorzugt ein heutiger prominenter Vertreter, Alexander Dugin, doch etwas wie den Zorastrismus (4) mit einem klaren Gut und Böse und einer Verehrung des Feuers in romantischen Tempeln. Die hinduistische Komponente wird in der Sicht der Traditionalisten bezüglich großer zeitlicher Kreise relevant: Hier wie dort wandelt die Menschheit von einem lange vergangenen goldenen Zeitalter, über das silberne und bronzene hin zu einer Phase der Finsternis, einem Kali Yuga, das für die Menschheit die denkbar größte Entwürdigung darstelle. In einer katastrophalen Entladung werde sich die Menschheit dieser Bürde entledigen, und in einen neuen Zirkel eintreten, und diese apokalyptische Wendung stehe gerade kurz vor uns. Die Sicht auf die Zeitgenossen als degenerierte „materialistische“ Masse in einem vor der Wende zu einer sechsten nachatlantischen Kulturepoche stehenden Zustand, der der Menschheit neue geistige und moralische Impulse geben werde, wenn sie denn dafür bereit wäre, teilen Anthroposophen dabei ebenso mit den Traditionalisten wie die nostalgische Sicht auf vergangene Höhen der geistigen Inspiration, sei es bei Grals- Rittern, Druiden- Priestern oder Stern- Deutern in Mesopotamien. Auch erdgeschichtlich führt die Deutung Rudolf Steiners zurück in ein sagenhaftes goldenes Zeitalter vor Eiszeit, vor den Vulkan- Zeitaltern, dem hyperboräischen Zeitalter (5).

Unter den Traditionalisten ist - insbesondere unter den extremen Rechten, wenn man Benjamin R. Teitelbaum (6) Glauben schenken darf, mit dem Zyklus der Zeitalter auch jeweils eine dominante Kaste verbunden, die ebenfalls in einem hierarchischen Niedergang zunächst Typen des Priesters und Kriegers hervor bringen, denen die verachteten Händler und schließlich die Sklaven folgen. Dabei gelten die Priesterkönige und Krieger als diejenigen, die höheren, immateriellen Idealen folgen, die ersten in ihrer reinsten spirituellen Form, die anderen in der Form der Ehre auf den Schlachtfeldern. Die materialistischen Händler- Dynastien erobern die Weltmeere auf der Suche nach Reichtum, während die degenerierten Sklaven unserer Gegenwart nur noch ihren blanken körperlichen Bedürfnissen folgen. Das ist der Niedergang der Menschheit im finsteren Zeitalter, im Kali Yuga: Der Materialismus einer Sklavenkaste. 

Auch Rudolf Steiner prophezeit ein neues, goldenes Zeitalter, wenn die Menschheit denn einmal das Kali Yuga überwunden haben wird: „Das Kali Yuga ist abgelaufen, und es beginnen die Menschenseelen jetzt neue Fähigkeiten zu entwickeln, jene Fähigkeiten, welche, weil eben das Zeitalter dafür da ist, wie von selber heraustreiben werden aus den Seelen gewisse hellseherische Kräfte, die während des Kali Yuga eben hinuntertauchen mußten ins Unbewußte. Da wird es eine Anzahl von Seelen geben, die das merkwürdige Ereignis erleben werden, daß sie das Ich- Bewusstsein haben werden, aber neben diesem wird es für sie so sein, wie wenn sie in einer Welt lebten, die eigentlich eine ganz andere Welt ist als diejenige ihres gewöhnlichen Bewusstseins: es wird sein wie schattenhaft, wie eine Ahnung, wie wenn ein Blindgeborener operiert wird. Durch dasjenige was wir esoterische Schulung nennen, werden diese hellseherischen Fähigkeiten noch viel besser erlangt werden.“ (7) Die Voraussetzung für einen gelungenen Übergang in das neue goldene Zeitalter, in dem die Blindheit der Finsternis endet, ist also die Teilhabe am anthroposophischen Übungsweg. Allerdings könnten die Zeitgenossen in ihrer Boshaftigkeit noch einen Strich durch die Rechnung machen und die neuen angehenden Könige psychiatrisieren: „Es könnte zum Beispiel so sein, daß die Bosheit, der Materialismus so groß wären auf Erden, daß die Mehrheit der Menschen nicht das geringste Verständnis zeigte, und jene Menschen, die dieses Hellsehen haben werden, als Narren betrachten und in die Irrenhäuser stecken würde unter die andern hinein, die in verworrener Weise ihre Seelen entwickeln.“ (7) Die Priester und Könige der Traditionalisten gehören sicherlich zu denen, die dieses „Hellsehen haben werden“ (Steiner), denn sie leben ihr Leben für immer höhere, un- materialistische Ziele, die im Fall der Priester sogar mit reiner Spiritualität (8) zu beschreiben wären. Auf die Idee der Eingeweihten und Auserwählten werden wir zurück kommen.

In der Sicht des Traditionalismus hat jedes Zeitalter mit seiner jeweils dominanten Kaste auch ein spezifisches gesellschaftliches System. Das neue Priester- Zeitalter bedarf natürlich einer herrschenden spirituellen Kaste und kann die demokratischen Umtriebe der Sklaven- Gesellschaften nicht dulden. Religiöse Autorität steht in einem goldenen Zeitalter der neuen Theokratie über allem, wobei untergeordnete Machtbereiche durchaus einen Militärstaat, Plutokraten und die Herrschaft der Superreichen (siehe 6) beinhalten könnten. Die Masse als Macht- Instrument jedenfalls muss überwunden werden, sei sie demokratisch oder kommunistisch legitimiert. Was dagegen, zumindest in den Augen des Ur- Traditionalisten Julius Evola, zählt, ist Spiritualität, Ahnentum, arische oder weiße Rasse, Männlichkeit, die nördliche Hemisphäre, Sonnenanbetung (9) und eben die klare Klassentrennung innerhalb der Gesellschaft- auch der heutigen. Das dunkle Zeitalter der Neuzeit muss überwunden werden, in der nicht nur Liberalismus, sondern auch Migration, Feminismus, Säkularismus und sogar widernatürlicher sexueller Hedonismus jegliche Moral untergraben haben. Auch bei Steve Bannon kann man, so Teitelbaum, schon auf Buchtiteln nachlesen, wie sich seine Variante des Traditionalismus anfühlt. Die Ziele Bannon, so schreibt er, bestünden in einer Dekonstruktion des nihilistischen Materialismus und des wurzellosen Rationalismus des modernen Westens (10). Das hört sich merkwürdig an aus dem Mund eines ehemaligen Elite- Marines, Wallstreet- Händlers und Facebook- Manipulators, der Wahlkampf- Manager für eine Figur wie Donald Trump gewesen ist. 

Aber Bannon hatte sich tatsächlich schon während seiner Zeit auf See als spirituell Suchender gesehen, mit besonderen Interessen für Transzendentale Meditation, Tao Te King (11) und vedisch- hinduistischen Texten. Außerdem verstand und praktizierte Bannon Meditation als Gegenpol zu seiner ausgeprägten Workaholic- Arbeitsweise. Er verstand sich dabei nicht als Ketzer oder Spiritualist, hatte aber auch Gründe, diese innere Neigung gegenüber der Navy wie auch gegenüber seinen traditionellen, aber auch liberalen Eltern zu verbergen. Aber die alternative Beatnik- Bewegung war für diesen jungen Konservativen, der sich auch gegenüber seinen eher linken Eltern absetzen wollte ebenso wenig passend wie Hare- Krishna oder gar die revolutionäre Linke. Bannon las Helena Blavatsky, bei der er erstmals auf Hinweise zu einer archaischen Religion vor der Abtrennung der arischen Rasse las. Theosophie konnte zu Bannons Überraschung also politisch gelesen und gedeutet werden- eine Entdeckung, die ihn in der Folge zu Rene Guenon und zum Meister der Traditionalisten, Evola, führte. Die politische Esoterik entwickelte er aber weiter im Stillen, während er nach der Armee 1983 in Harvard Wirtschaft studierte, unmittelbar nach seinem Examen zum Investment- Banking bei Goldman Sachs wechselte, und darin eine Goldgrube entdeckte. Bereits 1990 hatte er eine eigene Investment Bank gegründet und wurde, in einem turbulenten, wilden Leben mit Alkoholismus- Problemen, Scheidungen und mehreren Kindern immer wohlhabender. Bannon erfand sich in Phasen der Umorientierung auch durch intensiviertes okkultes Training immer wieder neu, vermutlich auch durch Techniken von George Gurdjieff. 

Aber erst 20 Jahre später tauchte er wieder in der Öffentlichkeit auf, diesmal als CEO des stramm rechten Media- Netzwerks Breitbart. Gleichzeitig agierte er als Vize- Präsident eines Unternehmens namens Cambridge Analytica, das bereit stand, soziale Netzwerke wie Facebook zu unterwandern und durch personalisierte politische Werbung rechte Wähler- nicht nur in den USA- zu aktivieren und zu manipulieren. Während die Breitbart-Medien offensiv und öffentlichkeits- wirksam agierten, funktionierte die Cambridge Analytica- Technik unbemerkt, gerne durch Ausspionieren von Millionen von Facebook- Profilen durch simple Frage- und Unterhaltungsspiele. Der reaktivierte Aktivist, Spiritualist und Traditionalist Bannon rief zum Krieg im Westen auf, wobei er dabei eine konservative, anti- islamische, elitäre und nationalistische Revolution erreichen wollte. Seine Adressaten und Kunden waren UKIP, National Front und Tea Party. Auf die Frage, ob zu den Kreisen, die er adressierte, auch Putin und die russische Interessen- Sphäre gehöre, antwortete Bannon: „I think it´s a little bit complicated. When Vladimir Putin - When you really look at some of the underpinnings of some of his beliefs today, a lot of those come from what I call Eurasianism; he is git an adviser who hearkens back to Julius Evola and different writers of the early twentieth century who are really the Supportes of what is called the Traditionalist movement, which really eventually metastasized into Italian fascism“ (12). Man sieht in diesen Interviews, die Teitelbaum mit Bannon führte, dass dieser sich nicht nur über die Ursprünge des Traditionalismus im Klaren war, sondern auch darüber, dass der hier gemeinte Berater Putins, Alexander Dugin, als moderner Repräsentant des Traditionalismus in russischer Interessenlage gelten kann. Dabei ist Putin für Bannon klar ein Kleptokrat, dessen Interessen abgesehen von seinen persönlichen Raubzügen in einer Erweiterung der Interessen- Sphäre Russlands liegt, und zwar weltweit (12). Trotz allem stellt der durch das russische Regime praktizierte Traditionalismus auch einen globalen „ideologischen Push“ (12) im Interesse des National- Staats und in Ablehnung „trans- nationale(r) Einheiten“ (12) wie der Europäischen Union dar.

Der russische Berater Alexander Dugin hat eine schillernde Karriere hinter sich. Seine ersten Auftritte im Moskauer Yuzhinsky Kreis (13) sind legendär und oft berichtet worden. Sein Einstand mit Wodka, einer Gitarre und einem Repertoire von Liedern, die den Massenmord verherrlichten, müssen die Trinkgelage wie auch kultischen Handlungen der Gruppe ebenso beeinflusst wie den KGB beeindruckt haben, der schon ein Auge auf diese Nazis, Okkultisten und magisch tätigen Faschisten hatte. Aber die anti- sowjetische und anti- semitische Konnotation war selbst für hartgesottene Ermittler ebenso schwer einschätzbar wie die folgenden Karrieren der Agierenden - einer wanderte ins Gefängnis, Dugin wechselte die Seiten und arbeitete von nun an für den Geheimdienst. Von nun an gab er sich der Subversivität in staatlichen Diensten hin- als Dozent, Ausbilder und Berater für besondere Angelegenheiten in Aufgabengebieten wie: Umstürze, faschistische Massenaufmärsche, bizarre Propaganda, aber auch philosophische Schriften, esoterische Kontakte, Kollaboration mit Nationalisten, Faschisten und Brexiteers in Westeuropa, Inszenierung von Staatsstreichen, Beratung von Diktatoren, Schulung von KGB- Agenten und Offizieren. Je mehr man liest, desto mehr Seiten des persönlich umgänglichen, ja sanften Mannes lernt man kennen. Die esoterische innere Seite Dugins (im Interview mit Teitelbaum: „the communist Party owned all of us- owned the mind, the spirit, the emotion, the body.  Everything was under control, except one thing. The innermost part.“ (14)) hat offenbar einen nicht versiegenden Quell purer Destruktion aufgebrochen, den die russischen (und andere) Geheimdienste und politischen Juntas je nach Bedarf benutzten oder in der Versenkung verschwinden ließen. 

Dugin persönliche Variante des Traditionalismus war die Fusion mit der Orthodoxen Kirche (14), was er um 1990 mit einer Zeitschrift verband, die den angeblich arktischen Ursprung der Arier zum Thema hatte. Ob hierin auch Rudolf Steiners atlantische und lemurische Legenden verwendet wurden, entzieht sich meiner Kenntnis. Aber auch in diesem Sujet finden sich starke Überschneidungen zur Anthroposophie, in der auch behauptet wird, dass eine weise Urbevölkerung in der Arktis beheimatet gewesen sei, während die Ur- Menschen, die sich um den Äquator angesiedelt hätten, viel primitiver gewesen wären (15), ja sogar „geringere Seelen“ besessen hätten, die „mehr in die physischen Leiber hinein gingen“ (15) Da wird der (nicht namentlich genannte) Gegensatz zwischen der arischen Superiorität und der Primitivität der südlichen „Äquator- Rassen“ schon in der Vor- Menschheit bei Steiner angelegt. Die nach Steiner damals tropische Welt um die heutige Arktis herum, die erst durch eine spätere Erddrehung erkaltet sein soll, war auch ein erstes „goldenes Zeitalter“ parallel zu den traditionalistischen Lehren, ja sogar ein „Paradies“ mit nahezu himmlisch- sphärischen Urmenschen, die sich allenfalls durch ein „Opfer“ dem annäherte, was die sich entwickelnde südliche Rest- Menschheit als Identität mit der körperlichen Erscheinung, also dem Ur- Materialismus, auslebte. Und damit ist ja auch die goldene, spirituelle Auserwähltheit jedes einzelnen Anthroposophen heute im Kontrast zur materialistischen Rest- Menschheit umschrieben. Und es wird immer schlimmer. In der kommenden Epoche, der 6. nachatlantischen Kulturepoche, wird der große Teil der Menschheit restlos dem Materialismus verfallen, und sich sogar mit den „Bazillen“ (16) verbünden. Einläuten wird die endgültige apokalyptische Scheidung aller Geister ein „Krieg aller gegen alle“ (17), in der ein kleiner, ausgesonderter Teil der Menschheit spirituell so weit Souveränität entwickelt haben wird, dass sie den „Grundstock“, sozusagen eine Arche bilden können für die kommende, wiederum „goldene“ Kultur der unbeschränkten Bruderliebe (allerdings auch der Bazillen- Affinität, nach Steiner). Der große Kreislauf führt, identisch zu den Traditionalisten, also vom ursprünglichen, goldenen Zeitalter der Geist- Könige der Arktis zu den brüderlichen Erleuchteten der 6. Epoche - ein auserwähltes Volk, das- so Steiners Suggestion- durch Anhängerschaft an den Erzengel Michael, d.h. durch Anthroposophie- auf diese Epoche vorbereitet wird. Heute kämpfen diese freien Geister für Querdenken, gegen die Corona- Diktatur und gegen Umvolkung

So sehr sich die Strategien der traditionalistischen Bewegungen unterscheiden mögen, bleibt das zirkuläre Denken doch ähnlich- auch die Vorstellung, chaotische, destruktive Zustände im Übergang nicht nur hinnehmen, sondern initiieren zu müssen. Dugin konzentrierte seine destruktiven Intentionen zunächst auf die USA - to „introduce geopolitical disorder into American activity, encouraging all kinds of separatism and ethnic, social and radial conflicts, actively supportjung all Dissident movements- extremist, racist, and sectarian groops, thus destabilizing the internal political processes in the U.S.“ (18) Diese Spaltung der Gesellschaft ist tatsächlich nicht nur in den USA gelungen, sondern hat auf nahezu alle Demokratien übergegriffen. Aber Dugin wäre nicht der Experte in Sachen Desinformation, hätte er nicht auch früh Diskurse geführt, hätte auch Begriffe geprägt, die wie „multipolar world order“ die Hegemonie der USA untergraben sollen, indem sie die russischen Interessen betonen, aber auch eine reale Verschiebung der Machtblöcke (Pazifik, China) vorweg nehmen. Dugin, mit dem offiziellen Status eines Philosophie-Professors (bis zu einer Entfernung aus dem Universitätsklinikum- Betrieb nach einigen Ausrastern), einem Erscheinungsbild wie von Rasputin und einem Bart, als wäre er ein orthodoxer Priester, bleibt immer einsetzbar in Fragen der Zersetzung und des (realen oder fingierten) Staatsstreichs wie in der Türkei. Ähnlich sein Einfluss auf das ungarische Machtsystem, das seit 2012 von Gabor Vona voran getrieben wurde, der sich ganz auf Dugins Traditionalismus beruft, aber auch einen spirituellen Berater namens Tibor Baranyi unterhält. Vona ist bereits 2013 von Dugin in Moskau über die Methoden unterrichtet worden, die EU zu unterlaufen, die „spirituelle Lehre“ (20) zu nutzen und die Chancen, die sich aus dem destruktiven Schritt ergeben könnten, Ungarn wie ein trojanisches Pferd in der EU zu platzieren- denn hierdurch würden sich Möglichkeiten ergeben, die Werte des Traditionalismus sich innerhalb des materialistischen Unrats des Westens entfalten zu lassen. Zum gleichen Zweck beeinflusste Dugin in Griechenland den faschistischenGolden Dawn. 

Es bedurfte langer strategischer Vorbereitungen und Vorüberlegungen - auch des Umstandes, dass Dugin die türkische Alleinherrschaft des neuen Sultans Erdogan und seine subversive Niederschlagung seiner Gegner, auch unter Zuhilfenahme eines falschen Staatsstreichs, unterstützte und die russische Armee, vor allem durch Luftangriffe, endlosen Terror in Syrien verbreitete, so dass genügend Druck für eine Massenflucht der Bevölkerung entstand-, dass Bannon und Dugin einen gemeinsamen Hebel für den Einsturz der Europäischen Union finden konnten. Die Immigrations- Wellen hatten nationalistische Stimmungen so weit angeheizt, dass Bannon Methoden der gezielten Manipulation durch Bots und Analyse- und Werbe- Techniken in den sozialen Netzwerken einsetzen konnte, um den Brexit technisch möglich zu machen. 

So begann die seltsame Partnerschaft zweier Anhänger des Traditionalismus aus Ost und West, die antraten, die EU ins Chaos zu stürzen. Bannons Verbindung zu UKIP, der englischen Nationalisten- Fraktion, mit amerikanischen Geldgeber- Milliardären wie den Mercers, erlaubte es Bannon ab 2014, via Cambridge Analytica „Data mining and behavioral science“ (21) praktisch so anzuwenden, dass die intimen Profile hunderttausender britischer Wähler in sozialen Netzwerken verfügbar wurden- die dann, durch gezielte Manipulation, durch Werbung und „Motivation“, ins Lager der EU- Gegner gedrängt werden konnten. Diese innovative Technik der Wahlbeeinflussung wird auch als Metapolitik bezeichnet- eine Strategie, die auch in kulturellem Kontext, unter anderem durch Kunst und Performance, praktiziert werden kann und soll, um wirksam zu werden. Wichtig für rechte Politik- Beeinflussung ist es, den herrschenden Konsens oder Common Sense zu erschüttern, auch durch perseverierendes Anlaufen gegen den angeblichen „Mainstream“. Die Dekonstruktion des Common Sense soll aber auch durch Schaffen von Parallel- Gesellschaften ausgeführt werden- mit gleich geschaltetem Glauben an „alternative Fakten“, die durch Radikalität, Lautstärke und Zulauf politische Relevanz erlangen, natürlich immer im Sinne der Bekämpfung liberaler Strukturen und gesellschaftlicher Trends. Ein enger Freund Bannons im Kampf gegen die europäische Idee war Nigel Farage. Bis zum britischen Referendum im Juni 2016 flossen illegale Geldströme in Organisationen um Bannon zur Manipulation der Wählervoten. Der News- Apparat Breitbart sollte im Zuge dieser politischen Aktionen ein europäisches Standbein erhalten, um die durch den zu erwartenden Brexit gerissene Wunde in Europa zu vertiefen. Nigel Farage war sich später bewusst, dass Bannons Aktivitäten „key to the victory“ (22) der Europa- Gegner waren. 

Nach dem Votum meinte auch Dugin, seinerseits in Ungarn aktiv, aber nur teilweise erfolgreich, in Moskau, der sonnige Teil des Wegs der Europäischen Union sei nun vorbei: It „has passed it´s noon. Sunset begins.“(23) Dies sei der Kollaps des Westens und ein Sieg der Menschlichkeit. Mit Dugin tauchte im TV Farage auf, während Dugin kommentierte, das englische Volk habe sich von seinen „Herren“ befreit und sein Joch abgeworfen: „People intuitive understand that today England was freed from the diktat of the European Union, Brüssel, and tomorrow the other European countries will follow ist way.“ (24). 

Die geplante „Desintegration“ der Welt, wie wir sie kennen, im Sinne des Abschütteln des Kali Yuga durch Terror, der die massenweise Migration erzeugte, durch Lügen und Manipulation, die den Brexit ermöglichten, waren Elemente des Traditionalismus, den zu dieser Zeit Bannon und Dugin parallel betrieben. Zeitweise bemühte Dugin besonders die russisch- italienische Freundschaft, zeitweise hofierte er insbesondere Marine Le Pen. Auch in Österreich trat er als Netzwerker reichlich und direkt politisch in Erscheinung. Beide Männer zusammen bemühten sich um einen politischen Umsturz und Aufruhr, indem europäischer Nationalismus und Fremdenfeindlichkeit geschürt wurden, um den europäischen Integrationsprozess nicht nur zu stoppen, sondern zu zerstören. Nach dem erfolgten Schlag durch das kommende Ausscheiden Großbritannien aus dem EU- Lager zogen sich beide Männer zurück in ihre „home positions“ (24). Dugin begann sich auf den Iran und China zu konzentrieren. Bannon wurde CEO der Wahlkampf- Kampagne Donald Trumps- ein Mann, der während seiner kommenden Präsidentschaft alles tun würde, um die Integrität der westlichen Werte- Gemeinschaft und ihrer politischen, wirtschaftlichen und militärischen Ziele zu untergraben. 

Aber dennoch. Woher diese Bemühungen, ein politisches Glaubenssystem wie den magischen Traditionalismus zu installieren? Alexander Dugin steht ja in Diensten einer Dynastie, einer Junta von KGB- Offizieren, die angeblich den Zerfall der alten Sowjetunion immer noch rückgängig machen wollen, von Stalin träumen und sich selbst an den Bodenschätzen des Landes bereichern, auf Kosten einer adäquaten Entwicklung der weiten, ländlichen Regionen. Aber Steve Bannon? Was treibt ihn, eine lächerliche, amoralische Figur wie Trump zu installieren, indem er betrügerische Mittel der Manipulation einsetzt und mit Rechtsradikalen und verlogenen Nationalisten wie Farage paktiert? Was treibt ihn nur, diesen umgänglichen, erfolgreichen Banker? Bannon versucht offenbar etwas „Authentisches“ gegen eine Moderne einzusetzen, die er als künstliche Existenzform einschätzt: „Ours is a world of simulations“ (25) - eine Welt des Kali Yuga ohne Werte, in der Priester nicht mehr religiös seien, Offiziere keine Ehre und keinen Patriotismus kennen würden und Händler in Schranken verwiesen werden. Das mediale System würde keine echten Nachrichten senden, Wissenschaftler würden nicht wissenschaftlich arbeiten, Universitäten würden nichts Reales lehren und seien eine Verschwendung von Zeit. Die Moderne sei von „Inversion“ bestimmt, einer Umkehrung der Werte. Selbst Fortschritt sei in Wahrheit eine Form der Regression, ja jeder Anschein von Gerechtigkeit führe nur zu Unterdrückung. Diesen Pessimismus, der sich gegen das ganze Zeitalter der Aufklärung richtet, teilt Steve Bannon gänzlich mit dem Traditionalisten Julius Evola. Danach stellten alle emanzipatorischen Bewegungen wie Demokratisierung, Säkularisierung, Feminismus und Multikulturismus lediglich Stufen eines andauernden Verfalls dar. Bannon sehnt dabei keine Stände- oder Klassen- Gesellschaft wie in mittelalterlichen Zeiten herbei, aber ein klare Werte- Struktur, um dem „Chaos and nihilism" (25) entgegen zu wirken: "His ideal society is not one where certain human is lord over others, but where considerations for spirituality and cultural essence guide social and political life- even geopolitics“ (25). Er sieht sein Hauptziel darin - als Variation zum klassischen Traditionalismus-, dass „spirituellen Werte“ wieder als gesellschaftlich strukturierende und determinierende Prinzipien eingesetzt werden sollten, in einem Wettkampf von Gesellschaften und Individuen. 

Die moralisch Integren werden, in Bannons Vision, zugleich die Führer darstellen, die Eliten bilden und die führenden globalen Nationen. Bannon sieht, statt der Separierung von hintereinander geschalteten Rollen im Modell des klassischen Traditionalismus (Priester- König, Krieger, Kaufmann, Bürger) die Spiritualisierung jedes einzelnen Individuums („My Point is, every person ought to be a priest“ (25)) als Ziel, wobei Bannon offensichtlich den uralten amerikanischen Traum vom Self-made man, den er selbst in seiner Biografie erfolgreich realisiert hatte, in seinen visionären Gesellschafts- Entwürfen zum spirituellen Ideal erhebt. Der erfolgreiche Bürger (bzw die siegreiche Nation) ist nicht mehr nur Verhandlungspartner und im militärisch- kriegerischen Sinne ehrenhafter Sieger, sondern auch noch spirituell erhoben und durchdrungen. 

Umgekehrt wird noch deutlicher, was Bannon eigentlich umtreibt: Die Sieger- Pose eines Donald Trump, dem Bannon durchaus ja auch mit unlauteren, manipulativen Methoden zum Wahlsieg verhalf, wurde für viele Amerikaner zum „spirituellen“ Vorbild- eine Figur, die so polarisierte, dass weite Teile der emotionalisierten Anhängerschaft bereit war, für ihn in den Krieg zu ziehen, und das im Sinne der „großen“ Nation: "We will Make America Great Again!“. Die „metaphysische Arbeit“ (26), die ein Faschist wie Evola noch den arischen Priestern und Gott- Königen vorbehalten hatte, bezog ein manipulativer Geist wie Bannon auf die Arbeiterklasse, die untere Kaste, die „Sklaven“: Sie sollten betört werden vom Glanz ihres strahlenden, erfolgreichen Präsidenten, eines Helden der Nation, eines in Gold, Erfolg und Reichtum getauchten metaphysischen Ideals, den keine Affäre beschmutzen konnte; ganz im Gegenteil. Teitelbaum nennt dies eine Politik der Metaphysik für Bürger, die Bannon mit der Erschaffung dieser exotischen Kunstfigur vollzog. Bannon war sich klar, dass man die Massen mobilisieren musste, einbinden, ansprechen, radikalisieren. Die Arroganz der Hohepriester wie bei Evola stammte aus einem vergangenen Jahrhundert. Tatsächlich sieht Bannon sich als Anwalt der spirituellen Interessen der amerikanischen Arbeiterklasse. Bei ihm, in seiner „Alles- steht- auf- dem- Kopf“- Sichtweise, stellt das eigentlich vollkommen orthodoxe Kastensystem des Traditionalismus sogar eine völlige Abkehr vom Rassismus dar - denn es geht ja nur um spirituell unterlegten Erfolg, nicht um DNA. Tatsächlich gehörten die zuverlässigsten Wähler Trumps aber zu finanziell und gesellschaftlich gefährdeten Gruppen, die ländlich und in stark rassisch isolierten Gegenden wohnten und Immigration am meisten fürchteten- der denkbar größte Gegensatz zu ihrem Idol, dem Goldjungen Trump in seinem goldenen Appartement im Trump- Tower. 

Und überhaupt, das Blutleere, das Unauthentische der Zeit, der Materialismus. So vernimmt man allerorten das Gejammer der Traditionalisten. Die Art von „Spiritualität“, die diese Goldjungen ersehnen, wird in den Texten Julius Evolas gut sichtbar, der damit Faschisten wie auch Terroristen ein zuverlässiger Bundesgenosse, ja Wegbegleiter war. Evolas Heroisierung der „Tathandlung“  bezieht sich stets in der höchsten Form auf den magischen Tod auf dem Schlachtfeld, die Selbsterhebung im Sieg, die narzisstische Selbstvergottung durch das Opfer des Anderen, aber auch seiner selbst: Die „mystische Lehre von Kampf und Sieg“ (27), die Evola in seiner Phantastik von den „Ideale(n) des alt-arischen Menschen“ beschwört, überstrahlt die Versuche von liberalen Demokratien, einen gemeinsamen Kompromiss, eine Politik des Ausgleichs zu finden. Evola betreibt die Heroisierung des spirituell überhöhten Kriegers, die er sich aus allen möglichen Kulturen zusammen reimt, von Römern über Hindus bis zu den Templern. Seine esoterische Umdeutung besteht darin, im Kampf die spirituelle Vollendung zu sehen, die Erlösung, ja die Einweihung- er überwindet das kontemplative Ideal, das die alte Spiritualität umgab. 

Für Bannon, Trump und die anderen Goldjungen gilt, dass die Esoterik im Schlachtfeld des wirtschaftlichen und politischen Erfolgs liegt: Der Kapitalismus selbst wird esoterisch aufgeladen. Die Krieger, die hier gewinnen, sind die mit quasi- priesterlicher Stellung, eine Kaste über den Kasten, die durch diese Sonderstellung in der Aura unerschütterlichen Erfolgs tatsächlich auch die Mittelklasse, die Bürger, die Arbeiter, die Verlierer, faszinieren. Ein Goldjunge wie Donald Trump wird in der von Bannon weiter entwickelten Esoterik Julius Evolas zum unerreichbaren Sonnenkönig. Zumindest bis zu dem Augenblick, an dem die Krieger- Fassade zu bröckeln beginnt. Der Goldjunge darf sich keine offensichtlichen Misserfolge leisten, denn das Gottgleiche setzt eine gewisse Unfehlbarkeit voraus. Jeder Guru weiß ein Lied davon zu singen, wie schnell eine Horde von Anhängern in der Stimmung kippen kann. Plötzlich werden sie, einmal enttäuscht, zu Anklägern und sehen Makel über Makel in ihrem vormaligen Idol. 

Dagegen ist Evolas „Revolte gegen die Zeit“ eine bequeme Haltung, die man jederzeit einnehmen kann, ohne die Behaglichkeit darin jemals aufgeben zu müssen. Der Traditionalismus in seinen amerikanischen und russischen Varianten, aber auch in den anthroposophischen Sonderformen, kennt die anti- materialistische Attitüde und die Ablehnung der Moderne. Immigration und Multikulturalismus werden ebenso abgelehnt wie Gleichheit und die Perspektive von Gleichberechtigung und Aufklärung. Stattdessen besteht die Aussicht, durch eine Phase von Umsturz und Chaos alte, sonnenhafte Zustände wieder herzustellen, mit klaren Hierarchien, Kasten oder Klassen von Menschen. Auch Steve Bannon und Evola geht es nicht um einen klassischen Rassismus, sondern um eine Aufladung des Siegers in der politischen Arena, in den Grenzen seiner Zeit; Evola schreibt daher vom „race of the spirit“ (28) der Sieger, die aus der Dunkelheit des Kali Yuga heraus fliegen und ihre Zeitgenossen überragen, in einer herrischen Geste wie von Mussolini. Die Mittel zum Zweck sind, wie Bannon betont, zweitrangig; Hauptsache, „Authentizität“ bestimmt die Führungselite. Allenfalls, konfrontiert mit Trumps peinlichen Ausfällen, verfällt Bannon auf die Chaos- Theorie der Traditionalisten; „To Make America Great Again, you´ve got to.. you´ve got to disrupt, before you rebuild.“ (29)

Tatsächlich hat der Traditionalismus als quasi- religiöses Fundament einer reaktionären, anti- liberalen Politik seitdem viele Erfolge gefeiert. Er hat in Brasilien zur Ablösung einer politischen Elite geführt, und ist in den USA wie in europäischen Staaten allgegenwärtig. Überhaupt ist der politische Diskurs in ein Fahrwasser geraten, in dem über Jahre Twitter- Nachrichten des US- Präsidenten in den von ihnen erregten Meinungswellen jeden realen Austausch von Meinungen überlagerten- kein Wunder, da der Präsident Chaos, Desinformation und Gewaltandrohungen verbreitete. Es ist bezeichnend, dass in Augen solcher Goldjungen gerade Experten- Kompetenz suspekt erscheinen muss. Die „Authentizität“ der Straße ist Argument genug. Der Populismus in seinem Schwanken zwischen Chaos und Autorität ist ein Auswuchs der gegenwärtigen Renaissance des Traditionalismus. Er stellt eine Aufladung der Politik dar, die durch Trump direkt und indirekt quasi- religiösen Charakter angenommen hat: Das, was früher Diskurs war, verkommt zum Glauben an in sich widersprüchliche Statements des narzisstischen Präsidenten, zu pausenlosen Fake- News und offensichtlichen Verschwörungstheorien. Der Gläubige verteidigt das ihm gegebene Sakrament bis aufs Messer. 

So sehen sich die gläubig- apokalyptischen Anthroposophen auch vor Zeiten, in denen es vor allem gilt, auf der richtigen Seite zu stehen. Nach Steiner wird nicht nur eine bis ins Individuelle gehende chaotische Phase des „Krieges aller gegen alle“ kommen, das danach folgende - traditionalistisch goldene- Zeitalter sei auch vollkommen polarisiert. Statt Kasten oder Rassen sei nur noch eine Zweiteilung der Menschheit gegeben, wobei der böse Teil bis ins Physische entstellt sein werde: „Und zweierlei Menschen werden nach dem großen Kriege aller gegen alle vorhanden sein. Diejenigen, die sich vorher bemüht haben, dem Ruf zu folgen, der zum spirituellen Leben aufrief, die der Spiritualisierung, der Veredlung des seelisch-geistigen Lebens folgten, sie werden dieses seelisch-geistige Leben auf ihren Antlitzen tragen und in ihren Gesten, in ihren Handbewegungen zum Ausdruck bringen. Und jene, die sich abgekehrt haben von dem spirituellen Leben, wie sie uns repräsentiert sind durch die Gemeinde von Laodizea, die da lau waren, nicht warm nicht kalt, die werden hinüber leben in das andere nächste Zeitalter als solche, die die Menschheitsevolution verzögern, die die rückständigen Kräfte der Entwickelung bewahren. Sie werden die bösen, die dem Geistigen feindlichen Leidenschaften und Triebe und Instinkte auf dem häßlichen, unintelligenten, auf dem böse blickenden Antlitz tragen. Sie werden in ihren Gesten und der Handhabung von allem, was sie tun, ein äußeres Abbild bilden dessen, was an Häßlichem in ihrer Seele lebt. Wie sich die Menschen (früher) auseinander getrennt haben in Rassen, in Kulturgemeinschaften, so werden sie sich in zwei große Strömungen scheiden, in die gute und in die böse. Und man wird es ihnen ansehen. Nicht mehr werden sie es verleugnen können die einzelnen Menschen, wozu sie ihre Seele gebracht haben.“ (30) 

Nun, da weiß man doch, auf welcher Seite man stehen möchte. Nach der Apokalypse bitte nicht falsch abbiegen und im Lager der Freaks landen.



----------------------Verweise

1 https://anthroblog.anthroweb.info/2013/julius-evola-und-der-italienische-faschismus-nach-dem-ii-weltkrieg/

2 https://egoistenblog.blogspot.com/p/siehe-auch-massimo-scaligero-politik.html

3 So jedenfalls die nicht immer seriösen Quellen Victor und Victoria Trimondi, „Hitler, Buddha, Krishna“, S. 228ff

4 https://www.deutschlandfunk.de/zoroastrische-glaubensgemeinschaft-zarathustra-hat-uns.886.de.html?dram:article_id=439475

5 https://anthrowiki.at/Weltentwicklungsstufen

6 Benjamin R. Teitelbaum, War for Eternity, The Return of Traditionalism and the Rise of the Populist Right, Penguin 2020, S. 11ff

7 Rudolf Steiner, GA 118.25ff

8 „Priests and warriors live their lives striving towards higher, immaterial ideals, in the case of priests, pure spirituality..“ Teitelbaum, S. 11

9 Siehe Teitelbaum, S. 13

10 frei übersetzt nach Teitelbaum, S. 15

11 https://de.wikipedia.org/wiki/Daodejing

12 Teitelbaum, S. 35ff

13 Teitelbaum, S. 41ff

14 Teitelbaum, S. 42ff

15 „Also im denkbar höchsten Grade standen die Bewohner derjenigen Gegenden, die wir heute um den Nordpol herum sehen, in der lemurischen Zeit im Zeichen der Gruppenseelenhaftigkeit. Und wenn wir diese Gruppenseelen als Seelen betrachten, so waren sie viel höher entwickelt als die Seelen, die in der lemurischen Zeit in den Äquatorgegenden hineinzogen in die physischen Leiber. Wir können sagen: Um den Nordpol wohnte eine Bevölkerung, die wir eigentlich, wie in einer Art Paradies, in den Luftregionen zu suchen haben, die noch nicht heruntergestiegen war bis zur Erde. In der theosophischen Literatur tritt einem da oder dort entgegen: daß jene höheren Wesenheiten, die einst die Lehrer der Menschheit waren, hinuntergestiegen sind aus einer kalten nördlichen Region. Wollten sie Lehrer werden derer, die geringere Seelen waren und mehr in die physischen Leiber hineingingen, so mußten sie auch mehr hinuntersteigen und in ihrem Ätherleibe dem hellseherischen Vermögen der lemurischen Zeit entgegentreten, oder sie mußten eben durch ein Opfer die physische Menschengestalt der lemurischen Bevölkerung annehmen.“ Rudolf Steiner, GA 107, S. 282

16 „Denn es ist durchaus die Gefahr vorhanden, daß die Menschen festhalten dieses Verharren im Materialismus, in der materialistisch-ahrimanischen Denkweise, und sie hinaustragen in Zeiten, in denen sie eigentlich bestimmt ist, überwunden zu sein. Dann würden die Menschen, die bei ihr verbleiben wollen, ein Bündnis eingehen auf der Erde mit alldem, was in ähnlicher Weise durch den Sieg des Michael über den Drachen entstanden ist, das heißt, sie würden sich nicht mit dem geistigen Fortschritt der Erdentwickelung verbinden, sondern mit dem materiellen Fortschritt. Sie würden in einem gewissen Zeitraume der 6. nachatlantischen Zeit ausschließlich Gefallen daran finden, in dem zu leben, was dann kommen wird durch Bazillen, durch die kleinen mikroskopischen Feinde der Menschen.“ Rudolf Steiner, GA 177, S.153f

17 „Dieser Zeitraum, den bereitet der jetzige auch mittelbar vor. So daß wir sagen können: Nach und nach wird sich unsere Kultur hineinleben in eine Kultur der Bruderliebe, wo ein verhältnismäßig kleiner Teil der Menschheit verstanden haben wird das spirituelle Leben, vorbereitet haben wird den Geist und die Gesinnung der Bruderliebe. – Diese Kultur wird dann wiederum einen kleinen Teil von Menschen aussondern, und der wird hinüber leben über jenes Ereignis, das so zerstörend auf unseren Kreislauf wirken wird, über den «Krieg aller gegen alle». Bei diesem allgemein zerstörenden Elemente werden überall einzelne sein, die sich herausheben aus der übrigen, sich gegenseitig bekriegenden Menschheit, einzelne, die das spirituelle Leben verstanden haben und die den Grundstock bilden werden für eine neue, andere Epoche, die Epoche des 6. Zeitraumes.“ Rudolf Steiner, GA 104, S. 88

18 Teitelbaum, S. 46f

19 Teitelbaum, S. 48

20 nach Teitelbaum, S. 59

21 Teitelbaum, S. 60

22 Teitelbaum, S. 63

23 Teitelbaum, S. 68

24 Teitelbaum, S. 69f

25 Teitelbaum, S. 78f

26 nach Teitelbaum, S 81f

27 https://velesova-sloboda.info/archiv/pdf/siegling-evola-die-arische-lehre-edition-und-nachwort.pdf

28 Teitelbaum, S. 103

29 Teitelbaum, S. 117

30 Rudolf Steiner, GA 104, S. 91f


Die Meister und das 20. Jahrhundert - über Aleister Crowley und Rudolf Steiner

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Kommune, Biest und ein wenig Meskalin

Na ja, werden Sie zu Recht fragen, welchen Sinn soll das machen, das edle Haupt eines christlichen Eingeweihten wie Rudolf Steiner zu beleuchten aus der Perspektive des Black bottom, des Anti- Christen, dämonisch inspirierten Magick- Begründers Aleister Crowley? Eine Unmöglichkeit, eine Anmaßung, ein vollständig falsche Perspektive? Die Dinge verkehren sich, wenn man sich einarbeitet, auf vielerlei Art und Weise. Eine davon ist die hier eingenommene, die die Meister- Frage einbezieht- die Quellen der jeweiligen Inspirationen und Intuitionen, d.h. das Verhältnis der Erkenntnis zum Nicht- Ich, zum Irrationalen, zum Göttlichen, zum Mysterium. Hier hat Crowley insofern die Nase vorn, dass er dieses Verhältnis öffentlich reflektiert hat und zumindest scheinbar ein Bekenntnis zu einem materialistischen  Mystizismus abgegeben hat: Die inspirierenden Geister seien Aspekte und Instanzen des eigenen Gehirns oder Bewusstseins; der Magier teile sich faktisch in sich auf und inspiriere sich selbst- selbst der Schutzengel, den er beschwöre, sei ein Aspekt des Höheren Ich. Eine solche materialistische Deutung war Rudolf Steiner fremd. 

Eine Biografie Aleister Crowleys - Richard Kaczynskis„ Perdurabo: The Life of Aleister Crowley“ ist immer ein guter Start bei dieser Fragestellung, da sie realistische Einblicke in die Vielschichtigkeit dieses Mannes und in die Abschnitte seines Lebens gibt, bevor man sich in die kaum überschaubare Fülle von Arbeiten bei Academia begibt. Crowley war ja zweifellos ein erster, globaler und über Jahrzehnte hinweg bedeutender medialer Star  - aber auch ein Opfer der Sensationspresse seiner Zeit, denn er wurde mehrfach eines Landes verwiesen, seine Bücher und Verleger boykottiert, und er wurde als ein Schwarzmagier gebrandmarkt, der er im engeren Sinne bestimmt nicht gewesen ist. In späteren Jahren hat er mit dieser Publizität gespielt, sie bewusst eingesetzt und sich in diesem Sinne als „das Biest“ inszeniert. Er war ein Popstar. Zudem hat er die Welt mit einer damals als freizügig empfundenen Kommune auf Sizilien schockiert. Und er hat durch die Verquickung seiner Promiskuität und Bisexualität mit Magie einen Strom in die Welt gesetzt, der im 20. Jahrhundert immer wieder aufgeflackert ist und bis heute einen erheblichen Einfluss auf die dunkleren Seiten der esoterischen Szene besitzt, aber auch durch politische Prominenz wie Alexander Dugin und generell durch Traditionalisten bis ins 21. Jahrhundert hinein neu an Bedeutung gewonnen hat. Schließlich hat er die Sechzigerjahre vorweggenommen durch seine lebenslangen Experimente - mit Drogen aller Art, aber auch durch seine psychischen Abstürze, seine Depressivität, durch Jahre lange Abhängigkeit von Heroin. Als magisches Mittel setzte Crowley vor allem auf eine Art Meskalin - ein Halluzinogen, das dem späteren LSD ähnlich war. Neben diesen in vielen Augen zweifelhaften Aspekten seines Ruhms und seiner sexuellen Freizügigkeit war er aber auch ein äußerst charmanter, charismatischer und beliebter Gesprächspartner, der unzählige Prominente aus allen Kreisen und Gesellschaftsschichten kennen lernte. Seine Warmherzigkeit versuchte er meist unter der provokativen Erscheinung zu verbergen, aber sie kam mit den Jahren stärker in den Vordergrund. 


Der Sucher

Von den Machenschaften des Golden Dawn (GD) hielt er später nicht mehr viel, und erklärte das zeremonielle magische Treiben für Mummenschanz von Mittelschichts- Spiessern: „Expecting to encounter spiritual giants, he discovered a group of nonentities. Crowley was not alone in this opinion. GD member and Irish feminist Maud Gonne (1866–1953) characterized the order as “the very essence of British middle-class dullness. They looked so incongruous in their cloaks and badges at initiation.“ (1) Dennoch inszenierte er in diesen neu- „rosenkreuzerischen“ Orden eigene Rituale und verbündete sich zeitweise mit dem um die Jahrhundertwende verfemten Samuel Mathers. Später schloss er sich dem O.T.O. an, der schon früh mit Reuss in Richtung Sexualmagie abgedriftet war. Das rein rituelle Treiben im Sinne eines Vertiefens der Freimaurerei befriedigte ihn dagegen nicht: „Nevertheless, Crowley confided in him that after searching so long for the truth, he was troubled to find dramatic ritual dissatisfying.“ (1) Dies, obwohl er auch von Maurerseite aufgrund seiner Kenntnisse in den frühen Jahren anerkannt gewesen war: „Crowley’s knowledge of the mysteries so impressed Don Jesus that the Mason conferred upon him the 33°, the highest grade in the Scottish Rite of Freemasonry“ (1)- eine Tatsache, die ihm die Nationalsozialisten später besonders übel nehmen würden.

Aber schauen wir in die Kindheit und Jugend Crowleys zurück. Er hatte seinen Vater früh verloren und war, nachdem sich seine Mutter mit anhaltenden Depressionen aus der Erziehung zurück zog, weitgehend einem bigotten Onkel ausgeliefert, gegen den er ebenso opponierte wie gegen das Schulsystem an sich. Trotz seiner privilegierten Stellung und seiner offensichtlichen Hochbegabung fiel er durch kaum verhüllte homosexuelle Eskapaden in der Pubertät auf. Das Skandalöse, Provokative wurde, auch um seine Familie zu schockieren, Teil seiner Selbstinszenierung. Dazu kam aber eine Karriere als außergewöhnlich begabter und wagemutiger Bergsteiger, der bis in seine späteren Jahre hinein eine Art Free- Climbing betrieb, das die traditionellen Bergsteiger überforderte. Diese Berufung war auch der erste Anlass dafür, viele Jahre lang rund um die Welt zu reisen, um - etwa im Himalaya - ohne nennenswerte Ausrüstung schwierigste Besteigungen zu meistern. Es waren zu seiner Zeit völlig unmögliche Leistungen, bei denen es allerdings auch menschliche Opfer gab. Dies brachte ihm später den Ruf eines herzlosen Besessenen ein. 

Er lernte Kulturen und religiöse Kulte auf der ganzen Welt kennen, hatte aber auch schon derartig viele angesehene Poesie veröffentlicht, dass auch dies für eine Karriere ausgereicht hätte. Zugleich vertiefte er seine Kenntnisse in Magie: „Life looked pretty grim. Crowley was a man who had climbed among the highest mountains in the world, only to have his first leadership snatched from him and his men buried in ice. As a poet, he had published so many books that his collected Works were available, even though the originals never sold. He had traveled around the world, and was now halfway around it again and finding it stale. And he was a master of magic.“ (1) Dennoch blieb er unruhig, unzufrieden, sexuell und emotional obsessiv: „..when he loved, he did so with his whole being, but the passion was typically short-lived.“ (1)


Die Erfindung des Biests

Crowleys dominierende Sorge bestand darin, dass seine außerordentlichen Begabungen nicht Bestand haben würden, dass er sich nach dem 30. Lebensjahr immer nur weiter wiederholen würde: „Anyway, I hope I shan’t simply go bad. At least I am certain to avoid the blunder of making a good thing and copying it forever.“ (1) Sein Ehrgeiz reichte weiter als das, was ihm bislang gegeben war. Er wollte einen weit größeren Ruhm, aber auch eine spirituelle Quelle, die nicht versiegen würde: „..he concluded his charmed life was being preserved for a greater purpose.“ (1)

Daher unternahm er alle Anstrengungen, (vorerst) sämtliche traditionellen Grenzen zu überschreiten, um nicht Irgendwer, sondern der „Auserwählte“, das „Biest“, zu werden: „The one really important thing is the fundamental hypothesis: I am the Chosen One.“ Um dieses Ziel zu erreichen, wollte er alle menschlichen und moralischen Hemmnisse überwinden: „I say today to hell with Christianity, rationalism, Buddhism, all the lumber of the centuries. I bring you a positive and primaeval fact, magic by name; and with this I will build me a new Heaven and a new Earth. I want none of your faint approval or faint dispraise; I want blasphemy, murder, rape, revolution, anything, bad or good, but strong. I want men behind me, or before me if they can surpass me, but men, men not gentlemen. Bring me your personal vigour; all of it, not your spare vigour. Bring me all the money you have or can force from others. If I can get but seven such men, the world is at my feet. If ten, Heaven will fall at the sound of one trumpet to arms.“ (1)

Tatsächlich ging er mit seinen magischen Experimenten  weit. Er benutzte auch Andere dafür. Er ließ seine medial veranlagte Frau Rose mit Kleinkind in China zurück. Das Kind starb auf der Rückreise, von der schon alkoholkranken Rose vernachlässigt: „Rose was very annoyed about being cast off in China with their young daughter to return home alone. Crowley reasoned that, being wanted in Calcutta, he couldn’t return there with her. She finally agreed, with the intent of staying with her father when she arrived in Scotland. She needed his help because she was three months pregnant.“ (1)

Crowley folgte seiner Obsession, der Suche nach der endgültigen Initiation. Sein Ziel zu dieser Zeit war, alles „Haftende“ zu überwinden, gleichgültig, welche Opfer das bei Anderen bewirkte: „In magical terms, he had plumbed the depths of the Ordeal of the Abyss, a magical rite of passage designed to obliterate the magician’s ego by destroying all he held dear: those physical attachments that Buddha blamed for reincarnation; one’s selfishness, or sense of self.“ Den Tod des Kindes verstand er als Warnung der von ihm gesuchten Götter: „The gods had killed Lilith because his attachment to her was impeding his progress in the Great Work. The gods killed her because Rose had failed in her role as Crowley’s magical partner. The gods killed her as a warning. In that moment, Crowley realized the cosmos played by very tough rules.


Einordnung des Okkultismus in eine säkulare Gesellschaft

Abgesehen von den politischen, sakralen und biografischen Aspekten ist heute aber auch Crowleys Bedeutung für das Phänomen westlicher Esoterik interessant, da er eine Art selbstreflektierter Ebene in seine Arbeiten einbezogen hat, was die „psychologization and naturalization of esotericism“ (2) bewirkt hat, also z.B. die Frage, welchen Sinn die magische Suche für das Individuum selbst hat- was das Selbstbild betrifft, einerseits. Andererseits aber auch im Sinne von Wouter J. Hanegraaff, der die Rolle Crowleys dahin gehend betrachtet, wie „occultists profoundly transformed magic in order to ‘‘make sense’’ of it in the context of an increasingly secularized, disenchanted world.“ (2) Zu den psychologischen Kniffen von Crowleys Magie gehöre aber auch, dass sie, wenn man Egil Asprem folgt, Bereiche der Erkenntnis berühre, die sich jeder Kritik entziehen würden. Dazu gehöre die Schaffung von alternativen geistigen Welten wie dem Astralplan. Andererseits stelle Crowley aber auch wissenschaftliche Methodik in den Mittelpunkt magischer Schulung und Praxis, da Übungen, Effekte und Auswirkungen transparent und nachvollziehbar sein sollten: „In other words, occultists create an alternative, imaginary space (for instance the ‘‘astral plane’’) that is not affected by the increasing disenchantment of daily reality. Asprem, however, taking Crowley as a convenient case study, sees no signs of an escapist psychologizing attitude, but rather the opposite: an attempt to establish ‘‘scientific’’ conditions for an empirical testing of magic and its various claims.“ (2)

Dies entspricht dem oft vorgebrachten Anspruch vieler Anthroposophen, die Geisteswissenschaft Rudolf Steiners entspräche wissenschaftlichen Standards, auch wenn Jost Schieren bereits vor rund zehn Jahren deutlich widersprochen hat: „Die meisten Argumente für die Unwissenschaftlichkeit der Anthroposophie beziehen sich auf die anthroposophische Esoterik, die als wissenschaftlich nicht nachvollziehbar gilt. Es geht um das Problem einer übersinnlichen Erkenntnis, die allein auf Behauptungen Rudolf Steiners, die durch Dritte nicht überprüft werden können, zurückgeht. Anthroposophen geben hier einen Vertrauensvorschuss, der allerdings nicht vorausgesetzt werden kann. An dieser Problematik wird man langfristig wenig ändern können. Bezogen auf die esoterischen Aussagen Rudolf Steiners die Wissenschaftlichkeit der Anthroposophie zu behaupten, erscheint als ein auf lange Jahre wenig erfolgversprechendes Unterfangen.“ (3)

Während Rudolf Steiner sich nach Gründung der Anthroposophischen Gesellschaft immer mehr christlichen und mystischen Themen zuwandte - wobei  gleichzeitig pragmatische Tochtergesellschaften in Erziehung und Medizin voran getrieben wurden-, blieb Crowley ein schwer zu greifendes Phänomen, da er mal magisch- traditionell und rituell auftrat, mal reflektiert und mit dem Anspruch der Nachvollziehbarkeit und der Reduktion auf physiologische und psychische Prozesse: „We can observe several shifts in Crowley’s interpretation of magic and of other spiritual pracrelated to the problem of magical ‘‘experience.’’ This is rather related to instrumental forms of magic, which aim at the acquisition of material gains, such as money, health, erotic success, and the like. There is no doubt that Crowley practiced this kind of magic as well (..)  As we will see, he sometimes leans toward physiological, brain-based interpretations; sometimes toward psychological, mind-based interpretations; sometimes he mixes the two; and sometimes he just cannot let go of a more traditional view of preternatural reality. He was therefore both naturalizing and psychologizing, depending on the moment in his intellectual trajectory and the context in which he found himself.“ (2)

Offenbar war Crowley bemüht, trotz der voran schreitenden esoterischen Entwicklung, die in einem Kommunen- Leben in Sizilien mündete, wobei ihn Schüler, Partnerinnen, Medien und Journalisten begleiteten, den Anschluss an die säkularisierte Gegenwart des 20. Jahrhunderts nicht zu verlieren. Das war keinesfalls nur eine strategische Positionierung- vielmehr war sich der polyglotte, akademisch gebildete Crowley aktueller Trends in Psychologie und Psychoanalyse vollkommen bewusst. Er integrierte methodische Konzepte dort, wo es ihm passend erschien. Zudem sah Crowley seine Meditationen, Übungen, sakralen Handlungen und Meskalin- Trips als Selbsterfahrungen, die er stets dokumentierte und realisierte als das, was sie waren: Bewusstseins- Zustände in ihrer ganzen Diversität, Experimente an der eigenen Person, ja letztlich am eigenen Gehirn. Solche reflektierten und dokumentierten spirituellen Experimente schlagen, so schreibt Pasi (2), eine Brücke zwischen Religion und Wissenschaft: „In this case, as with spiritualism, the underlying rationale is the necessity of a reconciliation between science and religion. The attempt at a reconciliation between these two fields, perceived as increasingly distant, if not radically opposed to each other, has been in fact indicated as one of the fundamental characteristics of occultism.“ (2) 


Die Meister und das höhere Ich 

Crowley hat schon 1901, auf seiner Ceylon- Reise, sämtliche Yoga- Übungen, die er vollzog ebenso dokumentiert wie seine magische Praxis im „Golden Dawn“ und alle späteren Entwicklungen. Er hat den experimentellen Charakter dieser geistigen Erfahrungen ebenso kontinuierlich gesehen wie seinen Anspruch formuliert, als Eingeweihter „Samadhi“ erreicht zu haben. Mehr als das, betrachtete er sich als Religionsgründer, dem die Texte von einem übermenschlichen Wesen im Sinne von Intuitionen eingegeben wurden: „Crowley himself, according to his own testimony, had achieved samaˆdhi, and this had entitled him to found a new religion. This is exactly what Crowley claimed he had done after he received the text of the Book of the Law from what he thought to be a preterhuman entity (..)“ (2) Von Schülern erwartete Crowley absolute Opferbereitschaft und Hingabe an die magische Lehre, insbesondere nach der Gründung seiner Kommune in Cefalu. Die zeremoniellen Rituale wurden zugunsten der Sexualmagie zurück gefahren, die Zeit des Yogas und der östlichen Einweihung war vorbei und wurde integriert, die Reisen durch Wüsten, Länder, Beziehungen waren zunächst beendet, die Suche nach dem „Schutzengel“ und anderen geistigen Wesen begann. Aber zugleich zeigte sich Crowley im Sinne der Kompatibilität mit dem Zeitalter bereit, seine gesamte Esoterik als eine Sache anzusehen, die man rein physiologisch und hirnorganisch erklären könne, also rein materialistisch: „..it seems clear that Crowley was willing, at least in certain contexts, to interpret the effects of ceremonial magic, and the entities traditionally involved with them, purely in physiological (not even psychological) terms. Magical phenomena are explained from a strictly materialistic point of view: they take place only in the brain, and this creates, as a secondary effect, the illusionary perception of spiritual entities. This is of course a kind of reductionist explanation of magic..“ (2) Auch der Schutzengel war für Crowley primär eine Erscheinungsform des eigenen höheren Selbst. Auf der anderen Seite bestand Crowley immer wieder darauf, dass „nicht inkarnierte“ Wesenheiten existieren würden und keinesfalls nur metaphorischen Charakter hätten. So schrieb er in Magick (nach Pasi, 2): „Yet the average man of science still denies the existence of the elementals of the Rosicrucian, the Angels of the Qabalist, the najtas, pisacas, and devas of Southern Asia, and the djinn of Islam, with the same blind misosophy as in Victorian days. It has apparently not occurred to him that his position in doubting the existence of consciousness except in connection with certain types of anatomical structure, is really identical with that of the narrowest geocentric and anthropocentric Evangelicals.“ Auch in seiner letzen Schrift aus dem Jahr 1940 besteht Crowley auf der Objektivität der ihn inspirierenden geistigen Wesen. 

Gegenüber diesem Larvieren nach Bedarf geraten die Eingeständnisse Rudolf Steiners, an der Aufgabe, die Wissenschaftlichkeit seiner Methodik nicht erreicht zu haben, angenehm ehrlich. Es bleibt, selbst wenn man die Frage der „außerhalb“ gedachten Geistwesen ausklammert, stets der Appell an den „guten Willen“ des Lesers, dem behaupteten Zusammenhang zu folgen: „Die empirische Methode der Beobachtung des Denkens wird als gesicherter Ausgangspunkt einer realen Geist- Erfahrung begriffen. So konsequent und im Sinne Rudolf Steiners nachvollziehbar dieser Ansatz ist, so bleibt auch hier der Eindruck bestehen, dass man dem Behauptungscharakter am Ende nicht entkommt. Steiner spricht an den entscheidenden Stellen immer von dem guten Willen, der notwendig sei, um seiner Argumentation zu folgen. Das heißt, man muss eine gewisse Bereitschaft, sich auf einen eher essentialistisch ausgerichteten Gesichtspunkt einzulassen, schlichtweg voraussetzen, um dann die Erfahrungen, die im Verfolg der seelischen Beobachtung gemacht werden können, entsprechend zu würdigen. Zudem müssen die empirischen Befunde im eigenen Denken selbst hervorgebracht werden, an denen dann die Erfahrung ihrer essentiellen Validität gemacht werden kann. Rudolf Steiner selbst formuliert in seiner Autobiographie “Mein Lebensgang” in gewisser Weise als Eingeständnis, dass es ihm nicht gelungen sei, einen wissenschaftlich gesicherten Weg in die geistige Welt zu begründen: “Aber ich habe auch heute noch das Gefühl, dass, wenn nicht die hier geschilderten Hemmnisse vorhanden gewesen wären, auch mein Versuch, durch das naturwissenschaftliche Denken hindurch zur Geist-Welt zu führen, ein aussichtsvoller hätte werden können.” (Steiner, 1925, S. 283) Das bedeutet, dass Steiner den in seinen Grundschriften ursprünglich verfolgten Ansatz nicht zu dem Zielpunkt hat führen können, wie er es gewünscht hatte. Nachvollziehbar wird diese Einschätzung, wenn man die Differenz der Veröffentlichungen Rudolf Steiners vor und nach der Jahrhundertwende vom 19. zum 20. Jahrhundert betrachtet. Die eher theosophisch geprägten Veröffentlichungen, insbesondere die später publizierten Vortragszyklen, erheben weniger einen wissenschaftlichen Anspruch als sein philosophisches Frühwerk.“ (3)

Crowley und die Relativitätstheorie

Die Ambiguität des Crowleyschen Magie- Verständnis hat etwas sehr Modernes- etwas so sehr aus dem 20. Jahrhundert Gegriffenes, dass es Crowley auch tatsächlich ins Gespräch mit unzähligen Personen aus Kultur, Politik und Wissenschaft brachte. Ebenso erlaubte es Crowley, sich stets neu zu erfinden und tatsächlich auch neu zu verorten. Nach den Jahren in Paris, von wo er als unerwünschte Person verbannt, und der ziemlich desolaten Zeit in seiner Kommune in Cefalu, von wo er von der Mussolini- Regierung vertrieben wurde, zog er über die USA und England ins äußerst lebendige Berlin von 1929, kurz vor dem Absturz in die nationalsozialistische Ära. Crowley trat diesmal als expressionistischer Maler auf, ein wenig aus der Zeit gefallen, und ein wenig unbeholfen, vielleicht, aber nicht ohne Aufmerksamkeit zu erregen und mit der Möglichkeit, sich mit Mitte Fünfzig unters junge Volk, ins Leben und in eine schier unaufhörliche Reihe von sexuellen Kontakten zu stürzen. Aber nicht nur: „The Berlin of the Weimar Republic was the sex capital of Europe, also for Aleister Crowley. But his ambition went beyond that: in line with his philosophy, the magus was interested in psychoanalysis, quantum physics, and the latest developments in the still young medium of film.“- so schreibt Tobias Churton in The Best in Berlin (4). 

Crowley war nebeibei noch in seiner Funktion als Spion für den MI6 unterwegs, und spähte nebenbei offenbar Rechte wie Linke aus- sein Führungsoffizier war ein Colonel Carter (5). Churton liegen Tagebücher Crowleys vor, die er ausgiebig zitiert, und die Crowleys Obsessionen ausreichend dokumentieren. Abgesehen von Magie, Sex, Malerei und der ekstatischen, aber auch unglücklichen Beziehung mit einer jungen Frau ging Crowley seinen Förderer- und Freundeskreis auch permanent um Geld an, das er, falls es einmal floss, auch schnell in Bordellen, Kneipen, Clubs, Luxushotels und Restaurants versickern ließ. Crowley war kein Mann für einen Bausparvertrag. Einige Eindrücke aus dieser Zeit kann man aus den Bildern, Fotos und Reflexionen Strangeflowers (6) gewinnen: „Crowley was far too engrossed in his own work and day-to-day concerns to take much note of the ever-worsening political climate in the city. At the time Berlin was nearing the end-point of an ongoing battle between opposing forces whose outcome was effectively sealed as far back as January 1919. That’s when left-wing activists Rosa Luxemburg and Karl Liebknecht were interrogated at the Eden Hotel by a far-right regiment; the pair were assassinated nearby and their bodies dumped (the square which now occupies the site of the long-gone hotel is named for another slain politician, Olof Palme). Christmas Eve 1931 found Crowley at the Eden, ill and impoverished, pleading with fellow occultist Gerald Yorke to chase down money.“ (6) 

So war also dieser talentierteste und attraktivste aller Okkultisten, der auf der Suche nach den verborgenen Meistern der Golden Dawn Zeit so viel Zeit vergeudet hatte, bis er überzeugt war, selbst einer dieser Meister zu sein, der in Indien Yogi gewesen und der Kopf der ersten Kommune in Sizilien, der sexuell besessen und finanziell bankrott war, ein Nerv tötender und gleichzeitig charmanter und hoch intelligenter Gesprächspartner, nach schweren Zeiten, bedingt durch Armut, Drogenabhängigkeit und erzwungene Abwesenheit seiner Familie, in Berlin aufgetaucht, um sich neu mit den „Energien des Planeten zu verbinden“: „..how can we describe the tough, portly, pipe-smoking fifty-five-year-old Crowley in the spring of 1930? Well, he was up for it. He was up for Berlin; he needed a new HQ, new contacts, new life; he needed to be at the center of contemporary life, plugged in to the vital energies of the planet.“ (7) 

Crowley war nicht nur zwiespältig, nicht nur vielfältig, er konnte tatsächlich immer wieder so etwas wie eine neue Biografie beginnen. Aber, neben all den treibenden Kräften, beseelte Crowley auch der spirituelle Ehrgeiz. Er war auch in Berlin, um, nach dem dramatischen Ausscheiden Krishnamurtis aus der Theosophischen Gesellschaft (als angebliche Wiedergeburt Christi), diesen nicht nur für die magische Sache Crowleys ein-, sondern auch die Führung der gesamten Theosophischen Gesellschaft zu übernehmen. (8) In dieser Hinsicht unternahm er einige Versuche, wobei er sich in theosophischen Kreisen aufhielt, die oft auch Kontakt mit Rudolf Steiner gehabt hatten. Dies betraf auch die Freimaurer- Kreise, mit denen Steiner aufgrund seiner immer wieder aufflammenden Leidenschaft zu „erkenntniskultischen Handlungen“ eine Neigung hatte. 

Aber Crowley war ein intellektueller, ja explizit materialistischer Okkultist. Das machte ihn zum interessanten Gesprächspartner für die wichtigsten Forscher und Intellektuellen seiner Zeit, wozu Aldous Huxley und Albert Einstein gehörten. Die Ambiguität der Magie Crowleys erwies sich als vollständig kompatibel zur Wissenschaft seiner Zeit, wie die Diskussionen in Berlin belegten: „Crowley had fully grasped the ambiguity of the mind-matter distinction, along with Schrödinger and Max Planck. That is, while the mind could be seen as a manifestation of the brain, the brain could equally be seen as a manifestation of mind: a notable conclusion of the Hermetic philosophy of late antiquity.“ (9) So wie das Denken das Gehirn prägte, so wurde es auch selbst durch die Physis des biologischen Seins geprägt. Magie war nur ein Sonderfall, der das Newtonsche Weltbild sprengte, weil sie in alle Richtungen wirkte, im Sinne einer Erweiterung der Sinne, des Denkens, aber auch der physischen Existenz schlechthin. Magie war in diesem Sinne einer Fortsetzung der Wissenschaft, kein Gegenpol. Wäre Einstein weit genug gegangen (und hätte sich nicht nur als Neuinterpretation des Newtonschen Weltbilds verstanden), wäre er wohl Magier geworden: „Crowley believed that every statement exhibited the limitations of its maker’s consciousness. Magick meant for him the acquisition of new intelligence and expanding levels of perception. His quiet analytical criticism of Einstein was simply that it was not quite the mystical breakthrough Sullivan imagined but a refinement of, or reaction to, Newtonian science.“ (10) So meinte Crowley auch, dass die neuen physikalischen Erkenntnisse, vom atomaren Kern bis hin zu Raum- Zeit- Relativität und kosmischen und stellaren Dimensionen, nichts anderes seien als früheres Initiaten- Wissen, nun wissenschaftlich gefasst und formuliert (11).


Macht und Erkenntnis

In diesem Sinne - und mit seinem mathematischen Wissen, seinem Charme und seiner enormen Intelligenz, aber auch mit einer erheblichen Portion Rätselhaftigkeit und Skrupellosigkeit gesegnet, lernte Crowley in seinen rund drei Jahren in Berlin unentwegt Menschen aus Wissenschaft und Kultur kennen- darunter Galeristen, sowjetische Spione, Philosophen, Forscher, Atom- Wissenschaftler, Künstler und Agenten. Zwischen Geliebten, Prostituierten, Kundinnen, deren Porträts er malte, Schriftstellern wie Isherwood (12), mit denen er durch Gay Berlin zog, widmete er mehr und mehr Zeit dem relativ jungen Genre des anspruchsvollen Films. Auch in dieser Hinsicht lernte Crowley kommende Stars wie Billy Wilder kennen, träumte von einem eigenen großen Film, mischte mit seiner Expertise ein wenig in Nosferatu- Inszenierungen mit. Kurz, Crowley, der sogar endlich eine eigene Ausstellung mit seinen meist gerade fertig gestellten expressionistischen Arbeiten geniessen durfte, war ganz und gar Teil dieser einmaligen Freigeister- Kultur kurz vor der Implosion, während die Nazis schon randalierten und vom Pöbel an die Macht gebracht wurden. Er wurde 1932 von seinem britischen Agentenführer gewarnt, keine weiteren Berichte und Briefe mehr zu schicken, da er, Crowley, überwacht werde. Tatsächlich galt Crowleys Bekanntschaft nach 1933 als hinreichender Grund, verhaftet und in ein Konzentrationslager verbracht zu werden, wie sich zeigen sollte- Crowley war für die Nazis ein Ur- Freimaurer. 

Noch einmal hoffte Crowley, die Theosophische Gesellschaft unter seine Fuchtel zu bekommen, um sich als Helena Blavatsky legitimer Nachfolger zu etablieren, und schrieb: „I hear that Annie Besant is in senile dementia, and moribund. She may die any day now. It is most urgent that I should be instantly and widely proclaimed as HP.B.[Blavatsky]’s legitimate successor. As to my reputation, I’m the Silent Martyr. Jesuit calumny is the shining token of my Mission.“ Vergeblich. Die Anrufung seines Schutzengels Aiwass und die anhaltende Praxis seines Sex Magick brachte ebenso wenig ein wie all die Bekanntschaften und kurz anhaltenden Erfolge. Selbst die Bilder, die er gemalt hatte, für die er voneinigen Kritikern mit den großen Künstlern seiner Zeit auf eine Stufe gestellt wurde, gingen fast ausnahmslos verloren. Im Vergleich zu ähnlichen spirituellen Größen seiner Zeit wie Steiner, Besant oder Krishnamurti wirkte Crowley (13), was vielleicht das denkbar Schlimmste für ihn war, regelrecht gut bürgerlich. Nun, im Sommer 1932, war es höchste Zeit, den Zug zu besteigen und aus Berlin zu verschwinden: „On Monday 20 June the Beast left Berlin. He took the train to Köln, arriving at 7:03 p.m. He rang up Walker, who said: “Come out right now.” Crowley did.“ (14)

Und er wusste genau, wer da zur Macht drängte. Kaum jemand hat den Hitler- Kult so klar und eindeutig beschrieben wie Crowley. Er sah auch die Unausweichlichkeit des kommenden großen Krieges. Von den Esoterikern, Magiern und Okkultisten unterschied sich Crowley darin, dass er Realistisch, Materialist und ganz sicherlich kein Rassist war; er lehnte natürlich die „Wurzelrassen- Arier- Theorien“ vollständig ab: „And one last point: Crowley did not believe in Theosophical root races or theories of master races; he took individuals as he found them and recommended each master himself, whatever their “nationality.” Putting faith in some theory about old “Aryans” was no way forward. There never was an Aryan race; it was a Sanskrit word for “high born,” aristocrats.“ (15) Diese Sicherheit seines Urteils trotz der anhaltenden Verhaftung in magische Theorie und Praxis ist eben Resultat seiner Ambiguität: Crowley war Skeptiker durch und durch, auch gegenüber seinen eigenen Mitteln und Positionen. Er war sich seiner eigenen Doppelbödigkeit bewusst, auch wenn er immer wieder von ihr getrieben wurde und zwischenzeitlich annahm, die russische Revolution retten zu können und der bedeutendste Maler, aber auch Psychologe seiner Zeit zu sein. Crowley war narzisstisch, aber auch offen und frei genug, um in der Folge mit Psychoanalytikern, Kommunisten und Quantenphysikern über die Natur des Geistes zu diskutieren. Er widerstand dem Geist seiner Zeit nicht, sondern saugte ihn regelrecht auf; die Weltstädte wie London, Paris und Berlin waren ebenso wie seine Weltreisen, aber auch der Rückzug in Kommunen und Wüsten Mittel seiner Partizipation an seiner Zeit. 


Die okkulte Gefangenschaft und die Befangenheit gegenüber den Meistern

Diese Ambiguität gegenüber dem eigenen Urteil, den Meistern und anderen Mächten, kann man bei Rudolf Steiner nicht erkennen. Die für ihn ebenso wie für Crowley maßgebliche Helena Blavatsky ist in Steiners Sicht mit ihrer Wendung ins Fernöstliche von unsichtbaren Meistern in okkulte Gefangenschaft genommen worden- im Sinne einer Art umgedrehten Doppelagentin der geistigen Welt: „Derjenige, der an die Stelle des Meisters Koot Hoomi getreten ist, steht als Betrüger da, indem er eine einseitige Weltanschauung verpflanzt hat in die Blavatsky. Es war möglich, daß man nicht einsah, daß hinter ihr ein grauer Magier stand, der im Solde war einer eng begrenzten menschlichen Gesellschaft und eine bestimmte menschliche Weltanschauung propagieren wollte.“ (16) Nein, man sah es nicht ein. Aber Steiner schaute die Intrigen in der geistigen Welt. Wie sollte er Ambiguität - d.h. auch Distanz zu sich selbst und dem eigenen Bewusstsein, der eigenen Positionierung- entwickeln, wenn sich ihm die Geister, die Meister, die taumelnden und fallenden Engel hinter den Kulissen zu erkennen gaben? Auch sich selbst gegenüber ist das schwierig, auch wenn Steiner behauptete, Erkenntnistheorie seit frühen Jahren betrieben zu haben. Er glaubte, die „neue Weltanschauung“ (17), die er zu begründen gedachte, im wissenschaftlichen Sinne „erkenntnistheoretisch rechtfertigen“ (17) zu können, um in der Folge und aus „dem naturwissenschaftlich Sicheren“ heraus die Brücke zu „subjektiven Schauungen“ (17) einer geistigen Welt zu schlagen. Leider wollten Wissenschaftler von diesen Geist- Erkenntnissen nichts wissen. Stattdessen fand sich „im Herbst 1900“ ein „zwar nicht wissenschaftlicher, aber an realer Geist- Erkenntnis tief interessierter Kreis“ (18), ebenfalls in Berlin, der Steiner anhören wollte- Theosophen, die sich auf Helena Blavatsky beriefen. Aus Steiners Sicht wurde er damit auf eine Bahn gezogen, die es ihm ermöglichte, „Geistesschüler auf die Bahn der Entwicklung zu bringen“ (19). Dieses 1902 eher privat gehaltene Ziel erweiterte er später - in „Wie erlangt man Erkenntnisse der höheren Welten“- um das generalisierte „In jedem Menschen schlummern Fähigkeiten..“ Und schließlich bis zum (in einem Brief geäußerten) „Theosophie ist unserem Zeitalter notwendig..“ (20). Die von Blavatsky aufgesaugte Wurzelrassen- Theorie wurde ab 1905 dominanter bei Steiner, da das Ziel in der 5. nachatlantischen Kulturepoche von ihm darin gesehen wurde, hoch entwickelte Individualitäten heraus zu bilden, „dass sie nunmehr von der sechsten Wurzelrasse ab Führer der Menschheit werden können. Namentlich der Hauptführer der sechsten Wurzelrasse wird ein Mensch sein, wie wir sind, nur eben einer der vorgeschrittensten- der Vorgeschrittene geradezu der Menschen..“ (21), der allerdings immer schon „Mensch unter Menschen“ gewesen sei. 

Von diesem Meister der Menschheit sprach Steiner über mehrere Jahre hinweg immer wieder, begann aber erst 1907 mit der Nennung der Meister, die speziell für die Entwicklung der theosophischen Bewegung zuständig und schon zu Zeiten der seligen Blavatsky tätig gewesen wären- allerdings, wie erwähnt, nicht immer in Steiners Sinne. Die Meister des Ostens waren nicht nett zu Madame, und tricksten die Meister des Westens (Jesus und Christian Rosenkreuz) aus. Die guten Meister, Rudolf Steiner und die Theosophen arbeiteten aber daran, die Menschheit vorzubereiten „auf die große Wahrheit. Die Theosophie arbeitet auf einen gewissen Zeitpunkt hin. Ein Kern soll gebildet werden, der diese Wahrheit versteht, wenn sie einst unverhüllt hervortritt- ein Kern, der sie richtig erfasst und nicht zum Fluche, sondern zum Segen der Menschheit verwendet“ (22) Der exklusive, wenngleich „kosmopolitische internationale“ (22) Rahmen dieser Kern- Menschen werde in der Theosophischen Gesellschaft gebildet und ähnele der früheren Entwicklung von Rassen und ihrer Führung durch den Manu in „geeignete menschenleere Landschaften“ (22). Offenbar ist der Name des heutigen Manu, der seinen Kern von Wahrheitssuchern in die nächste Kulturepoche anführen soll, Rudolf Steiner. 

Aber was heißt schon Suche? Hinter den Erscheinungen warten die Meister ja nur darauf, geeignete Kandidaten - also Anthroposophen- mit ihren inspirierenden, intuitiven Einflüsterungen zu beglücken. Selbst der Umgang mit theosophischem Geistesgut selbst war Steiner von den Meistern eingeimpft worden: „..wenn der Meister mich nicht zu überzeugen gewusst hätte, dass trotz alledem (der Unreife der Zeit für die hohen Wahrheiten des Okkultismus) die Theosophie unserem Zeitalter notwendig ist: ich hätte auch nach 1901 nur philosophische Bücher geschrieben und literarisch und philosophisch gesprochen.“ (23) Allerdings würden die Meister sehr wohl die Freiheit des Einzelnen respektieren und eigentlich auch nur als „Anreger auf geistigen Gebieten“ (24) wirken. Das allerdings würden sie „von Epoche zu Epoche, von Zeitalter zu Zeitalter“ (25) praktizieren, um der menschlichen Entwicklung „Impulse“ zu geben. Auch Rudolf Steiners Esoterische Schule, in der er bis 1914 den engeren Schülerkreis um sich herum unterrichtete, stand nach seiner Darstellung unter der unmittelbaren Leitung dieser Meister. Erinnerungen von Teilnehmern zeigen auch, wie Steiner, entrückt, ja nur „wie ein Gehäuse“ wirkend, in ihren Kreis trat, und diese Stunden begannen mit der Aussage „Es sprechen aus mir die Meister der Weisheit und des Zusammenklanges der Empfindungen“ (26) Eingeweihte und Boten traten in die Rolle von Vermittlern, die „seit den letzten dreißig Jahren diese Botschaft wiederum empfangen von den höheren Wesenheiten, die bereits über die Entwicklung des Menschen hinausgestiegen sind, von den Meistern der Weisheit und des Zusammenklanges der Empfindungen..“ (27) Die Bemächtigung des Bewusstseins Helena Blavatskys habe allerdings zu einer Art östlich orientierter Impfung der theosophischen Lehren geführt, denen Steiner seine westliche, christliche Version habe entgegen setzen müssen. 


Sprachrohre der Meister und Betrüger

Steiner verschwieg dabei die wirklichen Skandale, die Blavatsky heimgesucht hatten: So etwa das Auffliegen gefälschter „Meisterbriefe“ in eigens konstruierten Schränken, in denen die angeblichen Intentionen der „Mahatmas“ dargelegt wurden. Diese Betrügereien hatten 1894 erst die Rückkehr der hellsichtigen Madame nach Europa bewirkt. Das Treiben mit okkulten Briefen nahm jedoch kein Ende und war 1907, als Rudolf Steiner sich noch stärker mit dem destruktiven Verein verband, gerichtsnotorisch. Der prominente Theosoph und Schriftsteller Leadbeater, der mit dem Krishnamurti-Kult zu tun hatte und ansonsten als Medium wirkte, aber auch als Pädophiler bekannt war, wurde dadurch (ebenfalls 1907) von Olcott, der sterbenskrank war, entlastet, dass dieser behauptete, Leadbeater stünde unter der Führung der Meister, die im übrigen angewiesen hätten, Annie Besant zu seinem, Olcotts, Nachfolger zu machen. Tatsächlich wurde Leadbeater durch diese angebliche Fürsprache der Mahatmas bald wieder theosophischer Würdenträger. Auch Besant gab sich von den Anweisungen dieser Führungsebene angetan und übernahm das Amt. Rudolf Steiner beließ es dabei, zu erwähnen, dass gewisse Personen diese Vorkommnisse für „Trugbilder“ hielten, blieb selbst aber vage. Bei Leadbeater kritisierte er lediglich dessen okkulte Methodik. Selbst 1912 sprach Steiner noch (in Helsingfors) davon, dass die Ursache für diese Irrtümer darin gelegen habe, dass England mit Indien in gewisser Weise verbunden gewesen sei, nämlich „karmisch im Weltenzusammenhang“ (28)- obwohl er genau wusste, was für ein „Tummelplatz für allerlei die hohe Sache entstellende Mächte“ die Theosophische Gesellschaft geworden sei. Sie war es, wenn man Blavatsky betrachtet, von Anfang an. Aber auch Rudolf Steiner sah in diesen weithin bekannten und breit diskutierten Skandalen keinerlei Anlass, für die sich von der Theosophischen Mutter- Gesellschaft emanzipierende anthroposophische Bewegung einen methodischen Bruch herbei zu führen: die Führerschaft durch die „Meister“ bleib zumindest in Bezug auf die zentrale ES bestätigt, jede selbstkritische Ambiguität oder geistige Autonomie blieb den geneigten Anthroposophen erspart. Freilich erweiterte Steiner als Sprachrohr der Meister seine Sujets und begab sich initiativ auch in pragmatisches Fahrwasser. Nach 1918, in den wenigen verbleibenden Jahren, wechselten die Meister und Mahatmas thematisch das Boot und wurden durch „Christus“ ersetzt. Die atavistische Linie der Offenbarung wurde 1923 durch die Selbst- Einsetzung Steiners als Vorstand sogar verstärkt. Der sakrale Charakter der Unternehmung wurde durch christologische, karmische Offenbarungen und intime Naturwesen- Betrachtungen vertieft. Aber zugleich wuchs auch die Fülle von praktischen, Öffentlichkeits- wirksamen pädagogischen, medizinischen, landwirtschafts- bezogenen Aktivitäten, die eindeutig bewiesen, dass es nicht nur eine esoterische Seite der ganzen Unternehmung gab, sondern zunehmend eine pragmatische, die überzeugte und in der Folge Steiners Ableben, die endlosen Erbschaftsstreitigkeiten und internen Zerwürfnisse überstand. Offensichtlich wird die anthroposophische Esoterik dann bedenklich, wenn sie sich nur mit sich selbst beschäftigt- die Fähigkeit zum Dialog und zur Auseinandersetzung mit Realität und Öffentlichkeit vorausgesetzt, gedeiht sie dagegen in ihren pragmatischen Tochter- Gesellschaften. 


Die Doppelköpfigkeit der Moderne und ihre anthroposophische Entsprechung

Das gilt im Großen wie im Kleinen; auch das zeitgenössische rationale Kollektiv- Bewusstsein, das sich im Westen auf das Christentum beruft, hat nach Wouter J. Hanegraaff eine dunkle, heidnische Seite; in Bezug auf das kollektive Wir ist die dunkle Leinwand der Esoteriker erst der Hintergrund, vor dem sich das Rationale schön in Szene setzen möchte: „As the outcome of these developments, Western esotericism still functions in the academic imagination as the structural “other” of our collective modern identity, with its Christian roots and its commitment to rationality and science. It is like a dark canvas that allows us to draw the contours of our own identity in shining colors of light and truth.“ (29) In diesem Sinne hat auch die Anthroposophie selbst, schon angelegt von Rudolf Steiner selbst, diese pragmatisch- rationale Seite, die extrovertiert im gesellschaftlichen Dialog steht, die sich mit Denken und Bewusstsein auseinandersetzt und sich dem wissenschaftlichen Diskurs stellt einerseits - und die Seite der Einflüsterungen durch Meister, des Rückfalls in Verschwörungs- Theorien und Schuldzuweisungen, der wilden, anarchischen Spekulation und Fort- Fabulierung populistischer Erzähl- Muster andererseits. Analog dazu, wie Hanegraaff vom „Untergrund des Abendlands“ (29) spricht, kennt auch die anthroposophische Bewegung nur allzu gut ihren eigenen Abgrund, in den sie wiederholt geblickt hat, zunehmend desorientiert, mit einer desolaten „Hochschule“, einer erschöpften Abwehrhaltung gegenüber Kritik und wissenschaftlicher Interpretation, sich in einer trotzigen Reaktion an Parolen der magischen Traditionalisten hängend (30). Andererseits ist zu bedenken, dass schon Steiner selbst vom notwendigen Zusammengehen von Aristotelikern und Platonikern innerhalb der Bewegung gesprochen hat- die Idealisten müssen mit den Pragmatikern ein Bündnis eingehen. Dass auch in der pragmatisch- dialogischen Aktivität der anthroposophischen Peripherie stets ein Zipfel der internen Erlösungs- und Erleuchtungs- Thematik mitschwingt, wird durch Hanegraaffs allgemeine Analyse impliziert: „Christianity did not simply triumph over paganism during the first centuries of the Common Era; on the contrary, ever since Platonism was accepted into Christian theology by a range of early church fathers, theologians and philosophers had to deal with a continuous presence of paganism inside Christianity, not as some kind of alien entity but as an integral part of its intellectual fabric.“ (29) Der innere Kern der Hardcore- Anthroposophen dagegen kreist ausschließlich um sich selbst, streitet auch mit seinesgleichen und umgeht jegliche echte Diskussion. Eine widerständige penetrante Verachtung der umgebenden Gegenwarts- Kultur ist in diesen Kreisen endemisch, ebenso wie der kollektive Narzissmus. Der Kern dieser Szene funktioniert wie eine Sekte. Das prägende Kollektiv hat seine eigenen Verlage, Zeitschriften und Email- Blättchen, die sich ihre AutorInnen aussuchen können und unbotmäßige Beiträge oft mit Verbannung ahnden. Aber das Kollektiv hat auch echte Arbeitsplätze zu vergeben, die sich meist rund um die großen Konzerne herum finden. Es gibt hier also auch echte Karrieren zu verteidigen. Aber dieser „Untergrund der Anthroposophie“ tobt sich natürlich am meisten in den sozialen Netzwerken aus, oft und gerne im Verbund mit rechten Kreisen, Astrologen, Homöopathen, Corona- Kritikern und anti- liberalen Kreisen. Die anthroposophische Blase mit ihren spezifischen „Friedensforschern“, Russland- Verstehern, Regierungs- Kritikern und YouTube- Predigern hat neben ihrem anti- rationalen, recht kleinen Kern heute ein erstaunlich großes Publikum, das sie mit dem Mix aus esoterischem Wortgeklingel, politischer Diffamierung und spekulativen Deutungen des Zeitgeschehens gewinnen kann. Im Kern stimmt die Botschaft mit den apokalyptischen Szenarien des Traditionalismus voll und ganz überein. An diesem Punkt trifft sie sich erstaunlicherweise mit den Erben Crowleys, der im Rahmen des italienischen Faschismus seine anti- traditionelle, rationale Magie weiter gegeben hatte an Aktivisten, die sich als Spiritualisten verstanden, aber ihren Beitrag vor allem in einer Zerstörung des Liberalismus sahen (30). Es ist sehr zu bezweifeln, dass sich Aleister Crowley als Hedonist, Konservativer und Liberaler in einem solchen ideologischen Ambiente jemals heimisch gefühlt hätte. 


_________________________Hinweise 


1 Richard Kaczynski, „Perdurabo, Revised and Expanded Edition: The Life of Aleister Crowley“, North Atlantic Books 2012 o.S.

2 Marco Pasi, „Varieties of Magical Experience: Aleister Crowley’s Views on Occult Practice“, in Magic, Ritual, and Witchcraft (Winter 2011), University of Pennsylvania Press https://www.academia.edu/1432705/Varieties_of_Magical_Experience_Aleister_Crowleys_Views_on_Occult_Practice

3 Jost Schieren, „Die Wissenschaftlichkeit der Anthroposophie“, Rose, Volume 2 Number 2 pp. 99-108, December 2011 https://www.rosejourn.com/index.php/rose/article/viewFile/78/105

4 Tobias Churton, Aleister Crowley: The Beast in Berlin. Art, Sex and Magick in the Weimar Republic

5 „..to know what was really happening in Germany, intelligence he could convey to Lt. Col. John Fillis Carré Carter, head of England’s “Special Branch” or police interface with MI5. Crowley enjoyed a discreet arrangement with Carter, code-named “Nick,” the full extent of which is now lost to us; it was never intended to enter recorded history.“ In 4

6 https://strangeflowers.wordpress.com/2014/10/13/places-crowleys-berlin/

7 Churton, S. 13

8 „Crowley’s life record now picks up another theme involved in his decision to go to Berlin in 1930. Crowley believed the gods intended him to take control of Annie Besant’s worldwide Theosophical Society. He recognized that the long-standing attempt by the Esoteric Branch of Annie Besant’s dominant Theosophical Society to foist Indian boy (now adult) Jiddu Krishnamurti on the world as the avatar of the Christ Principle and World Teacher (through their Order of the Star) was crumbling, as Crowley had long predicted. The now thirty-four-year-old sage Krishnamurti was breaking with Liberal Catholic Church Bishop Leadbeater and Besant’s entire Theosophical leadership.“ Churton, S. 20

9 Churton, S. 169

10 Churton, S. 174

11 „What Einstein and Schrödinger and Planck and others were thinking was whether the former “above” was now comprehensible as Mind, and therefore intelligibility, in the universe, so that Man held an instant of a universal, dynamic consciousness. Crowley’s view was that the New Physicists were simply reviving the initiated magical view of the universe, reaching by mathematics what could be reached by yoga, just as psychology was reviving magical conceptions that could be reached by magical prayer.“ Churton S. 175

12 „Isherwood, as he himself confessed, was a “camera,” reflecting what he saw, an English New Objectivist. He would reflect in later years that perhaps the essence of Crowley’s enigma was that really, Crowley did not believe in anything at all, not even, perhaps, himself. This is what comes from being a camera. Isherwood could not envision that Crowley’s extreme skepticism was the door to his system.“ Churton, S. 315

13 „By contrast to people of similar reputation (like Rudolf Steiner, whose works look like an actor’s or the world famous Miss Annie Besant with her lion’s head and clergyman’s pathos, or her official “world savior” Krishnamurti: a child sentenced to a fine kitsch entertainment) Crowley seems almost sedately bourgeois.“ Churton, S. 274

14 Churton, S. 328

15 Churton, S. 341

16 R Steiner, GA 162.239

17 Hella Wiesberger, Rudolf Steiners esoterische Lehrtätigkeit, Dornach 1997, S. 29f

18 Wiesberger, S. 35

19 Steiner in einem Brief an Hübbe - Schleiden 1902, nach Wiesberger, S. 36

20 Wiesberger, S. 39f

21 Wiesberger, S. 74f

22 Rudolf Steiner bei der Generalversammlung der theosophischen Sektion der TS in Berlin 1903, nach Wiesberger, S. 94

23 Steiner in einem Brief an von Rivers, 9.1.1905, GA 262

24 Steiner in GA 53, 13.10.1904

25 Steiner in GA 117, 26.12.1909

26 Steiner in „Was in der Anthroposophischen Gesellschaft vorgeht“, Nr 35, 1.9.1974

27 Steiner in GA 109, 14.06.1909

28 Steiner in GA 158, 11.04.1912

29 Hanegraaff im Vorwort zu „Aleister Crowley and Western Esotericism,“ Edited and introduced by HENRIK BOGDAN AND MARTIN P. STARR Foreword by WOUTER J. HANEGRAAFF

30 https://egoistenblog.blogspot.com/2020/12/magischer-traditionalismus-und.html


Der anthroposophische Flurfunk oder: Weiche von mir, Satan!

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Je weiter entfernt man ist, desto besser hört man ihn, den Flurfunk, sagt der anthroposophische Volksmund. Aber der sagt natürlich viel, wenn der Tag lang ist. Schon zu Rudolf Steiners Zeiten verstand das Volk am liebsten Affären, Brände, Jesuiten- Verschwörungen und karmische Denunziationen. Damals gab es ja auch noch kein Netflix. Das anthroposophische Völkchen an sich gibt sich am liebsten frömmelnd, ist aber, wenn eine Saalschlacht ideologischer Art (für Wahrheitssucher) stattfindet, sofort dabei. Was nicht in den Kram passt, wird einfach ignoriert, notfalls ein oder zwei Inkarnationen lang. Man hat ja Zeit. Man sitzt am längeren Hebel. Priesterliche Zeiträume sind anders bemessen als die Stunde der Materialisten. 

Und überhaupt, vor den Augen der Ewigkeit, der Kontinuität, der karmischen Prozesse, was sind schon die Aufregungen des Tages- Geschehens? Das Anschwellen der öffentlichen Meinungen? Notfalls flüchtet sich der anthroposophische Exzentriker, nachdem er in den Flur “Merkel- Diktatur!” oder “Masken- Terror” oder “Corona- Verschwörung!” gerufen hat, einfach in die exklusive Einsamkeit des achtsamen Esoterikers, die schon Rudolf Steiner immer wieder beschworen hat. 

Wobei, um genau zu sein, finden sich beim Meister, wie üblich, zweierlei Maßstäbe. Denn es gibt bei ihm die exklusive Einsamkeit des edlen Esoterikers, der allein vor der endlosen Wahrheit des Kosmos steht- aber auch die Einsamkeit, die durch die profane materialistische Gegenwartskultur verursacht wird. Das muss man schon unterscheiden. 

Da sind sie, die Initiierten und ihre Schülerschar, vor den Augen der kosmischen Weite stehend, in dem Empfinden: “Wenn man da hinüberkommt, wenn man diesen Sprung getan hat und weiß: dies bist du nun, das schaust du an wie früher eine Pflanze oder einen Stein –, dann hat man zunächst ein Gefühl, von dem man sagen kann, es wird wohl keinem zu Initiierenden auf den ersten Stufen erspart bleiben; es ist die Empfindung: Nun bist du in der übersinnlichen Welt, da breitet sie sich aus, ins Unendliche hin. Man kann nicht einmal sagen «nach allen Seiten», denn sie hat viel mehr Seiten und auch ganz andere Dimensionen als die gewöhnliche Welt. Aber man ist allein drinnen. Man ist mit seinem Leben im Astralleibe drinnen – und überall die Welt, unendliche Ausbreitung, nirgends ein Wesen, man selbst allein! Und es überkommt einen, was man nennen kann: das seelisch höchst gesteigerte Einsamkeitsgefühl.”. (1)  

Während die Widersacher, die materialistischen Proleten, von derlei Gefühlslagen nur träumen können, und möglicherweise gar nicht mitbekommen haben, dass sie durch S- Bahn und PKWs bereits zu Eremiten der Moderne geworden sind: “Die modernen Verkehrsverhältnisse bringen die Menschen so zueinander, das im Grunde genommen Verhältnisse, die sich auf einen Schlag bilden, gar nicht zum Heil sein können. So treten durch diese ganzen modernen Verkehrsverhältnisse die Menschen viel, viel unpersönlicher einander in der Welt entgegen. Darauf hin ist auch die Menschheit organisiert, die nun nicht fertig mitbekommt Gemüt, das schlagkräftig wirkt, nicht fertig mitbekommt Verstand, der durchdringend wirkt, sondern durch die Bewusstseinsseele ausgebildet, ich möchte sagen, etwas viel Abgesonderteres, Individuelleres, mehr auf den Egoismus hin, auf die menschliche Einsamkeit im eigenen Leibe hin Organisiertes mitbekommt, als Verstandes- oder Gemütsseele es waren. Durch die Bewusstseinsseele ist der Mensch viel mehr ein einzelnes Individuum, ein Einsiedler, der durch die Welt wandelt, als er es war durch die Verstandes- oder Gemütsseele. Und das ist auch das wichtigste Charakteristikum schon geworden für unsere Zeit und wird es immer mehr und mehr werden, das sich die Menschen in sich abschließen werden. Die Bewusstseinsseele gibt den Charakter des Sich- Abschließens von der übrigen Menschheit, des mehr Isoliert-Lebens. Daher macht es größere Schwierigkeit, mit dem anderen bekannt und namentlich vertraut zu werden; es bedarf erst der Verhältnisse eines umständlichen Kennen-Lernens, um mit dem anderen vertraut zu werden.” (2) 

Aber Schluss mit den Zitaten, ich weiß, Sie hassen das, Sie wollten anthroposophischen Flurfunk. Dazu gehört natürlich, dass sich Anthroposophen auch gern gegenseitig in die Einsamkeit verbannen. “Du gehörst nicht dazu” ist das anthroposophische Mantra der gegenseitigen ultimativen Bestrafung. Ich selbst bin diesen Mechanismus der sozialen Ausgrenzung als chronischer Kritiker und Nestbeschmutzer seit Jahrzehnten gewöhnt, und reagiere amüsiert bis erstaunt, wenn ich bemerke, dass die sektiererischen Reflexe immer noch angewendet werden, und zwar völlig unverändert. Nun, in Corona- Zeiten findet das Ritual der zelebrierten Ausgrenzung im Eis, das früher Inuit mit den zu alt gewordenen Dorfbewohnern anstellten, wenn diese nicht mehr zum Robbenfangen zu gebrauchen waren, natürlich bei Facebook statt. 

Der Rahmen, der uns gerade interessiert, ist ein weiterer Beitrag der Dornacher Eurythmistin Gisela (Name verändert) die - doch für Außenstehende etwas überraschend- von dem anthroposophischen Credo ausgeht, dass Leiden an sich für den Menschen gut ist, da er sich daran entwickelt und sein Karma verbessert. Würde man Leiden abschaffen - wie auch immer- würde man dem materialistischen Teufel Ahriman in die Hände spielen, weil dieser damit die Menschen ohne weitere Entwicklung an die Erde fesseln könnte, wo er mit ihnen seine teuflischen Spiele treiben könnte: Dem Stoff sich verschreiben, heißt Seelen zerreiben, war ja schon Credo des Meisters. Gisela ist jedenfalls der Meinung, dass gerade die Corona- Impfstoffe der mRNA- Kategorie Ahriman in die Hände spielen würden, weil sie erfolgreich sein würden. Man könnte ja nicht nur das Corona- Virus damit bekämpfen, sondern, per Neu- Programmierung der Impf- Attacke, praktisch jede Krankheit, und damit das menschliche Leiden ausrotten. Das darf nicht sein! So schreibt Gisela: “mRNA-Impfstoffe sind nach bisheriger Kenntnis nicht gefährlich, weil sie dem Leib schaden. Sie sind – anders als die meisten Anthroposophen bislang denken – gerade deshalb gefährlich, weil sie dem Leib möglicherweise NICHT schaden. Aber das Impfprinzip kann noch mehr. Man kann sich diesen Impfstoff vorstellen wie die Erfindung des Autos: wenn es einmal da ist, kann jeder, der weiss wie man ein Auto bedient, in dieses einsteigen und fahren, wohin er will. Begrenzt wird er lediglich durch die Besitzverhältnisse, nicht jedoch durch die Technik des Autos. Gleiches gilt für die Technik des mRNA-Impfstoffes: nachdem sie einmal da ist und unbedenklich zu sein scheint, kann man alles mögliche damit losschicken, denn der Fahrer ist austauschbar, solange er weiss, wie Fahren funktioniert. Die Folge wird sein, dass alle Viruserkrankungen – egal, um welche es sich handelt – über kurz oder lang als Erkrankungsmöglichkeiten aus der Welt der Menschen verschwinden werden, denn man benutzt einfach diesen Impfstoff, packt ihn mit neuen Informationen voll – und schon ist die Möglichkeit besiegt, dass der Mensch krank werden und damit sich entwickeln könnte.

D.h.: die eigentliche Gefahr ist nicht, dass dieser Impfstoff NICHT WIRKT oder Nebenwirkungen hat. Die eigentliche Gefahr ist, dass er WIRKT und in der Zukunft als Technologie verwendet werden kann, um eine ganze grosse Gruppe von Krankheiten aus der Menschheit ausrotten zu können. Damit ist ein wesentlicher Schritt erreicht, der Menschheit die Möglichkeit zur eigenen Weiterentwicklung zu nehmen.” (3)

Im Kommentarteil betreibt ein dänischer Astrologe - L. T. S.* - die rituelle Verdammung der ungläubigen Neo- Anthroposophen: “Und deshalb: Ja wenn ich mir die Argumentation eines Michael Eggert anschaut der nicht einmal weiss, dass Ahriman schon seit Galillei Teil unserer modernen naturwissenschaftlichen Denken ist , und der für einer Art "verschwörungsfreien" mainstream- Kunden-Anthroposophie wirbt (no bullshit genannt), als ob es nicht in der Geschichte immer Verschwörungen gegeben hat und als ob nicht gerade Steiner der erste Verschwörungstheoretiker war, dann werde ich von der Urteilsfähigkeit deiner Jünger nicht gerade überzeugt 🙂 Okay, Lassen wir das dann, diese Leute zu erwähnen. Du bist ihnen sowieso weit überlegen.” Dagegen meint Gisela delikat: “Und ja - ich hoffe eigentlich nicht, dass Michael Eggert meinen "Fanclub" bevölkert. Ich wusste noch nicht einmal, dass ich einen solchen habe. Ich weiss auch wohl, dass zumindest 2 der 3 genannten Herren sich durchaus gelegentlich deutlich bis überdeutlich mit Kritik an meinem Vorgehen und Schreiben hervortun. Warum die jetzt plötzlich mein Fanclub sind? Da weisst Du wohl mehr als ich.” (3) So sind sie nun einmal, die anthroposophischen edlen Gemüter, die schon weiter entwickelt und uns Sterblichen daher überlegen sind. Man kann an ihnen sowohl die Steiner- Variante der Einsamkeit entdecken, die den modernen Narzissmus beinhaltet (ich allein vor der Ewigkeit), als auch die, dass man diese Leute ihren Weg durch den Kosmos mit dem entfernten Interesse eines neutralen Beobachters ziehen sieht. Da gehen sie hin, und kreisen um sich selbst. Sie fürchten das Ende der Leiden der Menschheit, mitten in einer Pandemie. 

Aber narzisstische Einsamkeit geht natürlich auch anders, sagt der Flurfunk. Nehmen wir doch einfach mal die anthroposophischen Schauungen und Gewissheiten. Jeremy Smith zum Beispiel hatte neulich eine solche Intuition und WUSSTE danach einfach, dass die anthroposophische Architektin, Spiritualistin, Eingeweihte und Sprachrohr der Meister und Rudolf Steiners, die seit Jahren stigmatisiert ist, blutet, aber durch wundersame geistige Kräfte am Leben erhalten wird, Judith von Halle, die Reinkarnation von Rudolf Steiners Meisterschülerin Edith Maryon ist. Er wusste das aus eigener Eingebung, obwohl es auch Frau von Halle mit einiger Penetranz bereits seit zehn Jahren immer wieder nahe legt, platziert und andeutet. Von Halle legitimiert damit eine Art Sonderrolle innerhalb der anthroposophischen Bewegung, die Außenstehenden bizarr erscheinen mag, aber innerhalb der ausgetrockneten, verwaisten, nahezu bankrotten anthroposophischen Gesellschaft wie Manna vom Himmel regnen muss. Völlig egal, ob es Unsinn ist. Judith von Halle bringt Leben in die Bude, beschwört die alten Legenden, hat Visionen ohne Ende, sammelt Geld, publiziert wieder geile Sachen über Meister und schwarze Magier. Jeremy Smith ist nun endlich (4) auch überzeugt, nach seinen Jahren als englischer Brexit- Fan und dem leidvollen Abwickeln britischer Waldorfschulen, die Stück für Stück von den Schulbehörden geschlossen worden waren, meistens wegen Verfehlung von Aufsicht, Sicherheit der Schüler und Mangel an relevanten schulischen Inhalten. 

Die alten Kritiken des im übrigen verstorbenen Ex- Vorstandes Sergei Prokofieff, der Judith von Halle für ein Fake- Phänomen hielt, eine Hochstaplerin mit visionär- hypnotischen Ausnahme- Zuständen, müssen uns nicht mehr interessieren. Wir WISSEN jetzt, wie Judith von Halle WEISS, dass es, anthroposophisch gesehen, kurz vor Zwölf ist, das Glöcklein hat geschlagen, die Kritiker sollen doch in ihre materialistische Einsamkeit flüchten. Prokofieff jedenfalls konnte niemand ausstehen, nicht einmal sein Kollege und Vorstands- Nachfolger Peter Selg: “In his memorial address for Prokofieff given on 29 July 2014, Peter Selg described him as “this most inwardly faithful pupil of Rudolf Steiner and protector of his new revelation of Christ.” It is abundantly clear from Prokofieff’s writings and actions that he idolised Rudolf Steiner and that he wanted to be just like his eminent teacher. Like Steiner, Prokofieff was a prolific writer and lecturer dealing with profound esoteric matters. But I take leave to doubt whether Prokofieff was a high initiate in the same mould as Steiner himself.

In his remarks at the memorial gathering, Selg clearly did not feel it appropriate to make any reference to the controversies surrounding Prokofieff’s interpretations of Steiner’s teachings, nor his attacks on Judith von Halle. He did manage, however, to imply that Prokofieff was not always an easy colleague, recalling that: “In 2001 he was finally called to Dornach to join the Executive Council at the Goetheanum. Looking back on his life in personal conversations, he expressed repeatedly that he should have been called to the Executive Council by 1994 at the very latest so he could work intensely in Dornach for the ‘payment of the debt owed’ to Rudolf Steiner and for the culmination.” (The ‘culmination’ refers to Steiner’s expectation that anthroposophy would be transformed in such a way that it would enter significantly into the global scene of the 21st century as a world-changing creative power.)” (4)

Und so war nun auch Jeremy Smith innerlich bereit zu konvertieren und Anhänger der stigmatisierenden Visionärin zu werden: “I would like to say something now about my own feelings concerning Judith von Halle. Up until fairly recently, I had stayed away from the controversies surrounding her and the attacks mounted on her by Prokofieff and others such as T.H. Meyer and Mieke Mossmuller. Then I read a book called The Representative of Humanity – Between Lucifer and Ahriman by Judith von Halle and the late John Wilkes, about the unfinished wooden sculpture by Rudolf Steiner and Edith Maryon, which is today exhibited at the Goetheanum.

As I read this book, I was seized by an absolute certainty of knowing that Judith von Halle in her previous life had been Edith Maryon. How can one explain these things? I just knew.” (4)

Dagegen ist wenig zu sagen. Wer weiß, der will es wissen. Natürlich kommen solche Gewissheiten öfters dann, wenn es einem gerade in den Kram passt. So mancher hat schon gemurmelt, dass er/ sie wusste, dass sie mit ihm/ihr zusammen gehört, aber am nächsten Morgen sah die Sache ganz anders aus. Anthroposophen haben bei solchen Gelegenheiten praktischerweise immer noch das Karma in der Hinterhand. Aber was ist das? Wir lästern schon wieder. Wir zweifeln. Es ist kein Wunder, dass wir rituell verstoßen werden, wie der Inuit- Mann, der dem Flurfunk im Weg stand, während die blutende Stigmatisierte Ahriman die Tür wies, der gerade mit einer Corona- Impfung in der Hand Richtung Goetheanum laufen wollte. Weiche von mir, Satan! 

Anmerkung und Verweis_______________________


1 Rudolf Steiner, 138.79f

2 Rudolf Steiner, 168.94f

3 Gisela (Pseudonym): MENSCHHEITSKARMA und IMPFUNGEN in diversen Facebook- Foren oder in ihrem Account (Link gelöscht, Titel verändert) 

4 https://anthropopper.com/2021/02/07/sergei-prokofieff-judith-von-halle-and-the-representative-of-humanity/

* Namen auf Wunsch von Frau H. abgekürzt

Über die Einsamkeit. Zwischen Warhol, Crowley, Zen- Buddhismus und Rudolf Steiner

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Pandemie

Mit schlechtem Gewissen denke ich daran, dass ich mich hierhin und dorthin nur lustlos geschlichen habe. Mit schlechtem Gewissen daran denken, dass ich dich und den und die nur ungern besucht oder empfangen habe. Dass ich Feste gehasst und zumindest gemieden habe. Dass ich gelästert habe über Leute, die hier und da und dann und wann unbedingt feiern mussten. Vorbei.

Daran denken, wie lästig manche Rituale und jährlichen Feste gewesen sind, mit diesen Leuten in diesem Dorf unter dem Baum, zum Beispiel. Oder dieser Geburtstag, der immer so und so ausfiel, mit Leuten, die ich sonst das ganze Jahr nicht sah, und sie mich auch nicht. Immer diese Gesichter. Immer diese Gespräche. Selbst die Statusfragen, das Gebalze, die Erfolgs- Notizen: alles vorbei. Was man alles vermisst. 

Meine Tage sind wie deine Tage. Gerade schauen wir in den Schnee. Wir haben selten so ausführlich und andauernd gekocht. Was ich alles vermisse. Den Duft der Restaurants, das Zwielicht und das verheißungsvolle Zischen der Töpfe, das Klappern des Bestecks, das Erhaschen von Bruchstücken der Gespräche an den Tischen im Umkreis. Manchmal entstanden in der Vorstellung Biografien, Beziehungen, Familien- Geschichten. Manches vielleicht nur Fantasie. Manches vielleicht nur entstanden aus unserem kollektiven Hang zu Geschichten, Zusammenhängen, Legenden, Archetypen.  

Und die stereotypen Wege durch die Stadt. Natürlich kann ich sie immer noch gehen, aber wozu? Die Straßen sind verwaist, die Geschäfte geschlossen, es weht ein gespenstischer Wind, und du kannst nirgends einkehren. Es ging nicht um das Gehen, nicht um das Ritual, sondern um die Pausen dazwischen. Die Pause vor der Heinrich- Heine- Buchhandlung, zum Beispiel, oder ein kleiner Einkauf im Gewürzlädchen in der Altstadt, eine Runde um den Apple- Laden, zu den schwarzen Schwänen am Weiher, und danach an den schönen Schuh- Geschäften ins Schaufenster schauen. Der Weg durch die Menge, manchmal ein richtiger Strom, vor allem am späten Freitag. Die bekannte Konditorei, um für dich oder kommende Besucher etwas Süßes zu besorgen. Beim Metzger in die Schlange einreihen, und einen Blick werfen ins Angebot des Fotografen. Weißt du noch, als die Kinder klein waren, gingen wir hier hoch, um die Windel zu wechseln und etwas im Bio- Laden zu kaufen. Nein, der war oben. Direkt neben dem Geld- Automaten. Weißt du nicht mehr? 

Was wird überleben? Ich glaube, der Asiate ist schon weg. Manche Gaststätten sollen einfach aufgegeben worden sein, ohne Kündigung und Räumung. Kannst du dir das vorstellen? Die Mieten sind ein Wahnsinn, vor allem hier in der City. Nein, wir gehen heute nirgendwo hin. Ich starre aus dem Fenster, ins Schneetreiben. Selbst Schnee fühlt sich anders an, wenn Pandemie ist. Manchmal lädt er ein, jetzt baut er Hürden auf.    


Die einsame Stadt

Überleben wird dieses Gefühl der Einsamkeit. Ein Jahr lang diese Orte, diese Freunde kaum oder gar nicht besucht, die Familie wenig gesehen, die fernen Verwandten, die Veranstaltungen, die Konzerte, die schwitzigen, irren Rock´n´ Roll- Events, in denen einem wildfremde Leute, betrunken tanzend, unversehens in die Arme fielen, die man wieder aufstellt, damit sie weiter machten, als wäre nichts geschehen. In diesem Augenblick vermisse ich sogar die Augenblicke in der überfüllten Bahn von der Stadt nach Hause, in der eine Masse von Körpern, die mit dem Waggon im Takt der Schienen schwankte, versuchte, von der Nähe der Anderen nicht indigniert zu sein. Ich vermisse die Abende in der Altstadt, an denen man gerade noch einen Tisch erwischt hatte, unter dem die Tauben ohne Pause zu picken versuchten, auf denen die Getränke und die Sauce des chinesischen Essens schwappte, an dem sich eine nicht enden wollende Menge von Menschen in allen Stadien der individualisierten Bekleidung, Behaarung und Tätowierung vorbei schob und einen anstarrte, auf den Teller schaute. 

Natürlich ist das Unglück steigerungsfähig. Es ist nur eine Pandemie, kein Krieg. Es ist keine finale Erkrankung, und auch keine, die uns - wie in Oliver Sacks Buch (1) über die Europäische Schlafkrankheit nach 1916 und ihre Folgen geschildert- in einen Locked-In- Zustand befördert, in dem wir Jahre - oder Jahrzehnte lang nach der Infektion nur gelähmt starren können, ohne ein Glied zu rühren. Es geht immer schlimmer.  

Nehmen wir zum Beispiel Olivia Laing, die in The Lonely City: Adventures in the Art of Being Alone (2) schildert, wie sie in der Erwartung von Großbritannien nach New York zieht, zu heiraten und eine erste gemeinsame Wohnung zu beziehen; sie, die hinter sich die Brücken abgerissen, die eigene Wohnung aufgegeben und ihre Habseligkeiten weg gegeben hat. Aber noch bevor sie ankommt, wird klar, dass ihr Partner die Hochzeit, ja die Beziehung aufgibt und fort ist. Die Erzählerin findet sich allein in der Wohnung wieder, in einer Stadt, die sie nicht kennt und in der sie keinen einzigen Bekannten hat. Zudem stürzen nun, in der Krise, Identitätsfragen auf sie ein: Wie queer ist sie? Musste nicht alles schief gehen bei einer wie ihr, die von einem lesbischen Paar groß gezogen worden ist, die manchmal wünschte, ein Junge zu sein, ein schwuler Mann, um genau zu sein? Wie tief ist die Einsamkeit, wenn die Identität zwischen den Finger davon rinnt- oder zumindest erschüttert ist? 

Laing kostet die Einsamkeit aus bis zur Neige, benutzt sie aber auch, um sich in Archiven, Ausstellungen, bei Sammlern und in Museen auf die Suche zu machen nach anderen Künstlern, die diese Stadt und die queere Identität umgetrieben hat: Warhol als der vielleicht Prominenteste voran. Aber parallel zu den biografischen Notizen und Recherchen vermisst Laing auch stets die eigene Einsamkeit, die ihr wie eine voran schreitende Krankheit erscheint: “What does it feel like to be lonely? It feels like being hungry: like being hungry when everyone around you is readying for a feast. It feels shameful and alarming, and over time these feelings radiate outwards, making the lonely person increasingly isolated, increasingly estranged. It hurts, in the way that feelings do, and it also has physical consequences that take place invisibly, inside the closed compartments of the body. It advances, is what I’m trying to say, cold as ice and clear as glass, enclosing and engulfing.” (3)


Einsamkeit, Stigmatisierung und Tod

Die Einsamkeit gräbt sich in die Züge, die Gestalt und die Bewegungen ein, ein andauernder Hunger: Eine Verfremdung der Person, als gefriere sie allmählich. Und tatsächlich wird man sich nur mit Mühe bewusst, wie viel davon abhängt: von diesem grundlegenden Bedürfnis, gesehen, angenommen, im besten Fall vom Geliebten angeblickt zu werden: “Almost as soon as I arrived, I was aware of a gathering anxiety around the question of visibility. I wanted to be seen, taken in and accepted, the way one is by a lover’s approving gaze.” (3) Ich erinnere mich an die Betrachtungen von Jonathan Cole (1998) über das Gesicht (4); eigentlich über den Verlust des Gesichts, etwa im Zusammenhang mit einem Schlaganfall- und über die sozialen Konsequenzen, wenn das Gesicht nicht mehr mimisch spricht: Wie sehr wir abhängig sind von einem andauernden sozialen Feedback, und welche verheerenden Auswirkungen das anhaltende mimische Schweigen für die/den Einzelne(n) hat. Das Resultat des ausbleibenden Feedbacks reicht von Irritation bis zur völligen Entfremdung: Die Nicht- Reaktion wird fast immer als Ablehnung gedeutet. 

Ähnlich, ganz offenbar, die sozialen Reaktionen auf die Einsamkeit. Laing hat die Erfahrung gemacht, dass weder bemühte Empathie der Anderen (sofern jemand diese Mühe aufzubringen bereit sein sollte) noch das eigene Ausdrucksvermögen hinreichen, die Einsamkeit als solche zu beschreiben oder nur sprachlich zu umreissen: “‘Loneliness, in its quintessential form, is of a nature that is incommunicable by the one who suffers it. Nor, unlike other non-communicable emotional experiences, can it be shared via empathy.” (3), wodurch sie zu einem Tabu wird, einem mit Scham besetzten intimen, unteilbaren Aspekt des Ich- ein Tabu, das sich selbst verstärkt in einem Teufelskreis der Isolation. 

Die einsame Person zieht negative Reaktionen geradezu an.



Es ist aber auch möglich, dass aus der Masse der Einsamen immer wieder Individualisten in einer Übersprungs- Handlung gerade aus ihrer Isolation den Anlauf, die Energie gewinnen, kreative künstlerische Leistungen zu vollbringen. Eigentlich umkreist Laing genau diese Persönlichkeiten, darunter auch Klaus Nomi, der Anfang der 80er, Ende der 70er trotz seines queeren und sehr deutschen Auftretens ein Star gewesen ist, dann aber aufgrund seiner AIDS Erkrankung geradezu geächtet verstarb: “The story of Nomi’s short life haunted me. To resist loneliness, to make a joyous art of difference, and then to die in such profoundly isolating circumstances seemed brutally unfair, though it would soon be a common experience in the world he had inhabited. What did it mean to have AIDS at that time, when diagnosis was an almost certain death sentence? It meant being perceived as a monster, an object of terror even to medical personnel.” (6) Eine einsame Persönlichkeit wie Nomi, die sich aufgelehnt hat gegen das scheinbar prädestinierte Schicksal, wurde wie in einem bösen, sarkastischen Märchen von dieser Krankheit nicht nur eingeholt, sondern determiniert: AIDS stellte zu dieser Zeit das ultimative gesellschaftliche Stigma dar: “To make matters worse, the act of being closeted, of needing to conceal a stigmatized identity, is also stressful and isolating, and is likewise associated with a lower T cell count and consequently a greater susceptibility to AIDS-related infections. In short, being stigmatised is not just lonely, or humiliating, or shameful; it also kills.” (6)


Die Liebenden und die Dämonen

Im Verbund mit einer solchen Krankheit, die zusätzliche Stigmata über eine bestehende Einsamkeit verhängt, kann die Gesundheit sich final auflösen, Persönlichkeits- Strukturen können sich verhärten, die Isolation kann einen verheerend toxischen Charakter annehmen. Die Schicksale am Rande der Gesellschaft, mitten in der City, manchmal auch mitten im Ruhm, auf der Höhe extremer Lebenslust, oder auch in einem Wahn gefangen, lotet Laing aus. Die Extreme ähneln in manchen Aspekten den Bedingungen einer Pandemie mit ihren kollektiven sozialen Beschränkungen, die ein Sinnbild der Einsamkeit nicht nur darstellen, sondern tatsächlich die soziale Isolation begünstigen. Kinder wachsen ohne einen Teil der Eltern auf, ohne andere Kinder, Sterbende müssen ohne Angehörige ihre letzten Tage verbringen, Liebende sind durch Ländergrenzen getrennt. Eine gesellschaftlich verhängte Entwurzelung für Viele- eine bislang nur für Kriegszeiten vorstellbare Zumutung. Das Besondere aber ist, dass die Zuspitzung jeden Augenblick möglich ist: Plötzlich wird das Betreten eines Aufzugs zur fragwürdigen Angelegenheit, die spontane Gebärde eines Kindes erscheint gefährlich, der Handschlag wird selbst den engsten Freunden gegenüber unmöglich. 

Aber natürlich kann die Existenz- Frage, das Anklopfen an der existentiellen Pforte der Einsamkeit, ja des Person- Seins, auch in eine ganz andere Richtung gehen. Hier betreten wir den Boden des Magischen, gern und ausführlich, weil er gut ausgeleuchtet, beschrieben und erforscht ist, vom Großmeister 666, dem Biest selbst, Aleister Crowley. In einem Sammelband (7) betrachten aktuelle Western- Esoterik- Forscher seine Person und sein Wirken. Wir greifen eine Betrachtung heraus, in der es um die magische Praxis Crowleys geht, um sein Spiel mit Homosexualität, sexuellen Rollen, aber auch religiöser Herkunft, Identität, und der Rebellion dagegen. Owen versucht aufzuzeigen, wie viel von Crowleys Dämonologie aus dem Kontext der Zeit abzuleiten ist- etwa aus der gebrochenen Identität in der Folge von Psychoanalyse, aber auch umlaufenden Bestsellern wie Robert Louis Stevensons “Dr. Jekyll and Mr. Hyde” (8) aus dem Jahr 1886. Letzteres beschreibt ein geteiltes Selbst, wobei ein unbescholtener Arzt durch Einnahme einer Droge Zugang erhält zu einem zweiten, ihm moralisch unterlegenen Selbst, das die dunklen Neigungen ungehemmt auslebt- eine Art Faust- Pakt verbindet die zwei Seiten, wobei der Aspekt des hellen, bewussten, integren Selbst zunehmend schwächer wird und sogar stirbt.     


Der Meister und die Macht

Diese unbewusste Seite des Selbst, die Schattenseite der gebrochenen Identität, wird vom Magier in der Nachfolge Crowleys emanzipiert, und zwar schon zu Zeiten der ursprünglichen rituellen Variante, dem “Golden Dawn”:

The founding of the Order of the Golden Dawn coincided with and, I would argue, directly addressed these contemporary concerns... the occult revival centrally involved practices such as astral travel, or that advanced magical practice taught adepts how to develop a second magical self that could conduct lengthy forays into worlds that were conceived as simultaneously inner and outer.” (7) Dabei werden nicht nur inspirierende, sondern evozierte “Mächte” wie in ein Äußeres projiziert; sie erscheinen durchaus nicht nur als inner- psychische Phänomene, und sie sprechen auch nicht nur die Imagination an, sondern sind wirk- fähig: “But while these exercises can be interpreted as remarkable and sustained explorations of the psyche, late nineteenth- and early twentieth-century magicians were not concerned with theorizing the mind. They were absorbed in the magical enterprise, and their conceptual grasp of the endeavor was expressed in these terms. Magicians certainly understood that in pursuing magical knowledge and power they were also undertaking a journey within, but they spoke not of psyche but of Planes and Aethyrs.” (7) 

Es ging und geht in der magischen Praxis letztlich um Kontrolle und Macht, nicht um eine Reflexion der theoretischen Grenzen von Innen und Außen, von Ich und Welt:  “Magical practice was dedicated to understanding and gaining control of these planes, and adepts were not overly concerned with whether or not such realms had an objective or subjective existence. What mattered was that the magical enterprise could be shared with and verifed by other magicians, and its authenticity was judged by the success of the desired outcome. The absolute reality of the experience was accepted without question.” (7) Letztlich verifiziert sich die magische Erfahrung durch Faktizität, nicht Theorie oder Spekulation. Gesucht wird die Sprengkraft einer magischen Persönlichkeit, die die Grenzen des Dualismus so überwunden hat, dass das magische Selbst die Kräfte des grenzenlosen “Unbewussten” zum Teil seiner selbst gemacht hat und somit beherrscht: Die “clear-sighted and all-powerful magical personality unconnected with the personal self. In this telling, the magus is a magical adept who has glimpsed the full implications of his subjectivity. Gone forever is the limiting and limited understanding of the “I” as the unite center of his universe. He has entered the unconscious and acknowledges the permeability of its boundaries.”(7) Die limitierte Version des Alltags- Ichs scheint damit überwunden. In Crowleys Fall überschritt er dabei auch die Grenzen zwischen den Geschlechtern; seine Bisexualität gab ihm eine Aura der Unwiderstehlichkeit beiden Geschlechtern gegenüber, die er auch häufig zu nutzen verstand: “While Crowley is here articulating the gendered categories of masculinity and femininity in essentialist terms, also an aspect of traditional occult philosophy, he conceives of himself as embodying a beneficial “dual structure”: he is “both at once.” Physical “hermaphroditism” is therefore replicated in terms of gender and represented as giving him the privileged insight of “a complete human being.” Crowley maintained that his “dual structure” enabled him to act in the world and “philosophize” about it with an unusual degree of acuity and success. Furthermore, this “dual structure” extended to Crowley's sexual identity. He was flagrantly bisexual. There was no shortage of women in Crowley's life, and the Crowley mythology paints him as a tender and inventive lover. He was, in fact, prey to powerful and contradictory attitudes toward women, but these remained largely unacknowledged. Crowley believed that he was irresistible and that his success as a heterosexual lover was due to his unique ability to express (an again essentialized) “savage male passion to create” modified by a “feminine” gentleness.” (9)


Das Alter ist eine gute Sache in Bezug auf das Buddha- Bewusstsein

Ganz im Gegensatz zum Magier, der sich selbst im Wüstensand geschaffen hat, als er mit seinem Begleiter ein Initiations- Drama erlebte, in dem es um magische Kreise, Evokation, Vergewaltigung und Grenz- Überschreitung ging, erscheint uns in Joan Tollifson (10) eine durch und durch rationale Person, die aber im 21. Jahrhundert eine moderne Version des ruhmreichen, alten Zen- Buddhismus vorstellt- eine Version, die in ihrer konkreten Banalität die Tradition zu Staub und Sand zerfallen lässt, so wie Aleister Crowley eine neue magische Tradition aus Sand begründete. Tollifson ist um die 70, hat Darmkrebs und vor einiger Zeit ihre Mutter in den Tod begleitet- auch der Titel des Buches verrät ja bereits, dass es um eine Auseinandersetzung mit unserer menschlichen Finalität geht. Tollifson verschweigt nichts, schaut nicht weg, erwartet nichts- nichts, außer “das Juwel” selbst im finalen Elend der Alters- Erscheinungen, im Angesicht des nahenden Todes zu sehen: “And surprisingly, the more closely we tune into the bare actuality, the less substantial it seems, and the more mysterious, unresolvable and extraordinary it reveals itself to be. Pain, whether physical or emotional, becomes more interesting and less frightening, and even if fear arises, that too becomes interesting rather than fearful. Everything reveals the jewel in ever-new ways.” Die nackte Gegenwärtigkeit, das Gewahrwerden auch des Schmerzhaften wird nüchtern als “interessant” wahrgenommen. 

Ja, das hohe Alter habe im Blick auf das Buddha- Bewusstsein nur Vorteile, da man ja bereits wisse, dass man völlig nutzlos sei und dass einem nichts bleibe, an das man sich haften könnte. Der absolute Verlust von allem sei, so versichert uns Tollifson, unser größter Vorteil: “Old age is an adventure in uselessness, loss of control, being nobody and giving up everything. That sounds quite dreadful when we have been conditioned to believe that we must be somebody, that we must strive to get better and better, that our lives must have purpose and meaning, that above all, we must be useful and productive and always doing something and getting somewhere.” (10) Denn wollen wir nicht alle erwachen aus diesem Traum, den wir unser Selbst, unsere Liebsten, die Vergnügungen des Lebens, den Genuss, das gemeinsame Glück nennen? Ist es nicht, vor der Ewigkeit, Buddha und Joan Tollifson betrachtet, das Beste, einfach loszulassen und dem konkreten Jetzt- Hier (wozu künstliche Darmausgänge, Ekzeme, ausgefallene Haare und der letzte Atemzug der 90jährigen Mutter zählen) unsere ganze Hingabe zu schenken? Dabei redet Tollifson nicht einmal von Buddha oder Ewigkeit, sondern nur von sich selbst und vom Augenblick, dem realisierten Jetzt: “To awaken is to recognize the sacred everywhere, to live in devotion to this luminous presence, to wake up again and again from the dream of what we think is happening.” (11) Ja, der Traum. Natürlich gibt es unzählige surreale Konstrukte, die Menschen für Realität halten. Manchmal ein bisschen überdreht, neben der Spur, biografisch gezeichnet, grell determiniert, reduziert auf ein reflexhaftes Geflecht von verbliebenen Beziehungen. In jungen Jahren hochtrabend und erwartungsfroh, in den späten Jahren beschränkt, verbiestert und verbissen. Hier und da gibt es einen kurzen Frühling. Oder sogar eine Schneeschmelze?


Die Zen- Meisterin lässt es laufen

Frau Tollifson jedenfalls behauptet unvermittelt, wir besäßen zwar alle unseren illusionären, selbstbezogenen Verstand, würden aber doch irgendwie zu einer großen gemeinsamen Welle verschmelzen: “Certain patterns and stories are reborn moment to moment, giving rise to an apparently consistent personality. And it seems obvious that our “personal” or “individual” consciousness is not walled off from other “personal” or “individual” streams of consciousness, or from the larger “universal” whole. Remember, these are all words, dividing up the indivisible. Just as no wave in the ocean is walled off from the other waves or from the whole ocean, and just as water moves from one wave to another as the waving movement rolls along, it seems apparent that “my mind” and “your mind” are not really separate.” (11) Tja, irgendwie, irgendwann, irgendwo. Der Tod, behauptet Tollifson, sei jedenfalls so etwas wie ein Aufwach- Prozess, ebenso wie das Leiden. Sie hätte ja auch schon beim Tod ihrer Mutter bemerkt, dass die sich in eine große Welle auflöste. Wir müssten einfach nur mal unseren Drang, alles zu verstehen, aufgeben, dann ergäbe sich das schon von selbst, dieses Wellen- Bewusstsein im Hier und Jetzt: “When we let go of the need to describe and understand, we can melt into simply being what we are—presence itself, Here-Now..” (11). Lass es laufen, Baby, lass es laufen. Frau Tollifson glaubt nicht, dass sie eine Person ist, dass etwas nach dem Tod bestehen bleibt oder sich gar reinkarnieren könne. Sie ist, fürchte ich, ein bisschen zerrissen, denn so sehr alles, sie selbst und ihre tote Mutter eingeschlossen, sich in der imaginierten großen Welle auflösen, nichts von einer Person in sich haben oder behalten, erwischt sich Tollifson im Alter doch dabei, dass sie dauernd im Kopf eine Art Unterhaltung mit der toten Mutter führt. Und, überhaupt, trotz aller ihrer Aussagen über Tod und Sterben, Sein und Nicht- Sein, Illusion und Erwachtsein, sicher ist sie sich dann doch auch nicht so richtig: “Of course, it’s possible that I will be very surprised at the moment of death.” (11) Ja, das ist tatsächlich zu vermuten. 


Salutogenese!

Was hat diese Zen- Meisterin nur all die Jahre getrieben? Warum schreibt sie Bücher über Banalitäten und ausgedachte Zustände? Wie einsam muss man sein, um sich in solcher Pseudo- Esoterik einzurichten und Zeile für Zeile zu füllen mit Aussagen, die sich von Phrasen nicht unterscheiden lassen? Man lobt sich den derben, handfesten Aleister Crowley, der wenigstens ein überaus gut funktionierendes Sex- Leben führte, auch wenn er die jeweiligen Partner selten darüber aufklärte, dass sie sich gerade in eine magischen Handlung befanden. Salutogenese! Salutogenese! Tu Dir was Gutes und sprich nicht darüber! Heilende Kräfte beziehen aus dem Heiligen Akt! Wovon Anthroposophen träumen, was die miesepetrige Tollifson nie zu denken gewagt hätte, Crowley jedenfalls praktizierte es täglich: Sich an den eigenen Haaren selbst aus dem Sumpf zu ziehen. Sich zu inszenieren als Heiliger, Prophet und als das Biest höchstselbst. So geht das Programm. Der Zug in die Wüste, den Crowley 1909 mit seinem Schüler Neuburg unternommen hatte, sollte ein Meilenstein in der Kunst darstellen, aus bloßem Wüstensand eine okkulte Bewegung zu begründen, die bizarre Wandlungen durchlaufen sollte, bis hin zur weltpolitischen Intrige, die ein Alexander Dugin so erfolgreich praktiziert, ja der offensiven Desinformations- Politik der russischen Regierung insgesamt. Von diesen Auswirkungen war 1909 wirklich nichts zu ahnen, als das Magier- Gespann (Neuburg mit rasiertem Kopf, aber zwei empor stehenden Wirbeln, so dass er wie eine Ziege aussah (12)) in die algerische Wüste zog: “In late 1909, two Englishmen, scions of the comfortable middle classes, undertook a journey to Algiers. Aleister Crowley, later to be dubbed “the wickedest man in the world,” was in his early thirties; his companion, Victor Neuburg, had only recently graduated from Cambridge. The stated purpose of the trip was pleasure. Crowley, widely traveled and an experienced mountaineer and big-game hunter, loved North Africa and had personal reasons for wanting to be out of England. Neuburg probably had little say in the matter.” (7) Der weltgewandte, intelligente Crowley war sich bewusst, dass die so dramatische magische Handlung in der Wüste letztlich nur in seiner Vorstellung stattfand: “In other words, Crowley recognized that this was an experience similar to that of astral travel: it was conducted within his own mind.” (7) Für ihn stellte es dennoch etwas wie einen Initiations- Vorgang dar, dem er ebenso folgen würde wie seinem Lebensstil, seinem unstillbaren sexuellen Hunger, seinem Charme, seiner Neigung zu Hochstapelei und Selbstüberschätzung und seinen, magischer Meister hin oder her, ununterbrochen prekären finanziellen Verhältnissen. Zwischen einem um des Betruges willen vorgetäuschten Selbstmord an der portugiesischen Küste, dem Genuss des Berliner Nachtlebens und rücksichtslosen, riskanten Bergbesteigungen: Einsam war Crowley offenbar nie. Konsumption und Digestion waren die Grundlagen seines Lebensstils, und er nahm, was er kriegen konnte. Freunde oder Partner im engeren Sinne waren eher eine begrifflich dehnbare Masse, sobald die Nützlichkeit nachließ. In Crowleys psycho- sexueller Welt stilisierte er sich, auch in der oben bezeichneten Initiation in der algerischen Wüste, auch gern als Opfer des Lüstlings- Gottes Pan, der durch den Adepten Neuburg vertreten wurde: “What happened in prosaic terms was that Crowley was sodomized by Neuburg in a homosexual rite offered to the god Pan. Pan, the man-goat, had a particular significance for the two men. Crowley revered him as the diabolic god of lust and magic, and Neuburg literally had what acquaintances described as an elfin and “faun-like” appearance.” (7)


Popstars der Einsamkeit 

Der anhaltende Appetit Crowleys muss eine ganz andere Qualität haben als der Hunger der Einsamkeit, von dem Olivia Laing sagte: “What does it feel like to be lonely? It feels like being hungry: like being hungry when everyone around you is readying for a feast.” (2) Die inneren Reflexe eines Andy Warhol, der sich Menschen am liebsten deshalb mit einer Kamera in der Hand näherte, weil das die ihm zuträgliche soziale Distanz schaffte, scharte um sich um herum dennoch eine ganze Szene, initiierte künstlerische Ausdrucksweisen, Rockmusik und Karrieren ebenso wie Stalker und selbst die Feministin Valerie Solanas, die nur deshalb versuchte, ihn zu ermorden, um ihr eigenes Manifest dadurch berühmt zu machen. Die manische Konsumption und Digestion Anderer haben Warhol wie Crowley betrieben, beide Popstars, aber Antipoden in Bezug auf Einsamkeit. Man kann sich keine größeren persönlichen Gegensätze vorstellen. 


Großstadt- Steppenwölfe und Jesus in der Wüste

Also bitte, nehmen wir auch noch einen anderen Popstar und Schwarmgeist der Einsamkeit hinzu: Rudolf Steiner. So gefräßig sich ein Magier wie Crowley und ein einsamer Popstar wie Warhol ausleben mögen, der Geistesforscher zelebriert eine besonders exklusive Positionierung, nämlich die, mit seinem Bewusstsein außerhalb des Körpers beheimatet zu sein: “Die Seelenverfassung des Geistesforschers kann nur so verstanden werden, daß in ihr die Illusion des gewöhnlichen Bewusstseins überwunden ist, und daß ein Ausgangspunkt des Seelenlebens gewonnen wird, der den menschlichen Wesenskern real in freier Loslösung von der Leibes- Organisation erlebt.” (13) Tatsächlich hat Rudolf Steiner die Einsamkeit als festen Bestandteil einer solchen Positionierung, einer Rolle und eines Selbstbildes als moderner Initiierter angesehen. Die “Rufer in der Wüste”, ja “Rufer in der Einsamkeit”, ob nun in der antiken Welt oder in der digitalen Moderne, fühlen sich offenbar wie Johannes der Täufer, der - so Steiner- befremdet einer fremden Gegenwart gegenüber gestanden haben soll: “Das ist der Umschwung von dem alten Bunde zu dem neuen Bunde, daß der alte Bund immer etwas von Gruppen- Seelenhaftigkeit hat, wo das eine Ich sich zugesellt fühlt zu den anderen Ichen und weder sich noch die anderen Iche recht fühlt, dafür aber das, worin sie gemeinsam geborgen sind, das Volks-Ich oder Stammes-Ich mitempfindet. Der Vorgänger des Christus mußte sagen: Ich bin ein Ich, das sich herausgeschält hat, sich einsam fühlt. Und gerade weil ich gelernt habe, mich einsam zu fühlen, fühle ich mich als ein Prophet, dem das Ich in der Einsamkeit die richtige Geistes-Nahrung gibt. – Deshalb musste sich der Verkünder als ein Rufer in der Einsamkeit bezeichnen, das heißt als das schon von der Gruppenseele vereinsamte Ich, das da schreit nach dem, wodurch das Einzel- Ich Nahrung bekommen kann.” (14) 

Nun wird nicht jeder Prophet, der sich einsam fühlt oder der Gegenwarts- Kultur entfremdet ist: Die Großstadt- Steppenwölfe, die Olivia Laing schildert, folgen Kunst, aber auch Obsessionen, verfallen krankhaften Fantasien, leben sich exzessiv aus oder ziehen sich in einen geschlossenen Kosmos zurück. Nicht jeder wird zum “Verkünder”. Aber in Steiners Darstellung war auch der historische Jesus- Christus sozusagen im vollständigen Missverhältnis zu seiner Zeit und Umgebung und von daher, als Repräsentant des kosmischen Bewusstseins, faktisch die personifizierte Einsamkeit: “Er steht allein. Man denke sich diese Einsamkeit des Menschen, der vom kosmischen Christus durchzogen war, jetzt den Häschern wie ein Mörder gegenüber stehend.” (15) Aber auch für die anthroposophischen Steppenwölfe der Gegenwart ist eine gewisse Einsamkeit offenbar eine Art konstitutioneller Grund- Verfassung: “Wer aber heute aus dem unmittelbar persönlichen Erkenntnisweg heraus spricht, ist schon zu einer gewissen Einsamkeit verurteilt. Heute kommt man zur Erkenntnis in Einsamkeit.” (16) 


Große Denker und andere Wüstenheilige

Überhaupt scheint Rudolf Steiner ein bestimmtes Klischee zu bedienen, das nicht nur Heilige und Propheten, Wüstengänger, Leibfreie und Initiierte umfasst, sondern auch “große Denker”- einfach alles, was sich der Verführung zum Materialismus entreißen und in “ganz abstrakten Höhen” leben kann: “Gerade dann, wenn wir recht einsam werden, wenn wir recht auf uns selber nur gestellt sind, ist das die beste Seelenverfassung für all dasjenige, was die Erkenntnis für den einzelnen Menschen in seinen Zusammenhängen mit Natur- und Geisteswelt entwickeln soll. Die einsamsten waren die großen Denker, die in scheinbar ganz abstrakten Höhen gelebt haben und die in ihren Abstraktionen nur den Weg suchten zu der übersinnlichen Welt. Die neueren Neigungen und Sehnsuchten der Menschen sind die Entfaltung von Geisteskräften, die auf Einsamkeit angelegt sind und die durch den überflutenden ahrimanischen Materialismus auf falsche Bahnen gebracht werden.” (17) Ja, die überflutenden materialistischen Ströme! Die sich aufbäumenden Querdenker, Säulenheiligen und Großdenker! Das sind die Schlachten um die Geistesmächte. 


Ewige Einsamkeit

Aber es wird immer schlimmer. In der geistigen Welt schaut man nur auf die Welt zurück, wenn man zu größter Einsamkeit in der Lage ist. Aber nach dem Tod hält nur noch die Einsamkeit überhaupt etwas wie ein kontinuierliches Bewusstsein von sich selbst zusammen- die Einsamkeit wird zum Konstituierenden, zur faktischen “Leiblichkeit”: “Das, was nur im Abglanz und da manchmal schon schmerzlich genug für manche Menschen in der physischen Welt als das Gefühl der Einsamkeit auftritt, das steigert sich in unermesslicher Art, wenn man eintritt in die übersinnliche Welt. Aber dann schaut man zurück zu dem, was sich als die geistige Umgebung im Spiegel des physischen und des ätherischen Leibes zeigt, die man zurückgelassen hat. Da wird man eben gewahr das völlige Einsamkeitsgefühl, durch das man einzig und allein sein Ich aufrecht erhalten kann in dieser Welt. Man würde sonst in dieser Welt des Geistes zerfließen, wenn man nicht gerade so, wie man hier sein Ich-Gefühl durch sein Leibes- Empfinden hat, in der geistigen Welt dieses Ich-Gefühl nicht durch die Einsamkeit erleben würde. Dieser Einsamkeit dankt man die Aufrechterhaltung des Ich in der geistigen Welt.” (18)

Liegt darin etwas Tröstliches? Dass nur die Einsamkeit uns als autarke Wesen konstituiert, uns Kontinuität und ein Leben nach dem Tod, ja ein Leben als kosmisches Ich beschert? Wer hätte diesem Hungergefühl in der Stadt der Einsamkeit eine solche Bedeutung zugestanden? Wer hätte gedacht, dass die unstillbare Empfindung des Mangels das geistig Konstituierende schlechthin sein soll? Der wirkliche Führer über Zeiten und Welten hinweg? Das Loch in unserem Inneren, das nicht gefüllt werden kann. Die gemeinsame Schnittmenge von Crowley, Warhol und Steiner. Die Wüste, in der der Eine sich findet, und sich der Andere verliert. Der Weg in die Höhe, ins Detail des Augenblicks, in den distanzierten Kamerablick, in die sexuelle Obsession. Alle Wege, aus der Einsamkeit heraus, in die Einsamkeit hinein. Und dann, jenseits aller Klischees und populistischen Anti- Zeitgeistigen: Rudolf Steiners Begriff einer Ewigkeit in Einsamkeit. 



Anmerkungen____________________

1 Oliver Sacks, Awakening, Zeit des Erwachens https://www.rowohlt.de/buch/oliver-sacks-awakenings-zeit-des-erwachens-9783644000889

2 Olivia Laing, The Lonely City: Adventures in the Art of Being Alone, 2016 https://en.wikipedia.org/wiki/The_Lonely_City

3 Laing, S. 11ff

4 https://mitpress.mit.edu/books/about-face

5 https://youtu.be/Y8YjoZT2qwQ

6 Laing, S. 185ff

7 Alex Owen, „The Sorcerer and His Apprentice“  In: Aleister Crowley and Western Esotericism, Edited and introduced by HENRIK BOGDAN AND MARTIN P. STARR, Foreword by WOUTER J. HANEGRAAFF, S. 27ff

8 https://de.wikipedia.org/wiki/Der_seltsame_Fall_des_Dr._Jekyll_und_Mr._Hyde

9 Owen, S. 38

10 Joan Tollifson: “Death: The End of Self-Improvement”

11 Tollifson, S. 9ff

12 “According to Crowley, therefore, Neuburg’s head was shaved, leaving only two tufts at the temples, which were “twisted up into horns.” Crowley laughingly, but tellingly, comments that his chela was thus transformed into “a demon that I had tamed and trained to serve me as a familiar spirit. This greatly enhanced my eminence.”” siehe 7

13 Rudolf Steiner, Bologna- Vortrag, GA 35 Philosophie und Anthroposophie, in: Die psychologischen Grundlagen und die erkenntnistheoretische Stellung der Anthroposophie 

14 Rudolf Steiner, GA 103, S. 80

15 Rudolf Steiner, GA 139, S. 176f

16 Rudolf Steiner, GA 231, S. 50

17 Rudolf Steiner, GA 193, S. 78f 

18 Rudolf Steiner, GA 79, S. 142f


Walk on the wild side, Anthrohausen! Oder: Als wir den letzten Linken entfernten

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https://www.martinmalcherek.de/

Natürlich durfte man gespannt sein, wie es weitergeht mit den anthroposophischen Selbst- Inszenierungen und - Positionierungen, vor allem nach einem furiosen Heft wie dem Dezemberheft von die drei, das ich mit dem Artikel Ich bin so geil, geil, geil.. (1) betitelt hatte, und das einen geradezu provokativen Aufschrei der Querdenker- Fraktion innerhalb der anthroposophischen Szene darstellte- einen Aufschrei, der sich allerdings durch die Szene zog und inzwischen längst auch die Tochter- Gesellschaften wie Waldorfschulen ergriffen hat. 

Es sind durchaus nicht mehr nur die Freimaurer- Hasser, Bill- Gates- Verschwörungstheoretiker und Ich- sehe- hinter- die Kulissen- des- Weltenplans- Esoteriker, sondern gestandene Maskenverächter, Putin- Freunde und Anti- Amerikaner, die sich in einem solchen Heftchen widerspiegeln- repräsentiert auch von dem Redaktionsteam um Christoph Hueck, der einen beliebten Anti- Corona- Blog (2 ) verantwortet, welcher offensichtlich verantwortlich ist für eine Stimmung an manchen Rudolf- Steiner- Schulen, die der NDR so beschreibt: „Auch an anderen Waldorfschulen prallen zwei Welten aufeinander. In Göppingen, Baden-Württemberg, kam es wegen der Maskenpflicht sogar zu Drohungen gegen die Schulleitung. Die Türen wurden beschmiert mit einer Drohung: "Wir jagen euch durch alle Gerichtssäle." Immer wieder wird das Thema Masken auch in Telegram-Gruppen Corona-kritischer Waldorf-Eltern und -Lehrer diskutiert. Dort schreibt ein Gruppenmitglied zum Beispiel, "die Nahtlöcher der FFP2 Maske lassen sich kreativ mit einer Büroklammer durchstechen". Ein anderer erzählt: "In der Klasse meines Sohnes sind sechs Kinder von der Maske befreit - mein Sohn auch."(3) Hueck, der selbst einmal als Virologe tätig gewesen ist, heizt, wie auch der NDR berichtet, die Stimmung an auch in Bezug auf die verbreitete Impf-Skepsis: „Auf Querdenker-Bühnen tritt derweil immer wieder Professor Christoph Hueck auf. Er ist Dozent für Waldorfpädagogik. In seinen Reden predigt er geradezu die Kraft der eigenen natürlichen Abwehr: "Wenn wir ein gutes Immunsystem haben, kann uns das Virus überhaupt nichts ausmachen." Die Zuhörer beklatschen vor allem seine Äußerungen zu den Impfungen: "Wir wollen keine Versuchskaninchen sein für diese smarten neuen Impfstoffe.““ (3)

Die Gegenstimmen, die ein Mindestmaß von Rationalität einfordern, aber sich auch politisch eher auf der liberalen Seite verorten, haben einen schweren Stand gegen den Mainstream von Querdenkern in dieser Szene. So starteten ehemalige Waldorfschüler eine offene Petition gegen Corona- Verschwörungsmythen an Waldorfschulen, um ihren Protest gegen diesen Trend zum Ausdruck zu bringen (4): „Mit großer Sorge und Irritation beobachten wir als ehemalige SchülerInnen und Eltern, dass an einigen unserer ehemaligen Schulen eine kleine, aber laute Minderheit diese Werte offenbar nicht teilt. Einige Eltern und LehrerInnen lehnen das Tragen von Masken zum Schutze anderer ab und sind bei sogenannten Hygiene- und Querdenken-Demonstrationen aktiv.

Das Ablehnen von Masken und Impfungen aufgrund unseriöser Behauptungen und die Teilnahme an Demonstrationen, die Rechtsextreme systematisch zur Mobilisierung nutzen, sind Anstoß zur Radikalisierung. Die dort vertretenen Ansichten sind durchzogen von antisemitischen, rechtsextremen und antifeministischen Verschwörungserzählungen. Damit stehen sie im direkten Widerspruch zu einer offenen, demokratischen Gesellschaft, der sich auch die Waldorfschulen verschrieben haben.“ (4)

Aber offenbar stacheln die momentan überproportional häufigen Beiträge zu Steiner, Anthroposophie und Waldorf in der Presse gerade die Verschwörer an. Sie sind es denn ja auch, die Verblüffung in internationalen Medien hervor rufen, unter andern wieder Christoph Hueck bei Reuters, der sich damit brüstet, sich außer vor Reisen nach Asien ansonsten gegen gar nichts impfen zu lassen, schon gar nicht gegen das Corona- Virus: „Christoph Hueck illustrates the challenge Germany faces in rolling out a mass vaccination campaign to tackle the coronavirus pandemic. A scientist living in a wealthy, high-tech region, he does not plan to have any of the shots on offer.

“I will not get vaccinated,” Hueck, a molecular geneticist who authored a string of immunology papers before changing careers, told Reuters with a smile. Now 59, he trains teachers for Waldorf kindergartens inspired by esoteric thinker Rudolf Steiner, which began in Stuttgart. He has also addressed several anti-lockdown and anti-vaccination protests, although he does not reject vaccines altogether.“I am convinced that should I get infected anywhere, I will weather the illness,” he said of COVID-19. “I am not vaccinated against other diseases either, except when I travel to the tropics where it’s mandatory.”“ (5) 

Die ins Auge springende Widersprüchlichkeit zwischen diesen Haltungen, die einerseits auf anthroposophische Phrasen wie „Salutogenese“ (seelisch- geistige Gesundheit und richtiges anthroposophisches Denken überwinden jede Krankheit von alleine) setzen und damit die esoterische Querdenker- Fraktion anfeuern- und, auf der anderen Seite, der High- tech- Umgebung Baden- Württembergs mit dem spezifischen Wohlstand, dem Wellness- Faktor und dem Bildungsstand führen bei Reuters denn auch zum Titel „Wealthy German high-tech hub doubles as anti-vaxxer base“ (5)

Man wundert sich. Anthroposophistan marschiert Hand in Hand, Schritt für Schritt ins rechte Lager. Und nicht nur in Deutschland. In den Niederlanden zum Beispiel reibt sich Désanne van Brederode die Augen: Sie „ist verblüfft: Corona treibt Anthroposophen in rechtsextreme Arme. Désanne van Brederode fragt sich, was mit "ihrer" Anthroposophie los ist. Das Misstrauen gegenüber Covid-19 und Regierungsmaßnahmen hat sich in anthroposophischen Kreisen zu einer Abstimmung entwickelt.“ (6) Sie schreibt (Übersetzt von Google): „Ich werde niemals so tun, als ob ich Steiner kenne, aber eines weiß ich: Er bot mir Einsichten, ohne die ich nicht diese Person war, die mit aktiver Hoffnung mitten im Leben sein will und ohne die von den größten Gräueltaten wach liegen kann Antworten, aber auch ohne den Mut zu verlieren und bitter zu werden. Jemand, der Ideale schätzt und an unbeweisbare Dinge glaubt - einfach weil sich persönliche Erfahrungen mit dem Transzendentalen als stärker erwiesen haben als meine skeptischen und zynischen Versuche, dies zu widerlegen - und der häufig versagt, zu kurz kommt und trotzdem mit wem und was auch immer auf meiner Seite weitermachen will Der Weg kommt mit Selbstperspektive, Humor und Fantasie. Befragung. Erstaunt. Lernen. Wie es sich gehört, inspirierte spirituelle Wesen.“ So wird es Vielen gehen, die diese Drift spüren und sehen, den Trotz und die plumpen Versuche, das zu rechtfertigen, aber letztlich eine zähe Radikalität, die ein „alternatives Denken“ postuliert, wo der erstaunte Betrachter schräge Agitation der billigen Sorte sieht. 

Als Beispiel möge das anthroposophische Online- Blatt Themen der Zeit dienen, in dem Ende Januar ein Artikel zum Thema Daniele Ganser, dem „Friedensforscher“ mit Waldorf- Herkunft, dem die Anthroposophen bei Vorträgen die Bude einrennen, erschien. Nun hatte die NZZ gewagt, sich diesem Phänomen Ganser in einer Wochenendbeilage kritisch anzunähern, woraufhin nun im Waldorf- Echohall das empörte Wort von „Story-Telling-Baukästen“ (7) aufkam, mit denen Anti- Amerikaner und andere Erwachte von der Mainstream- Presse kategorisiert werden würden. Bei der Gelegenheit unternimmt der Autor, Helmut Scheben, erst den Versuch, jeden Kritiker Gansers als dumm zu denunzieren („Wer einen Daniele Ganser wegen dieser Schlussfolgerung als "conspiracy believer" einstufen will, der muss sich die Frage nach seinem Intelligenzquotienten stellen lassen.“) (7). Dann nutzt er die Gelegenheit, auch noch Nawalnys Vergiftung infrage zu stellen: „Nawalny ist für Putin eine Bedrohung. Folglich lässt Putin den Mann vergiften. Wenn das keine schlüssige und stringente Story ist. Wirklich? Dreimal hat die russische Regierung in Berlin vergeblich angefragt, ob russische Experten an der Untersuchung der Vorwürfe beteiligt werden und Einsicht in die Beweislage erhalten könnten. In Berlin hielt man das nicht für nötig. Ist nun jeder ein Spinner, der Zweifel äussert?“ (7) Wirklich? Echt jetzt? Ist Nawalny nicht etwa mit der Begründung verhaftet worden, er habe gegen Auflagen verstossen, da er sich wegen seiner Vergiftung in Berlin aufgehalten habe, und zwar im Koma? Wird uns jemand von Themen der Zeit wohl über diesen Story- Telling- Baukasten noch aufklären? Und gibt es Nawalny überhaupt, oder ist er ein Produkt der westlichen Lügenpresse? Es ist fast anzunehmen, wenn man mit solchen anthroposophischen Blättchen hinter die Kulissen blickt, dass Nawalny ein Kunstprodukt der CIA sein könnte.

Und was sagen die anderen Hinter- die- Kulissen- Gucker? Der Ex- Waldorflehrer Herbert Ludwig aka „Fassadenkratzer“ lässt zum Beispiel Frau Irene Diet ausführen, dass die Welt im Rahmen der Pandemie ihren „Aberglauben“ an die Wirksamkeit eines „Schnipselchens“ auslebe. Mit Schnipselchen meint sie verharmlosend das Corona- Virus. Die „Lüge des Virus“ stelle eine universelle Weltverschwörung dar, da ja - nach Diet- auch keinerlei Zusammenhang zwischen dem Virus und der grassierenden Erkrankung bestehe: „Das ist eine gezielte Täuschung, um dem Virus im konstruierten irrealen Bilde die bedrohliche materielle Realität zu suggerieren, die man verbal ständig beschwört. Zugleich wird damit unterschwellig suggeriert, dass das Virus zum einen auch wirklich gereinigt und isoliert eindeutig nachgewiesen und danach aufgenommen worden sei und zum anderen, dass zwischen ihm und der Covid-19-Krankheit eine Kausalität bestehe, das Virus also als Verursacher und Erreger der Krankheit festgestellt wurde. Beides ist aber bis heute nicht der Fall, was der Menschheit verborgen gehalten wird.“ (8) 

Das sind Dinge, die der/die geneigte Anthroposoph_in, geschult im scharfen Blick auf Luzifer, Ahriman und dem 666- Sorat, wohl beachten sollte. Im völligen Überwinden des wissenschaftlichen Denkens, das von Diet mit Aberglauben gleich gesetzt wird, kommt der wahre Jünger Steiners erst zu realer Erkenntnis, macht sich selbständig und realisiert sich selbst: „Wer die Erkenntnis anderen überlässt und sich nur gläubig anhängt, bleibt abhängig und unfrei. Nur in der eigenen Erkenntnis kann der Mensch frei werden und sein eigentliches Wesen verwirklichen.“ (8) Während Anthroposophie lehre, das Denken zu einem reinen Organ zu machen, das die Wirklichkeit unverfälscht widerspiegele, entwickle wissenschaftliches Denken nur Modelle und stelle Zusammenhänge her, die lediglich konstruiert seien: „Das pathogene Virus – und nur von diesem soll hier die Rede sein – ist jedenfalls keine Wahrnehmung, sondern ein gedankliches Modell, das unter der nicht nachgewiesenen dogmatischen Annahme, ein Virus müsse der Erreger der Krankheit sein, die Sache begreifbar und dazu hypothetisch in die Wahrnehmung hieven soll, obwohl es in der Wirklichkeit nicht wahrnehmbar auszumachen ist. Damit verabschiedet sich aber die Naturwissenschaft in das Reich der Spekulation und hört hier auf, Wissenschaft zu sein.“ (8) 

Der „Fassadenkratzer“ dient dem rechten Anthro- Kampfblatt Der Europäer (9) als Sidekick, wodurch die vielfach durchs publizistische Raster gefallene Autorin Irene Diet wieder eine Plattform findet. Hier finden sich dann auch Typen wie Elias Davidsson, die nicht nur die Corona- Pandemie bestreiten, sondern auch den Anschlag vom 9/11 oder islamistischen Terror insgesamt: „Zunächst die Zahlen: Wer diese zur Kenntnis nimmt, wird sofort erkennen, dass wo kein Krieg und militärischer Konflikt besteht (z.B. in Europa und Nord-Amerika), die Anzahl der Menschen, die in terroristischen Anschlägen sterben, etwa 10-20 mal kleiner ist als die Anzahl der Menschen, die von ihren Familienmitgliedern ermordet werden. Wer in Europa vor Terroristen Angst hat, sollte sich daher scheiden lassen, denn seine Familie ist viel gefährlicher – statistisch gesehen – als Terroristen. Nach statistischen Angaben sterben in Europa – 500 Millionen Bewohner – jährlich im Durchschnitt ganze 44 Menschen in Terroranschlägen. Diese Zahl beinhaltet auch staatliche Terroranschläge. Interessanterweise publiziert weder die EU noch die UNO eine Statistik über Terroropfer. Das ist verständlich, wenn man die Zahlen betrachtet.“ (10) Terror und Pandemie dienen nach Davidsson als universelle staatliche Mittel, die Bevölkerung durch kalkulierte Volkstäuschung in Unterdrückung, ja in geistiger und physischer Unterjochung zu halten: „In beiden Fällen dienen diese Mythen zur Angsterzeugung, zur Berechtigung des Aufbaus eines Polizeistaates und zum Abbau der Demokratie. Durch Angst klammern sich Menschen an die Herrschenden.“ (10) Und an „die Wissenschaft“, nach Frau Diet. Das alles ist gar nicht gut für den Ätherleib.

Nun sollte man nicht glauben, dass diese irrationalen, surrealen Wirklichkeitsbezüge nur in der extremen Rechten dieser Szene dominieren- die Zeitschrift die drei etwa zelebriert die Positionierung von Anthroposophie als Opfer wegen der anhaltenden Rassismus- Vorwürfe, aber auch der Nähe zu diversen „Verschwörungserzählungen“ wie 9/11 durchaus auch. Und sie verbreitet auch die beloiebten Erzählstränge der von Regierungsseite und dem Antichristen Bill Gates geplanten Corona- Verschwörung. Das gilt durchaus nicht nur für das besprochene Heft (1), sondern zieht sich durch die Redaktionsarbeit der letzten Jahre, selbst durch harmlos erscheinende Buchbesprechungen: „Daran wird deutlich, dass die Autorinnen keine Kenntnis vom Wesen der Anthroposophie und ihren Wirkungen auf verschiedenen Lebensfeldern haben oder haben wollen und auch nicht im Entferntesten versuchen, in dieser Frage abwägend zu urteilen“, schimpft ein Herr Brackmann in diesem Heft, und wirft dann Rockefeller- Stiftung, Corona, Bill Gates- Foundation, 9/11 und Rudolf- Steiner- Kritiker in den bereits bekannten ahrimanischen Gulasch- Topf, rührt heftig - und konstatiert: Sie kennen alle nicht das „Wesen“. So ist das, dass das „Wesentliche“ eben nur mit dem Herzen gesehen werden kann, mit der inspirierten Erkenntnis, mit der anthroposophischen Superiorität. In dieser anti- rationalen, aber auch im gesellschaftlichen Abseits um sich selbst kreisenden Blase gefangen wollen allerdings wirklich nur noch die Rechten und die Spinner mit einem kuscheln.

Wer an dieser Rechtmäßigkeit der anthroposophischen Rechthaber zweifeln möchte, wird inzwischen auch schneller aussortiert- nicht nur, wie früher, verunglimpft. Wenige Tage nach einem Symposium des Linken- Politikers Martin Malcherek (11), in dem dieser die Querdenker- Bewegung, Christoph Hueck und den Einfluss der Rechten in der Szene diskutiert hatte, protestierte Hueck, der ja auch in der Redaktion von die drei sitzt und Meditations- und Corona- Anleitungen verfasst, in seinem Blog: „Am 19.2.2021 hat Herr Malcherek, angekündigt als „Jurist, Bund der Freien Waldorfschulen“, zusammen mit Dr. Albrecht Hüttig von der Freien Hochschule Stuttgart und Markus Schulze von der Freien Waldorfschule Köln einen öffentlichen online „Themenabend“ veranstaltet, bei dem er versuchte, Beziehungen von Menschen und Gruppen, die in der Corona-Protestbewegung aktiv sind, darzustellen. Außerdem hat Herr Malcherek mich persönlich angegriffen.

Unter der Überschrift „Netzwerk Ralf Ludwig (vereinfacht dargestellt)“ zeigte Malcherek eine offensichtlich akribisch recherchierte Grafik, mit der er die schon im Titel der Veranstaltung erfragte These dekorierte, ob Impfskeptiker, Querdenker und Klagepaten „ein Einfallstor für Populisten und Rechte an Waldorfschulen“ seien. Der Rechtsanwalt Ralf Ludwig wird im Zentrum eines Netzwerkes dargestellt, an dessen Rändern bekannte Rechte auftauchen.“ (12) Das Netzwerk ist offensichtlich vom Fassadenkratzer ausgehend über die diversen anthroposophischen Publikationen und Akteure vorzustellen, und Hueck scheint als Querdenker und politischer Aktivist erwähnt worden zu sein. Auf der Website (13) sieht man davon nichts. Offenbar passen Symposien und Arbeitskreise für eine offene, pluralistische Gesellschaft aber schon lange nicht mehr ins Weltbild der anthroposophischen Hardliner, TVs, Publizisten und Akteure. Christoph Hueck konnte jedenfalls vermelden, dass dieses linke Unikum, Martin Malcherek, ein Störenfried in der Friedhofsruhe der Rechtspopulisten, aus seinem Tätigkeitsfeld für den Bund der Freien Waldorfschulen entfernt worden sei: „Der Bund der Freien Waldorfschulen teilte mit Datum vom 26.2.2021 mit, dass Herr Martin Malcherek ab sofort nicht mehr für den BdFWS tätig ist.“ (12) Hueck, der sich, auch wegen seiner politischen Ambitionen in der Anti- Corona- Splitterpartei Wir2020 gerne abgrenzen möchte von seinen früheren Kontakten zu dubiosen, halbseidenen oder rechtsextremen Kontakten in der Querdenker- Bewegung, schimpft über den „Schubladisierungsversuch“ (12) Malchereks und sieht diesen, wenn er Hueck und die Seinen als Verschwörungstheoretiker betrachtet, selber als einen solchen: „Malcherek, der angeblich Populisten und Verschwörungstheoretiker von Waldorfschulen fernhalten möchte, entwickelt selbst einen verschwörungstheoretischen Zusammenhang weitab von aller Realität, um dann zu versuchen, einen vermeintlichen Gegner in logischen Kurzschlüssen zu beschädigen.“ (12) Das ist ein bisschen kindisch, war aber erfolgreich. 

Nun wird die Szene, losgelöst von Diskussionen und lästigen Kritikern, friedlich weiter in ihrer geistigen Sonderwirtschaftzszone dümpeln können. Linke gehören ohnehin nicht dazu. Zwar wird auch im inzwischen nur noch zweimonatlich erscheinenden Hueck- Blättchen die drei noch etwas von der Herausgeberin Angelika Sandtmann gemeckert: „Hier kann ich nicht verschweigen, dass die Drei nach meiner Einschätzung in den letzten Monaten ihrem eigenen Anspruch nicht gerecht geworden ist. Mit der Redaktion habe ich darüber gesprochen, dass ich mit der Ausrichtung der Zeitschrift im Hinblick auf die Corona-Pandemie nicht einverstanden bin. Aus meiner Sicht hat sie eine zu starke Schlagseite in Richtung einer grundsätzlichen Kritik an den geltenden Corona-Maßnahmen und damit eines Pro-Contra-Denkens bekommen.“ (14) Aber so etwas kriegt ein richtiger jovialer Männerbund locker wieder hin. Jetziger und ehemalige Redaktionsleiter, heute Public- Relations- Manager und Vertreter von Anthro- Dynastien, plaudern über frühere Zeiten und nivellieren die heutigen Konflikte kumpelhaft mit Ja ja, die Zeitschrift sitzt schon „100 Jahre zwischen den Stühlen“. (15) Und es ist doch noch immer gut gegangen. So belanglos das Gespräch daher zu kommen scheint, wirkt es angesichts der herben Kritik am kollektiven Realitätsverlust und der Nähe zu Corona- Leugner, Verschwörungserzählern, Pseudo- Friedenforschern, Putin- Verstehern und Bill- Gates- Ahriman- Durchblickern und der Rechten doch als Ritterschlag. Weiter so, Jungs. Ihr habt unser Go. Ihr repräsentiert die Anthroposophische Gesellschaft. Ihr repräsentiert die sechste nachatlantische Kulturepoche!


------------Verweise

1 https://egoistenblog.blogspot.com/2020/12/ich-bin-so-geil-geil-geil-oder.html

2 https://www.akanthos-akademie.de/

3 https://daserste.ndr.de/panorama/archiv/2021/Die-Waldorfbewegung-und-die-Corona-Krise,waldorfbewegung100.html

4 https://www.openpetition.de/petition/online/offener-brief-gegen-corona-verschwoerungsmythen-an-waldorfschulen

5 https://www.reuters.com/article/us-health-coronavirus-germany-anti-vacci/wealthy-german-high-tech-hub-doubles-as-anti-vaxxer-base-idUSKBN2A91KQ?fbclid=IwAR0aEpPtOKhufbYg_nTRWD6j-jWfNznTvEfGChJYxRWc4RJ072foGeEHlxI

6 Übersetzung von Google https://www.trouw.nl/religie-filosofie/desanne-van-brederode-is-verbijsterd-corona-drijft-antroposofen-in-extreemrechtse-armen~bb13d660/?fbclid=IwAR1hzI17UO14eNmSkB1hqSEpCjO5DCsUKny4Xie1hY88Ihyf_FGBFlJxREk

7 https://www.themen-der-zeit.de/die-nzz-und-daniele-ganser/

8 https://fassadenkratzer.wordpress.com/2021/03/01/virus-glaube-oder-erkenntnis-die-corona-krise-als-symptom-einer-tiefen-bewusstseins-krise/#more-7027

9 https://perseus.ch/archive/category/europaer/europaer-aktuell

10 https://perseus.ch/wp-content/uploads/2021/02/Europaer_JG25_04_FEB_2021_PRINT_SMALL.pdf

11 https://www.martinmalcherek.de/?fbclid=IwAR2S5Rhr6vCrUr49_CJGzkOWdlmNgMj1Ymy92TfbRDpleHUVz1STNj5g04M

12 https://www.akanthos-akademie.de/2021/02/20/kurzschl%C3%BCssige-schubladisierungsversuche-martin-malcherek-verunglimpft-christoph-hueck/?fbclid=IwAR3GKsdctqSNp3vtb948-LuDm3wSaVbZajYpmL23ZcJtKeiGVV7CeThOh3I

13 https://ivk.waldorfschule-itzehoe.de/online-themenabend-umgang-mit-corona-des-ak-fuer-eine-offene-gesellschaft

14 https://diedrei.org/files/media/hefte/2021/Heft1-21/01-Editorial-DD2101.pdf

15 https://diedrei.org/files/media/hefte/2021/Heft1-21/03-Interview-Stockmar-Stepp-DD2101.pdf





Ich sah die Aura des Meisters. Rudolf Steiner, Karma und die Frauen

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Julie Klimas Erinnerungen an Rudolf Steiner umfassen etwa 30 Seiten, stammen aus dem Jahre 1928, und finden sich als Anhang in Ludwig Polzer- Hoditz „Erinnerungen an Rudolf Steiner“ (1) Klima lebte in Prag und war dort häufig Gastgeberin, aber auch Schülerin Rudolf Steiners. Sie hat Rudolf Steiner meist dort vor Ort getroffen- ursprünglich wegen ihres Ehemanns -„mein teurer, verewigter Gatte“ (1), der mit Steiner dienstlich zu tun hatte und selbst eigentlich keinen oder nur spät einen persönlichen oder gar spirituellen Zugang zu ihm fand. Rudolf Steiner äußerte in Bezug auf ihn: „Die sind mir die liebsten, die so schwer herankommen.“(1) Für die „ganz klerikal“ (1) erzogene, später völlig atheistische, auch in ihrer Ehe recht unglückliche Julie war Steiner von der ersten Begegnung an der „Meister“ (1)- sie nannte ihn nie anders, und empfand überhaupt mit einer Unmittelbarkeit und Stärke, die den Leser in ihrer Intensität berühren, aber auch befremden kann. Julie Klimas Unglück bestand in ihrem Umzug vom Land ins fremde Prag, in ihren Schwierigkeiten mit ihrer Tochter, und später in der chronischen Untreue ihres Mannes. Als sie nach einem ersten Vortrag Rudolf Steiners einen Augenblick mit diesem allein war, erkannte und empfand sie sofort dessen Besonderheit: „Ich wusste damals noch nichts von Hellsichtigkeit. In einem Moment aber, da wusste ich, dass er alles wisse, was in mir vorgeht. Eine tiefe Scham überkam mich. Kein Wort brachte ich über meine Lippen, ich hatte nur das Gefühl, in den Boden versinken zu wollen. Ich floh von dannen wie eine Geächtete.“ (1)

Nach diesem Erlebnis begann sie konsequent meditativ an sich zu arbeiten, um Steiner ein Jahr später wieder unter die Augen treten zu können: „Aber diesmal hielt ich den Blick bereits aus.“ Mehrmals fragte Rudolf Steiner sie, wie es ihr gehe. Wieder schleicht sie davon, ohne zu antworten. Aber diese Scham ist etwas, was sie, die Atheistin, in Steiners Vortrag innerlich beschwingt und belebt: „Ich sah die Aura des Meisters.“ Später trat Steiner auf sie zu, reicht ihr die Hand und drückt seine Freude über die Begegnung aus. Von nun an bis zu Steiners Tod besteht diese Beziehung in immer neuen Begegnungen. 

Die anfängliche Scheu gegenüber dem „Meister“ schwang bald um in ein sehr vertrautes Verhältnis. Julie besprach ihre intimsten Probleme mit ihm, erhielt im Gegenzug aber auch persönliche Meditations- Anweisungen. Als die jahrelange Affäre ihres Mannes mit einer anderen Frau offenbar wird, die zudem in ihrem Verhalten schwierige Züge im Sinne eines Borderline- Syndroms zeigte, riet Steiner Klima, sich mit dieser Frau anzufreunden. Julie Klima befolgte nicht nur diesen Rat, sondern ließ diese Frau in ihrer Wohnung, bei der Familie, die ohnehin nur mit Mühe funktionierte, einziehen. Es folgte ein jahrelang anhaltendes, quälendes Psychodrama bis zum Tod des Mannes, das Steiner immer wieder beratend begleitete. Klima funktionierte faktisch als Dienstpersonal für die Liebesbeziehung ihres Mannes- eine Rolle in extremer persönlicher und sexueller Demütigung. Julie Klima wird aber zugleich zur ersten Anlaufstation für die Familie Steiner, Polzer-Hoditz und andere spirituell relevante Personen in Prag. Klima sagt über diese Situation: „Es war die schönste Zeit meines Lebens.“ Steiner diente weiterhin und bei jedem Besuch als unentbehrlicher Familientherapeut. Er sagte zu Julie Klima: „Ihr Fall ist eine Tragödie. Aber wollen Sie denn keine Tragödie erleben? Nur banale Menschen erleben keine Tragödien.“ (1) 

Einen besonderen Höhepunkt erreichte die Beziehung zwischen Julie Klima und Steiner bei einem langen Ausflug zur Burg Karlstein 1918. Steiner war bester Laune, zeigte aber auch schon mal Differenzen im Verhältnis zu seiner Frau Marie, die allerlei esoterisches Zeug zum Besten gab: „Renommieren Sie schon wieder?“ In der Kapelle von Karl IV. empfand Julie „plötzlich ein wunderbares Seligkeits- Gefühl in der Nähe des Meisters“ (1)- sie zieht sich wie alle anderen dezent und sensibel zurück, damit Rudolf Steiner die esoterische Situation angemessen und in Stille auffassen und geniessen konnte. Steiner bestätigte später im Anblick der Fresken, dass darin die Chymische Hochzeit des Christian Rosenkreutz dargestellt werde. 

Julie Klima gehörte zu denen, die mit Steiner innerlich mitgingen, ihm Freundin und Begleiterin waren. Es gab diese sehr persönliche Ebene, für die sie sich, als er kränker wurde, auch schämte, aber auch eine Ebene des Erkennens und Anerkennens, die ihre Darstellung so einzigartig macht. Sie war Rudolf Steiner zu wichtigen Zeitpunkten eine treue und innerlich mitempfindende Freundin. Man spürt das bei ihr in jeder Zeile. Aber ihre Rolle war zugleich auch die einer Adeptin, die jede Rolle anzunehmen bereit war, solange diese dem spirituellen Fortschritt in den Augen ihres Meisters diente.

So kann man Rudolf Steiners Ratschläge auch als übergriffig empfinden gegenüber einer derart devoten persönlichen Schülerin. Die psychisch auffällige sexuelle Rivalin nicht nur in ihr Haus aufzunehmen, sondern sich mit ihr anzufreunden und ihr Heim über Jahre ihres Lebens zu einem Ort der persönlichen Hölle und permanenter Auseinandersetzungen zu machen, erscheint mehr als nur ein wenig unterwürfig. Diese persönliche „Tragödie“ zum Status Quo zu machen, hatte für Julie Klima aber den Vorteil, im Mittelpunkt der anthroposophischen Bewegung in Prag zu stehen, da sie zur dauernden Gastgeberin für die führenden Mitglieder wurde. In diesem Sinne waren die „Seligkeits- Gefühle“ in einer Umgebung, in der Rudolf Steiner dann wieder Erzählungen vom höchsten Meister Christian Rosenkreutz zum Besten gab, nur konsequent. Das Sich- Opfern für die sexuellen Eskapaden Anderer und keusche Seligkeit gegenüber den Meistern zu empfinden, zugleich als dienstbarer Geist jederzeit zur Verfügung zu stehen- das hat Julie Klima zur idealen Besetzung der Rolle der anthroposophischen Repräsentantin gemacht. So öde und anti- emanzipatorisch diese Frauenrolle damals gewesen sein mag, so ist sie in der Zwischenzeit noch viel mehr aus der Mode gekommen- ganz gleichgültig, was die Meister sagen. 

Etwas übergriffig können auch die verliebten Avancen des alternden Meisters Steiner gegenüber der attraktiven, aktiv in die anthroposophische Bewegung involvierten Ärztin Ita Wegman erscheinen, der Steiner am Ende seines Lebens eine immer größere Rolle für die Zukunft der anthroposophischen Bewegung zugedacht hatte. Das ist grandios in endlosen giftigen Auseinandersetzung, unter anderem mit der schrillen Ehefrau Marie Steiner- Sivers- die, nach Steiner, so gern „renommierte“, d.h. mit spekulativen Esoterik- Geschichten angab-  gescheitert. Es endete lange nach Steiners Tod mit dem Ausschluss Wegmans und ihrer verbliebenen Freunde. Aber zurück zu den Fallstricken zu Lebzeiten des Meisters.

Wie viele Beziehungen, Ehen, angeblich platonische Liebschaften, Verhältnisse mit magnetischem Anziehungsband sind vor anthroposophischem Hintergrund schon geschlossen oder beendet worden? Viele dieser Menschen fühlen sich ja als sehr ernsthafte, ehrenwerte Persönlichkeiten und sehen sich als - in esoterischem, kulturellem oder „menschheitsgeschichtlichem“ Sinne - Speerspitze, als Chosen One, als Repräsentanten des esoterischen Zeitgeistes an. Daher braucht es eine höhere Warte, eine geistige Perspektive, um das vielleicht nicht ganz integre, zumindest aber schlichte sexuelle Verlangen aufzuwerten, quasi zur kosmischen Notwendigkeit zu machen- denn wer kommt schon gegen das Karma an?

Daher wird das Verlangen in den Kontext einer karmischen Verwirklichung gestellt: um sich selbst zu rechtfertigen. Rudolf Steiner hat das ja vorgemacht. Wie viele Male in den hundert Jahren anthroposophischer Geschichte wird eine Ehe mit der Begründung beendet oder begonnen worden sein, die oder der Neue sei eine mit einem selbst tief verbundene, über Jahrhunderte und Jahrtausende bestehende innige Beziehung? Dies vor allem dann, wenn es sich ohnehin um eine durch Waldorf-, Arztpraxis, Arbeitsverhältnisse, Wohngegenden, Lebensstil, Lesegewohnheiten, spirituelle Bedürfnisse bestehende Subkultur handelt. Ich kenne so gelagerte Freundeskreise, in denen praktisch jede Ehe/ Beziehung im Laufe der Jahre nicht nur mit ähnlichen Begründungen beendet worden ist; die involvierten Personen haben jeweils Partner innerhalb derselben Subkultur ausgetauscht und in der Folge munter weiter gemacht, in einem anhaltenden anthroposophischen Sex- und Familien- Reigen. Von außen betrachtet sieht das aus wie ein Bäumchen- wechsel- dich- Spiel und kann zu komplizierten Arrangements bei Einladungen und Festen führen. Nach innen wird nicht selten mit der Karma- Argumentation begründet - vielleicht sogar so empfunden, aber eigentlich ganz schlichten Affekten und dem Wunsch nach Arrangements gefolgt. Schließlich gilt das Steinerwort (15): „Den Egoismus zu überwinden und den Zug nach dem Allgemein- Menschlichen und Kosmischen sich anzueignen, ist nicht so leicht, wie mancher sich das vorstellt.“ Allerdings gilt das vor allem in der Liebe, vor allem, wenn sie den Bedingungen des Karma folgt.

Vor all dem war auch der Meister nicht gefeit. Die schöne, unabhängige, exotische Ita Wegman, aus Indonesien stammend, von der javanesischen „Insel der hundert Vulkane“ (16), traf ab 1902 auf ihren Lehrer Rudolf Steiner, der sie zunächst nicht besonders beeindruckte. Er sprach „kurz und bedeutungsvoll“, „sah mich forschend an“ (16), und so weiter. Aber sie besuchte zunächst „nicht viele seiner Vorträge“, denn „etwas gefiel mir nicht.“ (16) Da wäre sie sich noch Rosa Mayreder einig gewesen, der, wie noch ausgeführt werden wird, Rudolf Steiners Rolle, womöglich auch gewisse suggestive Aspekte in seinem Auftritt, auch ganz und gar nicht gefielen. 

Doch zwischendurch tauchte in Wegmans Notizen dann etwas auf, was anders klang, und was zeigte, dass in der Zwischenzeit persönliche Begegnungen stattgefunden haben müssen: „Wir verstanden uns sehr gut.“ (16) Der Biograf van Emmichoven raunt dann auch in anthroposophischer Manier: „Stiegen Schicksalsahnungen in ihr auf, Fragen vielleicht, die bis dahin unbewusst in ihr gelebt hatten, Bilder, die schon immer schweigend in ihr gewesen waren und jetzt zu sprechen begannen?“

So oder so: Es war dann Wegman, die Steiner ansprach mit der alles eröffnenden Frage „Kann man noch mehr von solcher Esoterik erfahren?“ (17) Von 1907 bis 1914 verfolgte Wegman Studien und hatte Beziehungen. Von Steiner war sie 1906, als sie ihm nach Leipzig nach gereist war, brüsk zurück gewiesen worden - „was sie hier suche“ (19). Aber 1914 saß sie - nach Andre Belyi (20) praktisch ständig im Publikum in Dornach: „Zu meiner Beschreibung sagte man allgemein: „Das stimmt, das ist die Wegman. - Wenn das stimmt, dann kenne ich sie sehr genau, ohne je mit ihr bekannt geworden zu sein; über ein Jahr saß sie bei den Vorträgen Steiners in der Schreinerei uns gegenüber, am Fenster, meistens in weißer Bluse und schwarzem Rock; ich glaube, sie war immer allein. Wir begegneten ihr fast jeden Tag.“ Sie wurde in der Folge eine der wichtigsten Ärztinnen im anthroposophischen Umfeld; innovativ, mutig, eine Unternehmerin und Gründerin. Ab 1922 besuchte Steiner die von ihr geleitete Klinik bei jeder Gelegenheit- es kam zu seinem Lebensende hin zu einer intensiven Zusammenarbeit zweier selbständiger Persönlichkeiten. Wegmans Temperamentsausbrüche waren legendär- Steiner selbst sprach von ihrem „Gestrüpp“. Sie selbst meinte dazu selbstbewusst: „Es wird dem Doktor noch leid tun, wenn ich zu sanft geworden bin.“ (17)

Dann aber - 1924 - trat Steiner ihr gegenüber mit ganz anderem Ton auf. In Briefen nannte er sie „meine liebe Mysa- Isa“:Hoffentlich ist das Befinden meiner lieben Mysa gut .. Schön wäre es, wenn Mysa da wäre. Doch man muss diese Dinge eben „vernünftig“ einrichten.“ (Brief aus Prag, 1.4.24) Muss man das? Und war Steiners schwärmerischer Ton nicht auch insofern unvernünftig, als er selbst schon mit dem Kosenamen die karmische Karte spielte? Van Emmichoven erläutert: „Der Name „Mysa“ bezeichnet eine Mysterienpriesterin des Artemistempels in Ephesos im fünften vorchristlichen Jahrhundert. Wahrscheinlich deutet der Name eine Funktion an; Steiner schrieb in manchen Gedichten auch „Artemysia“.“ (21)

Während er in Koberwitz „Karmavorträge“ (Brief 8.5.24) hält, schreibt er an Wegman „Bei allem ist mein guter Freund M-I. bei mir, und meine Gedanken gehen zu ihr.“ (22) M-I ist ein Kürzel für „Mysa-Ita“. Wenige Tage später (10.6.24) schreibt er Wegman: „Du gehst als Freund mit mir in geistige Welten.“ (22) Nur einen Tag später wird er explizit: „Es ist so in unserem Karma, dass ich an Dir einen echten, unerschütterlichen Freund finden muss, wenn die Schülerschaft den rechten Weg gehen soll. So will es unser Karma. Wenn dies Karma zunächst einen tragischen Zug haben muss, so wird das nach keiner Richtung in der Zukunft mehr hemmend sein können. Es ist ja gewiß traurig, daß Du nicht schon früher mit mir zusammen kamest..“ (22). Er erklärt Wegman, dass „wir“ „vorher“ große Impulse zu verwirklichen gehabt hätten, die Wegman auf ihre Art verwirklicht hätte. Er schreibt offensichtlich von einer gemeinsamen karmischen Vergangenheit: „Als Du damals von mir gingst, war viel von mir genommen. Die Jugend, die in Dir an meiner Seite stand, ward von mir genommen. Ich war in keiner Inkarnation so alt als damals. „Mit ihm ist mein Herz über den Pontus gegangen“. Das war meine Stimmung.“. (22)

Es ist viel spekuliert worden, ob Steiner an dieser Stelle über Aristoteles und den jungen Alexander schreibt - „Pontus“ als Beginn der Reise Alexanders Richtung Asien. Wie dem auch sei, handelt es sich zugleich um einen Liebesbrief - „Du schreibst „Wirst du mich jetzt immer lieben bleiben?“ Meine liebe Mysa: Diese Liebe ruht auf dem unerschütterlichen Fels. Sie ruht ja auf dem, was Deine Wesenheit mir offenbart. Und das ist viel, sehr viel.“ (Koberwitz, 11.6.24) Steiners Beziehung mit Wegman strebt nun nach etwas ganz Einzigartigem: „..ich konnte doch zu keinem Menschen so stehen wie zu Dir. Du lernst mich auch ganz anders noch kennen als andre Menschen mich gekannt haben, oder kennen. Daß da manchmal sich in unser Zusammensein etwas gemischt hat, was Du vielleicht nicht haben wolltest, das hängt doch damit zusammen, daß ich nur im vollen Eins- sein mit Dir leben möchte.“ 

Die erhaltenen Briefe Wegmans wirken dem gegenüber kühl. Steiner zitiert sogar Wegmans Reaktion „Du sagst: „Es ist nicht immer gut alles zu schreiben“, in der sie ihn offensichtlich zur Zurückhaltung auffordert, und implizit eine Grenz- Überschreitung auf seiner Seite zurück zu weisen versucht- auch wenn das gegenüber einem Meister, der mit karmischen Verweisen, die nur ihm zugänglich sind, denkbar heikel ist. Tatsächlich hat diese Mysa- Geschichte ja nach Rudolf Steiners Tod wenige Monate später zur völligen Ausgrenzung Ita Wegmans geführt. Wegman ist vor allem von Steiners Ehefrau Marie Anmaßung spiritueller Art und Behauptung einer karmischen Rolle vorgeworfen wurde. Wegman konnte gerade wegen Steiners schwärmerischer Bedrängung seiner Ärztin gegenüber die Rolle, in der sie sich und er sie sah, nicht ausleben, sondern wurde zur Geächteten innerhalb der bigotten Szene, mit der sich Steiner umgab.

Ita Wegman scheint durch Rudolf Steiners Umdeutung ihrer jahrelangen Arbeits- Beziehung nicht nur überfordert gewesen zu sein, sondern von ihm auf eine übergriffige Art und Weise bedrängt und in eine Rolle gedrängt worden zu sein, die ihrem zupackenden, konkreten und rationalen Naturell zuwider lief. Sie konnte sich kaum gegen die karmischen Zuordnungen ihres Lehrers, die dieser so explizit vorbrachte, wehren. Offensichtlich brachte er auch Hoffnungen auf Liebe, Freundschaft, gemeinsame Zukunft und einen Neuanfang für sich selbst ins Spiel. Ebenso offensichtlich sind Steiners Einsamkeit, das Gefühl des Eingeengtseins, seine Erschöpfung und Überforderung. Aus seinen Liebesbriefen spricht ein Mensch, den selbst die Umschwärmte eher als Lehrer zu sehen gewohnt war.

Dass es in manchen Beziehungen Rudolf Steiners zu Frauen auch in anderer Hinsicht unrund lief, zeigt seine Beziehung zu Rosa Mayreder, einer alten Freundin, die sich scharf von ihm distanzierte, nachdem er seine Meister- Rolle angenommen und Hellseher geworden war. 

Rosa Mayreder ist bekannt als frühe Frauenrechtlerin. Dass Steiner auch später in „glowing terms“ (2), also geradezu schwärmerisch von ihr sprach, hat sie nicht davon abgehalten, ihn ihrerseits mit geradezu verächtlichen Bemerkungen zu beschreiben. Sicherlich hatte ihre Freundschaft in gewisser Weise Bestand; Mayreder besuchte ja auch in Steiners theosophischer Lebensphase Vorträge von ihm. Sie war offensichtlich „someone who really didn´t understand him“ (3)- womöglich, weil sie die Propheten- Rolle nicht bei ihm akzeptieren konnte. Dass Steiner ihr trotz aller Differenzen freundschaftliche Treue hielt, bringt auch Lachman zu der Annahme, er sei wohl „incredibly lonely“ (4) gewesen, „accepting whatever companionship he could find, even if it was with someone incompatible“ (4). Lachman deutet immer wieder Steiners angebliches Faible für ältere Frauen an, was nach Steiners erster Ehe naheliegend ist. Auch Rosa Mayreder „was an older, accomplished, and fiercely independant woman“ (5), die ihn - nach Lachmans Spekulationen - attraktiv fand und ihn an seine Mutter erinnerte: „Was he seeking acceptance?“ (6) Wer weiss. 

Offensichtlich entspricht Steiner nicht Lachmans Vorstellungen von jemandem, der klare, eindimensionale und widerspruchsfreie Beziehungen pflegt. Mayreder schätzte immerhin mindestens eine Seite an Steiner, da er „zuerst meine literarische Begabung anerkannte“ (7). Er hat Mayreders literarische Ambitionen also entdeckt, und zwar mit den Worten: „Sie begehen eine Sünde, wenn Sie Ihrer schriftstellerischen Begabung auch nur eine Minute durch die Malerei entziehen“ (8). 

Allerdings ging Steiner mit ihren Manuskripten schlampig um. Beide beschäftigten sich früh mit Theosophie und ihren Auswüchsen, und beide hielten davon sehr wenig. Steiner erklärte Theosophie schlechthin für „Schwachgeistigkeit“, die zudem „Gefahren für die geistige Entwicklung mit sich bringe“ (9). Für Rosa Mayreder muss es ein echter Schock in der Beziehung zu Steiner gewesen sein, dass dieser Mann, mit dem sie so viele rationale Diskussionen geführt hatte, sich nach der Jahrhundertwende „selbst der theosophischen Bewegung“ (10) anschloss und sie letztlich anführte. Zu diesem Zeitpunkt hatte die gemeinsame Freundschaft schon über 10 Jahre bestanden. Von Jahr zu Jahr wurden Mayreders Bemerkungen in Bezug auf Steiner nun schroffer; 1918 vergleicht sie ihn mit dem Insassen einer Irrenanstalt, 1922 erlebt sie auf einem Vortrag von ihm nur „leeres Gerede, Phrasen und Andeutungen übersinnlicher Fähigkeiten“ (11). Ihren Freund und Gesprächspartner kann sie da in ihm schon nicht mehr erkennen.

Nach seinem Tod aber verschärft sich ihr Urteil nochmals - die „Bilanz“ dieser 35 Jahre währenden Beziehung „bleibt trotzdem nichtig“. Lag dieses Urteil tatsächlich nur an dem theosophisch- anthroposophischen Schwenk ihres alten Freundes? Gab es, wie der spekulierende Lachman anzudeuten geneigt ist, gewisse amouröse, aber unerfüllte Ambitionen von ihr? 1936 schreibt Mayreder nochmals von Rudolf Steiner. Ihre Abneigung hat sich verfestigt. Sie äußert nun aber auch den Grund: Steiner habe in Bezug auf „zweifelhafte  Damenbesuche“ (..) „den Zubringer“ (12) für einen in ihren Augen mindestens ebenso zweifelhaften Freund gemacht. Er war in ihren Augen also nun ein moralisch eher zweifelhafter Typ, bei dem sie zudem aufgrund seiner anthroposophischen Karriere einen „Sprung“ in seiner Weltanschauung konstatierte. 

Die gewisse moralische Indifferenz vor der Jahrhundertwende war schon deshalb nicht ganz von der Hand zu weisen, da Steiner mit seinen lustigen Kumpanen wie Otto Erich Hartleben einen „Verbrechertisch“ in einer Kneipe mehr oder weniger zu seinem Zuhause gemacht hatte. Hartlebens Notizen vermerkten, dass Steiner „seine Schlüssel vergessen (hatte), ist mit W… noch ins Cafe gegangen, ist Sonntag betrunken „heimgekommen“..(13) Hartleben trifft eine ältere Prostituierte namens Mathilde neben Steiner auf dem Sofa des Lokals: „und er erzählte, Mathilde sei eine sehr anständige Dame, sie dulde an ihrem Tisch keine unpassenden Reden und beantworte diese wortlos dadurch, dass sie dem Betreffenden sein vor ihm stehendes diverses Getränk über den Schädel gieße“ (14). 

Es muss lustig zugegangen sein. Und es war ein weiter Weg von diesen lustigen Zeiten bis hin zu den devoten Jüngerinnen wie Julie Klima, die ihr selbständiges Leben einer Rolle zuliebe opferte, in der sie den bizarren Ratschlägen ihres Meisters folgte. Eine selbständig denkende Frau wie Mayreder hat die Rollenwechsel Steiners nicht ertragen können. Wegman hat die verbale Übergriffigkeit des Meisters wohl um ihrer Arbeit und um ihres Status willen ertragen. Die Funktionalität der Frauen um Steiner herum- auch was die Management- Fähigkeiten von Marie Sivers betrifft- beziehen sich auf eine Matrix, wie sie in einer kult- ähnlichen Vereinigung um einen Meister herum notwendig ist. Entweder man spielte hier mit, oder man ging, wie Mayreder, andere Wege.



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1 Ludwig Polzer- Hoditz „Erinnerungen an Rudolf Steiner“

2 Gary Lachman, „Rudolf Steiner An Introduction to His Life and Work“ New York 2007 

3 Lachman, S. 71 

4 Lachman, S. 71 

5 Lachman, S. 71 

6 dito

7 Vögele (Hrsg), „Der andere Rudolf Steiner“, Dornach 2002 S. 47 

8 dito

9 Vögele (Hrsg),„Der andere Rudolf Steiner“, Dornach 2002, S. 48 

10 dito

11 Vögele (Hrsg), S. 50 

12 Vögele (Hrsg), S. 51 

13 Vögele (Hrsg), S. 86 

14 Vögele (Hrsg), S. 88

15 Rudolf Steiner, „Okkulte Geschichte“ S. 60)

16 Wegman, Notizen, in: van Emmichoven, Wer war Ita Wegman, Band 1, S. 45f

17 van Emmichoven, Band 1, S. 102

18 van Emmichoven, Band 1, S. 46

19 van Emmichoven. S. 54

20 Andre Belyi, „Verwandeln des Lebens“ 

21 van Emmichoven, S. 201

22 van Emmichoven, S. 204ff

Meditieren mit dem Corona- Virus Oder: Das große, dunkle, übermächtige Irgendetwas

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Anthroposophische Meditations- Lehrer verkünden nicht nur Übungen, damit ihre Klientel mit sich und dem Alltag ins Reine kommt und vielleicht Anschluss zu kosmischen Quellen der geistigen und leiblichen Erneuerung findet, sondern liefert frei Haus auch stets eine Lebenseinstellung und ein Weltbild mit. Im Fall von Thomas Mayer und Agnes Hardorp (1) wird sogar ein ganzes Instrumentarium zur Bewältigung der Corona- Pandemie mitgeliefert- nein, keine Impfung, keine Tests, keine Masken, aber ideologische Stärkung und passende Meditations- Übungen (2), insbesondere 28 Übungen für „Spirituelle Notwehr in der Coronakrise“ (3). Thomas Mayer nennt sich in diesem Zusammenhang auch explizit Geistesforscher, was vermutlich eine Art Synonym für einen spirituell Erleuchteten ist. Auf dem Titel der Broschüre mit den sehr speziellen Meditations- Übungen zum Download (bitte 8 Euro überweisen!) nennt sich Mayer aber auch „Bürgerrechtler“, und das umschreibt auch hübsch das Programm, die ideologische Hintergrund- Musik. Denn der Erleuchtete namens Mayer möchte Euch nicht von Samsara und Kundalini erzählen, er möchte Euch auch Eure Stellung in der Welt als zorniger älterer Herr mit Sonnenaura erläutern, der von seiner Regierung und den geheimen Mächten mittels Corona planmäßig um seine Freiheit betrogen wird. 

So ist das Ziel der avisierten Übungseinheiten denn auch nicht nur, „Souveränität, Würde und geistige Anbindung“ des Individuums zu stärken, sondern auch, „das kollektive Feld zu entspannen“ (3), d.h. gesellschaftlich und politisch wirksam zu werden. Anders herum sieht Mayer nicht nur die meditative Arbeit an der Entwicklung des spirituellen „Kronenchakras“ an der Kopfspitze als Teil seiner Intentionen an: „Die Krone ist ein Ausdruck eines aufgerichteten und wachen Kronenchakras und verbindet uns mit der geistigen Welt, eine besonders starke Verbindung drückt sich im Heiligenschein aus.“ (4) Mayer assoziiert diese „Krone“ auch mit dem Corona- Virus und so wird meditative Bemühung ruckzuck im Rückkehr- Schluss zum „Geisteskampf“ der Querdenker im Verbund mit den Esoterikern: „Die Coronakrise ist im Kern ein Angriff auf die geistige Anbindung der Menschheit. Da ein Geisteskampf stattfindet, sollte man dem auch mit geistigen Mitteln begegnen.“ (4) Dunkel raunt der Forscher und Bürgerrechtler auch von den Kräften und Verschwörungen, die im Hintergrund die Fäden ziehen: „„Dark winter“ hieß die internationale Konferenz, in der 2001 Lockdowns durchgespielt wurden. Machen wir daraus einen weissen Winter, durch- lichten wir das Dunkle.“ (4) Und da sind wir erst, März 2021, im Vorwort zum 68 Seiten starken anthroposophischen Meditationsheft. Da liegt ein langer Weg vor uns bis zu den eigentlichen geisteswissenschaftlichen Blickwinkeln zur Corona- Krise, hinter denen eine kollektive Hypnose und inszenierte Angststörung steht, eine gefährliche Konjunktion der Planeten Saturn und Pluto, ein Wiederaufleben der ungeistigen Impulse der russischen Revolution (das Virus ist ein Bolschewik??), und natürlich im Rahmen der dreifachen 666 (1998) ein furchtbares Wirken von Sorat, dem Finsterling von der Sonne, dem Dämon aller Dämonen, und die leibliche und persönliche Inkarnation des Teufels Ahriman, was Rudolf Steiner ja bereits voraus gesagt hatte, woraus sich eine „Religion des Materialismus und Transhumanismus“ (5) entwickeln werde. Das alles wird einem klar werden, wenn man mit Mayer richtig meditiert. Offenbar wird durch diese Art von Meditation der anthroposophische Inhalt im Gehirn entfaltet wie ein Computer- Programm, was ja auch ein wenig transhumanistisch wirkt. Oder auch wie ein Scientology- Intensivkurs. Aber gehen wir Schritt für Schritt vor. 

In seiner Einleitung stimmt Mayer den willigen Leser und Adepten auf den Hintergrund der Übungen ein, indem er in Bezug auf die Pandemie behauptet: „Lockdown ist ein Begriff aus dem Strafvollzug und bedeutet das Abschließen der Zelle. Ganze Völker wurden eingesperrt. Es entstand das zunehmende Gefühl, in einem George Orwell Roman zu leben. Nach einer kurzen Entspannung im Sommer 2020 beschließen die Regierungen weitere zermürbende Lockdowns über Monate. Die Schäden übersteigen den Nutzen um ein Vielfaches, weltweit werden durch die Lockdown-Folgen vielmehr Menschen sterben als durch die Krankheit, doch eine offene Diskussion über die Verhältnismäßigkeit der Lockdowns findet nicht statt. Stattdessen wird ein starker Druck zum Impfen aufgebaut und die Bevölkerung in zwei Teile gespalten. Viele fühlen, wie etwas auf die Welt drängt mit einer unermesslichen Gewalt, was nicht Freiheit und Liebe im Sinn hat. Über unserem Leben und der Gesellschaft lastet ein großes, dunkles, übermächtiges Irgendetwas. Das macht Angst.“ (6) Die Ängste, der Lockdown und das Gefühl eines übermächtigen Irgendetwas sollen also durch die angedachten Übungen überwunden werden- nicht im Sinne einer intellektuellen Bewältigungsstrategie, sondern auf emotionaler, und natürlich spiritueller Ebene. Irgendwie soll das dann auch gesellschaftlich helfen, damit man nicht „genau den dunklen Kräften in sich Raum gibt, vor denen man sich fürchtet.“ (6)

Der dem eigenen Bekunden nach in geistigen Welten sehr erfahrene Meditationslehrer Mayer (seit 20 Jahren „Lehrer in Anthroposophischer Meditation. Anthroposophie ist die Wissenschaft der geistigen Welten. (6)) rät, die Übungen in Gemeinschaften zu machen, um die Erlebnisse besser „verdauen“ zu können wie ja auch die ganze Corona- Pandemie zu verdauen sei. 

Schon die erste Übung im ganzen Kanon hält dazu an, sich einen Corona -freien inneren Raum zu schaffen, in dem man sich geistig mit Christus oder wahlweise Buddha beschäftigt, dessen Wärme einen innerlich durchdringen solle. Die „geistige Bindung“ solle aber, so Übung 2, auf den ganzen Tag ausgedehnt werden und zu stündlicher Selbstbefragung führen, ob man noch „in einem guten Zustand und mit den rechten Geistern verbunden“ (7) sei. Auch die Gefühlswelt sei ja betroffen, insbesondere da man (der Meister schließt da offenbar von sich auf jedes einzelne Individuum) empfinde: „Die Lockdowns seit März 2020 haben verheerende Schäden für die physische und seelische Gesundheit, Wirtschaft, Staatsfinanzen, Demokratie, soziales Vertrauen, etc.
- Sicher ist schon jetzt, dass durch die Lockdowns ein Vielfaches an Menschen sterben werden, als insgesamt durch die Coronainfektionen. Das gilt vermutlich auch für Deutschland, sicher aber für die Dritte Welt, wo viele Millionen verhungern werden.
- Sehr viele Studien zeigen, dass Lockdowns unnütz sind, sie bringen gegen den Infektionsverlauf fast nichts im Gegensatz zu zielgerichteten Hilfen für Risikogruppen und freiwillige Maßnahmen.
- Das spielt für unsere Politikern und Medien aber keine Rolle, sie haben sich von evidenzbasierter Politik verabschiedet. Die Lockdowns sind eine politische Entscheidung, wie Bundeskanzlerin Angela Merkel ausdrücklich sagte.“ (7) Diese ganze aufgestaute Wut lässt der Lehrer stehend von sich in den Boden gleiten, worauf eine reinigende Gegenkraft in ihm (und allen willigen Nachfolgern) aufsteige und auch den Kopf wieder klar mache. Dann hat er das Gefühl: „Ich ähnle zunehmend einer Eiche.“ (7)

In einer weiteren Übung müsse man sich zunächst klar machen, dass von Regierungsseite aus eine gewaltige, „großflächige Retraumatisierung“ (8) stattfinden, wobei ohnehin vorhandene Ängste, selbst die vor dem eigenen Vater, „getriggert“ würden, darunter vor allem „Angst vor dem Tod, Angst vor Existenzverlust, Angst vor Ausgrenzung, Ängste, die schon lange in der Seele schlummern“ (8). Das Virus sei dabei ebenso nur Projektionsfläche wie die Sorgen vor der kommenden „Gesundheitsdiktatur“ (8) Umgekehrt kann der Adept das Beste daraus machen und Merkel einfach austricksen. Er könne nämlich sämtliche ihn beherrschenden Traumata mit einem Schlag überwinden, wenn er nur das innere Corona besiege. Und dann geht man acht- und heilsam mit sich selber um und horcht tief in sich hinein: „Ich sammle und notiere die Gefühle, die die Lockdowns in mir auslösen. Jedes Gefühl versuche ich durch Nachfragen zu präzisieren. Wie erlebe ich es im Körper, z.B. Enge, Druck, Verspannung, etc.? Was für ein Gefühl ist es, ist es Wut, Verzweiflung, Angst, Ohnmacht, etc.? Welche besonderen Qualitäten oder Färbungen hat es? Und auf was bezieht sich das Gefühl? Wenn ich zum Beispiel Angst habe, ist es Angst vor Krankheit, vor politischer Unterdrückung oder vor wirtschaftlicher Vernichtung? Und bei jedem Gefühl frage ich mich: Wird ein persönliches Thema getriggert oder lebe ich die kollektive Stimmung mit? Ich notiere die Gefühle, achte sie und nehme sie wahr und verweile darin. Es ist wichtig und heilsam, mit den Gefühlen zu verweilen, bevor man weiteres mit ihnen macht.“ (8)

Ja, was triggert da in mir? Gibt es immer noch unerlöste Gefühle, die in mir herum poltern? Sollte ich jetzt einen Engel anrufen, ein Vaterunser beten oder ein schönes Lied „hineinsingen“, vielleicht von Campino oder Andrea Berg? Aber, du liebe Güte, damit ist es ja noch nicht getan. Auch unser „Denkraum“ ist ja leider durch die Medien „vernebelt und verdunkelt“ (9). Wir müssen es unbedingt durchlichten- womöglich mit Hilfe einer Gestalt wie Thomas von Aquin: „Durch Selbstdenken laden wir entsprechende lichte Geister ein, die dann unseren Bewußtseinsraum erfüllen. Thomas von Aquin, der große mittelalterliche Scholastiker, sprach davon, dass das Denken durchchristet sein sollte. Er wußte noch, dass Denken immer auch Kommunikation mit Geistwesen ist.“ (9) Selbstdenken ist das beste Gegenmittel gegen vernebelte Bewussteins- Räume. Zu diesem Zwecke lässt der Anthro- Guru mittels Thomas von Aquin die statistischen Zahlen des Robert- Koch- Instituts meditieren, was zu Erkenntnissen führt wie „Das RKI hat veröffentlicht, dass das Durchschnittsalter der mit positiven Test Verstorbenen bei 84 Jahren liegt (Stand Januar 2021). 84 ist drei Jahre mehr als die normale Lebenserwartung. Das heißt, im Schnitt stirbt man an den üblichen Krankheiten um drei Jahre früher als mit Covid19. Damit erhöht das Coronavirus also nicht die durchschnittliche Sterblichkeit, es ist nicht gefährlicher als das sonstige Leben.“ (9) An dieser Stelle muss, so Mayer, auch der beste Bewusstseins- und Traumata- Überwinder damit rechnen, dass ihn gewisse Zweifel anfallen, z.B. ob das Virus nicht doch gewisse Gefahren berge. Sind das Anfechtungen des Geistes, die den angehenden Selberdenker in Versuchung führen wollen? „Die interessanten Fragen sind nun: Wo kommen diese Widerstände her? Warum haben sie eine so starke Kraft in der Seele? Wie konnten sich diese in meiner Seele überhaupt verankern?“ (9)

Ja, an dieser Stelle tritt offenkundig der Versucher an uns heran, der uns glauben machen will, dass die Zahlen des RKI und die Meinungen der Talk- Gäste bei Markus Lanz womöglich doch eine gewisse Bedeutung haben. Nun gilt es, stark zu sein. Man muss die Durchchristung des Denkens wirklich realisieren: „Die fortwährende Wahrheitssuche ist eine zentrale spirituelle und natürlich auch wissenschaftliche Haltung. Das ist nichts Abstraktes, sondern man sucht sich damit mit hohen, lichten Geistern zu verbinden. „Ich bin der Weg, die Wahrheit und das Leben.“ Dieses Christuswort kann man real nehmen, bei der Wahrheitssuche geht es – geistig betrachtet – um die Durchchristung des Denkens.“ (10) Aber natürlich kann man auch einfach mal nach alternativen Quellen im Internet surfen, die uns Herr Mayer auch gleich empfiehlt. Da sieht man dann auch, dass diese Wissenschaftler mit ihren Modellen jede Beziehung zu dem, was man sieht, verloren haben: „Und dann gibt es aber zunehmend Wissenschaftler, die sitzen vor allem vor dem Computer und Modellieren. Diese Modelle und Hochrechnungen haben in der Regel falsche Grundannahmen und deshalb falsche Ergebnisse, aber das ist nicht so wichtig, denn das Modell ersetzt die Wahrnehmung.“ (10) Richtig und wichtig, so die Essenz der fundierten Wissenschafts- Kritik Mayers, sei nur eine Wissenschaft, in der der rechte „Geist des Christus“ (10) wehe. Mit dieser Einstellung kläre man den Denkraum immer weiter. 

Man müsse aber natürlich auch die durch die Medien in uns hinein gesetzten negativen Denkmuster überwinden und daher am besten (Übung 9) „Corona-Hypnose durch Medienkonsum vermeiden“ (11). Wir sind ja durch die Massenmedien faktisch in eine kollektive Trance versetzt worden; auch durch die herrschende „Hypnosesprache“. Leider seien Zombies, die an die Massenmedien, Karl Lauterbach und die Kanzlerin glauben, praktisch geistig nicht mehr zu erreichen: „Leider ist es nicht möglich, Menschen in unserer Umgebung, die der Hypnosesprache erlegen sind, durch logische Argumente zu überzeugen.“ (11) Man kann nur absurde oder humorige Sprüche ablassen, absolute Sicherheit ausstrahlen, um eventuell eine „Dehypnose“ (11) durch die Hintertür einzuleiten. 

Nun, da man ja schon in seinem Selber- und Querdenkertum gefestigt ist, kann man es auch wagen, sich an gefährliche Imaginationen heran zu wagen, die zwar absurd sind, aber die, wenn man sie im eigenen klaren Gedankenraum bewegt, auch innerlich beweglich machen können, nämlich solche wie die, die Regierung wolle doch nur unser Bestes: „Man kultiviere richtiggehend das Gefühl in sich, sich gut und sorgsam von der Regierung beschützt zu fühlen und in Ruhe und Zuversicht in der bestmöglichen Vernunft den getroffenen Maßnahmen ganz zu vertrauen. Alles ist im besten Sinne gut und notwendig und nach der Krise wird wieder alles in seinen stabilen und gewohnt-sicheren Alltag zurückfinden. Sehr sorgfältig sollte dieses Bild im Inneren einen ausreichenden Empfindungsraum erhalten.“ (12) Dann ist es aber auch gut, und man stellt schleunigst im Denkraum die richtige Korrelation her, nämlich „Er erlebt die getroffenen Maßnahmen und die Vermittlung der Gefährlichkeit des Virus als ein zutiefst suggestives Geschehen, das einer Lüge gleichkommt, aber den Menschen als die ethisch völlig korrekte Haltung und der einzig vertretbare Weg vermittelt wird.“ (12) Das Meditieren der polaren Gegensätze bringt den Adepten zu einer weiteren, höheren Ebene, in der er sich am besten mit einem höheren Ort oder Wesen verbindet und zum Erkennen der tieferen Ziele der Coronakrise kommt: „Meditiere die Frage: „Was ist der höhere Sinn der Coronakrise?“ Um einen umfassenderen Blickwinkel einzunehmen, verbinde dich mit besondere Naturorten oder hohen Geistwesen und schaue mit diesen zusammen auf diese Frage.“ (12)

Was werden diese Geistwesen sagen? Sie werden auch sagen, dass man Opfer bringen muss als Selbstdenker, dass man bespuckt und verfolgt wird. Als Beispiel dient Mayer die politische „Framing- Falle“ wie bei der „„Erstürmung des Reichstages“; tatsächlich war es ein Fotoshooting auf der Treppe..“ (13) auf der Demonstration der Querdenker am 28.08.2010 in Berlin. So wurde medial die ganze Bewegung diskreditiert und die Stimmung im Land vergiftet. Berlin, die Polizei, die Medien- sie alle hätten eine „inszenierte Lüge“ (13) stattfinden lassen. Solche Diffamierungen an den Seelen der Selbst- und Querdenker seien natürlich etwas wie ein „seelischer Mord“ (14) An dieser Stelle empfehlen sich, wenn man schon gekreuzigt wird, auch die Seligpreisungen des Neuen Testaments: „Meditiere die Seeligpreisungen aus dem Matthäus-Evangelium, insbesondere die drei Letzten: Selig, die Frieden stiften; denn sie werden Kinder Gottes genannt werden. Selig, die verfolgt werden um der Gerechtigkeit willen; denn ihnen gehört das Himmelreich. Selig seid ihr, wenn man euch schmäht und verfolgt und alles Böse über euch redet um meinetwillen. Freut euch und jubelt: Denn euer Lohn wird groß sein im Himmel. So wurden nämlich schon vor euch die Propheten verfolgt.“ (14)

So sei es denn, Ihr Bewohner des klaren Denkens, der gereinigten Gefühle und des Himmelreichs. Lasset die Schmach der lügenden Welt an Euch abperlen. Freuet Euch und jubelt, der Christus und Herr Mayer sind an Eurer Seite.

In der Folge geht es für den Adepten um die Verwandlung des physischen Leibes, wobei man etwa meditativ jedes einzelne Organ herzlich begrüßen sollte: „Liebes Leberwesen, ich grüße dich.“ (14) Das Ganze dient natürlich auch dazu, die, wie sich in der Coronakrise zeigt, Indoktrination - „vom Staat und den Medien mit einem materialistischen Krankheitsverständnis“ (14)- zu überwinden, um zu einem „ganzheitlichen“ Gesundheitsverständnis zu gelangen. Bei der herzlichen Begrüßung der eigenen Organe sollte man besonders darauf achten: „Kommt zum Beispiel ein freudiger Gruß zurück?“ (14) Erst nach klaren Antworten sollte man sich auf Kommunikation mit dem ganzen eigenen Immunsystem einlassen, mit dem man dann auch lebhaft kommunizieren kann. „Das Immunsystem wird auch von vielen Elementarwesen verwaltet“ (14), wodurch man womöglich ganz schön zeitlich ans kommunikative Limit kommen könnte. Aber man hat ja in früheren Stadien jeden Konsum gehirngewaschener Massenmedien überwunden, außer den von Mayer genannten sicheren Quellen im Internet. Nun bleibt eigentlich nur noch, sich auch mit dem eigenen Tod anzufreunden, den ja meist leider nur ältere Leute aus näherer Anschauung kennen, denn bedenke: „Die Angst vor dem Tod macht unfrei und manipulierbar.“ (15) Aber auch die vielen kleinen Tode und Veränderungen im Leben sollten ins innere Auge verlegt werden, ebenso wie die lieben Verstorbenen in ein „inneres Gespräch“ (15) verwickelt werden sollten. So wird dann, ganz normal, auch die Tatsache normaler, dass man schon viele Male, nämlich in früheren Inkarnationen, gestorben ist, und dass daran nichts besonderes ist: „Wenn man sich hineinversetzt hat, dass man zum Beispiel schon 20 mal gestorben ist, und das durch ein Klingen in der Seele unterstützt wird, wird das Sterben zunehmend ein natürlicher Vorgang und keine einmalige Katastrophe.“ (15)

Auf dieser Basis ewiger Koexistenz mit Engels, Verstorbenen, Elementargeistern und natürlich auch Viren sollte man in den kosmischen Meditations- Zustand übergehen und dabei folgende Punkte des vehementen inneren Protestes abarbeiten: „1. Freiheit ist unser Geburtsrecht! 2. Wir verlangen Frieden auf der Erde! 3. Demokratie ist unser unwiderrufliches Recht! 4. Alle Anstrengungen für eine gesunde Erde! 5. Wir verlangen Bewegungsfreiheit! 6. Wir respektieren Viren und Mikroben!“ (16) Die weiteren Motive der inneren Stilen Demonstration überspringen wir jetzt mal, betonen aber Mayers Forderung, sich keinesfalls Gefühle des Hasses dabei zu erlauben. (17) 

An dieser Stelle ist man doch schon geistig so weit eingeweiht, dass man daran gehen kann, nun auch das Corona- Virus selbst zu verbessern- selbstverständlich mit der Unterstützung einiger Engel- Hierarchien. Herr Mayer selbst hat in einer Eingebung erkannt, dass „das Virus und die Krankheit nicht nur aus einer natürlichen Entwicklung entstammen, sondern auch aus menschlichen Manipulationen. Interessanterweise gab es auch von Anfang an die Diskussion, ob das Virus dem Labor in Wuhan entsprungen sei, wo Corona-Viren manipuliert wurden.“ (16) Das erklärt die von Mayer geschauten dunklen Impulse des Virus. Da er und einige spirituelle Freunde 2020 intensiv geistig daran arbeiteten, wurde die dunkle Seite des Virus im Sommer schwächer. Leider hat es sich danach aber wieder aufgeladen. Wenn man bereit ist, im Dienste der Menschheit daran mitzuwirken, muss man sich jedenfalls hinter die Ohren schreiben: „Gut ist, zu Beginn der Meditation sich mit dem eigenen Engel, den Engelshierarchien und mit Christus zu verbinden und damit einzuhüllen. So erhält man einen sicheren Standpunkt.“ (16) Es gibt sogar ein Mantra extra für diese Viren, das man in sein heilsames Wirken im Namen der Erde und der Menschheit einbinden kann. Herr Mayer ist so freundlich, es uns zu offenbaren: 

Ihr Coronaviren, schauet den Christus,

schauet die Liebe des Christus,

schauet die Urkraft der Liebe.

Und schauet die Naturwesen!

Lasset euch positiv in die Erdentwicklung integrieren! Für euch bete ich das Vater-unser." (18)

Ganze Dämonen- Scharen springen damit panisch von Bord, selbst die „Fluten von Gespenstern und Dämonen“ (18), die durch die Corona- Regeln entstehen. Man kann aber auch deutlich sehen, dass hinter dieser Inszenierung gewaltige „gezielte dunkle magische Arbeit“ (18) steckt. Herr Mayer empfiehlt, wenn man sich schon mit diesen schwarzen Magern anlegt, sich andererseits zur Verstärkung den Auferstandenen und seine ganze dienstbare himmlische Truppe an Bord zu holen: „Ich verbinde mich mit meinem Engel und empfinde diesen. Wenn die Verbindung deutlich da ist, bitte ich meinen Engel, meine Bitte an die höheren Engelshierarchien weiterzugeben, vor mir einen Heilraum aufzubauen. Insbesondere die Scharen Michaels (Anlitz Christi, Durchsetzungskraft) und die Scharen Raphaels (Heilung) bilden aus ihren Leibern den geistigen Heilraum. Ich sehe von außen auf diesen. Nun bitte ich die Engelshierarchien, Angst-, Lügen- und Manipulationsdämonen in den Heilraum hereinzuführen.“ (18)

So steht Herr Mayer, direkt hinter ihm der Erzengel Michael, Christus und die christliche Hierarchie, um sich Herrn Droste und Herrn Lauterbach, den Dienern des Antichristen, entgegen zu stellen. Da ist etwas los. Andererseits müssen auch die Masken und Impfungen durch- christet werden, denn die Impfungen schneiden ja unseren Ätherleib ab, was insbesondere dann Schwierigkeiten bereitet, wenn wir schon tot sind: „Bei einigen Verstorbenen nach einer Impfung konnten wir beobachten, dass die Auswirkung der Impfung auf den Ätherleib zu starken Blockaden im nachtodlichen Leben führte. Hier liegt ein schwerwiegendes gesellschaftliches Problem vor.“ (19)

Ganz gewiss. Und das ist auch schon fast der Höhepunkt der geistigen Initiative Herrn Mayers und seiner Getreuen, die er ja in diversen anthroposophischen Instituten und Organisationen weiter zu leiten gewillt ist. Buchen Sie doch einfach ein Seminar! Treten Sie der Bewegung zur Heilung des kosmischen Raums bei! Seine Sie Teil der Christus- Police- Academy! Hauen Sie der Corona- Lüge und den darum kreisenden Dämonen mit der Buddha- Keule auf den Kopf! Schicken Sie die Drosten- und Lauterbach- Dämonen auf den Mars! Diskutieren Sie mit ihrem Uterus! Heil! Heil!



--------------verweise

1 https://www.anthroposophische-meditation.de/

2 https://www.anthroposophische-meditation.de/corona-krise

3 https://www.anthroposophische-meditation.de/corona-krise#c2158

4 siehe 3, S. 2

5 siehe 3, S. 4, Inhaltsverzeichnis 

6 siehe 3, S. 5f

7 siehe 3, S. 9ff

8 siehe 3, S. 12 ff

9 siehe 3, S. 14ff

10 siehe 3, S. 17

11 siehe 3, S. 23ff

12 siehe 3, S. 26ff

13 siehe 3, S. 31ff

14 siehe 3, S. 31ff

15 siehe 3, S. 38ff

16 siehe 3, S. 43ff

17 Mayer zitiert an dieser Stelle Marko Pogačnik

18 siehe 3, S. 46ff

19 siehe 3, S. 50ff

Renate Riemeck- Die anthroposophische Historikerin und ihre gefälschten Entnazifizierungs- Unterlagen

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Ich traf Renate Riemeck Anfang der Neunziger mehrmals auf einem Seminar in einer anthroposophischen Studienstätte- vor allem nach den eigentlichen Vorträgen und Seminaren zum Thema anthroposophischer Geschichtsdeutung hielt sie Hof, stets umgeben von einer großen Traube vor allem junger Anhänger. Wie umstritten Riemeck war, wusste ich damals noch nicht, hatte sie doch ungefiltert Material des umstrittenen anthroposophischen Historiker Karl Heise in Büchern verwendet, um ihr historisch alternatives Bild von Mitteleuropa (1) - ein Buch, das zu dieser Zeit durch Taschenbuchausgaben im Fischer- Taschenbuch-Verlag erhebliche Popularität erlangt hatte- zu entwerfen. Heute wäre das wohl eher eine Sache für den stramm rechten Perseus- Verlag. Renate Riemeck hatte auch eine offenkundige und ausgeprägte Schwäche: wie heute viele der populistischen Hobby- Historiker liebte sie die Aufmerksamkeit der Menge und pflegte dann zumindest dick aufzutragen, um nicht zu sagen, zu fabulieren- solange das Gesagte zumindest sensationell wirkte. Heute kann man sich eine solche Anhänger- Meute, die den Narzissmus bedient, via YouTube generieren; in den vergangenen Jahrzehnten musste man noch durchs Land reisen, um die Geistesperlen unters Volk zu werfen.

Als ehemalige Anti- Wiederbewaffnung- Demonstrantin, geschasste Dozentin und Ziehmutter von Ulrike Meinhof war Renate Riemeck nicht im Verdacht, dem rechten Spektrum zu entstammen, ganz im Gegenteil. Sie war schließlich aktive Politikerin, Publizistin und Mitbegründerin der Deutschen Friedensunion -ein Vorläufer der heutigen Grünen-, eine Kämpferin gegen die Atomwaffen- Aufrüstung des Westens im Kalten Krieg, ja eine Protagonistin der Außerparlamentarischen Opposition. So jemand wie sie wurde in den 70er und 80ern aus dem Staatsdienst entlassen und erhielt ein Verbot, als Dozentin zu lehren. 

Über die heutigen rechtslastigen Protagonisten eines freien Europas wäre sie wahrscheinlich eher entsetzt gewesen, auch wenn sie die eine oder andere verschwörungstheoretische Erklärung der Einflüsse auf Europa und die Ursprünge des Ersten Weltkrieges selbst vertrat- oder doch der typisch anthroposophischen Agenda entnahm. Schließlich hatte sie ihr Examen in Jena in den letzten Jahren des 2. Weltkrieges unter Tieffliegerangriffen gemacht, während ihre akademischen Freundinnen mit dem Judenstern herum laufen mussten. (2) In einem Interview mit Alice Schwarzer (3) erzählte sie aus dieser Zeit: „Eigentlich hatte ich auch das Kriegsende schon eher erwartet, nach dem Untergang der 6. Armee. Aber es dauerte dann ja doch noch ein Jahr und ein halbes Jahr dazu, bis es endlich soweit war. Als dann die amerikanischen Soldaten vor Jena standen und, obwohl die deutschen Soldaten alle weg waren, noch anfingen zu ballern - da bin ich denen entgegen gezogen und habe gesagt: Sie brauchen nicht mehr zu schießen! Kurz vorher war ich mit einem Bettlaken in der Aktentasche runtergegangen in die Stadt und hatte es zusammen mit einem Vorarbeiter als weiße Fahne auf dem Hochhaus der Zeiss-Werke gehißt. Mein Bettlaken. Das war mein schönstes Kriegserlebnis!“ Und natürlich wusste Riemeck, wie alle, von der systematischen Ermordung der Juden: „Von dem Ausmaß habe ich erst später erfahren. Ich wusste aber, dass sie alle nach Auschwitz geschickt und dort auch umgebracht wurden. Das hat mich natürlich geprägt. Ich habe 1945, kurz vor dem Zusammenbruch, zufällig gesehen, wie Leute aus dem KZ Buchenwald auf der Landstraße von Weimar nach Jena getrieben wurden. Ich sehe diesen ganzen Zug von Elendsgestalten noch heute vor mir... Damals sagte ich leise zu den KZlern: Es dauert nicht mehr lange, es dauert nicht mehr lange. Und ich habe mir geschworen: Nie in meinem Leben werde ich etwas gegen diese Menschen sagen oder sogar tun.“ (3)

In ihren Erinnerungen (2) schreibt sie auch über die Umstände, denen sie zu der Zeit der Aktivität Ulrike Meinhofs in der Roten Armee Fraktion unterworfen war: „Im Frühjahr 1970 die ihre Schwester Wiebke mich an, um mir von dem Steckbrief zu berichten, der überall aushing. Ich hielt den Atem an und ahnte nichts Gutes. Von der politischen Hetzjagd, die nun begann, waren alle Freunde Ulrikes betroffen, und erst recht ich. Daß Kriminalbeamte mich im Morgengrauen in meiner Eppenhainer Wohnung aufsuchten und verhörten, war nur eines der vielen hektischen Unternehmen, mit denen die Verfolgung der „Baader- Meinhof- Bande“ begann. Ulrikes Verhaftung erfolgte am 15. Juni 1972 (..). Während ihrer Gefangenschaft in Hamburg und Stammheim lehnte sie jeden Kontakt mit mir ab. Und ich verstand, warum sie das tat. Ich hätte an ihrer Stelle nicht anders gehandelt und die Konfrontation mit einem Menschen aus einer besseren Vergangenheit gemieden.“ Aber dass Renate Riemeck ihre Ziehtochter Ulrike nie mehr gesehen hat, war und blieb wohl dennoch eine offene Wunde, über die sie auch in dem Gespräch mit Alice Schwarzer berichtet. Auch der Spiegel bezieht sich in seinem Nachruf 2003 auf Riemecks öffentlichen Appell an Meinhof, den Terrorismus aufzugeben- was wohl der eigentliche Anlass für den persönlichen Bruch gewesen sein wird. (4)

Aber, wie oben angedeutet, hatte Renate Riemeck im anthroposophischen Rahmen auch sehr esoterische Seiten. In den abendlichen Runden des Seminars erzählte sie - auch sie emotional bewegt von der Vision eines zukünftigen geistvollen Russlands der kommenden Kulturepoche - von einer Anfrage aus politischen Kreisen Moskaus, wie mit einer ganzen Gruppe hellsichtiger, blauäugiger Geistseher umzugehen sei bzw wie sie ein solches, wachsendes Phänomen einschätzen würde. Riemeck sah darin die ersten Anzeichen eines neuen, spirituellen Russland, von dem Rudolf Steiner doch gesprochen habe und das die Welt verändern werde. Sie behauptete, sie sei persönlich von der damaligen russischen Regierung eingeladen, diese spirituelle Angelegenheit wachsender Gruppen spirituell erwachter Russen zu begutachten und sei zu diesem Zweck auch durch Russland gereist, mit einer ganzen Delegation russischer Fachleute. Ich selbst habe ein halbes Leben lang gerätselt, was Riemeck da gemeint haben, was sie veranlasst haben könnte, solche Geschichten zu verbreiten. Wahrscheinlich waren es die glühenden Augen der männlichen Jung- Anthroposophen mit dünnen Bärtchen, die sich um die alternde Reineck drängten und hungrig nach frischen, immer dramatischeren Erzählungen waren.

Aber es gibt auch einen Anlass für die Gossen- Historien aus dem Mund der Eso- Historikerin Reineck: In einem Buch des russischen TV- Manns Peter Pomerantsev (5) wird zumindest von einer russischen Groß- Sekte berichtet, die heute, wie diverse Dokumentationen zeigen, auch für Siedler aus Deutschland attraktiv geworden ist. Es handelt sich um die  Sekte des ehemaligen Postangestellten Vissarion aus Krasnodar, der sich für den wiedergekehrten Christus hält. Die Sekte wurde Anfang der 90er im Rahmen einer Kolonie namens „Wohnsitz der erwachten Stadt“, abgelegen in den Bergen an der Grenze zur Mongolei begründet und besteht bis heute. Die 4500 Anhänger leben in selbst gebauten Holzhütten, Stunden des Fußmarsch von jeder Straße entfernt- was sich heute durch die stetig fliessenden Gelder geändert haben mag. Die Anhänger leben fleischlos und abstinent von Alkohol, in vollkommener Autonomie. Auch Pomerantsev bestätigt: „and they all have clear, crystal blue eyes and powerful shoulders and look ten years younger than their actual age.“ (S. 179) Selbstverständlich erwarten sie die Apokalypse und leben auf bergiger Höhe, um den kommenden Wasserfluten zu entgehen. Der Sektengründer ist absoluter göttlicher Herrscher, für den ein eigenes Weihnachtsfest gefeiert wird. In dem von hingeschriebenen eigenen Neuen Testament werden alle Religionen der Welt integriert, so dass sich eine Art „Collage“ der Religionen ergibt. Der Alltag der Erwachten schwankt dann auch von transzendentaler Meditation bis Derwisch- Tanzen am Nachmittag. Vissarion bewohnt das am höchsten gelegene Haus und kommt an Weihnachten (d.h. seinem Geburtstag) herab zu den Anhängern, gewandet in lila Umhängen, um Fragen zu beantworten. Man glaubt an Reinkarnation, die allerdings überwunden werden soll, um ganz in die Vollkommenheit einzugehen.

Diese Sekte ist so typisch in ihrer apokalyptischen Egozentrik und ihrem Gurutum, dass sie nicht einmal besonders tauglich ist für die von Esoterik strotzenden TV- Programme des neuen, putinesken Russland. Auch wird in ihr kaum die von Riemeck postulierte Hoffnung auf das Kommende - diese spezifische Heilserwartung, die in Russland Selbstbildern vollkommen mit Steiners Prophetie übereinstimmt- erfüllt werden. Das ist nicht das Geistselbst- Bewusstsein, das ist eine ordinäre Sekte. 

Dennoch mag man einer radikal engagierten, offenherzigen und politisch aktiven Frau von Renate Riemeck den einen oder anderen Fauxpas verzeihen. Eine solche bodenständige Unbequemlichkeit verträgt ein paar unscharfe Stellen.

Allerdings wird die Heise - Karte auch heute noch von rechtspopulistischen anthroposophischen Kreisen wie dem Perseus- Verlag (6) weiter verbreitet, in Bezug auf Äußerungen Rudolf Steiners, dass bestimmte Logen- Kreise bereits im 19. Jahrhundert eine Zertrümmerung Mitteleuropas geplant hätten: „Was Sie hier auf dieser Karte sehen, ist nun nicht irgend etwas, womit ich im geringsten, ich sage es noch einmal, jemanden beeinflussen will, sondern womit ich nur sagen will, dass dies als eine Art Gestaltung Europas – für mich deutlich zurückführbar bis in die neunziger, achtziger Jahre – in gewissen okkulten Gemeinschaften gelehrt worden ist. Warum man dort die künftige Gestaltung Europas so ansah, welche Gründe man dafür hatte, das wurde immer auch ausgeführt. Es wurde ausgeführt, in welcher Weise und auf welchem Wege – selbstverständlich galten vernünftige Gründe – man für Europa eine solche Gestaltung wünschte. Davon wollen wir dann morgen sprechen, meine lieben Freunde. Ich will nur noch erwähnen, dass ich Ihnen nichts irgendwie Ausgedachtes bringe, sondern etwas weitergebe, was in vielen Köpfen als wirksamer Impuls lebte – als etwas, was man herbeiführen müsse, worauf man alle Kräfte dirigieren müsse, damit es herbeigeführt werden könne.“ (Zitiert nach 6) Die „anglo- amerikanischen Kreise“ hätten Kriege des 20. Jahrhunderts zu diesem Zweck - nämlich der „Weltbeherrschung“ als Mittel eingesetzt. Schon 1966 sah Die Zeit (7) Renate Riemeck in diesem Kontext in der Nähe einer „Gossenhistorie“: „Was die Autorin den Scharlatanen voraus hat, ist ein breites, wenn auch oft kurioses und abseitiges historisches Wissen und die Gabe flüssiger, ja oft dramatischer Darstellung. Was sie jedoch vom großen Gelehrten trennt, ist die oft monomanische Besessenheit von dann nicht durchgeführten und nur auf Verdacht geäußerten „Geheimnissen“ und „Verschwörungen“ in der Geschichte, die ihre Analyse nur zu oft in die unmittelbare Nachbarschaft der Gossenhistorie rückt.“ Da steckt die anthroposophische historisch- politische Argumentation zu weiten Teilen bis heute.

In einer Überschau über die Meinhof- Biografie Jutta Ditfurths hat Hans- Jürgen Bracker vor rund 15 Jahren bei den Egoisten geschrieben: 

"Allem Anschein nach muss das Bild einer weiteren anthroposophischen Persönlichkeit hinsichtlich ihrer Biografie während der NS-Zeit revidiert werden: In ihrem Buch (8) befasst sich Jutta Ditfurth u.a. mit Ulrike Meinhofs Zieh- bzw. Pflegemutter Renate Riemeck (1920-2003). Bislang galt die Historikerin Riemeck, einst jüngste Professorin an einer deutschen Hochschule, als linke Friedensaktivistin in den 50er und frühen 60er Jahren, die auch noch Anthroposophin war. In ihrer Autobiografie (die ich nicht gelesen habe) hat sie sich und Ulrike Meinhofs Eltern wohl als Gegner des Nationalsozialismus dargestellt. 

Ditfurth hingegen, seit langem als vehemente Anthroposophie- Kritikerin bekannt, schildert Riemeck als verlogen. Die folgenden Zitate entstammen diversen Interviews bzw. Rezensionen des Buches. (9) 

(Interviewer:) "... dass Ulrike Meinhofs Vater kein christlicher Widerständler war, sondern ein leidenschaftlicher Nazi, dass ihre Pflegemutter, Renate Riemeck, früher mal eine Leitfigur der westdeutschen Friedensbewegung, dass sie im Nazi-Regime eine stramme Universitätskarriere gemacht hat." 

(O-Ton Ditfurth:) "Und dann gibt es diese Renate Riemeck, die die eigene Vergangenheit leugnet, ihre Entnazifizierungs- Unterlagen fälscht und der Transmissions- Riemen zur Familie Meinhof ist. Das heißt, der jungen Ulrike Meinhof die Legenden, die Mythen vermittelt, sie stamme aus einer antifaschistischen, christlichen Familie. Das klärt sich erst in den 60er Jahren auf, als Ulrike Meinhof auch schon längst aus vielen anderen Gründen getrennt ist von dieser tyrannischen Pflegemutter, die fälschlicherweise den Ruf hatte, ganz besonders fortschrittlich und eine ganz besonders tapfere Frau gewesen zu sein, sondern die oft in ihrem Leben gelogen hat." (10)

(O-Ton Ditfurth) "Nehmen Sie mal Renate Riemeck, Ulrike Meinhofs Pflegemutter. Ihre eigene Nazi- Vergangenheit hat sie geleugnet, allen Biografen hat sie stets erzählt, die Meinhofs seien christliche Widerstandskämpfer gewesen, Ulrikes Vater habe sich den Faschisten verweigert. Falsch. Werner Meinhof war eifriges Mitglied der NSDAP, als Museumsdirektor in Jena hat er 1937 über 270 Kunstwerke für die Ausstellung "Entartete Kunst" ausgeliefert, darunter fast das gesamte grafische Werk Ernst Ludwig Kirchners. Zeitzeugen müssen oft ihr eigenes Handeln besser darstellen, sich für die Nachwelt selbst rechtfertigen." (11)

„Nach dem Tod von Ulrikes Mutter 1949 übernahm sie die Mutterrolle für die Schwestern Wienke und Ulrike, obwohl Herzenswärme keine ihrer Stärken war. In der Nazi-Zeit hatte die ehrgeizige Frau sich als Mitglied der Arbeitsgemeinschaft Nationalsozialistischer Studentinnen profiliert, und sie bewährte sich als rechte Hand des Direktors vom Historischen Seminar Jena: des antisemitischen Rassen- Hygienikers und Obersturmbannführers Johann von Leers." (Tagesanzeiger 28.12.2007)

"Entgegen ihrer sehr vagen Autobiographie "Ich bin ein Mensch für mich" (1992), war Riemeck nicht sehr widerständig, sondern sogar Mitglied der NSDAP. Sie studierte bei den Rasseforschern Karl Astel und F. K. Günther und arbeitete als Assistentin bei Johann von Leers, der nicht bloß SS-Obersturmbannführer war, sondern als Professor den Antisemitismus auch noch wissenschaftlich begründen wollte. [...] Inwieweit Riemeck in ihrer Oppositionspolitik von Ostberlin beeinflusst oder gar gelenkt war, ist nach wie vor unklar. So wie Riemeck den Widerstand nachholte, den sie in der Nazizeit unterlassen hatte, holte Meinhof erst als Journalistin und dann als Terroristin die Revolte gegen ihre Ziehmutter nach. Die mochte Pädagogikprofessorin sein und sich heldenmütig gegen den übermächtigen CDU-Staat Konrad Adenauers erhoben haben, zu Hause war sie tyrannisch, untersagte der Ziehtochter Liebesbeziehungen und gab später gerne deren Mann Klaus Röhl das letzte Wort." (Südd. Ztg. 25.11.2007)

"Riemeck leugnete, dass sie jemals ein Nazi gewesen war, aber Ditfurth hat in den Archiven nachgeforscht und herausgefunden, das Riemeck einen Antrag auf Mitgliedschaft in der Partei 1941 gestellt hat. Ihre Mitgliedsnummer war 8915151." (Göteborgs Posten, 10.11.2007)

"Renate Riemeck übernimmt dann für Ulrike und ihre Schwester die Pflegschaft. Diese couragierte Frau, Deutschlands jüngste Professorin, in der SPD gegen die Wiederbewaffnung engagiert und später in der Friedensbewegung aktiv, habe ihre eigenen Entnazifizierungs- Unterlagen gefälscht, so Ditfurth. Sie sei ebenfalls NSDAP-Mitglied gewesen - dass sie Juden geholfen habe, sei nirgends nachzuweisen." (ZDF, Aspekte v. 16.11.2007)

Riemeck "habe als ehemaliges NSDAP-Mitglied «gleich zweimal ihre Entnazifizierungs- Unterlagen gefälscht», sagt die Biografin Ditfurth. - Und zu Hause hätten Anstand und Ordnung geherrscht. So habe Riemeck den ersten Freund von Ulrike Meinhof nicht geduldet, weil der nur Steinmetzlehrling war." (ddp, 23.11.2007)

Da habe sich in den 50er und 60er Jahren die Legende von der NS-Gegnerin Riemeck verfestigt - die einstmals jüdischen Opfern geholfen habe. "Meine Recherchen sagen: Davon ist kein einziger Fall wahr." Die Riemeck habe in Jena zwischen 1940 und 1945 die ehrgeizige Historikerin gegeben, die die "Nähe zu den faschistischsten Lehrmeistern" gesucht habe; ja, sie sei 1943 für hohe Positionen im besetzten Ausland vorgeschlagen worden.Auch gebe es Belege, dass sie beim Nahen der Roten Armee ihre Entnazifizierungs- Unterlagen gefälscht habe. Wiederum sei die Riemeck für Ulrike (Jahrgang 1934) eine "enorm ehrgeizige, tyrannische Pädagogin" gewesen. "Sie hat 1949 bis 1955 unter der Fuchtel von Renate Riemeck furchtbar gelitten." Auch habe sie Ulrike in punkto Familie "die Hucke vollgelogen und ihr Mythen über die tollen Meinhofs erzählt"." (Thüringische Landeszeitung 25.11.2007)

(O-Ton Ditfurth:) "Renate Riemeck hat ihr Leben lang soviel gelogen, daß sie als Zeugin auch hier [nicht durchdachte Konsequenzen der Baader-Befreiung, hjb] ausfällt. Bis ans Ende ihres Lebens hat sie ihre NS-Vergangenheit verschwiegen und die Lüge verbreitet, sie habe Juden geholfen. Ihre Biographie mußte ich auch erst einmal neu recherchieren, immer hat man ihr geglaubt." (taz, 4.12.2007)

"Manchen mag erstaunen, dass sogar bei der Pflegemutter Renate Riemeck ihr Leben eingeschränkt war. Erste Liebeserfahrungen wurden von der Pflegemutter, wenn dies nicht in ihr Welt- und Sittenbild passte, rigoros durch strikte Verbote beendet. Viele die bisher sehr wenig über die DFU-Frau Renate Riemeck wussten bekommen hier ein erschreckendes Bild einer Frau geboten, die sehr zielbewusst nur das eigene Erfolgsprojekt namens Riemeck vorantreibt, ohne Rücksicht auf Verluste." (www.scharf-links.de 20.11.2007)

Inwiefern Jutta Ditfurth einseitig Quellen interpretiert und Renate Riemeck über Gebühr negativ darstellt, kann ich nicht beurteilen. Aber die recherchierten Fakten muss man wohl nicht anzweifeln. (..)"


____________________Verweise


1 Renate Riemeck, Mitteleuropa, Bilanz eines Jahrhunderts. Verlag die Kommenden, Freiburg im Breisgau

**Renate Riemeck, Ich bin ein Mensch für mich. Aus einem unbequemen Leben

***http://www.emma.de/artikel/raf-1989-wie-war-das-den-50ern-264466

****http://www.spiegel.de/spiegel/print/d-27163366.html

*****Peter Pomerantsev, Nothing is true and everything is possible. The surreal heart of the new Russia

6 http://www.perseus.ch/PDF-Dateien/Zertruemmerung_0610.pdf

7 http://www.zeit.de/1966/09/nebel-ueber-mitteleuropa

8 Ulrike Meinhof. Die Biografie." Ullstein Verlag, Berlin 2007, 478 Seiten

9 Die meisten davon waren auf Jutta Ditfurths Homepage http://www.jutta-ditfurth.de/ulrike-meinhof/Reaktionen.htm nachzulesen

10 dlf-Interview mit Jürgen König, 29.11.2007

11 Interview im Stern, 8.11.2007

Der weite, schöne Garten des Ich bin

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Auf dieses Buch habe ich lange gewartet – A Meditation on I Am – von Rupert Spira– , und hatte es doch fast vergessen, denn es war lange digital vorbestellt, verspätete sich, wie so vieles im Rahmen der Pandemie, und dann sah ich es, überraschend, im Kindle – Ordner. Rupert ist ja etwas wie ein Crossover– Lehrer, taucht in akademischen Kreisen ebenso auf wie in Advaita– Seminaren, ist für viele seiner Schüler eine Art vorsichtiger Lebensberater, wird mit seinem intellektuellen Meditations- Ansatz aber auch, wie die Fragen zeigen, oft gründlich missverstanden. Auch wenn er selbst, wie ich über die Jahre gelernt habe, selbst kreist und manchmal an Bildern geradezu festhängt, sich auch über Maharshi und viele östlichen Quellen definiert, ist er doch vor allem ein Lehrer, der über eine Art Ausschluss – Verfahren ganz vom Denken ausgeht. Dabei zeigt er sich schon lange auch orientiert an den Ich– bin– Sprüchen des Neuen Testaments. Aber nun ist die Betrachtung – und das Realisieren– des Ich bin bei ihm, mit diesem Buch und den darin enthaltenen Meditationen, ganz in den Mittelpunkt gerückt– und er erreicht damit eine Weite und Größe, die ihn ins Umfeld der großen Mystiker stellt.

Der erste Teil des Buchs ist noch ein Fließtext, der als Einführung für den Interessierten gelesen werden kann, ein Text, der als Information gelesen und verstanden wird. Man hat das so, auch in der verwendeten Bildsprache, schon öfter von ihm gehört. Hier ist es nun komprimiert und in eine gewisse Systematik gebracht. Einer wie ich, der ihn kennt, wird an diesem Punkt etwas ungeduldig.. das kenne ich, ja, das hat er oft gebracht, hier macht er einen Sprung. Ich fragte mich an dieser Stelle, ob das ganze Buch nur eine Transkription und Verdichtung von Live– Vorträgen wäre. Aber so ist es nicht. Der Prosa– Text endet traditionell und gekonnt, und plötzlich setzt ein lyrisches, fragmentarisch wirkendes Kreisen in jeweils wenigen Sätzen ein. Da wird dem Leser die führende Hand des informellen Textes weggenommen, und man steht vor etwas, was man eigentlich nur selbst aktiv und meditativ mitvollziehen kann. Die Denkbewegungen werden weiter und größer. Dabei stellt jede Seite eine in sich abgeschlossene Meditation dar, die zugleich verknüpft ist mit dem davor und dem, was folgt. Aber man kann und will natürlich da nicht einfach hindurch gehen, sobald man einen Hauch von dem verspürt, um das es hier geht– um das Ich bin, das Intimste und zugleich Allgemeinste des Menschen. Man steht plötzlich in einem weiten, schönen Garten, voller verschiedener reifer Früchte, die zur Ernte einladen. Aber, freilich, auch in einem Garten des offenbaren Geheimnisses. Wer darauf nicht vorbereitet oder nicht willens ist, wird informell konstatieren: Aha, eine Art Gebet. 

Natürlich wird dem Leser bemerkbar werden, schon im ersten Schritt des Meditations- Weges, dass viele Referenzen abgeleitet zu sein scheinen aus dem Neuen Testament:

I am without beginning and end
but all things begin and end in Me.

Aber abgesehen von der puren Schönheit der sprachlichen Wendung, sind das die Schlüsselworte des Logos selbst– nicht nur Referenz, sondern frisch geschöpft. Es ist das Eintrittstor für den folgenden meditativen Rundgang durch den Garten. Es ist wichtig, das zu wissen und zu sagen, dass hinter diesem Tor die Pilgerwege enden, auch die, die weder religiös noch mystisch angelegt sind, da hier das Pilgern aufhört und der Dialog beginnt. Das liegt daran, dass das vorher in sich befangene, haftende Bewusstsein sich an diesem Punkt seiner selbst gewahr wird und damit die vollständige Transparenz des Verstehens in sich realisiert– ein Akt der Selbst– Realisation, der nicht mehr verloren gehen oder vergessen werden kann, obwohl es schwer sein mag, diesen Punkt wieder aufzufinden. Mag er auch wieder überwuchert werden, weiß man doch, dass es ihn gibt

Die Unverborgenheit - die Aletheia- ist der Schatz, den man unter allen Umständen mit sich und in sich trägt, nicht nur als Schlüssel, sondern als Essenz des eigenen Seins. 

Rupert Spira aber ist schon weitergezogen, ohne einen Blick zurück zu werfen:

I have no name
but am called by all names 

I have no form
but all form indicates me 

I have no origin
but am the origin of all things 

I am without division
but all divisions exist in Me 

Und so kommt er schon im dritten Schritt zur Erfahrung der Transparenz des Erkennens selbst:

I am the knowing with which all things
are known 

Wer ihm bei diesen ersten und die folgenden Schritten durch den wundersamen Garten folgen möchte, der möge dieses kleine, kostbare Buch erwerben.


In eigener Sache..

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Apple meldet bei seinen Analysen, dass der Account, über den in den letzten Jahren die Kommentarfunktion unterhalten worden ist, durch einen großen Leak faktisch gehackt worden ist. Tatsächlich funktionieren die früheren Passwörter nicht mehr, und es ist unklar, was aus den Kommentaren eventuell entnommen oder ausgelesen werden könnte. Daher habe ich die Funktion leider außer Betrieb stellen müssen. Es funktioniert für den Notfall noch die Google- eigene Benachrichtigungs- Spalte. Es tut mir leid, aber offenbar sind die Kommentare der letzten Zeit nicht mehr verfügbar.

Revolutionäre Attitüde der Anti- Corona- Kämpfer und die Restauration der anthroposophischen Bewegung

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Guten Morgen, Ihr Sonnenkrieger, Ihr Träger des Michaels- Schwerts, die Ihr durch die Zeiten und Räume schreitet, den Göttern ein Wohlgefallen. Momentan seid Ihr ein wenig in die Kritik geraten, vor allem, seit Ihr in der Corona- Krise die Position der offiziellen Anthroposophenschaft so divers wie möglich vertreten habt. Die Zweifler an der Corona- Politik der Bundesregierung überwogen trotz offiziell relativierender Aussagen der Leitung aller anthroposophischen Verbände und Repräsentanten- im Untergrund und in den Redaktionen, aber auch in Arztpraxen, Alternativ- Vierteln und Waldorfschulen. Es braute sich ein Halo- Effekt zusammen, der sich in Querdenker- Demos entlud, der sich aber auch in Zeitschriften wie die drei und info3 artikulierte, von notorischen Internet- Foren und esoterisch- rechten Verlagen zu schweigen.


Zentrum und Peripherie

Der Halo- Effekt wurde erstmalig Ende letzten Jahres bei der Untersuchung der Korrelation zwischen AfD- Wählern und Corona- Hotspots beschrieben, wobei die höchsten Zusammenhänge als „Halo“ im Umkreis von Städten, vor allem im Osten Deutschlands, zu bemerken waren: „Auffällig sind zumindest einige wahrhaft verblüffende Phänomene. So sieht man sowohl hohe Corona-Inzidenzen als auch hohe AfD-Anteile mehr ringförmig rund um ostdeutsche Städte als in den Städten selbst. Amerikanische Forscher beschreiben bereits seit Jahren einen „halo effect“ rund um Metropolen, eine Art Ringbildung des Rechtspopulismus. In diesem Milieu stellen Soziologen weltweit wachsende Unzufriedenheit fest – und eine nachlassende Akzeptanz für Regeln und Vorgaben aller Art.“ (1)

Offenbar hält sich in den Großstädten selbst eher ein liberales, weltoffenes Bürgertum, während in den Speckgürteln des urbanen Lebens mit wachsender Entfernung Groll, Sentiment und Widerstand zunehmen - was zum Ignorieren auch essentieller Corona- Schutzmaßnahmen führt, aber auch ganz rationale Ursachen hat, da die Peripherie, das Land, das Dorf sich vielfach als Verlierer der Moderne verstehen müssen, was zerfallende Infrastruktur, Bus- und Bahnverbindungen, Bildungseinrichtungen und Kultur betrifft. Man muss nur die Entwicklung des Wertes von Immobilien in diesbezüglichen Internet- Portalen beobachten, um zu sehen, dass die explodierenden Preise sich dort, wo die S- Bahn- Verbindungen enden, umkehren können. Fern von den Strömen der Produktivität, der Job- Chancen, Aufstiegs- Möglichkeiten, der schnellen Daten- Verbindungen und Verkehrs- Verbindungen bleibt die Idylle sich selbst überlassen. Die Metropolen dagegen können den Zustrom von neu Zugezogenen kaum verkraften. 

Dieses Verhältnis zwischen Zentren und Peripherie ist in der anthroposophischen Bewegung seit langem umgekehrt: In der Peripherie prosperieren große Lebensmittel-, Kosmetik und Drogerieketten, Schulen, Kindergärten, Krankenhäuser, ja sogar Universitäten und Landwirtschaft. Der Kernbereich dagegen leidet unter lähmenden internen Diskussionen, einem Orientierungs- Zerfall, Mitgliederschwund und Überalterung. Die Defizite in den Finanzberichten z.B. der Anthroposophischen Gesellschaft waren in den vergangenen Jahren eklatant, was zu einem Rückbau an Personal und Service am Goetheanum und anderswo geführt hat. Die Corona- Krise wird durch den Ausfall der Tagungen und Veranstaltungen die bestehende problematische Situation verschärft haben. Die Konzerne mögen durch Einzelspenden das Schlimmste verhindert haben, stehen den ideologischen Kämpfen der internen Gruppierungen aber denkbar kritisch und unbeteiligt gegenüber. 


Anthroposophie im ideologischen Widerstand

Unter dem Druck, die innere Orientierung, den Zerfall und die gesellschaftliche und institutionelle Bedeutungslosigkeit aufzuhalten, haben sich weite Teile der internen Kreise gerade im Corona- Jahr politisch aufgeladen, ideologisiert und auf den Strom der Querdenker eingelassen. Ähnliche Trends der Politisierung waren aber schon vorher im Zustrom zu Brexit- Anhängerschaft, Anti- EU- Haltungen, Anti- Amerikanismus, Begeisterung für Populisten wie Daniele Ganser und KenFM zu sehen. Der Widerstand gegen staatliche Bevormundung und die Wissenschafts- Orientierung von Politik, Medien und großen Teilen der Bevölkerung wurde umgedeutet zum neuen Kampf gegen den Materialismus. Der eigene Bedeutungsverlust und die komplizierte weltpolitische Lage, in der immer mehr mächtige Player auftreten, lässt einfache Erklärungsmuster wie den einer Konspiration attraktiv erscheinen. Die Pandemie wird zum Trojanischen Pferd, durch das durch eine Impfung die materialistische Übermacht bis in den eigenen Körper und Geist hinein voran getrieben werden soll. Der anthroposophische Freiheit- Impuls entlädt sich plötzlich im Widerstand gegen endemische, demokratische und liberale Zumutungen. 

Das wahre Anthroposophentum erfindet sich neu im Widerstand gegen das politische System schlechthin, ganz gleichgültig, in welches politische Fahrwasser es damit geraten mag. Und tatsächlich führt die Radikalisierung und Ideologisierung zu einem weiteren Halo- Effekt: Plötzlich hat man nicht nur intern alte Feindschaften überwunden, findet Gehör auf Demonstrationen, in Publikationen und auch in den eigenen Tochter- Institutionen, sondern auch in den Medien, die sich in breiter Front für die ansonsten fast vergessenen Anthroposophen interessiert. In Social Media- Zeiten ist es dabei fast nebensächlich, dass die Reaktionen nicht nur weitgehend kritisch ausfallen, alte Gräben bezüglich der Rassismus- Debatte aufreissen und zu einer Identifikation mit der rechten Szene führen. Die angestossenen Debatten führen intern zu einer Bestätigung, dass man allein gegen eine politische und mediale Übermacht steht, aber eben auch eine wie auch immer geartete Aufmerksamkeit verdient und gesellschaftlich handlungsfähig zu sein scheint. 


Das anthroposophische Arbeitskollegium positioniert sich (oder auch nicht)

Wenn man sich aktuell im „TÄTIGKEITS- UND FINANZBERICHT DES ARBEITSKOLLEGIUMS 2020“, d.h. in einer Art Zustandsbeschreibung durch den Vorstand der Anthroposophischen Gesellschaft die Situation von Anthroposophie in Deutschland ansieht, erkennt man das Weiterschreiten des Rückbaus und der Sparmaßnahmen. Ein Gehalt im eigentlichen Sinne bezieht noch Michael Schmock, ansonsten scheint das Arbeitszentrum trotz der sicherlich erheblichen Verwaltungsarbeit ehrenamtlich zu funktionieren. Die Kontakte zu den einzelnen Arbeitszentren, zum Goetheanum, zu Schatzmeistern, die Vorbereitung der Mitglieder- Versammlung und kommender Tagungen dürfte nur einen Teil der Arbeit darstellen. Dazu kommen die heiklen Einschätzungen- etwas, was über das rein Organisatorische hinaus Führung ausmacht. Angelika Sandtmann etwa lässt deutlich auch Selbstkritisches anklingen, wenn sie zum Jubiläum der Zeitschrift die drei (2) schrieb: „Jeder glaubt, Anthroposophie mehr oder weniger gut zu kennen und ebenso zu wissen, wie Anthroposophen denken. Damit ist sie aber zum Zerrbild dessen geworden, was ursprünglich intendiert war. Zur Entstehung des Zerrbilds tragen leider allzu oft auch Menschen bei, die Anthroposophie als Lehrinhalt missverstehen und klischeeartig verbreiten. Dogmatisch verfestigte Ansichten, die Reduzierung auf Inhalte, erstarrte Traditionen, eine Neigung zur Kanonisierung u.ä. schaffen ein Klima, das eine eigenständige Erarbeitung und Vergegenwärtigung der Anthroposophie erschwert. Wenn beispielsweise die Berufung auf das Ideal einer »Erziehung zur Freiheit« zur Rechtfertigung dafür verwendet wird, sich persönlich nicht einschränken zu lassen, dann wird Freiheit mit Eigenwilligkeit verwechselt und zugleich einer pauschalen Verunglimpfung der Anthroposophie Vorschub geleistet.“ 

In ungewöhnlicher Klarheit hat sie in diesem Zusammenhang Stellung bezogen zur besonderen Schlagseite, die dieses Heft im Rahmen der Pandemie thematisch und weltanschaulich durch das Redaktionsteam bekommen hat: „Wir leben seit dem letzten Jahr weltweit in ungewöhnlichen Zeiten, in denen durch die anhaltende, immer noch nicht beherrschbare Pandemie nahezu alles wankt, was bisher sicher schien. In dieser umfassenden Krise kommt der Publizistik in besonderem Maße die außerordentlich schwierige Aufgabe zu, durch qualitative Beiträge Licht in das Dunkel zu bringen und Gesichtspunkte zu liefern für die eigenständige Urteilsbildung der Leserinnen und Leser. Hier kann ich nicht verschweigen, dass die Drei nach meiner Einschätzung in den letzten Monaten ihrem eigenen Anspruch nicht gerecht geworden ist. Mit der Redaktion habe ich darüber gesprochen, dass ich mit der Ausrichtung der Zeitschrift im Hinblick auf die Corona-Pandemie nicht einverstanden bin. Aus meiner Sicht hat sie eine zu starke Schlagseite in Richtung einer grundsätzlichen Kritik an den geltenden Corona-Maßnahmen und damit eines Pro-Contra-Denkens bekommen.“ (2)

Dagegen sieht Monika Elbert, die seit 2020 im Arbeitskollegium tätig ist, zwar die Tatsache, dass sich die Arbeit durch ein Kreuzfeuer von öffentlichen Diskursen zum Verhältnis der Gesellschaft zur Corona- Krise auf ein ständiges Reagieren auf Kritik verengt hat, sieht die Schuld daran aber einseitig in den Diffamierungen durch die „Presselandschaft“: „Der zu leistende Austausch mit der Mitgliedschaft stand bald allerorts unter dem Zeichen wachsender Polarisierungen. Aus der Presselandschaft wurden uns Konflikte aufgedrängt, die mit wenig differenzierten, oberflächlichen bis hin zu diffamierenden Urteilen einhergingen. Ein Kreuzfeuer von Auffassungen und Kritik will seither nicht mehr enden. So stehen im Mittelpunkt all unserer Sitzungen meist Fragen um Öffentlichkeitsarbeit und Stellungnahmen; alle anderen Aufgaben finden oft erst danach unter Zeitdruck ihren Raum. Mit unserer Herbstklausur begannen wir Arbeitsbereiche neu zu verteilen. Zusammenwachsen und Vertrauensbildung, die dafür Voraussetzung sind, mussten unter den geschilderten erschwerten Bedingungen sich ereignen. Aber vielleicht lernt man sich in solchen Ausnahmezeiten, die gar drohen sich zu verstetigen, besser noch kennen als in ruhigerem Geschehen. So mussten wir oft um die rechte Stimmung des Gesprächs ringen, die Raum für Initiativen öffnet und Verabredungen fruchtbar macht.“ (3) Christine Rüter stört sich weniger an diesen schwierigen Positionierungen auf der Leitungsebene, sondern an den uns allen vertrauten widrigen Umständen des Reisens: „Die Zugfahrten sind auch manchmal nett, aber im Moment auch häufig geprägt von gereizten, Masken tragenden Mitreisenden.“ (3)



Der Generalsekretär Michael Schmock nimmt zu den eigentlichen Konflikten nicht Stellung, sondern betont seine Suche nach Kraftquellen in der anthroposophischen Hochschularbeit, bereitet Karma- Praxis- Kreise und Michaels- Fest- Tagungen, sowohl in Dornach als auch in diesem Herbst in Deutschland vor. Die PR- Arbeit und Öffentlichkeitsarbeit, auch zu umstrittenen Themen wie der Rassismus- Debatte, überlasst er jungen, Internet- affinen Mitarbeitern, die zum Beispiel die relativ neue Website zum Thema Anthroposophie und Rassismus- Diskussion betreuen: „Zum Abschluss möchte ich noch erwähnen, dass eine enge Zusammenarbeit mit zwei jüngeren Mitarbeitern im Bereich der Öffentlichkeitsarbeit entstanden ist, die von mir begleitet wird. Sebastian Knust und Matthias Niedermann nehmen auch im- mer wieder partiell an unseren Vorstandssitzungen teil. Die Vorstandsrunde freut sich jedes Mal über die beiden „Jungs“, die so konstruktiv mitwirken. Ohne sie wären der Newsletter, die Überarbeitung der Homepage, die Homepage „Anthroposophie gegen Rassismus“, die neue Broschüre, die Krisenintervention im Umgang mit den öffentlichen Medien, die Allianz der Verbände, die Kongressorganisation usw. nicht möglich geworden.“ (3) Die statische Website (4) stellt eine Art Stellungnahme von anthroposophischen Persönlichkeiten, Institutionen und Firmen gegen Rassismus und für Meinungsfreiheit, Kosmopolitismus und Menschenrechte dar, was sicherlich löblich und begrüßenswert, aber wohl kaum das geeignete Mittel ist, tatsächlich möglichst tagesaktuell Kampagnen, Vorwürfen, Diskussionen und Attacken wie im SPIEGEL (5) zu begegnen. Da scheint ein Blog wie von Info3 doch ein reaktionsstärkeres, flexibleres und aktuelleres Mittel der medialen Präsenz, auch wenn Jens Heisterkamp den Anwürfen des SPIEGEL außer dem Vorwurf der „Scheuklappen“ nicht besonders viel entgegen setzt (6)


Drachenkämpfer gegen den Materialismus ihrer Zeit

Selbst in Außenseiter - Blättern wie dem rechten Der Europäer findet sich die verbreitete Attitüde der Anthroposophen, die sich als Drachenkämpfer gegen den Materialismus ihrer Zeit empfinden (7)- eine Attitüde, die sich im Rahmen der Corona- Maßnahmen der Regierungen weiter vertieft, ja offenbar zu einer intensiveren Selbst- Identifikation geführt hat. Leider ist die Konsequenz ein Hang auch zum Widerstand gegen Wissenschaftlichkeit, an der sich die politischen Aktionen der Regierung zur Pandemie- Bekämpfung orientiert haben. Man stört sich daran, damit in ein gemeinsames Bett mit Verschwörungstheoretikern und Rechten gelegt zu werden, steuert aber in der Hitze des Gefechts immer wieder in eine Haltung hinein, die selbst den Rationalismus schlechthin zu überwinden empfiehlt. So versteigen sich Andreas Laudert u.a. in die Metapher des alles durchdringenden Hygiene- Wahns in Bezug auf das Corona- Virus, der nicht nur überwunden werden müsse, sondern auch in Bezug auf „Verschwörungserzählungen“ im größten Gegensatz zu jeder Spiritualität stehe: 

Wo aber bereits das Mitteilen als solches (das ja jedem Menschen Anteilnehmen oder Abstandhalten völlig freistellt!), wo schon das Erzählen von anderen Möglichkeiten, die Welt zu betrachten, als etwas Gefährliches er- scheint und als toxisch denunziert wird – weit vor allem Streit über das richtige Urteil oder um Wahrheit (die ja vielschichtig und komplex bleibt!) –, da verlieren Sprache und Denken, Kommunikation und Wahrheitssuche ihren Sinn, ja ihre Würde. Zu einer aseptischen Spiritualität gesellt sich dann die Aufforderung zum Trainieren einer entsprechenden Kommunikation ohne »Verschwörungserzählungen«, eines keimfreien, klinisch reinen Diskurses – und einer gewissermaßen moralisch linearen Erzählweise, einer sauberen, um nicht zu sagen gesäuberten Geschichtsschreibung, die keinerlei Abschweifungen, Ambivalenzen und offenen Rätsel, keine Mehrdeutigkeit der Zeit-, Raum- und Bewusstseinsverhältnisse aufweisen darf.“ (8) Die nicht klinisch reinen Diskurse, die Andreas Laudert u.a. hier propagieren, proklamieren einen neuen Irrationalismus, der nicht mehr unterscheidet zwischen Fakten und Verschwörungs- Erzählungen, wissenschaftlichen Statements und Fake News, auch wenn es den Autoren, auf der anderen Seite, wiederum auch nicht opportun erscheint, dass Rudolf Steiner in bestimmten rechten anthroposophischen Milieus als der erste Querdenker gefeiert wird: „Allerdings ist es in der Tat ein Problem, wenn etwa eine der anthroposophischen Geschichtsbetrachtung ausdrücklich verpflichtete Zeitschrift »wahre Freude« daran findet, dass Steiner im rechtspopulistischen bzw. rechtsextremen Milieu »sage und schreibe als ›der erste Querdenker‹« vereinnahmt und abgefeiert wird.“ (8)

So zerrissen zwischen Opposition, revolutionärer Erhebung der Spirituellen, Anti- Zeitgeistigkeit und Corona- Hysterie auf der einen Seite, pragmatischer Integration, Rationalität und Erhalt der schrumpfenden anthroposophischen Bewegung auf der anderen Seite, was kann ein symbolisches Feiern von Michaeli - Festen da bringen? Ist das, was Dornach und das deutsche Leitungsteam an Symbolismus da vorbereiten, mehr als der gute, alte, abgelebte anthroposophische Traditionalismus? Soll man den weiter zelebrieren oder es lieber mit die drei und den jungen Wilden um Laudert kämpferisch versuchen, um den Preis, den einen oder anderen Slogan der AfD aus Versehen mit im Programm zu haben? „Im Fußball gilt ein Jupp-Heynckes-Bonmot: »Der Sturm gewinnt Spiele, die Abwehr Meisterschaften.« Gemünzt auf den Umgang des »Teams Anthroposophie« mit anti-anthroposophischen »Verschwörungserzählungen« gilt jedoch eine andere (Fußball-)Weisheit: »Angriff ist die beste Verteidigung.« Man verteidigt die anthroposophische Sache am besten, indem man sie ernst nimmt – und ihre Kritik nicht ihren Verächtern überlässt; man wirkt gewinnend, indem man offensiv argumentiert – freilich mit durchdachten, bewusstseinsbeseelten Spielzügen, nicht mit der Brechstange eines kopf- und herzlosen Dogmatismus.“ (8)

Die Frage, ob, auf der anderen Seite, die revolutionär- irrationale anthroposophische Brechstange und die damit, als Reaktion der aufgebrachten Öffentlichkeit, einher gehenden Shitstorms tatsächlich „gewinnend“ wirken werden, oder ob man sich in geschwächter Verfassung in ein Minenfeld begibt, in dem außer einem wilden Corona- Jahr nichts zu gewinnen sein wird, bleibt offen.  




anmerkungen_____________________

1 https://www.rnd.de/politik/corona-hotspot-gleich-afd-hochburg-eine-spurensuche-4XSYAVUR5VDITG273G56UL277U.html

2 https://diedrei.org/autor/sandtmann-angelika/jahr/2021

3 https://www.anthroposophische-gesellschaft.org/fileadmin/AGiD_Homepage/AGiD_Mitteilungen/2021/AGiD_Mitteilungen_21-02-Sonderausgabe-Mai.pdf

4 https://www.anthroposophie-gegen-rassismus.de

5 „So antisemitisch war Rudolf Steiner“ https://www.spiegel.de/geschichte/ein-fehler-der-weltgeschichte-a-1ca07586-0002-0001-0000-000177512595?fbclid=IwAR2ui9LRRDlrX-4NXf2ACJv5MSGlK_JLeht5rE2cNk6eOXt1DCE2669aoJI

6 https://info3-verlag.de/blog/steiner-und-antisemitismus-journalismus-mit-scheuklappen/

7 „Das sind in der Regel stille Drachenkämpfer unserer Gegenwart, die auch meist mit einem klaren Blick auf die materialistische Verlogenheit unserer Zeit ausgerüstet sind und sich am Menschheitswerk Rudolf Steiners zu orientieren suchen.“ Thomas Meyer in https://perseus.ch/archive/9608

8 https://diedrei.org/files/media/hefte/2021/Heft3-21/02-Kovce-Laudert-Laveccia-DD0321.pdf





Anthroposophen, Querdenker und brüllende Pekinger Tiger

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Natürlich ist man als Leser Rudolf Steiners, als Anthroposoph, als jemand, der die intellektuelle Bewusstseins- Entwicklung mitsamt den emotionalen und willentlichen Impulsen, die sich daraus ergeben, seit Jahren studiert, entsetzt von den Differenzen, die im Werk Rudolf Steiners selbst, ja offensichtlich in seiner gesamten Persönlichkeit völlig offen liegen. Der einzige Grund, sie nicht wahrzunehmen, kann entweder nur eine Art Verdrängung unter den Schmerzen der Infragestellung einer bewunderten Person darstellen- oder aber auf eine Ursache verweisen, die systematisch und umgreifend bis in politische und soziale Folgerungen hinein im Sinne eines Querdenkertums als geistig- kollektive Wucherung zu Wirklichkeit- Verlusten bis hin zu wahnhaften Welt- Erklärungsmodellen führt. Aber natürlich auch zu allen möglichen Zwischentönen. Nicht allein Corona, sondern auch zugespitzte Diskussionslagen in sozialen Medien haben nicht gerade zu einer Versachlichung beigetragen. 

Vermutlich wird man in einigen Jahren, wenn die Pandemie so weit verebbt sein wird, dass ein großer Teil der Bevölkerung durch regelmäßiges Impfen einen dauerhaften Schutz gegen das Virus genießt und niemand auch nur besondere Gedanken an das erste Jahr des Auftretens und die teilweise hilflosen Reaktionen, aber auch die absonderlichen Impf- Verweigerer und - Apokalyptiker verschwenden wird, erstaunt bizarre Schriften aus anthroposophischem Hause in die Hand nehmen und wirre Ausbrüche wie von Waldorflehrern, Philosophen und Professoren in die drei (1) zur Kenntnis nehmen, die die Reaktion von Geistlichen im pandemischen Geschehen mit groben Beschimpfungen zu entlarven glauben und dabei die Kampfschreie vom „totalitären Gesundheitsregime“ ausstossen, wobei sie sich in die Gosse begeben, in der man auch von „hygienischen Zwangsmaßnahmen“ und einer angeblich bestehenden „biopolitischen Käfighaltung“ phantasieren.  „Geistliche Würdenträger, die Gotteshäuser schließen, Seelsorge verweigern, sich öffentlich impfen lassen oder ein totalitäres Gesundheitsregime befürworten, waren bis vor Kurzem kaum vorstellbar gewesen.“ (1) Man fragt sich, ob die Marktschreier, die diese Phrasen der letzten Querdenker- Demo zu Markte tragen, tatsächlich die repräsentativen Intellektuellen der gegenwärtigen anthroposophischen Bewegung sind, die sie zu sein behaupten. Denn so sehr sie sich gegen „geistlose Möchtegernvertreter einer Pseudospiritualität ohne Grund und Boden“ (1), gegen eine „eine keimfreie Spiritualität, die so aseptisch sein soll wie das virtuell-vegetative Doppelleben im illiberalen pandemischen Ausnahmezustand“ (1) erregen, so sehr fühlen sie sich selbst verortet in der „selbstlos-selbstbewussten Geistesgegenwart des Menschen“, in einem schroffen Gegensatz zur von ihnen behaupteten Gegenwart eines „keimfreien, klinisch reinen Diskurses – und einer gewissermaßen moralisch linearen Erzählweise, einer sauberen, um nicht zu sagen gesäuberten Geschichtsschreibung, die keinerlei Abschweifungen, Ambivalenzen und offenen Rätsel, keine Mehrdeutigkeit der Zeit-, Raum- und Bewusstseinsverhältnisse aufweisen darf.“ (1) Die Mehrdeutigkeit und logische Ambivalenz, die auch „Kommunikation ohne »Verschwörungserzählungen«“ (1) ablehnt, weil diese ja so keimfrei und aseptisch sei wie die Gesellschaft nach Corona- Impfung, ist offenbar das Markenzeichen dieser neuen anthroposophischen Intellektuellen, die das Zweideutige und gesellschaftlich Antipodische für den Kern ihrer Interpretation von Spiritualität halten. 

In der Realität verlieren die Betriebe und Institutionen mit den fanatischen Impfgegnern deshalb die Geduld, weil sie zum dritten Mal in Quarantäne sind, Aufträge im Ausland nicht wahrnehmen können und die Kollegen zu ständiger Mehrarbeit zwingen. Aufträge gehen verloren, weil Firmen nicht mit Ungeimpften verhandeln. So geraten die verbliebenen Gegner des „keimfreien, klinisch reinen Diskurses“ zusammen mit Attila Hildmann und anderen Querdenkern immer stärker in die Ecke derer, denen gesellschaftliche Verantwortung gleichgültig ist. Bizarre Welterklärungsmodelle werden auch nicht relevanter, wenn man sich in Parteien wie die Basis organisiert und bei der nächsten Bundestagswahl antreten möchte (2), weil man sich empfindet als „Visionsbeauftragter“ oder als Repräsentant einer wie auch immer gearteten „Schwarmintelligenz“ (2).

Und so ziehen sie dahin, Schwärme von Anti- Opportunisten, die ihre Einzigartigkeit und ihre Opposition gegen den Zeitgeist an jeder Ecke beteuern. Aber lassen wir sie ziehen. Lassen wir die Jungs von ihren hygienischen Zwangsmaßnahmen schwadronieren, ohne an St. Pauli zu denken. Gehen wir einfach durch diesen Jurassic Park, voller alter Wahrsager- Buden, voller Dinosaurier - Knochen, hinter die alten Wohnwagen, wo sie Mumien der Zweig- Vorsitzenden horten, bis zum Tiger- Käfig am Ende. Und wirklich, hier ist noch Leben drin, hier faucht und ruckelt es. 

Da rüttelt er, das schüttelt er die Mähne und steht aufrecht, in all seiner Pracht, das anthroposophische Anti- Gender- Sternchen in Person, der Apokalyptiker Martin Barkhoff. In „Kulmination, Grab und goldene Zeit der Anthroposophie“ (3) sammelt Barkhoff allerlei, oft auch Fragmentarisches oder Briefwechsel, zu einem von ihm kommentierten Reigen von Gedanken- gern provokativ, gern prognostisch in die Zukunft schielend, gern die „ganz großen Linien“ der Gesellschaft und der anthroposophischen Gesellschaft betrachtend. Das Ganze unternimmt er - inzwischen auch in den Sechzigern- als Lehrender für Waldorflehrer in Peking- mit einiger Distanz. Sowohl seine Neigung zur Diagnostik, Prognostik (Barkhoff schwärmt sogar vom „Prophetischen“) als auch das Herauspicken einzelner, vor allem apokalyptischer Erzählungen Steiners, die Barkhoff dann mit der Brechstange auf die Gegenwart zurecht rührt, um aufs immer neue seine Brillanz im Schildern der Widersprüche und Gebrechen von Liberalen, Europäern, dem Westen, den Moralisten in all ihrer „Verlogenheitsflut“ (4) zu erproben, verfremdet und beeinflusst die Darstellungen natürlich von der ersten Zeile an. Dass er für die identitäre „Sezession“ tätig ist, AfD wählt, Alexander Gauland ganz besonders schätzt, mit Caroline Sommerfeld (Sezession) befreundet ist, die Rassismus- Vorwürfe Rudolf Steiner als „Lügen- Messer“ (5) bezeichnet und gesellschaftlich für Europa erwartet, dass „das Denken wieder einmal für einige Jahre oder Jahrzehnte verboten wird“ (6). Den Amerikanismus sieht er im Rahmen solcher Denkverbote und spannt die großen Steiner- Bögen zur vor- persischen Akademie von Gondishapur und zu Römischen Rechtschreibung, die keine Interpretation oder Auslegung erlaubte. Gerade das (auf die Gesetzgebung bezogene) verhängte römische „Denkverbot“ (7) habe die Grundlage für die im 7. Jahrhundert bedeutende Akademie, die über die islamischen Kalifate die Wissenschaft, insbesondere aber die Medizin nachhaltig beeinflusst haben soll. Das sind natürlich bekannte Strickmuster Rudolf Steiners, die Barkhoff ohne weitere Vertiefung oder Recherche dann zu Zitaten führt, in denen sich Steiner von da hin bis einer Prophezeiung hinein steigert, „wenn man das Jahr 2000 geschrieben haben wird, da wird nicht eindirektes, aber eine Art Verbot für alles Denken von Amerika ausgehen..“ (8) Da sehen wir natürlich die apokalyptische 3 x 666 - Erzählung Steiners, die im Jahr 1998 die Kulmination des Materialismus und das Ende alles „individuelle(n) Denken(s)“ (8) voraussieht- der Mensch werde „wie eine Maschine behandelt“ (8) werden. Das alles zeige sich, so Barkhoff, in der Behandlung von „Epedemiemassnahmen“ (8) wie der Schweinegrippe; Corona war zur Zeit der Abfassung des Buches noch nicht virulent. 

Natürlich ist Barkhoff auch einer der Vertreter der Russland- Romantik. Ebenso selbstverständlich setzt er gern grobe Antagonismen gegeneinander wie den Ost- gegen den Westmenschen. Wie immer steht im Hintergrund auch in diesem Zusammenhang eine Prophezeiung Rudolf Steiners, nämlich dass sich die in weiter Zukunft stehende nächste Kultur- Epoche, die durch Brüderlichkeit charakterisiert sein werde (aber auch durch materialistische Dekadenz) vor allem im russischen Volk realisieren würde. Der Ostmensch der Gegenwart, schlussfolgert Barkhoff daraus, brauche „soziale Gefäße“ (9) und die Hüllen „von Religionsgemeinschaft, Volkstum und Familie“ (9), in ihm wirke mit tatkräftiger Unterstützung geistiger Wesen „das kommende Sozialmenschentum“ (9). Die „anonyme Gesellschaft“ (9) des Westmenschen dagegen setze stets auf win/win Situationen und rechne alles nach Gewinn und Verlust durch. Der Westmensch suche stets die Steigerung seines Innen- Ichs und versuche, andere wie den Ostmensch in die Vereinzelung zu treiben, wodurch dieser seine Zukunft- Fähigkeit verliere. Der Westmensch bereite sich unter den „Auspizien der Ahrimaninkarnation“ (9) auf seelisch- kulturelle Verelendung mit weiterer Steigerung des Materialismus vor, wobei er Ablenkung suche durch seine „technisch- magische, gespenstisch realen virtuelle Welt“ (9). Einzig Russland könne sich, glaubt Barkhoff, noch gegen die „Anziehungskraft des Technisch- Zauberischen“ (9) durch seine seelisch- geistige Liebeskultur halten, selbst China und Japan seien dem Bann, der letztlich aus Gondischapur und dem „Gespenst des Römischen Reiches“ (10) stamme, verfallen. Aber es sei absehbar und klar, dass „der Westen“ einen Krieg gegen Russland und China betreibe, und es sei sogar möglich, dass der äussere Krieg des Westens gegen Eurasien „sehr hilfreich dafür sein wird, dass Eurasien den inneren Krieg gewinnen kann“ (9). Die islamisch- römische Vergangenheit des materialistischen Westens schiebe sich wie eine „Plattentektonik der Zeitalter“ (10) gegen den Osten, der wiederum durch den Druck aus der Zukunft determiniert sei. Die Ideale des Westens seien demgegenüber schal; jeder „Ostmitteleuropäer“ empfände heute die leeren Moralvorstellungen des Westens und die nur geträumte Menschenwürde. Im Westen rennen, wie jeder Ostmensch wüsste, lauter aus der Wirklichkeit gefallene „Selbstheit- Narren“ (11) herum. 

Und wir sind noch lange nicht am Ende. Der Tiger aus Peking brüllt so laut, dass die „biopolitische Käfighaltung“ (1) der drei Kätzchen in die drei wie Miauen wirkt. Nicht nur, dass Barkhoff die „Auflösung Europas durch Migration“ (12) offenbar schon als vollzogen betrachtet, läuft die Inkarnation Ahriman in Amerika für ihn gerade erst richtig an: „Man versteht ihn (Rudolf Steiner, ME) nicht, wenn man sich nicht klar darüber ist, dass er das Nazi- Reich und Stalin als geistige Realitäten vor sich sieht, und diese als Vorhut des unausweichlichen Ahriman- Reiches, das sich in den amerikanischen Imperialismus inkarnieren wird.“ (12) Da ist es kein Wunder, dass, nach den hinterlassenen Worten des Meisters, „furchtbare Zeiten .. der Menschheit in Europa bevor“ stehen, denn „Verwirrung und Verwüstung wird herrschen, wenn das Jahr 2000 heran naht .. Aber dann wird das Jahr 2086 kommt, wird man überall in Europa aufsteigen Bauten, die geistigen Zielen gewidmet sind .. in denen das geistige Leben blühen wird.“ (13)

Apokalyptiker lieben konkrete Jahreszahlen, vor allem, wenn sie ansonsten vage von groben Schubladen wie Ost- und Westmenschen und kulturellen Kontinentalverschiebungen reden, die vom persischen Mani bis zu Alexander Gauland führen. Daher führt Barkhoff auch schnell noch die Jahreszahl 1986 an- das Jahr, in dem die anthroposophische Bewegung ihre größte Ausbreitung und „Kulmination“ erlebte- nur um danach in den offensichtlich 100jährigen Schlaf zu sinken, in dem sie sich gegenwärtig befände. Auch die Ursache klärt Barkhoff spirituell auf: „Man kann sie (die Wende, ME) mit der damaligen Wiederkehr des Halley´schen Kometen zusammensehen. Die ganze Zivilisation wurde schlagartig materialistischer, biologistisch, ergebnisfixierter usw. In diesem Klima schrumpft seitdem auch die geistige anthroposophische Bewegung kontinuierlich, seit dreissig Jahren.“ (14) Aber egal, denn die „Herzens- Samen“ (14) sind ja gestreut, und werden Ende dieses Jahrhunderts dann womöglich aufgehen, wenn Barkhoff und Steiner recht behalten. Bis dahin lehren Thomas Meyer (15) und Martin Barkhoff in Peking über die Geheimnisse des Tag und bemerken: „Da China einst Schauplatz der Inkarnation Luzifers war, begleitete den Reisenden aber auch immerfort die Frage, wie Ahriman in der Zeit seiner jetzigen Inkarnation gerade in China an die Wirkung der Inkarnation seines Bruders Luzifer anzuknüpfen sucht.“ (15) Man weiß es nicht. Meyer verdächtigt weltflüchtige Mächte wie Falun Gong und den Dalai Lama.

 Meyer jedenfalls gehört auch zu den Anthroposophen, denen Barkhoff besonders dankt und die er würdigt. Ob man ihn tatsächlich, in seiner apokalyptischen Rage, zu den „Rechtsintellektuellen“ zählen will, die Claudius Weise in „Auch eine Sezession oder: Geistiger Widerstand als Kapitulation“ in ihrer Rechtsdrift Richtung Identäre beschreibt, möchte ich nach Lektüre des vorliegenden Buches eher bezweifeln. Die resignative Geste allerdings scheint in dieser Drift ein kollektives Muster zu sein, wie Weise schreibt: „Ein ähnlicher Gestus findet sich aber auch bei Anthroposophen wie Martin Barkhoff, dessen Buch „Kulmination, Grab und die goldene Zeit der Anthroposophie“ um den Gedanken kreist, dass die Anthroposophie in der Gegenwart durch ein Todeserlebnis hindurchgehen müsse, um Ende des 21. Jahrhunderts wiederauferstehen zu können.“ (16)

Irgendwann geht es während des Versuchs, sich gegen die Diffamierung von Anthroposophen als Verschwörungstheoretiker. Rechtsextreme usw zu wehren, mit Claudius Weise selbst etwas durch, und er zeigt Verständnis für diese „Allianz, so äußerlich sie gewesen sein mag“ angesichts des von ihm so gesehenen „aggressiven Konformismus, der unsere Gesellschaft zunehmend auszeichnet“ (17). Die Corona- Proteste sieht er wie die Drift nach Rechts als Resultat des abnehmenden „Raum(s) für alternatives Denken“; es sei die Gesellschaft, die Menschen „aussortieren und zum Problem erklären (muss), um von den eigenen Mängeln abzulenken.“ (17) Das Individuum werde wie in der DDR gleichgeschaltet und zu den Feinden der freiheitlich- demokratischen Grundordnung gezählt. Die „geistige Kapitulation“ (17) eines Stephan Siber in seiner heroischen Resignation ist für Weise untragbar, die „Meinungsdiktatur“ des Pekinger Tigers Barkhoff dagegen scheint den Machern des Heftes, den Autoren (1) und der Bewegung als solcher nicht mehr besonders fern zu liegen: „Man wird Barkhoff zugestehen müssen, dass seine Rede von der „Meinungsdiktatur“ heute weniger überzogen klingt als vor drei Jahren.“ (17) 



Verweise_______________________________

1 Philip Kovce, *1986, Ökonom und Philosoph, forscht an den Universitäten Witten/Herdecke und Freiburg i.Br. Andreas Laudert, *1969, studierte Szenisches Schreiben an der Universität der Künste Berlin sowie Theologie, ist Autor und Waldorflehrer. Salvatore Lavecchia, *1971, ist Professor für Geschichte der Antiken Philosophie an der Universität Udine. In: Ich-Präsenz als Geistesgegenwart Eine anthroposophische Zumutung in diedrei 03 21 S. 6ff

2 https://diebasis.wiki/wiki/Benutzer:Chueck

3 Martin Barkhoff, Kulmination, Grab und goldene Zeit der Anthroposophie. Voraussagen Rudolf Steiners werden Wirklichkeit, Dürnau 2019/ 2

4 Barkhoff, S. 10

5 Barkhoff, S. 72

6 hier als Frage formuliert, Barkhoff, S. 68

7 Barkhoff, S. 60

8 Steiner nach Barkhoff, S. 61

9 Barkhoff, S. 50f

10 Barkhoff, S. 47

11 Barkhoff, S. 45

12 Barkhoff, S. 38

13 Rudolf Steiner GA 284, S. 166 nach Barkhoff, S. 29

14 Barkhoff, S. 26f

15 https://perseus.ch/archive/8031

16 Claudius Weise, Auch eine Sezession oder: Geistiger Widerstand als Kapitulation in die drei Oktober 2020 S. 57

17 Weise, S. 61f



Vom Verrennen in apokalyptische Weltbilder. Oder: Ansgar Martins ist der Antichrist

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Anmerkung: Gegendarstellung Claudius Weises unter dem Text

Natürlich ist dieser Anteil an der Bevölkerung seit Jahren auffällig, in der einen oder anderen Weise, so auffällig, dass man diese Menschen, die ja auch unsere Familien, Kolleginnen, Arbeitsplätze, Freundeskreise und Bekannten, oft als erfrischend unorthodox gesehen hat; vielleicht eine Spur zu erregbar bei gewissen Themen, die man in der Folge lieber gemieden hat, wenn man sich traf, nicht nur wegen des potentiellen Konflikt- Potentials, sondern vor allem um die nicht endenwollenden Monologe, das exzessive argumentative Anklammern bis hin zu obsessiven Zügen zu vermeiden. Nicht dass wir einem argumentativen Schlagabtausch aus dem Weg gehen müssten, aber dieses verbale Herausplatzen auf Seiten dieser Bekannten - und das am Tag und ohne offensichtlichen Alkoholpegel- lässt einem selbst nur die Wahl: Die Bekannten vor den Kopf zu stossen und einfach zu gehen- oder sich zu stellen und diesen Schwall von Banalitäten und abstrusen Schlussfolgerungen aus trüben Quellen zu ertragen.

Die Rechten, Ideologisierten, Empörten und Querdenker verbreiten ihre ideologische Soße verstärkt und enthemmter seit 9/11, im Selbstgefühl des Blickens- hinter- die Kulissen, der Enthüllung- der - wahren- Zusammenhänge, der Empörung, was man mit ihnen gemacht hat (Manipulation, Lügenpresse, EU- Regierung, NATO- Weltreich, geheime Armeen, Chemtrails) und noch macht; in der Wut darüber, was man mit ihnen noch machen wird (Chip einpflanzen, Fernsteuern, Great Reset, politisch, geistig und persönlich) und in dem kleinen, aber wesentlichen Triumph, zu denen zu gehören, die das Privileg haben, das alles zu durchschauen (Merkel- Diktatur, Bevölkerungs- Austausch, Ausrottung der Kaukasier und der Russen, insbesondere, Islamisierung). Natürlich sind die Erregten und Empörten schlau und aufgeklärt genug, jetzt nicht offen mit ihrem Antisemitismus heraus zu platzen, im Gegenteil, sie selbst empfinden sich ja als die, die die Opfer sind und die den Judenstern tragen sollten. Manchmal entgleist der ohnehin schief stehende geistige Zug dann doch in Bemerkungen wie: Am Ende der angeblich Corona- Epidemie werden wir Impf- Gegner ohnehin in Vernichtungslagern landen, die die Regierung betreibt. Das Wiederkäuen, Fressen und Ausscheiden derselben verdrehten Metaphern verstärkt einen seelischen Zustand, dessen Steuerfunktionen durch den Kreislauf so weit lahm gelegt sind, dass wahnhafte Konstrukte jederzeit internalisiert werden können, wobei selbst deutliche Konsequenzen der nächsten Umgebung (Arbeitslosigkeit, Abbruch von Freundschaften und Kontakten zu Kindern, geplatzte Aufträge) kaum Einsicht bringen. 

Man möchte, wenn man erlebt, wie Erregte in Social- Media- Kanälen ihrer ebenso emotionalisierten Anhängerschaft predigen, von einer Obsession, ja sogar geistigen Infektion sprechen- so etwa, wenn man, wie in diesem Podcast über KenFM (1) mit seinen ehemals Hunderttausenden von Zuschauern, die Astral- Blase erlebt, die ja auch Menschen mit hoher Intelligenz ergreift und durchsetzt, woraufhin sie selbst ebenfalls zu Predigern in der Wüste wurden. Rudolf Steiner hatte ja diesbezüglich seine ganz eigenen Theorien oder Schauungen. Hier sind die Stichworte gelockerte Ätherleiber und innere Gespenster: Er meinte (2), dass das Zeitalter der „Verwachsung“ des geistigen Pols im Menschen („Ätherkopf“) mit dem „physischen Kopf“ (2) mit fortschreitender Zeit vorbei sein werde, wodurch es unbedingt notwendig sei, ein gewisses Rüstzeug zu erwerben für Massen- Suggestion und dunkle Erregungen, Lügen- Epidemien und mediale Wirkungen, die Steiner in seiner schönen Bildhaftigkeit als „Dämonen, Gespenster und Phantome“ (2) benannte. Ein geistiges Rüstzeug, um nicht zu sagen Know How im Umgang mit Suggestionen sei für die in Zukunft immer mehr gelockerten Ätherköpfe anzuraten, um mit diesen Einflüssen umzugehen- ihnen also nicht zu unterliegen. Die Erregungsschleifen sind aber heute medial bereits allerorten sichtbar- manchmal auch bei durchaus unorthodox denkenden Rezipienten, die in der Folge aber von ihrer Blase derartig einvernommen werden, dass sie die Botschaften in ihren typischen Mustern unentwegt wiederkäuen. 

Aber, auf der anderen Seite, ist das apokalyptisch - manichäische Grundempfinden, das Rudolf Steiner wie der Prophet einer düsteren Religion verbreitete- von der zu kommenden Super- Rasse („Denn die Rassenentwickelung wird normale Leiber schaffen, die zu den Seelen passen, die nichts versäumt haben“(2)) über die moralisch- geistig- leibliche Scheidung der Geister („Die Menschen werden sich in der Zukunft teilen in die Guten und die Bösen“(2)), über die hereinbrechenden Dämonenscharen bis hin zur Drohung für die zeitgenössischen Zuhörer und Leser: „Es wird in der Zukunft Seelen geben, die nicht genug getan haben, während der Ätherkopf mit dem physischen Kopf vereint war. Heute sträuben sich viele, infolge der Verwachsung des Ätherkopfes mit dem physischen Kopfe, gegen das Entgegennehmen spiritueller Wahrheiten.“ (2) Die Aussage ist klar: Du, der Leser, der geneigte Adept, hast die spirituellen Möglichkeiten, nimm sie nun auch entgegen, entwickle sie, sonst wirst du „herausfallen aus der fortschreitenden Menschheitsentwickelung.“ (2) Und wer will das schon? Nein, wir wollen lieber zu der exklusiven, vorwärts schreitenden Super- Rasse gehören! 

Die Ambiguität Rudolf Steiners wird an solchen Text- Fragmenten deutlich. Der apokalyptische Ton, das Messianische des Predigers in der materialistischen Wüste: das ergibt einen Grundton, der Faszination für geneigte Adepten erzeugen muss, die einen Hang dazu haben, und die in der Folge daraus für sich soziale und politische Perspektiven basteln, die unerschütterlich sind, weil sie sich auf der richtigen Seite bei der Scheidung der Geister sehen. Das Suggestive dieser ur- religiösen Perspektiven untergräbt und durchsetzt die rationalen, selbstkritischen, pragmatischen Aspekte der Anthroposophie selbst und schafft innerhalb der gesamten Bewegung einen harten Kern, der in jeder realen Krise lieber seinen Glaubens- Kern heraus kehrt, statt zur Lösung der Krise selbst praktisch und perspektivisch beizutragen. Es mag denn auch ausgesprochen interessant sein, dass Rudolf Steiner in eben diesem Zusammenhang, der hier zitiert wird, gerade auch die Fanatiker anspricht, die Anderen ihre Meinung aufzwingen wollen, denn gerade diese seien es, die die „Dämonen“ hervor riefen (3) Gerade der Fanatismus, der Wille, zu überzeugen, die permanente Aufgeregtheit sei „von ganz besonders ungünstigem Einfluß auf unsere menschliche Entwickelung.“ (3) Aber so ist er meist, der Doktor. Er predigt das Eine, und das Gegenteil zugleich. Er eröffnet alle denkbaren Spielarten der Interpretation.

Nun gehört der apokalyptisch- apodiktische Tonfall seit je her zum Repertoire anthroposophischer Kreise, bevorzugt in der Attitüde der Vergeblichkeit, Resignation, Anklage und Opfer- Haltung. (Mich hat ein eingeweihter Meister, der im Nebenberuf anthroposophischer Arzt war, schon den 80ern darüber belehrt, dass die gelockerten Ätherleiber durch die umgebende, stetig zunehmende elektrische Strahlung derartig korrumpiert seien, dass das materialistische Denken kollektiv in den Köpfen voran schreite, aber auch homöopathische Mittel nicht mehr wirksam seien - die Verhärtung sei längst bis in die Physis vorgedrungen, was eine neue Sintflut hervor rufen werde. Das hielt den Eingeweihten übrigens nicht davon ab, sehr erfolgreich Institutionen, Heime, Kunstgemeinschaften, assoziierte Bauernhöfe und Forschungsstätten für Strömung zu begründen oder zu begleiten.)

Heute sehen wir diese resignativ- apokalyptische Attitüde quer durch die Szene wabern, was keinesfalls repräsentativ für die oft pragmatische Bewegung sein mag, aber plakativ in Demonstrationen, bei Twitter und auf Websites auftritt und Schnittmengen zu Alexander Dugin und der neuen deutschen Rechten aufweist. Aber trotz möglicher persönlicher Niederlagen werden im harten Kern der Szene Verschwörungstheorien bis zum bitteren Ende voran getrieben, promotet und instrumentalisiert, gerne um sich selbst als Opfer, Andere als Märtyrer, Dritte als Bösewichter und Antichristen zu inszenieren. 

So kann man nur mit Bedauern und Mitgefühl den Nachruf auf Alain Morau in Die Drei (4) lesen, der sich, schwer psychisch krank, im Juni dieses Jahr das Leben genommen hatte. Morau, der offenbar durch seine psychische Krankheit einige biografische Brüche erlebt hatte, lernte den Autor Eisenhut während seiner Arbeit an einem anthroposophischen Institut kennen: „Später wurde er im Bereich der Koordinationsstelle für biologisch-dynamische Landwirtschaft der Universität Kassel-Witzenhausen als Doktorand tätig.“ (4) Offenbar teilte Eisenhut, der zum Redaktionsteam von Die Drei gehört, mit Morau sachliche Perspektiven, weshalb man sich von nun an austauschte und traf: „Alain war aber auch leidenschaftlich an den politischen Zeitereignissen interessiert.“ (4) Dazu gehörte ab 2016 insbesondere das Thema um die 9/11- Verschwörungstheorien, nämlich „dass bei objektiver Betrachtung der physikalischen Verhältnisse nur eine Sprengung den Zusammenbruch aller drei Gebäude plausibel erscheinen lasse. Bisher war es so, dass jeder, der so etwas nur zu denken wagte, als »Verschwörungstheoretiker« diffamiert wurde. Nun aber wurde diese These ernsthaft diskutiert. Darin sah er ein wichtiges Ereignis. Zumindest ein Teil der wissenschaftlichen Eliten, so hoffte er, würde nun zugeben müssen, dass die offizielle Darstellung der Zusammenbrüche aus physikalischer Sicht nicht nachvollziehbar sei. Er wollte darüber einen Artikel für die Drei schreiben.“ (4) Vorerst schickte der Rekonvaleszent Morau, der eben einen weiteren biografischen Einbruch erlebt hatte (5), Emails und Material. Für Eisenhut war „im Chemiker Alain Morau nun der Alchimist erwacht“ (4), der zugleich die Unwahrhaftigkeit der intellektuellen Eliten erkannte, aber auch die Schläfrigkeit der anthroposophischen Bewegung. Morau schuf sich schreibend ein Weltbild, in dem er zum Beispiel den französische Präsidenten als Marionette der Amerikaner zu enttarnen glaubte: „Macron gewann die Wahl, so konnte Alain belegen, weil die führenden Kreise des Westens es so wollten“ (4). Für Morau wie für den Gesprächspartner Eisenhut, der ihm ideologisch ohne jede kritische Distanzierung folgt, ist der apokalyptische Zustand bereits eingetreten, bei dem Rudolf Steiner von einem Verbot für alles Denken fabulierte, das von Amerika ausgehen werde. Für Morau wurde daraus eine Perspektive, die die politischen Ereignisse der letzten zwanzig Jahre, bis hin zur Corona- Krise, unter diesem Gesichtspunkt des „Denkverbots“ subsumierte, was Eisenhut eifrig zur Zustimmung nötigt: „Ihm war unmittelbar erlebbar, dass das freie Denken immer mehr vom Westen her unterdrückt werden sollte. Und diese Aussage Rudolf Steiners sollte sich ja dann wenige Jahre später in der Coronakrise mit voller Wucht bewahrheiten.“ (4)

Natürlich ist die Übertragung apokalyptischer Aussagen Rudolf Steiners, die sich ja häufig auf Zeiträume von Tausenden von Jahren beziehen, auf heutige Verhältnisse ohnehin mehr als problematisch; die Subsumierung der gesamten politischen, wirtschaftlichen, gesellschaftlichen Prozesse unter eine einzige dieser Erzählungen stellt aber eine derartige Verkürzung dar, dass das Weltbild einer sektiererisch- ideologischen Monokausalität erreicht ist. Dass ein akut psychisch Erkrankter sich in derartige Weltbilder mit paranoider Konnotierung verrennt, erscheint verständlich, nicht aber, dass Eisenhut dem Erkrankten nicht nur in allen Einzelheiten folgt, sondern in der Folge, nach einem weiteren biografischen Bruch bei Morau, in dessen Verlauf dieser - offenbar aufgrund seiner auffälligen Beiträge in Die Drei- seine Stellung verliert- beginnt, in Morau einen Märtyrer zu sehen. 

Anlass ist ein Vortrag Ansgar Martins, bei dem es um Perspektiven der anthroposophischen Bewegung ging: „Im Januar 2019 hielt der Religionswissenschaftler Ansgar Martins einen Vortrag an der Universität Witzenhausen mit dem Titel: ›Die Wohlgesinnten: Anthroposophie, Waldorfpädagogik und biologisch-dynamische Landwirtschaft im Dialog mit der radikalen Rechten‹. Alain schrieb mir im Vorfeld, dass er dies als bedrohlich für die Anthroposophie erlebe, aber auch als eine Chance, wenn es zu einer sachgemäßen Auseinandersetzung führe.“ (4) Morau, der selbst den Vortrag gar nicht hören konnte, wird, so behauptet Eisenhut, dennoch von den Auswirkungen getroffen, da die anthroposophischen Institutionen Martins Darstellungen ernst genommen hätten und Moraus perspektivisch extrem verengten Beiträge in die drei daher als nicht mehr tragbar empfunden hätten: „Bei diesem Vortrag muss Martins die Bemerkung fallen gelassen haben, dass in Zukunft die Verschwörungstheoretiker unter den Anthroposophen das größte Problem sein würden. Daraufhin schauten sich seine Kollegen Alains Artikel zu politischen Fragen in die Drei an und bekamen es mit der Angst zu tun. Sein Vertrag wurde nicht mehr verlängert.“ (4) Die Gründe dafür führt Eisenhut teilweise auf, betont aber vor allem das „Framing“, das Ansgar Martins für die politische Rechte innerhalb der anthroposophischen Szene gewählt habe: „Das Problem war aber nicht nur, dass er sich mit solchen Positionen genau in dem Framing bewegte, das Ansgar Martins in seinem Vortrag entwickelt hatte, und er damit für die sowieso schon unter Beobachtung stehende biologisch- dynamische Abteilung der Kasseler Hochschule zu gefährlich wurde, sondern auch, dass er an den »guten Politiker« glaubte.“ (4) Eisenhuts letztes Gespräch mit Morau drehte sich um einen Staatsstreich des guten Politikers Donald Trump: „Er glaubte bis zur Inaugurationsfeier Joe Bidens, dass Trump mit Hilfe des Militärs die Sache irgendwie noch drehen könnte. Unser letztes Gespräch im Januar 2021 drehte sich um diese Frage“ (4). Danach machte ein weiterer psychotischer Schub einen Klinik- Aufenthalt notwendig. Die verschriebenen Medikamente setzte Morau ab und setzte seinem Leben ein Ende.

Dass die apokalyptischen Visionen Rudolf Steiners bei psychisch labilen Persönlichkeiten zu einer selbstzerstörerischen Radikalisierung führen könnten, verwundert nicht. Dass das damit verbundene Weltbild distanzlos, und auch noch im Rahmen eines Nachrufs, in einer anthroposophischen Zeitschrift präsentiert wird, als wäre es ein Fakt, erscheint mir allerdings kaum entschuldbar. Hier sind wohl einige Ätherköpfe längst völlig losgelöst und entschwebt ins Land der Apokalyptiker und Schwurbler. Sicherlich wäre der gesammelte Unsinn, den Stephan Eisenhut hier anhäuft, in anderen Zusammenhängen und vor allem in anderen Nachrufen eine einzige Peinlichkeit. Die weitgehend fehlende Distanzierung von intellektuellen Exzessen Moraus während oder zwischen psychotischen Schüben als bare Münze zu nehmen oder geradezu zum eigenen Weltbild zu erklären, dazu gehört schon einige Chuzpe. Aber Ansgar Martins Vortrag dann zum Vorwand zu nehmen, um die folgende Entlassung Moraus zu erklären, Martins im Ablauf des Textes zum Sündenbock zu machen, vor allem vor dem Hintergrund des weiteren Zusammenbruchs und Todes Moraus- das ist dann schon eine dreiste Interpretation der Zusammenhänge. Aber offenbar sind derlei Entgleisungen in einer anthroposophischen Zeitschrift heute ohne Einwände oder Anmerkungen möglich. Ansonsten kann man sich kaum ein Medium vorstellen, das derartig abwegige Artikel tragbar fände. Die Essenz: *Ansgar Martins ist der Antichrist und die wahrhaftigen Anthroposophen sind seine Opfer!*… schreibt freilich bestimmte Erzählmuster fort, die mittels Schuldzuweisungen von dem eigenen Abirren in immer extremere, abwegige Weltbilder ablenkt, bzw die Verantwortlichkeit dafür abschiebt. Natürlich dient als Hintergrund für solche Muster die apokalyptische Ausnahme- Situation, für die es auch diverse Schuldige gibt: Die Bundesregierung, die Freimaurer, eine geheime Organisation innerhalb des Vatikan, die Materialisten, die Wissenschaft.. Wer so weit geht wie Eisenhut, dem mag der losgelöste Ätherkopf noch viele weitere Welterklärungs- Muster zuraunen.  


Gegendarstellung Claudius Weises

Lieber Herr Eggert, ich finde es ja immerhin ehrlich, dass Sie zuerst ausführlich das Deutungsmuster darstellen, durch das Sie diesen Nachruf lesen. Aber wenn Sie zum Schluß dermaßen die Backen aufblasen und diesen Nachruf für »unentschuldbar« erklären, muss ich doch mal auf einige polemische Verkürzungen hinweisen. 

a) Beim 9/11-Thema verschweigen Sie, dass der Anlass für Moraus Beitrag in unserer Zeitschrift eine Folge von entsprechenden Artikeln und Leserbriefen in den ›Europhysics News‹ war. Dass die Sprengungsthese in dieser renommierten Fachzeitschrift diskutiert wurde, und nicht nur irgendwo, das war es, was Morau für ein »wichtiges Ereignis« hielt. 

b) Die Einschätzung, dass »im Chemiker Alain Morau nun der Alchimist erwacht« war steht nicht, wie Sie suggerieren, im Zusammenhang mit 9/11, sondern mit seiner Beschäftigung mit dem Landwirtschaftlichen Kurs. 

c) Dass Stephan Eisenhut »ihm ideologisch ohne jede kritische Distanzierung« gefolgt ist, stimmt einfach nicht, und wird am Ende des Nachrufs deutlich, wenn bestimmte Ansichten Moraus als »illusorisch« bezeichnet werden. 

d) Man kann nicht dauernd über verschwörungsideologisches Denken herziehen, wie Sie das auch gern tun, und dann die Augen verschließen, wenn die praktischen Konsequenzen, die man damit zumindest implizit fordert, tatsächlich eintreten und die Betroffenen das als Schicksalsschlag empfinden. Sie versuchen, die ganze Geschichte ins Lächerliche zu ziehen, indem Sie behaupten, Morau würde als »Märtyrer« dargestellt und Ansgar Martins als »Antichrist«. Das ist mal wieder Ihre bewährte Masche, Ihren Diskussionsgegnern hysterische Übertreibungen zu unterstellen. Es war nun einmal die zeitliche Reihenfolge, dass auf den Vortrag von Ansgar Martins hin die Artikel von Morau ins Blickfeld seiner Kollegen gerieten, diese daraufhin kalte Füße kriegten und sein Vertrag nicht verlängert wurde. Stephan Eisenhut weist aber darauf hin, dass »der entscheidende Punkt« wahrscheinlich Moraus Engagement für die obskure Kleinpartei UPR war, wozu dann noch seine Sympathie für Donald Trump kam. Dabei ist er so distanziert, wie man das in einem Nachruf auf einen Freund eben sein kann.

e) Richtig perfide ist dann dieser Satz: »Eisenhuts letztes Gespräch mit Morau drehte sich um einen Staatsstreich des guten Politikers Donald Trump.« Es ist völlig klar, dass Stephan Eisenhut nicht an »gute Politiker« glaubt, und schon gar nicht daran, dass Trump einer ist. Moraus Überzeugung, dass Trump in letzter Minute ein Staatsstreich gegen Joe Biden gelingen könne, bezeichnet er ausdrücklich als »illusionär«, und es wird angedeutet, dass diese Überlegungen schon den Beginn der letzten psychotischen Phase markierten. 

f) Die Schlussfolgerungen, die Sie daraus ziehen, sind dementsprechend völlig falsch. Es wird hier keine Verantwortlichkeit auf andere abgeschoben, jedenfalls nicht, was den Selbstmord betrifft. Die letzte Ursache für das tragische Schicksal Alain Moraus wird in ihm selbst gesehen. Es wird überhaupt kein Hehl daraus gemacht, dass er psychisch labil war. Nicht ohne Grund ist in einer Zwischenüberschrift von »Gefährlichen Grenzgängen« die Rede. – Womit Sie, lieber Herr Eggert, offensichtlich nicht klarkommen, ist die Tatsache, dass als Verschwörungsideologen markierte Personen nicht nur Schießbudenfiguren sind, sondern Menschen aus Fleisch und Blut, die dadurch Leid erfahren können. Das wollen Sie einfach nicht an sich heranlassen.



Anmerkungen—————

Die gesamten Artikel Alain Moraus in die drei: https://diedrei.org/autor/morau-alain

1 https://www.radioeins.de/archiv/podcast/cui_bono/

2 „So wahr der Ätherkopf sich immer mehr mit dem physischen Kopf verbunden hat, so wahr ist es, daß nach und nach eine Lockerung eintritt. Wir sind bereits bei dem Zeitpunkt angekommen, da der Ätherkopf wieder beginnt sich zu lockern. Wir müssen hier unterscheiden zwischen Rassenentwickelung und Seelenentwickelung. Es wird in der Zukunft Seelen geben, die nicht genug getan haben, während der Ätherkopf mit dem physischen Kopf vereint war. Heute sträuben sich viele, infolge der Verwachsung des Ätherkopfes mit dem physischen Kopfe, gegen das Entgegennehmen spiritueller Wahrheiten. Die Menschen, welche spirituelle Wahrheiten jetzt annehmen, werden, wenn sie später wiederkommen, genügend aufgenommen haben in dieser Inkarnation, um dann den Anschluß zu finden. Solche aber, die jetzt versäumen, was geschehen muß, die finden in der Zukunft keine Leiber, die zu ihnen passen. Denn die Rassenentwickelung wird normale Leiber schaffen, die zu den Seelen passen, die nichts versäumt haben. Andere werden so sein, daß der gelockerte Ätherleib nichts aufnehmen kann. Diese Menschen werden ein besonderer Menschenschlag sein, die herausfallen aus der fortschreitenden Menschheitsentwickelung.

Es gehört etwas dazu, sich hineinzufinden in einen zukünftigen Leib. Man denke sich eine Seele, die in einem Leibe leben wird, der einen gelockerten Ätherleib hat. Die Seele würde nicht mehr verstehen, wenn man ihr von Dämonen und so weiter redet. Heute ist der Zeitpunkt, wo man von diesen Dingen reden kann. Wenn einmal der Ätherleib wieder gelockert ist, so kann man das nicht. Jetzt ist der Ätherleib zu ganz anderen Wahrnehmungen berufen. Der Ätherleib wird später in der geistigen Welt leben. Diese ist bevölkert mit Dämonen und so weiter. Dann wird diese Welt geistiger Wesenheiten um den Menschen herum sein, und wenn er jetzt nicht darauf vorbereitet wird durch die Lehren darüber, dann wird er später keinen Rat wissen diesen Wesenheiten gegenüber. Die aber aus dieser Inkarnation das Wissen von diesen Wesenheiten mitnehmen, werden verstehen, sich zu benehmen gegenüber diesen Wesenheiten. Diese wissenden Menschen sind dazu berufen, in der Zukunft diese Wesenheiten zu Dienern einer fortschreitenden Entwickelung umzugestalten. Alle diese Dämonen, Gespenster und Phantome – heute sind sie schädlich. Aber wir werden sie in der Zukunft umgestalten zu Dienern des Fortschreitens der Menschheit. Dazu muß sich aber der Mensch vorbereiten, Seelen- und Rassenentwickelung laufen nicht nebeneinander. Die Menschen werden sich in der Zukunft teilen in die Guten und die Bösen.“ Rudolf Steiner, GA 98, S. 108

3 „Es sind so viele Fanatiker ihrer Meinung vorhanden, die gar nicht zufrieden sind, wenn sie nicht imstande sind, dem anderen zwangsmäßig ihre Meinung beizubringen. Wenn so etwas geschieht, dann schadet das beiden Astralleibern. Sie nehmen Überredungen und falsche Ratschläge mit. Was in die Astralleiber hinein versenkt wird, das verursacht, daß in der Nacht aus dem Astralleib sich Wesenheiten abschnüren, die man Dämonen nennt. Diese dämonischen Wesenheiten sind von ganz besonders ungünstigem Einfluß auf unsere menschliche Entwickelung. Sie durchschwirren den geistigen Raum und halten die Menschen ab, ihre persönliche Anschauung zu entwickeln. Die Wesenheiten wirken immer in der Richtung, wie sie entstanden sind.“ Rudolf Steiner, GA 98, S. 106f

4 Stephan Eisenhut, Der König, der ein neues Reich suchte. Zum Tode von Alain Morau

(* 15. Oktober 1973 in Saint Denis/La Reunion – † 14. Juni 2021 in Karben) https://diedrei.org/files/media/hefte/2021/Heft4-21/02-Eisenhut-Morau-DD0421.pdf

5 „Gestützt durch Fortbildungskurse in Dornach, vertiefte er sich immer tiefer in die anthroposophische Geisteswissenschaft und ihre Methoden. Hier fand er einen wissenschaftlichen Weg zum Geist, der ihn tief befriedigte. Zugleich erlebte er eine Diskrepanz, denn dieser Weg wurde seinem Erleben nach nur von wenigen Anthroposophen mit der nötigen erkenntnismäßigen Klarheit beschritten. Sehr bald kam er aber selbst an einen Grenzpunkt: Im Alter von 33 Jahren trat während seiner Dornacher Studien eine psychotische Erkrankung auf, die nur mit einem Klinikaufenthalt und therapeutischer Hilfe bewältigt werden konnte.“ (Eisenhut in 4)

Lieber Karma als Impfen! Über gegenstandsloses Bewusstsein und Salutogenese

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Höhere Bewusstseins- Schulung

Der im Titel genannte Begriff und eine ganze Reihe von Synonymen wird hier verstanden als ein Terminus technicus aus dem Themenbereich Bewusstseins- Schulung. Aber auf ganz unterschiedlichem Level, selbst unter anthroposophischen Bewusstseins- Lehrern, ja selbst bei Steiner selbst.

Der Ausgangspunkt dagegen, das gegenständliche, materialistische Denken, erscheint fraglos und ohne weitere Diskussionen als für jedermann erfahrbare Zustandsbeschreibung zu umreissen sein- so etwa in der Formulierung Rudolf Steiners „Jetzt haben wir unser Bewusstsein dadurch, daß wir vom sterblichen Leibe überwältigt werden, wenn wir des Morgens beim Aufwachen in ihn zurückkommen; dadurch kommen wir dazu, Bewusstsein zu entwickeln, in dem Sinne, wie das heutige Gegenstands- Bewusstsein ist. Anders war das bei den alten Leuten vor dem Mysterium von Golgatha. Sie hatten einen Überschuss des geistigen Lebens. Der ging nicht ganz auf, wenn sie des Morgens in den physischen Leib zurückkehrten, und dieser Überschuss drückte sich in ihrem atavistischen Hellsehen aus.“ (1)

Das gegenständliche Bewusstsein - den „normalen Wachzustand“ (3) will jeder Adept, jeder „okkultistische Aspirant… überspringen“ (2), wobei ihn die die seelisch- geistige Zange hindert, die ihn „umgestaltet“ und in seinem Potential beschränkt hat, „man muß sagen, oben durch Stolz und Hochmut und durch Überhebung, unten durch die Begierde. Diese zwei Empfindungen sind die Grundempfindungen, von denen ausgegangen werden muß.“ (4) 


Brünstige Liebe & überpsychisches Bewusstsein

Allerdings ist es Rudolf Steiner wichtig, zu betonen, dass das gegenstandslose Bewusstsein nur eine Sonderform des Alltags- Bewusstsein sei, und zwar in der Hinsicht, dass letzteres nicht ersetzt werde- es gehe um ein Nebeneinander, um eine Koexistenz, weil jede Verfremdung des Gegenstands- Bewusstseins zu krankhaften Zuständen führen müsste: „Das pathologische Bewusstsein ist ein verändertes Bewusstsein; das Bewusstsein hat eine Metamorphose erfahren. Bei dem richtigen Drinnenleben in der geistigen Welt hat es gar keine Metamorphose erfahren, sondern es hat sich das neue Bewusstsein neben das alte hingestellt. Und das ist das Wesentliche, worauf es ankommt, so daß der Mensch die beiden Bewusstseine wirklich voll überschauen kann.“ (5) Gesund ist also nach Rudolf Steiners Konzept, in bewusst herbei geführten, meditativen Situationen an einem nicht gegenständlichen Bewusstsein zu arbeiten - sich in dieses einzufügen und es damit weiter zu entwickeln. Mediale, träumerische, unscharfe Bewusstseins- Zustände während des Alltagslebens lehnt Steiner ab. Vielleicht führt er auch aus Gründen dieser Abgrenzung lange Monologe über alle möglichen Varianten des Mystizismus (6). Rudolf Steiner spricht eindringlich von problematischen Zuständen, in denen „abgestreift wird das Bewusstsein, das geschult ist an den äußeren Gegenständen, das immer einen äußeren Gegenstand braucht“ (6), ja das Bestreben der Mystiker liege gerade darin, „dieses Bewusstsein abzuwerfen“ (6) und damit zu einem „Überspringen ihrer eigenen Persönlichkeit“ (7) zu gelangen, „wie eine Art Sich-selbst-Verlieren“ (7). Ziel sei es, in einen Zustand der „Vermählung, Vereinigung“ (7) zu gelangen, wobei die sexuelle Konnotation nicht zufällig gewählt ist, denn mitunter komme man schon „in ein Erleben, das dem erotischen Erleben sehr ähnlich ist, in die mystische Erotik hinein“ (8), zum Beispiel wenn es um die „brünstige Liebe zu dem Bräutigam Jesus oder dergleichen“ (8) gehe. 

Allerdings bleibt es bei Rudolf Steiner natürlich nicht ausschließlich bei dieser trockenen Charakterisierung exaltierter religiöser Ekstasen, sondern er gibt, in Bezug auf die Weiterentwicklung des Gegenstandsbewusstseins, auch gern einmal Ausblicke bis in spätere planetarische Zustände. Jedenfalls, so sehr sich die Lebensumstände, die sozialen Bindungen und die Umwelt- Bedingungen ändern mögen, das Gegenstands- Bewusstsein hat Bestand, selbst wenn der Mensch generell bis dahin geradezu magische Fähigkeiten und spirituelle Fähigkeiten entwickelt hätte (siehe 9). Allerdings habe sich das eigentlich kontinuierliche Gegenstands- Bewusstsein andererseits auch erheblich gewandelt, indem es ein „selbstbewusstes Gegenstands- Bewusstsein“ (9) geworden sei; eines, das in sich transparent und seiner selbst gewahr sei, womit der Dualismus zwischen Ich und Welt trotz der gegenständlichen Erkenntnis überwunden sei. Der Mensch muss damit eingetreten sein in die eigentlich schöpferische Welt, in der sich Denken nicht mehr als Kontrast zum biologisch Existentiellen abstösst, um überhaupt Bewusstsein entwickeln zu können. In dieser Zukunft ist das Denken selbst Teil der biologischen Prozesse, ist sich seiner selbst aber ebenso bewusst wie der gegenständlichen Umgebung. Die magische Perspektive liegt eigentlich in dieser Vereinigung von Rationalismus und Biologie. Die Ur- Teilung der Welt zwischen Denken und Reproduktion ist aufgehoben- hierin liegt Rudolf Steiner magische Perspektive, die allerdings nichts vom exaltierten Mystizismus der brünstigen Persönlichkeit- Überspringer hat. Dies gilt auch dann, wenn er das „selbstbewusste Gegenstands- Bewusstsein“ (9) an dieser Stelle auch „überpsychisches“ (9) Bewusstsein nennt. 


Formeln zur Weltdeutung 

Aber natürlich bleibt die Frage bestehen, wie man sich heute diesem gegenstandslosen Bewusstseins annähern kann- und warum man es tun sollte. Esoterische Auseinandersetzungen finden heute mit anderen Mitteln statt- in Social Media- Plattformen wird um Formeln zur Weltdeutung gerungen, die vielfach jede gegenständliche Bodenhaftung vermissen lassen und längst die quasi- religiösen Eigenschaften angenommen haben, die abgegrenzte Gruppierungen von Anhängern und Gegnern, aber auch Überzeugungen generieren, die Menschen zum Beispiel dazu bringen, eine vorhandene Impfung mitten in einer Pandemie abzulehnen. Der Verlust des inneren Wertesystems, aber auch der inneren empfindenden Orientierung führt zu verbissen verteidigten Positionierungen neben der Spur, aber ganz im Reinen mit sich und den Gleichgesinnten. 

In solchen Fällen möchte man ein Streben nach gegenstandslosem Bewusstsein nun wirklich nicht empfehlen. Tatsächlich fühlen sich viele der Spiritualisten ja auch deshalb im Recht, weil sie sich durch Rudolf Steiner bestätigt sehen und sich als erste Brigade anti- materialistischer Gesinnung verstehen. So stehen anthroposophische Meditations- Lehrer wie Christoph Hueck mit seinem Corona-Blog (10)  und seinen Aktivitäten innerhalb der Partei Die Basis (11) für eine mystische Selbstheilungskraft im Inneren des Menschen, die diesen immun gegen das Virus mache. Dahinter steht der Glaube, dass die Beschäftigung mit antimaterialistischen Gedanken wie denen des Meisters Rudolf Steiner zur „Salutogenese“ führe. In diesem Sinne stelle eine Impfung in einer Pandemie eine Störung des Selbstheilungs- Prozesses dar, und sei daher als materialistische Scheinlösung zu betrachten: „Auf Querdenker-Bühnen tritt derweil immer wieder Professor Christoph Hueck auf. Er ist Dozent für Waldorfpädagogik. In seinen Reden predigt er geradezu die Kraft der eigenen natürlichen Abwehr: "Wenn wir ein gutes Immunsystem haben, kann uns das Virus überhaupt nichts ausmachen." Die Zuhörer beklatschen vor allem seine Äußerungen zu den Impfungen: "Wir wollen keine Versuchskaninchen sein für diese smarten neuen Impfstoffe.““ (12) 


Freiheit von der Corona- Diktatur und Pferde- Entwurmungsmittel

Dieser nicht nur anthroposophische Spiritualismus, der sich im Namen eines speziellen Freiheits- Begriffs gegen Eliten, Fachleute, Wissenschaft und Rationalität schlechthin stellt, hat ja auch in weiten Teilen der Bevölkerung - durchaus im globalen Maßstab - zu Impf- Verweigerung, Leugnung der Pandemie und Bevorzugung von alternativen medizinischen Präparaten zur Erkrankung an Covid-19 geführt. Momentan grassiert die Selbstbehandlung nach Empfehlungen von Trump- treuen Internet- Ärzten mit Ivermectin- vor allem auf dem Land in den USA, aber sicherlich auch bald bei uns- einem Mittel zur Entwurmung von Pferden, das in der angegebenen Dosierung (für Pferde) zu verheerenden Vergiftungen von Menschen führt. Die Kliniken in Oklahoma sind, wie Rolling Stone berichtet (13) so voll von sich erbrechenden und erblindenden Covid-19- Patienten, die sich zusätzlich oder vorbeugend vergiftet haben, dass keine medizinischen Ressourcen mehr frei sind für Opfer von Schusswunden. 

In anthroposophischen Zusammenhängen war es vor allem der inzwischen verstorbene Die Drei- Autor Alain Morau, der sich vehement für das Anti- Malaria Mittel Hydroxychloroquin zur Behandlung von Covid-19 einsetzte, nachdem Donald Trump dieses als Alternative zu Impfstoffen angepriesen hatte: „Politisch hoch sensibel bleibt auch das Malaria-Medikament Hydroxychloroquin (HCQ). In früheren Artikeln wurde hier berichtet, wie im März das ›Institut Hospitalo-Universitaire Méditerranée Infection‹ (IHUMI) in Marseille dieses Medikament in Kombination mit dem Antibiotikum Azithromyzin gegen den Willen der Regierung und des medizinischen Establishments anwendete,13 und wie im Mai mit »Lancetgate« ein spektakulärer Wissenschaftsskandal im Zusammenhang mit HCQ aufgedeckt wurde. Aufgrund der ›Lancet‹-Studie hat die französische Regierung zwei klinische Studien zu HCQ ausgesetzt, nachdem bereits am 27. März die Behandlung mit diesem Wirkstoff untersagt worden war. Diese Entscheidungen wurden auch nicht revidiert, nachdem die ›Lancet‹- Studie als Betrug entlarvt wurde. Die Regierung berief sich dabei auf den Entschluss des Conseil Scientifique, HCQ als unwirksam und gefährlich einzustufen.“ (14) 


Salutogenese und der höhere Sinn im umgeimpften Tod

Michaela Glöckler forderte im Kontext des Fortschreitens der Pandemie öffentlich, zu beachten: „Was ist der Unterschied eines „pathogenetischen“ und „salutogenetischen“ Gesundheitsmodells im Zusammenhang mit der Krise? Und wie steht es um die Frage nach Massenimpfung in Verbindung mit flächendeckender „Gesundheitsüberwachung“?“ (15) Gemeint ist damit, dass lediglich ein kleiner Teil der Bevölkerung tatsächlich an der Covid- Infektion erkranke, was für sie ein Beleg dafür ist, dass „Hunderttausend überhaupt kein Problem“ (15, Video) hätten, und das läge daran, „dass sie Gesundheits- Ressourcen haben“ (15, Video). „Gesunde Menschen“ sollten „nie“ „zwangstestet, zwangsgeimpft“ (15, Video) werden, zumal sie ja weit in der Überzahl seien. Für sie ist klar, dass jedes Individuum die „volle Souveränität über seine Gesundheit“ (15, Video) benötige. Auch sie spricht hier von Massenpanik, die durch die Pandemie geschürt werde, und die in eine „Gesundheitsdiktatur“ (15, Video) führen könne. Nicht Arzt oder Wissenschaftler sollten für „meine Gesundheit“ verantwortlich sein, „sondern ich“ (15, Video). Frau Glöckler als oberste Querdenkerin ist Bestseller- Autorin und ehemalige Leiterin der Medizinischen Sektion am Goetheanum, mithin die prominente Sprecherin der anthroposophischen Medizin schlechthin. Ihr „Weckruf“, der Arzt solle „Berater“, nicht „Diktator“ (15, Video) sein, hat großen Einfluss gehabt auf die anthroposophischen Institutionen, im globalen Maßstab. Eine Infektion betreffe nur disponierte Personen, die in ihrem Immunsystem geschwächt seien - oder sei eben selbst gewähltes „Schicksal“ (15, Video): „So wie es eben kommt, ist es etwas, was mit meinem höheren Selbst in Übereinstimmung ist. Ich habe mir für dieses Leben vorgenommen, früher zu sterben, damit ich im nächsten Leben mehr Kraft habe.“ (15, Video) Alle anderen, die Impfungen, Tests und somit „pathogenetische“ Maßnahmen gegen die Pandemie bevorzugten, würden den Menschen nur als „biologische Maschine“ betrachten, was Ausflüsse des materialistischen Weltbilds seien. 

So sehen wir in Dr. Michaela Glöckler offenbar jemanden vor uns, der das „gegenständliche Bewusstsein“, das materialistische Alltags- Bewusstsein, im Sinne Rudolf Steiners bereits hat „überspringen“ können, was sie hinter ihrer frömmelnden Fassade dazu befähigt, das „Schicksal“ derer auch in den Konsequenzen ihres karmischen Werdegangs zu beurteilen, die jetzt zwar an der Pandemie ungetestet und umgeimpft versterben, aber im nächsten Leben mehr Kraft haben werden. Man kann das, wie Frau Glöckler es auch macht, auf andere Krankheiten wie Masern übertragen. Aber warum nicht auch auf Aufstände, Kriege, Schulmassaker, auf die zu Tode bombardierten Syrer oder zurück gelassene Ortskräfte in Afghanistan? Vom ungegenständlichen Bewusstsein aus betrachtet haben sie alle ziemliches Glück und erleben nur Gutes für ihr Karma. Man muss die Unbarmherzigkeit des anthroposophischen Querdenkertums nur konsequent zu Ende führen. Frau Glöckler hat sich auch mit den von ihr angegebenen „paar tausend Fällen“ ein wenig verrechnet, und zwar um ein paar Dimensionen: „Bis zum 3. September 2021 beläuft sich die weltweite kumulative Zahl bestätigter SARS CoV-2-Infektionen auf mehr als 219,9 Millionen. Die Zahl der Todesopfer in Zusammenhang mit dem Coronavirus stieg bis zu diesem Tag auf mehr als 4,5 Millionen Fälle.“ (17) Aber vielleicht würde sie das ja mit lammfrommer Stimme auch als Wunsch der Menschheit, sich zu erneuern und zu verjüngen bejubeln, als ungegenständlich- unbewussten Willen der Individuen selbst, sich für die kommenden höheren Entwicklungsstufen der Menschheit zu opfern. Wer weiß? Weitere Interviews mit Glöckler werden am Ende des Videos angekündigt. Bis es so weit ist, schlucken wir noch etwas Pferde- Entwurmungs- Mittel und rufen: Mein Weckruf ist: Sei kein Versuchs- Kaninchen! Glaube ans Karma und das höhere Selbst! Lieber sterben als Biontech!



Anmerkungen------------------------

1 176.286

2 137.90ff „Der Mensch im Lichte von Okkultismus, Theosophie und Philosophie“

3 93a.20

4 137.94 „Der Mensch im Lichte von Okkultismus, Theosophie und Philosophie“

5 65.393

6 Zum Beispiel im 4. Vortrag (6. Juni 1912, S. 66ff) in Kristiania (Oslo), GA 137, „Der Mensch im Lichte von Okkultismus, Theosophie und Philosophie“

7 137.86f

8 137.83

9 „Der nächste Bewusstseins- Zustand, zu dem sich der Mensch auf einem weiteren Planeten, der Venus entwickelt, unterscheidet sich von dem vorigen dadurch, daß die Seele nun nicht bloß Bilder, sondern Gegenstände und Wesen selbst erschaffen kann. Es geschieht dies bei dem selbstbewussten Gegenstands- Bewusstsein oder überpsychischen Bewusstsein. Durch das Bilder- Bewusstsein kann der Mensch von übersinnlichen Wesen und Dingen etwas wahrnehmen, und er kann diese durch die Erweckung seiner Bildvorstellung beeinflussen. Aber damit zum Beispiel dasjenige geschehe, was er von einem solchen übersinnlichen Wesen will, muß dieses auf seine Veranlassung hin die eigenen Kräfte in Bewegung setzen. Der Mensch ist also Herr über Bilder, und er kann durch diese Bilder Wirkungen veranlassen. Aber er ist noch nicht Herr über die Kräfte selbst. Wenn sein selbstbewusstes Gegenstands- Bewusstsein ausgebildet sein wird, dann wird er auch über schöpferische Kräfte anderer Welten Herr sein. Er wird Wesen nicht nur wahrnehmen und beeinflussen, sondern selbst schaffen.“ In: 11.157 Aus der Akasha-Chronik (1904 – 1908) als Download http://anthroposophie.byu.edu/schriften/011.pdf

10 https://www.akanthos-akademie.de

11 Zugang zu den Daten der Kandidaten wie Hueck auf der Website von Die Basis ist inzwischen gesperrt

12 https://daserste.ndr.de/panorama/archiv/2021/Die-Waldorfbewegung-und-die-Corona-Krise,waldorfbewegung100.html

13 https://www.rollingstone.com/politics/politics-news/gunshot-victims-horse-dewormer-ivermectin-oklahoma-hospitals-covid-1220608/?fbclid=IwAR2kSZELwvVwEgUCga7KQUrDzrJzKPxHq2aOzVFdiKyKPWR9ye16R18Jhrk

14 https://diedrei.org/files/media/hefte/2020/Heft12-2020/06-Morau-DD_2012.pdf

15 https://www.campusa.de/corona-virus-und-gesundheitskraefte-2-teil/

16 „Michaela Glöckler ist anthroposophische Ärztin, Buchautorin, ehemalige Leiterin der Medizinischen Sektion am Goetheanum in Dornach, Schweiz und Gründerin vieler Initiativen, die sich unter anderem mit Gesundheit von Kindern und Jugendlichen beschäftigen.“ S. 15

17 https://de.statista.com/statistik/daten/studie/1103240/umfrage/entwicklung-der-weltweiten-todesfaelle-aufgrund-des-coronavirus/



Salutogenetische Grüße aus der Hölle oder: Hildmann, Fuellmich und Jebsen werden Menschheitsführer

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Screenshot Facebook


Hallo, und herzlich willkommen im Club der Nicht- Genesenen, Gewesenen und salutogenetisch Privilegierten. Viele von Euch, die es nicht in die AfD verschlagen hat, sind ja heutzutage als Corona- Skeptiker tätig, präsent oder doch zumindest im Windschatten der Mini- Partei Die Basis, die es im Rahmen der letzten Bundestagswahl doch immerhin auf 1, 4 Prozent oder so gebracht hat. Noch schöner war natürlich, wie sehr das Alice Weidel, wie sie in Interviews am Wahlabend kundtat, auf die Palme gebracht hat, da sie Die Basis- Wähler unwidersprochen zum eigenen Stammwähler- Kreis hinzu addierte. Die Basis scheint in ihren Augen nur eine Variante der eigenen rechten Agenda zu sein, und zwar die zumindest schrillere. 

In diesem Sinne feiert der Tagesspiegel (1) unter dem Titel „Verschwörungserzählungen des Jahres“ Die Basis auch als einen der Preisträger für den Goldenen Aluhut: „Die Berliner Initiative „Der goldene Aluhut“ hat die diesjährigen Gewinner des Negativpreises für die „Verschwörungserzählungen des Jahres“ bekanntgegeben. Wie die Organisation in der Nacht auf Montag mitteilte, werden 2021 unter anderem der Sänger Michael Wendler, die Partei Die Basis und der Blogger Boris Reitschuster ausgezeichnet. Bis Sonntag konnte man sich am Voting für den Publikumspreis beteiligen.“ (1) Weiter erläutern die Organisatoren ihre Gründe für die diesjährige Wahl so: „Zwischen Impfkampagne, Klimakrise, Bundestagswahl und einer immer noch andauernden Pandemie erstarken nicht nur rechte Ideologien, Desinformationen und Verschwörungserzählungen, sondern sie bringen auch eine ernstzunehmende Gefahr für unsere demokratische Gesellschaft mit sich“ (1).

Es riecht nach Neuorganisation der Querdenker, allen voran der ehemalige Radio- und RBB- Moderator KenFM, der sich mit „Apolut“ eine neue Plattform zu verschaffen versucht, nachdem er bei YouTube wegen notorischer Falsch- Informationen erst de- monitarisiert, und schließlich, nach mehreren Warnungen, gesperrt worden war. Offenbar denkt Ken Jebsen in großem Maßstab, allen Widrigkeiten zum Trotz, und hat ein Format gefunden, das mit eigenen Servern in geneigtem politischem Umfeld zu senden beabsichtigt: „Auf apolut finden Sie diverse Formate: Sowohl spannende Video-Interviews mit Personen der Zeitgeschichte, als auch Video-Serien, die Bildungs- und Informationslücken schließen wollen. Wer tägliche politische Berichterstattung erwartet, ist bei apolut richtig. In der Rubrik apolutipps zeigen wir informative und sehenwerte Videobeiträge von anderen freien und unabhängigen Medienportalen. Oftmals wurden diese Videos bereits auf YouTube gelöscht. Wir können diese Videos jedoch weiterhin präsentieren, da wir bei apolut über eigene Server- und Streamingtechnik verfügen.“ (2) Die nach eigenem Bekunden „freien“ Medienportale, mit denen Jebsen in der Vergangenheit kooperiert hat, waren, wie etwa RT DE, teilweise durch die russische Regierung finanziert. Im Falle von RT DE war nach Angriffen des Kreml sogar die Bundesregierung gezwungen gewesen, auf die Zuständigkeit und Verantwortung von YouTube hinzuweisen: „Nach Angaben von YouTube hatte das russische Staatsmedium wegen der Verbreitung von Falschinformationen über die Coronavirus-Pandemie einen Verweis erhalten und durfte zunächst keine weiteren Beiträge hochladen. Diese Einschränkung habe RT DE umgangen, indem es Videos in seinem Kanal "Der fehlende Part" hochgeladen habe, heißt es bei Youtube. Daraufhin seien die beiden RT-Kanäle dauerhaft gesperrt worden.“ (3) In der Vorstellungswelt eines autokratischen Systems wie das Russlands steckt hinter solchen Sperrungen immer die Regierung- eine Insinuation, die die Bundesregierung zurück zu weisen bemüht ist: „Die Bundesregierung betont, mit der Entscheidung von YouTube gegen RT Deutsch nichts zu tun zu haben. Von Moskau angedrohte Vergeltungsmaßnahmen weist Berlin zurück.“ (3)

Die Plattform „Apolut“ könnte in dieser Gemengelage ein willkommener Ausweg sein, auch wenn Jebsen betont: „Apolut steht für freie und 100% userfinanzierte Presse.“ Jebsen selbst möchte auf dieser Plattform eher „im Geiste“, also im Hintergrund wirken, wie er eifrig in einem Video versichert: „Apolut garantiert im Geiste von Ken Jebsen ein Bollwerk gegen Kriegspropaganda, Feindbildkonstruktion und Fremdenhass zu sein.“ Das Bollwerk hat allerdings auch sein Konto bei der anthroposophischen GLS verloren, ziemlich zeitgleich zur Sperrung des YouTube- Kanals. Im vergangenen Jahr hatte die taz noch spitz (vergeblich) bei der GLS nachgefragt, wieso „die ökosoziale GLS Jebsen Unterstützung bietet“ und kritisiert: „Wenig Haltung zeigt die Bank dagegen bei einem ihrer bekanntesten Kunden: Ausgerechnet dem Verschwörungstheoretiker und Coronaleugner Ken Jebsen bietet die GLS eine Geschäftsverbindung. Jebsen, dessen Sendung „KenFM“ nach Antisemitismusvorwürfen schon 2011 aus dem Radioprogramm des RBB geworfen wurde und der seitdem im Internet weitermacht, bittet offensiv um Spenden für sein wirres Nachrichtenportal – am besten sei ein „monatlicher Dauerauftrag“ auf ein Konto bei der GLS, heißt es auf seiner Website.“ (4) 

So beschwört Jebsen in einem aktuellen Video (5) auch seine Anhänger und Unterstützer, in jedem Fall sein neues Konto bei der Volksbank Pirna zu bedienen. Man hat es nicht leicht als Volksaufklärer, wenn man ein „Bollwerk“ errichten möchte. Auch Attila Hildmann bekommt kein Konto mehr bei der GLS (6), wie Schwurbelwatch berichtet. Natürlich beschwert er sich darüber bitterlich, wie man in seinem Tweet nachlesen kann (6). 



Aber das alles ist natürlich Schnee von gestern. Mit Knüppel- Aktionismus (Merkel- Diktatur!!) kann man eine Zeitlang Energy- Drinks verkaufen, einen gewissen Rahm abschöpfen, muss dann aber schleunigst abtauchen, wenn die Gläubiger echtes Geld statt Sprüchen sehen wollen. Der Kooperationspartner hinter Hildmann, der Fruchtsaft- Hersteller Voelkel, hat für sein völkisches Engagement bei Hildmann jedenfalls saftig bezahlt: „Mit dem veganen Starkoch Hildmann will der Öko-Safthersteller Voelkel eine neue Zielgruppe erobern. Die Kooperation endet in einem Desaster. Der Partner des traditionsreichen Familienunternehmens entpuppt sich nicht nur als rechtsextrem, sondern taucht auch mit 200.000 Euro Schulden unter.“ (7) Dass Hildmann das Ganze als Flucht vor politischer Verfolgung verkaufen möchte, erscheint da verständlich. Wie weit Die Basis mit ihrem Kanzlerkandidaten Fuellmich eine Bruchlandung mitsamt Schuldenberg hinterlassen wird, bleibt abzuwarten. Bislang warten wir einerseits auf das von Fuellmich angekündigte Massensterben der Geimpften: „Reiner Fuellmich ist in der Querdenker-Bewegung immer wieder durch besonders bizarre Falschinformationen und Fehlprognosen aufgefallen. Im Februar behauptete er etwa, die Regierung plane mit der Corona-Impfung eine „organisierte Massentötung“: Der Impfstoff werde 25 Prozent aller Deutschen direkt umbringen und bei weiteren 36 Prozent potentiell tödliche Nebenwirkungen hervorrufen.“ (8) 

Andererseits wird der Stimmenanteil bei der Bundestagswahl zu erheblichen Mittels durch die Parteien- Finanzierung führen: „Um öffentliche Mittel zu bekommen, muss eine Partei mindestens 0,5 Prozent der Stimmen bei einer bundesweiten Wahl oder ein Prozent bei einer Landtagswahl gewinnen. Für das Jahr 2020 bekamen 22 Parteien staatliche Zuschüsse - darunter die Grauen Panther, die NPD und gleich drei verschiedene Tierschutzparteien.“ (9) So urteilt auch die TAZ: „Trotz des schlechten Ergebnisses wird die Partei vom Wahlausgang profitieren. Ab jetzt erhält Die Basis Geld vom Staat. Jede Partei, die bei einer Bundestags- oder Europawahl mindestens 0,5 Prozent der Zweitstimmen erreicht, hat darauf Anspruch. Die staatliche Teilfinanzierung wird den strukturellen Parteiaufbau mitfinanzieren. Die Basis erhält nun rund 768.000 Euro. Viel Geld für eine Partei mit umstrittenen Positionen und einem Hang zu Verschwörungstheorien.“ (10) Fuellmich, übernehmen Sie!

Aber zurück zur wirklichen Querdenker - Basis. Es ist ja etwas still geworden im Netz, vor allem seit der Bundestagswahl. Das Thema ist ein bisschen durch. Die Rechthaber aus der Verschwörer- Ecke zählen jeden Impfdurchbruch als Bestätigung für ihre Bolsonaro- Thesen von der Sinnlosigkeit der Impfungen. Noch immer wird jeder merkwürdige Studien- Bericht ehemals führender Virologen, die es jetzt mit steilen Thesen in die Talkshows oder in die Abteilung Geriatrie drängt, fleissig und mit dem Eifer der Rechthaber geteilt, aber die Luft ist doch raus. Man beschäftigt sich mit echten politischen Affären, Neuaufstellungen, Koalitionen- die Stunde der Komödianten und Hasardeure scheint vorbei oder glimmt auf kleiner Flamme. Tatsächlich sind eine Reihe von anthroposophischen Impfgegnern, die vor kurzem noch so lautstark gegen die Impf- Diktatur wetterten, auch deshalb so still, weil sie schlicht infiziert sind, einige, von denen ich las, mit schweren Verläufen. Man kann ja bei Facebook die eine oder andere Gesprächsgruppe einsehen, in der Betroffene - so die Sprachregelung- von einer Selbst- Immunisierung sprechen, aber eine schwere Covid- Infektion meinen. Selbst- Immunisierung gibt den Anschein eigener Wahl, Entscheidung und Kontrolle, und leitet sich wohl auch von Selbst- Denker- oder Quer- Denkertum ab. Die Reichsbürger über die eigene Gesundheit sind natürlich immer Anhänger der Salutogenese. Galt bisher die These, dass das eigene übersinnliche Immunsystem, das gestärkt und gefüllt werde durch richtige spirituelle Gedanken, das Corona- Virus ohnehin abhalten werde, macht die Umdeutung hin zur Selbst- Immunisierung das Beste aus der erfolgten Infektion. Nach wie vor gilt die ideologische Richtschnur, auf jeden Fall weiterhin jede Impfung abzulehnen, auch wenn es als eine Auffrischung des Impfschutzes nach der Infektion in der Zukunft sinnvoll sein könnte. Man sieht in Dokumentationen aus den Intensivstationen ja auch an Corona sterbende Querdenker, deren letzte Worte, mühsam heraus gebracht, versichern, alles, absolut alles, richtig gemacht zu haben. 

Rudolf Steiner hat so viel Mühe damit verwendet, den Zusammenhang zwischen materialistischem Denken und Naturerscheinungen wie Erdbeben geistig zu erforschen („Es besteht nämlich eine Anziehung zwischen dem Materialismus und dem was in der Feuer- oder Fruchterde vorhanden ist, so daß unsere Erde ruhiger und harmonischer werden wird in demselben Maße, wie die Menschheit vom Materialismus frei wird.“ 11); was aber ist mit der Dummheit von toten Corona- Leugnern? Sind Querdenkertum und Selbstglorifizierung durch spirituelle Salutogenese nicht schädlicher als plumper Materialismus? Ist Blödheit nicht verheerender als materialistisches Kalkül? Und was wird sie für karmische Folgen haben? Auch für die anthroposophische Gemeinschaft als solche? Werden wir langfristig als Esoteriker die Erde verlassen und uns besser auf einem Gas- Planeten entfalten? Werden Hildmann, Fuellmich und Jebsen dann die Menschheitsführer sein? Fragen an den Eingeweihten, die bislang unbeantwortet geblieben sind.

________________Verweise


1 https://www.tagesspiegel.de/kultur/verschwoerungserzaehlungen-des-jahres-michael-wendler-bekommt-negativpreis-der-goldene-aluhut/

2 https://www.facebook.com/apolut/

3 https://www.dw.com/de/wie-berlin-auf-die-sperrung-der-youtube-kanäle-von-rt-deutsch-reagiert/a-59360343

4 https://taz.de/GLS-Konto-fuer-Ken-Jebsen/!5708135/

5 https://www.facebook.com/apolut/videos/293571849244827

6 https://twitter.com/schwurbelwatch/status/1323717081188032512

7 https://www.n-tv.de/wirtschaft/Hildmann-Drink-wird-fuer-Safthersteller-teuer-article22811981.html

8 https://www.tagesspiegel.de/themen/reportage/reiner-fuellmich-von-die-basis-der-verschwoerungsideologe-der-kanzler-werden-will/27626022.html

9 https://www.zdf.de/nachrichten/politik/parteienfinanzierung-bundesverfassungsgericht-steuergeld-klage-100.html

10 https://taz.de/Die-Basis-nach-der-Wahl/!5804884/

11 R Steiner, GA 96.S. 42


Das Antlitz Christi und narzisstische Kulte oder: Meditation ist heute politisch

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Auf den Wegen geistiger Suchbewegungen gibt es keine gefühlige, sensationelle oder nur intellektuelle Zerrform, keine "Esoterik" im Sinne des zeitgenössischen Verständnisses, sondern stets etwas, was man nur als essentiell und wesenhaft erlebt, im Sinne einer höheren Vernunft, einer Rationalität, die in sich und durch sich heraus moralisch ist; einer Intelligenz, die praktikabel wird. Die allerdings muss sich bewähren; sie kann auf so vielfältige Art scheitern. 

Manchmal funktioniert sie in einer bestimmten sozialen Blase, in einer Situation oder Zeit. Manchmal wirkt sie gewinnend, lässt eine Initiative gedeihen, scheitert aber doch an zugrunde liegenden inneren Widersprüchen oder verborgenen Konflikten, die man nicht kommen sah. Die persönlichen, kollektiven und institutionellen  Wandlungen lassen eine Strategie, die funktioniert hat, eine Organisation, die sich bildet, auch altern- gerade die Institutionalisierung lässt das, was in der Gründungsphase mehr als konstruktiv und beflügelnd wirkte, in späteren Phasen wie ein Klotz am Bein erscheinen. Vielleicht beschwört man den Beginn, vielleicht man man einen Kult daraus, versteht aber doch die Version davon, die früher einmal funktioniert hat. Der Beginn kann zur Phrase, zur Maske, ja zum Hindernis werden, wie alles andere auch.


Kosmischer Narzissmus

Dennoch kann der Beginn kann nur im präzisen Denken liegen, da an diesem Punkt die höchst entwickelte Autonomie des Individuums vorliegt, wenn das hintergründige Umfeld gleichzeitig mit ausgeleuchtet werden und damit eine Distanz zum eigenen Impuls hergestellt werden kann. Die Intentionen sind nur an der Oberfläche transparent- das, was darunter liegt, bleibt vorerst unsichtbar, weil es so sehr mit der eigenen Perspektive verbacken ist, mit den Selbstgefühlen, dem biografischen Werdegang, den Gefühligkeit, dem Selbstbild, der Illusion, wie einen Andere sehen, den wirklich dominierenden Süchten wie denen, Anderen zu gefallen, sie zu belehren oder zu dominieren. Die Intentionen sind dort unsichtbar, wo sie ins Toxische übergehen. 

Andere toxische Ingredienzen, wenn es auch nur an den Spielfeldrand des Spirituellen geht, ergeben sich aus vielerlei Verschiebungen von Perspektiven. Gerade an Punkten, an denen die eigene klare Identität ins Schwimmen gerät, kann einerseits die Eitelkeit ins Unendliche, Kosmische verrücken. Die illusionären Selbstbilder werden in einen unerschütterlichen, pseudo- esoterischen Narzissmus entrückt, der zumindest im sozialen Kontext (außerhalb der sich bildenden sozialen Blase) bestenfalls als Seltsamkeit aufstösst. Andererseits werden die toxischen Anteile gerne in ein imaginäres Außen projiziert, wodurch eine imaginierte Welt der „Anderen“ entsteht, die dem Materialismus, den Massenmedien oder dem ideologischen Zeitgeist verfallen sein sollen. Die Konstruktion einer disparaten Welt, die sich aufteilt in Berufene und Gefallene, verlängert den spirituellen Narzissmus so weit, dass er religiösen und immer mehr kultischen Charakter annimmt.   


Das kosmische Superwesen und die Impfung

Ein weiterer, immer wieder bemerkter Aussetzer, der der fehlenden inneren Distanz und Objektivität sich selbst gegenüber entspringt und durch spirituelles Abenteuertum verstärkt werden kann, ist das simple Weg- Erklären, Abperlen- Lassen schlechter Nachrichten. Krankheit, Schicksalsschläge, Diskriminierung geschieht Anderen, weil sie es in der einen oder anderen Form herauf beschworen haben- eventuell auch durch karmisch bedingte Verfehlungen. 

Ich stehe faktisch auf einer höheren Stufe, womit ich mit derartigen Schlägen nicht belästigt werde. Meine Superiorität, die eindeutig gespeist wird aus moralischer Integrität, zeigt sich eben auch in der mir eigenen Gesundheit. Daher führe ich mir auch weiterhin geistige Nahrung zu und umgebe mich mit Menschen, die achtsam und geistvoll miteinander umgehen. Die Integrität meines moralisch- leiblich- geistig leuchtenden Leibes werde ich weder durch materialistische Gedanken und FakeNews noch durch biologisch minderwertige Nahrung ruinieren, geschweige denn durch Impfungen wie gegen das Corona- Virus. Ich bin schließlich als leuchtend- geistiges Wesen auch ein Teil kosmischer Aspekte, ein Atem- Prozess zwischen den Sternen, Christus und meinen Eingeweiden und Blut- Kreislauf. So etwas will man nicht verunreinigen durch manipulierte, im Labor erzeugte Eingriffe in die göttliche DNA. 


Korruption des Denkens, der Gefühle und Intentionen 

Dies sind nur -typische- Beispiele für Ego- Konstrukte, die auf einem realen Schulungsweg auffallen, der in einiger Skepsis gegenüber diesen Fallen, Selbstbeschönigungen und - Bespiegelungen dazu führt, wenn man tatsächlich den eigenen Denk- Meditationen wie den seelischen Verstrickungen geduldig nachgeht, dass der Adept des 21. Jahrhunderts in den Blick bekommt, was an narzisstischer Schlacke auf ihm liegt. Man geht durch Phasen und Aspekte der Korruption des Denkens, Gefühle und Intentionen, die nur bemerkbar werden können, indem der autarke innere Zeuge gestärkt wird, der auch in der Lage ist, die passiven Konstrukte, die ein Teil unserer Identität sind, anzuschauen, zu ertragen und sich situativ von ihnen frei zu machen. Letzteres ist auch deshalb ein so herber Verlust, da die nach außen gekehrten illusionären Selbstbilder ja auch der wesentlichste Aspekt unseres persönlichen Charmes, unserer Attraktivität auf Andere sind. 

Natürlich hat der leicht reden, der vom Adepten fordert: „Du musst die ablenkenden, bedürftigen, aber auch die sich elitär abgrenzenden Elemente, die dem Nur- Seelischen, den Selbstbildern, dem Haftenden, dem Anerzogenen, den genetischen Problemfeldern entspringen, im Sinne einer allmählichen Klärung ablegen, um in absolut reiner Konzentration Sein zu erfahren.“ Der Verzicht auf Macht, Suggestion, sexuelle Attraktivität, Dominanz, Führerschaft geht damit auch einher, dass der illusionäre Narzissmus, der sich nach außen kehrt, der wesentliche Aspekt dessen ist, was die „interessante Persönlichkeit“ determiniert. Suggestion, Macht, Attraktivität, Dominanz im Diskurs im Blick und im Griff zu haben, ist ein wesentlicher Aspekt geistiger Hygiene.


Loslösung und Illusionäre Schein- Inspiration

Man ist es nicht gewöhnt, ohne an irgend etwas anzustoßen, ohne Inhalte, ohne Spur, rein aus sich selbst heraus resistent - d.h. bewusst- zu sein. Normalerweise schläft man in einem solchen Zustand ein. Eine der schwierigeren Übung in dieser Willensschulung (und aus dieser besteht natürlich real praktizierte Anthroposophie) ist das Haften (im buddhistischen Sinne) an sensorischen und körperlichen Rückmeldungen. Die Aufmerksamkeit verliert sich in diesen sensorischen Rückkopplungen mit ihrer emotionalen Selbstvergewisserung. Wenn man an dem Punkt ankommt, sich davon situativ lösen zu können, ist das Seelisch- Bedürftige bereits zu Teilen geklärt, beruhigt, transparent- zumindest in der meditativen Situation. Aber der michaelische Mut besteht dann darin, so scheint es, über die Körper- Rückmeldungen hinaus weiter zu gehen, den Willen nochmals zu verstärken, um die Absolutheit des willentlichen Aus- Sich- Selbst- heraus- Existierens weiter und weiter zu führen. Es gibt da kein Ende, nur immer weitere überraschende Tiefen, da sich das Bewusstsein immer noch einen Schritt dafür erweitert. In der Tiefe dieser Stille gibt es kein Ende. So scheint es.

Tatsächlich verlaufen sich an dieser Stelle, an der das Ich- Bewusstsein für sich und aus sich heraus zu bestehen weiß, nicht wenige Adepten in eine illusionäre Schein- Inspiration, die kaum an etwas Greifbarem zu verifizieren ist, da jegliche Maßstäbe zu fehlen. Das Individuum fühlt sich, sieht sich, erlebt sich in einem objektiven erleuchteten Raum, glaubt sich in völliger Hingabe an einen Logos neu zu finden, der Perspektiven und umwälzende Erfahrungen der Erweckung eröffnet. So mancher fühlt sich an diesem Punkt erwählt, womöglich auf eine Mission geschickt, schöpft aus Eingebungen, die nicht anders als göttlich wahrgenommen werden können. Hier, an dieser Stelle, werden Gurus geboren. 


Irrlichternde Verwundbarkeit

Tatsächlich geht der Geistsucher jeglicher Schule in diese zeitlose Essenz hinein, aus der sich an diesem Punkt anbrandende Kräfte und Bilder offenbaren können. Es gibt Neigungen und Schulungselemente in dieser Region, die nicht anders erklärbar scheinen als aus früheren Mysterien stammend, aus einer bestimmten Tradition. Man erlebt für sich „Typisches“; man ist hier nicht zum ersten Mal; es ist aus vielen Gründen vertrautes Gebiet. Man hat hier und da Hinweise bekommen, Angebote zur Schulung und zur Unterweisung. Vieles war nett, manches anregend, aber letztlich blieb immer ein Rest im Inneren unbefriedigt. Das war es nicht. Es ist nicht lehrbar. Man hat, so scheint es, seinen eigenen Schlüssel gefunden, seine eigene Art des Zugangs. 

Tatsächlich gibt es kollektive Elemente dieses geistigen Raums, in dem sich das Ich in anbrandenden Lichtwellen einerseits zu verlieren droht, andererseits sehr wohl weiß um sein Bestehen in einem nicht- sinnlichen Umfeld. Aber an dieser Stelle ist die Verwundbarkeit auch groß; so mancher ändert mit so einer Erfahrung sein Leben, seine Einstellungen, seine Selbst- und Weltsicht; nicht unbedingt zum Guten. Die Bandbreite der Konsequenzen ist groß. Manche fühlen sich von nun an „erleuchtet“, was nichts als ein Label für die Grenze ist, an der die Denkerfahrung ihre eigene immanente Natur transparent macht: ein Grund für exaltierte Selbstbilder; es handelt sich um die Erfahrung des Denkens selbst und hat absolut kollektiven Charakter. Man kann dieselbe Erfahrung als als „Nichts“ kategorisieren und seinen Zynismus darüber hinweg ebenso entfalten wie Arroganz und Superiorität- Gefühle. 


Esoterische Institutionalisierung und Querdenkertum

Man kann auch ein kitschiges, selbst- referentielles System darauf aufbauen, in der ein esoterischer Vorstand eine anthroposophische Gesellschaft analog zur leibfreien Geisterfahrung des Individuums und Prozessen in der geistigen Welt anführt- in einer systematisierten, institutionalisierten Esoterik. Dieses Modell hat spätestens seit der Jahrtausendwende ausgedient; das Goetheanum als Kultstätte und Mysterienwort, an dem der Eingeweihte und Hohepriester inmitten einer feindlichen, materialistischen Welt einen sakralen Vorstand einberufen hat, an dem Mitglieder durch Teilhabe an Zweiglesungen und rituelle Verrichtungen in den Zustand höheren Wissens geführt werden, ist allmählich in sich zusammen gesackt. Man kann es in Vorstandsschriften der siebziger Jahre als historisches Dokument nach lesen (1), aber der ganze Stil, Duktus und die Emphase, die damals vielleicht überspannt wirkten, sind heute einfach aus der Welt gefallen. Freilich sind Elemente übrig geblieben und irrlichtern durch die rituellen Michaeli- Tagungen und Festtags- Ansprachen, vor allem aber, säkularisiert, durch die ideologisierte und politisierte Querdenkerschaft, die sich auf anthroposophischer Seite in den Kampf gegen die materialistischen Impfungen und die Pläne geheimer Weltregierungen wirft. Das alles kann den Blick nicht trüben, insgesamt eine heilsame Ernüchterung, Individualisierung und De- Zentralisierung der anthroposophischen Bewegung festzustellen. Der institutionalisierte Kultus hat pragmatische und differenzierte Seiten gewonnen, dafür aber die Stellvertreter- Hierarchie, in der die Nachfolger Rudolf Steiners inspiriert vor sich her repräsentierten, ebenso verloren wie die große Erwartung auf die Kulmination der Bewegung zu Beginn dieses Jahrhunderts.   


Esoterik als Weg des Logos

Die geistige Selbsterfahrung, um die es uns geht, das Gefühl, in der Realität des Menschseins auf einer weiteren Ebene angekommen zu sein, das sich in vielen Formen und Gestalten offenbart, aber doch einer individuellen, in seiner Essenz gleichen Form- und Zeitlosigkeit entspringt, kann nicht von irgend jemandem oder einer sakralen Institution abgenommen werden. Dass es in der Suchbewegung unsichere, erschütternde, möglicherweise auch Irrtümer und Fehleinschätzungen geben mag, ist selbstverständlich. Der Blick, der sich in der Suchbewegung erweitern und Sicherheit gewinnen sollte, kann abgelenkt, fixiert und seiner Kraft benommen werden. 

Die Suchbewegung, die nach sinnlichkeits- befreiter Autonomie des Geistes sucht, muss sich auch biografisch verankern in einer lebensklugen Rationalität, die vernunftbasierte Entscheidungen treffen kann und weiß, wann und wo solche Entscheidungen fällig sind. Ohne solche Verankerungen bekommen die geistigen Bemühungen, je näher sie an die „Schwelle“ kommen, leicht einen Einschlag, der weniger dem Narzissmus, sondern jetzt einer Derangiertheit der geistigen Orientierung nahe kommen. Die Möglichkeiten, sich zu verrennen - skurrile Obsessionen, Selbst- und Weltbilder zu entwickeln - erscheinen grenzenlos. Vor allem wird der innere Maßstab, die gefühlte Peilung des rationalen Urteils, merklich getrübt. In der ideologisierten, anti- rationalen Zeit, in der Putins und Trumps ihre Geschütze gegen rationale Maßstäbe auffuhren, folgen die ganz leicht entrückten Esoteriker politischen Slogans, Verschwörung- Erzählungen und Polit- Gurus ebenso wie den großen Trends auf Facebook. Die narzisstischen Kulte sind heute allgegenwärtig und säkularisiert, aber auch Teil der hybriden Kriege geworden, die die großen Machtsysteme entfalten. 

Esoterik als Weg des Logos sollte heute ein Weg sein, die eigene Anfälligkeit, die unbewussten Antriebe, aber auch die Manipulationen der öffentlichen Meinung besser zu erkennen. Die Vertiefung in Schweigephasen verschaffen eine Mitte in den anbrandenden Meinungsbildern. Die Autonomie bewährt sich im inneren Auspendeln verborgener innerer Bedürfnisse und der Versuche, an diese in Social- Media- Trends und politischer Stimmungsmache anzudocken. Meditation ist heute politisch.


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1 Rudolf Grosse, Die Weihnachtstagung als Zeitenwende, Dornach 1977/ 2


Über die Ungeborenheit

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Bankei
Im Laufe vieler Jahre habe ich immer wieder über ihn berichtet - den Zen- Meister Bankei, mir aufgrund seiner anarchistisch- spirituellen Attitüde so überaus sympathisch ist, über den sich aber auch einiges an Zeugnissen erhalten hat. Bankei lebte im 17. Jahrhundert, fiel so vollständig aus der Zeit und auch aus den Traditionen des Zen, dass er dadurch zum Erneuerer und Impulsator des Zen wurde. Um es einfach auszudrücken, war Zen damals in Traditionen, Riten und Gewohnheiten erstickt. Dagegen setzte Bankei den Begriff der Ungeborenheit - ein Zustand unmittelbarer geistiger Selbsterfahrung- einfach indem alles, was „geboren“ - tradiert, angelernt, angemaßt, Denkgewohnheiten, Geschlecht, soziale Schicht, usw - ist, im meditativen Akt abgelegt wird. 

Bankei forderte also von den Zen- Mönchen (nicht unähnlich den zahlreichen diesbezüglichen Aufforderungen Georg Kühlewinds gegenüber seinen anthroposophischen Zuhörern) inneres, aktives Arbeiten statt sinnentleerter Rituale oder ständiger Rückbezüge auf interne Traditionen. 

Der Vater Bankeis (mit 8 Geschwistern) war von seinem Amt als Ritter zurück getreten und war jetzt „a masterless samurai or ronin“*. Der Junge Bankei fiel als besonders intelligent, aber auch als extrem unruhig, unfügsam und willensstark auf. In früher Jugend führte er Banden an, beruhigte sich aber, als er mit 11 endlich in eine Schule durfte. Fast erwartungsgemäß machte ihm das Schreiben - also das endlose kalligrafische Kopieren von Schriften- Schwierigkeiten. Um nicht jede Anekdote zu wiederholen: Der ganze Junge war eine Schwierigkeit. Er hat z.B. etwa in dem Alter eine Hand voll giftiger Spinnen geschluckt, um sich nach einem Streit umzubringen. Dazu schloss er sich in einem buddhistischen Schrein ein- lag Stunden vielleicht sterbend in einem Sarkophag. Seine Lehrer, die reine Repetitoren waren, nervte er mit endlosen Fragen nach dem Sinn ihrer Gebete: „the awakening of religious doubt in his consciousness“.

Bankei hat diese jugendlichen Jahre damit verbracht, jede Religion, jeden Kult und jede Tradition in seiner weiteren Umgebung „nach Gehalt“ zu erkunden. Er fand leider nichts und „wandered about like a stray mountain lamb, aimlessly and alone“*. Endlich fand er in einem Zen- Kloster einen Lehrer - Umpo-, der ihm auf seine Fragen antwortete: „practice zazen“*. Bankei wurde augenblicklich Mönch, und lernte drei Jahre bei Umpo. Mit 19 verließ er das Kloster und streifte durch das ganze Land. Es war offenbar ein tiefer Abstieg. Nach den Klöstern und dem Wandern folgte ein Leben als Nichtsesshafter und Bettler, unter Brücken schlafend- und dennoch ständig Zazen praktizierend. Die Zweifel blieben, auch als er mit 23 zu Umpo zurück kehrte. Es folgten Jahre des Hungerns, des Lebens in einer nackten Zelle, des ständigen Meditierens. Bankei wird davon schwer krank, stirbt beinah- und erlebt an der Schwelle des Todes das Einssein aller Dinge in der Ungeborenheit: „I realized what it was that had escaped me until now: All things are perfectly resolved in the Unborn“*. Nach Jahren weiteren Studiums bei einem chinesischen Meister wird Bankei der Erbe und Nachfolger Umpos. Er, der zunächst stark umstritten in der Priesterschaft gewesen war, fand nun so viel Anerkennung, dass er eine eigene Schule innerhalb des Zen begründete. Bankei lehrte die nächsten 36 Jahre jeden, der vorbei kam und eine Frage stellte. Diese wunderbaren, geistreichen Gespräche zur Ungeborenheit gehören zum Weltkultur- Erbe. Wenigstens sind sie in einer englischen Übersetzung und mit einer detaillierten Einführung von Norman Waddell - auf die ich mich hier bezogen habe- versehen hier und da erhältlich*.

Aber auch Rudolf Steiner hat sich zwar auch zur Ungeborenheit als besonderer Qualität geäußert, wusste aber offensichtlich nicht von Meister Bankei:

Man darf überhaupt nicht unterschätzen die Bedeutung, welche im Worte liegt. In dem Augenblicke, wo sich der Gedanke umprägt zum Worte, selbst wenn das Wort als solches nur gedacht wird, wie in der Wortmeditation, in demselben Moment prägt sich das Wort ein in den Äther der Welt. 

Der Gedanke prägt sich als solcher nicht in den Äther der Welt ein, sonst könnten wir niemals im reinen Denken freie Wesen werden. Wir sind ja in dem Augenblicke gebunden, wo sich etwas einprägt. Für die Initiations - Wissenschaft liegt ja heute einfach die Tatsache vor, dass im ganzen Erden- Äther dadurch, dass die zivilisierten Sprachen kein gangbares Wort für Ungeborenheit haben, dieses für die Menschheit wichtige Ungeborensein überhaupt nicht dem Weltenäther eingeprägt wird. 

Alles das aber, was an wichtigen Worten eingeprägt wird in den Welten- Äther vom Entstehen, von alldem was den Menschen betrifft in seiner Kindheit, in seiner Jugend, all das bedeutet einen furchtbaren Schrecken für die ahrimanischen Mächte. Unsterblichkeit im Welten- Äther eingeschrieben, das vertragen die ahrimanischen Mächte eigentlich sehr gut, denn Unsterblichkeit bedeutet, dass sie mit dem Menschen eine neue Schöpfung beginnen und mit dem Menschen hinauswandern wollen. Das irritiert die ahrimanischen Mächte nicht, wenn sie immer wieder den Äther durchsausen, um mit dem Menschen ihr Spiel zu treiben, wenn da so und so viel von den Kanzeln von Unsterblichkeit verkündet wird und in den Weltenäther eingeschrieben wird. Das tut den ahrimanischen Wesen sehr wohl. 

Aber ein furchtbarer Schrecken für sie ist es, wenn sie das Wort «Ungeborenheit» in den Weltenäther eingeschrieben finden. Da löscht für sie überhaupt das Licht aus, in dem sie sich bewegen, da verlieren sie die Richtung, da fühlen sie sich wie in einem Abgrund, wie im Bodenlosen.“ **

Dass Zen- Anarchisten wie Bankei (1622- 1693) in diesen frühen Jahren auf eine spirituell verödete Umgebung stießen und sich mit der ihnen zur Verfügung stehenden Widerspenstigkeit und durch persönliche, gesellschaftliche und spirituelle Krise gehend, einen eigenen geistigen Standpunkt erarbeiten. hat mich natürlich immer umgetrieben. Der Begriff der Ungeborenheit, der mir nicht vertraut gewesen ist, mit dem ich aber gut im Betrachten eigener geistiger Erfahrung leben kann, ist ebenso wesentlich bei dieser jahrelangen Beschäftigung mit Bankei wie seine widerständige Art, an den Punkt seines Bewusstseins zu kommen, der sich auch gerade mit dem faden Ganz der Selbstbespiegelung beschäftigt: "Wenn du das verstanden und abgestellt hast, werden Selbstbespiegelungen und Illusionen nicht einmal mehr möglich sein, wenn du es wolltest, da du dauerhaft in der Ungeborenheit, dem Buddha- Bewusstsein, lebst. Sonst ist darüber nichts zu sagen."

Die Erfahrung der Ungeborenheit ist also nach Bankei mit der Erlangung des Buddha- Bewusstseins gleich zu setzen- zumindest dann, wenn diese Erfahrung nicht nur in Form einer einmaligen Erleuchtung, sondern als dauerhaftes Einleben- Könnens zur Verfügung steht.

Nun finde ich bemerkenswert, dass dieser Begriff auch von einem längst verstorbenen anthroposophischen Lehrer, Athys Floride, an dessen jährlichen Osterkursen ich auch öfter teilnahm, verwendet wurde- nämlich als Beschreibung der Umstände des Eintretens des echten inspirierten Stadiums der inneren Entwicklung:

"Die inspirierte Erkenntnis ermöglicht dem Meditierenden die Erfahrung der Ungeborenheit zu haben aufgrund der Tatsache, dass die Seele "außerhalb des Leibes" sich in geistiger Umgebung, welcher sie sich verbunden fühlt, zu erleben. Die Seele empfindet, dass sie vor der Geburt gelebt hat, dass sie ungeboren ist, d.h. dass sie nicht durch die Geburt entstanden ist. Der Mensch ist vielmehr geneigt, von der Unsterblichkeit der Seele zu sprechen, einem Wunsch entsprechend, nach dem Tod noch zu leben, was egoistisch gefärbt sein kann. Das Bewusstsein der Ungeborenheit der Seele, also von ihrer Existenz vor der Geburt, welche durch die irdische "Bekleidung" eine Hülle erhält, dieses Bewusstsein ist eine Errungenschaft von allergrößter Wichtigkeit."*** 

Vielleicht kann man der Formulierung Athys Florides "sich in geistiger Umgebung, welcher sie sich verbunden fühlt, zu erleben" nach gehen. Man kann darüber nachdenken, was er unter Seele meint- ist es doch zuerst ein Bewusstsein, das sich als reines Bewusstsein erlebt, um das es geht. Aber die Inspiration, die Floride anspricht, durchdringt dieses Bewusstsein natürlich auch mit diesen großen Gefühlen, diesen offenen, weiten Empfindungen, die aus dem Wesen stammen, ja das Wesen selbst sind- es aber zugleich durchwehen, aber auch verdichtet zu Organen der Orientierung werden. Und eben das macht ja die Verbundenheit "in geistiger Umgebung" aus, die Floride meint. Das dialektische Ich- Das- Verhältnis, das hier aufgehoben ist in der Empfindung, die das Innerste des eigenen Wesens ausmacht und zugleich die Substanz ist, aus der Die Welt sich schafft. Die Ungezogenheit ist auch die Erfahrung der Aufhebung dieses Dualismus.
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*„The Unborn. The Life and Teaching of Zen Master Bankei 1622-1693“. San Francisco 1984 Textstellen frei übersetzt von M.E.

 ** Rudolf Steiner, GA 203, S. 275f
***Athys Floride, Stufen der Meditation, Verlag am Goetheanum, 1987, S. 52

Text überarbeitet aus verschiedenen Archiv- Arbeiten 
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