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Denunzianten und Gralsritter

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Beim Kochen der neuesten Intrige
Natürlich gehen unsere Selbstbilder und die Vorstellungen, die Andere sich von uns und unseren Intentionen machen, nicht selten weit auseinander. Die idealisierte Variante von uns selbst ist dabei keinesfalls unser Geheimnis, denn wir suchen ja ständig Bestätigung, in Beruf, Erfolg, Geld, Freunden und Geliebten, ja selbst in der Esoterik.

Denn auch Glaube und esoterische Weltbilder konstituieren fragile Selbstbilder, indem sie sie mit  Weihrauch und höherem Sinn ausstatten. Der Homunkulus will weiter leben, in einem vorgestellten Jenseits, in einem Hollywood- Schmachtfilm mit Ewigkeit- Charakter, mit dem Segen der geistigen Welt- ein ewiges Ich. Zumindest die Sehnsucht danach - nach einer existentiellen, ins Transzendente exportierten Rechthaberei - konstituiert den korrupten Charakter selbst anspruchsvoller spiritueller Konzepte. Die Gier nach Sinngebung beendet jedwede Differenzierung, die Gefräßigkeit des rechthaberischen, emotional an sich selbst geketteten Ego saugt aus jedem Weltentwurf Bestätigung, so wie die eigenen Erinnerungen selektiert werden nach ihrer Nützlichkeit. Das Ego verwurstet noch jeden Geist und reißt in fressbare Stücke, was dann ideologischen oder religiös- fanatischen Charakter annimmt.

Dieses Fressverhalten beobachtet man natürlich auch, und zwar in immer mal wieder extensiverem Ausmaß, in der anthroposophischen Szene. Das Werk des Meisters, das kaum überschaubar erscheint, aber auch wenig tatsächlich gelesen wird, da das Gros der Konsumenten sich auf verdaubare Standard- Vorstellungen, Fragmente und mechanisch repetierbare Dogmen beschränkt, erleichtert das Heranzüchten gleichgeschalteter Meinungen, die wie in Reflexen auf „Kritiker“ des Meisters reagieren, der in bedürftigen Persönlichkeit- Konstrukten niemals infrage gestellt werden darf- schon gar nicht durch „materialistische“ Zeitgenossen und „Gegner“.

So erregt sich das anthroposophische Online- Blatt „Was in der Allgemeinen Anthroposophischen Gesellschaft noch vorgeht“ (1) über eine in einem anthroposophischen Heft erschienene „Ankündigung von Prof. Christian Clement, Provo, Utah, USA, über eine neue Zeitschrift „Steiner Studies – Internationale Zeitschrift für kritische Steiner-Forschung, call for papers“. In dieser neuen Zeitschrift sollen auf möglichst hohem akademischen Niveau (d.h. mit Peer Review) Studien zum Werk R. Steiners erscheinen. Die Zeitschrift will ein Forum für einen kritischen Diskurs sein. Ein internationales Team von Mitarbeitern bildet den wissenschaftlichen Beirat der Zeitschrift: Dr. Egil Asprem (Stockholm), Prof. Karl Baier (Wien), Dr. Aurelie Chone (Strasbourg), Prof. Wouter Hanegraaff (Amsterdam), Prof. W.U. Klünker (Alfter), Ansgar Martins (Frankfurt), Prof. Jost Schieren (Alfter), Prof. Heiner Ullrich (Mainz), Prof. H. Zander (Fribourg). Herausgeber der Zeitschrift sind Prof. Christian Clement und Prof. Hartmut Traub.“ 

Dann fällt der erste Satz, den Sünder am Pranger, Abweichler und Selbstdenker seit jeher vor der öffentlichen Zurschaustellung, Demütigung und (womöglichen) Betrafung hören mussten: „Prof. Christian Clement ist durch seine kritische Steiner Ausgabe wohlbekannt.“ (1) „Wohlbekannt“ ist dabei nicht im Sinne von „gut“ oder „wohlig“ gemeint, sondern eher im Sinne von „Wir erkennen den Teufel an seinem Schwefelgeruch“. Und so werden in der Folge auch andere ehrenwerte Männer, die dieser Abart der Inquisition dienen, namentlich genannt, Männer der Rechtgläubigen, der richtigen Seite, die die Frevler entlarvt, Männer wie Lorenzo Ravagli oder Frank Linde: „Seine Vorgehensweise, die die Wortlaute R. Steiners in ihr Gegenteil verdreht, wurde von Frank Linde in „Imagination und Halluzination – Christian Clements Bild der Geistesforschung R. Steiners“ in der Monatsschrift „Die Drei“ (11/2015) ausführlich dargestellt. Prof. Helmut Zander wurde durch die fundierte Analyse von Lorenzo Ravagli „Zanders Erzählungen“ 2009 widerlegt. Zander ist ein Wort- und Sinn- Verdreher der Texte R. Steiners, wie in Dutzenden Fällen nachgewiesen wurde. Zander diffamiert R. Steiners schauendes Bewusstsein als eine persönliche Anmaßung, die R. Steiner nur deswegen behauptet habe, um Anhänger zu gewinnen. Die Grundmotive in R. Steiners Wirken sind nach Zander: Geltungstrieb, Machttrieb und Opportunismus. R. Steiners Geistesforschungen werden auch von Prof. Clement für subjektive Vorstellungen ohne wirklichen Wahrnehmungs- oder Tatsachencharakter angesehen. Ähnliches behauptet Prof. Traub im Hinblick auf Fichte und R. Steiner. Er meint, die ganze Anthroposophie sei nur aus Fichte herausgeholt.“

Es ist furchtbar. Dabei sind die Kritiker nicht einmal vollständig erwähnt, allenfalls namentlich- zumindest die, die sich mit Verstrickungen der anthroposophischen Bewegung mit antisemitischen oder faschistischen Ideologien beschäftigen wie Ansgar Martins. Ganz zu schweigen vom Beelzebub der Kritiker, Peter Staudenmaier.

Nun sind die alle nicht recht greifbar und nicht zu belangen. Was man tun kann, ist, die zu mobben, die bereit sind, sich mit diesem intellektuellen, wissenschaftlich denkenden und publizierenden Gesindel auf eine Zusammenarbeit einzulassen, und sei es nur in Redaktionsbeirat der kritischen „Steiner Studies“: „Mit diesen Männern also, mit Zander, Clement und Traub wollen Herr Prof. Schieren und Herr Prof. Klünker im Redaktionsbeirat der Steiner Studies zusammenarbeiten.“ Und dabei hatte man ihnen vor kurzem noch vertraut! Man hatte sie für die Unseren gehalten! Was macht man denn nun. Wie kann man sich gegen solchen Verrat, gegen solche Enttäuschung und Zerrüttung wehren? Was macht man denn nun, als Intrigant und Denunziant? Man startet eine Kampagne gegen die Ungläubigen, als wahrer Anthroposoph und im Namen des Meisters:

Aber als Anthroposophen, die wir uns als Repräsentanten der anthroposophischen Sache fühlen und diese Repräsentanz auch öffentlich zur Geltung bringen wollen, haben wir ebenfalls eine Freiheit. Wir möchten nämlich zu diesem hier skizzierten Vorgang unsere Meinung sagen. Entweder man ist in einer wissenschaftlichen Gesinnungsgemeinschaft mit einem der schlimmsten Verleumder R. Steiners wie H. Zander oder man ist in der Lage, den Interessen und Bedürfnissen der Anthroposophie, Rudolf Steiners und der Mitglieder der Anthroposophischen Gesellschaft zu dienen. Es ist ein schreiender Widerspruch, wenn zwei Redakteure des Mitgliederblattes der Anthroposophischen Gesellschaft in Deutschland mit Herrn Prof. Zander und Herrn Prof. Clement zusammenarbeiten und diesen Männern dadurch eine Reputation erteilen, die sie im Sinne der anthroposophischen Sache nicht nur nicht verdienen, sondern im Gegenteil entzogen bekommen müssten. Deswegen plädieren wir dafür, Jost Schieren und W.U. Klünker als Redakteure der Zeitschrift „Anthroposophie“ zu entlassen. Das ist kein Ausschluss. Das richtet sich nicht gegen die Person von Prof Schieren oder Prof Klüncker. Wir anerkennen durchaus die Verdienste dieser beiden. Was wir wollen, ist ein klarer Trennungsstrich im Sinne der Repräsentanz der anthroposophischen Sache vor der Welt. Darüber hat R. Steiner 1924 oft gesprochen. Lesen Sie dazu auch R. Steiners Worte von 1923, (GA 259), die R. Tüscher im ENB, Nr. 23 wieder abgedruckt hat. R. Steiner kritisierte, wie die damalige anthroposophische Presse mit Verleumdungen R. Steiners umging. R. Steiner wünschte sich, dass man die Gegner moralisch beurteilen und demgemäß sich verhalten soll.

Wir hoffen, dass möglichst viele Anthroposophen sich unserer Ansicht anschließen und dies durch ihre Unterschrift zum Ausdruck bringen.

Natürlich hat diese Art des Ziehens eines „klaren Trennungsstrichs im Sinne der Repräsentanz der anthroposophischen Sache vor der Welt“, wie die verwirrende Formulierung der Intriganten lautet, eine sehr lange Tradition innerhalb der Anthroposophischen Gesellschaft, was unmittelbar nach dem Tod Rudolf Steiners begann und in der Folge zu zahlreichen Spaltungen und einer kontinuierlichen Selbstbeschäftigung und Selbstbeschädigung führte. Man vermeidet daher heute gern die Formulierung “Ausschluss“, betreibt diesen aber faktisch dennoch. Auf ganz ähnliche Weise hat der in diesem Aufruf aktive Part, hinter dem vermutlich nationalistisch orientierte Schweizer Verbände stehen, bereits den eigenen Vorstand abgeschossen. Der ganze Zorn gegen diese zeitgeistigen multikulturellen Freigeister entlädt sich, die Provinz rebelliert, weil mit dem Intellekt das Intime abhanden kommt, das Geheimnis, das Raunen an der Schwelle, der geheime Gral, die gefühlte geistige Elite, das Nicken der geistigen Welt, die stille Zustimmung des Erzengels. Nein, auch ehemalige Erzengel und heutige Zeitgeister wie Michael mögen Prof. Zander und Prof. Clement nicht. Der heilige Gral möchte auch nicht unterwandert werden von Professoren, Mormonen und „diesen Männern“. Der heilige Gral mag diesen Abschaum nicht.

Daher wurden jetzt die Massen mobilisiert, und - sie kamen. Auf einer eigenen Seite werden die mobilisierten Mit- Denunzianten aufgeführt (2), die diese Hexenjagd unterstützen. Dass sich das anthroposophische Arbeitskollegium über solche Intrigen irritiert zeigt und ein deutliches Bekenntnis gegen „Gesinnungsgemeinschaft“ und für „divergente Vielfalt“ (3) abgibt (4), stört die Intriganten wenig. Man schlägt vielmehr in einem weiteren offenen Brief zurück, der auch eine weitere Steigerung in der offenkundigen Verwirrtheit der Protagonisten offenbart- nicht nur in der fehlenden argumentativen Stimmigkeit, sondern auch in abenteuerlichen, inquisitorischen persönlichen Anwürfen wie „Nach allem, was von und über C. Clement bekannt ist, urteilt er über die Anthroposophie und die Schriften Rudolf Steiners, ohne selber sich um den anthroposophischen Schulungsweg bemüht zu haben.“ Denkwürdig daran ist die offensichtlich festgestellte Tatsache der fehlenden Rechtgläubigkeit. Ganz offenbar ist man in der Lage, die geistige innere Entwicklung von "Gegnern" einzusehen, im Sinne von höherer Wahrnehmung. Da spielt man mit Christus, dem Erzengel und Rudolf Steiner in einer Liga. Denkwürdig, was da auch an Selbstbildern vorliegt.

Die Kollaboration mit „Gegnern“ wird in der Folge auch den um Schlichtung bemühten Vorständen vorgehalten (6) Endlich kommt nun auch zur Sprache, dass die Intriganten und Denunzianten sich auch der Fürsprache des so lange verstorbenen Meisters selbst erfreuen dürfen, der die Wurzeln des Übels- bis hinauf in die Leitungsebenen der Anthroposophischen Gesellschaft selbst, mit Stumpf und Stiel hinaus geworfen hätte. Dessen ist man sich, wahrscheinlich per Direktschaltung ins Devachan, bewusst: „Es ist kaum anzunehmen, dass Rudolf Steiner ein derartiges Verhalten von Hochschulmitgliedern geduldet hätte, ein Ausschluss aus der Hochschule wäre wohl spätestens jetzt die Folge gewesen.“ (7)

Herr Doktor hätte zweifellos hart durchgegriffen. Ehrenwerte, geistig wertvolle und moralisch gestimmte Mitglieder hätten sich allerdings schon vorher selbst verstümmelt bzw selbst aus ihrer Mitgliedschaft ausgeschlossen: „Sich in dieser Art und Weise für die Gegner der Anthroposophie und Rudolf Steiners einzusetzen, kommt im Grunde einem Selbstausschluss gleich, wohl nicht rechtlich, jedoch moralisch.“ So predigen die Intriganten Moral und empfehlen den Vertretern einer „divergenten Vielfalt“ das Verschwinden aus ihren Ämtern und, vor allem, aus der Verantwortung. Sicherlich wird die Meute der Scheinheiligen und Empörten fortfahren, die Denunziation für geistige Vervollkommnung zu halten. Absurd, abstrus und geistig aus dem Tritt geraten, setzen die anthroposophischen Wutbürger ihren Weg ins innere Reichsbürgertum fort, die Fahne ihres Meisters hoch erhoben, sich selbst entlarvend und lächerlich.

Man muss dennoch, so unwirklich und abstrus derlei erscheint, mit diesen Kräften rechnen: Die Abonnenten der Online- Blättchen zeigen es ebenso wie das Abstimmungsverhalten in Versammlungen. Wie man mit der geradezu schneidenden Scheinheiligkeit der Protagonisten umgehen will, weiß ich nicht. Ich habe aber großen Respekt vor den Herausforderungen, mit Intriganten umzugehen, die anthroposophische Repräsentanten auf verschiedenen Ebenen heraus ekeln wollen, dabei aber gleichzeitig lammfromm erklären, nichts als „Erkenntnisfragen“ (8) zu verfolgen. Das ist tatsächlich in besonderer, geradezu esoterischer Art und Weise ekelhaft.



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1 http://www.wtg-99.com/steiner-studies/
2 http://www.wtg-99.com/studies-unterzeichner/
3 https://www.anthroposophische-gesellschaft.org/contents-statische-inhalte/agid-aktuell/?tx_ttnews%5Btt_news%5D=383&cHash=4d6e687bb52c65d3f05a109c34ae0c1a

4 „Wie in einer wissenschaftlichen Zeitschrift üblich, wird versucht, den Beirat international und fachlich möglichst breit gefächert aufzustellen. Intendiert ist hier divergente Vielfalt, gerade nicht eine „Gesinnungsgemeinschaft“, wie es Friedwart Husemann formuliert hat. Für diesen wissenschaftlichen Beirat hat Christian Clement auch Wolf-Ulrich Klünker und Jost Schieren zur Mitarbeit eingeladen. Wenn beide diese Einladung angenommen haben, bekunden sie ihre Bereitschaft zur Erkenntnisauseinandersetzung, mehr aber auch nicht. Was sie im Einzelnen zur Mitarbeit bewogen hat, beschreiben sie in ihrer Korrespondenz mit Karl-Reinhard Kummer, die in der nächsten Ausgabe der „Anthroposophie“ veröffentlicht wird. Wir teilen mit ihnen die Einschätzung, dass das wissenschaftliche Gespräch über Anthroposophie nicht Außenstehenden überlassen werden sollte und begrüßen es, dass sich Herr Schieren und Herr Klünker der Herausforderung einer Mitarbeit stellen. Der fatalen Trennung von Wissenschaft und Esoterik entgegenzuwirken, setzt die Bereitschaft voraus, mit Andersdenkenden ins Gespräch zu gehen.“ (Angelika Sandtmann. Für das Arbeitskollegium der Anthroposophischen Gesellschaft in Deutschland) in 3

5 http://www.wtg-99.com/offener-brief-agid/ : „Nach C. Clements Ansicht führen die Forschungsmethoden Rudolf Steiners nicht zur Erkenntnis einer wirklichen geistigen Welt und auch nicht zu außerhalb des (alltäglichen) Bewusstseins des Menschen existierenden geistigen Wesen. Steiner begegne in seiner Geistesforschung nur sich selbst (siehe z.B. Frank Linde, Die Drei 11/2015).  Nach allem, was von und über C. Clement bekannt ist, urteilt er über die Anthroposophie und die Schriften Rudolf Steiners, ohne selber sich um den anthroposophischen Schulungsweg bemüht zu haben. Denn wenn man Rudolf Steiner und den von ihm formulierten Voraussetzungen ernst nimmt, kann man C. Clements Urteilen keine Berechtigung zusprechen: „ … doch nimmt die Leitung der Schule für sich in Anspruch, dass sie von vornherein jedem Urteile über diese Schriften die Berechtigung bestreitet, das nicht auf die Schulung gestützt ist, aus der sie hervorgegangen sind. Sie wird in diesem Sinne keinem Urteil Berechtigung zuerkennen, das nicht auf entsprechende Vorstudien gestützt ist, wie das ja auch sonst in der anerkannten wissenschaftlichen Welt üblich ist.“ (§8 der Statuten der Weihnachtstagungs-Gesellschaft). So stellt sich auch in diesem Zusammenhang die Frage, wie Sie sicher sein können, dass es sich bei den „Steiner Studies“ wirklich um eine „wissenschaftliche“ Zeitschrift handeln wird? Und wie kommen Sie zu der Annahme, dass jemand wie H. Zander im positiven Sinne zu kritischer Wissenschaftlichkeit gegenüber Rudolf Steiner neigen könnte, wenn er sich wie folgt äussert:
„Kritiker und Wissenschaftler haben sich auch gefragt, welche psychische Disposition Steiner besass, ob er, polemisch gefragt, ›geisteskrank‹ war oder, seriöser, an Schizophrenie litt. … Oder nahm er vielleicht doch Drogen? Mit dem Schnupftabak, den er liebte, könnte er auch Kokain, den ›Schnee‹ wie es in seinen Briefen heisst, zu sich genommen haben, vielleicht bewusst, vielleicht auch ohne es zu wissen. Halluzinogene Mittel mögen, wenn er sie denn nahm, einzelne Erfahrungen erklären, aber seine Beschäftigung mit meditativen Techniken über zweieinhalb Jahrzehnte geht darin nicht auf.““

6 „Im Zusammenhang mit dem vorherigen Punkt stellt sich die Frage, inwieweit Sie (und Ihre Kollegen) – soweit Sie Hochschulmitglieder sind – in Ihrem Verhalten und in Ihrer Argumentation gegenüber den Initiatoren und deren Werken selber der Bedingung der „Repräsentanz für die  anthroposophische Sache“ insbesondere als Hochschulmitglieder mit Leitungsaufgaben und ggf. als Lektoren – gerecht werden, wenn Sie sich derartig für C. Clement, H. Traub, H. Zander u.a. einsetzen, obwohl es sich offenkundig um Gegner der Anthroposophie und Rudolf Steiners handelt?“ In http://www.wtg-99.com/offener-brief-agid/

7 http://www.wtg-99.com/offener-brief-agid/
8 „Ein sachlicher Dialog im Sinne einer gemeinsamen Erkenntnisbemühung ist mehr als überfällig. Aus Ihren Ausführungen ist nicht erkenntlich, ob dazu eine Bereitschaft besteht. Und um eine Personaldebatte geht es nicht – es geht um Erkenntnisfragen! Werden wir es noch erleben, dass die Leitung der Gesellschaft und der Hochschule ihre Aufgabe und Verantwortung ergreift, um endlich Stellung zu beziehen und sich auf einen inhaltlichen Dialog mit den Mitgliedern einzulassen?“ In 7


Aletheia - die Nicht- Verborgenheit

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Alltags- Bewusstsein und Selbst- Realisation


Aletheia ist einer der zentralen Begriffe des Neuen Testaments, wie Georg Kühlewind in seinem Buch „Das Reich Gottes“ heraus gearbeitet hat. Übersetzt wird dieser Begriff - ungenau- meist mit „Wahrheit“, die korrekte Bedeutung aber ist „Nicht- Verborgenheit, Nicht- Vergessenheit, Nicht- Verlorenheit“ - eine Form von Selbst- Offenbarung im Sinne von Realisation und Gewahr- Werdung des Selbst.

Es ist das Ich, das sich in seiner Beschäftigung mit Wahrnehmen, Denken, Reflexion, Aktion ständig selbst „vergisst“. Dies gilt auch für die heute angemessene Form des Alltagsbewusstseins, die Rudolf Steiner „Bewusstseinsseele“ nannte, in der das Ich auch über seine eigenen seelischen Besonderheiten, über das „Erhaltene“, ja selbst über das Konstrukt des Charakters seiner selbst reflektieren kann. Alle Reflexion - das „Denken- über- das- Denken“ kann aber doch die „Verborgenheit“ nicht vollständig überwinden, da es immer noch Nach- Denken bleibt, und eine Selbst- Realisation im Jetzt nicht erreicht.

Der Blitz, der stehen bleibt


Kühlewind beschreibt das Eintreten in die Aletheia auf seine sprachlich eigenartige, hoch konzentrierte Weise so: „Mit dem In-die-Welt-Treten des wahren menschlichen Ich durch das Tor der Bewusstseinsseele verändert sich die Welt und das Verhältnis des bisher Verborgenen zum Licht der Welt.“ Gemeint ist hiermit -technisch gesehen- das Gewahr- Werden der eigenen schöpferischen Ich- Kräfte- ein Zustand, den Rudolf Steiner auch als „Reines Denken“ bezeichnet. Verschiedentlich bezeichnete es Kühlewind in Vorträgen und Gesprächen auch als ein „Blitz, der stehen bleibt“- eine anhaltende Intuition. Man kennt den Augenblick plötzlicher Einsicht, das wirkliche Aha- Erlebnis schon aus Kindertagen- hier, im Zustand der Aletheia, bleibt dieser Augenblick plötzlichen tieferen Verstehens für einige Zeit bestehen. Das ist ein tatsächlich ungewöhnlicher Bewusstseins- Zustand, den man mit „Ganzheit“ erlebt, vielleicht auch im Sinne der Vereinigung mit Du, Natur, aber auch sich selbst; man weiß jedenfalls, dass es ein "meditativer" Zustand ist. Dieser Bewusstseins- Zustand unterscheidet sich von dem, was das reflektierte Denken ausmacht, denn das Ich, das das Bewusstsein ist, und das seiner selbst bewusst wird, bleibt auch dann bewusst, wenn es keine Inhalte des Denkens hat - es besteht in der „Leere“ und im Jetzt. Faktisch erlebt sich das Ich damit auch in einem veränderten Körpergefühl, denn die Unverborgenheit rührt an die oberen Chakren, wodurch das Körpergefühl dynamischer in diesen Regionen wird und über die Körpergrenzen hinaus geht. Die Körper- Rückmeldungen (Lage, Status, Hunger, Wärme, Druck) treten weit in den Hintergrund, ebenso wie das Gefühl für Zeit.

Innere Räume und imaginative Eindrücke


Aber auch das seelische Gefüge ändert sich in manchen Bereichen- der ununterbrochene verteidigende Ego- Gestus schwächt sich ab. Man will nicht bestehen - schon gar nicht auf „Standpunkten“. Es gibt nichts zu verteidigen. Es ist ganz deutlich, dass man in einen Bereich eingetreten ist, der einen anderen Charakter hat. Damit ändert sich das bisherige Konzept des Ich-bin radikal. Es ist aber- das sollte man doch immer bedenken- nicht mehr als der Hinzugewinn einer Fähigkeit, nicht eine Überwindung des Bestehenden. Das Sich- Hineinversetzen in den Flow ist der Gewinn von einer gestaltenden, aktiven, tänzerischen Fähigkeit, ein Ausdruck und Möglichkeit von neuen Eindrücken. Aber kein kitschiges „Erleuchtetsein“. Andererseits handelt es sich auch nicht um ein komplettes Ausfliessen in eine undefinierte Weite. Die umgebende „Räumlichkeit“ ist nicht definiert durch Körpergrenzen, sondern durch den Raum, den das Bewusstsein einnimmt, eine Art Blase der ausgebreiteten Aufmerksamkeit. Es gibt sehr wohl eine Grenze, und es gibt sehr wohl allerlei Eindrücke, die an die Grenzen dieser Blase anstossen. Erlebt werden diese ganzen Eindrücke auf der Ebene einer bildlichen, aber sehr dynamischen Erscheinung.

Nun sollte man sich nichts vormachen. Es mögen ja gewisse Veränderungen vor sich gegangen sein. Aber in den tieferen Regionen spürt man sehr wohl die alten Reflexe, Ängste, Konfigurationen, mit denen man sich seit jeher herum geschlagen hat. In den Tiefen, in den „unteren“ seelischen Zonen, in denen das Gefüge an die Lebenskräfte heran rührt, existieren und regieren der Lebenskampf, das Begehren, der Ehrgeiz, die rechthaberischen Reflexe ganz ungebrochen. Existentielle Prägungen rühren tief. Aber dennoch: Eine Möglichkeit des Perspektiv- Wechsels ist gefunden.

Selbstkonzept, Flow und die eigenen Grenzen


Aber dennoch: Mit dem Eintritt in die Aletheia ist doch eines geschehen: Die bisher fast ungebrochene, scheinbar unauslöschliche Einheit des Selbstkonzepts ist ein Stück weit aufgebrochen und man darf die Energie des „Flow“ spüren: „Denkend empfinde ich eines mit dem Strom des Weltgeschehens.“ In diesem Moment enthüllt sich auch erst der Sinn von Rudolf Steiners so genannten „Nebenübungen“, die vor allem soziale Prozesse betreffen. Denn „Gleichmut“ und „Unbefangenheit“ sind Dinge, die man im Alltagsbewusstsein nur mit Verkrampfung üben kann. Menschen, die penetrant Gleichmut, Gedankenkontrolle und Gelassenheit üben, können den Charme einer Ziegelstein- Mauer verbreiten. Anders ist das in der Aletheia. Hier sind die Nebenübungen das geeignete, ja das einzig angemessene Element. Sie ergeben sich faktisch von selbst, ohne Krampf und ohne Selbstbespiegelung. Das bewegliche, flüssige, offene und zugleich selbst- gegenwärtige Ich bewegt sich in diesem Element auf die denkbar natürlichste Art- ohne Brüche, ohne widersprüchliche Gefühle und den Wust der eigenen Lasten.

Im Fluss der Unverborgenheit bauen sich keine Mauern auf, denn man steht tief im Dialogischen und in sozialen Prozessen. Der weich gewordene Wille ist durchaus nicht schwach und passiv, aber er ist frei genug, um empathisch in Prozessen stehen zu können. Die soziale Wahrnehmung, aber auch die Fantasie, um schwierige Verhältnisse situationsangemessen lösen zu können, erweitert sich erheblich. Man steht wirklich in der existentiellen Bejahung des Anderen, die Carl Rogers und Martin Buber (Ich- Es und Ich-Du- Beziehungen) in ihren Arbeiten gefordert haben. Man ist in der Lage, Anderen den Raum geben zu können, den sie für ihre Entfaltung benötigen- zumindest in Hinsicht auf die Betrachtungen, die Vorhaben und Entschlüsse, die man sich im Flow so macht. Schön und gut. Man erinnere sich aber auch an die Frau des Zen- Lehrers Jack Kornfield, der nach einem monatelangen Retreat vollkommenen inneren Frieden und Erleuchtung gefunden hatte- bis er das Haus betrat und seine Mutter anrief. Alles, was so verankert, gesichert und vertieft in innerer Eintracht gefunden worden war, fiel innerhalb von Sekunden auseinander.

Der Weg des Saturn und das heilige Dingdong


In anthroposophischen Zusammenhängen nennt man diese Art der hier angesprochenen Schulung auch den „Saturn-“ oder Willensweg in der Schulung, der im Gegensatz zu den klassischen Erleuchtungs- Prozessen steht. Aber natürlich treten in der Willensschulung der Aletheia auch Erlebnisse auf, die stark den oft geschilderten Erleuchtungs- Erfahrungen ähneln. Man legt nur wenig Wert darauf- oder es wird sogar als eher hinderlich betrachtet. Bildhafte Prozesse von Licht- Vorgängen sind auf der Ebene der Selbst- Gewahrwerdung eben nur dies: Bilder von einer Ebene, die Verstehen, aktives Begreifen einfordert. Sich dem bildhaften Lichterscheinen auszusetzen hat dem gegenüber einen ablenkenden, ja destruktiven Charakter. Es sind auch leicht destabilisierende Selbstgefühl damit verbunden. Das alles führt vom eigentlich relevanten Weg nur ab.

Der Weg der Nicht- Verborgenheit bedeutet auf dieser Ebene eben auch, dass das alles, was da „sieht“ oder zu verstehen meint, immer auch vor dem Hintergrund der eigenen Bedürftigkeit betrachtet wird. Das gehört zu den denkbar härtesten Aufgaben: Die Prüfung des im scheinbar „reinen Denken“ gewonnenen Schatzes mit der Fragestellung, wie sehr man sich das gewünscht hat, es gebraucht, ja fabriziert hat. Was kompensiert man mit diesen Bildern, Gedanken, Gefühlen? Welchen Grad von Selbst- Bedeutsamkeit versucht man zu konstruieren? An der ersten Schwelle, an der kein Anker der Vernunft und Kontextualisierung mehr hilft, muss man sich selbst als Instrument prüfen. Es stellt sich leider immer wieder heraus, dass die Sucht nach narzisstischer Bestätigung die treibende Kraft ist, den Blick auf Begleitung- Phänomene zu richten, aus denen man dann Selbstgefühle zieht: Das heilige Dingdong. Relevant ist nicht der Effekt der Bilder, Körpergefühle, Selbstbilder und Mythen, die man so erlebt, sondern die sachliche Aufrechterhaltung reiner Disziplin in der Gewahrwerdung. Es geht um Einsicht, nicht um Selbstbetörung.

Das innere Königtum


Das ganze Neue Testament steht ja im Zeichen der Aletheia, der Unverborgenheit…“, schreibt Georg Kühlewind in „Das Reich Gottes“ (S. 65). Aber schon im Leben Christi bestand ja das Problem seiner Zeitgenossenschaft darin, dass das sich enthüllende Wesen missverstanden und kaum erkannt wurde. Die Erwartung an den Messias gestaltete sich „ganz äußerlich“: „Man erwartete und hoffte auf ein äußeres Reich, eine äußere Veränderung der Welt, der Umstände, des Lebens.“ Nicht nur Judas, der zu Unrecht Vielgescholtene, erhoffte ja in Jesus einen Sozialrevolutionär. Eingepfercht zwischen Besatzern und einer allmächtigen religiösen Kaste erwartete nicht nur Judas einen politischen Ruck: Am ersten Sonntag der Karwoche wünschte das ganze Volk eine politische und soziale Kehrtwendung von Christus, als dieser umjubelt und frenetisch empfangen in Jerusalem einritt. Das „innere Königtum“ Christi wurde nicht gesehen. Wem wollte man das verübeln? Wie können wir die eigene, verborgene Intentionalität erfassen? Wir müssten uns erinnern. Denn die Fähigkeit, Intentionalität rein geistig zu erfassen, hatten wir als Kleinkinder. Anders als durch Symbiose, durch Aufnehmen im Sinne der Aletheia kann kein Kind Sprache erlernen. Die Begriffe sind anders gar nicht zu erlernen als eben dadurch, denn das Kind kann weder Definitionen noch sprachliche Herleitungen verstehen. Es erfasst die Bedeutung von Begriffen einzig durch Aufnahme der Intention des Sprechenden.

Empfangende Aufmerksamkeit und sanfter Wille


Diese „empfangende Aufmerksamkeit“ (Kühlewind) steht dem Erwachsenen nicht mehr von selbst zur Verfügung. Aletheia kann nur durch „Wandlung der menschlichen Fähigkeiten“ realisiert werden. Das verborgene „innere Königtum“ bezieht sich nun allerdings auch auf uns selbst. Wir sind uns selbst zum Rätsel geworden. Nun war in Bezug auf Christus die Stunde seines grössten Triumphes - der Einritt in Jerusalem- gleichzeitig auch die Stunde des tiefsten Missverständnisses. Vielleicht ist das auch so in unseren persönlichen Biografien. Vielleicht stehen wir uns gerade dann am fernsten, wenn die Erfolge am grössten sind. Nicht umsonst gilt das Bonmot, dass die grössten persönlichen Katastrophen entweder im Scheitern unserer Intentionen oder aber eben in deren Realisation liegen. Umjubelt, anerkannt, gefeiert stehen wir uns fremd gegenüber.

Analog wird es auf dem Weg der Unverborgenheit unsicher, wenn die Fragehaltung schwindet, das Gefühl des stetigen Neubeginns. Natürlich gibt es eine technische Professionalisierung. Natürlich gibt es eine Haltung, eine gewisse Skepsis gegenüber den eigenen seelischen Reflexen, aber auch eine sichere Beobachtung der geistigen Tragkraft im Flow. Worum es geht, ist es, den Raum zu begründen und transparent zu machen, ohne zu schnellen Rückschlüssen, Bildern und Selbstsuggestionen auf den Leim zu gehen. Es ist in jedem Moment ein Entschluss. Der sanfte Wille ist eben der, der sich prägen lässt, ohne sich zu verlieren. Die Unverborgenheit lebt in der Stille, auch wenn man in ihr ganz öffentlich wirkt. Sie ist allerdings auch nicht - ein weiteres Missverständnis - abhängig von einer „Überwindung des Ich“ im Sinne alter Mysterien und fernöstlicher Praktiken: Man verliert das „Ich-bin-Prinzip“ nicht, „im Gegenteil: Das Königtum der Aletheia bedeutet, dass die erneuerte Fähigkeit des Empfangens der oberen Botschaften gerade durch die Individualisierung der bisher überbewussten Logoskräfte, durch die entstehende höhere Ichhaftigkeit vor sich geht.“ (Kühlewind, dito)

Der „innere Raum“, der sich öffnet, schafft Platz für Präsenz über Präsenz. Auf einer Nadelspitze sind Welten gebaut, und es türmt sich ein Himmel. Es ist nur zu ahnen, dass auch dieser Himmel nichts als eine Nadelspitze darstellt.

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 Georg Kühlewind, Das Reich Gottes. Die Zukunftsvision des Neuen Testaments

Der vorliegende ist eine erweiterte und ergänzte Variante früherer Textfragmente und Blogeinträge

Täglich sehnt sich mein Innerstes nach dem Unaussprechlichen

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Das ist derselbe Weg, den ich immer ging, bald drei Jahrzehnte lang, mit Hund und ohne Hund, mit dem einen und mit einem anderen Hund, mal mit einem Freund, mal ohne. Das ist der Weg hinter dem Haus an den Feldern und Pferdekoppeln, den im heissesten Monat trocken gelaufenen Bach entlang, der von Weiden gesäumt wird. In der alten Pappel- Allee an der Wegscheide nisten im Frühjahr die Bussarde, die Milane und die Falken; man hört die Rufe der Jungen aus großer Höhe und von weit her - schneidende, fordernde Töne.

Das ist derselbe Weg, nichts hat sich verändert. Ich habe ihn manchmal gemieden, weil er mir so monoton erschien. Manchmal störte mich der Matsch, manchmal die Öde der weiten Felder, manchmal die Zecken, die vielleicht an den Spitzen der hohen Gräser sitzen, manchmal zu viele Fliegen, manchmal das schlechte Wetter. Zu Zeiten war es mir zu schwül, in anderen Zeiten zog der Wind. Es war vor allem immer dasselbe, derselbe Anblick, dieselbe Landschaft.

Dann, von einem Tag auf den anderen, verschoben sich die Maßstäbe - als hätte jemand meinen Schleier abgezogen, und die Gewohnheiten - die des Blicks, des Hörens und Empfindens - waren zerstoben. Derselbe Weg, aber ein Anderer, der ihn ging. Nun war der Weg jedesmal ein neuer. Jeder Gang war das erste Mal. Es ist nur die Frage, wie man schaut. Wenn man nicht mehr den neuen Eindrücken hinterher läuft, wirkt das Land, das man kennt, wie frisch gewaschen. Der weite Blick wird zu einem Ausdruck dieses Augenblicks, in dem alles aufeinander bezogen ist. Er wird zu einem einmaligen, unvergleichlich schönen Präsent, das man unverdient empfängt. Man fühlt, indem man sich mit dem offenen Leib in diesen Anblick stellt, dass man selbst existentiell darauf bezogen und damit verbunden ist. Nicht ein einziges Mal wiederholt sich irgend etwas. Das Wunder, wenn der tiefgrüne Weizen die Spitzen der Grannen gebiert, als würden sie heraus gezogen. Die Spur der Mauersegler vor dem weiß getupften Blau. Der Geruch der Erde, wenn der Nieselregen sie durchfeuchtet. Der Anblick der weidenden Pferde auf der hohen Wiese, in der strotzender Löwenzahn weiße Tupfen setzt:

Nie mehr derselbe Weg.

Nicht einmal äußerlich. Im Sommer hat die Trockenheit im dritten Jahr die Pappeln attackiert, und als der Herbststurm kam - der nicht einmal mit halber Kraft wütete-, brach doch einer der Riesen, der einen Kosmos für Insekten und Vögeln dargestellt hatte, entzwei und stürzte auf die Pferdewiese. Der begradigte Bach aus Fuß der großen Bäume versiegte vollständig, es verging noch ein Monat, dann waren die getaumelten Teile der Pappel zerlegt, zersägt und auf riesigen Haufen geschichtet. Und da ein Zahn heraus gebrochen war, nahm man das das ganze Gebiss heraus, fällte die Pappeln alle, damit sie nicht mehr den Sommer über in die Landschaft singen könnten, und nicht Heimat sein, nicht vor dem starken Wind beschützen, denn sie selbst waren zur Gefahr geworden. Wieder blieb auf den Felder der vertrocknete Mais stehen, wieder war niemand da, der die Weiden hätte schneiden können. Die Milane kommen jetzt näher an die Häuser und Straßen und werden vielleicht überfahren werden. Aber das Schlimmste ist vielleicht, dass das Land banal geworden ist. Die Pappel- Allee hatte ein Geheimnis bewahrt, das nun in alle Winde verflogen ist. Täglich gehe ich dort vorbei, täglich vermisse ich sie, täglich sehnt sich mein Innerstes nach dem Unaussprechlichen.

Reiten wir weiter zum Gral, der Wahrheit entgegen!

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Gefühlte Anti- Materialisten sind für allerlei anfällig, so natürlich auch die Anthroposophenschaft und ihre jeweils lautstärksten Vertreter und ihre gläubigsten Anhänger. So murmelte vor wenigen Tagen ein solcher Vertreter in der Facebook Gruppe „No bullshit Anthroposophie“ (1) dankbar „Welch ein beruhigendes Gefühl, so viele Menschen um sich wissend, die wirklich durchblicken, um uns sicher durchs Gestrüpp der Weltpolitik zu leiten.“ Der Führer, den er da anhimmelte, war der von vielen zeitgenössischen Anthroposophen, Putin- Fanboys und rechtspopulistischen Kreisen, aber auch dem anthroposophischen Zentralorgan Das Goetheanum hoch angesehene selbst ernannte Friedensforscher Daniele Ganser, der gerade in Bautzen einen von einem unbekannten Verein gestifteten „Friedenspreis“ erhielt (2), wohl weil er penetrant quer durch die Republik und durchs Internet jeweils alternative Ansichten zum „Mainstream“ öffentlicher Meinung und Vernunft propagiert, aber andererseits stets Beifall und Aufmerksamkeit von russischen Staatssendern wie RT (3) sucht. So verweist Ganser stolz bei Facebook auf ein Interview mit RT, in dem er Mantra- artig seine Verschwörungstheorien über den Ukraine - Konflikt oder über 9/11 ausbreiten kann:

Aber dann ist da die Sache mit den Türmen in New York. Wie allen bekannt, stürzten die Zwillingstürme – WTC 1 und WTC 2 – ein, nachdem Flugzeuge in sie hineingeflogen waren. Aber in New York stürzte mit WTC 7 auch ein dritter Turm ein, in den allerdings kein Flugzeug hineingekracht war. Das bedeutet für die Historiker, dass man auf das ganze Ereignis erneut einen Blick werfen muss, weil der Einsturz dieses dritten Turmes nicht durch ein Flugzeug verursacht wurde.

Es gibt in den USA eine Bewegung, die sich "Architects & Engineers for 9/11 Truth" nennt. Laut den dort aktiven Architekten und Ingenieuren gibt es viele Anzeichen dafür, dass WTC 7 gesprengt wurde – darunter die Symmetrie des Einsturzes, der zeitweise einer Beschleunigung entsprach, wie sie beim freien Fall vorkommt. Diese Diskussion ist natürlich extrem brisant, weil hier auch die Glaubwürdigkeit von Medien wie der New York Times auf dem Spiel steht, die praktisch nicht über WTC 7 berichtet hat.

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Auch hier ist das Vertrauen in die Medien erschüttert. In Deutschland und der Schweiz ist es nicht anders. Die NZZ oder der Spiegel haben nur ganz wenig über WTC 7 berichtet. In Bezug auf 9/11 haben sie eigentlich immer die Version der Bush-Regierung weiterverbreitet.“ (3)

Ja, das Vertrauen in die Medien ist erschüttert- zumindest hierin sind sich AfD und FSB völlig mit Ganser einig, der in den Wust seiner propagandistischen Elaborate immer auch einige Fakten mixt- aber dann auch wieder die ihm aufgetragene Maschine bedient, die USA - insbesondere Obama- als Kriegsverbrecher in Syrien zu brandmarken, da dieser sich anfänglich Assad mit seinen russischen und iranischen Unterstützern widersetzt hätte.

Da sind viele, die bereitwillig durchs „Gestrüpp der Weltpolitik“ leiten. Seit Peter Selgs 2018 erfolgter Stellungnahme zu einem kritischen Artikel, der über eine Zweig- Veranstaltung berichtete, an der neben dem Propagandisten Ganser und anderen auch repräsentative Anthroposophen teilnahmen, wissen wir über die anthroposophische Positionierung Bescheid. Schon im Vorfeld war klar, dass die Zusammenarbeit des rechten Perseus- Verlags mit dem Leiter des Basler Zweigs eine Art politisches Statement sein würde. So schilderte Thomas Meyer (Perseus Verlag, 4) den Vorgang im Vorfeld: „Dazu die folgenden Fakten: 1. Die Tagung ging aus der privaten Initiative von Thomas Meyer als dem Leiter des Perseus Verlags hervor. 2. Dieser wählte die Referenten aus. 3. Meyer dachte zunächst an einen größeren neutralen Tagungsort in der Stadt Basel. 4. Er teilte seinen Tagungs-Plan Marcus Schneider, dem Leiter des Paracelsus-Zweiges Basel, mit. 5. Dieser schlug darauf vor, die Tagung gemeinsam zu veranstalten. 6. Meyer machte Marcus Schneider auf das Risiko aufmerksam, als Unterstützer von «Verschwörungstheoretikern» abgestempelt zu werden. 7. Das war Schneider zu Meyers großer Freude egal. 8. So wurde das Scala Basel, in dem regelmäßig anthroposophische und nicht-anthroposophische Veranstaltungen stattfinden, als Tagungsort gewählt.
9. Daniele Ganser und Ken Jebsen waren Waldorfschüler, Schneider und Meyer Lehrer an Waldorfschulen. 10. Mit dem Goetheanum in Dornach hat diese Tagung so wenig zu tun wie die Recherche von Herrn Mensch mit der Wirklichkeit, nämlich nichts.“ (4)

Peter Selg verteidigt die so entstandene Tagung, in der sich anthroposophische Repräsentanten in Basel bewusst an die Seite politischer Irrlichter stellten, so, als stelle die Kritik daran ein Armutszeugnis für diejenigen dar, die den prinzipiell aufklärerischen Charakter von Anthroposophie einfach nicht verstünden: „Richtig verstanden, gehört die Anthroposophie zu den grossen und bleibenden aufklärerischen Leistungen des 20. Jahrhunderts, auch im Bereich der politischen und sozialpolitischen Bildung. Unzählige moderne Initiativen gingen und gehen von ihr aus, respektive von Menschen, die die „Philosophie der Freiheit“ Rudolf Steiners tatsächlich verinnerlicht habe, und dies auf allen Kontinenten der Erde – Initiativen im Bereich der Bildung und Erziehung, der Medizin und der Landwirtschaft, des sozialen, ökonomischen und ökologischen Lebens. Dass ein derart komplexes spirituelles Gesamtwerk wie dasjenige Steiners darüber hinaus auch „vielfältige Anknüpfungspunkte“ für problematische Menschen (innerhalb oder ausserhalb des anthroposophischen Bereiches) bietet, kann und soll dagegen nicht geleugnet werden. Der Autor des Artikels „In den Fängen von Wirrköpfen“, der mit dem impliziten Anspruch arbeitet, selbst zu wissen, was die Anthroposophie oder das Dornacher Goetheanum sei, belegt dies durch sein Zeugnis vielmehr in überzeugender Art. Wer so über Anthroposophie und Steiner schreibt, hat ihn nicht in ersten Ansätzen verstanden.“ (5) Die arrogante Behauptung, dass Kritiker nicht in der Lage seien, den offenen, Initiative fördernden Charakter von Anthroposophie zu begreifen, ist tatsächlich systemisch und gehört zum Phrasen- Repertoire von Repräsentanten dieser Szene. Allerdings widerlegt sich Peter Selg schon im nächsten Abschnitt selbst, indem er einerseits die Kennzeichnung von solchen Veranstaltungen und Typen als „Verschwörungstheoretiker“ (6) verurteilt und in der Folge auf eine Ebene mit Methoden des „agitatorischen Rechtspopulismus“ (5) stellt. Es müsse schließlich möglich sein, Positionierungen einzunehmen, die sich kritisch gegenüber den USA aufstellten (7) Wer hätte das denn auch je bezweifelt? In dem hier vorhandenen Kontext geht es doch darum, Position gegenüber Strömungen innerhalb der anthroposophischen Bewegung zu beziehen, die vom rechtspopulistischen Rand bis hin zum Antisemitismus im Amerika- kritischen Gewand reichen, von Desinformation in Bezug auf die Kriegsführung Russlands in Syrien und in der Ukraine -  im gleichen Stil, wie ihn statushörige Medien wie rt deutsch verbreiten, denen Personen wie Ganser zuarbeiten und von denen sie hofiert werden. Sich in einem solchen Fall- sowohl von Seiten des Basler Zweiges wie von Peter Selg- so zu positionieren, dass Begriffe wie „Verschwörungstheorie“ kritisiert, Kritiker diffamiert und Anti- Amerikanismus enttabuisiert werden soll, macht eben doch gemeinsame Sache mit anti- liberalen Kräften, ganz gleichgültig wie weltoffen und mit „aufklärerischen Leistungen des 20. Jahrhunderts“ (5) beschäftigt man sich selbst auch sieht.

Apropos aufklärerisch im 20. Jahrhundert: Wie genau sich Anthroposophen in eben diesem Jahrhundert in Bezug auf das Aufkommen des Nationalsozialismus aufklärerisch verhalten haben, kann bei Peter Staudenmaier überprüfen, der z.B. in „Anthroposophen und Nationalsozialismus“ (8) recherchiert hat. Da findet man dann die Gemeinsamkeiten in Bezug auf Verschwörungstheorien (Jesuiten, Freimaurer, Bolschewisten und jüdische Intellektuelle), die Waldorf- Vertreter mit dem Nationalsozialismus artikulierten: „Trotz solcher Beteuerungen wurden alle Waldorfschulen in Deutschland zwischen 1938 und 1941 geschlossen. Nationalsozialistische Gegner verachteten die „individualistische“ Erziehung und argwöhnten die esoterisch untermauerte Reformpädagogik. Waldorfvertreter wiesen den Verdacht vergeblich ab und distanzierten sich nachdrücklich von solchen Assoziationen. Sie hielten entgegen, daß Anthroposophie und Nationalsozialismus die gleichen Feinde hätten, nämlich „die Kreise der Bolschewisten und Kommunisten, der Jesuiten und Freimaurer, der westlichen und östlichen Okkultisten, der jüdischen Intellektuellen, überhaupt der wurzellosen Internationalisten ... Die offenen und geheimen Feinde deutschen Wesens aber, die waren auch unsere Gegner. Das sollte zu denken geben! Die schlimmste Verkennung der Wahrheit aber ist es, wenn etwa heute aus nationalsozialistischem Lager manchmal Anthroposophie und Waldorfschule in irgendeinen Zusammenhang mit jenen Gegnern gebracht werden.“ (9) Damit waren Heydrich oder Bormann nicht zu beschwichtigen, aber selbst der „Völkische Beobachter“ erkannte das „Gesunde“ (10) an der Waldorfpädagogik. (8)

Ob biologisch- dynamische Landwirte, Dreigliederer oder Pädagogen, der Reflex der systemisch- anthroposophischen Verschwörungstheorien funktionierte damals wie heute - nur im nationalsozialistischen Kontext offen antisemitisch: „Der Anthroposoph Ernst von Hippel rühmte die „Betonung des Willens, des Volksgeistes, des Mythos, der Rasse“ im nationalsozialistischen Deutschland und begrüßte „die Entfernung der Juden von der Universität“ als bedeutenden Schritt zur Überwindung des Materialismus“ (8) Heute hat sich die anthroposophische Sprachregelung - wie im genannten Beitrag Peter Selgs - aus guten Gründen auf die Verteidigung des Anti- Amerikanismus kapriziert, um im gleichen argumentativen Zug den Begriff der Verschwörungstheorien und - Mystik generell zu attackieren. Der anti- intellektuelle Reflex bleibt aber in der Tat immer derselbe, ebenso wie die eitle Selbstbespiegelung in anthroposophischer Geistes- Superiorität (11) Was für ein Elend, dass diese eifrigen Aktivitäten, Positionierungen, Verteidigungsschriften, Schulter- an- Schulter- Stellen, Reihen- schließen auch durch das Schweizer Vorstandsmitglied Peter Selg (12) derartig banalen Polit- Proleten wie Daniele Ganser zukommt, der doch mit seinen Aktivitäten bei rt deutsch (ehemals Russia Today) ausreichend ausgelastet sein sollte- vor allem, weil Selg doch in seinen besonderen Aufgabenstellungen in seiner Vorstandsarbeit folgende Punkte zu Protokoll gibt: „Soziale Verbreitung und ideelle Vertiefung der Anthroposophie Rudolf Steiners. Geltendmachung ihrer Präsenz und Bedeutung im wissenschaftlichen, kulturellen und religiösen Leben Schutz und Vertretung des Wesens und Lebens Rudolf Steiners“ (12) Im Rahmen der katholischen Kirche wäre er damit Präfekt für die Kongregation der Glaubenslehre. Kraft seines Amtes hat er -das muss man doch bedenken- Schmierfinken der politischen Querfront in den anthroposophischen Adelsstand erhoben und damit schwer angreifbar gemacht. Selbst der in anthroposophischen Kreisen als absoluter Rechtsaußen eingeschätzte Thomas Meyer wirkt über diese konzertiert wirkende politische Kehrtwende überrascht.

Insgesamt scheinen diese Vorgänge und Positionierungen vor allem auf der Seite der Schweizer auch Teil eines Ringens um Einfluss im ziemlich orientierungslos wirkenden anthroposophischen Boot seit der Jahrtausendwende zu sein. Das Heranhängen an populistische Themen und Personen, auch den dumpfen, aber gleichwohl viel gesehenen YouTuber Jebsen scheint für die Schweizer Gesellschaft ein Mittel zu sein, Einfluss zu gewinnen und die Dornacher Zentrale wieder in den Griff zu bekommen. Intrigante Blättchen wie das „Ein Nachrichtenblatt“ (13) schüren die Stimmung und finden ihren Widerhall in allen möglichen Facebook- Gruppen. Natürlich kreist auch der Wortführer der Intriganten, Roland Tüscher, um die Superiorität des eigenen, internen anthroposophischen Geistbegriffs über die weltliche, (vormals jüdische) Intelligenz. Die Intrigen beabsichtigen alle diejenigen, die derartige weltliche Intelligenz begünstigen (z.B. in Diskursen über kritische Steiner- Interpretationen), aus ihren Ämtern, Positionen, Mitgliedschaften zu entfernen: „An Christian Clements geplantem Organ ‘Steiner Studies’ unterscheiden sich die Geister: «Spiritualisierung des Intellekts» oder «Intellektualisierung der Geistes», das ist die Entscheidungsfrage, denn diese beiden Geistesrichtungen schliessen einander aus: die eine verliert den Geist, die andere gewinnt ihn. Man beachte dazu den Jenaer Brief (..). Der Umgang mit dieser Frage wird zeigen, wo der einzelne steht und was er vertritt. Für diejenigen, die eine Spiritualisierung der Intelligenz vertreten, ist klar: durch eine Intellektualisierung der Anthroposophie ist diese nicht erreichbar – im Gegenteil. Auch ein Kompromiss ist nicht möglich: ein bisschen Abschaffung des Geistes zugunsten des Geistes – geht nicht. Für die Abschaffung des Geistes kann es keine ‘Offenheit’ geben: das ist an die Adresse der ideologischen Kompromissler und Sozialfanatiker gerichtet, die auf Scheindiskurse hereinfallen. Denn in dieser Sache kann ein Diskurs nur ein Schein sein. Verabschieden wir uns von der Illusion, der nicht spiritualisierte Intellekt könne den Geist hervorbringen.“ (13)

So wird nun systematisch Stimmung gemacht gegen diejenigen, die im anthroposophischen Rahmen noch einen solchen Diskurs führen wollen- Unterschriftenlisten sollen den Forderungen nach Säuberungen Nachdruck verleihen. In der Folge gibt es eine Auseinandersetzung mit dem Arbeitskollegium der Anthroposophischen Gesellschaft (14), was wiederum zu zugespitzten Reaktionen führt. Die Superioritätsgefühle, die intriganten Absichten, der aggressive Ehrgeiz und die kaum verhüllte Wut der enthemmten Spiritualisten und instrumentalisierten Zweig- Mitglieder, wer möchte sich in diesen Sumpf setzen und sich mit diesen Leuten über Imaginationen der Engel und Erzengel unterhalten?

Ich weiß nicht, wie man diesen Leuten klar machen kann, dass der Anti- Intellektualismus spätestens seit dem Nationalsozialismus und dem Holocaust einfach kein bisschen attraktiver geworden ist. Das ausgelutschte „Man wird doch wohl noch mal fragen dürfen“, das Daniele Ganser, und, in seiner Verteidigung, Peter Selg in Bezug auf Antiamerikanismus praktizieren, ist etwas wie aus den Nebenhöhlen von Alexander Gauland. Strategisch hat es auch schon Russia Today zu Tode geritten. Anthroposophische Repräsentanten sind ohnehin nicht so besonders gut beraten, russische Desinformations- Kampagnen zu kopieren. Aber wem sage ich das. Die, die es angeht, sind ohnehin mit ihresgleichen verstrickt und posaunen sich gegenseitig die Ohren zu.

Glückauf, Ihr Spiritualisten. Reiten wir weiter zum Gral, der Wahrheit entgegen!

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Bildschirmfoto: https://www.facebook.com/ganserlogie/



1 https://www.facebook.com/groups/nobuanthro/
2 https://www.mdr.de/sachsen/bautzen/bautzen-hoyerswerda-kamenz/goldener-chemtrail-verein-bautzner-frieden-100.html?fbclid=IwAR3oJMZ3hdUIX0QGsWNaqqAG8xxsbnixZ6VaxYbBuBXB6rz_HLsUox5TMoA
3 https://deutsch.rt.com/gesellschaft/56936-daniele-ganser-ueber-informationskriege-911-us-imperium/?fbclid=IwAR0tbOrSkgct8prcs2UuEFjh73_CQiHpAQWon76ld5SACO7FauKdJTTM2qo
4 https://www.perseus.ch/archive/7343
5 https://www.anthroposophie.ch/de/anthroposophie/news/artikel/zu-den-beitraegen-ueber-anthroposophie-in-der-bz-und-az-vom-8-2-2018.html
6 „Die vorschnelle Disqualifizierung unkonventioneller Auffassungen im politischen und gesellschaftspolitischen Bereich durch Begriffe wie „Verschwörungstheoretiker“, „Verschwörungsmystiker“ oder „Wirrköpfe“ ist kein Mittel eines konstruktiven Diskurses.“ Siehe 5
7 „Noch vor wenigen Jahrzehnten wurde jede Kritik am US-amerikanischen Vorgehen im internationalen Bereich als „antiamerikanisch“ disqualifiziert und de facto aus der Öffentlichkeit verdrängt. Inzwischen liegen zahlreiche Publikationen, auch von konventionell-akademischer Seite, vor, die aufzeigen, wie problematisch und global zerstörerisch der ökonomische Imperialismus des Westens ist und mit welcher Schein-Legitimation militärische Interventionen unternommen wurden“ Siehe 5
8 Peter Staudenmaier, Der deutsche Geist am Scheideweg: Anthroposophen in Auseinandersetzung
mit völkischer Bewegung und Nationalsozialismus, in: Uwe Puschner und Clemens Vollnhals, Hg., Die völkisch-religiöse Bewegung im Nationalsozialismus (Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht, 2012), 473-90
9 Die Leitung der Freien Waldorfschule Stuttgart, 20. Februar 1934 (BArch, R58, Nr. 6220b, Bl. 76). In: 8
10 Völkischer Beobachter, 29. Januar 1939, S. 6. in 8
11 Selg: „Wer so über Anthroposophie und Steiner schreibt, hat ihn nicht in ersten Ansätzen verstanden.“ Siehe 5
12 https://www.anthroposophie.ch/de/gesellschaft/anthroposophische-gesellschaft/vorstand.html
13 http://www.wtg-99.com/documents/ENB_23_2019.pdf
14 https://www.anthroposophische-gesellschaft.org/contents-statische-inhalte/agid-aktuell/?tx_ttnews%5Btt_news%5D=383&cHash=4d6e687bb52c65d3f05a109c34ae0c1a



Massimo Scaligero, der faschistische Hohepriester der Rosenkreuzer

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Neue Übersetzungen


Mit der zunehmenden Bereitstellung von Büchern Massimo Scaligero durch Übersetzungen vom italienischen Original ins Englische (1) wird dieser wahrscheinlich aus dem Vergessen und der Verdrängung gerettet- nicht zuletzt auch durch die Aktivität seines Übersetzers Eric L. Biscocci (2), der sich des in vielerlei Hinsicht schwierigen Autor so annimmt, dass die oft sperrigen, monomanen, um sich kreisenden Texte Scaligero gut lesbar werden.

Die Bedeutung Scaligero wird so womöglich eine Wende nehmen. Sicherlich gibt es den Freundeskreis in Rom um Piero Cammerinesi, der sich seit Jahren - im allgemeinen wütend - zu meinen Artikeln (3) zu Scaligero äußert, aber auch einen devotionalen Film dieser inzwischen älter gewordenen Fan- Truppe gedreht, der neben einer aufgesetzten Spielfilm- Handlung vor allem Interviews mit Schülern Scaligeros zeigt (4). Solche Gruppen ursprünglich sehr junger Menschen hat Scaligero, wie seiner Autobiografie (5) zu entnehmen ist, seit Jugendtagen an immer wieder um sich versammelt. Schon zu Schulzeiten hingen Trauben von Mitschülern - so stellt er es dar- an seinen Lippen, weil er fliessend und verständlich Hegel erklären konnte. Er selbst, Scaligero, benennt als seinen spirituellen Lehrer den okkulten Faschisten Julius Evola, mit dem er die gemeinsame okkulte und politische Karriere im Windschatten von Mussolini bestritt, aber auch nach 1945 in Zeitschriften wie East and West (6) ohne wesentliche Unterbrechung gemeinsam publizierte.

Kommunion mit den höheren Geistern


Die unter Anhängern übliche Sprachregelung, Scaligero als Vermittler zwischen westlicher und östlicher Spiritualität (7) zu positionieren, klingt zu nett, um wahr zu sein. Scaligero macht tatsächlich im besagten autobiografischen Buch klar, dass er ausschließlich die exklusive Reinheit des von ihm praktizierten Rosenkreuzertums gelten läßt, das höchstens als Überwindung klassischer östlicher Methoden zu verstehen sei. Auch Zen- Buddhismus führt, praktisch und faktisch, für ihn in eine völlig illusionäre Gasse, ja stellt eine Verführung dar. Die Behauptung eines angeblich gemeinsamen Ursprungs spiritueller Richtungen („the essence of ancient yoga was truly a communion with the hierarchies“, S. 51) wirkt gerade aus der Feder des schneidend arroganten Scaligeros aufgesetzt und lässt ohnehin nur gelten, was dieser selbst als sein Ideal des Asketismus ansieht- eine geistige, ja kosmische Reinheit, die im tiefen Gegensatz zum angeblichen „present- day chaos“ (8) steht. Anwärter, die einem solchen Ideal halbwegs entsprechen könnten, sind für Scaligero allenfalls Ramana Maharshi und Sri Aurobindo. Nun erscheinen im autobiografischen Buch immer wieder Formulierungen, die die ursprüngliche Einheit und Ganzheit als arischen Urzustand beschreiben- ebenso wie das überall drohende zersetzende Chaos („revolt against any form of order“ 9) gegenwärtiger Kultur. Das Chaos wird als umfassende, auch spirituelle, Attacke gesehen, als Zeichen des degenerierten Zeitalters, dem die Kräfte des Bewusstseins- im reinen, ewigen Ich-, sich ordnend entgegen stellen wollen. Dieser Kampf werde sich steigern und sei, als „collectivistic phenomenon“ (10) auch zu verstehen als Kampf von Unten (below) gegen Oben (above). Man kann an jeder Stelle sicher sein, dass Scaligero sich, als Prinz der rosenkreuzerischen Reinheit, selbst „oben“ sah.

Kampf um die Reinheit


An dieser Stelle setzt auch der Kommentator Melasecchi gern an, indem er diesen Kampf um die Reinheit als moralische Kategorie beschreibt- ein Kampf gegen den Materialismus der Zeit („materialism today“), der auch als „moral defect“ (11) zu verstehen sei. Scaligero stellt demnach den Weißen Ritter gegen die unmoralische, materialistische Unreinheit dar. Freilich sind diese moralischen Ergüsse platziert in einem zeitlichen Moment der Biografie, in dem Scaligero gerade mit Mühen und Protektion, nach fünf Monaten Haft, aus dem Gefängnis Regina Coeli entlassen wird.

Dort saß er ein wegen aktiver, langjähriger Kollaboration mit dem faschistischen Regime, verhaftet durch die Polizei der Alliierten der Stadt Rom am 10. Juni 1944. Regina Coeli war übrigens ein umgebautes Kloster, in dem sich Scaligero pudelwohl fühlte. Er konstruierte, wie er auch in seiner Autobiografie ausführt, großartige Logos- Begegnungen und innere Wandlungen, ganz analog zum Saulus- Paulus- Wunder. In Wirklichkeit haben ihn wohl sein Netzwerk, die Bitten seiner Verwandten und ein ständiges Lungenleiden aus der Haft geführt, nicht Christus.

Schnittmenge anthroposophischer Faschisten


Tatsächlich war Scaligero nicht nur Herausgeber (editor in chief) der Italia Marinara, einem einflussreichen Blatt des faschistischen Arms der Italian Naval League, in dem er - auch im Verbund mit anderen Mussolini- Blättern- in dauernder Zusammenarbeit mit Julius Evola auch schrieb. Die immer wieder betonte „Moral“ Scaligero in diesen Jahren (in seinem stetigen Kampf gegen den Kulturzerfall und Materialismus) bestand, wie es Melasecchi in der denkbar seltsamsten Weise beschreibt, darin, in die „Kulturdebatte seiner Zeit“ („cultural debate of the times“ 12) nach „spiritueller Ordnung“ und einem „moralischen Stil“ (12) im Sinne des Faschismus einzugreifen, und zwar während des gesamten Regimes und an denkbar zentraler Stelle im Apparat.

Im Gegensatz zur Situation in Deutschland, wo der SD Heydrichs Sekten, Logen, Theosophen und Anthroposophen des inneren Widerstands verdächtigte, konnten sich Anthroposophen im Faschismus Italiens höchster Protektion sicher sein: „These pro-Fascist sentiments from high-profile anthroposophists were matched by a number of notably positive portrayals of anthroposophy in semi-official Fascist organs. In 1930 the monthly illustrated companion magazine to Mussolini’s newspaper Popolo d’Italia published a decidedly sympathetic portrait of anthroposophy, complete with a large photograph of Steiner. In 1937 the hard-line newspaper Regime Fascista published a substantial interview with Albert Steffen, President of the Swiss-based Anthroposophical Society, suggesting a considerable degree of agreement between anthroposophy and Fascism.“ (13) Das stellte eine verführerische Situation dar, der ein Großteil der Anthroposophischen Gesellschaft prompt durch Kollaboration verfiel.

Und nicht nur das. Es bestand eine innere Verbindung der italienischen anthroposophischen Sektion zur faschistischen Bewegung seit der Gründung der italienischen Bewegung selbst, schon zu rudolf Steiners Lebzeiten: „In several instances anthroposophists were members in good standing of the Fascist party, the PNF. Luigi Andrea Calabrini, Secretary of the Italian Group for Anthroposophical Studies, joined the PNF in May 1921, a year and a half before Mussolini came to power. The founding Secretary of the Italian Anthroposophical Society, Ettore Martinoli, became a Fascist in July 1919.“ (13)- eine Verbindung, die so ursprünglich war, dass es auch starke ideologische Überschneidungen gab. Für das Gründungsmitglied Martinoli war Anthroposophie lediglich die spirituelle Fortsetzung des Faschismus, und Rudolf Steiner war ein antisemitischer Vorkämpfer für Hitler und Mussolini (14)

Der Moralist und Patriot an der Seite Julius Evolas


Das alles hindert heutige anthroposophische Anhänger m´nicht daran, Scaligero einen Moralisten und Patrioten „above all, a Patriot in the highest und nobles sense“ (15) zu nennen, ja geradezu jemanden, der wie Gandhi sei, der ja schließlich auch sein Indien im Unabhängigkeitskampf geliebt habe. Offenbar waren in den Augen seiner Anhänger Scaligeros antisemitische Aktivitäten auch eine Art Freiheitsbewegung, weg vom Intellektualismus und Materialismus. So sieht Peter Staudenmaier ihn dann auch als eine herausragende populäre anthroposophische Persönlichkeit, was sicherlich schon aufgrund der schwierigen Texte Scaligeros übertrieben ist: „Scaligero (1906-1980) is today a celebrated spiritual figure, widely admired among anthroposophists in Italy and elsewhere, and enjoys a distinguished reputation in the esoteric milieu more broadly. Latter-day admirers rarely take account of Scaligero’s voluminous publications from the Fascist era, while both anthroposophical sources and scholarly sources deny his involvement in Fascist politics and in the racist campaign launched in 1938. Others continue to defend his racial writings from the 1930s and 1940s. Historians, in contrast, point to Scaligero as a major promoter of Fascist antisemitism.“ (13)

Man kann Massimo Scaligero ohne seinen (von ihm selbst so genannten) Lehrer, Jugendfreund, Partner, Mit- Publizisten Julius Evola kaum vorstellen, wie selbst Apologeten wie Melasecchi zugeben. Scaligero selbst schreibt dazu: „He seemed like a model of inner power and courage, and had a capacity for subtile humor. For this reason, I became his friend and for several years thereafter followed him like a disciple.“ (16) Um was es sich, spirituell gesehen, bei Evola gehandelt haben muss, deutet Scaligero mit den Worten an „the splendor of a force incarnating in a given nature“ (16), wobei aus dieser forcierten Großartigkeit ein magisches Wissen entspringen würde. Scaligero sah sich selbst in Bezug auf solche magische Praxis als Person, die auf diesen „tantrism“, diese Art magischen Yogas, verzichtete und lieber eine Art Überwindung der eigenen Unternatur praktizierte. Das hätte ihn selbst auf den rosenkreuzerischen Pfad gebracht, der sich im Gegensatz befände zur rohen Ausübung instinkthafter Energie, die Evola praktiziere. Dennoch gab es eine gemeinsame Verbindung zu einer immer wieder erwähnten Tradition- ein Synonym für „that world of forces“ (17), eine uralte Kunst, die zu Unrecht als unmodern charakterisiert werde.

Der wahre magische Adept sei ein Meister seiner Zeit- er operiere so, dass er im Gewand seiner Zeit erscheine, bleibe aber dem „Original“ vollkommen verbunden. (18) Zentraler Teil dieser magischen Tradition, die letztlich in Evolas Ideal einer SS- Kriegerkaste gipfelte, war der spirituelle Rassismus, der nicht nur eine leibliche, sondern auch geistige Superiorität der Arier über die anderen Rassen postulierte. (19) Im Gegensatz zu den eigenen Darstellungen war diese „Adaption“ des spirituellen Adepten nur eine der Masken, hinter denen sich Scaligero versteckte. Er suchte nach eigenem Bekenntnis stets eine „faschistische Spiritualität“ (20), die er, zusammen mit Evola, in der „solaren“ Natur der anthroposophischen Lehre fand. Die postulierte und praktizierte „Reinheit“ war sowohl rassistisch wie spirituell gedacht- Scaligero suchte immer das körperlose, rein geistige „reine Denken“, was die „solare“ Natur zum Vorschein brachte. Die Fähigkeit zu solcher Praxis war für Scaligero das grundsätzliche Merkmal überlegener Zivilisationen (the principal characteristic of superior civilizations). Rudolf Steiner war für eine solche Zivilisation die geeignete arische Galionsfigur (20). Und nicht nur das. Steiner war zugleich das Lamm, das Opfer, das souverän das Übersinnliche erforschte, aber dann die unangenehme Aufgabe hatte, es dem dummen intellektuellen Volk zu erklären: „with describing such a penetration in language accessible to people whose endemic evil is intellectualism.“ (21) Das jüdische Übel des Intellektualismus, es steckt eben im ganzen Volk.

Auf besonderer Mission oder: Hypnotisierte Schaffner


Scaligero Selbstbild war ein ganz anderes. Die rosenkreuzerische (später auch die anthroposophische) Bewegung in Italien hatte eine besondere Mission, was auch schon Rudolf Steiner prophezeit hätte („a prophecy by Steiner about the birth of his esoteric movement in Italy by a new and non- scholastic current at a time of a general spiritual attentuation“ 22). So raunte man. Leider sahen nicht alle Anthroposophen das so, vor allem nicht in der Person Scaligeros und seiner faschistischen Freunde. Scaligero, der sich im Besitz des neuen Grals wähnte, stieß auf lauter Personen, die lediglich „discursive elaboration“ (23) der Werke Steiners betrieben. Scaligero dagegen bewegte sich auf der Ebene „übernatürlicher Wahrheitsfindung“ und wurde ein klein wenig ungeduldig. Seine während des Faschismus vorgenommenen Zweigbesuche müssen einigermaßen einschüchternd gewesen sein, wie er zugibt (23)- die „guten Leutchen strömten nicht gerade über vor Humor“ schreibt er- vor allem, wenn er sich selbst als okkulten Schlangenbeschwörer („Snake charmer“) ausgab und prahlte, er hätte auf dem Weg alle Schaffner dazu gebracht, ihn umsonst fahren zu lassen („that I actually hypnotized tram conductors“). Die eingeschüchterten Anthroposophen vermuteten wahlweise Luzifer oder Ahriman in Scaligero vor sich, was ihn eigentlich amüsierte, vor allem weil er sich seiner Meinung nach bescheiden gab und „peaceful listening“ praktizierte.

Dennoch, den Ruf als Das Biest ist Scaligero in diesen Kreisen nie wieder los geworden, auch wenn er sich nach dem Krieg sehr darum- auch durch Eintritt in die Gesellschaft, Arbeitskreise und unaufhörliche Produktion von Grals- Büchlein- bemühte. Scaligero grämte sich nicht allzu sehr- er verachtete die Steiner- Apologeten und Katechismen ohnehin und versammelte lieber einerseits sehr junge Menschen um sich herum, die er weisheitsvoll belehrte. Andererseits saß er mit den wirklich wichtigen Leuten der faschistischen Junta und ihren einflussreichen Freunden und Gönnern im Zentrum der Macht, als einer der Publizisten, die Mussolini nahe standen. Immerhin berichtet er selbst davon, wie er als Herausgeber der L´Italia Marinara im dritten Stock des Palazzo Giustiniani - ein sehr bedeutender Palast, in dem auch der Senat tagte- in Rom mit Blick auf den Pantheon residierte, wo er Freunde empfing und zahlreiche Meetings der Elite organisierte. Natürlich handelte es sich in Scaligeros Darstellung um „intellectual encounters having nothing to do with current politics“ (24). Mit dem Briefkopf der faschistischen Zeitung konnte man allerdings hervorragend Empfehlungen für Personen ausstellen, ja sogar Einstellungen vornehmen. Es handelte sich natürlich nur darum, „to selflessly help people“. Leider verschwanden manchmal Stapel dieser Empfehlungsschreiben, und der Strom der Beistand Suchenden wollte nicht enden, und Scaligeros konte Beziehungen spielen lassen oder Karrieren beenden.

Der Moralist ruft zum Genozid auf


Der (in seiner Autobiografie) praktizierende Gutmensch Scaligero bedauerte angeblich auch den Rutsch Mussolini ins antisemitische Konzept Hitler- Deutschlands 1938. Scaligero prangert fanatische Gegner an, die ihn eines „maskierten Antisemitismus“ geziehen hätten, während er selbst damals wie heute Rassismus doch als „mental error“ (25) ansehen würde. Hier lügt er schamlos, wie an vielen anderen Stellen, wie Peter Staudenmaier nachweist. (26) Gerade als der Faschismus Italiens in den Antisemitismus kippt, stimmt Scaligero das Hohelied der Arier und ihrer spirituellen Überlegenheit ab. Über die „ahrimanischen“ Juden, die es auszusortieren gelte, um die Reinheit des Blutes wie des Geistes herzustellen. Der angebliche Moralismus Scaligeros gipfelt in einer Aufforderung zum Massenmord: „the elimination of the Judaic virus and the biological re-integration of Aryan ethnic values“ (26). Der vorgeschobene „spirituelle Aufbruch“, den Herr Steiner prophezeit hätte, führte zu einer rassistischen und machtpolitischen Positionierung, die Scaligero nach dem Krieg ins Gegenteil zu verschieben gedachte. In seiner Autobiographie sind es die Gegner, die „konsequenten Materialisten“, die schon deshalb Rassisten sein müssten, weil sie außerhalb biologischer Kategorien nicht zu denken in der Lage wären- daher sei ihnen auch Moralität außerhalb der Grenzen der Spezies nicht zugänglich. (27) Dem Sonnenmenschen Scaligero allerdings schon. Er durchschaut die antirassistischen Winkelzüge der Rassisten, die, ohne es zu wissen, ihren unbewussten Instinkten folgten. Scaligero residierte jahrelang in der Machtzentrale im Herzen Roms- für ihn ein Zentrum spiritueller Studien und poetischer Imagination, während der Holocaust - zum Beispiel in Triest- unter anthroposophischer Führung (28) seinen Gang ging.

Die schöne Zeit endet, aber die Reingewaschenheit beginnt


Aber auch Scaligero schöne Zeit, in der er in Rom residierte und Mussolini seine neuesten rassistischen und antisemitischen Artikel herein reichte, ging vorüber: „Even the Duce was familiar with Scaligero’s publications and positively disposed toward his spiritual perspective. In August 1938 Scaligero wrote an appreciative note to Mussolini’s secretary in response to the “favorable opinion expressed by the Duce about some of my articles,” and sent Mussolini “a new article of mine regarding the race problem.He faced difficulties in mid-1943, when Mussolini was deposed and the Badoglio regime took power for six weeks, eventually signing an armistice with the Allies. German troops then occupied central and northern Italy and established the Italian Social Republic or RSI, better known as the Republic of Salò. The sole police file on Scaligero consists of a single page from the Badoglio interregnum, produced just days before the Nazi occupation. It indicates that Scaligero continued his Fascist activities even when they were officially out of favor. He continued to publish in Fascist organs under the RSI and was arrested and imprisoned as a Fascist sympathizer after the Allies entered Rome in 1944. Scaligero went on to play a prominent role in neo-fascist circles after 1945 as one of the principal proponents of an esoteric line. Anthroposophy received considerable attention within the neo-fascist milieu.“ (29)

Und dann wurde Scaligero reiner und reiner, berührt vom Logos, erhoben und an die Spitze des reinen Denkens gestellt, als Führer der antirassistischen Liga, gewissermaßen, gespeist von Hierarchien und falsch verstanden. Aber, so schreibt er gerührt, als ihn die „investigativen Offiziellen des Geheimdienstes“ aus dem Gefängnis führten, entschuldigten sie sich sehr. Irgendwie war Scaligeros Leben für die Ermittler der Alliierten ein Rätsel gewesen, insbesondere seine Großherzigkeit, als er sich bei der deutschen Botschaft für zwei inhaftierte Anthroposophen eingesetzt hatte. Vielen Dank, vielen Dank, Herr Scaligero. Sie sind ganz zu Unrecht angeklagt. Widmen Sie sich ganz dem Gral und den Geheimnissen des reinen Denkens! Schreiben Sie uns! Enthüllen Sie den wahren rosenkreuzerischen Pfad! Folgen Sie uns! Folgen Sie uns! Folgen Sie dem Gral!

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1 https://steiner.presswarehouse.com/books/AuthorDetail.aspx?id=24134
2 https://steiner.presswarehouse.com/books/AuthorDetail.aspx?id=24870
3 z.B. https://egoistenblog.blogspot.com/p/siehe-auch-massimo-scaligero-politik.html
4 https://vimeo.com/288110597 (english subtitles) Password: Private-Viewing-EN-2018
5 Massimo Scaligero, from yoga to the rose cross, Hudson NY, 2019
6 nach dem Vorwort von Beniamino Melasecchi in 5
7 Melasecchi: „promoting a true understanding between European humanism and Asiatic religiosity, in the reciprocal recognition of the essential original unity“ in 5, S. XLIII
8 Essence of yoga, S. 51
9 Essence of you, S. 52
10, dito S 53
11 Melasecchi in 5, S XXXVI
12 Melasecchi in 5, S. XXX
13 Peter Staudenmaier, Anthroposophy in Fascist Italy. In Arthur Versluis, ed., Esotericism, Religion, and Politics (North American Academic Press, 2012), 83-106
14 „For Martinoli, commitment to Fascist mysticism and esoteric racism went hand in hand with anthroposophical principles. He published a lengthy article celebrating Steiner in Preziosi’s journal in June 1943, presenting anthroposophy as the continuation of Fascism in spiritual form. Martinoli stressed “the perfect correspondence between Steiner’s thought and the most basic tendencies of Fascism and National Socialism in the political, social, and spiritual camp.” In a section on Steiner’s “critique of Judaism and of Masonic-plutocratic influence,” Martinoli reported that Steiner “became well-known as an antisemite” due to his articles on “the Jewish question” from the 1880s and throughout his career: “In numerous lectures in the years 1917 and 1918 he directly confronted the influence of Jewish intellectualism within European civilization.” Martinoli concluded:
Rudolf Steiner was a true ideal precursor of the new Europe of Mussolini and Hitler. The aim of this essay has been to reclaim the spirit of this great modern German mystic for the movement – a movement not only political but spiritual – introduced into the world by the two parallel revolutions, the Fascist revolution and the National Socialist revolution, to which Steiner belongs as a true predecessor and spiritual pioneer….“ In 13
15 Melacecchi in 5, S. XXXI
16 Essence of yoga S. 20
17 Essence of yoga, S. 22
18 Essence of yoga, S. 23 „A power that is truly original does not decline. It can only control its own process, even when that process assumes the form of the modern world. It can only continue to will itself nay means of such a world“ (..)“
19 „Part of the controversy over Scaligero’s early career involves his close relationship with Julius Evola, a pre-eminent figure in modern Italian esotericism whose own racial stance in the Fascist era is contested today. Evola (1898-1974) was the chief theorist of the esoteric current of racism and developed an extensive literature on the spiritual grounds for a racial re-orientation of Fascism. Perceptions of his racial writings from the Fascist period remain divided. Evola advocated a “totalitarian racism” encompassing body, soul, and spirit. He held that limiting the view of race to the physical body alone was a Jewish deception, whereas an expanded understanding of race made it possible to confront the Jewish problem in its full breadth and recognize the true antithesis between the Jewish and Aryan spirit. Mussolini read Evola’s book Synthesis of the Doctrine of Race in 1941, and for a time its arguments influenced the official line of the regime. Evola faced intense opposition from other Fascist functionaries, however; racists unhappy with the esoteric orientation complained to Mussolini that “occultists” were discrediting the racial cause.“ Staudenmaier in: 13
20 „Evola’s relationship with anthroposophy was strained. He published sharp criticisms of anthroposophy as an esoteric system, but respected Colonna and Colazza and cooperated amicably with anthroposophists in the Ur group. Despite strong disagreements with some of his teachings, Evola held Steiner in high esteem, considering him an Initiate. In Synthesis of the Doctrine of Race Evola published two photographs of Steiner as a prime example of the Nordic racial type, praising him as representative of fine race features reflecting “spiritual insight” and the “solar element.” For much of the 1930s Evola was Scaligero’s mentor, both politically and spiritually. According to his own testimony, Scaligero was a student of anthroposophy all along, during his intensive early collaboration with Evola: “I always felt connected to Steiner and his esoteric teachings.” Other sources agree that Scaligero was “a devoted Anthroposophist throughout his entire life.”
In a 1931 essay Scaligero praised “the Fascist spirit” as the bulwark against materialism and democracy, hailing Fascism as the bearer of “that luminous spirituality which is the principal characteristic of superior civilizations.” He envisioned a “fascist spirituality” in a front-page article in Regime Fascista in August 1938.“ Staudenmaier in: 13
21 Essence of yoga, S. 62
22 Essence of yoga, S. 65
23 Essence of yoga, S. 66ff
24 Essence of yoga, S. 86f
25 Essence of yoga, S. 87
26 „Beginning in 1938 Scaligero produced a stream of texts elaborating an esoteric style of antisemitic rhetoric with pronounced political implications, eventually amounting to nearly one hundred publications on racial topics. These works combined a “spiritual conception of race” with an aesthetic vision of cultural renewal as essential aspects of “the racist ethic.” His articles declared the Aryan race “the model of humankind,” the race in which “the formative forces of the Divine most fully manifest their creative will.” Germany and Italy were the primary carriers of this spiritual destiny: “the victory of the totalitarian principle of Fascism and National Socialism by force of arms” would “restore to mankind the vision of the sacred and eternal.”
The rightful role of the “Aryan peoples” was “world conquest and the consolidation of colonial hegemony,” which required “the absolute absence of Semitic contamination.” Scaligero consequently endorsed Nazi Germany’s “decisive racist campaign.” Through a “resurrection of the spiritual values of race,” Italy would achieve “the diffusion of a Fascist spirituality throughout the world.” Scaligero viewed “anti-Judaism as anti-materialism,” casting the Jews as representatives of “sub-human Ahrimanic forces.” Freemasonry, Bolshevism, England, and the United States were all pawns in “the secret Jewish plan,” part of “the occult struggle of the Elders of Zion” against Fascism and Nazism. He thus championed Hitler’s call for “a united Aryan front against Jewry.” The “essential objective of racist doctrine” must include not only “eugenic and sanitary regulations” but also the promotion of “racist consciousness” so that “people do not merely welcome the results of the racist campaign passively, but become conscious collaborators in this campaign.” Genuine racism combined “cosmic” and “biological” elements, and a “totalitarian racist praxis” must integrate the physical and the spiritual. Citing Nazi race theorists as a model, Scaligero endorsed racial “selection” in order to achieve “the purification of the hereditary protoplasm” as well as purification of the spirit. He called for “the elimination of the Judaic virus and the biological re-integration of Aryan ethnic values” as an essential part of “the heroic task of the spirit within the racist campaign.” With the proper spiritual-racial approach, “the Jew can be easily recognized and eliminated.” Staudenmaier in 13
27 übersetzt aus Essence of yoga, S. 88
28 „Unlike Scaligero, Martinoli came to hold a high position in the Fascist racial bureaucracy after 1943 and played an active role in preparing the way for the Nazi deportation of Italian Jews in the holocaust. In 1942 Martinoli and his Center for the Study of the Jewish Problem were given access to the municipal registry office in order to identify and tabulate Jewish residents of Trieste. The Center compiled a list of Jews in Trieste between August 1942 and July 1943. Martinoli’s efforts impressed the German consul, who submitted an extremely positive report to the foreign ministry in Berlin in November 1942, highlighting the Center’s access to municipal statistics and its contribution to intensified surveillance of Jews. The report noted Martinoli’s anthroposophist orientation.“ Staudenmaier in 13
29 Staudenmaier siehe 13

Heidegger on the Beach oder: Untiefen im Mysterienfeld

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Ich hatte Academia einen Aufsatz entdeckt über Krishnamurti (9), der bei diesem die „Tradition der Nicht- Tradition“ konstatiert, was die Gedanken schon in einen Strudel schickt, bevor man überhaupt zu lesen begonnen hat. Und, natürlich, denken wir gern an Heidegger, der in „Identität und Differenz“ (1) über „das Identische“ meditiert, beispielsweise in Bezug auf einen der Sätze des Parmenides: „Das Selbe nämlich ist Vernehmen (Denken) sowohl als auch Sein.“ Heidegger konstatiert zunächst trocken: „Hier wird Verschiedenes, Denken und Sein, als das Selbe gedacht.“ (2) Und dann zweifelt er, fragt, wiederholt sich - „Denken und Sein gehören in das Selbe und aus diesem Selben zusammen“-, kreist um sich und die Worte, kann aber die eine Frage noch nicht beantworten: Was ist das Selbe? Wie kann Parmenides, ohne dass es eine Tradition des Denkens über Identität gab, diese hiermit begründen? Man kann auch weiter fragen: Wie kann Parmenides die Philosophie des Ich begründen, das diese Differenz zwischen Bewusstsein und Biologie erfährt, und in dieser Differenz zugleich seine Identität? Man kann den Satz des Parmenides von allen Seiten denken, nämlich rückwärts und um 180 Grad verdreht: Das Erleben der Widersprüche zwischen physischem Sein und Reflexion desselben erschafft das Ich, das damit ein diskontinuierliches Kontinuum darstellt, einen permanenten Widerspruch. Man kann den Satz aber auch von vorne mit Salto denken, der dann etwas konstituiert wie: Identität entsteht dort, wo der Mensch sich denkend und wahrnehmend dem Sein in seinen Objekten gegenüberstellt. Dann wäre Identität gerade im Gegenüberstehen zur dualistisch erlebten Welt vorgestellt. Letztlich gibt es auch die Möglichkeit, den Satz mystisch zu denken, als noch zu greifende Realität, indem auf einer Ebene, auf der Bewusstsein und Lebenskraft in Deckung geraten, der Mensch zu sich selber findet, indem er die existentiellen Widersprüche eben gerade überwindet.

Aber was denkt Heidegger? Er macht einen Rückzieher und verneint die Deutung einer „gedachte(n) Identität als ein Zug im Sein“ bei Parmenides. Aber was bei diesem als „das Selbe“ gemeint ist, „bleibt dunkel. Wir lassen es dunkel.“ (3) Es sei bei Parmenides wohl nicht mehr gemeint als ein Zusammenhang. Es gäbe einen Bezug, einen Zusammenhang des Mannigfaltigen, eine Einheit des Systems zwischen Bewusstsein und Sein im Menschen. Es ginge, so weicht Heidegger (bevor er sich sprach- labyrinthisch ohnehin ins Nirgendwo verabschiedet) um Beziehung, von der Identität ja nur eine Variante darstelle, um eine System mit gegenläufig arbeitenden Subsystemen. Warum nicht?

Aber schon sind wir ausgewichen ins Gebiet der Mechanik. Keine Kunst im Zeitalter der Subsumierung von Identität in Social- Media- Effekten. Ein Zeitalter der Zwitter, Pseudo- Identitäten, Artificial Intelligence, technisch identitären Masseneffekte, hybrider Kriegsführung und aufgespritzter Körper. Digitale Transformationen, Heulen in den Echokammern von Facebook, Tinder- Schönheiten und Rückkopplung- Effekte bei YouTube. Ein Musik- Produzent z.B. beschwerte sich vor ein paar Tagen, wie hybrid einer der erfolgreichsten Rapper und Produzenten, Capital Bra, die Sprache in seinen YouTube- Songs einsetze, die nichts mit realer Jugendkultur, -sprache und-music gemein habe, aber sie mit Sexismus, Gewalt, Narzissmus, Drogenkult und Kapitalismus als Fetisch (Rolex, Cabrios) so aufbereite, dass die Rückkopplung und Infizierung bereits eingesetzt habe: Die Jugendkultur imitiere diese Darbietung virtueller Clan- Kriminalität als Kult. Tatsächlich sprechen inzwischen die jungen arabischen Friseure so, während die Clips auf dem TV laufen; die Songs rieseln als Hintergrund- Musik in jedem Shop, und die Identität drückt sich aus dem Netz in die Schulen und Kinderstuben. Jo, Mann.

Und so hat Heidegger natürlich recht. Dasselbe, es bleibt dunkel. Das identitäts- stiftende hybride Selbstbild strömt aus den Massenkanälen und determiniert die Vorstellungen. Parmenides steht auf dem Kopf und wackelt mit den Zehen. Und es stellt dies nur eine einzige von vielen durch die Netze wabernden anthropomorphen und anthrophagen Identitätsmustern dar, in die die Milliarden von Zeitgenossen eingespeist werden, die sie verzehren in einem verzweifelten Akt, sich im Magen dessen, was sie verschlungen hat, gemütlich einzurichten. Nicht jammern, nicht wundern. Die Risse, die früher durch Kontinente, Rassen, Nationen gingen, finden sich heute in jedem einzelnen Individuum. Der individualistische Stil entwickelt sich und breitet sich aus wie das Corona- Virus, aber geistige Klarheit, die Sicherheit des individuellen, situativen Urteils, die Reife des abwägenden Verstandes kommen nicht mit. Ganze Infektionen von Formeln und Phrasen grassieren, weit über Grenzen, über gesellschaftliche Schichten, über Ländergrenzen hinweg. An der Stelle der faulenden, schon von Heidegger verleugneten Erkenntnis- Sicherheit wuchern infektiöse Verschwörungstheorien und plagen den angeschlagenen Geist, der seiner Abwehrkräfte abhanden gekommen ist.

Der Mangel ist so grundsätzlich, so existentiell, dass man an das - in diesem Fall fehlende- Verständnis für die Geste an sich erinnert wird. Georg Kühlewind stellt das in „Der sprechende Mensch“ (4) umfassend dar, wenn er auf die verborgene Seite der Sprache eingeht, auf die zugrunde liegenden Intuitionen der Gestik und des Hinweisens: „Wenn das Kind sprechen lernt, tritt zu einem gewissen Zeitpunkt die Möglichkeit ein, dass man ihm etwas zeigen kann. Man deutet auf einen Gegenstand oder Phänomen und benennt es; wie vieldeutig solches Deuten ist, hat bereits Wittgenstein entdeckt. Das Kind muss erraten, was gezeigt wird. Dann wiederholt es vielleicht die zeigende Gebärde und spricht die Benennung nach…“ (4) Wenn das Kind zu jung ist, schaut es auf die deutende Hand und das Gesicht des Deutenden, nicht aber auf das Objekt, auf das es verwiesen werden soll. Die Gebärde des Deuten ist an sich Sprache- muss in seiner Internationalität intuitiv erfasst werden, und ist nicht gegeben. Das Deuten muss ja auch nicht einem Objekt gelten, sondern kann ebenso einer Person, einer Gebärde eines Anderen, einer Landschaft gelten; es kann in einer umfassenden Gebärde auf Ungewissheit der Person verweisen, ja auf ein niederschmetterndes Gefühl. Meist aber und grundsätzlich wird auf ein umrissenes Objekt, ein benennbares Ding verwiesen, das als solches im Kontrast zu der Umgebung, in der es sich befindet, steht.

Was aber, wenn der Hinweis auf ein Ich und Du gemeint ist? Was, wenn das Kind den Verweis auf die Dinglichkeit verstanden hat, nicht aber auf die gemeinte Person? Und wenn doch, wie wäre die Zuschreibung des „Ich“ und „Du“ erklärbar aus der bloßen Nachahmung heraus? Denn, so Kühlewind, will man dem Kind aus der Geste und begleitenden Sprache heraus „auf diese Weise den Begriff „Ich“ beibringen, so zeigt der Sprechende auf seinen Körper und sagt „Ich“; oder er zeigt auf den Körper des Kindes und sagt „Du“. Verfährt jetzt das Kind folgerichtig oder „logisch“ nach dem voran gehenden Zeige- und Benennungsprozess, so wird es auch diesmal das Objekt des Zeichens mit dem entsprechenden Namen verbinden, d.h. den Körper des Sprechenden von nun an mit „Ich“, den eigenen mit „Du“ bezeichnen-. Wie es anfangs oft irrtümlich geschieht. Es gibt keine Möglichkeit, dem Kind zu „erklären“, dass beim Ich- Zeigen die Aufmerksamkeit, im Gegensatz zum Zeigen von Dingen, nicht auf das Objekt, sondern auf das sprechende Subjekt gelenkt werden soll; oder dass beim Du- Zeigen das Objekt nur für den Sprechenden Objekt, dem Angesprochenen aber Subjekt ist. Die Intuition des sprechenden und verstehenden Subjekts muss im Kind aufgehen, sonst kann es diese begriffe nie verstehen. Die mechanische Nachahmung versagt hier sicherlich.“ (4)

Aber neben der Intuition, dem Verstehen, das für den Akt des Hinweisens nötig ist, neben der zusätzlichen Intuition des Ich und Du - der Identität -, gibt es in Kühlewinds Augen noch ein Erfassen der personalen Präsenz: „Ich, der ich in diesem Augenblick zu euch spreche“ - eine Gegenwärtigkeit im „zeitlichen und räumlichen Sinne, aber auch im essentiellen Sinn, als Quelle des Wortes, als Teilhabe an der Bewusstseinsebene der Gegenwärtigkeit..“ (4).. , denn die „Aussage bezieht sich stets auf das gegenwärtige, eben erklingende Wort“ (4).

So weit geht es bei Heidegger nicht, ja es geht nicht einmal ansatzweise in das Konkrete kommunikativer Erfahrungen und Begegnungen. Er führt, wie erwartet, den Satz des Parmenides aus, indem er die angenommene Identität von Sein und Denken Schritt für Schritt lockert und in ein vages Verhältnis setzt: „Wie wäre es, wenn wir, statt unentwegt nur eine Zusammenordnung beider vorzustellen, um ihre Einheit herzustellen, einmal darauf achteten, ob und wie in diesem Zusammen vor allem ein Zu- einander- Gehören im Spiel ist?“ (5) In der Folge führt Heidegger, sehr wenig überraschend, die Natur des Menschen als etwas „Seiendes“ wie Stein, Baum und Adler aus. In dieses Seiende sei der Mensch sogar eingeordnet. Allerdings bleibe er als denkendes Wesen zwar bezogen auf dieses Sein, aber nicht nur. Es west ganz mächtig bei Heidegger, es gibt ein An- Wesen und eine Lichtung, eine Verflechtung und ein Währen, aber das sind mehr sprachliche Jongleur- Stücke, um sich dann abstrakt dem menschlichen Sprung aus dieser Zuordnung zum Sein zu widmen. Das Spezifische der Verstrickung Heideggers liegt darin, dass er in dieser Sprunghaftigkeit zugleich Technik, Atom- Zeitalter, Automatisierung und mögliche Knechtschaft des Menschen mitdenkt. Die Sachlichkeit geht ihm in Grunde verloren, ja eigentlich selbst die nüchterne Betrachtung des Satzes des Parmenides. Stattdessen werden immer weitere Wortgebilde wie Tao und Ge- stell eingeführt, die das zivilisations- müde Jonglieren Heideggers bestenfalls verschleiern. Die Präsenz des Subjekts und dessen Intuition, in der die Identität zwischen Sein und Bewusstsein jedes Mal real wird, ist ihm völlig entglitten- das Worthafte jedes Subjekts, das sich selbst vollkommen ausdrückt und enthüllt, aber auch gegenseitig sprechend berührt und befruchtet.

Kühlewind erinnert daran, dass der „Innenakt“ im Sich- Ausdrücken, das „Vergessen des Ich“, allerdings immer möglich ist. Dann wird die Sprache widersprüchlich oder gerinnt zur puren Information, ja zur Mechanik, die ja auch immer Heideggers Thema ist: „Das Vergessen des Innenakts führt dazu, dass das Wort uns nur noch als Mittel zur Information dient, die von niemandem herstammt und an niemanden gerichtet ist“ (4), was letztlich nicht nur zur verzerrten technologischen Anonymisierung führt, sondern vor allem zu einem Verlust der Wahrnehmung, des Empfindens „bei der bewussten oder nichtbewussten Falschaussage bzw bei mechanischem, unaufmerksamem Sprechen“ (4). Werden der Sprechende, die Intention, das Gerichtetsein an ein Du, das Verweisen auf etwas vergessen, entstehen phrasenhafte Ausgeburten und propagandistische Hüllen für verborgene Intentionen, für aufreizende Suggestionen, für Hass. Auf der Grundlage dieses Verfalls grassieren die Fake- News und Verschwörungstheorien.

Nicht die Entkopplung vom Sein - wie es Heidegger darstellt- ist die Gefahr, auch wenn die Technik daraus entsprang. Die Entfremdung des Gehörten und Gesagten von der Person dagegen führt, wenn auch mittels der Technik der Massenmedien und Social Networks, zu einer Krise. Suggestion, Pseudo- Authentizität, zerstörte gesellschaftliche Strukturen, das Aufwallen enthemmter sprachlicher Muster, der Verlust innerer geistiger Orientierung: Das sind die Zeichen für die Identität, die den Boden verliert zwischen Sein und Bewusstsein.

Es wird, so Kühlewind, Zeit, sich an das „Apriori der Argumentation“ zu erinnern, nämlich daran, dass der Mensch ein essentiell kommunikatives und auf Verständnis ausgelegtes Wesen ist- dass „zwischen Ich- Wesen prinzipiell eine grenzenlose Verständigung möglich ist“ (6), um es in Kühlewind Worten zu sagen. An den Bruchlinien der Sprache wuchern allerdings die Ideologien, die Phrasen, die Erstarrung, die Regression, der Hass-, im Sinne einer Ersatz- Identität oder Religion, ein im Extremfall blindes, gewalttätiges Taumeln mit dem Mob, auf der Suche nach einem geeigneten Opfer. Die Regression ist zweifellos immer möglich, ja sogar wahrscheinlich, weil sie ein Rückfall aus der Kultur und der Bemühung ist. Verstehen dagegen ist immer anstrengend, das Aushandeln, das Überwinden der Befremdung, das Einlassen auf das Andere, Ungewohnte, der Perspektivenwechsel. Dass das Fremde bereichert, merkt man hinterher. Die Regression in der Wagenburg ist immer schlicht und schafft auf direktestem Weg identitäre Gefühle, wenn auch vielleicht mit einem Mob verbunden, einer simplen nationalen oder sexuellen Eskapade, einer Beschämung, die man auch erst hinterher bemerkt- bestenfalls.

Währenddessen sitzt Heidegger am Strand und genießt die schöne Aussicht. Wo andere Wellen sehen, baut er das „Sein des Seienden“ als neue Metaphysik, oder, wie er es nennt: „Onto- Theo-Logik“ (7) - ein Pseudo- Mysterium aus aufgetürmten Begrifflichkeiten jenseits der Dinglichkeit: Heidegger, „nicht einfach Denker, sondern Denker- Fürst, kein Primus inter pares, sondern ein Einziger, ein Solist und Solitär- ein Prophet aus unvergleichbarem Mysterienspiel. Verständlich, dass sich viele, die Heideggers Texte lasen und lesen, a corps perdu in ihnen verloren und als Mysten im Gefolge des Hierophanten wieder aus ihnen hervorkamen. Heidegger mag den Subjektivismus des europäischen Denkens überwunden haben, doch hat er ihn nicht durch einen Super- Subjektivismus seiner Denk- Performance ersetzt?“ - so Peter Trawny in Heideggers Fragmente (8)

Und während Heideggers schöne Aussicht ins Mysterienfeld abdriftet - und ein weites Feld von Konnotationen und wüsten Landschaften hinterlässt, voller antisemitischer Ruinen und Fragmente - drängen die Mysterien eines Rudolf Steiner seit jeher dahin, Wissenschaft zu werden. Je beschränkter der Blick, desto größer der Subjektivismus, der Anthroposophie zur Sonderform der Geistes- Wissenschaft erklärt, die Erzengel unter den Geistes- Mikroskopen der Geistes- Forscher untersucht. Diese Anthroposophen lassen das Manna von Himmel tropfen wie Regen, während Heideggers Blasen am Strand ins ungefähre Blau verschwimmen. Der durch nichts belegte Anspruch der Anthroposophen auf die Wissenschaftlichkeit ihrer Tätigkeit (die hauptsächlich im Rezipieren ihres Meisters besteht, wobei platte Deduktionen und Projektionen bis in die politischen Felder hinein vorgenommen werden) wird auch durch hundertjähriges Wiederholen nicht relevanter. Und dennoch: Gelegentlich gebiert auch diese graue Mutter ein produktives Wesen wie den bodenständigen Denker Georg Kühlewind. Es kommt vor.





::::::::::::::::::::::::::anmerkungen verweise

1 Martin Heidegger, Identität und Differenz, Pfullingen 1957
2 s. 1, S. 14
3 s. 1, S. 15
4 Georg Kühlewind, Der sprechende Mensch, Frankfurt am Main 1991, S. 139 ff
5 MH, s
6 GK, S. 142
7 s. 1, S. 62f
8 PETER TRAWNY, Heideggers Fragmente. Eine philosophische Biographie, Frankfurt am Main 2018
9 https://www.academia.edu/28420260/A_Pathless_Land_Krishnamurti_and_the_Tradition_of_No_Tradition?email_work_card=title

Entblössung der Vulva & Reinheit der wahren Adepten

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Sie müssen sich an Sterne krallen
Damit sie nicht vom Himmel fallen
RAMMSTEIN


Aus- der- Welt- Gefallen- Sein

Es kommt wohl mit dem Älterwerden, mit den schweren Verlusten von Geliebten, Freunden, Perspektiven, Selbstbildern, Selbst- Bedeutung, ja ganzen Welt- Konzepten, dass die Müdigkeit einsetzt wie eine essentielle Melancholie. Ein Internet- Bekannter sagte es grausam so, dass ich in dem Alter sei, in dem man aus der Öffentlichkeit verschwindet. Und richtig, da sind so viele Medien, so viele Belehrende, so viel Erregung, so viel Schund, so viel Gier- dass die alternde Person nicht einfach aus der Zeit fällt, sondern seine Gegenwart mit einem gewissen Ekel anschaut.

War da nicht die unausgesprochene Hoffnung der Jugend, dass es sich lohnt, sich zu engagieren, dass Vernunft, Gleichheit, Individualität, Natur- Verbundenheit, Umgang mit den Ressourcen der Erde, Überwindung von religiösen und politischen, doktrinären Denksystemen fast zwangsläufig überwunden werden würden? Dass das wunderbare Zeitalter- mit uns selbst als Galionsfiguren- in einer fortlaufenden, Institutionen und Gesellschaften rund um den Globus durchdringenden, fortschreitenden Entwicklung sei? Vergiss es.

Würden nicht der blanke Zynismus der Macht, Gewalt und Unterdrückung im Glanz der Vernunft dahin schmelzen, wie in einer Werbe- Broschüre der 68er? Nun, es waren, wie sich heraus stellte, Träume & Klischees. Offensichtlich hat jede intelligente Generation ihre eigenen, denen sie folgt, deren teilweises Scheitern sie erlebt. Man muss aufpassen, sich nicht in einem Club der Weltmüden wieder zu finden, denen häufig zu Recht das Stereotyp des alten, weißen Mannes anhängt- dessen Belehrungen aus den Bestandteilen seiner gescheiterten früheren Ideale bestehen, die längst aus der Zeit gefallen sind, was den Frust stetig erhöht.


Nietzsche- und Heidegger- Typen


Und natürlich stehen die Wege offen für die Frustrierten: Die Nietzsche- Typen werden, allem Scheitern, allen Verlusten zum Trotz, ihr Ego aufblasen, sich im schlimmsten Fall zusammen rotten, Stammtisch- Parolen grölen und vielleicht nachts zündeln oder zumindest in sozialen Netzwerken eifern und geifern. Die Heidegger- Typen werden ihre gepflegte Innigkeit heraus kehren und mit leichter Verachtung auf die Entwicklungen der „Welt“ um sie herum blicken, was, vor allem in der Verbindung mit Esoterik (aber nicht nur) einen extremen Narzissmus befruchten und anstossen kann. Es gibt da eine große Bandbreite- aber zwischen bestimmen Berufsständen, einer reichen Schicht und deren Erben und bestimmten Anthroposophen (um nur ein paar Beispiele zu nennen), gebt es systemische Überschneidungen, was die Funktion der Weltverachtung einerseits und die eigene privilegierte Lage betrifft. Sie alle verhalten und sehen sich selbst als eine erwählte Gruppe, denen bestimmte finanzielle, gesellschaftliche oder spirituelle Privilegien zustehen.

Was Heidegger betrifft, so charakterisiert den Peter Trawny (1) selbst in den hier versammelten kleinen Betrachtungen und Meditationen absolut differenziert, auch wenn er hier und da freundlich die Meinung Peer Sloterdijks einholt: „Denkheld vom Rang eines modernen Platon“ (2) ist zwar die eine Richtung der Einschätzung Heideggers durch Sloterdijk, da sich in dessen Denken „die Titanenschlacht um den Sinn vom Sein“ (2) vollziehe, andererseits gehe mit Heideggers „Rede“ aber auch die „Philosophie ins Zeitalter ihrer Selbstparodie“ (2) über. Ja, bei Heidegger werde versucht, eine „abstrakte Qual aufzuheitern und eine falsche Einsamkeit zu bevölkern“ (2), was eine unfreiwillig komische Komponente habe, aber eben auch „anachronistisch“ (2) wirke.

Im Kontrast zum von Heidegger idealisierten In- der- Welt- Sein steht, steht schlicht das techisierte Denken, so viel Schlacken und Anti- Körper er in seinen Begriffen auch auftürmen mag- der inszenierte Idealismus, die selbst zugestandene Reinheit der Existenz braucht einen Gegenpol, einen Ahriman, einen gefallenen Engel. So werden für Heidegger, wie Trawny ausführt (3), sowohl „weltlose Kunstwerke“ wie die unbelebte Natur als auch - und da beginnt der Abgrund- die „Weltlosigkeit“ (3) des Judentums zur indifferenten Masse des Verfemten. Statuen im Museum, Juden wie Kieselsteine werden in dieser Rede zu Ikonen einer Materialität, in deren Gegensatz der philosophierende Existentialist sieht. Die „ahrimanische“ Welt eines Rudolf Steiners besitzt eine ähnliche Konnotation, ja buchstabiert die rassische und geistige Entwicklung durch bis hin zur Krone der zeitgenössischen Elite, dem weißen männlichen Mitteleuropäer, in esoterischen Schritten von Stadien der Erde her aus, in denen diese sich noch in kosmischen Urzuständen befand: Mond, Saturn, Sonne. Ein träumendes Sonnensystem vor dem ersten Blinken eines kosmischen Auges. Die Welt ist schmutzig, das Reine Denken wird dich befreien: So das Credo der Platonisten.


Mussolini Geistmensch

Der Mainchäismus dieser Konstrukte und Konzepte zur Erlösung des Materialismus auf eine Ebene der Bedeutsamkeit, Ewigkeit und Transzendenz, die unberührt bleibt von den Niederungen der biologischen und intellektuellen Existenz, findet sich immer wieder bei Vertretern von besonders exponierter Bigotterie. Dazu zählt der in diesem Beitrag (4) von mir mithilfe seiner Biografie analysierte Massimo Scaligero, dem neuerdings wieder virtuelle Denkmäler gesetzt werden (5), nicht nur zu Unrecht, wie seine späten Bücher und Texte zeigen, die sich mit dem „Reinen Denken“ in selbständiger Fortentwicklung von Rudolf Steiners Meditations- Angaben beschäftigen: „It is the Path of Living Thought, of sense-free thinking. Living Thought, the authentic reconstitution of the relationship between humanity and reality, “either it is an experience or it means nothing” wrote Scaligero in his autobiography, “From Yoga to the Rose-cross”. It is neither mental picturing therefore, nor any dialectic content.
Living Thought, free of the senses, represents the extraordinary possibility, offered to current day mankind, of realizing pre-dialectic knowledge, since it is experienced in a zone where thinking is still a spiritual substance“ (5)- so erklärt uns die Website die Intentionen Scaligerios.

Leider wird diese „spirituelle Substanz“, das „vor- dialektische Wissen“ Scaligeros durch seine (auf der Website und in den Büchern sorgsam verschwiegenen) faschistischen Texte ad absurdum geführt, aber auch durch seine Machtposition im Rom Mussolinis, durch seine antisemitischen Texte, die sich, wie Peter Staudenmaier belegt (4), mit der Adaption des Antisemitismus der Deutschen durch die italienischen Faschisten ab 1938 nicht nur radikalisierten, sondern auch direkt als Propaganda- Material für die Führungsebene der Faschisten in Rom dienten. Außerdem war Scaligero, sogar explizit als spiritueller Schüler, mit dem rechtsradikalen Esoteriker Julius Evola verbunden- auch nach 1945. Die inszenierte Logos- Begegnung im Gefängnis 1945 war nur eine der Legenden, die Scaligero in seiner Autobiografie streute, um eine innere Wandlung vorzutäuschen- seine Arbeiten drehten sich von nun an um angeblich rein geistige Themen wie Logos und Gral, er trat - nach schon lange bestehenden engen Kontakten - in die Anthroposophische Gesellschaft ein und führte sogar Arbeitsgruppen für die in der faschistischen Ära von ihm verachteten und verspotteten (4) Wald- und- Wiesen- Anthroposophen.

Der Geistmensch Scaligero unternahm - auch wenn er unter der Hand weiter zusammen mit Evola publizierte, agierte und agitierte - einiges, um neben der anti- materialistischen Reinheit des Denkens auch die Schattenseiten seiner Biografie auszuradieren- zumindest für den anthroposophischen Adressaten- Kreis. Der Rassismus mit seiner Dynamik der Superiorität stellt aber, nicht nur in Scaligeros Fall, nur einen Aspekt der spirituellen Reinheit dar, ein Status an der Spitze der Entwicklung der Menschheit hin zum Geistesmenschen, für den Scaligero sich selbst als der Hohepriester des neuen Yoga und des verwirklichten Christus- Bewusstseins inszenierte. Das fußt auf der Vorstellung einer Spiritualität der systemischen Diskontinuität und manichäischen Kontraste - ein Glasperlenspiel, das seine Reinheit und Integrität durch die anti- humanistischen und rassistischen Gegenbilder gewinnt - eine spirituelle Apartheid, gewissermaßen.

Kein Wunder, dass heutige Anhänger Scaligeros mit blanker Wut auf kritische Anfragen reagieren, dass andererseits gewogene Leser sich letztlich mit Ekel von Scaligero abwenden- die toxische Rückseite der anspruchsvollen, glänzenden Texte stösst eben, wenn sie sich aus den Ausflüchten des Mussolini- Ideologen Scaligero endlich doch heraus schält, um so mehr ab. Die Lektion daraus - Vorsicht vor den spirituellen Glasperlen- Spielern- kann niederschmetternd sein, da das Feld der kompetenten, selbständigen Steiner- Interpreten überschaubar ausfällt. Bizarre Kopisten, Nachbeter, Phrasendrescher bevölkern manches Bücherbord. Einer wie Scaligero gilt da schon als zu schwierig.

I praise all living, the bright and the dark

Aber nicht in allen spirituellen Kulturen wurde die Reinheit als bigotter Kult inszeniert. Thornton Wilder schildert in seiner 1930 erschienenen Erzählung „The woman of Andros“ (6) einen vorchristlichen (ca 400 bC) griechischen Mikrokosmos auf der fiktiven Insel Brynos. Die Frau, um die es geht, stammt ursprünglich von Andros, hat aber in den Weltstädten Korinth und Alexandria gelebt, heute liest sie, auf Brynos „begraben“, abends den jungen Männern der Insel beim feierlichen Abendessen Poesie vor- die Klassiker des Griechentums, aus Theaterstücken, Dramen, Gedichten: „Sie has twelve or fifteen of them to dinner every seven or eight days - the unmarried ones, of course. They lie on couches and eat odd food and talk. Presently she rises and recites; she can recite whole tragedies without the book. She is very strict with the young men, apparently. Sie makes them pronounce all the Attic accents; they eat in the Athenian mode, drinking toasts and wearing garlands, and each in turn is elected King of the Banquet. And ate he close hot towels are passed around for them to wipe their hands on.“

So sind Kultur und Aufklärung in der bäuerlich geprägten Insel eingebrochen- die jungen Männer sehen sich zum ersten Mal mit den Hauptstädten verbunden, und zwar auf denkbar konkreteste Art und Weise; denn die gemeinte Chrysis wählt zugleich an diesen Abenden einen der jungen Männer zur Nacht, denn das ist ihr Beruf. Chrysis versteckt in ihrem Haus auch noch eine junge Schwester und beschäftigt ehemalige, verstossene und missbrauchte Sklavinnen, denen sie Schutz und Arbeit gewährt. Die alten Männer, vor allem aber die ans Haus gefesselten Bäuerinnen, die inmitten lastender Rollen keinerlei eigene Perspektive entwickeln können, hassen das fremde Element auf ihrer mit Olivenbäumen übersäten Insel, die die Tradition, das Erbe und den Ackerbau schätzt, nicht aber die Kultur und Aufklärung, für die Chrysis steht.

Letztere sieht sich selbst als eine „Gestorbene“ an- sie ist sich ihrer prekären Lage zwischen bornierten Insulanern, undankbaren Kunden und gelegentlich unangenehmen beruflichen Vorkommnissen sehr bewusst, aber sie ist auch eine liebevolle, ambitionierte Lehrerin, die in einer Mischung aus Melancholie, Würde und Hingabe an die Literatur zu diesen jungen, offenen Geistern spricht, denen sie die ganze Reife einer Hochkultur vermittelt, die ihnen auf ihrer Insel ganz und gar nicht verfügbar ist. Denn Dummheit ist universell und unbesiegbar. Dieselben jungen Schäfchen, denen sie abends Aristophanes und die Gespräche des Sokrates nahe bringt, wollen am anderen Tag Chrysis junge Schwester nur deshalb steinigen, weil sie eine Fremde ist. Ein Bauernjunge, der auch schon Chrysis aufgefallen ist, rettet die Schwester, worauf sich eine Liebesgeschichte entwickelt, die auch noch die letzten Konventionen sprengt. Das ist der Wendepunkt zur tragischen Geschichte, an deren Ende die Borniertheit der alten Dörfler siegt und die schönen Fremden entweder tot oder als Sklaven verkauft sind. Aber dennoch: Chrysis und ihre magische Mission, Kultur zu vermitteln, zeigen die zeitlose Unvereinbarkeit zwischen Zentrum und Peripherie, Stadt und Land, Vernunft und Tradition, Jung und Alt, Mann und Frau. An dieser Nahtstelle, in diese Spannungen hinein können Samen gepflanzt werden, die kulturelle und individuelle Wachstums- Möglichkeiten eröffnen; tatsächlich ist es der zurück gelassene, mit dem Tod seiner Liebsten konfrontierte Junge, der mutig das Mantra von Chrysis wiederholt und für sich vereinnahmt: „ I praise all living, the bright and the dark.“ (6)


Baubo, der entblößte Schoß 


Es ist kein Zufall, dass die Weisheit, Kultur und innere Entwicklung nicht von einer Priesterin überbracht werden, sondern von einer Prostituierten. Denn auch Baubo, eine der Bewohnerinnen von Eleusis, war eine aus heutiger Sicht indifferente Figur: „Schon ihr Name weist auf die Verbindung zum eleusinischen Mysterienkult hin: Βαυβώ bedeutet „Schoß“.“ (7) Baubo, die Begleiterin der Demeter auf ihrer Suche nach der verlorenen Tochter Persephone, repräsentiert sowohl den weiblichen Schoß wie die buchstäbliche „Unverborgenheit“: „Aus ihrer Rolle im eleusinischen Mysterienkult ergibt sich auch Baubos Aufgabe als Begleiterin der Demeter: Nach der Entführung ihrer Tochter Persephone durch den Unterweltsgott Hades trauert Demeter und wird von Baubo durch obszöne Scherze aufgemuntert. Konkret gehörte zu diesen Scherzen das Entblößen der Vulva.“ (7)
In griechischen Terrakotta- Figuren wird Baubo mit Leier im Arm, aber auch mit einem Kopf modelliert, der aus dem Bauchbereich heraus kommt. Giorgio Agamben schildert Baubo in seiner kleinen Arbeit über die griechischen Mysterien als das komische Element im Mythos der Demeter. Der sehr irdische, sehr leibliche, ja obszöne Aspekt des Mysteriums und der Einweihung besteht darin, dass Baubo die herum irrende, suchende Demeter mit einem Gerstengetränk - Kykeon-  beköstigen möchte. Die untröstliche Demeter lehnt zunächst ab. „Daraufhin setzt sich Baubo mit obszön gespreizten Beinen ihr gegenüber hin und zeigt ihr Geschlecht, auf dem das Gesicht des Kindes Iakchos erscheint. Die Göttin bricht in Lachen aus und nimmt das Getränk an.“ (8) Von nun an war ein Ausdruck der Einweihung auch „Ich habe gefastet, ich habe den Kykeon getrunken“ (8)- aus dem Gram, der Suche und dem Mangel ist eine heitere Gelassenheit geworden. Ist Einweihung nichts als ein obszöner Scherz?

Einweihung als Prekariat 


Der Michaelit und Geistmensch mag sich im Mysterium der Demeter - das ja sehr viel älter ist, und faktisch auf ägyptische Quellen verweist, kaum wieder finden, aber dann wird er auch die Gelassenheit nicht entdecken, in der sich seine inneren Widersprüche auflösen. Reinheit und Endgültigkeit vertragen sich nicht mit innerem Wachstum im Schoß der Dinge- hier ist alles prekär, alles Anfang, alles frischer Wille und nackte Aktualität. „Nichts ist weiter von dieser irreduziblen Wirksamkeit der Liturgie entfernt als das heidnische Mysterium. Wenn Lucius am Ende des Goldenen Esels seine Einweihung in die Mysterien der Isis beschreibt, definiert er die dort gefundene Erlösung als „prekär“, „durch Gnade gewährt“ (ad instar voluntariae mortis et precariae satutis)“. (9)
Diese Art des Prekären ist zwischen „dem Hohen und dem Tiefen, dem Licht und dem Schatten, dem Schlafen und dem Wachen“ (9) angesiedelt; hier ist das Mysterium zuhause. Precarius unterscheide sich, so Agamben, auch von quaestio, der bloßen Frage, dadurch, dass letztere immer auf etwas abzielt- die prekäre Haltung des antiken Eingeweihten bewegt sich in einem weichen Willen, in einer nicht determinierenden Absicht und Haltung, in einer Offenheit, die in innerer Heiterkeit zwischen den Extremen, den Begriffen und den moralischen Kategorien Haltung bewahrt. So bleibt die Fragestellung „nächtlich und abenteuerlich“.

Die Missionare, Heuchler und Manichäer dagegen haben den Wanderstock wohl abgelegt. Manche, wie Scaligero, denken, sie lägen wie der Lieblingsschüler an der Brust des Christus. Aber es war wohl, in Wirklichkeit, nur der feiste Oberkörper Mussolinis.




Verweise::::::::::::::::::::::::::::::::::::

1 Peter Trawny, Heidegger Fragmente, Frankfurt 2018
2 Trawny, S. 147f
3 Trawny, S 149f
https://egoistenblog.blogspot.com/2020/02/massimo-scaligero-der-faschistische.html#more
5 https://www.massimoscaligero.net/en/massimo-scaligero/
6 Thornton Wilder, the Woman of Andros, Penguin 1969
7 https://de.wikipedia.org/wiki/Baubo
8 Giorgio Agamben Monica Ferrando, Das unsagbare Mädchen. Mythos und Mysterium der Kore. Frankfurt 2012, S. 27f
9 Agamben; S. 30

Von der Freundschaft und vom kosmischen Du

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Natürlich sollte man niemanden überfordern. Auch Freundschaften nicht. Es mag diese scheinbar unverbrüchlichen alten Beziehungen geben, von denen Geschäfte, Lokalkolorit und gemeinsame Abenteuer in der Jugend leben, aber oft waren doch die Umstände, Partner oder ausgerollten moralischen Defizite letztlich unüberwindliche Bruchpunkte. Da gibt es nichts zu beklagen, aber auch nichts zu beschönigen: Die meisten dieser Beziehungen gehören einer Ära innerhalb des Familienlebens an, in der sich Bedürfnisse und Interessen überschnitten.

Simone Weil sieht das Geschenk, das zur nackten Biografie Hinzugegebene in der Freundschaft: „Die Freundschaft zu wünschen, ist ein großer Fehler. Die Freundschaft muss eine Freude sein, die von selber kommt, so wie jene, die die Kunst oder das Leben gibt (die Freude am Ästhetischen). Man muss sie zurückweisen, um würdig zu sein, sie zu empfangen: sie steht auf einer Stufe mit der Gnade (..). Sie gehört zu den Dingen, die einem „obendrein gegeben“ werden.“ (1)

Dieser Vergleich, zumindest der Bezug zur Einweihung, den ich hier sehe, wirkt hoffentlich nicht zu gestellt. Das Bemühen, das Abarbeiten, das Drumherum- Phantasieren, das Begehren, die damit verbundenen Selbstgefühle, die Fesselung, die Besessenheit, das alles sind ja auch Begleitumstände, die die moderne, areligiöse, rationale Novizenschaft umkleiden- vor allem dann, wenn sie auf rosenkreuzerischem Wege (d.h., als Logos- Suche) eine Sache ist, die man ganz und gar mit einem inneren Du ausmacht, mit einem moralischen Impetus, den man aus sich selbst heraus schöpft. Auch in Bezug auf die Einweihung ist jede Überspanntheit schädlich, zumindest hinderlich- so wie jedes Krallen an der Freundschaft diese von innen aushöhlt. Hier wie dort ist die Freiheit, ja die „Freude, die von selber kommt“ (Weil) essentiell.

Selbstverständlich sind weder Freundschaft noch Novizenschaft erklärbar: Allerdings kann eine langjährige Vertrautheit auch hilfreich sein- zumindest dann, wenn man sich auch immer wieder neu ins Auge fasst, sich gemeinsam an Zeitumstände, Status, individuelle Wandlungen anpasst. Auch die zeitgenössische Novizenschaft hat ihre eigenen Traditionen, die auch auf überwundenen Phasen beruhen. Die Zeiten, in denen es um äußerliche Symbole, Orte, Gruppen- Zugehörigkeiten, Mantren, Definitionen, Selbst- Zuschreibungen, Selbst- Überhöhungen, geistige Entstellungen in ideologisierter Art ging, sind dankenswerter Weise vorbei. Man hat über die Jahre oder Jahrzehnte gelernt, dass die Inspiration, die „auf einer Stufe mit der Gnade“ (Weil) steht, eben nicht herbei gezwungen (nicht einmal herbei- gewünscht) werden kann. Es ist eine Freude, eine Leichtigkeit darin, eine vollständige und ebenbürtige Beziehung zu einem geistigen Du, wie dies Simone Weil in Bezug auf die äußeren Freundschaften schildert, zu suchen. Und so weiß man auch, dass die Freiheit dieses geistigen Du auch etwas ist, was dieser innerlichen Freundschaft zugrunde liegt. Man kann, Simone Weil abwandelnd, auch artikulieren: „Die geistige Begegnung zu wünschen, ist ein großer Fehler.“ Es ist tatsächlich, nicht im analogen, sondern im ganz buchstäblichen Sinn, eine Freundschaft. Ich nenne es dennoch gern Novizenschaft, weil dieser Aspekt auch dazu hört: Es ist eine immer neue Begegnung, aber auch ein immer neuer Anlauf. Man selbst ist frisch, hat die kreisenden Gedanken, die sich ballenden Gefühle, die aufgestauten Impulse, ja selbst die körperlichen Umstände, alle abgelegt. Man ist frisch und neu wie am ersten Tag im Sinne eines fokussierten Ich. Man ist reine Präsenz, die sich auf nichts stützt, auf keine Selbstdefinition, kein Alter, keinen Status, kein Selbstgefühl. Man ist das Licht der Aufmerksamkeit.

Erst dann, nur dann, wird man präsent und wesentlich für die geistige Freundschaft. Man sinkt in einen tieferen Grund, in ein flüssiges Element, in einen Status, der kein Außen und kein Innen kennt. An dieser Stelle beginnen die Gespräche, aber, womöglich, noch in einer unbekannten Sprache. Das Vertraut- und Vertraulich- Werden hat hier erst begonnen; es ist ein langer Weg, ein Einverstanden- Sein, das man immer wieder erneuert. An der Grenze dann vielleicht eine Erfahrung wie diese, die Rudolf Steiner in seinen okkulten Vorträgen so beschreibt: „Es bewirkt, dass diese menschliche Seele nach und nach anfängt, ein Unbehagen darüber zu empfinden, dass man überhaupt dieser einzelne Mensch ist, dieser einzelne persönliche Mensch ist.“ (2)

Aber ist das nicht auch ein Moment, den man im Ansatz auch in Momenten der Freundschaft erlebt?- eben das Element, dessen man nach Simone Weil würdig sein muss, um sie empfangen zu können: Nämlich dass der Andere eben ein Anderer als man selbst ist, dass man dessen Intentionen erleben, erfahren, annehmen kann, ohne sich im geringsten zu verlieren- oder, vielleicht, einen Augenblick lang, wenn man die fremden, die anderen Intentionen in sich erlebt werden und die eigenen ganz und gar schweigen? Der Andere in mir - ich im Anderen: Nichts anderes als diese Annäherungen an ein kosmisches Du liegt in der Versenkung.

Das Prozedere bis zu diesem Punkt wird von den Lehrern und Meistern - ob Sri Aurobindo, Rudolf Steiner, oder A.H. Almaas uvam- übereinstimmend so geschildert: „Zunächst, wenn Frieden im Geist zu einem relativ stabilen Zustand geworden ist, fas absolute Stille erreicht ist, und wenn unsere Sehnsucht oder unser Bedürfnis angewachsen, andauernd und durchdringend wie ein inneres Loch geworden ist, bemerken wir ein erstes Phänomen, das unabsehbare Konsequenzen für den ganzen Rest unseres Yoga hat. Um den Kopf und besonders im Nacken spüren wir einen ungewöhnlichen Druck, der sich wie ein falscher Kopfschmerz anfühlen kann. Anfangs kann man ihn kaum lange aushalten und schüttelt ihn ab, wir suchen Ablenkung, wie „denken an etwas anderes“. Allmählich nimmt dieser Druck eine stabile Form an, und wir spüren etwas wie einen Strom herab fliessen- einen Kraftstrom, der sich nicht so unangenehm wie elektrischer Strom anfühlt, sondern eher wie eine flüssige Masse. Wir merken dann, dass der „Druck“ oder der falsche Kopfschmerz zu Beginn einfach durch unseren Widerstand gegen das Herabströmen der Kraft verursacht war und dass es nur darauf ankommt, ihre Bahn nicht zu behindern (das heisst, den Strom im Kopf zu blockieren), sondern sie von oben bis unten min die Schichten unseres Wesens herabzulassen. Dieser Strom ist zu Beginn ziemlich krampfartig, unregelmäßig und ein wenig bewusste Anstrengung ist nötig, um wieder an ihn anzuschliessen, wenn er versickert; dann wird er regelmäßig, natürlich, automatisch und vermittelt das Gefühl frischer Energie, wie ein andere Art Atem, der weiter als der unserer Lungen ist und der uns einhüllt, badet, erleuchtet und zugleich mit Festigkeit erfüllt.“ (3)

Freilich, man sollte diese Phänomene auch nicht überbewerten und sich an ihnen nicht festbeißen. Das Einsetzen der „Lichtatmung“ dieser Kategorie bedeutet erst die Vorbereitung auf den Zustand reiner Präsenz. Es entwickelt sich eine ähnliche, horizontale Ausstrahlung, die aus dem Herz- Chakra über die Hand- Innenflächen nach Vorne strömt, es entwickelt sich, nach vielen Anläufen, eine Ausstülpung der Kräfte, die sich im Kehlkopf komprimieren- bis hin zu einer Hülle des eigenen Wesens, die als Ganzes erlebt wird. Dann wird selbst diese Hülle transparent und das Selbst begibt sich ins reine Sein ohne Rückversicherung, ohne Abstützung. Wie oft ist dieser Augenblick der Leere* beschrieben worden, wie oft besungen, wie oft zelebriert! Es ist kein Augenblick des Verlusts, sondern der der Wahrnehmung eines anfänglichen tieferen Empfindens, das flüssiger und weniger greifbar wirkt als die körperlichen Rückversicherungen. Es war nur einfach ein Übergang von vielen, eine Improvisation, selbstverständlich- so wenig Teil einer Übung, eines Konzepts oder einer Strategie wie das Gespräch mit dem Freund.

Das Gespräch steckt ohnehin voller Rätsel und Paradoxien. Es ist ein Atemholen zwischen Hingabe und Innehalten, Bei- sich- Sein und In- den- Anderen- Aufgehen, und darin ähnelt es dem Hören. Für die Hirnforscher ist beim Hören als einzigem Sinn praktisch keine Verzögerung in der hirn- physiologischen Verarbeitung des Sinnesimpulses festzustellen. Beim gewöhnlichen Hören ist der Mensch Raum geworden, er ist außer sich. Das Paradox besteht darin, dass er im Außer- sich- Sein ganz bei sich ist- was nebenbei aufs Schönste zeigt, wie sehr das Gefühl, Wesen *im* Körper zu sein, illusionären Charakter hat. Hörend ist der Mensch ausgegossen und so ganz bei sich; er deckt den Raum ab, in dem der Gesang eines Vogels erklingt, er moduliert den Vogelklang zeitlich mit, er fühlt den Raum des Klangs und spürt, wie er durch die Sonne erwärmt wird, ja Teil des Lichts, der Wärme und des Raums ist, in den das Ich sich wahrnehmend erstreckt.

Dieselbe Erfahrung macht man natürlich in der Annäherung an das kosmische Du. Man erlebt alle Phasen des sich Ausgießens, der geistigen Hingabe, der Potenzierung von Präsenz und Konzentration, die flüssigen, sphärischen Charakter annehmen. Die Erfahrung ist auch hier durchgängig: Der Vorgang des Verschmelzen mit der Intuition, der Hingabe an die geistige Sphäre und an das kosmische Du ist zugleich ein immer tieferes Verbinden mit sich selbst. Es gibt ein auch emotionales Gefühl von Authentizität, von Übereinstimmung mit sich selbst, zumindest nachdem man - wie es Rudolf Steiner schildert (2)-, praktisch durch ein Meer von auf- und abschwellender Dankbarkeit und Scham gegangen ist- keine religiösen Klischees, sondern eher etwas wie das Branden von Ebbe und Flut, das durch einen selbst geht, tief in der Zeitlosigkeit. In diesem Atmen von Ebbe und Flut geht es einem auf, wie alles mögliche intuitiv im Verstehen aufleuchtet, weil das Selbst wie ein transparenter Spiegel wirkt: Dass das kosmische Du, das sich wie denkend und träumend in den Formen und Farben des Seins offenbart, zugleich und als Opfer diesen Funken des Ich entzündet hat, der das kosmische Ich jetzt betrachtet: Ich im Ich. Es ist, wie in einem guten Gespräch zwischen Freunden, eine gegenseitige Wahrnehmung: eine gegenseitige Offenbarung, die immer Anfang, immer improvisiert ist, und immer entwicklungsfähig bleibt, niemals aufhört und niemals vergessen werden kann. Was in der völligen Zeitlosigkeit erlebt wird, bleibt bestehen.

Es kommt aus dem Innersten, und ist doch zugleich ein Anderes, etwas Neues, ein Aufhorchen in der Hingabe des Lauschens in die Stille. Wie jede Freundschaft kann auch diese keine Sentimentalität gebrauchen, geschweige denn Routine. Sie hat etwas so Intimes, dass sie nur schwer geteilt werden kann, was ja auch für die anderen Beziehungen im Leben gilt:  „Man mag drei- oder viertausend Menschen gekannt haben, man spricht aber immer nur von sechs oder sieben“, soll Elias Canetti gemeint haben. Von diesen sechs oder sieben Freundschaften wird keine wie die andere sein, und den einen Freund kann man dem anderen nicht erklären, manchmal nicht einmal nahe bringen. Auch die Freundschaft zum kosmischen Du wird durch Worte sofort schal und flach. Oft spricht man nicht einmal davon, manchmal zu niemandem, obwohl diese Freundschaft eine treibende Kraft, ein sehr authentischer Kernbereich des eigenen Seins ist. Authentisch in so weit ausgelegtem Sinn, dass sie bis in die Extreme tragen wird, bis in die eigene Vernichtung, Qual und den Tod: man trägt diese Freundschaft durch alle Wandlungen hindurch, und sie selber trägt einen auch. Was hier gemeint ist, beschreibt Simone Weil in ihren Tagebüchern (4) zwischen Beschäftigung mit der Bhagavadgita und Thomas von Aquin kryptisch mit „Augenblick des Nicht- Denkens, Pol, Eintreten der Ewigkeit in die Zeit.“


________________________Anmerkungen & Verweise

1 Simone Weil, Cahiers 1. Aufzeichnungen. München Wien 2017, S 106f
2 Rudolf Steiner, Welche Bedeutung hat die okkulte Entwicklung des Menschen für seine Hüllen und sein Selbst? Dornach 1976, S. 96
3 Sri Aurobindo zitiert in A.H. Almaas, Essenz. Der diamantene Weg zur inneren Verwirklichung, Ulm 1997, S. 76
4 Cahiers 1, S 287
* Simone Weil in Cahers 1, S. 305 über diese hier gemeinte Leere: "Ein Augenblick der Leere im Denken lässt bei äußerster Aufmerksamkeit die folgenden Gedanken an Kraft zunehmen und erhebt sie in den Bereich der Erkenntnis der zweiten Art." (..)

Folge der Wut und der Gralsritter ist dein

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Seit langem besichtigen die Netzgemeinde, die Wächter und Gesetzgeber die Schäden, die die Entwicklung der Netze auch verursachen, die von einer Utopie der globalen Öffnung und des kommunikativen Austauschs zu einem Spielfeld von Hetzern, Konspirationisten, Ideologen und Geheimdiensten verkommen sind- jedenfalls, spätestens seit Pizzagate (1) und dem denkwürdigen Wahlsieg Donald Trumps, aber auch der Hetze gegen die Politik Angela Merkels in Sachen Flüchtlingspolitik, hat das Netz die Motorik des politischen Handelns verändert.

Lange Zeit hat das die Taschen und Klickzähler der Rechtspopulisten gefüllt, aber auch, quer über den Globus, die konkrete Macht von Nationalisten, Despoten und diversen Regimes befördert. In Myanmar wurde der buddhistische Völkermord an den muslimischen Rohingya (2) via Facebook organisiert, vor allem aber die kollektive Hetze angeheizt, um einen Genozid anzuzetteln. Das hat im Februar 2020 immerhin dazu geführt, dass Deutschland seine Entwicklungshilfe an Myanmar eingestellt bzw an die Lager der Vertriebenen umgeleitet hat. Die Essenz daraus ist auch, dass ethnische Vertreibungen und Völkermorde heute effektiv durch Social- Media- Mittel organisiert werden können, und zwar auf denkbar unkomplizierte Weise.

Aber auch im demokratischen Diskurs neigt die Social- Media-Blase dazu, sich zu erhitzen und Bestätigung im Echo der Gleichgesinnten zu suchen- ein sich verstärkender Effekt, der dem Gewerbe wie Facebook und Co entgegen kommt, da mit erhitzendem Diskurs und sich füllenden Kommentar- Spalten der Traffic ansteigt, und mit diesem die Werbeeinnahmen. Die Mechanik der Rückkopplung zwischen politisierter Wut und dem, was wiederum durch Werbe- basierte Unternehmen und in politischen, individualisierten Kampagnen zurück gespiegelt wird, ist im Skandal von Cambridge Analytica (3) aufgeflogen- ein Abgrund, durch den Strategen wie Steve Bannon (4) die demokratischen Kräfte in den USA systematisch schwächen und dem politischen Nihilisten Trump Wählerstimmen (5) zuspielen konnten. Aber dieser Effekt war nur ein Teil des Abgriffs der Daten von Hunderten von Millionen Nutzern und deren Facebook- Freunden- es gab, wie so oft in solchen Affären, auch konkrete geschäftliche Interessen: „Im Guardian berichtet der ehemalige Facebook-Manager Sandy Parakilas, dass Datenabgriffe und Weitergaben wie die von GSR trotz interner Warnungen an der Tagesordnung waren. Als er gegenüber Vorgesetzten die Vermutung geäußert habe, dass es „eine Art Schwarzmarkt für Facebook-Daten“ gebe und Drittanbieter deshalb strenger auditiert werden sollten, lautete die Antwort demnach lediglich: „Willst du wirklich sehen, was du dann findest?“ Facebook profitierte massiv von den vielen Drittanbieter-Apps: 30 Prozent jedes In-App-Kaufes mussten diese an die Plattform abführen, dafür gewährte Facebook den Programmierern unkontrollierte Freiheit. Dass die irrwitzige Möglichkeit für App-Anbieter irgendwann endlich eingestellt wurde, auch die Daten von Freunden ihrer Nutzer abzugreifen, ist da nur ein Tropfen auf den heißen Stein.“ (3)

In der Folge hat eine Diskussion um die Regulierung dieses Daten- Hyper- Kapitalismus zwar - etwa in der DSGVO, einer Kontrolle der Freigabe der persönlichen Daten im Netz - nicht nur begonnen, sondern auch eine Gesetzgebung in Gang gesetzt, und auch Facebook verzichtet inzwischen auf kriminelle Apps und dauernden Zugriff diverser Interessengruppen auf die persönlichen Daten. Die Diskussion um die Sozialen Netzwerke ist zum Alltags- Thema geworden- etwa wenn Twitter die hetzerischen und falschen Nachrichten Donald Trump vorsichtig kommentiert und als Falschmeldungen kennzeichnet, während Facebook dies bewusst unterlässt. In der europäischen Kultur- Zeitschrift Lettre International untersucht Geert Living in „Requiem fürs Netzwerk“ die schwer auszulotenden und nicht zu fixierenden Beziehungen zwischen dem technischen und dem sozialen, dem kommunikativen, manipulativen, individuellen und kollektiven Netzwerk. Auch wenn wir alle längst begriffen haben, dass „isolierte Einzelpersonen in den sozialen Netzwerken (..) weniger stark (sind) als intrigante Kräfte, die auf Bot- Armeen und kontinuierliche Medienmanipulation zurückgreifen“ (6) können, auch wenn wir sehen und verstanden haben, wie unsere Daten abgegriffen und durch personalisierte Werbung ersetzt werden, können wir nur mit Erstaunen wahrnehmen, wie viele, uns persönlich oder im Netz bekannte Persönlichkeiten dennoch allmählich in intellektuellen Parallelwelten versinken, in ein bizarres Gespinst von sinnentleerten Pseudo- Argumenten, die häufig auf Quellen zurück greifen, die, auf ausländischen Servern vor jeder Gesetzgebung geschützt, Unmengen von schwer nachzuprüfenden Untersuchungen, angeblichen umfänglichen Recherchen, Insider- Informationen und pseudo- wissenschaftliche Berichte enthalten, die kein Mensch mehr auseinander dividieren, bewerten und abgleichen kann. Man mag die Absicht, die in Desinformation basiert, sehr wohl sehen, aber man müsste Jahre des Lebens damit verbringen, die pure Datenmenge argumentativ zu widerlegen.

Solche Pseudo- Recherche- Pools bilden momentan die Grundlage für die diversen Schlachten der populistischen Info- Krieger in den sozialen Netzwerken. Ein Beispiel dafür ist das (wie Cambridge Analytica pseudo- seriös operierend und sich darstellend) „Swiss Policy Research“ (7), das, offensichtlich mit anti- westlicher Intention, Machenschaften der demokratischen Medien enthüllen möchte, wozu aktuell natürlich Datensammlungen gehören, die die geringe Letalität des Covid19- Erregers belegen sollen (8). Einen Einblick in die sarkastische Arbeitsweise dieser obskuren Seite gibt die Untersuchung in Bezug auf Russische Propaganda (9), die als Operationsmethode exakt das beschreibt, was die „Swiss Policy Research“ selbst betreibt: „Am wirkungsvollsten ist dieser Ansatz, wenn eine Einseitigkeit oder Unvollständigkeit der westlichen Berichterstattung nachgewiesen und dadurch das Vertrauen ins westliche Mediensystem insgesamt erschüttert werden kann..“ (9) Die Kehrwendung lässt auch nicht lange auf sich warten. Die anti- westliche Sicht der Dinge erfordert, dass Wahlbeeinflussungen geleugnet und amerikanische Geheimdienste beschuldigt werden: „Weiterhin unbelegt ist hingegen eine angeblich russische Wahlbeeinflussung durch Facebook oder Computerhacks. 2018 wurde eine vom US-Kongress beauftragte Beratungsfirma zudem erwischt, wie sie selbst ein »russisches Botnet« vortäuschte, um eine US-Senatswahl zu manipulieren.“ (9) Machart, Stil und Agenda erinnern stark an den Schweizer Waldorfschüler und „Friedensforscher“ Danielle Ganser, der - laut Psiram (10)- auch häufig auf „Swiss Policy Research“ verweist: „Trotz Anonymität ist Swiss Propaganda Research eine häufig von Truthern und Internetprojekten aus deren Umfeld zitierte Internetadresse. Artikel die als Autor "Swiss Propaganda Research" nennen finden sich im Blog Free21. Artikel bei SPR wurden beispielsweise wohlwollend bei Nachdenkseiten verlinkt, oder von Rubikon News.[3] Das von Daniele Ganser betriebene SIPER-Institut verlinkt zu einer SPR-"Studie" mit dem nicht zitierbaren Hinweis "Erschienen Oktober 2016 Umfang 21 Seiten Autor Swiss Propaganda Research".[4] Ganser selbst bewarb SPR mehrfach, so in einem Interview[5]. Zitiert wird SPR zudem von dem fragwürdigen Medienprojekt Kla tv[6], welches dem Schweizer Sektenführer Ivo Sasek zuzuordnen ist. Auch Ullrich Mies und der russische Staatsender Sputnik nutzen das anonyme Projekt als Quelle.“ (10)

Dass mäßig informierte Zeitgenossen auf die pseudo- wissenschaftlichen oder scheinbar journalistischen, korrekt recherchierten Beiträge solcher Truther- Seiten herein fallen, ist das eher marginale Ziel- propagandistischer Schrott wie die Pizzagate- Aufgüsse (11), die die Verwicklung westlicher Eliten und politisch Handelnder in Pädophile Netzwerke auflisten und suggerieren, dienen als Grundlage für die Wutbürger, die die Netze fluten, aber sich auch in Anti- Corona- Demonstrationen auf den Straßen sammeln. Die Netze brauchen diese Wut als Treibstoff, befeuern sie aber auch: „Der 8chan Gründer Fredrick Brennan ist einer der wenigen, die öffentlich auch kritische Überlegungen äußern: „Es gibt diese Vorstellung, dass die besten Ideen dann aufkommen, wenn es eine schrankenlose Freiheit der Meinungsäußerung gibt. Aber ich glaube, dass stimmt nicht mehr. Ich meine, ich habe mir 8chan angeschaut und war Admin- und es ist hier vielmehr so, dass letztlich jene Meme siegen, die am meisten Wut erregen““. (6)

In Bezug auf die kleine, gesellschaftlich ohnehin isolierte anthroposophische Gemeinschaft hat die medial und liberal offene Gesellschaft geringe Attraktivität, obwohl zahllose Gruppen mit Tausenden von Lesern in den offenen Netzen aktiv sind. Die Verführung, Propaganda- Maschinen wie die der Gansers und KenFMs zu folgen, liegt offenbar in dem pseudo- okkulten, elitären Selbstbild, einer zu sein, der hinter die Kulissen des Weltgeschehens schaut. Der Spießer, der sich als geistiger Weltbürger fühlt, empfindet Empörung über die Ränkespiele der westlichen Eliten, den Rockefellers, Soros und Gates. Diesen Machenschaften will der mit dem Gewicht Jahrtausende alter geheimer Mysterien befrachtete Anthroposoph entgegen treten, und zwar gerne in den ihm vertrauten Facebook- Gruppen. Rundbriefe, anthroposophische Zeitschriften wie „Das Goetheanum“ oder „Die Drei“ unterstützen derartige Enthüllungen dezent, während ein Coronablog der anthroposophischen „Akanthos- Akademie“ (12) dem Virus sozusagen direkt die Maske herunter reisst, und mit ihm auch die „Gehirnwäsche“ der deutschen Regierung enthüllt: „Nicht nur die Grundrechte wurden in der Corona-Hysterie ausgehebelt, sondern die Wahrheit und sogar die Wirklichkeit. Die Regierung stellt sich mit atemberaubender Unverfrorenheit über die Wirklichkeit und definiert ihre eigenen Wahrheiten – und (fast) alle machen mit. Die Gehirnwäsche hat zu gut und zu nachhaltig funktioniert, und ich frage mich, wann die Leute aus dem geistigen Koma, in das sie sich haben versetzen lassen, erwachen werden. Für wahrheitsliebende und wissenschaftlich denkende Menschen sind die obigen Aussagen der Regierung nahezu unerträglich. Ich frage Sie, liebe Leserinnen und Leser: Würden Sie sich zu solchen Lügen – denn es sind offensichtliche Lügen – herablassen?“ (12) Nein, natürlich nicht.

Corona- Truther Christoph Hueck, Ganser mit seinen 9/11- Geheimarmeen und der schrille KenFm mit seinen Hunderttausenden von Followern- ist das, was übrig geblieben ist von der einst breit schillernden anthroposophischen Szene? Es ist offensichtlich der Bodensatz des gemeinsamen Nenners: Wir durchschauen das, was Sinne, Logik und Konsens uns vorgaukeln und ergreifen die höhere Wirklichkeit. Die besteht heute eben nicht mehr in den Hierarchien von Engeln und Erzengeln wie im 20. Jahrhundert, sondern in den durch- phantasierten Machtstrukturen der geheimen Mächte von George Soros bis Bill Gates, der uns alle durch- impfen und etwas Materialistisches wie einen Chip in uns einpflanzen will. Dass dies nun selbst der materialistische Bodensatz von Agitation, übler Nachrede und Irrsinn ist, wird den Gralskämpfer nicht beirren. Wir kommen, Rudolf Steiner, wir werden den Gral schon holen!


-------------------links & verweise

1 https://de.wikipedia.org/wiki/Pizzagate
2 https://de.wikipedia.org/wiki/Rohingya:„Für den April 2019 hat die Regierung von Bangladesch den Beginn der Umsiedlung von Rohingya-Flüchtlingen auf die bisher unbewohnte Insel Bhasan Char angekündigt, auf der man in den Jahren zuvor eine Infrastruktur und Unterkünfte aufgebaut hatte. Rund 100.000 Personen sollen auf der abgelegenen Insel angesiedelt werden.[43]

Anfang 2020 verurteilte der Internationale Gerichtshof Myanmar wegen den Massenmorden an den Rohingya und verpflichtete das Land, Sofortmaßnahmen zum Schutz der Minderheit zu ergreifen. Zudem muss das Land regelmäßig Bericht über diese Maßnahmen erstatten.[44][45] Wegen des Völkermordes stoppte Deutschland im Februar 2020 seine Entwicklungshilfe für Myanmar. Die Gelder fließen seitdem stattdessen in die Versorgung der Rohingya-Flüchtlinge in Bangladesch.“

3 https://netzpolitik.org/2018/cambridge-analytica-was-wir-ueber-das-groesste-datenleck-in-der-geschichte-von-facebook-wissen/

4 Bannon war, als ehemaliger Breitbart- Chef, direkt in den Cambridge Analytica Skandal verwickelt, wurde, offenbar zum Teil auch insofern getäuscht, als das ihm angenehme akademische Umfeld ein Fake war, das ihm kriminelle Datenhändler vorspielten: „„So gaben wir Steve [Bannon] den Eindruck, dass wir eine Menge an Operationen hätten, die aus der Universität kommen“, sagte Wylie gegenüber dem Guardian. „Wir veränderten, wie er wahrnahm, wer wir waren und was wir machten“. Die neu gegründete Tochter Cambridge Analytica zu nennen, sei dann auch Bannons Idee gewesen, sagte Wylie. Steve Bannon wurde später Vize-Präsident der neu gegründeten SCL-Tochter, Robert Mercers Tochter Rebekah wurde Mitglied im Vorstand.“ In 3

5 „In den Sozialen Medien hat die Trump-Kampagne auf dieser Basis unter anderem gezielt Negativinformationen über Hillary Clinton an Frauen und People of Color ausgespielt, um sie zu demotivieren und vom Urnengang abzuhalten.“ In 3

6 Geert Lovink, Requiem fürs Netzwerk, LI 128, S. 46f
7 https://swprs.org/
8 https://swprs.org/covid-19-hinweis-ii/
9 https://swprs.org/russische-propaganda/
10 https://www.psiram.com/de/index.php/Swiss_Policy_Research
11 https://swprs.org/geopolitik-und-paedokriminalitaet/
12 https://www.akanthos-akademie.de/2020/06/07/corona-die-macht-und-der-verlust-von-wahrheit-und-wirklichkeit/

Opfer- Dag Hammarskjölds politische Mystik

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Wie so oft, lässt sich wenig sagen zu Lebensentwürfen, mit denen Menschen sich umgeben, die sie einatmen, die ein Teil ihrer Identität ist. Manche, das ist klar, tun ihnen gut, beflügeln sie, passen ins berufliche und gesellschaftliche Bild- und mit anderen steht man sich selbst im Weg, leidet, ohne es wirklich ändern zu können, an einer toxischen Präokkupation, einer Besessenheit, wider alle Vernunft, ja sogar entgegen der eigenen Einsicht. Manchmal entsteht in diesem Entwurf, der sich oft ja so früh, in der Kindheit oder frühen Jugend, ankündigt, so etwas wie ein biografischer Grundton, der dieses Leben durchzieht, durch alle farblichen Changierungen hindurch, und manchmal hinderlich, manchmal fördern wirkt- wer wollte das auch wirklich beurteilen?

Nun, die Partner tun das, zum Beispiel, die es möglicherweise nicht mehr aushalten, die immer gleichen, eventuell destruktiven, eventuell zwanghaft getriebenen Verhaltensweisen zu ertragen. Urteile sprechen auch, in berühmten Fällen, die Zeitgenossen oder sogar die Geschichtsschreiber aus. Ein solcher Fall war der schwedische UN- Chef Dag Hammarskjöld, der das Amt und die diplomatischen Aufgaben entscheidend geprägt, ja der etwas wie „Reise- Diplomatie“ in Zeiten des Kalten Krieges geradezu erfunden hat. Sein Tod auf einer diplomatischen Aktion in Afrika - ein Flugzeugabsturz - war damals daher ein globaler Schock: „Die Nachricht von Hammarskjölds Tod kam im Laufe des 18. September 1961 über Radio, Fernsehen und Abendzeitungen. Die Tageszeitungen sahen sich genötigt, Extrabeilagen zu drucken..“ (1) In seiner Reisetasche fanden sich: Die Nachfolge Christi von Thomas von Kempen, das Neue Testament, die Psalmen und Martin Bubers Ich und Du. Und natürlich fand man Hammarskjölds berühmtes spirituelles Tagebuch Zeichen am Weg, das posthum erschien und seitdem in seiner Mystik, der individuellen, unkonventionellen Christus- Nähe und dem darin widergespiegelten Opfer- Mythos immer wieder diskutiert worden ist. Manchen erschienen die im Tagebuch vorgetragenen, am Ende gesteigerten, aber stets kryptischen Aussagen zum Opfer wie eine Prophetie in Bezug auf die letzte Mission, bei der sein Flugzeug, was bis heute unklar bleibt, abgeschossen worden sein könnte:

Von sich
Wird er die Jacke werfen
Und mit aufgerissenem Hemd
Sich vor die Mauer stellen
Vor die Gewehre“ (2)

Natürlich hat diese Mystik viele Kritiker gefunden, vor allem auf kommunistischer Seite. Posthum wirkte sein Flug in den Kongo Mut seinen desaströsen politischen und strategischen Fehleinschätzungen wie eine „Verzweiflungstat, mehr von der Angst vor einem würdelosen Abgang getrieben, denn aus mehr oder weniger rationalen Hoffnungen, die Kongo- Krise zu lösen. Hier entsteht der Gedanke, der von vielen Kritikern vorgetragen wurde, dass seine Urteilskraft von religiöser Opfermystik und Träumen vom Märtyrertum getrübt gewesen sei. Andere sind noch weiter gegangen und haben den Generalsekretär beschuldigt, seinen eigenen Tod bewusst in Kauf genommen zu haben.“ (3)

Das kann man hinterher, auch in Kenntnis der posthum erschienenen Tagebücher, leicht so deuten. Vermutlich war die Mission, bei der die Fehleinschätzungen in einem kolossal chaotischen Umfeld, in dem sich Bürgerkriegsparteien und ehemalige Kolonialmächte um Einfluss und um Bodenschätze bekämpften, nicht von Hammarskjöld getroffen wurden, eine schwierige Mission wie andere auch. Der Charakter von Hammarskjölds Grundton - Mystik hatte vielleicht im Amt und im Laufe der Zeit zugenommen, aber das Thema Selbstopfer war bei ihm sei Jugendtagen an vorhanden und dominant.

Hammarskjöld entstammte einer hoch geehrten, überaus einflussreichen schwedischen Adelsfamilie, die sich schon im frühen 17. Jahrhundert gegen das Königshaus positionierte und deren Namen eigentlich ein Adelstitel darstellte- um die Familie durch eine Art frühes Beamtentum in die Belange des Staates einzubinden. Eine ganze Reihe der Nachkommen dieser Familie schafften es dann auch bis auf Staatsrats- Positionen, mindestens aber in leitende Beamtenposten im Dienste des Landes. So war auch Dags Vater eine prinzipientreue, repräsentative Person, allerdings mit unangenehmem Charakter mit anhaltendem „Desinteresse an anderen Menschen“ (4). Der Erwartungsdruck auf die Jungen der Familie entstammte einer Jahrhunderte alten Tradition, bei der eine Formulierung wie „Papa bildet die Regierung“ normal war. Tatsächlich trat der Vater 1914 das Amt des schwedischen Ministerpräsidenten an- um eine „Beamtenregierung“ zu gründen. Während des Ersten Weltkrieges hielt Schweden eine neutrale Position zwischen den Fronten, was allerdings zu Konflikten mit den Alliierten führte. Schweden rutschte selbst in eine Wirtschaftskrise, schon weil die Importe aus dem Westen, was vor allem Getreide betrifft, blockiert waren: Die Neutralitätspolitik von Vater Hammarskjöld ließ das Volk hungern. Man ließ das auch am Sohn, Dag, aus, wie sein lyrisches Tagebuch zeigte: „Ohrfeigen lehrten den Knaben/ dass seines Vaters Name/ ihnen verhasst war.“ (5) diese Situation, für einen unnahbaren, kalten Vater gerade stehen zu müssen, isoliert zu sein und diese Art von Prominenz vor sich her zu tragen, hat Dag Hammarskjölds geprägt. Aber auch der Druck, der auch nach dem Rücktritt des Vaters 1919 auf dem Jüngsten der Söhne lag, der ebenbürtige Leistungen auf der Schule vorzuweisen hatte.

Dags distanziertes Verhältnis zu sexueller Nähe hat immer Spekulationen befeuert („Er senkte den Blick/ nicht zu sehen den Körper/ ihn nicht zu begehren“), ebenso wie seine individuelle Beziehung zu Christus, die er in die Worte fasste, er habe sein ganzes Leben „Verhandlungen mit Gott“ geführt. Aber er hatte die Privilegien, solche Fragen schon als Student mit Personen wie dem Erzbischof Natham Söderblom und anderen prominenten Intellektuellen freundschaftlich zu besprechen, was ihn vielleicht auch zu einem Studium der Philosophie führte. Hammarskjöld war fasziniert von interessanten Denkern, auch wenn sie charismatische Nihilisten - vor allem aber, wenn sie lebhafte Denker und mehrschichtige Personen waren. Trotz allem konzentrierte sich Hammarskjöld auch auf das Studium der Volkswirtschaft und mit konkreten politischen Positionierungen. Er erlebte im Rahmen seiner sozialen gesellschaftlichen Kontakte aber auch international bekannte Schriftsteller, Philosophen und Politiker, der Vater eines seiner engen Wanderfreunde war Chef der Reichsbank. In den Briefen mit diesen Freunden lernt man die Persönlichkeit Hammarskjölds kennen, einen „extrem prüfenden, selbstreflektierenden und Selbständigkeit suchenden Intellekt“ (6)

Neben seinem Studium von Volkswirtschaft, Jura, Wirtschaft und Philosophie interessierte Hammarskjöld auch Literatur, wobei Joseph Conrad, insbesondere mit seiner Figur Lord Jim (und wahrscheinlich den komplexen Charakteren, die ins Dunkel der Nacht und des Dschungels verschwinden), ihn im Inneren berührte, den dieser Jim ist, nach einer langen Geschichte von Fehlern und Versäumnissen im Exil, am Ende bereit, sich selbst auszuliefern und damit zu opfern. Diese Figur bezeichnet Hammarskjöld in seinen Briefen als „einen von uns“- und verteidigt diese Aussage auch, denn er muss anerkennen, dass die Bereitschaft, den „Kampf des Lebens“ (7) bis zur Selbstaufopferung zu bestehen, gleichzeitig eine elitäre Anmaßung sein könnte, die alle diejenigen, für die „that do not count“ gilt, ausschließt.

Für Hammarskjöld war die Selbstaufopferung der klarste Ausdruck seiner Herkunft, seiner Ambitionen und seiner Interpretation des privilegierten Staats- Beamtentums, das seine Familie seit vielen Generationen repräsentierte. Mit Lord Jim im geistigen Gepäck zog Dag Hammarskjöld 1926 in den Klub der Nationalen Wirtschaft in Stockholm ein, wurde 1936 Staatssekretär im Finanzministerium, von wo es in der höchsten Karriere in der schwedischen Staatsverwaltung keine ernsthaften Hindernisse mehr gab. Nach der Wirtschaftskrise arbeitete Hammarskjöld für die Sozialdemokraten, die daran gingen, Schwedens Wirtschaftssystem grundlegend zu reformieren. Dazu gehörten essentielle Fortschritte wie Hygiene in den Wohnungen, bezahlter Urlaub und angemessene Grundschulzeit. Hammarskjöld, der immer wieder als unnahbar und persönlich indifferent geschildert wurde, entwickelte sehr wohl Fürsorge für die Kinder eines verstorbenen Bruders, feierte mit Kollegen und entwickelte lange andauernde Freundschaften, auch in die Zeit hinein, in der er UN- Sekretär wurde. Er war ein absoluter Workaholic, in einer elitären gesellschaftlichen Position, im Verlangen nach einer einzigartigen Karriere, aber auch einer persönlichen „scheu vor der Blöße meines Wesens“ (8), die nicht zu überwinden war. Er verzichtete auf das „Gefühl für das Recht, sich jemandem aufzudrängen“ (8). Während Hammarskjöld in den Kriegsjahren zum Chef des Zentralbankrats ernannt wurde, fand er Erholung in ausgedehnten Wanderungen in Lappland, gern auf unbefestigten Wegen ins Gletschergebiet hinein. Zeltgenossen beeindruckte er gern mit stundenlang frei vorgetragenen Gedichten.

Zwar wurde Schweden nach dem Krieg wegen seiner Neutralität etwas misstrauisch von den Alliierten beäugt, Hammarskjöld mit seiner Bildung war aber als Unterhändler für Wiederaufbau- Pläne in Europa dennoch willkommen. Sehr bald wurde er zum Außenminister berufen, lehnte jedoch ab. Stattdessen wurde er 1951 Außenhandelsminister. Dem folgte 1953 die Ernennung zum Generalsekretär der UN- ein Posten, den Hammarskjöld bis zu seinem Tod glanzvoll und voller Selbstvertrauen ausfüllte.

Zu dem Bild, das wir durch Hammarskjölds „Zeichen am Weg“ kennen, gehört aber auch ein Mehrfaches: Nicht nur Selbstzweifel, sondern Verzweiflung (1951/52): „Unmöglich, wofür ich kämpfe: dass mein Leben Sinn erhalten soll.“ (9) Und zugleich, ganz innerlich, der Wunsch, „für des Lebens lichten Mut ein Flussbett sein“ (10) zu wollen und dabei „nicht auf der Erde (zu) lasten“. Bevor er, nun schon höchster schwedischer Beamter, zur Tätigkeit als Generalsekretär berufen wurde, wurde seine Vorstellung vom Opfer, das bislang doch immer die Karriere- und Elite- Perspektive behalten hatte, endgültig zur Vorstellung, „dass einer sich ganz dem hingibt, was er lebenswert gefunden hat“ (10). Zu diesem Zeitpunkt kommt aber zu diesen Schichten auch eine lange Schilderung der Fußwaschung Christi, auch an diesem Punkt zweifelnd: „Opferte er sich für andere doch um seiner selbst willen- in einer erhabenen Egozentrik? Oder verwirklicht er sich selbst um anderer willen?“ (11) Ebenso hinterfragt Hammarskjöld seine eigene „Klaustrophobie der Seele“, das „Unerlöste beim Machtmenschen“ und lehnt die blasse Interpretation von „Vulgärpsychologen“ (12) ab. Erstaunlich, dass ihn das jugendliche Schwärmen für „Lord Jim“ auch noch Ende 1951 begleitet, ja geradezu die Kraft gibt für den Blick auf die kommenden eigenen Schritte, „wo er zum absoluten Mut gelangt und zur absoluten Demut in absoluter Treue zu sich selbst“ (13).

Das alles ist aber nur der Einklang in eine immer tiefere Mystik, die Hammarskjöld auf die Höhe seiner Karriere als Generalsekretär begleitete, bis hin zum Empfinden, „geweiht“ zu sein, „gebraucht und verbraucht zu werden, nach deinem Willen“ (14). Und er erkennt auch an, dass es das „Erleben der religiösen Wirklichkeit“ ist, die die Schattenseiten, ja die „Nachtseite“ des eigenen Wesens „ans Licht bringt“ (15), die er konkret beschreibt als das, was in uns „die Katastrophe begrüßt“, was von der „Niederlage stimuliert“ (15) werde. Natürlich spielt der Karrierist selbst in die Mystik, selbst in die Stunde des höchsten Triumphes, der Ehre und der Aufmerksamkeit wieder mit hinein. So stellt er sich auch noch wenige Jahre vor seinem Tod die Frage nach dem „Erfolg - zur Ehre Gottes oder zu deiner eigenen, für den Frieden der Menschen oder deinen eigenen? Die Antwort entscheidet über den Ausgang deines Strebens.“ (16)

Noch einmal findet er im Sommer 1959 eine innere Vertiefung im Sinne eines Einklangs, eines Friedens: „Im Zentrum unseres Wesens ruhend, begegnen wir einer Welt, in der alles auf gleiche Art in sich ruht. Dadurch wird der Baum zum einem Mysterium, die Wolke zu einer Offenbarung und der Mensch zu einem Kosmos, dessen Reichtum wir nur in Bruchteilen erfassen.“ (17)

Zwischen belgischen Söldnertruppen, von der CIA bezahlten Koalitionen um Mobutu, rhodesischen Fremdenlegionären, in der brütenden Hitze Leopoldvilles, schwersten Vorwürfen der westlichen Welt bezüglich seines UN- Einsatzes, einem wütenden britischen Außenminister, scheiterte Hammarskjöld in seinen Versuchen, mit den lokalen Matadoren zu verhandeln. Es gab, wie so oft in diesen UN- Missionen, kaum Perspektiven und praktisch keine Hoffnung. Auch diesmal hielt das Hammarskjöld nicht im geringsten auf. Aber diesmal stürzte er wirklich ab: „Dag Hammarskjölds Körper wies als einziger keine Verbrennungen auf. Er lag rein Stück vom Flugzeug entfernt in der Nähe eines Busches mit einem Grasbüschel in der Hand friedlich auf dem Rücken.“ (18)


-----------anmerkungen, verweise


1 Henrick Berggren, Dag Hammarskjöld, Das Unmögliche möglich machen. Die Biografie. Urachhaus, Stuttgart 2017, S. 207 
2 dito S. 204
3 dito S. 204
4 dito S. 21
5 dito S. 32 Man nannte den Vater im Volk „Hungerskjöld“
6 dito S. 46
7 dito S. 53
8 dito S. 72
9 diro S. 89
10 Dag Hammarskjöld, Zeichen am Weg, München/ Zürich 1965, S. 64f
11 dito, S. 67
12 dito, S. 70
13 dito, S. 76
14 dito, S. 109
15 dito, S. 130
16 dito, S. 131
17 dito, S. 150
18 Berggren, S. 218

Erklärung einiger Dinge mit entblösstem Unterleib

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Erstens. Der Kater entfernt einen Schädel


Oft, sehr oft denke ich, wenn ich mit Anthroposophen umgehe, an Michail Bulgakows „Der Meister und Margarita“, wobei man hier wie dort nicht weiß, worum es sich genau handelt, um „Ausführungen“, die sich um Jesus Christus „drehten“ (1) oder um einen „mit lauter negativen Zügen“ ausgestatteten Jesus, von dem man sowieso wusste, dass „alle Erzählungen über ihn Erfindungen, ganz gewöhnliche Mythen“ (1) gewesen seien?

Man weiß es nicht, aber es war immer wieder skurril oder komisch, manchmal auch bitter. Da waren die Typen, die einem erschienen, als hätte der Kater ihnen den Kopf entfernt: „Der Kater zielte sorgfältig und steppte den Kopf auf den Hals, und er saß wieder an seiner Stelle, als wäre er nie weggewesen. Und das schönste, nicht einmal eine Narbe war am Hals zu sehen.“ (2)


Zweitens. Einer hängt dir am Ohr


Einer dieser Typen hängt dir am Ohr, als du in der örtlichen Waldorfschule die Decke renovierst (Leistungen in Eigenregie, engagiertes Elternhaus, es ist August, das Dach teuer isoliert, aber dennoch allzu nah), dort oben auf dem Gerüst, er hängt dir, während du streichst, am Ohr und erklärt dir, dass Jesus nie gestorben ist, sondern in Südfrankreich in einer Höhle lebt, dort, wo ungefähr Maria Magdalena seinerzeit an Land gegangen ist, um den langen Weg durch die heiligen Kraftorte bis nach Nord- England zu schreiten, überall dort, wo frühe Mysterien- Orte und spätere Sakralbauten der Kirche entstanden, Kraftorte eben, die man noch heute spüren und an denen man sich aufladen kann, weil die überall vorhandene negative Energie und die Elektrizität einen doch der ätherischen Kräfte berauben, ebenso wie die Radioaktivität, wobei dabei die Sache noch anders wäre, das hätte der Meister ja erklärt, dass diese die Erde auflöse und weiter entleiblichen werde, was gut und willkommen sei, um einen rein geistigen Ort entstehen zu lassen, einen nicht- leiblichen, von Christus- Energie durchwebten Raum, der eigentlich kein Raum mehr sei, aber dennoch ein Ort, an dem ein neuer kosmischer Keim sich entfalten würde, von dem er und ich ein Teil wären, so wie auch alle anderen Menschen eines guten Willens.

Da löste sich ein Schleimpfropf aus dem über meinem Kopf geschwenkten Quast und platschte mir unversehens auf den Schoß, als entspränge dort der kosmische Keim des künftigen Universums. Wie peinlich. Der Kerl, der neben mir auf dem Gerüst saß, aber eigentlich keinen Finger rührte, starrte mir auf den in einer Latzhose befindlichen Unterleib, was relativ angenehm war, weil seine aufgerissenen Augen mit dem bedeutungsvollen Stirnrunzeln und dem Rahmen von langen, abstehenden Haaren, als wäre die Frisur ein Ausrufezeichen, ohnehin geradezu lähmend wirkten, vor allem im Verbund mit der unaufhörlich plappernden Stimme. Vielleicht hatte ihm der Kater den Kopf falsch herum wieder aufgesetzt. Was wusste ich sonst von ihm? Na, er war schon über 50, und hatte eine junge dralle Waldorf- Mutter durch sein Schwafeln, möglicherweise, bewusstlos geredet, wodurch sie offenbar nochmals zweimal schwanger geworden war, bevor sie ihn zu ersten Mal genauer anschaute. So etwas passiert. Und jetzt hockte er neben mir, am Wochenende, auf dem Gerüst, um abends seine Kinder zu sehen, und erzählte mir von Jesus in Südfrankreich. Nun, ich würde einfach weiter streichen.

Drittens. Andere Zeiten und wohin die Gesellschaft wohl weht?


Ich dachte an meine Zweigvorsitzende, mit der ich mich im Schloss- Café getroffen hatte. Zwar sprachen wir öfter privat miteinander, aber diesmal hatte sie noch die graue Eminenz mitgebracht, die Frau vom Klassenleser, der in Zweig- Vorträgen übrigens furchtbar herüber kam, so langweilig, so belehrend, so banal, nicht zum Aushalten. Aber er hatte die Stellung, er war mal Gymnasiallehrer gewesen, ich glaube Mathe und Physik, er hatte mal das einzige große anthroposophische Studienhaus der Region gemanagt und leider mit in den Ruin getrieben, was ein schönes Haus und ein schönes Gelände im Sauerland gewesen war, mit alten Freimaurer- Tempeln mitten in den Hügeln und Wäldern. Es ist ein Jammer, dachte ich oft, es ist ein Jammer. Und in der Position war er schon seit dreißig Jahren oder mehr, immer hoch angesehen, obwohl die prachtvollen Räume der Anthroposophischen Gesellschaft in der Innenstadt inzwischen auch längst aufgegeben worden waren, alles verkauft, und man kroch jetzt am Stadtrand in der Aula eines Altenheims unter, Zweig, Vorträge, Eurythmie und alles. Die Rudolf- Steiner Schule wollte die Anthroposophen ja nicht, oder nur gegen eine horrende Miete, was die sich dachten. Die Töchter rebellierten nicht nur, sie wollten einen auch ausnehmen.

Aber natürlich, die Jahrzehnte in der Roßstraße, ich meine, da ist Rudolf Steiner ja noch selbst gewesen und hat die Hierarchien- Vorträge gehalten, kannst du dir das vorstellen? Und dann gab es über ein dreiviertel Jahrhundert zwei Zweige, beide übervoll, auch voller dramatischer Persönlichkeiten und abgründiger Streitigkeiten, ich meine, damals starb man noch daran, kriegte einen Herzinfarkt oder wenigstens Krebs. Oder erschoss sich. Heute entfriended man den Anderen einfach auf Facebook. Ach, das waren andere Zeiten. Ich denke, die Zweigvorsitzende, die übrigens Ute hieß und früher bei Henkel unter dem Vorstand gearbeitet hatte und süße Düsseldorfer Torten liebte, nun, sie ist nicht sehr alt geworden, kannte aber Hinz und Kunz. Sie hasste ihre Stellvertreterin, die lange Jahre so wichtig, so wichtig gewesen war, weil sie einen Biohof hatte und entstörtes Wasser aus der Eifel an Städter mit Porsches verkaufte, aber auch den erleuchteten Doktor in Düsseldorf gekannt hatte, wobei gekannt zu wenig bedeutet, viel zu wenig. Der erleuchtete Doktor hatte seine Praxis im selben Haus wie die Gesellschaft, war aber stolz darauf, völlig unabhängig zu sein, und das war er wirklich. Er erzählte einem nachts gern, wenn man viele Stunden auf den Termin gewartet hatte, Geschichten aus dem eigenen Karma. Die Stellvertreterin hatte inzwischen auch Krebs, und ließ sich kaum mehr blicken, der erleuchtete Doktor war gestorben, was eigentlich nicht hinnehmbar war. Wissen Sie, egal wie der Kater die Köpfe aufsetzt, egal, wohin die Gesellschaft wehte, der Doktor war jemand, den ich liebte: „Übrigens war zu diesem Zeitpunkt oder etwas früher der Magier mitsamt seinem verschossenen Sessel von der Bühne verschwunden..“ (2)


Viertens. Ute isst ein Törtchen


Ich denke, Ute und ihre Freundin aus dem Zweig, die mit mir Kaffee im Schlosspark tranken, ich denke, sie wollten mich prüfen. Das war unversehens eine Bewerbungssituation geworden, und wir sprachen über diverse Disziplinen der Geheimen Wissenschaften. Kaspar Hauser, Tempel, Hierarchien, Planetenzustände, übersinnliche Leiber, und so weiter und so fort. Vermutlich ging es ihnen darum, ob ich mich für höhere Weihen eignete, womöglich für die Zukunft, womöglich für die Klasse. Vielleicht hätte ich etwas sagen müssen. Aber wissen Sie, dann sah ich Ute und ihr zweites Törtchen, und die graue Eminenz ließ eine Bemerkung über Politik fallen, und dann habe ich es womöglich wieder einmal vergeigt, versimst, verdödelt.

Vielleicht habe ich etwas zitiert, was nicht hätte erwähnt werden dürfen, vielleicht habe ich über einen alten Faschisten in ihren Reihen geredet, oder über eine Publikation, die nicht den Kriterien des vom Kater aufgesetzten klaren Kopfes entsprach. Wer weiß es schon, ich habe es immer vergeigt. Und leider, leider hat die einflussreiche Freundin später auf ihrer Facebook - Seite wärmstens, wenn auch mit galligem Ton die AfD empfohlen und vor dem Volksaustausch und vor Angela Merkel gewarnt, was ich merkwürdig fand für Menschen, die Andere rekrutieren und vielleicht, im Team mit ihrem Oberstufen- Lehrer- Langweiler von Mann, in die höheren Weihen der Klassen- Meditationen Rudolf Steiners einweihen wollten. Man weiß es nicht. Köpfe kommen schneller abhanden, als man sich denken kann. Sie rollen die Treppe vom alten Zweig- Haus herab, wo der Meister selbst gesprochen und wo der erleuchtete Doktor seine Arztpraxis gehabt hatte. Manchmal saß er da und schwieg, als würde er in einen hinein träumen. Manchmal sackte ihm der Kopf etwas ruckartig herab, als schliefe er ein. Dann blickte er auf und sagte Dinge, die aus Bereichen im Inneren stammten, für die ich keine Worte, ja nicht einmal Gedanken hatte. Dann sagte er Dinge, die ich nicht hören wollte. „Die Flut wird kommen“, sagte er, und ich rief ihm, schon im Treppenhaus, nach Mitternacht, entgegen, das wolle ich nicht hören, damit könne und wolle ich nicht leben, und er schwieg: „Die Minuten eilen, ich, Levi Matthäus, bin auf dem Schädelberg, und der Tod ist noch immer nicht eingetreten!“ (3)


Fünftens. Wilhelm auf der Zwergenwiese


So war das damals. Die Stellvertreterin, die leider Krebs hatte und mit dem Doktor eng befreundet gewesen war, die sah auch oft Zwerge und Gnomen. Die war da ganz dem Zwergenwiesen- Wilhelm von Rapunzel (4) ähnlich, der nebenbei noch, Ideologie- konform, jegliches Impfen verteufelt und mit Attila und Donald an die große Covid- Verschwörung glaubt. Die Stellvertreterin schwärmte gern, machte aber auch gute Geschäfte. Das Wasser war ihr eigentliches Elixier, und sie hatte eigene Brunnen in der Eifel und ließ die wohlhabenden Städter neben den Brunnen Urlaub machen. Als immer mehr Japaner in den Vorort zogen, um hier zu leben, baute sie eine Lehrküche und zeigte den Ehefrauen japanischer Führungskräfte, wie man deutschen Braten zubereitet. Sie war damit ein Vorreiter für die Integration. Erst litt der Zweig unter ihren Geschäftsterminen, dann unter ihrer Krankheit. Ute war untröstlich, ja aufgebracht.

Die Damen der Führungsliga um den Zweig herum, die gönnten sich ohnehin nichts. Es ging schließlich darum, die kommende Elite, die nächste Generation heran zu bilden, sie allmählich an die Spiritualität heran zu führen. Ihnen vom Kater die Köpfe gerade rücken zu lassen. Ihnen die Hahnenfedern zu stutzen. Aber die kamen nicht, und wenn sie kamen, glitten sie zwischen den Fingern davon. Ich, zum Beispiel, schwang einige große Reden, aber dann wurde es mir doch zu eng. Da war die alte grantelnde, finster- lippige Dame, die im Zweig seit fünf Jahrzehnten saß, aber sicher seit dreien kein Wort mehr gesprochen hatte. Da war der eloquente, jungenhaft wirkende Arzt, der seit ewigen Zeiten im Zweig meditierte und dabei so rosige Wangen ausbildete, als sei er auf einem Berggipfel zwischen Alpenrosen gebettet.

Da war die noch jung gebliebene, starr sitzende Dame in Wollstrumpfhosen, die einmal bekannte, durch diese regelmäßige spirituelle Übung davon abgehalten worden zu sein, in die Sekte zurück zu gleiten, der sie knapp entronnen war. Da war der pensionierte Bundeswehr- Oberst, der immer zur geistigen Disziplin aufrief, da er doch wenig Zeit für nebensächliche Gespräche übrig hätte, da ihn eine finale Erkrankung hierher geführt hätte, hierher, wo er den Sinn des Lebens in denkbar knapp werdender Zeit zu finden gesonnen sei. Da war, ab und zu, zwischen Weltreisen und Geschäftsterminen, der bescheiden wirkende, hagere Manager, der sich blicken ließ, der ein ganzes biologisch anbauendes Tal sponserte, der seine Kinder zu Bio- Investoren erzogen hatte, der gern gut speiste, in erlesener Runde, mit geistvollen Menschen, gern auch mit Menschen, die exotische Dinge aussprachen und taten (Wünschelruten- Gänger, Karma- Forscher und Freidenker in Skispringer- Manier), was er mit Geschmack und Stil aufnahm, in seiner eleganten Wohnung im stilvollen Ambiente. Hier und dort und du, der Kater gibt kein Ruh. Ich glaube, auch gegen diese Etikette habe ich verstossen. Aber er war natürlich die Ausnahme. Die meisten, die im Zweig um die rechte Anschauung der vorgetragenen Rudolf- Steiner- Texte stritten, wollten einfach recht haben.


Sechstens. Das Imperium schlägt zurück


Weißt du, damals, als allerorten die Gegenkultur blühte, wehte es viele Paradiesvögel in dieses Terrain, und es sah eine Zeitlang so aus, als wäre das eine glückliche Verbindung. Aber dann zog die es die einen zu den Gurus, die anderen engagierten sich bei den Grünen, und die Rechthaber blieben in den Zweigen allein zurück. Die Harpyien bekämpften sich wie eh und je, die schlauen Füchse machten ihre Karrieren im System, denn man kann erst Malkurse Nass in Nass geben und später Häuser und Kliniken entwerfen, in China Vorträge halten und in diversen Vorständen sitzen. Man kann erst alternative Tantra- Kurse belegen, später Arzt werden, und dann die Weleda- Nachrichten heraus geben. Oder Public- Relations- Manager für einen Drogeriemarkt werden. Denk mal, oben spuken die geistigen Hierarchien, und unten kommt endlos Geld heraus. Das funktioniert! Man kann sich anthroposophisch bespiegeln, aber man kann auch das Image verkaufen. Milliarden - Konzerne, schön umgeben von flauschigen esoterischen Gottesbildern. Das hätte sich der Doktor nicht träumen lassen. Hundert Jahre denken und machen und tun. Manche hatten einen Herzinfarkt, andere eine Erleuchtung. Herr Doktor Kühlewind wollte Ordnung herein bringen und rief die Logos- Schüler zur systematischen Übung auf. Aber die Anthroposophen kann niemand disziplinieren. Sie kauen lieber auf ihren alten Knochen wie Fred Feuerstein. Sie rotten sich in Clubs zusammen und üben sich in kollektiver Verachtung Andersdenkender. Sie erklären sich selbst zu Freidenkern und Liberalen, ganz gleichgültig wie reaktionär sie in den Augen des Rests der Welt agieren. Darin besteht ja gerade ihr Freidenkertum, losgelöst zu sein von der Einschätzung der Gesellschaft, der Zeit, des Mainstreams. Sie sind der Anti- Mainstream- Mainstream. Sie sind der universalistische Individualist. Vielleicht wird das Imperium zurück schlagen, aber sie werden mit erhobener Fahne untergehen. Egal, ob der Mainstream sie für zu devot, zu blöd oder zu rechts ansieht- sie selbst, die Erwählten, halten sich immer für ausgewogen. Sie haben das Mitteleuropäer- Sein aus großen Kübeln gesoffen, sind dabei aber nicht besoffen geworden. Und wenn es doch so sein sollte, dass ein Störenfried, ein wollüstiger, sich selbst entblössender Niederling aus der Schar der materialistischen Intellektuellen zynische Anmerkungen ausstösst mit seinem Atem, der keinen Rosenduft kennt, dann sagt man einfach bewusst, klar und mutig michaelisch: „Maul halten am zweiten Kreuz!“ (5)


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1 Michail Bulgakov, Der Meister und Margarita, München 1980; S. 9
2 dito, S 125
3 dito, S. 174
4 „Joseph Wilhelm, Gründer und Geschäftsführer von Zwergenwiese und Rapunzel Naturkost, agitiert gegen Impfen und gegen Abtreibungen, verbreitet Verschwörungsthesen zu COVID19 und sieht das Virus als "intelligentes Wesen", das seine Aufgabe "im großen Spiel der Naturkräfte" erfülle.
https://twitter.com/Alert4_Alert4/status/1261930527617093634
5 Bulgakov, S. 179

Arische Mythen, Anti- Intellektualismus und hyperboräische Superiorität

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Hier, u.a. bei Academia (1) ist ein neuer Forschungsbeitrag Peter Staudenmaiers erschienen, der thematisch fokussiert ist auf die Person Julius Evola- welcher zunächst durch seine lebenslange Freundes- und Arbeitsbeziehung zum angeblichen Christus- Eingeweihten Massimo Scaligero mit Anthroposophie zu tun hatte. Andererseits benutzen beide selbsterklärten Meister gerne esoterische Mythen, die die Einweihung- Thematik und Grals- Bezüge berührten, aus demselben Fundus, aus dem sich auch Rudolf Steiner bediente. 1945 behauptete Scaligero dann ja, nach seiner faschistischen Ära durch ein Einweihungserlebnis mit Christus- Begegnung eine Wandlung durchlaufen zu haben. Auch das, natürlich, eine dieser beliebten Eso- Mythen, die Saulus- Paulus- Wandlung. Danach wurde Scaligero einer der eifrigsten anthroposophischen Autoren mit durchaus anspruchsvollen Themen, bediente parallel aber auch weiterhin Evola und Publikationen der extremen Rechten in Italien. Überhaupt ist, wie Staudenmaier wiederholt nachweist, bei allen Beschönigungen und Verleugnungen die persönliche und politische Nähe Scaligeros und Evola zum Regime Mussolinis unübersehbar: „Scaligero wasn't some minor Fascist. He was one of the most voluble racist propagandists in Mussolini's entourage, publishing dozens and dozens of virulently antisemitic screeds in the Fascist press from 1938 onward. He was especially effusive in his praise for Nazism during World War II. Scaligero applauded Nazi Germany's "determined racist campaign" and eagerly endorsed Hitler's call for a "united Aryan front against Jewry." He held that Fascist Italy and Nazi Germany represented the heroic Aryan resistance against the Elders of Zion and their occult machinations.“ (2)





Für Scaligero stellte die Verbindung zwischen Faschismus, Anthroposophie und dem von ihm praktizierten meditativen „reinen Denken“ eine Position der Superiorität her, die er über Jahre bis zum Höhepunkt der Macht als Berater Mussolinis zelebrierte: „Zentraler Teil dieser magischen Tradition, die letztlich in Evolas Ideal einer SS- Kriegerkaste gipfelte, war der spirituelle Rassismus, der nicht nur eine leibliche, sondern auch geistige Superiorität der Arier über die anderen Rassen postulierte. Im Gegensatz zu den eigenen Darstellungen war diese „Adaption“ des spirituellen Adepten nur eine der Masken, hinter denen sich Scaligero versteckte. Er suchte nach eigenem Bekenntnis stets eine „faschistische Spiritualität“, die er, zusammen mit Evola, in der „solaren“ Natur der anthroposophischen Lehre fand. Die postulierte und praktizierte „Reinheit“ war sowohl rassistisch wie spirituell gedacht- Scaligero suchte immer das körperlose, rein geistige „reine Denken“, was die „solare“ Natur zum Vorschein brachte. Die Fähigkeit zu solcher Praxis war für Scaligero das grundsätzliche Merkmal überlegener Zivilisationen (the principal characteristic of superior civilizations). Rudolf Steiner war für eine solche Zivilisation  (zumindest in Scaligeros Augen) die geeignete arische Galionsfigur. " (3)

Ein Element dieser Superiorität aber war, wie Staudenmaier im aktuellen Artikel heraus arbeitet, der radikale Antisemitismus sowohl Scaligeros wie Evolas. Während Scaligero Einfluss 1938 auf das Mussolini- Regime nahm, sich stärker arisch und germanisch zu positionieren, sich vor allem aber anti- semitisch zu engagieren (4), war Evola ein unorthodoxer Ideologe des extrem antisemitisch ausgeprägten Faschismus, und zwar schon um 1930: „But Evola’s extensive contacts in Germany, along with his idiosyncratic version of the Aryan myth, offered a potential bridge linking Fascist and Nazi racial theories. He was one of the early Italian proponents of an uncompromising antisemitic stance, publishing a stream of articles, pamphlets, and books on race from the early 1930s onward.“ (1)

Evola vertrat eine pseudo- okkulte Arier- Ideologie, die im italienischen Faschismus deutlich weniger ausgeprägt war als in der deutschen Nazi- Ideologie, die dort aber nach 1938 einzog und Evola auch Popularität einbrachte: „When the Rome-Berlin Axis was proclaimed in 1936, it seemed to augur a new era of cooperation between the Fascist and Nazi regimes. Several basic differences nonetheless remained unresolved. Perhaps the most conspicuous concerned racial policy: while Nazi Germany had pursued an antisemitic program from the beginning, Fascist Italy did not follow suit until years later.“ (1)

Evolas okkult- reaktionäre „Revolte gegen die moderne Zeit“ mit ihren antisemitischen Konnotationen erschien seit 1930 auch und gerade in deutschen Publikationen, wie Staudenmaier zeigt, nicht zuletzt unterstützt durch ausgedehnte Vortragsreihen und durch Evolas Bewunderung für die SS als Kriegermythos: „Evola maintained friendly contacts with Nazi race ideologues Ludwig Ferdinand Clauß and Johann von Leers. As his appreciation for Nazi visions of Aryan glory grew, Evola came to admire the SS as an elite order representing superior values.“ (1)

Dass Evola dennoch nicht zum Hof- Okkultisten der deutschen Nationalsozialisten avancierte, lag wohl vor allem daran, dass sich die italienischen Faschisten einerseits als die älteren und ursprünglicheren empfanden: „When the Nazi regime was established in 1933, Mussolini had been in power for a decade, and Fascist thinkers sometimes looked down on their upstart northern neighbors.“ (1) Gleichzeitig traten ideologische Differenzen zu Tage- manche deutschen Nazi- Parteigänger hatten sogar Probleme damit, Italiener als echte Arier anzuerkennen. Andererseits empfanden Scaligero und Evola die biologisch- materialistische Fixierung der Deutschen auf den Holocaust als noch nicht weitgehend genug; die Überlegenheit der weißen Rasse sollte universeller gedacht werden, nicht nur in Bezug auf „Neger“ („Scaligero’s articles combined multiple strands of racism, denigrating the ‘Negroid races’ as bearers of ‘Asiatic-Semitic contamination’ and a constant threat to ‘the white race.’“ (1)), sondern auch in Bezug auf Ideen des Humanismus, der Demokratie schlechthin: „For Evola, Jews embodied all of the destructive forces of modernity, from democracy to humanitarianism to racial mixing. Aryan victory required their elimination.

Der „jüdische Geist“, so schrieb Evola nach 1938, umfasse Körper, Seele und Geist und führe zu Gleichheitsgedanken, Säkularismus und Rationalismus. Die Überlegenheit der arischen Rasse, die sich vor allem in Italienern und Deutschen repräsentiere, sei durch einen radikal rassistischen Staat durchzusetzen, um der orientalisch- jüdischen Zersetzung entgegen zu wirken. Die „olympische“ arische Rasse habe, nach Evola (1) seit hyperboräischer Urzeit kulturstiftend gewirkt. Der totalitäre Staat werde die Superiorität dieser weißen Rasse wieder herstellen durch die Kolonisierung der Welt, aber auch durch eine unverbrüchliche gemeinsame Achse mit den Nationalsozialisten. Im Vorfeld des Kriegseintritts trafen diese Appelle Evolas dennoch zunehmend auf Widerstand in italienischen Reihen, insbesondere bei den Faschisten in Rom, die Evola späten Parteieintritt verhinderten. Mussolini selbst las Evola noch 1941 mit einiger Begeisterung, traf ihn persönlich und setzte ein regelmäßiges Gehalt für ihn durch. Noch 1942 pendelte Evola zwischen Rom und Berlin, um für die gemeinsame Achse zu werben- trotz einiger Widerstände auch bei deutschen Nationalsozialisten seiner Person gegenüber. Auch katholische Kreise opponierten gegen den nebulösen Spiritualismus Evolas.

Während Evola nach dem Krieg ideologisch eine Leitfigur der neuen Rechten blieb, und auch für Figuren wie Alexander Dugin eine wichtige Orientierung darstellte (5), versuchte Massimo Scaligero, sich durch jährlich erscheinende anthroposophisch- sakrale Bücher ein humanitäres Image zu verschaffen. Tatsächlich sammelte er in Rom immer wieder junge und sehr junge Menschen um sich, die er als treue Anhänger belehrte und schulte. Sein Rassismus verschwand, um als elitäres „reines Denken“ meditativ wieder aufzuerstehen. Er erfand sich als durch Christus geadelten Menschheitslehrer neu. Der Anti- Intellektualismus, der in anthroposophischen Kreisen gepflegt wird, blieb als hyperboräische Superiorität Scaligeros Markenkern.

_______________links und bezüge


1 Racial Ideology between Fascist Italy and Nazi Germany: Julius Evola and the Aryan Myth, 1933 – 1943
https://www.academia.edu/43638581/Racial_Ideology_between_Fascist_Italy_and_Nazi_Germany_Julius_Evola_and_the_Aryan_Myth_1933_1943

2 Peter Staudenmaier zitiert in einem Beitrag der Egoisten 2016 https://egoistenblog.blogspot.com/2016/09/eine-huldigung-massimo-scaligero.html

3 https://egoistenblog.blogspot.com/2020/02/massimo-scaligero-der-faschistische.html

4 „Der (in seiner Autobiografie) praktizierende Gutmensch Scaligero bedauerte angeblich auch den Rutsch Mussolini ins antisemitische Konzept Hitler- Deutschlands 1938. Scaligero prangert fanatische Gegner an, die ihn eines „maskierten Antisemitismus“ geziehen hätten, während er selbst damals wie heute Rassismus doch als „mental error“ (25) ansehen würde. Hier lügt er schamlos, wie an vielen anderen Stellen, wie Peter Staudenmaier nachweist. (26) Gerade als der Faschismus Italiens in den Antisemitismus kippt, stimmt Scaligero das Hohelied der Arier und ihrer spirituellen Überlegenheit ab. Über die „ahrimanischen“ Juden, die es auszusortieren gelte, um die Reinheit des Blutes wie des Geistes herzustellen. Der angebliche Moralismus Scaligeros gipfelt in einer Aufforderung zum Massenmord: „the elimination of the Judaic virus and the biological re-integration of Aryan ethnic values“ (26).“ https://egoistenblog.blogspot.com/2020/02/massimo-scaligero-der-faschistische.html

https://www.deutschlandfunkkultur.de/mark-j-sedgwick-gegen-die-moderne-welt-intellektuelle-anti.1270.de.html?dram:article_id=467360


Der Selberdenker kommt ins Grübeln

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Hier ist dein Amazon- Sicherheits- Check. Wir schicken einen Code an Dein Smartphone, um Dich zu verifizieren. Bist du der, der du zu sein vorgibst? Wo hast du dein Smartphone gelassen? Möchtest du das Verfahren, mit doppelter Sicherheitsstufe, bei Google wiederholen? Würdest du bitte versichern, kein Robot zu sein? Ich weiß, früher gab es Science- Fiction- Bücher und Filme, die das andersherum thematisierten. Dass die Robot ein bisschen menschlich sind. Ein bisschen menschlicher als die Menschen, die sie schufen, vielleicht. Wabernde Nebel, graue Hochhäuser, Stalingrad- Atmosphäre, eine Prise Orwell, elektronische Musik mit jammernden Untertönen, Apokalypse der Humanität. Hallo, würdest du den Code jetzt bitte eingeben? Du hast noch 5 Sekunden. 5- 4- 3- 2- 1. Würdest du bitte einige seltsam verzogene Ziffern und Buchstaben korrekt geschrieben eingeben? Offenbar können die Bots nicht lesen. Auch nicht die Datenschutz- Erklärung. Auch nicht das Kleingedruckte bei Facebook. Dass du alle Rechte an dem von dir produzierten Content an die Datenbanken abtrittst, wie so ein Ding ohne Ego. Nein, du kannst erklären, was du willst, du kannst dir im grauen Bart kraulen oder an deiner Corona- Atemmaske zerren, wie du willst, es ändert nichts. Wenn du die elektronische Welt betrittst, gibst du die Rechte ab, auch wenn dir die EU das Gegenteil versichert. Nein, die Server stehen nicht in Europa, und der NSA bist du egal. Du kannst erklären, was du willst, du kannst allen schon bei der Vorspeise erklären, dass du ein Selberdenker bist oder in Stuttgart vor dem Rathaus demonstrieren, aus dessen Fenster zu Tode erschrockene grüne Politiker heraus schauen, die nie vermutet hätten, dass jemand gegen sie demonstrieren würde. Jemand wie du. Schrei, so laut du kannst, Selber denken! Und like ein paar Twitter- Auftritte von Attila Hildmann. Dir geht es um die Sache, und um dich selbst. Ich bin wer ich bin, das ist, was du sagen willst. Es hat sich aus- globalisiert, auch wenn die Smartphones und E- Staubsauger von Xiaomi vielleicht nicht so schlecht sind. Hat nicht neulich die smarte E- Watch deines Nachbarn ihn vor einem Herzinfarkt bewahrt? Dabei ist er Anthroposoph und hat ansonsten immer noch ein iPhone 4. Auch ihm geht es, vor allem, um Identität. Er möchte die Überfremdung nicht, auch wenn man Kompromisse machen muss. Er möchte keine Horden von Schwarzafrikanern, hier, im Ländle. Oder von Rumänen, in der Fleischverarbeitung. Schließlich ist es früher auch ohne gegangen. Andererseits, die Kredite sind so günstig wie das Grill- Gut, die Tomaten werden von Mittelmeer- Flüchtlingen geerntet und die Smartphones vielleicht von gefangenen Uiguren gefertigt. Das ist die neue Zeit. Verdammt noch mal. Graue Hochhäuser, Stalingrad- Atmosphäre, eine Prise Orwell, aber günstiges Lummer- Schnitzel, da kommt man ins Grübeln. Mir sind mir, aber WhatsApp auf dem China- Handy. Es ist schwierig, verdammt, es ist schwierig.

Identifikation und Partizipation auf dem anthroposophischen Schulungsweg. Steiners Bologna- Vortrag

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Erkenntnistheorie und Geistesforscher



So oft stösst man ja nicht auf Artikel Rudolf Steiners, die von ihm selbst redigiert worden sind, mit Einführung und Nachspann und konzeptioneller Einbettung versehen, um dadurch zu etwas zu werden, das gern als Rudolf Steiners Erkenntnistheorie bezeichnet (1) wird - kein Stempel späterer Interpreten-, denn Steiner hat den Aufsatz - die Bearbeitung seines Vortrags auf einem Philosophie- Kongresses (vom 8.4.1911) - genau so benannt und in diesem Sinne auch konzipiert. Heute wird dieser komplexe Aufsatz Rudolf Steiners gern nach dem Ort des Kongresses „Bologna- Vortrag“ genannt. Allerdings bezog er sich noch, kurz vor der Verselbständigung und Reorganisation in die Anthroposophische Gesellschaft, auf Theosophie (2) und - innerhalb des Mittelteils des Aufsatzes- auf einen aus Steiners Ausführungen abgeleiteten Karma- Begriff. Dadurch ist der Aufsatz immer wieder in unterschiedlichem Kontext erschienen (2).

Der Mittelteil, der einer Reflexion Steiners voran geht, vermittelt einen dichten, intensiv formulierten Eindruck des Initiations- Prozesses, der Steiner als essentiell vorschwebte; man sieht auch dessen Widersprüchlichkeit und Schwäche. Diese liegt vor allem in der Fixierung Steiners auf Symbole, Bilder und „heilige“ Attitüden, die zumindest in den ersten Phasen im Mittelpunkt seiner meditativen Anleitungen stehen. Während Steiner annahm, dass die heiligen Symbole zu innerer Stille, religiöser Empfindung und einem Bewusstseins- technischen Durchbruch führen würden, wenn der Novize sich nur genug anstrengte, hat sich erwiesen, dass die Schüler nur zu häufig Steiners Narrative nicht nur nicht überwinden können und mögen, sondern sich behaglich in ihnen einrichten und sie fortspinnen. Allerdings hat Steiner in diesem Vortrag auch formuliert, wie sich der Durchbruch, wenn er denn stattgefunden haben sollte, für den Adepten anfühlt: "Tritt der Erfolg ein, so besteht er darin, daß sich die Seele wie herausgehoben fühlt aus der körperlichen Organisation. Es tritt für sie etwas ein wie eine Änderung ihrer Seinsempfindung." (1)

Außerdem hat Steiner seinen Mindeststandard an denjenigen formuliert, der sich in dem von ihm gemeinten Sinne „Geistesforscher“ nennen darf. Dieser Standard besteht gerade in einer bewussten Emanzipation von Steiners eigenem anthroposophischen Symbolismus:

Der Geistesforscher muß sich fähig machen durch scharfes Konzentrieren auf dasjenige Seelenleben, das sich in ihm durch die Symbole ergibt, den Inhalt der Symbole aus seinem Bewusstsein vollständig zu entfernen. Was er dann noch innerhalb des Bewusstseins festzuhalten hat, ist nur der Vorgang, dem sein Seelenleben unterworfen war, während er sich an die Symbole hingegeben hat. In einer Art realer Abstraktion muß der Inhalt des Symbol- Vorstellens abgeworfen werden, und nur die Form des Erlebens an den Symbolen im Bewusstsein vorhanden bleiben.. das Bewusstsein macht das innere Weben des Seeleninhaltes zum Gegenstande der Meditation.“ (1)

Ein solcher Vorgang der Emanzipation vom Übervater mit seinem Korsett von frommen Bildern, Listen, Tabellen und Mantren erfordert entschlossene, bewegliche, unorthodoxe Denker, keine manipulativen Gurus, Eso- Onkels, Atlantis- Schauer, Hell- und Geisterseher. Genau solche Onkels und Tanten werden aber heute - wie in Anthro- Wiki (3)- als „Geistesforscher“, ja als "Nachfolger" Steiners betrachtet: „Ein Geistesforscher oder Geisteswissenschaftler im modernen rosenkreuzerischen Sinn ist ein Eingeweihter, der über gewisse hellsichtige Fähigkeiten verfügen muss, um die geistige Welt eigenständig wahrnehmen zu können und der auch die entsprechende Inspiration hat, um das geistig wahrgenommene richtig deuten zu können. Höhere geistige Wahrheiten, wie beispielsweise die Rückschau in frühere Erdenleben einzelner Menschen, sind nur der Intuition zugänglich. Darüber hinaus muss der Geistesforscher auch über die notwendigen intellektuellen Fähigkeiten verfügen, um seine Forschungsergebnisse in einer wissenschaflich klaren Form darstellen zu können, die unserem gegenwärtigen Bewusstseinsseelen- Zeitalter angemessen ist.
Nicht nur Rudolf Steiner kann als Geistesforscher gelten, sondern auch seine Nachfolger, wie Valentin Tomberg, Heide Oehms, Willi Seiß, Hermann Keimeyer, Jostein Saether, Iris Paxino und Judith von Halle, sowie weitere, wie z.B. Verena Staël von Holstein.“ (3)

Wie wissenschaftlich ist Steiners Geisteswissenschaft?


Das aber ist durchaus nicht das einzige konstruktive Problemfeld in Steiners Initiations- Darstellungen.

Gehen wir auf die Absicht des Aufsatzes selbst ein. Ein Evergreen vergeblicher Bemühungen Steiners besteht darin, das Verhältnis von Anthroposophie („Geistesforschung“) zur Wissenschaft seiner Zeit in dem Sinne zu klären, dass die von ihm gemeinte Geisteswissenschaft Teil dieser Wissenschaft sei. Auch vorliegender Vortrag beabsichtigt wieder einmal, dieses Verhältnis ein für allemal zu klären: „Es wird durch Einhaltung dieses Gesichtspunktes allein möglich sein, in präziser Art zum Ausdruck zu bringen, wie sich das Verhältnis der hier gemeinten Geistesrichtung zu den wissenschaftlich-philosophischen Vorstellungsarten der Gegenwart ansehen läßt.“ Die Rahmenbedingungen für wissenschaftliches Arbeiten sind Steiner auch durchaus bewusst: „Die letzten Jahrhunderte haben dahin geführt, als «wissenschaftlich» dasjenige gelten zu lassen, was sich durch Beobachtung, Experiment und deren Bearbeitung durch den menschlichen Intellekt jederzeit für jeden Menschen ohne weiteres nachprüfen läßt. Dabei muß aus den wissenschaftlichen Feststellungen alles das ausgeschlossen werden, was nur innerhalb der subjektiven Erlebnisse der menschlichen Seele eine Bedeutung hat.“ (1)

Dennoch stellt er die anthroposophische Erkenntnis- Methodik in den denkbar größten Widerspruch zu jeglicher wissenschaftlichen Anschauungsweise, die Rudolf Steiner übrigens auch noch geruht, in seinem Aufsatz in Anführungszeichen ("wissenschaftlich")zu setzen. Der Widerspruch ist derartig umfassend, dass die Methodik der Erkenntnis- Gewinnung, die er meint, schon deshalb unwissenschaftlich sein muss, weil der Bewusstseins- Zustand, der nötig ist, um diese Erkenntnisse zu gewinnen, von Menschen (den „Geistesforschern“) erst entwickelt werden muss: Die gemeinte Erkenntnis bezieht sich auf etwas, was „nichts Fertiges, Abgeschlossenes, sondern etwas Fließendes, Entwicklungsfähiges“ sei, und sich auf einen geistigen Zustand beziehe, der „hinter dem Umkreis des normal bewußten Seelenlebens“ (1) liege, aber nicht identisch sei mit dem „Unterbewusstsein“ (1). Diese erst zu entwickelnde Bewusstseinsform als Grundlage geistiger Forschung sei ebenso klar wie das denkende, logische Bewusstsein, befinde sich aber offenbar auf einer neuen, erst zu erreichenden Ebene: „Innerhalb dieser lebt der Mensch geradeso bewußt, sich logisch kontrollierend, wie er im Horizonte des gewöhnlichen Bewusstseins lebt. Nur muß diese Seelenverfassung erst durch bestimmte Seelenübungen, Seelenerlebnisse hergestellt werden. Sie kann nicht als ein gegebenes Faktum der menschlichen Wesenheit vorausgesetzt werden.“ (1)

Spätestens an diesem Punkt wird klar, dass Rudolf Steiner nicht ernsthaft einen akademischen Zweig eröffnen wollte oder wissenschaftliche Geltung suchte; nicht allein der Gegenstand seiner Betrachtung (die „geistige Welt“) wie der erst zu erwerbende Bewusstseinszustand des „Geistesforschers“ sind Hürden, die Steiner bewusst gewesen sein müssen; er erwartet allerdings von seinen Adepten, dass sie die wissenschaftlichen Standards wie Beobachtung, Experiment, Wiederholbarkeit, intellektuelle Überprüfbarkeit bei ihrer geistigen Arbeit einhalten- wenn auch unter den Bedingungen einer Grenzüberschreitung, die darin besteht, dass hier das betrachtende Bewusstsein zugleich das Untersuchungsobjekt ist- ein Forschungsprojekt, ein Unternehmen, das das Bewusstsein des Forschers selbst zum Gegenstand hat, ohne dass es dann noch gegenständlich sein könnte.

Gespiegeltes Bewusstsein und die reale Basis des Ich


Der Bologna- Vortrag ist in seiner Komplexität auch ein Baustein für Betrachtungen zur Bewusstseins- Geschichte der anthroposophischen Bewegung - ein Baustein wie etwa Johannes Kierschs Buch „Vom Land aufs Meer. Steiners Esoterik in verändertem Umfeld“ (4). Kiersch sieht darin, wie Steiner im hier behandelten Bologna- Vortrag zwar eine Erkenntnistheorie entwickelt - und auch eine Methodik vorschlägt, diese Theorie im eigenen Bewusstsein nachzuvollziehen-, dass diese aber praktisch auf dem Kopf steht; Steiner stellt einen partizipierenden, kosmischen, gleichwohl seiner selbst bewussten geistigen Zustand in den Mittelpunkt der Betrachtung, aus dem sich der Bewusstseinszustand des Lesers, Zuhörers, Novizen als Sonderform eines bloß „gespiegelten“, durch Sensorien und Körperbezug herunter gebrochenen Zustands ergibt: „Neben der erkenntnistheoretischen Sicherung seines „übersinnlichen“ Forschungsweges - „Geistesforschung ist damit als erkenntnistheoretisch denkbar nachgewiesen“ - bringt dieser Vortrag eine gegenwärtig in höchstem Grade aktuelle erkenntnispsychologische These ins Spiel: die Auffassung, dass der physische Leib des Menschen nicht als reale Basis des Ichs, sondern nur als Spiegel zu denken sei und das Ich sich in den Dingen der Welt leibfrei bewege. Man werde - so der entscheidende Satz- „zu einer besseren Vorstellung über das <Ich> erkenntnistheoretisch gelangen, wenn man es nicht innerhalb der Leibesorganisation befindlich vorstellt, und die Eindrücke ihm <von außen> geben lässt; sondern wenn man das <Ich> in die Gesetzmäßigkeit der Dinge selbst verlegt, und in der Leibesorganisation nur etwas wie einen Spiegel sieht, welcher das außer dem Leibe liegende Weben des Ich im Transzendenten dem Ich durch die organische Leibestätigkeit zurückspiegelt.“ (4)

So findet Steiners Kernaussage „Du findest dich selbst im Logos der Welt“ (meine Formulierung) im Bologna- Vortrag eine methodische, aber auch erkenntnis- theoretische Begründung; die so angelegte Esoterik ist in der Radikalität der Auffassung von menschlicher Identität zugleich revolutionär, aber auch durch und durch rational. Der Zustand des Selbst- Erwachens des Bewusstsein, der Befreiung aus der schattenhaften Sicht des gespiegelten, durch die Sensorik determinierten Denkens, ist in Steiners Sinne zweifellos ein auch partizipierendes Bewusstsein, das nicht nur die durch die leibliche Beschränkung beschnittene Perspektive zu überwinden hat, sondern sich schrittweise in gestaltenden Kräften der Natur neu findet. 

Während wir hier partizipierendes Bewusstsein als non- duale Erfüllung einer Identität ansehen, die für Rudolf Steiner der eigentlich humane Bewusstseinszustand gewesen ist, von dem sich der erstarrte, gespiegelte Wahrnehmungs- und Denkprozess der letzten paar Jahrtausende der Kulturen im Sinne einer Sonderform abgespalten hat- und überwunden werden muss bis zum Beginn der prophezeiten sechsten nachatlantischen Kulturepoche-, verwendet Johannes Kiersch in den von ihm zitierten Denkern "Partizipation" als Beschreibung eines archaischen Bewusstseins: "Wo liegen die Ursprünge der geheimnisvollen Bilder, Symbole, Rituale der <esoterischen> Tradition, aus denen erst spät die uns bekannten Ideensysteme hervorgegangen sind? Lucien Levy-Bruhl kennzeichnete bei seinen Forschungen zum <prä- logischen> Denken damals <primitiver> Kulturen das Verhältnis archaischer Menschen zur Welt mit dem Begriff der <Partizipation>, der existentiellen Teilhabe." (10) Auch Kiersch ist nicht frei von einer hierarchischen Strukturierung von Kulturen, die sich im Laufe der Zeit vom holistischen Denken der Frühzeit auf Kosten einer Entfremdung von der Natur emanzipieren und zur Entfaltung des Individuums führen. Die Methodik Steiners kehrt diesen Prozess allerdings wieder um, denn das Bewusstsein des Geistesforschers ist durchaus zu beschreiben als "existentielle Teilhabe" in einem kosmischen Verschmelzungsprozess, im Rahmen einer individuellen Initiation. Das dabei zu entwickelnde Bewusstsein partizipiert im wortwörtlichen Sinne, denn Steiner beschreibt den dann umgekehrten Denkprozess so, dass in die Leere des Denkens des Geistsuchers intuitives Denken so einströmt, als handele es tatsächlich wortwörtlich um eine Erfüllung: "Es erfüllt sich nach und nach das innere Erleben mit einem Inhalt, der in die Seele von außen kommt, in ähnlicher Art wie der Inhalt der sinnlichen Wahrnehmung aus der physischen Außenwelt durch die Sinne. Nur ist die Erfüllung mit übersinnlichem Inhalt ein unmittelbares Leben in diesem Inhalt. Will man einen Vergleich mit einer Tatsache des gewöhnlichen Lebens gebrauchen, so kann man sagen: das Zusammengehen des Ich mit einem geistigen Inhalt wird nunmehr so erfahren, wie das Zusammengehen des Ich mit einer im Gedächtnisse bewahrten Erinnerungsvorstellung."(1)


Das übende Verweilen an den Grenzen des Erkennens und das Öffnen der höheren Organe


Die Methodik eines solchen Übergangs hin zum non- dualen Bewusstsein wird im Mittelteil des Bologna- Vortrags so ausgeführt, wie Steiner ihn in seinen grundlegenden Schriften zur anthroposophischen Schulung ausführlich entwickelt hat- ein Weg (so Johannes Kiersch) des „übenden Verweilen an den Grenzen des Erkennens“, was letztlich zu etwas wie einem „Tast- Erlebnis“ an dieser Grenze führen könne. Steiner führt auch im Bologna- Vortrag hoffnungsfroh aus, dass sein meditatives Mittel der Wahl der von ihm so favorisierte Symbolismus sei- eine Art langfristiges seelisch- geistiges Ausbrüten esoterischer Wort- und Bild- Symbole, die allerdings früher oder später überwunden werden müssten. Dann - so hoffte Steiner- würden sich die geistigen Keime schon entwickeln: „Der Geistesforscher in dem hier gemeinten Sinne sucht nach Seeleninhalten, die ähnlich sind den Begriffen und Ideen des gewöhnlichen Lebens oder der wissenschaftlichen Forschung; allein er betrachtet diese zunächst nicht in Bezug auf ihren Erkenntniswert für ein Objektives, sondern er läßt sie in der eigenen Seele als wirksame Kräfte leben. Er senkt sie gewissermaßen als geistige Keime in den Mutterboden des seelischen Lebens und wartet in einer vollkommenen Seelenruhe ihre Wirkung auf das Seelenleben ab.“ (1) Die erhoffte Vertiefung dadurch, dass „der Strom esoterischen Lebens immer in der Seele“ (5) ruht, schaffe die Grundlage und öffne damit (auch wieder ein Bild) die „Organe der übersinnlichen Wahrnehmung“ (6).

Symbolismus und erkenntnis- kultische Elaboriertheit aus dem Baukasten altertümlicher Traditionen


Diese Bildsprache selbst wie auch die methodische Referenz auf mittelalterliche Symbolsprache in Steiners Methodik stellen möglicherweise Grunde dafür dar, dass heute einerseits wenig Interesse am eigentlichen anthroposophischen Schulungsweg besteht oder übrig geblieben ist, andererseits Unmengen von esoterischen Freibeutern in Steiners Namen ihre assoziativen Schlussfolgerungen verbreiten, und dass die anthroposophischen Traditionen am gleichen Symbolismus Steiners festhalten, den dieser im vorliegenden Bologna - Vortrag zwar als Grundlage zur Vertiefung der ersten Übungen des Schulungswegs empfiehlt, dann aber ja auch fordert, sie recht bald zu überwinden. Allein, auch Kiersch konstatiert, dass „in allen esoterischen Traditionen Bilder und Symbole ein wichtige Rolle gespielt“ (6) haben. Eine Kultur der Besinnlichkeit, garniert mit „tiefsinnigen Zitate(n) aus den esoterischen Traditionen des Altertums“ (6) mischten sich mit Symbolen, die in der Entwicklung des Buchdrucks weite Verbreitung fanden. Steiner habe ja selbst Rituale, traditionelle Freimaurer- artige Handlungen in der Fortführung seiner esoterischen „erkenntniskultischen“ Schulungen (7) weiter entwickeln wollen- das alles, um dieses seelische Ausbrüten der höheren Erkenntnis- Zustände bei seinen Adepten anzuregen. Damit steht die anthroposophische Methodik in manchen Aspekten nicht nur in esoterischen Traditionen des Mittelalters und Altertums, sondern auch im Widerspruch zu den wissenschaftlichen Ansprüchen an genau die sachliche Bewusstseins- Schulung, die Steiner selbst von seinen Adepten gefordert hat.

Kiersch thematisiert - wenn auch im Kontext mittelalterlicher Kunstbetrachtung- selbst auch die Gefahren der symbolisch- kultischen Exzesse, denn das „symbolische Denken schenkt jenen Rausch der Gedanken, jenes präintellektuelle Verfliessen der Identitätsgrenzen der Dinge, jene Dämpfung des verstandesmäßigen Denkens, die das Lebensgefühl auf seinen Gipfel emporheben“ (8). Das symbolisch- rauschhafte Denken neige aber dazu, „zu reinem Mechanismus zu erstarren“, woraus ein „eitles Spiel“ werde, ein „oberflächliches Phantasieren aufgrund einer rein äußerlichen Gedankenverknüpfung“ (8).

Terry Boardman erklärt die Mysterien der Zahl 23 und die okkulte Gefangenschaft im Symbolismus


Der Symbolismus, der einen vorläufigen, anfänglichen methodischen Kniff Steiners zur Anregung seelischer Vertiefung dargestellt hatte, um Schwung zu nehmen für eine echte Bewusstseins- Schulung zur Partizipation in einem non- dualen Denken, hat einen assoziativen, wuchernden Pseudo- Okkultismus einiger heute populärer "Geistesforscher" (siehe 3) angeregt, die sich nach Steiners Ableben zu immer neuen Exzessen aufgeschaukelt haben. Wer studieren möchte, welcher toxische Unsinn aus solchen assoziativen Exzessen folgt, kann zum Beispiel Terry Boardman studieren, der Steiner mit Astrologie, frei erfundener Zahlenmystik und allerlei politischen Verschwörungstheorien und Mutmaßungen über das Corona- Virus kreuzt, in immer neuen Konstellationen, aber mittels derselben symbolistischen, anmaßenden und verrückten Rezeptur (9).

Man sieht, welche Faszination von Symbolismus, okkulter Spekulation und Assoziation ausgehen. Die weitaus meisten derer, die in Anthrowiki als „Geistesforscher“ (3) benannt werden, verfolgen solche Methoden und werden von den jeweiligen Anhängergruppen als Eingeweihte betrachtet. Es bleibt aber die Frage, in wie weit sich schon Steiner selbst aus dem Fundus symbolistischer Traditionen bedient hat, um das seelische Brüten seiner Anhänger immer weiter zu bedienen. Im Bologna- Vortrag jedenfalls ging er im weiteren Fortschritt der Darlegung seines Initiations- Weges über zu abstrakteren und weniger verfänglichen Symbolen wie Licht und Wärme: „Zu diesen Übungen kommen dann andere. Sie bestehen auch in Symbolen, jedoch solchen, welche in Worten ausdrückbaren Vorstellungen entsprechen. Man denke sich die Weisheit, welche in der Ordnung der Welterscheinungen lebend und webend vorgestellt wird, durch das Licht symbolisiert. Weisheit, die in opfervoller Liebe sich darlebt, denke man von Wärme versinnlicht, die in Gegenwart des Lichtes entsteht.“ (1)

Die Bemühungen sollen im Verlauf des Schulungsweges schließlich in einen Zustand des Bewusstseins führen, der keinerlei Konstrukte, Hilfsmittel und Brutzustände mehr bedarf und sich in seiner Klarheit in nichts vom Denken unterscheidet, sich aber nicht mehr auf das Feedback von Sensorik, Körperlichkeit, Raum- und Zeitbewusstsein stützen muss: „Die Übungen sind intimer seelischer Art. Sie gestalten sich für jeden Menschen in individueller Form. Ist einmal ein Anfang mit ihnen gemacht, so ergibt sich das Individuelle aus einer gewissen, aus dem Verlaufe zu machenden Seelenpraxis. Was sich aber mit zwingender Notwendigkeit herausstellt, ist das positive Bewusstsein von einem Leben in einer Realität, die gegenüber der äußeren Körperorganisation selbständig und von übersinnlicher Art ist.

Für einen solchen Geistesforscher liegt das bestimmte, genauer Selbstkontrolle unterstellte Bewusstsein vor, daß der sinnlich wahrnehmbaren Körperorganisation eine übersinnliche zum Grunde liegt, und daß es möglich ist, sich selbst innerhalb derselben so zu erleben, wie das normale Bewusstsein sich erlebt innerhalb der physischen Körperorganisation.“ (1)

Das aus- sich- bestehende Bewusstsein, das Steiner als Grundlage des Schulungsweges empfiehlt, hat selbstverständlich jede symbolische oder mystische Methodik überwunden, stellt aber auch nur die Ausgangslage für den fortschreitenden Adepten dar. Die Verselbständigung in einer non- dualen Identität, die faktisch die Grenzen der einzelnen Inkarnation situativ dadurch überschreitet, dass das Bewusstsein sich als sich selbst erlebt- ohne Beugung und Brechung in einem biologischen Organismus- markiert für den Meister die Ausgangslage für den eigentlichen Lern- und Kommunikationsprozess. Die Identifikation mit archaischer Methodik wie Symbolismus dagegen stellt ein Problem dar im Sinne (wie Anthroposophen so etwas nennen) einer okkulter Gefangenschaft; man kommt aus dem assoziativen Kreisen nicht heraus und kann keine Entwicklung in Richtung der von Steiner ausgeführten Selbständigkeit und Emanzipation vollziehen. Steiner benennt den angestrebten non- dualen Zustand auch nicht mit traditionell narzisstischen, überhöhten oder göttlichen Begriffen, sondern einfach als „reale Selbstanschauung“ (1): „Es lernt sich dabei das menschliche Innere kennen, nicht bloß durch Reflexion auf sich selbst als den Träger der Sinneseindrücke und des gedanklichen Verarbeiters dieser Sinneseindrücke, sondern es lernt sich das Selbst kennen, wie es ist, ohne Beziehung auf einen sinnenfälligen Inhalt; es erlebt sich in sich selber als übersinnliche Realität.



——————verweise—————

 



1 Rudolf Steiner, in GA 35, Die psychologischen Grundlagen und die erkenntnistheoretische Stellung der Anthroposophie, S. 111ff
2 Erschienen unter dem Titel «Die psychologischen Grundlagen und die erkenntnistheoretische Stellung der Theosophie» in «Atti del IV Congresso Internazionale di Filosofia Bologna MCMXI», Genua o. J.; Sonderdruck hieraus o. 0.1911; ferner in «Anthroposophie. Zeitschrift für freies Geistes-leben», 16. Jahrg. Buch 4, Juli-Sept. 1934; in «Die Drei. Monatsschrift für Anthroposophie, Dreigliederung und Goetheanismus», 18. Jahrg. Heft 2/3, April/Juni 1948; in «Reinkarnation und Karma» und andere Aufsätze, Stuttgart 1961.
3 https://anthrowiki.at/Geistesforscher
4 Johannes Kiersch, Vom Land aufs Meer, Steiners Esoterik in verändertem Umfeld, Stuttgart 2008
5 Rudolf Steiner, GA 266.1 S 281
6 Kiersch, S. 65f
7 näheres dazu bei Hella Wiesberger, Rudolf Steiners esoterische Lehrtätigkeit, Dornach 1997
8 nach Kiersch, S. 44: Johan Huizinga, Herbst des Mittelalters, Stuttgart 1973
9 Boardman zelebriert das mystische Geheimnis der Zahl 23 z.B. wie folgt: „On this 23rd day of the 3rd month the British people, whose national day, we can recall, is 23 April and whose national poet and philosopher Shakespeare has a name beginning with the 23rd letter of the alphabet (W) and is thought to have been born and died on a 23 April, we were told by the BBC that the “turning point” came at 233 deaths in both Italy and the UK: Italy had 233 deaths on 7 March and Britain had 233 deaths on 21 March. This “turning point” is evidently supposed to prove something beyond the similarity of the figure of 233, but what was not exactly made clear. I couldn’t help recalling that on 23.3.1933 Adolf Hitler pushed the Enabling Act through the Reichstag which completed the process that brought about a ‘legal dictatorship’. Obviously, the mere similarity of date does not mean there will now be a dictatorship in Britain, but one can pay attention to the kind of event – the gesture or direction of the event – that happens on the same date and under what starry constellation.“ http://threeman.org/?p=2929
10 nach Kiersch, S. 39

Geistesheld und Quasi- Gott; der Mythos des Erzengels Michael

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Als ich noch gläubig war, in jungen Jahren, an Herbstfesten zu Ehren des Drachen- Besiegers teil nahm, an anthroposophischen Seminaren, die das Wirken des Zeitgeistes immer neu, aber in immer gleichen Vokabeln erläuterten, Steiner in meditativer Haltung las, war Michael für mich die tröstende Herbstgestalt, das eigentlich spirituelle Element, das dafür steht, dass das Meteor- Eisen bestehen bleibt, auch wenn der Sommer vorüber ist. Mit dem Sommer aber geht das Leben selbst (1)- das, was bestehen bleibt und durch den kommenden Winter hindurch getragen wird, ist ein Impuls, der mit Michael und dessen „Mut“ assoziiert wird; Michael ist der Geist des „Trotz alledem“, aber auch ein Synonym für meditative Aktivität: Das Aufrecht- Erhalten des Bewusstseins trotz Schweigens der Sensorik und des assoziativen Denkens, das Nicht- Einschlafen im Bestehen und Ertragen des Nichts. Michael ist auch ein Symbol für die „kosmische Intelligenz“, ein Begleiter, ja das Antlitz des Logos. Immer wieder wurde in Seminaren erläutert, wie wesentlich es sei, dass Michael den Drachen in Schach halte, aber nicht zu töten versuche. Es geht, zumindest in spiritueller Hinsicht, bei der Spiritualisieren der Intelligenz um eine Frage der inneren und äußeren Balance, nicht um eine Überwindung des „Niederen“. 

Tatsächlich ist die Gestalt des Drachen eine recht offene Variable, in die jeder die Inhalte projiziert, die ihm gerade recht sind- Rudolf Steiner selbst hat das „In die Haut des Drachen schlüpfen“ als Schlüssel- Erlebnis seines eigenen Selbstverständnisses geschildert. Diese Darstellung wird selbst von aufgeklärten Anthroposophen auch als Charakterisierung Steiners übernommen: Das Bild des einsamen Eingeweihten in einer Ära des Materialismus, der damit den michaelischen Auftrag zu erfüllen versuche, ein Geistesheld, ein Quasi - Gott in Anführungszeichen: 

Christoph Lindenberg schreibt in Individualismus und offenbare Religion (Stuttgart 1995, vgl. S. 130), (..) Rudolf Steiner beginne mit dem, was er im menschlichen Bewußtsein, im menschlichen Erleben und Denken vorfinde. Er schiele nicht auf anderes hin, das er von außen aufgenommen habe. Er gehe seinen Weg, indem er die »tiefsten Menschenkräfte aus dem Inneren heraus« entfalte. Er weise alles Vorwissen, alle Offenbarung und Spekulation zurück. Er gehe als Zeitgenosse seinen Weg. Dieser führe ihn auch durch die Prüfung des Anti-Christentums eines Nietzsche. Er schreite aber durch diese Prüfung hindurch, überwinde den Nietzscheanismus, lasse den Keim des Christlichen reifen, der erst im Jahr 1903 aufgehe. Steiner sei im Vertrauen auf die gottgegebenen Kräfte, die sich im Menschen offenbarten, durch den Abgrund und aus ihm hervorgegangen. »Derselbe oder ein Verwandelter? Wer will das entscheiden? Aber jedenfalls einer, der seinen Weg von da an mit Riesenschritten fortsetzte.« Lindenberg vertritt die Auffassung, daß Steiner nicht wie ein präformiertes Vollkommenheitswesen aus dem Mutterschoß entsprungen und daraufhin unberührt und unbetroffen von allem Menschlichen seinen Weg gewandelt sei, ein Geistesheld und »Quasi-Gott«. Lindenberg vertritt, unbelastet von Spekulationen über okkulte Genealogie, die Auffassung, daß ein Eingeweihter des 19. und der folgenden Jahrhunderte durch das Nichts des Menschlichen hindurchgehen müsse, wenn er sich wahrhaft als Eingeweihter bezeugen wolle. In seinem Buch versucht Lindenberg akribisch, die innere (seelische) Entwicklung Steiners nachzuzeichnen, die zu jenem Durchbruch an Einsicht und Erfahrung führte, der es zuläßt, Steiner als Eingeweihten zu bezeichnen. (2)

Der Eingeweihte war sich aber nicht nur seiner geistes- geschichtlichen Bedeutung und seines Ranges als Eingeweihter bewusst, er kultivierte auch eine Nähe zu Größen wie Nietzsche, die ihn zu seinem michaelischen Ringen, Inspirationen und Kurswechseln geführt hätten, die er im Nachhinein entweder falsch erinnerte oder einfach des Kultes um seine Person wegen inszeniert hatte: „Obwohl Steiner bis zu seinem Lebensende an einer bruchlosen Kontinuität seiner Anschauungen festgehalten hat, ist der Wechsel von der ausdrücklichen Übereinstimmung und innigen Verbundenheit mit Nietzsche zur weltanschaulichen Distanzierung und moralisch-metaphysischen Kritik unübersehbar, so daß man hier, wo nicht von einem Bruch, so doch mindestens von einer tiefgreifenden Wandlung Steiners sprechen muß.« (..) Hoffmann zeigt in seinem Buch (3) nicht nur Steiners Wandlungen, wenn nicht gar »Brüche«, er weist auch seine Irrtümer und Erinnerungstäuschungen nach (..). Von Hoffmann wird detailliert chronologisch und dokumentarisch rekonstruiert, daß die Behauptung in Steiners Mein Lebensgang, er sei durch den Besuch beim kranken Nietzsche in Naumburg zu seinem Buch Friedrich Nietzsche – ein Kämpfer gegen seine Zeit inspiriert worden, nicht stimmen kann, weil Steiners einzige Nietzschebegegnung am 22. Januar 1896 stattfand, sein Nietzschebuch aber im Frühjahr 1895 erschienen ist." (2)

Das alles führt jedenfalls dazu, dass ein heute erzkonservativer, um sich kreisender Monolith wie Lorenzo Ravagli vor einem Vierteljahrhundert noch aufrührerische und belebende Fragen an den gott- gleichen Meister und Nietzsche- Kenner stellen konnte wie „Oder wie läßt es sich rechtfertigen, daß ein Eingeweihter, der das Wesen des Geistes erkannt hat, der in Nietzsche wirkte, ein Buch schreibt, in dem er diesem Geist einen grandiosen Hymnus singt? Wenn er denn tatsächlich in die Haut des Drachen schlüpfen mußte und vollkommen durchschaute, daß es der Drache war, in dessen Haut er schlüpfte, warum mußte er dann diese Drachenbezwingung in einem Buch dokumentieren, das nicht unbedingt Zeugnis von einer solchen Drachenbezwingung ablegt, sondern eher davon, daß er sich zum Fürsprecher der übersteigerten Weltsicht eines geistig verwirrten Romantikers machte?“ (2)

Verwirrt hin oder her, war Nietzsche, so wie Rudolf Steiner ihn sah, nicht doch auch ein Vorbild für die michaelische Selbstvergottung, den Meister- Kult und die typisch anthroposophische Hybris, da das Göttliche als Schöpfergestalt mit Nietzsche doch überwunden schien? Steiner schreibt selbst zu „gepflanzten“ und individuell „entgegen gesetzten“ Instinkten: „Der Widerspruch zwischen Verstand und Instinkt ist das Merkmal unserer »modernen  Geister«. Auch in den freiesten Denkern der Gegenwart leben noch die von der christlichen Orthodoxie gepflanzten Instinkte. Genau die entgegengesetzten sind  in  Nietzsches Natur wirksam. Er braucht nicht erst darüber  nachzudenken, ob es Gründe gegen die Annahme eines  persönlichen Weltenlenkers giebt. Sein Instinkt ist zu stolz, um sich vor einem solchen zu beugen; deshalb lehnt er eine derartige Vorstellung ab. Er spricht mit seinem Zarathustra: »Aber daß ich euch ganz mein Herz offenbare, ihr Freunde: wenn es Götter gäbe, wie hielte ich’s aus, kein Gott zu sein!  Also giebt es keine Götter.«“ (4)

Die Selbstvergottung gehört aber nun einmal auch zur anthroposophischen Programmatik. So liest man bei einem der einflussreichsten Anthroposophen in der biologisch- dynamischen Landschaft, dem Bühnenbeleuchter Ehrenfried Pfeiffer (5), der unter Steiners Einfluss zum Chef- Erforscher der ätherischen Bildekräfte avancierte, und Steigbild- Methoden und Horn- Dung entwickelte, was er später nach seiner Emigration in die USA einführte. Er startete seine zweite Karriere in Spring Valley, von wo aus er eine ausgedehnte Berater- Tätigkeit für biologischen Anbau in den USA entwickelte. Aber Pfeiffer war durchaus nicht nur für praktische Arbeiten zu gewinnen, sondern lehrte auch über den Erzengel Michael (6). Dabei ist zu berücksichtigen, dass auch Pfeiffer, wie er öffentlich äußerte, darauf bestand, im „Physischen wie im Spirituellen“ nur „aus Erfahrung“ (5) zu sprechen, und auf jegliches Spekulieren nicht nur zu verzichten, sondern es „auszumerzen“ (5). Somit beansprucht er auch im hohen Alter, dass seine spirituellen Aussagen wie im vorliegenden Vortrag aus eigener Anschauung gewonnen worden seien. 

Schon zu Beginn reklamiert er ein exklusives Verständnis für Anthroposophen wie ihn: „Non - Anthroposopists will not understand why we pay so much attention to such a being as Michael, since he is not known to modern science or history.“ Religionsgeschichtlich finden sich allerdings in alten Kirchenbauten durchgängig Altäre für diesen Erzengel, dem seit dem 5. Jahrhundert sogar Kirchen gewidmet werden, der im Judentum, im Islam und im Mormonentum verehrt wurde- eine der verbreitetsten religiösen Gestalten überhaupt (7) Nein, es sind nicht nur Anthroposophen, die dies bemerkt haben. Ganz anders als die unverständige Gegenwartskultur- so Pfeiffer aus angeblich eigener Anschauung- habe man im babylonischen Reich viel vom Erzengel gehalten: „The Babylonian people knew him before that. Among them we find mention of Michael under other names but with a description which lets us know that he is the same being.“ (6) Namen sind Schall und Rauch. Bezeichnend ist wohl, dass Pfeiffer indische, jüdische, persische und mexikanische Bezüge mitteilt, aber keineswegs islamische. Es passte wohl nicht ins Schema (8), den Erzengel als Imam zu präsentieren. 

Dagegen besteht ein weiteres anthroposophisches Narrativ darin, die Angst vor dem Tod als neuzeitlich- materialistische Abirrung zu schildern, während vorchristliche Kulturen ja noch okkultes Wissen gehabt hätten. Daher seien die Menschen früher, im direkten Wissen von Michael als Hüter der Todesschwelle, sozusagen problemlos gestorben (9). Dieses oft rekapitulierte Muster knüpft einerseits Anthroposophie als „Einweihungskultur des 20. Jahrhunderts“ an antike Praktiken an, verspricht aber auch dem Anhänger Heil und Segen in Form eines angstfreien Todes und ewigen Lebens. 

Die Heilsversprechen sind aber nur der Anfang. Das übliche anthroposophische Standard- Narrativ führt an dieser Stelle die Bösewichte und Gegengewichte zu Michael und Christus ein, die Teufel. Michael sei, so Pfeiffer, insbesondere ein Gegner der Bürokraten und politischen Ränkespiele (10). Obwohl er damit, nach Pfeiffer in seiner ihm eigenen Geistesschau, seit dem 2. Jahrhundert beschäftigt sei, hat er offenbar bis heute keinen besonderen Fortschritt in der Menschheit erreicht. Es gab sogar ein ziemliches Durcheinander. Von den Mongolen über die Nordmänner begannen sich alle Bürokraten in Bewegung zu setzen. Michael war es vor allem wichtig, die Wikinger nach Amerika zu bekommen und den Islam von Europa fern zu halten. Und das Asiatische abzuwehren, um die russische Seele rein zu halten. Bei Stalin hat selbst das nicht geklappt. (11) In dem ganzen Durcheinander entging dem Erzengel, obwohl er ja die kosmische Intelligenz verkörpert, vollständig, dass die Araber unseren Aristoteles (ist er nicht eine frühere Inkarnation des Meisters?) gestohlen und danach zurück- übersetzt hatten, was für ein heilloses Durcheinander in der westlichen Medizin gesorgt hat: „The Arabs translated Aristotle into Arabic and retranslated his work into Latin. You can imagine how little was left of the original spirit.“ (6) 

Überhaupt, der original Spirit: Der ging, in modernen Zeiten, leider auch in Deutschland verloren. Glücklicherweise ging dem Erzengel, der inzwischen sogar zum Zeitgeist aufgestiegen war, nun auch Rudolf Steiner zur Hand, der in Deutschland eigenhändig sowohl Bolschewismus wie Nationalsozialismus bekämpfte: „We can admire Rudolf Steiner's energy and courage in striving to stem the forces of Bolshevism and what appeared after his death as Nazism.“ (6) Aber selbst der gesammelte Einsatz, bei dem auch noch Buddha geistig zur Hand ging, konnte die Deutschen nicht zur Einsicht bringen, obgleich die Anthroposophie ja direkt vor ihrer Nase lag: „Today we see the German people of Goethe, Hegel etc., with their mission abandoned. We say with modest that Rudolf Steiner tried to bring in the teachings of Anthroposophy to help them in their mission.“ Sie wählten stattdessen die Nazis: „The Germans did not take this up. They misunderstood and took their mission as a physical task instead of developing their capacities. The whole world had to suffer because just one group of people misunderstood their task. These people pay for their sins and pay terribly.“ (6)

Allerdings ist die Lage vertrackt. Ein von Rudolf Steiner gern artikuliertes weiteres spirituelles Gesetz besage, dass der Sieger in einem Krieg nach dem Sieg allmählich Impulse der Besiegten übernähme. Pfeiffer deutet an, dass der Sieg der Alliierten gegenüber den Nazis nun, nach dem Krieg, zur Entwicklung der Raketen bzw Raumfahrt geführt habe. (12) Ist die NASA demnach, spirituell gesehen, eine Organisation, die den Nationalsozialismus fortsetzt? Wir wissen es nicht. Ehrenfried Pfeiffer starb 1961 an einem Herzinfarkt.

Besonders originell wirkt seine Darstellung des Ex- Erzengels nicht, da sich anthroposophische Standard- Aussagen mit Klischees abwechseln, die ein bisschen den Mythos des irischen Christentums favorisierten und Mongolen, Araber und Materialisten verurteilten. Wie sieht es heute, bei aktuellen Beiträgen zum Thema Erzengel Michael aus? Im aktuellen Heft von die drei (13) walzt Steffen Hartmann die Analogie zwischen 7 Wochentagen und einer ebenso großen Anzahl hypothetischer Zeitgeister (wozu Michael gehört) aus, wobei er davon ausgeht, dass sich ein Sonntag anders anfühlt als ein Montag, was an etwas irgendwie „Wesenhaftes“ erinnert. Offenbar ist er der Überzeugung, dass solche Geister die von ihm angenommene Eigenart der Wochentage beeinflussen, was zudem durch die passenden Planeten verstärkt werde. So müsse man sich insgesamt stets vor dem Dienstag vorsehen, da dieser unter dem Einfluss von Mars- Geistern stehe: „Dieser ist ein dynamischer Tag. An einem Dienstag kann viel geschaffen werden, es kann aber auch zu Streit und Konflikten kommen, wenn wir im Sozialen nicht achtsam genug sind.“ (13). Freilich, kann ja möglich, kann aber auch eine self- fulfilling prophecy sein. Menschen glauben an so was, und dann verhalten sie sich so, dass es auch eintrifft. Oder auch nicht. Was wird die Freundin sagen, wenn der Mann am Wochenende aufwacht, sich die Augen reibt und in inniger Kenntnis der Planetenstände und Wirksamkeit der Zeitgeister äußert: „Die Elementargeister freuen sich, wenn wir samstags putzen“ (13)? So etwas kann schief gehen, auch wenn es auf purer geistiger Eingebung beruht. Sonntags soll man an den Michael mit der Waage denken - immer im Hinblick „auf das individuelle, um Freiheit ringende Ich“ (13), das in diesem Fall unbedingt auf der nötigen „Besinnung“ und dem „Innehalten“ bestehen sollte. Der Alltag sollte vollständig zurück gedrängt werden. Was meint Herr Hartmann nur? Sollen wir etwa auf Spülmaschine, Ausflug und Netflix verzichten? Was unterscheidet diese ganzen Gebote von Tag zu Tag von mittelalterlichem Klosterleben? Welcher ist der Tag für Sex, Gelage und Ausrasten? Muss ich am Dienstag unbedingt aus der Haut fahren? Was hat die Auflösung des Westgotischen Reichs mit meiner Liebesfähigkeit am Freitag zu tun? Wie bitte? Venustag? Märtyrer und Katakomben, ruft Dr. Steiner dazwischen. Was für ein Durcheinander. Das muss der kosmische Logos im Kopf sein. 

Jedenfalls schreibt Herr Hartmann manche weitere „kühne Intuition“ (13) auf, die vermutlich mit der Trinität und der Aufgabe Michaels zu tun hat. Es hat auch erschütternde Aussagen Rudolf Steiners darüber gegeben, dass sich die übrigen Zeitgeister mit Michael verkracht hätten, was man schon an der Zunahme von Sonnenflecken erkennen könne. Durch all diese Streitigkeiten in der Organisation der Menschheit ist das Karma völlig durcheinander geraten, was womöglich nicht allein den Grund für die Alpträume des 20. Jahrhunderts darstelle, aber schon doch auch. Das sei aber nur der Anfang. Der wahre Alptraum werde im kommenden Oriphiel- Zeitalter beginnen. Herr Hartmann deutet nur auf Atommüll, Klimawandel und ähnliches. Glücklicherweise glaubt er aber auch - auch mit Unterstützung von Hellsehern und helfenden Geistwesen- doch noch daran, dass alles gut werden kann. Die Michaelschüler würden sich einfach schnell reinkarnieren, dann die „Kulmination“ miteinander begehen und anschliessend die Welt retten. Wie James Bond. Und bestimmt an einem Dienstag.



Hinweise & Verweise_____________________



1 „Und dann steht die Michael-Gestalt wiederum da. Und wenn der Mensch, durch Anthroposophie angeregt, in solchen Naturgenuss, in solches Naturbewusstsein, dadurch aber auch in solches Herbstes-Selbstbewusstsein hineinkommt, dann wird wiederum in aller majestätischen Gestalt das Bild des Michael mit dem Drachen dastehen; dann wird dastehen dasjenige, was der Mensch, wenn der Herbst sich naht, empfindet zur Besiegung des Naturbewusstseins durch das Selbstbewusstsein. Und das wird geschehen, wenn der Mensch nicht nur einen inneren Frühling und Sommer erleben kann, sondern wenn er auch den ertötenden, ersterbenden inneren Herbst und Winter erleben kann. Und im Erleben des ersterbenden Herbstes und Winters wird sich als eine gewaltige Imagination, als eine Aufforderung an den Menschen zur inneren Tat, das Bild des Michael mit dem Drachen wiederum hinstellen können.“ Rudolf Steiner, Das Miterleben des Jahreslaufes in vier kosmischen Imaginationen, GA 229 (1984), Erster Vortrag, Dornach, 5. Oktober 1923

2 https://www.anthroweb.info/trithemius-verlag/jahrbuch1997-fundamnetalismus.html

3 David M. Hoffmann, Zur Geschichte des Nietzsche-Archivs, Elisabeth Förster-Nietzsche, Fritz Kögel, Rudolf Steiner, Gustav Naumann, Josef Hofmiller. Chronik, Studien und Dokumente, 1991

4 Rudolf Steiner in Schriften Kritische Ausgabe Friedrich Nietzsche https://www.steinerkritischeausgabe.com/fn-i

5 http://biographien.kulturimpuls.org/detail.php?&id=521

6 The Task of the Archangel Michael. Ehrenfried Pfeiffer. Lecture 13th October 1946

7 https://de.wikipedia.org/wiki/Michael_(Erzengel)

8 „Michael wohnt im siebten Himmel und soll nach einer weiteren unbestätigten Legende smaragdgrüne Flügel besitzen. Nach der Überlieferung hat Allah im Paradies ein Haus für die Bewohner des Himmels gebaut (al-Bayt al-Ma`mur), zu dem die Engel fünf Mal täglich pilgern, um zu beten und Gott zu lobpreisen. Hierbei fungiert nach unbestätigten Quellen Gabriel als Muezzin, also als Ausrufer, Michael aber als Imam (Vorbeter).“ (Siehe 7)

9 „This is a true belief, that the only peaceful way to die is by crossing the Threshold of Michael. As the old clairvoyance faded, people  were fixed to a belief in this world, in what they could see and feel. Before that people had communication across the Threshold of Death. This element of fear still exists. It is not completely removed, but Michael is , so to speak, commissioned with the fight against this fear.“ Pfeiffer siehe 6

10 „Beginning in the second century BC. we see the entry of fear. It is a deceiving element, people are more or less aware that they are in fear until the crucial moment. But fear is one of the main motors in life, as is shown by modern politics, behaviour between nations, the actions of bureaucracies etc. What we in Anthroposophical circles call Ahriman is the personification of that element of fear . Michael starts to fight against it.“ Pfeiffer siehe 6

11 „There are marked points in history. For example in the year 869 the Church decides that the human being has only body and soul, not spirit; the Roman Empire has expired ; the Catholic Church has begun to develop tremble political power; the European migrations have stopped . At this time also there are beginnings of migration in Asia, which culminate later. The Arabs migrate and cover tremendous distances in a very short time. In Central Asia the Mongols begin to move , culminating their movement in 1180. From the year 900 to 1000 the Normons were on the move searching for Michael - Gard. They thought him a physical king and wanted to find him. One stream of this movement went to Iceland and Greenland and some of these Vikings went on and landed in North America between 967 and 970 A.D . There was then trade between America and those other countries and Denmark. It is a historically recorded fact that some of the people born in this colony in Massachusetts Bay went back and and one of them became a Bishop of the Church in Iceland and also visited Europe for conferences. The Catholic Church concealed knowledge of this . Columbus Day is really only the anniversary of the discovery of America the Catholic Church. It will not be clear what all of this has to do with Michael but I will draw the connections in later lectures. There was another movement of Normans to England, Normandy , South Italy and Sicily. They perished, they forgot about Michael. They erected a purely physical kingdom. They were clever; stubborn, and had a tremendous desire for freedom. They forgot how and why they went out to search for Michael. A third group went to Russia and quickly conquered what we know today as the Ukraine. Later they defended Russia against the Mongols and Turks. They stayed with their task of searching for Michael better than the others. Although they lost ground by joining the Byzantine Church, they defended Russia against the Asiatic impulse. The final yielding to this impulse in Russia had taken place only in our time with Stalin, whom we must consider an Asiatic rather than a European.“ Pfeiffer siehe 6

12 „Michael is determined to govern all the streams opposed to materialism and willing to find the true and correct entrance to the spiritual world.

The Germans repelled their own folk - spirit. Therefore it is the mission of other people's to take over what has been missed. We have to take over their spiritual task in addition to our other missions. It hurts one to see reports of German scientists being brought over to make rockets( Operation Paperclip ). We must see the mission of Michael against this background. The only thing to do is to try to understand it.“ Pfeiffer siehe 6

13 Steffen Hartmann, Der Zeitgeist Michael im Verhältnis zu den anderen sechs Zeitgeistern. Gegenwärtige und zukünftige Aufgaben der Michael- Schule, die drei, September 2020, S. 43 ff



Heiliger Putin, steh uns bei! Prozession mit der Gottesmutter auf der Rückbank

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Natürlich, wenn man mit dem elektrischen Bike querfeldein durch die niederrheinischen Felder fährt, wird der Kopf frei, und man denkt, während doch alles rings herum sehr sorgsam im Blick bleibt, an allerlei, was bei einem angestossen ist und verblieb und sich wieder meldete im Bewusstsein. Manche Dinge kommen so über Tage, ja über Wochen immer wieder an die Oberfläche- wie Wale, während sie das Meer durchpflügen, die Barten weit gebläht, nach oben an den Rand ihrer Welt stossen, die glatte Wand der Wasseroberfläche durchstossen, um zu atmen. 

Einer der Texte, die immer wieder in Fragmenten zu mir durch drangen, war Raphael Kleimanns „Opfer und Auferstehung“ (1), ein vielschichtiger, fast poetischer Text, der, nach Reisen quer durch Russland, voller Empfindungen, aber dennoch kritisch und reflektiert über "die russische Seele" zwischen Orthodoxie, Glauben, neoliberalen Exzessen, Covid- Lockdown, Roter- Armee- Nostalgie und Napoleon- Feldzügen. Am Anfang steht ein Bummelzug nach Nordosten, Richtung Wolga, fort aus der extremen Hektik der Großstadt Moskau. Auch hier, wie in so vielen Ländern, wie in Großbritannien, den USA, Deutschland, haben sich viele Spannungen aufgebaut durch die sich vertiefenden Widersprüche zwischen Stadt und Land. Kleimann beschreibt, dass dieses Auseinanderdriften auf dem russischen Land auch zu einer Renaissance der Tradition, der geschichtlichen Bezüge und insbesondere des orthodoxen Glaubens geführt hat, ganz gleichgültig, wie korrupt sich die höchsten Repräsentanten dieser Kirche dem Regime anbiedern mögen. Die Widersprüche machen selbst vor den Gottesdiensten nicht Halt; da der Personenscanner vor dem Eingang der Kirche, dort die Gesichter, die durchstrahlt sind von Hingabe. Hier Weihrauchfässchen, flitzende Priester, Bekreuzigungen, Kerzen, Verbeugungen und Küsse, dort die alles überstrahlenden LED- Leuchten. Hier ein Priester, der, dem Verhalten der Gläubigen nach, „tatsächlich ein geistiger Führer zu sein scheint“ (1), dort die Überzahl derer, die „eng mit den russischen Staatsinteressen“ (1) verflochten zu sein scheinen. Dann geht es auf die Datscha, wo man auch etwas anbaut, weil das Geld hinten und vorne nicht reicht. Aber trotz des säkularen Herunterwirtschaftens des Festes, dieses wie anderer, hier wie anderswo, entdeckt Kleimann im Dreifaltigkeitskloster in Sergijew Possad doch auch eine heilige Quelle, deren Wasser „hart und klar, von ungeheurer Reinheit“ (1) sei, so sehr, dass es „unmittelbar eine spirituelle Öffnung in den oberen Chakren“ (1) bewirke.

Das ist dann einer dieser Wale, die auf der Durchfahrt durch die Felder auf und ab kreuzen, auf und ab, in mir. Wasser? Wasser? Aber nun, Überraschung, kommt der Patriarch höchstpersönlich zur Liturgie. Putins persönlicher Pope! Das Grab des Heiligen wird von all denen, die in einer langen Schlange anstehen, geküsst, die Security sichert die Limousine aus Moskau, 20 Tenöre stimmen Gesänge an, Kyrill, der zum Volk spricht, aber mit fester Stimme. Kleemann überlegt, wie sehr heute die Orthodoxe Kirche auch Teil der russischen „Identitätsstiftung für das Volk“ ist, eines Volkes, das zum Teil „vom Westen zunehmend politisch isoliert“ (1), andererseits „von westlicher Konsumkultur in seinen inneren  Grundlagen angefressen“ (19 sei. Nun, möchte man Kleimann fragen, während die abgeernteten Maisfelder auf den Feldwegen vorbeifliegen, wieso westlich? Ist das nicht im 21. Jahrhundert ein Klischee von vielen? Kleimann könnte die Kommentare russischer Konsumenten in der App des chinesischen Alibaba- Konzerns nachlesen- eines Shop im Shop- Systems, das die Weltmärkte parallel zum amerikanischen Amazon überrennt. Egal, ob Damen- Unterwäsche, Technik, Messer, mechanische Uhren oder Gürtel aus angeblich echtem Büffelleder: Russische Konsumenten sind immer vorneweg. Die globalisierte Mechanik des Konsums ohne Grenzen (und ohne Import- und Mehrwert- Steuern) überschwemmt einen Kontinent nach dem anderen. Hier hat der Westen einfach nicht mehr viel zu melden. Dass uigurische Sklaven möglicherweise die Smartphones und Laptops zusammen setzen, die über die neue Seidenstrasse quer durch Russland bis nach Duisburg gekarrt werden, oder über Seeweg in den Hamburger Hafen, wird den Konsumenten hier wie dort gleichgültig sein. 

Dann folgen weitere Reisen Kleimanns durchs russische Reich, durch russische Geschichte. Geküsste Ikonen, hoffnungslose Schlachten, Zehntausende von Toten, Partisanen. Napoleons Vorstösse und ein Abprallen von SS- Verbänden kurz vor Minsk, und deren Ausweichen Richtung Stalingrad. Eine russische Ärztin ist sich sicher: Die Erde sei hier heilig. Sie gäbe Schutz. Freilich, die alten Kolchosen sind so gründlich zerschlagen, dass die Flächen heute komplett brach liegen. Man geht beten und trainiert Massen von Jugendlichen in Lagern, wie man Kalaschnikows bedient. Feiertag zur Befreiung vom Faschismus. Kleimann sieht in all dem die russische Seele, die „erprobt im Leiden“ (1) sei. Als Anthroposoph hofft er auf die Verwandlung dieses endlosen Leids „in zukunftstragende, eigenschöpferische Kraft“ (1). Freilich, die alten Ikonen werden nicht helfen, auch wenn der korrupte Patriarch vor kurzem eine Prozession in gepanzerter Mercedes- Limousine vollzogen hat, mit der Gottesmutter auf der Rückbank. Und was, so Kleimann, wird die „materialistische Bazillenfurcht“ (1) in diesem Zusammenhang noch anrichten? 

Der russische Anti- Materialismus ist, zumindest nach Rudolf Steiner, kein Wunder, das russische Mütterchen fühlt sich federleicht, schon weil ein Großteil des Landes geologisch erst seit der letzten Eiszeit aus der schweren Tiefe aufgestiegen sei (2). Allerdings hätten das typisch russische Phlegma, die religiösen Obsessionen und Nostalgie auch erst zur Politik als Religions- Ersatz geführt - ein Phänomen, das sich heute rund um die Erde wieder findet: „Im Osten ist zum Beispiel die Tragkraft des Bolschewismus darauf zurück zu führen, daß er eigentlich von den Menschen des Ostens, schon vom russischen Volke, wie eine Religionsbewegung aufgefasst wird, so daß die Träger wie neue Heilande angesehen werden, gewissermaßen wie die Fortsetzer früheren religiös- geistigen Strebens und Lebens.“ (3) So wird die Gottesmutter auf der Rückbank der Mercedes- Limousine nicht nur erklärlich, sie könnte auch rückstandfrei durch eine Ikone von Putin ersetzt werden. 

Steiners romantisches Russland- Bild war ja noch vom Bauern geprägt, der noch nicht einmal Zucker (4) zu sich nahm (geschweige denn Ali- Express benutzte, um sich Damen, Unterwäsche aus China schicken zu lassen), um sich leicht und unirdisch zu fühlen, andererseits aber auch spirituell bereit, die anthroposophische Dreigliederung zu realisieren (5). Aber dann kommt, ganz unromantisch, auch die Steiner- Attacke, die die inneren Widersprüche, die Kleimann so treffend beschrieben hat, nicht nur bestätigt, sondern in der Folge geradezu dämonisiert. Steiner meint nämlich: „Und heute ist gerade der östliche Mensch bis herein nach Russland in einem merkwürdigen Zwiespalt, weil er auf der einen Seite noch aus seinem Erbe heraus in dem alten spirituellen Elemente lebt, und weil auf der anderen Seite auch auf ihn wirkt dasjenige, was aus der gegenwärtigen Epoche der Menschheits- Entwickelung kommt, das Trainieren zur Individualität hin. Das bedingt, daß im Osten eine starke Dekadenz der Menschheit ist, daß gewissermaßen der Mensch nicht Vollmensch werden kann.“ (6) Mitten in diesen inneren Widerspruch zwischen tradierter, aber politisierter, dekadenter Ikonographie einerseits und dem materialistischen Ego- Bewusstsein der Gegenwart andererseits hinein kann sich eine post- stalinistische Clique aus Geheimdienst- Offizieren und Petersburger Mobstern unter Putin seit 16 Jahren und weiter halten, Mythen etablieren, die Muttergottes durch die Gegend fahren und politische Gegner vergiften. Rudolf Steiner beschreibt den Prozess als generalisierte Bewusstseins- Vergiftung in kollektivem Masstab, die bei Unproduktivität, mangelnder Fokussierung, Autoritätsgläubigkeit, falschem Idealismus bis hin zum Ausbreiten „eine(r) dumpfe(n) mystische(n) Atmosphäre unter den Menschen“ (6) führt- tödliche Waffen in einer totalitären Lügen- und Bewusstseins- Industrie, die heute, vom FSB gesteuert, das Internet flutet. Die heiligen Glöcklein, die goldene Ikone, die heilige Erde- das sind heute (auch) Waffen im Kampf um die Meinungs- Hoheit, die ideologische Superiorität. 

Freilich, in historischer Sicht tauchen die Wale auf und ab. Meist mehr ab als auf. Die Ikonen zerfallen zu Staub, die Weltreiche enden als Ferienlager mit Kalaschnikows, die Chakren schnappen nach frischer Luft. Die Maisfelder liegen hinter mir, der Akku ist noch halb voll, und ich wende mich nach Westen, auf dem Weg nach Hause. Es ist nicht mehr besonders weit.




Anmerkungen & Verweise __________________


1 Raphael Kleemann, Opfer und Auferstehung, Russische Oster- Impressionen in die Drei Zeitschrift für Anthroposophie in Wissenschaft, Kunst und sozialem Leben, Juli August 2020, S. 3ff 

2 „Dieser Kontinent war umschlossen von einer Art von warmem (Meeresstrom), von einem Strom, bezüglich dessen das hellseherische Bewusstsein ergibt, daß er, so sonderbar es klingen mag, von Süden herauf ging, durch die Baffins-Bai gegen das nördliche Grönland verlaufend und es umfassend, dann herüber floss nach Osten, sich allmählich abkühlte, dann in der Zeit, in welcher Sibirien und Russland noch lange nicht zur Erdoberfläche gehoben waren, in der Gegend des Ural hinunter floss, sich umkehrte, die östlichen Karpathen berührte, in die Gegend hinein floss, wo die heutige Sahara ist, und endlich beim Meerbusen von Biskaya dem atlantischen Ozean zu ging, so dass er ein ganz geschlossenes Stromgebiet hatte. Dieser Strom ist noch in seinen allerletzten Resten vorhanden: der Golfstrom. Den Griechen tauchte auf das Bild des Okeanos, der eine Erinnerung ist an jene atlantische Zeit.“ R Steiner, GA 121.176f

3 R Steiner, GA 200.49

4 „Der russische Bauer wird das Ich so wenig wie möglich betonen. Bei dem Engländer ist das Gegenteil der Fall. Das findet schon einen rein äußerlichen Aus- druck in der Schreibweise: der Engländer schreibt das Ich groß. Geht man diesem Sachverhalt nach, so findet man, daß in England fünfmal so viel Zucker konsumiert wird als in Russland. Der Vorgang, welcher in der Verdauung durch Zuführung einer größeren Menge von Zucker bewirkt wird, hat im oberen Menschen sein Korrelat in einer stärkeren Selbständigkeit der Denkfunktion.“ R Steiner, GA 96.173

5 R Steiner: „Es wäre möglich gewesen, wenn nicht so vieles verschüttet worden wäre, in der Tat mit diesem dreigliedrigen Organismus gerade in Russland am ehesten Anhänger zu gewinnen.“ GA 330.221

6 R Steiner, GA 200.44f

Die heilige Mission des Zorns

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Na, sieh sie dir an, die weichgespülten, aber zähen Funktionäre, wie sie die veränderten Realitäten wieder in ihre Agenda einzuordnen bemüht sind (1). Sieh, zum Beispiel, die Anthropopper, die nach vollzogenem Brexit die EU zum administrativen Monster, zum Erzfeind, zu Ahriman erklärt hatten. Ja, die EU tötet die Individualität, vor allem die des adeligen Landlords, der gern noch im Tweed- Anzug auf die Fuchsjagd geht, sein Pint in der dekorativen Bierschwemme trinkt, seine Klasse schätzt, über die Polen hetzt, aber im nahegelegenen Escort- Service gern die billigen Dinger aus Pakistan bucht. Herrgott, womöglich betreibt er als Hobby noch eine anthroposophische Facebook- Gruppe, die gegen VOLKSAUSTAUSCH schwadroniert. Kaum waren sie damit fertig, wurden als die ahrimanischen Erzfeinde Merkel und Soros erklärt, du weißt doch noch. Die Russen begannen wieder heimlich von Stalin, die Ossis von Honecker zu träumen, du weißt ja, die schöne Zeit, als man Nachbarn beschnüffeln, dämliche Kollegen denunzieren und mit ein paar Westmark etwas richtig schönes kaufen konnte. Man kannte noch jeden, die Busse fuhren noch und man konnte träumen, verstehste. West- Berlin war weit weg, und im Keller waren die Erbsen und eingekochten Tomaten eingelagert. Ab und zu grillten wir zusammen, und unsere Firmen hatten Bestand und irgend wie Substanz. Heute weisste ja nicht, ob dich morgen ein Chinese aufkauft. 

Und dann, als diese Zornes- Schale verraucht war, dann kam das Virus, natürlich auch aus China. Die meisten Ausländer hatten es durch Sprachkurse und Fortbildung schon weiter als unsereins gebracht, ich meine, bis zum Facharbeiter. Vielleicht führen die ja irgend wann hier die Unternehmen, man kanns nicht wissen. Dann werden die verbliebenen Deutschen vor die Tür gesetzt. Die anthroposophische Tante meint, das seien die luziferischen Scharen aus dem Osten, die hätten uns kalt erwischt, weil wir nicht aufmerksam waren, sondern immer auf unseren Handys rum gewischt hätten. Jetzt haben wir den Salat. Überall gibts Kebab und Hummus. Die jungen Leute werden praktisch mit dem Zeug groß gezogen. Aber gut, der klassische deutsche Braten kommt heute aus so einer Großmetzgerei wie Tönnies, da stehen die Bulgaren mit Kettensägen und bereiten dir das Schnitzel vor. Dann werden die wie Sklaven in ihre Massen- Unterkünfte eingepfercht und husten sich über Nacht gegenseitig an. Da wird man doch von selbst zum Vegetarier. 

Siehst du, steigt mein Zorn wieder hoch. Selbst die Holländer lassen die Ostarbeiter lieber auf deutscher Seite wohnen, dann dürfen sie morgens über die verdammte offene EU- Grenze und zersägen die Limburger Braten und bereiten Kebab und Frikandel zu, vermute ich mal. Ostarbeiter, wenn man das schon hört. Ich meine, die Deutschen hatten für die Idee schon immer ein Faible. Das hat auch was von Kolonial- Zeiten, oder? Damals mussten die Neger noch das Gummi für unsere Mercedes- Limousinen zapfen. Heute darf man Neger nicht mehr sagen, und es sind auch keine Neger mehr, und sie sägen auch mehr, aber Sklaven sind sie alle, oder? So oder so. Der Aldi ist doch ein Sklavenmarkt, wir wollen über die Klamotten gar nicht sprechen. Oder über das Gemüse. Selbst die Tomaten für die italienische Bio- Soße werden von geflohenen Afrikanern in Süditalien geerntet. Und dann kommen die Ausbeuter, die gern beim Discounter einkaufen, schwenken Reichtags- Flaggen und wollen ihren Dings zurück. Wie zornig die sind.

Na, ich bin es auch. Man legt die Schleier über die Realitäten, bis sie gülden schimmern, das ist es. Erst eine Lage Nationalismus, dann eine Lage Selbstgerechtigkeit, dann eine Lage Geschichtsvergessen, und dann noch etwas zur Veredelung, wie Spritzgebäck, etwas Heiligkeit, Esoterik, Kaiserschmarren. Manche Leute werden davon lebenslang besoffen, glaub es mir. Sie wissen nicht, dass diese Lügen von Zorn zusammen gehalten werden, die Lebenslügen, und unten drunter werden sie von Angst gespeist. Guck dir die Männlein an, die heute die Demonstrationen von Corona - Leugnern bestücken. Die die Nazis neben sich nicht sehen, so wenig wie, die vor kurzem noch von Umvolkung schwadronierten. Heute gucken sie mit feuchten Augen den KenFM bei YouTube und geraten dann in eine Stimmung zwischen Kurzatmigkeit, Zorn, Selbstgerechtigkeit und Überzeugung. I can see the light, sagt der Erleuchtete, wenn er zufällig Engländer ist. Dann malt er ein Plakat mit Sprüchen wie Ich kann nicht mehr atmen in der Merkel- Diktatur, und malt ein No- Gates Button darauf. 

Es wird Zeit, etwas zu unternehmen. Sonst saßen wir gern noch bei einem Gläschen zusammen und erzählten über die neue Waldorf- Erzieherin, die irgendwie so verhuscht ist wie wir früher auch, aber auf gute Art und Weise, und die Kinder lieben sie. Die kennt auch ein paar Gnomen- Märchen, die uns unbekannt sind. Aber man versteht sie so schlecht unter der Corona- Maske, verstehste. Das und der badische Akzent. Das klingt, als ob du den Gärstoff aus einem Bierfass ablässt, und die Kinder verstehen nur „Schwergeland“ und ansonsten PFF. Ich weiß nicht. Auf der Demo war sie jedenfalls nicht. Aber alle, die man aus dem Meditations- Kurs kennt, und der anthroposophische Kursleiter natürlich vorne weg. Ich hatte ja schon immer die Theorie, dass der Zorn fürs Meditieren förderlich ist, jedenfalls, wenn man wütend ist, dann hat man es nötig, zu meditieren, oder? So ein Waschlappen, der nur Steiner- Zitate vor sich hinbrabbelt, braucht das nicht, der ist eh immer verhuscht. Der quatscht dir den ganzen Abend ein Ohr ab über das reine Denken. Nein, da ist mir der Kursleiter lieber. Der ist klar und bestimmt, und sagt wie es ist mit Drosten, dem ZDF und Bill Gates. Wir leben in einer Medien- Diktatur. Da muss man zornig sein, um geistig zu bestehen. Wir sind zornig, um zu existieren! Wir sind humane Wesen! Wir wollen Freiheit! Wir wollen nicht geimpft werden von der Meinungs- Mafia und dem EU- Parlament! Ich bin ich!


Kursbuch anthroposophische Coronafreunde: https://www.akanthos-akademie.de/

1 Peter Selg erkennt keine Nähe zum Rechtsextremismus: https://www.akanthos-akademie.de/2020/09/12/peter-selg-widerspricht-dem-vorwurf-einer-n%C3%A4he-der-anthroposophie-zu-rechtsradikalen/

Als der Fluss mit mir und den Kieseln spielte

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Man hat wirklich kein Wort dafür, was nicht besetzt wäre von falschen, verwirrenden, neben der Spur trabenden Implikationen. Das hat dazu geführt, dass man ungern darüber spricht: Meditation. Rein markt- technisch zu Tode geritten, über die Jahrmärkte gezerrt, in Wellness- Seminaren durch Übungen in Lycra- Strumpfhosen erdrosselt, durch mittelalte kalifornische Achtsamkeits- Lehrer in aufgeräumten englischen Phrasen ertränkt. Ich kann das Wort nicht einmal bei mir selber leiden.


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Es passt ja auch schon deshalb nicht, weil es sich nicht um ein Ziel, eine Aufgabe, eine ideologisch besetzte oder moralisch überhöhte Selbstbehandlung im Sinne von: Ich werde immer besser und reiner handelt. Vor ein par Jahren hatte ich noch einmal ein Angebot, eine Seminar- Reihe mit zu gestalten, und lehnte ab: Ich war völlig ratlos, was ich lehren sollte. Und als ich dann hörte, was die anderen Beteiligten lehrten, ließ mich das noch ratloser da stehen: Das waren alles Übungen wie zur Leibesertüchtigung, Vokabel- Training, die Mucki- Bude des Geistes. Ratlos, wie man einem Kind das Gehen erklären sollte: Es hat diese Orientierung, sich aufzurichten, einen Pol zu errichten zwischen Erd- Mittelpunkt und Sonne, es arbeitet, es dreht sich, es robbt, es hockt, es sitzt, es steht, und irgendwann macht es den ersten Schritt. Versuche es einem Baby zu erklären! Es stellt sich in eine kosmisch- irdische Ordnung, und verwendet seinen intrinsischen Willen dafür, und selbst, wenn es durch eine Verletzung oder Behinderung nicht imstande sein sollte, Stehen und Gehen in aller Sicherheit zu erlangen, hätte es doch die Reife, die Perspektive eingenommen, das intellektuelle Korrelat für das Gehen. Wie das Stehen und Gehen ein geistig- physisches Sprechen, ein Ausdruck der Humanität und Souveränität ist, ein Hineinstellen in ein Feld der Optionen, durch die man ein Leben gestalten kann, eine Ausgangsbasis von Aktion, Reaktion, Interaktion, so ist das, was man unglücklicherweise Meditation nennt, davon eine Vertiefung.

Vertiefung inwiefern? Nun, das Laufen, Schaffen, Agieren, Plädieren, Schaffen, Gestalten, Erdulden kommt irgendwann, irgendwo an ein Ende. Das seine Welt und Erlebnisse reflektierende Ich steht in seiner Blüte, vielleicht geliebt, vielleicht anerkannt, jedenfalls gesehen und gespiegelt von einem sozialen Kontext. Vielleicht ist es auch gescheitert, vielleicht verbirgt es Spuren, Leiden, Brüche. Aber es ist, trotz aller Agilität, trotz der Aktivität und Bespiegelung eine brüchige innere Existenz. Sie ist prekär, weil sie abhängt von Reaktionen Anderer, von belegbaren Erfolgen, von Karriere, von gelebter Nähe, vielleicht auch von wütendem Widerspruch Anderer. Und auch innerlich ist die Lage nicht besser. 

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Abends, wenn die Schatten der Nacht herein kriechen, fallen die tragenden. Selbstbilder in sich zusammen. Der erste Frost steht vor der Tür. Was zählt, was bleibt? Die Schatten und die kalten Nächte werden alle Blätter fallen lassen, die ich so mühsam um mich geschichtet habe. Der Beruf wurde mir genommen, die eingebildete Begabung, die beste Freundin ist tot. Das hier, das ist eine geliehene Existenz, die Menschen flüchten in Selbstbeschwörung, Substitute wie Religion, Zelebrieren ihrer Illusionen, in puren materiellen oder intellektuellen, ja sogar spirituellen und moralischen Status, der allerdings stets einen egozentrischen Touch hat, einen Hang und Wand zur Selbstbestätigung. Dieser Hunger ist so alles überwältigend, weil es sich um eine existentielle Beschwörung handelt, eine Inszenierung des Ego angesichts der Schatten und Fröste, die verkünden, dass alles zerfällt; alles, selbst die Macht, selbst die Gewalt, selbst ein Reich. 

Der im biblischen Sinne Arme befindet sich- zumindest in den Situation, die meditativen Charakter haben, nicht in dieser illusorischen Zeremonie der Selbstbeschwörung. Solange man glaubt an Selbst- Optimierung, moralische Überhöhung, fromme Auferstehung, durch Entbehrung und Selbst- Überwindung erreichet Leere des Geistes, worauf die Inspirationen sprudeln, ist man verloren; jeder Erzengel mit etwas Selbstachtung wird dazu sagen (sollte er es wahrnehmen, das jammervolle Gemurks): Go fuck yourself.

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Und tatsächlich, an dieser Stelle nähern wir uns dem Charakter der Unmöglichkeit des Begriffs Meditation, da dieser etwas impliziert, das Watzlawick einst (1) Double bind- Struktur genannt hat, ein unauflösliches Paradox, in dem man sich bei dem Versuch verstrickt, widersprüchliche Anforderungen zu erfüllen- etwa etwas Essentielles wie Sei absichtslos! Während die Absicht, die Orientierung auf ein Ziel hin, sich in der Aufforderung „Sei“ artikuliert, ist das Ziel „absichtslos“ eben, kein Ziel zu haben. Das Paradox zieht sich bis hin zur christlichen Mystik im Sinne von „Gebe dich hin, um dich zu finden“. Kein Wunder, dass sich hundert Generationen von Wahrheitssuchern verzweifelt eingeredet haben, diese Paradoxe irgendwie übersprungen zu haben, und, glücklicherweise, etwas entdeckt zu haben. Die Mystik des sich selbst am Schopfe aus dem Sumpf Ziehens ist dem Guru, dem Politiker und dem Wunderheiler eigen- sie alle beherrschen das Metier der Selbstbeschwörung. Ebenso wundersam, dass sich die Bilder, Erfüllungen, Prophezeiungen, Imaginationen so sehr ähneln- sie gestalten sich glücklicherweise den Erwartungen des Publikums entsprechend, ja sie erfüllen das, was offenbar stets schon klar gewesen ist- zumindest den Eingeweihten. So werden Legenden gestrickt, so werden Gefolgschaften aufgebaut. Ein jeder bekommt, was er erwartet, das Manna, das für ihn verdaulich ist. Der Politiker verteilt einige Brosamen vager Versprechungen, der Guru verteilt seinen Segen, Gott sei mit Euch. Amen.

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In der ganzen Zeit habe ich am Fluss gesessen und mit den Kieseln gespielt, vor mir eines dieser Bücher von Kühlewind (2), in denen jeder einzelne Satz ausreicht, um ein meditatives Leben zu füllen, und zwar umfänglich. Wozu bitte einen Meditations- Kurs, wenn man so ein Buch hat? Wozu einen Kurs, wenn man Rhein- Kiesel in der Hand hat? Jedenfalls schreibt Kühlewind: 

Das „So- Sein“ ist vom jeweiligen Bewusstsein abhängig; das „Sein“ ist zunächst das Grenzerlebnis selbst. Der dauernde Weltengrund, das Sein „vor dem Erkennen“ im gewöhnlichen Sinn, ist das lebende Licht oder Wort, das gegenwärtige Bewusstseinslicht, in dem Sein und Erkennen noch eins sind. Das ist die Prima Materia, noch ohne Gestalt, ohne die Qualitäten des Alltagsbewusstseins, aber als lichte Möglichkeit von Qualitäten und Eigenschaften, denen wir im gespiegelten Bewusstsein begegnen.“ 

Das „gegenwärtige Bewusstseinslicht“, das seiner selbst lediglich nicht bewusst wird, weil es im „gespiegelten Bewusstsein“ auf die sinnlichen Erfahrungen, die Dinge, Assoziationen und Fragmente starrt, aber nie auf sich selbst, benötigt doch ein Medium, ein Element der Selbst- Vergegenwärtigung. Es ist mehr ein Schritt zurück, ein Schweigen, ein Spielen mit den Kieseln am Strand. Es ist mehr ein Sinken in ein zähes, stilles Element, ein absichtsloses Absinken in den Grund. Es ist ein so vertrautes Element, man kennt es doch von den Grenzen des Schlafs. Manchmal wacht man daraus auf und hat einen Lichtblitz, ein Erkennen, ein Verstehen, das, je mehr man es in sich bewegt, um so komplexer wird- ein Zipfel, an dem die Welträtsel sich entrollen. Die „Prima Materia“ selbst, sie ist nicht nur vertraut, sie ist so lebendig wie die frische Brise in einem Waldstück, in das die Sonne unstet schimmert, während der pilzige Geruch aus dem feuchten Grund aufsteigt- so dicht und frisch, dass man unwillkürlich den Atem einzieht und denkt: Das kann man nicht vergessen. Das kann man überhaupt nie vergessen. Selbst, wenn ich keinen Körper mehr habe, wird mich die Sehnsucht danach wieder hierher zurück ziehen. Man weiß, man ist in seinem Element. Aber dieses Element ist transparent, man weiß, dass es ganz universell menschlich ist, und dass es zugleich jedes einzelne lebendige Wesen durchdringt - Erkennen und Leben zugleich. Man muss sich nur zurück lehnen, und man schmeckt diese Prima Materia, die Welt des Lebens und der Erkenntnis, in der das menschliche Ich zuhause ist. Der Ausnahme- Zustand - so die unmittelbare Erkenntnis- ist eben das Alltags- Bewusstsein, der gespiegelte Blick, die Bannung auf das Dingliche und Assoziative. 

Und tiefer geht es, tiefer, dorthin, wo die Flüsse unter der Erde zusammen fliessen und in den großen Rhythmen in Ebbe und Flut verlaufen. Mit den großen Strömen zu verfliessen! Hier, und nur hier ist es wahr und frei von Widerspruch: In dem Maß, in dem du dich gibst, wirst du dir gegeben. Dabei gibt es kein Maß und niemanden, der misst. Es ist schön, und es ist wahr. Es ist dein non-. duales Leben als tastendes, erkennendes Ich, das sich verfliesst, ohne sich dabei im geringsten zu verlieren: Gebannt in einer biologischen Form, aber ohne sich auch in ihr verloren zu geben; nicht gebannt von der sensorischen Perspektive, sondern frei atmend im hellen Strom des erkennenden Lebendigen. In der ganzen Zeit habe ich am Fluss gesessen und mit den Kieseln gespielt, und der Fluss und die Kiesel mit mir.



1 https://de.wikipedia.org/wiki/Doppelbindungstheorie

2 Georg Kühlewind, Die Diener des Logos- Der Mensch als Wort und Gespräch, Stuttgart 1981, S 55

Rhythmus, Logos & der Gesang aller Vögel

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Mein Leben eine Welle

Wer sein eigenes Leben - hoffentlich mit einer Portion Humor- aus angenehmer Perspektive, ohne besonders entrückt oder, im Gegenteil, emotional verhaftet zu sein, anschauen kann, dem erscheint es vielleicht vor seinen Augen wie ein Wellenkranz auf der Oberfläche eines Sees, in den ein Stein geworfen worden war- eine Welle, die sich entfaltet, vermehrt, aufbaut, abflacht, an den Rändern des Wassers zurück geworfen wird, um dann in zahlreiche kreuzende und reflektierende Bewegungen zu zerbrechen. Und was kommt nicht alles hinzu, um diesen Ablauf zu variieren: Landzungen, Untiefen, überragende Äste, die die Wasser- Oberfläche, durch Wind getrieben, berühren, Wasserläufer, Fische, ein unerwarteter Zulauf aus dem Bach, der den See speist, eine Millisekunde, in der der Mond sich neigt und die Erdanziehung mit einem Seufzer seinem Bann folgt, ein Entenpaar, das landet, und ein Reiher, der ins Wasser sticht, um einen Lurch zu schnappen. Das alles sind die Umstände, in denen meine Wellen gebrochen werden, und es ist nur der Anfang. Ein Meteor, der ein wenig Meteoreisen in den See verstreut, ein alle sieben Tage auftretendes winziges Aufatmen des Erdkörpers, die unsichtbare Gravitationswelle einer zeitlich und räumlich unendlich entfernten Supernova- sie alle hinterlassen Spurenelemente in der Figur, die meine Welle in diesem See macht. Will man es beschreiben, hat die persönliche Spur sich mit dem Gegebenen, aber auch mit dem kosmischen Umkreis so verbunden, dass es nur in Gedichten, Bildern auszudrücken wäre- aber worthaft ist es schon: Ein Ausdruck des Individuellen inmitten des kosmischen Umfeldes, Wort inmitten des großen Wortes, das gesprochen wird, auf dass ich sprechen kann. Rhythmus im Rhythmus des Ganzen, des Feldes. Ich sehe mich in Dir. Ich übergebe mich Dir. Ich bin eine Welle in Deiner Welle. So weit die rhythmische Entrückung, vielleicht auch ein Stück Selbst- Verzückung. 


Im Einklang mit kosmischen Rhythmen

Bei Anthroposophen ist dieser Übereinklang von Rhythmen auch des Leibes mit denen des umgebenden Kosmos eine zentrale Perspektive: „Lebendig variable Rhythmen sind in vielen Naturvorgängen und insbesondere auch im menschlichen Organismus zu beobachten, die oft ihr Urbild in korrespondierenden kosmischen Rhythmen haben. So ist etwa der Puls- und Atemrhythmus des Menschen ein verkleinertes Abbild des großen Platonischen Weltenjahres, das aus der Präzessionsionsbewegung der Erde resultiert.“ (1) Die gegenseitige Korrespondenz erzeugt dann in den Lehren Steiners auch biografische rhythmische Gliederungen und Muster wie die Gliederung in Sieben- Jahres- Schritten, die wiederum auf planetarische und hierarchische Hintergründe verweisen. In den sich entfaltenden biografische Wellen gibt es besondere Chancen und Probleme in den Jahrsiebten, aber auch gegenläufige Bewegungen, die durch das schubweise Erwachsenwerden im Sinne einer zunehmenden Selbst- Vergegenwärtigung der geistigen Präsenz erzeugt werden können. Selbst in den Folgen von Inkarnationen von Menschen erkannte Steiner Muster, ja in den Aggregats- Zustände ganzer Sonnen und Planeten.

Das ist eine moralische Klippe bei Rudolf Steiner: Der Antagonismus zwischen Ich und Ich. So weit die Präsenz, die pure Kraft des transzendenten Ichs eingebunden ist in die leiblich- seelischen Prozesse, befindet es sich - als Ego- sozusagen unter Wasser: Es wird mit den Wellen fortgerissen, es wird von den Umständen determiniert, verbraucht in seiner egoistischen Selbstbehauptung, seiner obsessiven Abgrenzung und intellektuellen Bewusstmachung aber zugleich unendlich viele Ressourcen, ja es saugt sich selbst auf wie ein sich selbst verzehrendes Wesen- eine Auto- Kannibalisierung, ein eigentlich erniedrigendes existentielles Schattendasein im biologisch- kosmischen Rhythmus, der eigentlich kein Selbstbewusstsein kennt, keine Zeit, keinen Raum: „In der Weisheit, im Rhythmus ist alles fertig, ausgeglichen. Im Menschen ist alles Rhythmische, Weisheitsvolle im Ätherkörper. Der Ätherkörper ist daher das am Menschen, was die Weisheit repräsentiert. Im Ätherkörper herrscht Ruhe, Rhythmus.“ (2) Das ist die andere Seite. In dieser kosmisch- irdischen Ruhewelt fächeln sich die Pantoffeltierchen kleine Wasserwirbel zu, und ein paar Milliarden Jahre sind wie ein Tag. Aber die kosmische Ruhe besteht, wenn es gut geht, beim Menschen ja nur im Tiefschlaf. Leise klappern die Augendeckel im Rhythmus des REM, der Geist ist flüchtig, der Atem geht tief und die Seele wabert durch bildlose Traum- Landschaften. Das Wasser kommt und geht, im biologischen Selbst tanzen die Pantoffeltierchen, und das Meer geht mitten durch mich durch. Aber dann ist Schluss mit der Harmonie.


Das andere Ich

Die Ruhe, wenn die Sterne blinzeln und die Gezeiten durch den Körper auf und abschwellen, gibt es nicht mehr, sobald der Mensch erwacht. Gefühlig, getrieben, in Notwendigkeiten eingeschweißt, der Tatendrang, die Operette der Aufgaben, Verpflichtungen, Vergnügungen. Die vielschichtige, komplexe, unergründliche, nicht entflechtbare Aufgabe, einfach der zu sein, der man ist. Und es auch nicht zu sein. Manchmal überrascht man sich selbst und hat eine plötzliche gedankliche oder moralische Intuition. Und sei es auch nur: Das geht doch nicht. Das machen wir anders. Manchmal überraschen einen die Zeiten, weil sie sich plötzlich ändern, so oder so. Plötzlich ist alles andere von gestern. Die Zeit von Trump, zum Beispiel, oder die Zeit vor der Pandemie. Und dennoch bleibt da unten, die Welt des Rhythmus, die Welt der atmenden Pantoffeltierchen, dieselbe. Dort, wo eine Milliarde Jahre wie ein Tag sind, dort, wo die Gesteine sich aufrichten, zerschmelzen, wandern und erodieren. Dort, wo Muscheln sich ablagern, zerdrücken, und zu Stein zermahlen werden. Dort hat die Auto- Kannibalisierung ein Ende. Mein Muschelhaus, mein atmendes Untendrunter. Hier liegst du mit dem Ohr am atmenden Puls der Erde, dort siehst du die Sterne aufgehen und zerfallen. Hier ist der existentielle Antagonismus nicht mehr existent. Das Haus der Toten, man sitzt an einem Tisch und trinkt den Wein und bricht das Brot. Man weiß, an diesem Tisch gibt es keinen Zerfall. Man ist ein Teil davon, man beleuchtet es, man ist ein Teil davon, immer gewesen, und für immer dabei. Das Haus der Toten, im Muschelgrund, ist der Tisch, der uns alle nährt. Aber dann klopft es an der Tür, du weißt, es ist wieder so weit, und du tauchst auf, du verlässt das Wasser, du wirst wach, und du bist wieder der, der du bist. 

Was eine Illusion ist. Der stumme Muschelmund spricht anders, und er kennt andere Worte. Aber weiter unten, unter dem Schlick, öffnet sich der Blick ja wieder. Hier hat nichts mehr Bestand, das eigene Bestehen gilt nicht mehr, denn es ist Strömung unter Strömung, Licht in Licht, Blase unter Blasen, und alles immer in Bewegung. Unter dem Räderwerk des Seins tut sich der Boden auf, in einer Unerschöpflichkeit, von der man selbst ein Teil ist. Ein wirbelnd- mäanderndes Sein unter anderen, die Un- Ruhe schlechthin. Das, was wird, was erstarrt, was Form gewinnt, was in die Zeit fällt, ist eine Verkrustung dieses Wirbels, selbst das Ich. Die Ebene der reinen Denkens, der puren Erkenntnis, ist die des Wachstums und Schaffens schlechthin. Hier entspringt alles Sein, weil dies das Sein schlechthin ist, und das Selbst ist davon ein Teil. 


Rhythmus zwischen Struktur und Chaos

Eine Kultur der Initiation ist also immer eine der Zwischenräume, eine der nicht sprachlich und dinglich fest zu machenden Zonen außerhalb des erkennbaren, klar umgrenzten Rhythmus. Wie sehr das dann auch schief gehen kann- etwa in einer Inflation post- religiöser Dogmen, Ersatz- Propheten, rassistischer und sexistischer Renaissance, Etablierung von Klassengesellschaften mit priesterlichen und kriegerischen Kasten- das ist Teil einer weiteren Betrachtung, die folgen soll. 

An dieser Stelle wenden wir den Blick zurück, in eine Zeit vor 2700 Jahren, in denen der Begriff Rhythmus bereits existierte, aber nicht gebunden war an die heutige Kopplung an Musik. Der Begriff hatte eine ganz andere Konnotation, deren Wandel Thrasybulos Georgiades in „Nennen und Erklingen“ (3) nachgeht. Hier (4) stellt er auch fest, dass „der Rhythmus als solcher ursprünglich kein rein musikalisches, sondern ein mit dem Ganzheitlich- Menschlichen, auch mit dem Räumlichen zusammen hängendes Phänomen ist. Es hat Jahrhunderte gedauert, bis es zu der Bedeutung des Wortes kam, die wir heute primär damit verbinden, den musikalischen Rhythmus, oder zumindest etwas, das in der Zeit vor sich geht.“ Das ist auch deshalb bedeutsam, weil „Rhythmus“ als Begriff „alle Kultursprachen aus dem Griechischen übernommen haben, um das zu bezeichnen, was wir eben Rhythmus nennen. Was aber bedeutet das Wort? Und wie kommt es, dass alle Sprachen es übernehmen, ohne in der Lage zu sein, für das darunter Verstandene (als Wort, nicht als Terminus) ein eigenes Wort aufzubringen, es zu übersetzen?“ So mächtig die Intuition für dieses Wort gewesen sein muss, um es die Kulturen der Welt penetrieren zu lassen, so schwankend und unklar scheint es selbst bereits im Griechischen gewesen zu sein, denn auch in der Verwendung differieren die Bedeutungsebenen. 

Dieses Wort sprengt die einmal gefundene Semantik immer wieder, es ist zu groß und zu viral, um sich in ein Korsett sperren zu lassen. Georgiades zitiert in diesem Zusammenhang Aristoxenos (der sich wiederum auf Aristoteles bezieht, also in einer deutlich späteren Zeit), der Rhythmus definiert als etwas, das nicht „aus einer Zeiteinheit (aus einer Zeit)“ (5) bestehen könne, sondern seine „Entstehung bedarf des Vorher und Nachher“ (5)- Rhythmus konstituiert sich aus dem Gegensatz zum Nicht- Rhythmischen, zur Stille, zum Nichts. So wie jedes Ding sinnlich erfassbar wird dadurch, dass es ausgeschlossen wird von dem, was Nicht- Ding ist, so wie das Leben beginnt, wenn der Rhythmus des Herzschlags einsetzt (oder wieder einsetzt), so ist eine strukturierte Zeiteinheit nur vor dem Hintergrund des Nichts oder des Chaos erkennbar- das Nicht- Rhythmische wird in diesem ursprünglichen Begriff von Rhythmus mitgedacht, es wird durch ein Relations- Prinzip definiert. 


Rhythmus, Komposition und Mathematik

Aus solchen Spannungen am Rand der Stille hat übrigens John Cage komponiert, ja er hat die Stille geradezu zum Thema moderner Musik gemacht: „Dem gemäß vertritt Cage eine Musik der freien, gleichwertigen Klänge, die nicht aus der kompositorischen, dirigistischen oder interpretatorischen Absicht heraus, sondern aus sich heraus wirken und deren Zusammenhang in einem durch die Zeit (Dauer) vorgegebenem Rahmen, welcher der Wahrnehmungsförderung dienen soll, sich zufällig ergibt. Zufall ergibt die größte Chance aus allen Möglichkeiten das Naturgemäße zum Zuge kommen zu lassen. Um das zu gewährleisten wendet er in allen Phasen des künstlerischen Prozesses die Methode der „Unbestimmtheit“ an. Vorgegebenes ist zu starr und wirkt sich seiner Beobachtung nach entmündigend und negativ auf die Beteiligten aus. „Unbestimmtheit“ führt zum aufmerksamen Nebeneinander im Handeln, natürlicher Verantwortungsbereitschaft, gepaart mit Lebensfreude und stetigem mentalem Training. „Voraussetzungslosigkeit“ bedeutet, sich nicht von Prägungen bestimmen zu lassen und „Absichtslosigkeit“ der Verzicht subjektive Vorlieben und Abneigungen zum Ausdruck zu bringen. Die Stille ist der Moment, in welchem alle diese Möglichkeiten potentiell vorhanden sind. Deshalb hat die Stille in Cages Denken eine besondere Bedeutung. Sein stilles Stück 4’33’’ ist wohl das berühmteste und auch von ihm selbst am meisten geschätzte.“ (6)

Das Relations- Prinzip des Rhythmus bedeutet aber auch die mathematische Grundierung, wenn man den Rhythmus auf das Musikalische einschnürt: „Ganzzahlen- Verhältnisse konstituieren also auch den Rhythmus. Die Relationen „haken ein“; dazwischen ist „nichts“, wie auch zwischen den Ganzzahlen „nichts“ ist. Auch hier sind allmähliche Übergänge nicht möglich; das Moment des Kontinuierlichen scheidet auch hier aus. Der Musiklehrer ruft: „Zählen“, nicht: „Messen!“, und er meint damit ein Treffen, ein Zielen auf Zahlen, ebenso wie sich die Ermahnung „Rein intonieren!“ Auf das Treffen des „richtigen“, des wirklichen, das heisst des den Ganzzahlen entsprechenden Intervalls bezieht- das „Dazwischen“ ist „unrein“, das heisst nichts musikalisch Wirkliches.“ (7) Als Relations- Phänomen kann ein Rhythmus, wenn er denn „getroffen“ ist, ohne weiter transponiert werden in höheres oder geringeres Tempo, und damit auch die Melodie bedeutend variieren. Rhythmus als ein in sich stimmiges Verhältnis, das von seinen Rändern her definiert wird, ist ein Zeit- Phänomen, das eben doch unabhängig von Musik auftritt, etwa beim Tanz, in biografischen Zusammenhängen, in der Biologie, in geografischen Formationen. 


Rhythmus als Charakter und biografische Fessel

Rhythmus ist in frühen griechischen Belegen nach Homer, etwa ab 700 bC noch einmal ganz anders, nämlich als biografische Fessel, verstanden worden: „Erkenne, welcher Rhythmus den Menschen in seinen Banden hält“- im Sinne von „Haltung“, „Eigenart“, „Charakter“ eines Menschen- das den Menschen Bestimmende" (7). Sieht man die ältesten Bedeutungen von Rhythmus in diesem Zusammenhang als Phänomen an der Grenze zwischen Sein und Nichtsein, als von Vor- und Nachgeburtlichem abgegrenztes zeitliches Phänomen, so tritt im Inneren der Existenz ein Korsett, eine Struktur, eine Determination auf: Der strukturell bedingte Charakter. Rhythmus wird in diesen alten griechischen Verständnis- Mustern zu etwas wie einer biografischen, menschlichen Last, die zum Ausruf des Lyrikers Anakreon führt: „Ich hasse aber alle, die chtonische und schwere Rhythmen tragen“. Dass uns heute, über zwei Jahrtausende später, ein rhythmisches Element als Moment der Leichte erscheint, zeigt die Verschiebung der Gravität unserer Begriffe und unseres Denkens: In der Antike erschien Rhythmus im besten Fall als etwas wie „Haltung“ des Menschen, im schlimmsten Fall aber als tyrannische Disposition. Zunehmend verschob sich, über die Jahrhunderte, der Begriff in bildhaft, allegorische Richtungen, indem er etwa auf Erde und Zeitalter bezogen wurde: „Manches ändert sich an den Dingen durch lange Zeit. Nichts bleibt im selben Rhythmus.“ (7). Am Treffendsten ist vielleicht der Aufschrei des Prometheus, den ans Irdische Gefesselten, an die materielle Existenz, der im Original lautet „Ich bin hier in diesen Rhythmus gebannt“ (7). Rhythmus wird hier zur Maßregelung, zur Strafe der Götter, zur eigentlichen Fesselung an eine biologische Notwendigkeit. 


Rhythmus als Grundlage der sakralen Architektur und der Vernunft

Die Bindung des Begriffs an eine solche existentielle Ebene hat von da an Tür und Tor geöffnet für eine metaphorische Eskalation. „Rhythmus“ wurde zur Charakterisierung bei der Begradigung von Flüssen, bei Schmuck- Entwürfen und Mustern, bei der formalen Umgestaltung von Schriftzeichen- so dass die mitschwingende Ebene Proportion, Maß, Form, Verhältnismäßigkeit bedeutete. Schließlich wurde in Bezug auf einen Tempelbau (bei Pindar) als Maß aller Dinge gefragt: was für einen Rhythmus hatte er? Rhythmus wurde zum architektonischen Grund- Prinzip, zumindest in Bezug auf das Sakrale. 

Andererseits fragt Demokrit nach dem Rhythmus der Atome und meint damit nicht eine Bewegung, sondern die Form, das Schema, die Struktur des Lebens. Zugleich schrieb Demokrit aber auch schon vom Rhythmus als musikalischem Phänomen. Natürlich wurde die Ordnung in rhythmischer Hinsicht in Bezug auf Rhetorik gelehrt, aber auch schlechthin in Bezug auf die Struktur von Prosa und Dichtung. Bei Aristophanes sehen wir die Aufforderung zum Tanz: „Reicht einander die Hände, im Reigen- Rhythmus schreitet, hüpfet hurtig tanzend im Ring herum!“. Damit war wohl auch eine Allegorie in Bezug auf Vers- Rhythmen gemeint. Nach Platon verengte sich das Verständnis des Begriffs immer mehr auf musikalische Elemente, bei denen Rhythmus und Tonlage sich mischten in eine höhere Harmonie. Das Verständnis hierfür- die Fähigkeit zu Verstehen, das Denken der Harmonie und ihrer Elemente, wurde zum eigentlich menschlichen Unterscheidungs- Merkmal gegenüber den natürlichen Wesen: „Die anderen Lebewesen haben kein Gefühl für die Ordnung der Bewegungen, deren Name Rhythmos und Harmonia sind.“ (7) Das Erkennen von Rhythmen, Strukturen, höheren Ortungen, Kategorien wie solchen des harmonischen Zusammenklangs ist Kennzeichen der ureigenen menschlichen Vernunft. 


Die Entdeckung des Logos und der Gesang aller Vögel

Hier entdecken wir eine bemerkenswerte Übereinkunft zwischen der Tätigkeit des Erkennens und dem Erkannten: Insoweit, wie sich das aktive Denken erheben kann zur Erkenntnis der Harmonie, die die Bewegung der denkenden Aktivität leitet wie ein höheres Fühlen, ja wie eine Anlehnung an einen kosmischen Logos, ist das Denken selbst Teil dieser Harmonie. Das „Gefühl für die Ordnungen“ wie Harmonie und Rhythmus strukturiert nicht nur die Bewegungen des Denkens, fokussiert sie nicht nur, sondern gibt ihnen Sinn und Richtung. Der Mensch ist ein auf Sinn ausgerichtetes Wesen, da sein Denken es ihm erlaubt, in die Logos- Struktur des Seins aufzusteigen. Dieses Selbstgefühl des Geistes war sicherlich Teil dieser Hochkultur, wenn auch nur für eine exklusive Elite und Kaste. Das ursprüngliche Grundempfinden, das der Intuition des Begriffs um etwa 700 bC zugrunde lag, war dabei verloren gegangen: Dass die Struktur nur erkennbar ist vor dem Hintergrund der Nicht- Struktur, dass der Logos vor dem Nichts besteht und sich erschöpft, dass Zeit ein Konstrukt ist und wir alle nur ein gemurmeltes Wort vor dem formlosen Nichts. 

Und dennoch: Das klare Denken ist in der Lage, vor dem Chaos zu bestehen- zumindest, wenn es sich in dem Erleben und Erkennen.von Harmonie und Rhythmus als „zu erfassendes Geschenk der Musen an den Menschen“ (7) erlebt wird, wobei die Seele dabei „mit sich selbst in Übereinstimmung und zu Gleichmaß“ (7) kommen könne. Der Übergang zur Musik, insbesondere in der Form des Chorreigens, erscheint fliessend. Das, was im Rhythmus einerseits als (auch charakterlicher) Panzer, als seelische Form erlebt wurde, wird andererseits, in seiner hellen Seite, zur festen Haltung, zur eigentlichen Menschlichkeit, zum Charakter im besten Sinn. Diese Zwitter- Natur des Begriffs, zwischen Vollendung und erstarrender Perfektion, zwischen eigensinniger Form und harmonischem Einklang, durchzieht, wie Georgiades ausführt, ganze essentielle Teile der griechischen Philosophie. Aristoteles bezieht die Frage des Rhythmus umfänglich auf Rhetorik und Sprache schlechthin. Er schafft damit die Grundlage für Metrik und Kunstprosa späterer Epochen. 

Das ist sehr viel mehr Grundlage für Reflexion und Kunst- Betrachtung als die 400 bis 500 Jahre älteren Vorstellungen, die deutlich sakralen Charakter hatten. Ein Beispiel ist der schon öfter zitierte Dichter Alkman aus Sparta mit seinem berühmten „Ich kenne die Nomoi aller Vögel“, wobei: „Nomos ist hier etwa mit „Weise“, „Sangesweise“ wiederzugeben. Aber die Hauptbedeutung von Nomos ist „Gesetz“, ein Begriff, der (eigentlich) dem Bereich des Rechts und des Staates angehört.“ (8) Abgesehen davon, dass Nomoi in dieser Zeit kleine homerische Kompositionen darstellten, seien sie instrumentalisiert oder ein Gesang, bestand der Wille dieser Künstler, in der Komposition eben das zugrunde liegende „Gesetz“ darin abzubilden. Selbst im Gesang der Vögel vermag das geschulte Ohr mehr zu hören als formloses Nichts: Eben dies macht die Aussage Alkmans zu einer zeitlosen Beschreibung eines initiierten Denkens. 


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1 https://anthrowiki.at/Rhythmus

2 Rudolf Steiner, GA 93a, S. 23f

3 Thrasybulos Georgiades, Nennen und Erklingen, Göttingen 1985

4 S. 94f

5 S. 92

6 Thea Florea, https://www.grin.com/document/286502

7 Nennen und Erklingen, S. 93ff

8 Nennen und Erklingen. S. 101


So seufzt die geschundene anthroposophische Seele, oh Corona, oh Ahriman

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Hello again, Ihr Gipfelstürmer, Ihr okkulten Narzissten, Ihr politisch Abtrünnigen! Genug wegen Corona im Kreis marschiert, den Staat beschimpft und die kommenden Impfungen mit Verwünschungen belegt, nun geht es darum, die Initiation zu vollziehen und ins neue Zeitalter vorzustoßen, ins Zeitalter der Brüderlichkeit, in die sechste nachatlantische Kulturepoche! Es geht darum, den Drachen zu besiegen, der uns durch den Materialismus, vor allem aber durch Furcht vor Viren und Bakterien völlig zu verspeisen gedenkt. Denn wie sprach der Meister über unsere Zeit: 

Wir erobern uns dadurch, daß die ahrimanischen Mächte durch den Sieg des Michael in uns gefahren sind, wiederum ein Stück der menschlichen Freiheit. In uns alle sind ja diese Scharen des Ahriman gefahren, (aber) wir müssen gewissermaßen den ahrimanischen Mächten nicht die Oberhand über uns gestatten, müssen uns nicht verlieben in diese ahrimanischen Mächte. Das ist sehr wichtig. Denn es ist durchaus die Gefahr vorhanden, daß die Menschen festhalten dieses Verharren im Materialismus, in der materialistisch-ahrimanischen Denkweise, und sie hinaus tragen in Zeiten, in denen sie eigentlich bestimmt ist, überwunden zu sein. Dann würden die Menschen, die bei ihr verbleiben wollen, ein Bündnis eingehen auf der Erde mit alldem, was in ähnlicher Weise durch den Sieg des Michael über den Drachen entstanden ist, das heißt, sie würden sich nicht mit dem geistigen Fortschritt der Erd- Entwickelung verbinden, sondern mit dem materiellen Fortschritt. Sie würden in einem gewissen Zeitraume der 6. nachatlantischen Zeit ausschließlich Gefallen daran finden, in dem zu leben, was dann kommen wird durch Bazillen, durch die kleinen mikroskopischen Feinde der Menschen.“ (1)

Die Welt der Bazillen und Viren, sie hat uns nun schon sehr viel früher, durch eine ahrimanische Manipulation, in der Hand, was offensichtlich politisch gewollt ist: So jedenfalls denken manche Anthroposophen in der Szene, wie etwa Prof. Dr. Christoph Hueck (10), Waldorf- Lehrer- Ausbilder, Meditations- Lehrer und Redakteur der anthroposophischen Kernzeitschrift die drei (2), der schon früh auf Anti- Corona- Veranstaltungen der „Querdenker“ auftrat (3) und sich selbst Ende November 2020 noch in seinem Blog, also öffentlich und als ein Repräsentant der anthroposophischen Bewegung, gegen das Tragen von Gesichtsmasken aussprach: „Eine neue dänische Studie und ein Vergleich verschiedener Länder zeigen: Alltagsmasken haben offenbar keinen nennenswerten Einfluss auf das Infektionsgeschehen. Abermillionen Menschen tun etwas in dem festen Glauben, Infektionen zu vermeiden, obwohl es dafür keinen belegbaren Grund gibt.“ (4) 

Das ist aber keineswegs der einzige Grund für die Erregung in diesem anthroposophischen Querdenker- Blog. In einem ziemlich wüsten Beitrag Andreas Neiders (4) wird zwischen Corona- Regime- Phrasen, Kritiker- Text- Schnipseln, Boris- Reitschuster- Kommentatoren und Kanzlerin- Bashing vor allem die These vertreten, dass die Bundesregierung die Inzidenz- Zahlen manipuliere und eine Herden- Immunisierung verhindere, um eine Impfung der Bevölkerung zu erzwingen. (5)

Die Anthroposophen sind jetzt auch die wahren Grünen, denn sie allein hätten erkannt, dass die „wahren Ursachen der Pandemie“ verschleiert würden, die doch „in unserem massiv gestörten und deshalb zerstörerischen Verhältnis zur Natur, insbesondere aber in unserem kranken Verhältnis zu den Tieren“ (4) lägen. Wer hätte das je bezweifelt? Neider behauptet, die kommende Impfung und die Fixierung darauf solle dieses eigentliche Problem verschleiern. Zudem sei politisch „Totale Kontrolle und Überwachung“ intendiert - offenbar vonseiten aller Regierungen der Welt -, die aber keinerlei Sinn mache, da die Verbreitung des Virus längst außer Kontrolle sei: „Pandemiekontrolle ist jedoch eine Illusion, denn das Virus hat sich, wie die WHO bereits am 5. Oktober zugegeben hat, bei über 10% der Weltbevölkerung ausgebreitet.“ (4) Das ist interessant, weil die Phase der Leugnung der Existenz des Virus bei den Esoterikern und Querdenkern offenbar vorüber ist; man fokussiert sich jetzt darauf, dass man die wahren Ursachen ebenso kenne wie die geheimen Pläne der Regierungen. 

Selbstverständlich kennt man in diesen Kreisen auch den „Great Reset“ (4), der hinter all diesen Machenschaften und Manipulationen stecke. Die Fokussierung auf den Impfstoff, so seufzt die geschundene anthroposophische Seele, diene dazu, Aber- Milliarden für den ahrimanischen Imperator, die Inkarnation des Bösen im 21. Jahrhundert, zu sammeln. Ursula von der Leyen allein habe an einem einzigen Tag 7,5 Milliarden Euro eingesammelt. Der Zweck sei schon daher eigentlich klar, weil: „Der Sammeltopf für alle diese Gelder befindet sich, ja wo wohl? Man erfährt es nicht! Und an wen und wie diese immensen Beträge verteilt werden, erfährt man ebenfalls nicht!“ (4) Man erfährt es nicht! Aber eigentlich ist doch klar, wer dahinter steckt: „Am 12. November trafen sich also in Paris in einem ebenso ominösen „Paris-Peace-Forum“ eben jener WHO Direktor, Ursula von der Leyen, die Chefin der EU-Kommission, der französische Staatspräsident  Emanuel Macron, die norwegische Ministerpräsidentin Erna Solberg und Melinda Gates von der Bill & Melinda Gates Foundation (welch sonderbare Zusammensetzung von Staatslenkern, Internationalen Behörden und privaten Stiftungen!), um weitere 360 Mill. Dollar für diesen „Accelarator“ einzusammeln.“ (4) Es ist ominös, aber gerade deshalb klar! Bill wird Die Welt regieren!Und selbst Söder macht bei diesem Spiel mit! Altmaier sowieso! Und von der Kanzlerin reden wir gar nicht. 

Sie alle streben durch Impfstoff- Entwicklung und Kapital- Bündelung, durch Digitalisierung und Kontrolle eine Herrschaft an, die von den wahren Ursachen „im Sinne eines freien Geisteslebens“ (4) ablenken will. Stattdessen ist der Plan, eine total überwachte, digitalisierte Welt zu schaffen, wobei alle Institutionen, seien es chinesische Wissenschaftler oder die Europäische Zentralbank, Hand in Hand arbeiten. So etwas soll keinesfalls evolutionär, sondern in einem Ruck, und zwar jetzt gerade, vollzogen werden, damit es keine lästigen Reibungsverluste gebe. Dafür brauchte man das Corona- Virus: „Die Menschheit steht auf Grund der Vierten Industriellen Revolution an der Schwelle zu einer Neuordnung der globalen Beziehungen, der Volkswirtschaften und der gesellschaftlichen Prioritäten. Da der Übergang in die neue Gesellschaft mit heftigen Turbulenzen verbunden sein wird, sollte man ihn nicht schrittweise und über einen längeren Zeitraum, sondern ruckartig und so schnell wie möglich vollziehen.“ (4)

Ja, Freunde, das ist die ahrimanische Revolution. Und Ihr habt es nicht einmal gemerkt, weil Ihr diese bescheuerten Gesichts- Masken aufhabt. Anthroposophen wissen das, weil sie von Ahrimans Inkarnation und der sechsten nachatlantischen Kulturepoche wissen. Ahriman erzählt Auch, es sei sein Ziel, „den Zustand der Welt zu verbessern“ (4), aber nun Wirklichkeit geht es ihm darum, dass „beispielsweise implantierbare Mikrochips eingesetzt werden könnten, um die Gedanken von Menschen zu lesen.“ (4). So siehts nämlich aus. 

Da will auch Lorenzo Ravagli, der gute alte anthroposophische Traditionalist, nicht mehr hinter den Berg halten und arbeitet die verstreuten Angaben Rudolf Steiners über die Inkarnation Ahriman auf (6) Der Kultur- Pessimismus Rudolf Steiners, der von einer dekadenten (westlichen) Menschheit mit stetig steigender Intelligenz ausging, die sich „erfinderisch auf dem Gebiet des physischen Wesens“ (Steiner, 6) einer hoch- intelligenten Führergestalt ergeben werde: „Unter den fortwährenden Kriegs- und anderen Nöten der nächsten Menschenzukunft wird der menschliche Geist gerade sehr erfinderisch werden auf dem Gebiete des physischen Lebens. Und durch dieses Erfinderischwerden auf dem Gebiete des physischen Lebens, das nicht in irgendeiner Weise abgewendet werden kann durch dieses oder jenes Verhalten – es wird eintreten wie eine Notwendigkeit –, durch dieses wird möglich werden eine solche menschliche leibliche Individualität, dass in ihr sich Ahriman wird verkörpern können. Aber diese ahrimanische Macht bereitet von der geistigen Welt her ihre Inkarnation auf der Erde vor. Und sie sucht sie möglichst so vorzubereiten, dass sie – also diese Inkarnation des Ahriman in menschlicher Gestalt – die Menschen auf der Erde in stärkstem Maße wird verführen und versuchen können.“ (6)

Die „schöne neue Welt“ dieser Inkarnation sieht auch das Corona- Blog in den heutigen Vorbereitungen zur Bekämpfung der Pandemie: „Hinter dieser „schönen neuen Welt“ eines Klaus Schwab eines Tedros Adhanom Ghebreyesus, einer Ursula von der Leyen, eines Emanuel Macron, einer Christine Lagarde und einer Melinda Gates verbirgt sich nichts anderes als der auf technologischem Wege durch Impfungen, Mikrochips und Totalüberwachung aufgerüstete „perfekte“ Mensch der Zukunft.“ (4)

In diesem Sinne schleudert auch Lorenzo Ravagli der unverständigen Welt noch einen Rundbrief von anthroposophischen Ärzten, Tiermedizinern und Diplompsychologen entgegen, einen „Offenen Brief an die Bundeskanzlerin“ (7), in dem eindringlich wenn auch nicht vor Ahriman, so doch vor „Notstandsgesetzen“ gewarnt wird: „Sie fordern die Regierungen dieser Welt dazu auf, sich dem wissenschaftlichen Diskurs zu stellen, statt mit Notstandsgesetzen die Bevölkerungen zu kujonieren.“ Aber auch die „Diffamierung Andersdenkender“, die Maskenpflicht und die „coronafreundliche Rechtssprechung“ (7) werden kritisiert. Das wird die Kanzlerin sicherlich nachdenklich machen, wie auch die Regierungen der Welt. 

Sind die Anthroposophen noch zu retten? Ja durchaus. Ansgar Martins meint im Waldorfblog (8) und in einem Interview: „Die Schulen halten sich an die Corona-Auflagen, viele Waldorflehrer wollen mit Maskenverweigerern nichts zu tun haben. Es ist eher die anthroposophische Szene im engeren Sinne, wo die Maßnahmen oft sehr kritisch gesehen werden. Und die wirkt sich durchaus auf die Waldorfschulen aus.“

Und auch die Anthroposophische Gesellschaft versucht, in ihren Presse- Tipps zum Thema Corona ein differenziertes Bild zu geben (9) Die hysterische Endzeit- Prophetie scheint also Teil der Selbst- Inszenierung einer Hardcore- Minderheit zu sein, die inmitten der Querdenker und Rechten ein Forum für ihre apokalyptischen und zugleich narzisstischen Vorstellungen finden. 


_____________________________________quellen

1 Rudolf Steiner, in GA 177.153f

https://diedrei.org/redaktionsteam

https://www.akanthos-akademie.de/2020/05/07/rede-von-christoph-hueck/

https://www.akanthos-akademie.de/2020/11/20/das-neue-ifsg-und-der-great-reset/

5 „Das jetzige, gestern mit den Stimmen der CDU/CSU, der SPD und der Grünen endgültig abgesegnete Corona-Regime lässt zu einer Bewältigung der Pandemie keinerlei Alternativen mehr zu. Und damit erfüllt sich die unheilvolle Prognose der Kanzlerin vom Juni d.J. nun endgültig: „Die Pandemie ist erst beendet, wenn die Impfung kommt!“

Dabei sind die zugrunde liegenden Inzidenzahlen bewusst so gewählt, dass sie dank eines fragwürdigen PCR-Tests und beliebig steuerbarer Testhäufigkeit und CT-Werte erst in den Sommermonaten wieder unterschritten werden können. Andere Wege aber, die stärker auf die Herdenimmunität setzen, wie sie die in unserem Blog bereits diskutierte Great-Barrington-Declaration und das Positionspapier von Hendrik Streeck und Andreas Gassen vorgeschlagen haben, werden mit dem neuen Gesetz endgültig vom Tisch gefegt.“ (S. 4)

https://anthroblog.anthroweb.info/2020/der-inkarnation-ahrimans-entgegen-3/

https://anthroblog.anthroweb.info/2020/aerzte-stehen-auf-offener-brief-an-die-bundeskanzlerin/

https://www.stuttgarter-zeitung.de/inhalt.corona-pandemie-und-anthroposophie-streit-in-der-szene-ist-noch-nicht-entschieden

https://www.anthroposophische-gesellschaft.org/agid-aktuell?tx_ttnews%5Btt_news%5D=493&cHash=4ec734ff18de0bc6b468f87f3d44ef71

10 Hier alles Wissenswerte zu Professor Doktor Hueck: https://diedrei.org/files/media/hefte/2015/Heft11_2015/01%20Editorial%2011-15.pdf


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