Quantcast
Channel: Egoisten
Viewing all 678 articles
Browse latest View live

Okkulter Faschismus

$
0
0
Quelle "Provinz der Zauberer"
Der tiefere Sinn magischer Handlung ist - das ist nicht erst seit Aleister Crowley bekannt- nicht, sich selbst zu verwandeln, zu entwickeln und etwa eine imaginierte höhere Ebene der Wirklichkeit zu erreichen, sondern in einem willentlichen Akt die Wirklichkeit selbst zu verwandeln. Diese willentliche Imprägnierung oder Umprägung der Wirklichkeit ist seit den magischen Bemühungen gegen Ende des 20. Jahrhunderts zu etwas geworden, was nicht mehr in zurück gezogenen Zirkeln gepflegt wird, sondern in der vollen politischen Wirklichkeit.

Das Mittel dazu ist durch die globalisierte Informationsgesellschaft gegeben, die durch eine Schwemme von Fake News der Weltbevölkerung eine „alternative“ Realität präsentiert und sich durch die Aktivitäten des Großmeisters Alexander Dugin von russischer Seite aus und durch die Installation des Mediums Donald Trump auf amerikanischer Seite bemüht, die irritierten Massen in ihrem Sinn in den Griff zu bekommen. Die fehlende Unterscheidbarkeit von Lüge und Vernunft setzt den unbedingten, „imprägnierenden“ Willen durch, aber nicht mehr im initiatorisch- magischen Sinne, sondern als politische Machtpositionierung. Der Ausdruck solcher schnell verwirklichter Intentionen nennt sich - nach Counterpunch - „okkulter Faschismus“- ein Phänomen, das die Machtblöcke der Welt bereits überrollt hat, mit überwältigenden Erfolgen in der islamischen Welt, aber auch eben in Russland, den USA und in Teilen Europas, das gerade erst zaghaft beginnt, über Gegenmittel gegen diese Okkupation der Realität nachzudenken.

„Chaos Magic“ - einst von Aleister Crowley als schwarzmagische Methode öffentlich gemacht und persönlich gelebt - unterläuft, in die politische Ebene gehoben, die traditionellen linken und rechten Positionierungen: „..the Duginist appropriation of a primarily western occultist framework (and specifically the worldview of Chaos magic) and its transformation by the Duginists into a strategy for political action in the service of the Fascist Internationale.“ (dito) In Deutschland praktiziert z.B. heute die AfD solche Methoden, indem Björn Höcke Tabubrüche begeht, die die eigene Parteispitze scheinbar missbilligt, dadurch Aufmerksamkeit erreicht, die politische Diskussion auf sich zieht und zugleich von tatsächlichen politischen Zielen ablenkt, um so die politische Landschaft zu infiltrieren. Im aufgeheizten Klima ziehen sich die rationalen Kräfte resigniert zurück; Anschläge radikalisierter Rechter häufen sich, ein Hassklima entwickelt sich. Im verwirrten, aufgeheizten politischen Klima haben Agitatoren und faschistoide Führerpersönlichkeiten die größten Chancen, Stimmen auf sich zu ziehen.

Alexander Dugin, der sich selbst offen auf Rene Guenon und Julius Evola bezieht („..his adherence to the ideas of French Sufi Muslim convert René Guénon (d. 1951) and the Italian Julius Evola (d. 1974"dito)), hat seine systemische Umwidmung des magischen Initiations- Gedankens in politische Manipulation nach und nach über 30 Jahre hin vollzogen- immer in einem früh entwickelten Netzwerk der europäischen Rechten und in aktiver Mitwirkung des KGB. Der Bezug auf den Satanisten Crowley aber scheint dominierend: „The misanthropic ideas of British occultist and satanist Aleister Crowley (d. 1947) do however inform both the Duginist world view and its contemporary praxis“ (dito)- selbst bis in die Symbole von Dugins „Eurasischer Flagge“ hinein, die Crowleys „Symbol der Acht“ ähnelt, aber auch auf die Swastika verweist: „It should be noted here that both the number eight as well as the color black play a pivotal role in all neo-Nazi/far-right symbology, not to mention that the ‘wheel of chaos’ itself maintains striking similarities to the well known ‘sun wheel’ symbol used by the SS and many contemporary neo-Nazis..

Die verwirrenden Faktoren auch in ideologischer Hinsicht sind Teil der Chaos- Magic- Methodik; ebenso wie die Überschwemmung durch Fake News, krude Auftritte, drastische Gewalt und Krieg; unter den aufreizenden, beunruhigenden Auftritten und den Fakten, die geschaffen werden und ganze Städte, Länder und Regionen in Schutt und Asche legen, liegt keine greifbare ideologische Botschaft, sondern der blanke Nietzsche Wille zur Macht, der Leitmotiv dieser Magischen Internationalen ist: „Here it is the Nietzschean ‘will to power’ in-itself that becomes the prime motivation of the black magus turned political activist“. Das initiatorische gleichzeitige Bewusstwerden von Gegensätzen -auch moralischer Art- („holding contradictory positions simultaneously) ist zum Mittel der Manipulation der öffentlichen Meinung geworden, die, desorientiert, frustriert und agitiert, den neuen Führern nicht nur folgt, sondern ihnen die Macht geradezu darbietet: Die Schäflein folgen dem Wolf ganz demokratisch und willig zur Schlachtbank. Dass mit den Ideologien auch die letzten Werte dieser demokratischen Gesellschaften ausgehöhlt und ins Gegenteil verkehrt werden, gehört zum eigentlichen magischen Akt - das Gute ist böse, das Böse ist gut; das Rationale ist irrational und vice versa die Umwertung aller Werte und die Entwertung aller Logik: „Except that with Dugin and his acolytes the issue is not linked specifically to any spiritual practice and its realization per se but rather it is purely about political praxis and the will to power in its crudest form. In other words, for Dugin the alchemical laboratory and its ars operativa resides not in the self but rather in the greater world and the theatre of politics where the black magus acts to immanentize the eschaton and where this eschaton represents the inversion of all values.“

In diesem Sinne ist die durch Putin forcierte und gezielte, schockierende Bombardierung von Schulen und Krankenhäusern z.B. in Aleppo eine Schreckens- Strategie, die auf eine Destabilisierung Europas durch die entstehenden Flüchtlingsströme setzt, dabei Linke, Liberale und Muslime gleichermaßen in extreme Lager presst, aber auch die Europäische Gemeinschaft zersetzt: „..the European refugee crisis appears to have provided the Duginists a rare opportunity to exploit existing splits arising among cross-sections of the western antiwar Left as well as among activists in the Muslim community itself in order to recruit among these groups.“ Gleichzeitig werden rechtsgerichtete und faschistische Gruppierungen in Europa finanziert und durch Fake- News- Sender wie Russia Today agitatorisch und Verwirrung stiftend im Sinne von Chaos Magic unterstützt.

Die Umwandlung der (politischen) Wirklichkeit ist in der aktuellen Darstellung „schädlicher Magie“  in den USA bereits umgesetzt, um ein Klima von Wut und Verwirrung zu schüren: „President Trump and his administration – implacable embodiments of counter-reality – are symptoms of a profound and perhaps extinction-level form of malignant magick in the Crowleyian sense of causing changes in reality in accordance with acts of will.“ Jedes Extrem in kulturell- gesellschaftlichen Konflikten nützt der autoritären, rein auf Machtpolitik ausgerichteten neuen Elite; die gesellschaftlichen Kräfte fallen in gegenseitiger Dämonisierung, unfähig zum Dialog, übereinander her: „All forms of compromise are heresy, and “the other” (whomever that “other” happens to be) is quite literally demonized to the point where even considering a dialog makes you “just like them”… or maybe even worse. Internet social media has exacerbated strident disconnection, fanatic tribalism, and hectoring extremity, and the results are literally, perhaps fatally, poisoning our culture, its people, and our world.“

Dieses gesamt- gesellschaftliche Klima entspricht magischen Kampfszenarien: „Things that were once the province of sorcerers are now everyday currency to anyone with a computer, a TV, or an internet connection.“ Die Hetzer, die nicht wissen, was sie tun - und eben dadurch lenkbar werden- sind durch die Neuen Medien allgegenwärtig: „The fact that we don’t seem to have the slightest idea what we’re doing with it makes us, like the Sorcerer’s Apprentice, too damned powerful yet clueless for our own good.“ Eine Figur wie Donald Trump ist in diesem Szenario nicht die Ursache, sondern das Medium eines Kampfes Aller gegen Alle, das die elektronische Unternatur ans Tageslicht gespült hat.
 


Der Jugendkreis

$
0
0
Tom Mellett hat in internationalen Foren und bei Facebook eine Diskussion über den 1923 von Ernst Lehrs und Wilhelm Rath begründeten Jugendkreis angestossen - mit intensiven Diskussionen von einiger Umsicht, Tiefe und Brisanz, vor allem bei den Anthropoppern. Auch wenn ich mich mit den politischen Positionierungen Jeremy Smiths nicht im geringsten anfreunden kann, ist die interne Diskussionskultur in diesem Blog immer wieder beeindruckend. Auch die aufgeführten Links und Verweise geben umfassend Einblick sowohl in interne esoterische Strukturen der Anthroposophischen Gesellschaft als auch in die damit verbundenen Vorteile und Risiken.

Denn bei dem Jugendkreis geht es um eine geheime, „okkulte“ Organisationsform- eine frei vor Ort organisierte meditative Vereinigung von Mitgliedern der Gesellschaft, über die nicht gesprochen und in die das einzelne Mitglied nach unbekannten Kriterien berufen wird. Im Gegensatz zur internen Klasse, in die mit ihren auch mantrischen Texten die „tätig sein wollenden“ Anthroposophen berufen werden - also die, die Anthroposophie in der Öffentlichkeit nach einer Mindestzahl von Jahren der einfachen Mitgliedschaft vertreten wollen, sind die Treffen des Jugendkreises nicht öffentlich bekannt - ebenso wenig, wer in diese Gruppe berufen wird oder ob sie am jeweiligen Ort überhaupt stattfinden. Viele Mitglieder, die möglicherweise Jahrzehnte lang im Zweig und bei anderen Veranstaltungen nebeneinander und miteinander gearbeitet haben, wissen nicht einmal von der Existenz dieser Gruppierung. In diesem Sinne handelt es sich tatsächlich um eine Gesellschaft- in- der- Gesellschaft, um eine reale Geheimgesellschaft.

Nun kann man dieses Thema - für Tom Mellett und andere ein Affront - skandalisieren oder auch ganz gelassen betrachten- nämlich als Möglichkeit zur spirituellen Vertiefung und Verankerung, einer Art Substanz- Suche ausgesuchter Mitglieder. Oder man skandalisiert das Thema und spricht, wie Tom Mellett, vom „Opus Dei“ der Anthroposophen. Das verletzte Anthroposophen- Ego derer, die in dieser Hinsicht übergangen worden sind, die nicht als würdig erachtet worden sind, mag sich da Bahn brechen: „In short, there is a secret and elitist cultic group within the Anthroposophical Society called The Kreis(German for Circle) which originally grew out of the Jugendkreis (Youth Circle) that Ernst Lehrs helped organize in 1923, but which has, over the decades, “metastasized” into a “kind of tumor” (…). I myself liken it to the elite secret group within the Roman Catholic Church called “Opus Dei.”“ (Tom Mellett)

Ein frustrierter Blog- Eintrag der Australierin Kelly Connor hatte den ursprünglichen Anstoss für die ganze Diskussion gegeben, die 2012 von einer „geheimen Enklave“ innerhalb der Anthroposophischen Gesellschaft schrieb: „Nobody in anthroposophy would join a secret, select group,‘ I declared, ‘and if invited to be part of such a group they would loudly denounce it.’ I was wrong. The group does exist and has members all over the world, including, I’m told, at least three members of the executive council at Dornach, as well as many representatives of national & regional councils, Waldorf teachers, doctors, etc.“

Das Insistieren von Connor hat dann doch viele der ihr bekannten Anthroposophen zum Sprechen gebracht - nach ihren Umfragen wissen 60% der aktiven Anthroposophen nichts von der Existenz des Jugendkreises- oder wenn, dann doch nur insoweit, als Rudolf Steiner zu seinen Lebzeiten esoterische Unterweisungen für die jüngeren Mitglieder gegeben hat, um Impulse für die bereits erstarrenden Strukturen der Gesellschaft zu initiieren. Dass er in diesem Zusammenhang von einer „Community“ sprach, die offenbar bis heute besteht, ist den Meisten entgangen: „It is however, very enlightening to discover that Rudolf Steiner exclusively refers to the youth group impulse as the founding of a ‘community’. That, in itself, should give pause for thought to those who claim Steiner sanctioned the existence of a secret circle.“ (Connor)

Inzwischen wird einerseits mehr über die meditativen Praktiken und Anforderungen des Jugendkreises bekannt. Andererseits kommt - wie in der Diskussion bei den Anthropoppern- gerade bei Mitgliedern anthroposophischer Gemeinschaften die Frage auf, ob Machtfragen und wichtige Entscheidungen für soziale Projekte nicht in geheimer Absprache getroffen worden sind- d.h. inwieweit eine solche Gesellschaft- in- der Gesellschaft nicht ein jahrzehntelang gepflegtes Instrument gewesen sein könnte, demokratische Entscheidungsprozesse zu unterlaufen.

30. Januar 2017

Breitbart

$
0
0
Trumps Propaganda- Sender Breitbart, der ihn und seine reaktionäre Politik ins Amt gepuscht hat, wird nun auch nach Deutschland expandieren- pünktlich zum anlaufenden Wahlkampf, und flankiert von Putins Sendern wie RT oder Sputnik. Neben der Verzerrung, Umdeutung und Umkehrung der Tatsachen - wie der behaupteten Kriegstreiberei der Ukraine auf eigenem Gebiet- bieten Leaks wie über die Korruption des konservativen Präsidentschaftskandidaten Fillon, die Schwächen der Eliten, die Insonsistenzen und Widersprüche des bestehenden Systems, ausreichend Munition für eine revolutionäre Stimmung im Sinne einer reaktionären Machtergreifung. Das postfaktische Zeitalter fegt die bestehenden Muster politischer Positionierung hinweg und lässt neue Interessen- Blöcke entstehen. Die Grundkonsistenz der neuen Blöcke allerdings bleibt so trübe wie Schmalbart: Rassismus, Postfaktizismus, Antisemitismus, Anti- Liberalismus, Anti- Intellektualismus- stets im gewaltbereiten, aufhetzenden Modus. In diesem Sinne dienen selbst die Proteste, der Widerstand und die heftigen Demonstrationen in den USA gegen die neuen Einwanderungsbeschränkungen den Hetzern, die selbst die demokratischen Ausdrucksmittel zum weiteren Aufheizen instrumentalisieren können. 2017 wird so zur weltweiten Nagelprobe für den Liberalismus- das kann auch nicht die nüchterne, sachliche Betrachtung nicht leugnen. Und es sieht nicht gut aus.

Rudolf Steiners Falter- Meditation oder: Das Denken muss ein Tasten werden

$
0
0
Für viele Kenner der Anthroposophie gipfelt die spezifisch symbolisch- imaginative Esoterik Rudolf Steiners in der in GA 265* dokumentierten Falter- Meditation. Dies auch deshalb, weil in diesem Zusammenhang sowohl der bis heute verborgen agierende esoterische Jugendkreis als auch die „Wachsmuth- Lerchenfeld- Gruppe“ begründet wurden. Letztere bestand aus dem damaligen Vorstand der Gesellschaft wie einigen sehr engen Mitarbeitern Rudolf Steiners - eine intime, interne Gruppierung, in der engste Schüler und Repräsentanten der anthroposophischen Idee zusammen kamen: „Im Verlaufe des Jahres 1922 fanden auch in England (London) zwei esoterische Stunden statt, eine während des Aufenthal­tes im April und die andere während des Aufenthaltes im November. Kurz vorher, im Oktober, waren im Zusammenhang mit dem in Stuttgart statt gefundenen pädagogischen Jugendkurs junge Anthroposophen an Rudolf Steiner herangetreten mit der Bitte um esoterische Unterweisungen zur stärkenden Vertiefung ihrer Gemeinschaft. Es entstand der sogenannte esoterische Jugendkreis, und auch dieser erhielt esoterische Stunden. Im Verlaufe des Jahres 1923 bis Anfang 1924 kam es noch zu folgenden esoterischen Stunden: In Kristiania im Mai 1923; in Dornach am 27. Mai, 23. 0ktober 1923 und 3. Januar 1924 für den von Rudolf Steiner nach den Initian­ten "Wachsmuth- Lerchenfeld- Gruppe" genannten Kreis; in Stuttgart am 13. Juli und am 13. Oktober für den esoterischen Jugendkreis; in Wien am 30. September 1923 für einen auf Bitte von Polzer-Hoditz zusammen gekommenen kleinen Kreis.“

Die Falter- Meditation wurde von Rudolf Steiner als weiterer enger Schülerin für die erkrankte Edith Maryon aufgeschrieben, die dazu auch einige Notizen machte, welche einen gewissen interpretatorischen Zugang zu dem Mantram ermöglichen. Maryon war als Bildhauerin (s. obere Figurengruppe) mit einer zweifelhaften okkult- medialen Vergangenheit zu Steiner gekommen und stand unter dessen besonderer Obhut und seinem Schutz, wobei eine überaus fruchtbare Zusammenarbeit entstand, die große Bedeutung auch für Rudolf Steiner selbst hatte. Ihre Notizen und Briefe zeigen ihren herausragenden Rang unter denen, die tatsächlich inneres Verständnis und Selbständigkeit in Bezug auf seine esoterische Schulung errangen. Bis heute gibt es auch immer wieder Vermutungen, dass aus den genannten Personenkreisen ein im hierarchischen Sinne innerer Kreis entstehen sollte, der diesen Rang repräsentierte- die Zweite Klasse. Dazu ist es durch den Tod Rudolf Steiners nicht mehr gekommen.

Die Falter- Meditation („Fange den Falter/ Sende ihn in eisige Höhen/ Wo die Weltenträume walten./ Wird er dir zum Vogel/ Dann hast du der Arbeit/ Hälfte vollbracht./ Den Vogel tauche/ In Meerestiefen (I A 0 U E)/ Wo der Weltenwille wirket./ Ertrinkt der Vogel,/ Dann bleibt dir noch zu tun,/ Die Vogelleiche/ Im Feuer läuternd zu/ verbrennen./ Dann verzehr' die Asche/ Und du bist/ Das Licht im Weltendunkel.“) wird in den Notizen Rudolf Steiners in der Mitte von der Formel „I A O U E“ unterbrochen, die einen vokalischen Verweis auf die Hierarchien- Lehre Steiners gibt. Auf dem Notizblatt Steiners Archivnummer 5852 ist diese Formel als eigene Meditation ausgeführt, die dort als Vorbereitung für die Falter Meditation vorgestellt wird: „I noch in sich/ A man öffnet sich der Welt, die sagt viel/ O die Engel kommen, geben die Hände/ U die zweite Hierarchie kommt nach, umströmt einen mit Licht/ E die erste Hierarchie kommt und verbrennt einen in Feuer.“ Die Meditation ist also als innere Eurythmie- Übung mit hierarchischem Bezug zu verstehen.

Die Notizen Edith Maryons beziehen sich zunächst auf die Imagination des Falters, der zum Vogel wird. Es geht darum, das Denken zu denken, und der Falter ist das Bild des Gedankens. Der Vogel wäre demnach mit zentriertem, meditativ freiem Bewusstsein gleich zu setzen, das einen sakralen Prozess bis hin zur Willensbildung durchläuft. Zudem wird in dem Mantram der Pendelschlag zwischen der „Demokratie mit den Mitmenschen“ und der tragischen, einsamen „Aristokratie des Denkens“ angesprochen, wenn man den Notizen Maryons folgt.

Andere Notizen von Teilnehmern der esoterischen Stunden im Rahmen der Falter- Meditation beschreiben die reale esoterische Qualität, die Rudolf Steiner hier zu vermitteln bemüht war. Die geschilderten Prozesse, die Steiner ansprach, beginnen damit, das Denken prozessual zum inneren Tastorgan umzugestalten: „Das Haupt ist wie eine Frucht, das Herz wie ein leuchtender Kelch. Wir sollen unser Haupt bis ans Herz als selbstleuchtend erleben. Wir sollen unser Denken erleben als Ätherorgan, das sich herantastet an alles, was es erfassen soll. Der Okkultist unterscheidet sich vom Nicht-Okkultisten dadurch, daß er sich dieses Organs als ausstrahlend im Ätherischen bewußt ist. Wir sollen uns erleben wie eine Schnecke, die ihre Fühlhörner ausstreckt. Das Denken muß ein Tasten werden!“

Viele der Inhalte der esoterischen Stunden, Notizen, Mantren und Unterweisungen Rudolf Steiners aus dieser Zeit zeigen die Dringlichkeit seines Bemühens, seinen Schülern und Mitarbeitern eine reale Schulung und esoterische Kompetenz zu vermitteln- ganz offenbar um eine Stufe der Vertiefung und ein inneres Zentrum zu schaffen, was womöglich in den organisatorischen Verwicklungen des Gesamt- Groß- Unternehmens Anthroposophische Gesellschaft verloren gegangen war. Vielleicht spürte er auch, dass die ihm bleibende Zeit aus Krankheitsgründen begrenzt war. Die Falter- Meditation und einige der intensiven Übungen aus dieser Zeit zielen auf eine solche Vertiefung und Spiritualisierung des Denkens und Wollens, die in der typischen Bildsprache Steiners, aber mit Dringlichkeit vermittelt wurden.

Damit verbunden waren aber auch Bemerkungen in den Unterweisungen für die Wachsmuth- Lerchenfeld- Gruppe (Dornach, 27. 5. 1923, 23. 10. 1923, 3.1. 1924), die immer wieder auf die Feinde Steiners zielten, die er für den Brand des ersten Goetheanums verantwortlich machte: „Die Kain-Strömung fand im Laufe der Zeiten ihre Hauptvertreter in der F. (Freimaurerei-Strömung), während das Abelitentum seinen Ausdruck fand in der Priesterströmung der (katholischen ?) Kirche. Beide Menschheitsströmungen blieben einander streng feindlich. Nur einmal vereinten sie sich in Eintracht: in ihrem Haß gegen die Strömung der Mitte. Das Ergebnis dieser einträchtigen Vereinigung beider sonst feindlicher Richtungen war die Vernichtung des Johannesbaues (Goetheanums).“ Es ist daher nicht verwunderlich, dass - wenn Steiner in der Blüte der Vertiefung seines esoterischen Lehrens die Gegnerschaft so explizit betont - bis heute Verschwörungstheorien bis in den Kern der Bewegung dominierend und sogar konstituierend im Selbstverständnis des Anthroposophen geblieben sind. Dieses ausgrenzende, sich abgrenzende Selbstverständnis in der spezifischen Symbolsprache Rudolf Steiners ist nach seinem Tod zu einem der internen Probleme geworden, die die Entfaltung des gesamten Impulses bis heute behindern und beschränken, wenn nicht sogar für viele Zeitgenossen unzugänglich machen.


_____________
*Rudolf Steiner, VERÖFFENTLICHUNGEN ZUR GESCHICHTE UND AUS DEN INHALTEN DER ESOTERISCHEN SCHULE 1904 BIS 1914, Briefe, Dokumente und Vorträge aus den Jahren 1906 - 1914 sowie von neuen Ansätzen zur erkenntnis- kultischen Arbeit in den Jahren 1921 - 1924, Dornach 1987, GA 265, S. 455 ff

Evidenzerlebnis, Wahrheitsgefühl und Toleranzempfindung

$
0
0

Ingrid Haselberger


Vor kurzem habe ich aus Rudolf Steiners „Die Stufen der höheren Erkenntnis“ (SKA 7; GA 12, S 33f) zitiert: 
Nachdem Rudolf Steiner darauf aufmerksam macht, daß »aus einem wüsten Fühlen und Wollen die Irrtümer, Täuschungen und Phantastereien über eine höhere Welt« entspringen, leitet er den Leser dazu an, »seine Gefühle und seine Willensimpulse zu gesund-fruchtbaren für die Inspiration zu machen.«
Zuallererst geht es dabei um die Entwicklung eines „Wahrheitsgefühls“:
Ganz systematisch muß der Geheimschüler die Aufmerksamkeit auf sein Seelenleben lenken: und er muß es dahin bringen, daß ihm das logisch Unrichtige eine Quelle des Schmerzes wird, der durchaus nicht hinter einem physischen Schmerze zurückbleibt; und in umgekehrter Art muß ihm das «Richtige» wirkliche Freude oder Lust bereiten.
Als wir diese Stelle vor kurzem in einem Arbeitskreis gemeinsam lasen, meinte jemand, bei den Wahrheiten, von denen Steiner hier spricht, müsse es sich um moralische„Wahrheiten“ handeln – denn nur dort sei ja ein Wahrheitsgefühl zu erwarten. Und sofort erhob sich die Frage, wie man denn zweifelsfrei erkennen könne, daß sich der andere irre und man selbst im Recht sei... schwierig: kann einem das nicht nur eben dieses Gefühl sagen, das doch erst entwickelt werden soll?
 

Ich halte es für ein Mißverständnis, zur Entwicklung des „Wahrheitsgefühls“ bei moralischen„Wahrheiten“ anzusetzen. 
Rudolf Steiner spricht ja gerade von Urteilen, die wir normalerweise ausschließlich mit dem Verstand zu fällen gewohnt sind:
Man nehme an, jemand begehe einen logischen Fehler: ein anderer sieht diesen Fehler ein, und er stellt die Sache richtig. Man mache sich klar, wie groß der Anteil des Urteiles, des Verstandes bei einem solchen Richtigstellen ist und wie gering das Gefühl der Lust beim Richtigen, der Unlust beim Unrichtigen.
Mein allererster Artikel für den Egoistenblog (er ist längst nicht mehr online) trug den Titel „Evidenzerlebnis“ – und war mein erster Versuch einer Antwort auf Michaels Frage: Was ist eine geistige Erfahrung?
An dieses Thema möchte ich heute wieder anknüpfen.
 

Wir alle haben in der Schule vom Satz des Pythagoras gehört: 
In allen ebenen rechtwinkligen Dreiecken ist das Quadrat, das sich über der Hypotenuse errichten läßt, gleich groß (d.h. hat den gleichen Flächeninhalt) wie die beiden „Kathetenquadrate“ zusammen.
Unzählige Mittelschüler glauben ihrem Lehrer diesen Satz und lernen ihn auswendig, nachdem sie sich Klarheit verschafft haben über die Bedeutung von Begriffen wie „Dreieck“, „rechtwinklig“,„Quadrat“ oder „Hypotenuse“. Und selbstverständlich läßt sich der Satz sehr erfolgreich anwenden, auch ohne daß man begriffen hat, warumer richtig ist.

Aber man würde sich da um das Erlebnis bringen, das man haben kann, wenn man mit einem der Beweise des Pythagoräischen Lehrsatzes wirklich mitdenkt – beispielsweise mit diesem hier, bei dem vier deckungsgleiche rechtwinklige Dreiecke auf unterschiedliche Art in einem Quadrat angeordnet werden, sodaß sich als Restfläche (die ja in beiden Fällen gleich groß sein muß) das eine Mal ein Quadrat mit der Seitenlänge c, das andere Mal zwei Quadrate mit den Seitenlängen a und b ergeben:



(Abbildung: wikipedia)
 

Wer dasdenkend nachvollzieht, dem wird das zu Beweisende e-vident, es läßt sich aus der Zeichnung heraus-sehen, esleuchtet gewissermaßen aus ihr hervor. Und wer den Beweis in dieser Weise nachvollzogen hat, braucht den Pythagoräischen Lehrsatz in Zukunft weder zu glauben noch auswendigzulernen – denn er kann ihn sich jederzeit wieder evident machen.
 

Wenn es mir nur darum geht, künftig voll Vertrauen mit der Formel a²+b²=c² zu rechnen, dann kann ich es bei dieser Art von „Evidenzerlebnis“ bewenden lassen. 

Ich kann aber auch innehalten, mich vom Inhalt des „Heraus-gesehenen“ ab- und der inneren Erlebnisqualität zuwenden. Damit gehe ich der Empfindung nach, die ich immer dann habe, wenn etwas mir in dieser Weise „evident“ wird. Ich lenke meine Aufmerksamkeit auf die tiefinnerliche „Gewißheit“, „Erkenntnisfreude“, „innere Helligkeit“, „Stillung der Frage durch die ihr gewordene Antwort“ – ich brauche viele Gänsefüßchen, weil keines dieser Worte imstande ist, ein solches Erlebnis vollkommen auszudrücken.
 

In früheren Zeiten konnte man diese Erkenntnisfreude bei „reinen Verstandesurteilen“ noch sehr viel stärker empfinden, als die meisten Menschen es heute erleben:
Von Pythagoras erzählt man, er habe, als er diesen Satz entdeckt hatte, aus Freude und Dankbarkeit 100 Ochsen geopfert; Archimedes soll gar splitternackt und „Heureka!“ (Ich habs gefunden!) rufend auf die Straße gelaufen sein, als er zu Hause in der Badewanne das nach ihm benannte Prinzip entdeckt hatte...
 

Wie wenig ist uns heute von dieser Erkenntnisfreude geblieben!
Reste lassen sich vielleicht noch erleben, wenn wir ein Kreuzworträtsel oder ein Sudoku lösen. 

Oder wenn wir darauf aufmerksam werden, wie gern die meisten Kinder Rätsel lösen: wie sie oft geradezu darum betteln, immer neue Rätsel aufgegeben zu bekommen, und welche überschwängliche Freude sie empfinden, wenn ihnen die richtige Lösung einleuchtet (und zwar meist unabhängig davon, ob sie selbst auf diese richtige Lösung gekommen sind oder sie schließlich von anderen gesagt bekommen)!
 

Genau darum geht es: diese Freude beim Erkennen von Wahrheit– und, als deren Kehrseite: Schmerz beim Erkennen von Unwahrheit– wieder in uns zu entwickeln: 
Wo also ein anderer nur seinen Verstand, seine Urteilskraft in Bewegung bringt, muß der Geheimschüler lernen, die ganze Stufenfolge von Gefühlen, vom Schmerz bis zum Enthusiasmus, von der wehevollen Spannung bis zur entzückenden Lösung im Besitz der Wahrheit zu durchleben. Ja, er muß etwas wie Haß empfinden lernen gegen dasjenige, was beim «normalen» Menschen nur als ein nüchtern-kaltes «Unrichtiges» erlebt wird; er muß eine Liebe zur Wahrheit in sich entwickeln, welche einen ganz persönlichen Charakter trägt; so persönlich, so warm wie der Liebende der Geliebten gegenüber empfindet. – Man wird ja gewiß auch in den Kreisen unserer «Gebildeten» vielfach von der «Liebe zur Wahrheit» reden; doch ist das, was man da meint, eben gar nicht zu vergleichen mit dem, was der Geheimschüler in stiller, innerer Seelenarbeit nach dieser Richtung durchmachen muß. Er muß sich geduldig immer wieder probeweise dieses oder jenes «Wahre», dieses oder jenes «Falsche» vorlegen; und sich der Sache hingeben, um nicht bloß seine Urteilskraft zu schulen, die nüchtern unterscheidet zwischen «wahr» und «falsch», sondern er muß zu dem allen ein ganz persönliches Verhältnis gewinnen.
Dabei übersieht Steiner nicht, wie leicht »der Mensch im Anfange einer solchen Schulung in das verfallen kann, was man «Überempfindlichkeit» nennen mag«:
Es muß deshalb bei der Schulung auf diese Sache Rücksicht genommen werden. Denn geschähe das nicht: dann könnten sich allerdings große Gefahren für das Seelengleichgewicht des Schülers ergeben. Wird darauf gesehen, daß der Charakter fest bleibt, dann können Stürme im Seelenleben sich abspielen, und der Mensch hat doch die Kraft, in harmonischer Miene und Gebärde mit der Außenwelt zu leben. Ein Fehler ist in jedem Falle gemacht, wo der Geheimschüler zu einem Gegensatze gegenüber der Außenwelt gebracht wird, so daß er diese unerträglich findet oder gar aus ihr fliehen will. Die höhere Gefühlswelt darf sich nicht auf Kosten des gleichmäßigen Wirkens und Arbeitens in der Außenwelt entwickeln; deshalb muß der inneren Erhöhung des Gefühlslebens eine Stärkung der Widerstandskraft gegenüber den äußeren Eindrücken entsprechen. Die praktische Geheimschulung weist daher den Menschen an, niemals die obengenannten Übungen zur Schulung seiner Gefühlswelt zu unternehmen, ohne sich zugleich auch nach der Richtung zu entwickeln, daß er ein Verständnis dafür gewinnen könne, was das Leben an Toleranzempfindung von dem Menschen fordert. Er muß zugleich in sich den lebendigsten Schmerz empfinden können, wenn zum Beispiel ein Mensch ein unrichtiges Urteil abgibt, und vollkommen tolerant sein können gegen diesen Menschen, weil der Gedanke in der Seele ebenso lebhaft da ist: dieser Mensch muß so urteilen, und es ist mit seinem Urteile wie mit einer Tatsache zu rechnen.
So exotisch es uns auch anmuten mag, angesichts der Richtigkeit bzw Unrichtigkeit von mathematischen Sätzen Freude bzw Schmerz zu empfinden – der zweite Teil dieser Übung, die Entwicklung der Toleranzempfindung,scheint mir der noch weitaus schwierigere zu sein.

Erkennendes Fühlen

$
0
0
Wie bei so vielen Begriffen - wie auch „reines Denken“- kann man sich nur bemühen, dem Begriffswirrwarr im anthroposophischen Kontext einige - hoffentlich erhellende- Aspekte hinzuzufügen. Wie bei vielen ähnlichen Begriffen findet man durchaus unterschiedliche, ja widersprüchliche Aspekte darin.

Im „erkennenden Fühlen“ entdeckt man bei der Beobachtung des Denkens und in der Folge in der Realisation prozessualen Bewusstseins bewusste und unbewusste Aspekte- die sich durchaus in fortlaufender Entwicklung bzw. gerade in den letzten Jahren generell in rapidem Verfall befinden.

Die unbewussten Aspekte bewirken im Alltag die in sich stimmige Folge von gedanklichen Fragmenten zu einem intentionalen Ganzen: Ein in sich stimmiger Gedankenverlauf ohne logische Sprünge, der sich einbettet in den Kontext der Erfahrung, aber auch der sozialen Umgebung bzw. in deren Erwartungshaltung - schließlich in einen logischen Gesamtkontext, ohne die Intentionalität - die persönliche Färbung - zu verlieren. Georg Kühlewind nannte das das „hinter dem Denken“ bemerkbare „Fühlen der Logizität“, als „orientierende Kraft“.*

Bei anderen Personen kann man das Überwiegen einer Anpassung an eine Peergroup- etwa das Anbiedern-, aber auch das Überwiegen der Intentionalität - etwa im Rechthabenwollen - ebenso bemerken wie ein surreales, unlogisches Abdriften. Das erkennende Fühlen im Gedankengang hat in diesem Sinne etwas Ausgleichendes, Verbindendes, aber auch Verbindliches. Die ganze Person wird in diesem mitschwingenden Empfinden wahrnehmbar. Letztlich war das Erlernen von Sprache und Bedeutung beim sich entwickelnden Kind nicht anders als durch erkennendes Fühlen der Bedeutung von Begriffen und Begriffszusammenhängen erlernbar. Die Fähigkeit, die beim Kind wie beim Erwachsenen selbst nicht bewusst wird, kann aber mehr oder weniger gestört sein. Das zeigt sich, wenn Fanatismen auftreten, oder wenn der empathische Aspekt, sich je nach Gesprächspartner verständlich machen zu können, geschwächt ist- oder wenn es an der logischen Stringenz in der Entwicklung von Gedanken fehlt. So wie Schwächen Anderer unmittelbar, intuitiv bemerkbar sind - eine gleichfalls empfundene Wahrnehmung- so schwer ist es, die eigenen Schwachpunkte in dieser Hinsicht zu bemerken.

In der gesamten modernen Gesellschaft unterliegt dieses mitschwingende Logizitäts- Empfinden einer kontinuierlichen Erosion. Offensichtlich werden diese intuitiven Fähigkeiten durch die Datenmengen, Informationsbits und vorgekauten Meinungen in Peergroups, Medien und in den Echo- Kammern der Sozialen Netzwerke korrumpiert, gelähmt und abgestumpft: "Alternative Wirklichkeiten" haussieren. Dort, wo das individuelle, sachliche und stringente Verfolgen und Ausdrücken von gedanklichen Zusammenhängen geschwächt wird, klopft eine existentielle Unzufriedenheit an, die auf einer fortdauernden Verunsicherung beruht, aber auch einer zunehmenden Schwächung des Urteilsvermögens. Die Fähigkeit, sich sachlich auszudrücken und sachlich zu verstehen, gehört eben zu den ur- menschlichen Bedürfnissen, den Notwendigkeiten des individuellen Geistes, um sich grundlegend zu orientieren.

Es ist wohl an der Zeit, das erkennende Fühlen mehr und mehr ins Bewusstsein zu heben, um nicht immer stärker dem (ein Begriff Kühlewinds) blinden Mich- Fühlen zu verfallen, das anfällig macht für Fanatismen und politische Führer, die Orientierung versprechen. Das Evidenz- und Logizitätsfühlen ist in bewusster Hinsicht aber nur in einem fokussierten, voraussetzungslosen, an nichts anlehnenden kontinuierlichen Denkwillen möglich, der meditativer Natur ist. Eine solche in sich ruhende, energetische Bewusstseinsebene, auf der sich das Ich-bin im Denkstrom selbst erfährt, ist heute jedem Menschen zugänglich und klingt im Hintergrund des Erlebens mit, sobald und sofern die Bannung der Fokussierung an die Gegenstandswelt gelockert wird. Diese Fähigkeit ist Kultur- unabhängig und gehört zu den existentiell menschlichen Grundfähigkeiten. Sie wird nicht bewusst, weil das Gegenstandsbewusstsein fragmentiert erlebt wird. Eine intellektuell- willentliche Fokussierung, Stärkung und „Reinigung“ hebt sie lediglich ins Licht. Rudolf Steiner hatte diese Grundfähigkeit das Geistselbst- bei Rupert Spira (um nur ein Beispiel aus der Advaita- Bewegung zu nennen) wird sie die Erfahrung des „Ich-bin“ genannt. In der öffentlichen gedanklichen Meditation unten z.B. geht Spira eine Stunde lang auf das Mantram „Das Ich-bin ist der Weg, die Wahrheit und das Leben“ ein- gewöhnungsbedürftig, aber sehr realistisch in Bezug auf die hier gemeinte Evidenz- Erfahrung.

Auch Kühlewind* bestätigt: „Je kontinuierlicher das Denken wird, umso mehr geht es in das erkennende Fühlen über, aus dem es stammt, löst sich im Fühlen auf, wird „global“, (..) wird weniger scharf und analytisch, aber umso umfassender. Der Weg zum erkennenden Fühlen führt durch das konzentrierte reine Denken. Das ist das ursprüngliche Fühlen, sowohl beim einzelnen Menschen als auch bewusstseinsgeschichtlich.


———
*Georg Kühlewind, Der sanfte Wille“, S. 36

Habe gefälligst Demut, du lauwarmer Geist

$
0
0
Die moralischen Bedingungen - gewissermaßen das Treibhaus, in dem der anthroposophische Christus- Geist gedeiht- hatten schon immer etwas moralin- Saures, zutiefst Spießiges, einen implementierten Code des Verhaltens, Denkens und auch Empfindens, inklusive spezifischer exklusiver Anleitungen zum Unglücklichsein. Nur dann, wenn die moralischen Bedingungen erfüllt wären, die in sich unmöglich zu realisieren sind („Habe gefälligst Demut“) kann in die reine Seele des Anthroposophen der beseligende Christus- Geist einziehen und ihn erleuchten und intuitiv befruchten. Bis dahin stehen die Fron des Alltags, die unzüchtigen, geistlosen Zeitgenossen und die materialistischen Umstände dieser Inkarnation der Verwirklichung zuverlässig im Wege. Bis dahin beobachtet der moralisch aufs Schlimmste gefasste reine Geist seine Umgebung auch mit einer gewissen distanzierten Überlegenheit und umgibt sich mit ähnlich griesgrämigen Seelenverwandten, mit denen er sich karmisch verbunden glaubt.

Die reine Seele, freilich, hat es nicht leicht. Nicht nur Gegner und Feinde des Geistes bevölkern die Gegenwart, auch leichtfertige, lotterhafte Steiner- Interpreten, die sich dieser Moral nicht anschliessen wollen. Sie weigern sich einfach, Rudolf Steiners spirituelle Weltsicht als Katechismus zu begreifen, picken sich einzelne Aspekte aus dem Werk des Meisters heraus und weigern sich, andere anders als zeitgebunden anzusehen. Das sind die lauwarmen Geister, die keine wirkliche karmische Grundlage besitzen, kein wirkliches, umfassendes anthroposophisches Verständnis, keine Liebe für den Schulungsweg und die Vollendung in Christo. Sie verwässern das Werk, indem sie intellektuell auffassen, was doch in strenger Moral und konsequenter, aufopfernder Lebensführung verwirklicht werden sollte. Sie hören nicht in unsere Gruppe der Platoniker und Aristoteliker des wahren Geistes.

Falls der geneigte Leser sich den Moralisten anschliessen möchte, kann er das durchaus bei Autoren der Gegenwart tun. Sie finden die Auffassung vom anthroposophischen Moral- Treibhaus, in dem die guten Absichten wuchern, sogar bei Repräsentanten von einigem Rang, wie z.B. Lorenzo Ravagli, der noch die Gelegenheit ergreift, wieder einmal dem Katholiken Helmut Zander den wahren „Weg der Transformation des Menschen“ vor die gläubige Stirn zu stossen: „Die Selbsterziehung ist moralische Selbsterziehung. Was Helmut Zander abschätzig als »Tugendkataloge« bezeichnet, ist in Wahrheit eine Schilderung der Seelenverfassung, die derjenige erzeugen muss, der dem lebendigen Christus einen Zugang zu seinem Herzen gewähren will. Dass der katholische Theologe dieser Seelenverfassung mit solcher Häme begegnet, zeugt nur davon, wie sehr er sich von jenem Wesen entfernt hat, dem er aufgrund seiner Profession verpflichtet sein sollte. Das vollendete Wesen der Liebe kann in eine Seele, die von Hass oder Neid, von Missgunst oder beißender Kritik zerfressen ist, nicht eintreten. Sie muss das Brautgemach erst zubereiten, in das ihr himmlischer Bräutigam einziehen soll.

Zu den systemischen Paradoxien von Hardliner - Anthroposophen wie Ravagli gehört, dass sie, die sich in der offenbar vorliegenden Gewissheit sehen, in der sie exklusiv „dem lebendigen Christus einen Zugang“ zu ihrem Herzen gewähren können, ihre eigene Bescheidenheit, das Fehlen von Hochmut und ein Höchstmaß von Demut als gegeben voraussetzen: „Die erste moralische Anforderung ist daher, dass sie sich vom Hochmut befreit, so wie Christus selbst sich vom Hochmut befreite, indem er sich zum Diener und Erlöser aller Wesen erniedrigte, indem er seinen Jüngern die Füße wusch, zu den wüstesten Anklagen schwieg, sich auspeitschen und verhöhnen ließ usw.“ Ja, der karmisch erlesene Anthroposoph weiß in seiner Eigenwahrnehmung, dass er in seinen Beschimpfungen der Gegner vielmehr eigentlich „das Wesen des Christus, die selbstlose Liebe“ praktiziert. Und das in vollkommener Hingabe und trotz einer schrecklichen menschheitlichen Situation, in der Demut „der gegenwärtigen Menschheit in Ost und West so fremd ist“.

Und das, diese demütige Selbstvergottung, ist doch, wie Ravagli ausführt, nur der erste, allerkleinste Schritt, um anständige spirituelle „»Geistesaugen« und »Geistesohren«“ zu entwickeln. Denn das strebt doch die anthroposophische Moral an: Dass sie wahrgenommen werde. Wenn nicht von der öden, schnöden Welt, so doch zumindest von der erhabenen, reinen „geistigen“ Welt. An dieser Stelle erlaubt sich Ravagli einen weiteren Hieb gegen diese gewissen Steiner- Interpreten, die den Meister mit akademischen, nicht mit „Geistesaugen“ lesen und interpretieren wollen, „die Rationalisten“, die die geistigen Wahrnehmungsorgane „gerne als Allegorien aus der Geisteswissenschaft wegerklären, um sie zu jenem stromlinienförmigen Gebilde umzudeuten, das für Akademiker und den Zeitgeist annehmbar ist und die Anthroposophie angeblich wissenschaftlich »diskursfähig« werden lässt.“

Sie alle werden einstmals an der Stelle stehen, an der sich die echten Anthroposophen offenbar schon immer - geadelt durch das Studium von Rudolf Steiners Werken- befinden, in der Begegnung mit dem institutionalisierten Gewissen, dem „kleinen Hüter der Schwelle“, in dem sich die ekligen seelischen Eigenschaften, mit denen sie befleckt sind, widerspiegeln: „Eine Seele, die jahrzehntelang vom Neid beherrscht und getrieben wird, nimmt allmählich die Form des Neides an, sie wird zu einem verzerrten, verschrumpelten Gebilde, das von abstoßendem, schmutzig-gelbem, filzigem Geflecht überzogen ist. Und so mit all jenen »Eigenschaften«, die die Seele ablegen muss, wenn sie dem Herrn der Liebe Einzug in ihr Brautgemach gewähren will.

Das alles ist immer noch nur die Einführung von Lorenzo Ravaglis Einführung in Rudolf Steiners Schulungsweg- zumindest in der klassischen moralisierend- anthroposophischen Interpretation und mit der typischerweise fehlenden Reflexion der eigenen Perspektive, die als gegeben voraus gesetzt wird, auch wenn es doch um „das erhabene Geheimnis“, um „das Zukunftsziel der gesamten Entwicklung“, um Himmel und Hölle geht: „Wir sind unsere eigene Hölle, sagen die Mystiker, – aber auch unser eigener Himmel.“ Eben. Wie kann dann die eigene Perspektive unhinterfragt bleiben?

Und was ist, wenn die Menschen und Wesen sich weder belehren noch befreien lassen wollen von den edlen, reinen Geistesschülern, die sich für sie aufzuopfern behaupten? Was ist, wenn der an sich selbst und Andere gestellte Anspruch ihnen bigott, vermessen und unverschämt vorkommt? Was ist, wenn der Kern des Selbstbildes („Der Weg der Einweihung ist ein Weg, der im Dienste der Befreiung und Erlösung aller Wesen, die Menschen und Genossen des Menschen sind, beschritten werden soll.“) eitel und selbstgefällig daher kommt, arrogant und ohne dass irgend jemand den „Bräutigam“ in diesem „Brautgemach“ erkennen wollte? Was ist, wenn diese moralisierende Selbstvollendung sich nach hundert Jahren organisierter Beschwörung in ihr Gegenteil verkehrt hat? Was ist, wenn die Formeln von der „mystischen Vereinigung des Menschen mit Christus in der intuitiven Erkenntnis“ sich in phrasenhafter Leere entzaubert und entlarvt haben? Was ist, wenn der „lebendige Geist“ längst in der Welt ist und es nicht für nötig befindet, sich in einem moralisierenden System von Belehrung und Selbstvergottung gefangen zu sehen, das sich für seinen legitimen und exklusiven Verwalter hält? Was ist, wenn die anthroposophische Attitüde einen Widerspruch in sich selbst darstellt, der nichts als Neurosen und verkorkste Biografien züchtet?

So weit die Fragen (nein, nicht des Lauwarmen, des Materialisten, des Intellektuellen, des Katholiken oder Freimaurers) des Hüters der Schwelle, der den moralisierenden Anthroposophen heimsucht: Das ungeliebte Spiegelbild, der dunkle Spiegel der Selbstverliebten und reinen Geister, der ungebeten anklopft als verschrumpeltes Gebilde, das vom filzigen Geflecht von hundert Jahren anthroposophischer Hybris überzogen ist.


Neues von der anthroposophischen Polit- Pornografie- Front

$
0
0
Brennen für den Alexander Dugin!
Polit- Pornografie aus diesem spezifischen Treibhaus benötigt spezifische Aufzucht- Bedingungen und Düngemittel- Rezepturen, insbesondere aber kein Licht, sondern ein tiefes, delirierendes Schwarz- Braun. Politisch pornografisch ist die Mixtur wie in dem Beitrag „Politische Voraussagen als versteckte Planungen – Zur globalen Geostrategie des Westens“ der in dieser Hinsicht berüchtigten "Fassadenkratzer"- Seite des Ex- Waldorflehrers Herbert Ludwig, weil hier Zutaten miteinander verbunden werden, die von weitschweifigen Ausführungen des Maya- Hof- Astrologen Terry Boardman bis zu den berüchtigten angeblichen Freimaurer- Karten des Nationalsozialisten Karl Heise - „Entente - Freimaurerei und Weltkrieg“ reichen, dann aber mit frei flottierenden politischen Weissagungen und Untergangs- Fantasien, aber auch mit historischen Daten und Zitaten aus einseitig interpretierten Artikeln angesehener Zeitschriften zu einem toxischen, paranoiden Brei gekocht werden. Das geht über klassische Verschwörungstheorien so weit hinaus, dass man das Ganze in seiner heillosen Beliebigkeit, aber auch in seiner zielgerichteten, morbide anti- liberalen Grandezza nur gedankenlos konsumieren kann, wenn man sich bereits politisch und weltanschaulich in eine komplette Parallelwirklichkeit verstrickt hat. Falls man etwas wie eine Grundthese in diesem Text Herbert Ludwigs heraus arbeiten möchte: Es wird im Fassadenkratzer suggeriert, dass aktuell allmächtige britisch- amerikanische Freimaurer- Eliten - als antisemitische Chiffre für „die Rothschildt - Familie“ - ihren Plan umsetzen wollten, eine russisch- chinesisch- islamische Allianz gegen den Kreml, aber auch gegen die paar aufrechten Gallier zu schmieden, die sich vermutlich schwerpunktmäßig in einem Schweizer Dorf namens Dornach verschanzt haben.  

Konkret lobt sich der Fassadenkratzer Ludwig aber zunächst selbst, da er das geheime Logen- Treiben bereits vielfach „nachgewiesen“ habe: „Die vielfache Planung und Steuerung der britischen und US-amerikanischen Politik durch elitäre Hintergrundkreise, insbesondere okkulte Gesellschaften, ist hier schon in mehreren Artikeln nachgewiesen worden“, sichert sich aber auch beim Meister Rudolf Steiner ab, da dieser auf die „okkulten Bruderschaften“ und die von ihnen angeblich erstellte Karte der zukünftigen Gestaltung Europas hingewiesen habe- in einer Phase während des Ersten Weltkriegs, in der Steiners ambivalenter „Nationaler Kosmopolitismus“ in Richtung Deutsch- Nationalismus tendierte* .

Steiners teilweise obskuren Ausführungen in den Wirren des Ersten Weltkrieges, sein Anti- Amerikanismus und sein latenter Antisemitismus sind ebenso wenig zu leugnen wie eventuelle strategische Planungen in exquisiten, versoffenen Londoner Club- Hinterzimmern oder Pariser Elite- Uni- Treffen dieser Zeit. Tatsächlich tauchte die Europa- Karte, wie selbst „Fassadenkratzer“ zugesteht, in einem satirischen Zusammenhang auf: „Eine solche Karte war am 25.12.1890 für die Öffentlichkeit in der „Christmas Number“ der britischen satirischen Zeitschrift „Truth“ erschienen und sollte die Traumbilder des seit 1888 herrschenden deutschen Kaisers Wilhelm II. darüber zeigen, welche neuen Staatsgrenzen Europa nach dem Krieg haben werde. Sie traten weitgehend so ein, teilweise erst 1945, am Ende des 2. Teiles des Weltkrieges.“ Ihre wirkliche Bedeutung bekommt sie erst durch den Spin, damit eine Planung des Zweiten Weltkrieges von Seiten subversiv operierender Logen zu suggerieren, und so die Kriegsschuld von den Deutschen weg auf die Opfer zu verschieben.

In ähnlicher Weise wurde bei Fassadenkratzer auch schon versucht, den Grund des Ausbruchs des Zweiten Weltkriegs zu den überfallenen Polen zu verlagern: „"Die herrschende Geschichtsschreibung sieht den „Überfall“ Hitlers auf Polen als den nach der Besetzung der Tschechoslowakei weiteren Schritt zur lange geplanten Eroberung deutschen Lebensraumes im Osten. Von solchen Gedanken hat Hitler in der Tat schon in „Mein Kampf“ geschwärmt. Konkrete militärische Pläne dazu gab es aber zu diesem Zeitpunkt nicht. Es kommt historisch darauf an, was jeweils tatsächlich und aus welchen Gründen genau geschehen ist. Hitler wollte offensichtlich in dieser Zeit mit Polen keinen Krieg, sondern einerseits die schwierige Lage der Deutschen in Danzig und Ostpreußen, sowie die Benachteiligungen und Verfolgungen der deutschen Minderheit in Polen auf dem Verhandlungswege lösen und andererseits Polen für einen Bündnisvertrag gegen die Sowjetunion gewinnen." Auf diese Formulierungen Ludwigs habe ich bereits vor zwei Jahren in einem Beitrag in diesem Blog aufmerksam gemacht. Mit Herbert Ludwig waschen sich die Deutschen zuverlässig die Hände in Unschuld.

Armes Deutschland, böses Amerika. Nach einem Exkurs zum 90er- Jahre Klassiker Samuel Huntingtons, der einen globalen Zusammenstoss der Zivilisationen voraussah, streut Fassadenkratzer Ludwig (Warum soll man nicht fragen dürfen?) unvermittelt Zweifel an der Urheberschaft bei den Anschlägen auf das WTC und Pearl Harbor („Die Ereignisse vom 11. September 2001 – ob von der US-Regierung selbst inszeniert, wie in Pearl Harbor zugelassen oder von Osama bin Laden und seinen islamischen Räubern auf die ahnungslosen USA verübt, bleibe hier dahingestellt – eröffneten das westliche Vorgehen..“) und stellt dann den Irak- Krieg in einen logischen Zusammenhang mit der durch die USA angeblich geplanten und inszenierten Flüchtlingskrise. Die Unterstellung, die Ludwig einschiebt, ist die, dass der in seinen Folgen furchtbare Irak- Krieg Teil einer langfristigen US- Strategie gewesen sei, einen globalen Krieg mit der islamischen Welt auszulösen: „Es trat und tritt ein, was Huntington angeblich vorausgesagt hatte, in Wahrheit aber bewusst herbeigeführt wurde.

Bevor Ludwig auf den professionellen Schwadronierer Terry Boardman eingeht, kann er es nicht unterlassen, inmitten seiner Unterstellungen auch noch seinen Antisemitismus zu platzieren. Er erwähnt dazu einfach ohne weiter erkennbaren Zusammenhang, dass die Zeitschrift The Economist im Besitz einer Gruppe sei, zu der auch die Rothschild - Familie gehöre- dies seit den 1970ern eine konstante Chiffre der Ultrarechten für die jüdisch- freimaurerische Weltverschwörung, die der Globalisierung und dem Liberalismus huldige: „Die Publikation gehört zur Economist Group. Sie ist zu 50% im Besitz der englischen Niederlassung der Familie Rothschild und der Familie Agnelli. … Die Rothschilds und die Agnellis sind im Vorstand vertreten.“

Nachdem die Eckpfeiler nun eingeschlagen sind, kommt der pornografische Streifen mit Terry Boardman richtig ins Rollen. Dieser mixt erst einmal den faschistisch- psychotischen Attentäter Anders Breivik und den arabischen Frühling hinein, um mit dem Wörtchen „irgendwie“ dann übergangslos eine Vereinigung der Islamisten mit China zu behaupten: „Kurz, von 2011 an (dem Jahr des arabischen Frühlings und des Breivik-Massakers in Norwegen) kommt der eurasische Konflikt nach einem Militärputsch in einem muslimischen Land ins Rollen. Dies führt zu einer panislamischen Einheit, die über eigene Ölreserven verfügt, mit dem Ziel, das Kalifat wieder einzusetzen und einen einzigen Staat für alle Muslime zu bilden. Dieser verbindet sich dann irgendwie mit China, das seine eigenen Ziele mit «dem Westen» verfolgt, und China zwingt Japan zur Unterwerfung. Die Chinesen und Muslime werden sich zusammen gegen den Westen wenden.“ Sie alle- die verschwörerischen jüdisch- amerikanisch- britischen Logen und die islamisch- chinesischen Horden - haben nur einen hinterhältigen Plan: Sie wollen erst die schöne Erdogan´sche Türkei und dann die noch schönere Putin´sche russische Idylle überrennen: „Am wichtigsten aber ist das Hauptziel: Russland!

Das ist eine eigentümliche Verdrehung, ja Umkehr des ideologischen Chef- Eurasiers Alexander Dugin, der ja im Gegenzug Dschingis Khans Steppenhorden gegen Europa ziehen sieht. Die implizite Huldigung des Despoten Erdogan (der selbst wiederum türkischen Großreich- Fantasien anhängt) ist beiden Seiten aber offenbar gemeinsam. Tatsächlich produziert das von Boardman im Galopp herbei fantasierte Szenario genau die russischen Alpträume, die Grundlage für die tatsächliche gewalttätige Eskalations- Politik des Kreml im letzten Jahrzehnt gewesen ist: Die Einkesselung durch eigene islamische Republiken, den Reiz des liberalen und wirtschaftlich erfolgreichen Europa und die stete Expansion Chinas an den Ostgrenzen Russlands. Boardman gibt der russischen Paranoia faktisch eine Stimme - ein zuverlässiges Sprachrohr des FSB: „Während die Chinesen Ost-Sibirien nehmen, fällt der Rest an die Muslime. Russland würde so auf seine Grenzen im 16. Jahrhundert zurückgedrängt und damit geopolitisch ein rein europäischer Staat werden. Es würde dann, (..) reif für die Integration in das «Atlantische Europa», «Euro-Amerika» etc., wie Brzezinski es schon 1990 nannte. Mit anderen Worten: Russland würde in diesem eurasischen Krieg des 21. Jahrhunderts, der 2011 beginnen und ungefähr 2050 enden würde, von Euro-Amerika übernommen werden.

Hat man bei Boardman schon Dugins Positionen exakt, wenn auch um 180 Grad verschoben, vernehmen können, spielt der Fassadenkratzer Ludwig, als vorläufigen Höhepunkt, nun wieder die anti- amerikanische Karte: „Zbigniew Brzezinski, führender US-Geostratege und CFR-Mitglied, befürwortete 1997 in seinem Buch Die einzige Weltmacht – gleichsam vorbereitend – die Aufgliederung eines künftig lockerer konföderierten Russlands in drei Teile: ein europäisches Russland, eine sibirische Republik und eine fernöstliche Republik..“ Vorbeugend - falls dem einen oder anderen Leser die konstruierte europäisch- amerikanisch- chinesisch- islamische Allianz gegen den bedauernswerten Kreml doch als „Phantasiegebilde“ erscheinen würde, raunt Ludwig aus Weiten von Zeit und Raum: „Doch in der Geschichte geschehen immer wieder seltsame Dinge, und die britisch-amerikanische Elite arbeitet mit sehr langfristigen Planungen.“ Ja, die seltsamen Dinge. Und die noch seltsameren Positionierungen solcher Fassadenkratzer. Und die seltsamen Anthroposophen, die diesen propagandistischen Bullshit Duginscher Prägung in ihr heutiges Weltbild einbauen, die Ambivalenzen bei Steiner missbrauchend.

___________________
*Peter Staudenmaier: „Der Grundgedanke kann treffend mit dem Begriff „nationalist cosmopolitanism“ erklärt werden. Für Steiner bestand die deutsche Mission gerade darin, das Eng-Nationale zu überwinden und das Allgemein-Menschliche zu verkörpern. Dies bedeutete eine deutsche Vorreiterrolle in der Weltentwicklung. Anthroposophen begrüßten den Krieg als eine „Zeitenwende, die Deutschland und dem germanischen Volkstum die Führerschaft im Gesamtbereiche der menschlichen Geisteskultur bringen wird.“ (Das Reich April 1916, S. 1) Steiner zufolge war der Krieg „im Karma der Völker begründet.“ Es musste geschehen „zum Heile der Menschheit.“ (Steiner, Die geistigen Hintergründe des Ersten Weltkrieges, S. 19, 25) Als solche Standpunkte ab 1917 zunehmend unhaltbar wurden, kamen andere Töne zum Vorschein, und Steiner stellte die Mittelmächte als unschuldige Opfer eines lange vorbereiteten Planes vor, der Mitteleuropa zerstören und seine weltgeschichtlich entscheidende Aufgabe verhindern sollte. England, Frankreich, und Rußland wollten den Krieg und haben ihn geistig wie auch militärisch ausgelöst. Deutschland und Österreich wurde also ein Verteidigungskrieg aufgezwungen.“ in einem Interview im Waldorfblog 

Collage zum „großen Tier“

$
0
0

Ingrid Haselberger

 



(Foto aus der Ausstellung.
Bezeichnung: bpk - NSDAP, ca 1937)


Aus einem Text zur Ausstellung „Blut und Geist – Bach, Mendelssohn und ihre Musik im Dritten Reich“, die ich vor einigen Tagen in Leipzig besucht habe (zu sehen im Gartenhaus des Mendelssohn-Museums, noch bis zum 15. Mai): 
»Mendelssohn-Bartholdy gilt als der Wiederentdecker der Bachschen Musik. Im Jahr 1829, mit 20 Jahren, führte er erstmals seit Bachs Tod dessen Matthäuspassion in der Berliner Singakademie wieder auf und rückte damit Bachs bis dahin fast vergessene, nur in Liebhaber-Zirkeln gepflegte Musik in das Zentrum eines neuen, nationalen Musikinteresses. Hundert Jahre später sollte sich das Bild vollständig gewandelt haben. Während Bach nun als der „Deutscheste der Deutschen“ gilt und ihm von Hitler und Goebbels öffentlich gehuldigt wird, erscheint der „Jude“ Mendelssohn als gefährlicher „Zwischenfall“ der Musikgeschichte, der zur „Verweichlichung“ der deutschen Musik im 19. Jahrhundert entscheidend beigetragen habe.
Die Behandlung beider Komponisten ist Teil und Lehrstück einer sich im Dritten Reich schließlich weitgehend selbst speisenden und verbreitenden, mörderischen Rhetorik von „deutscher Überlegenheit“ und „jüdischer Bedrohung“. Manch einer glaubte mit ideologischem Eifer daran. Andere wollten sie vielleicht eher nationalkonservativ, als Ausdruck von Nationalstolz und eines bereits im 19. Jahrhundert verwurzelten, aber latenten Antisemitismus verstanden wissen. Manche gaben lediglich ein Lippenbekenntnis zur neuen Ideologie ab, um die eigene Karriere nicht zu gefährden, um eine Publikationsgenehmigung zu erhalten, um für eine attraktive Stelle in Betracht gezogen zu werden oder die vorhandene nicht zu verlieren, oder um in einer „Gratwanderung aus Verantwortlichkeit“ die Besetzung der eigenen Stelle mit „noch Schlimmeren“ zu verhindern. Wieder andere spickten ein oberflächliches Bekenntnis mit ironisch-verschwommenen Zusätzen. All das machte im Ergebnis keinen Unterschied. Denn für jeden weiteren ergab sich das Bild einer immer totaler werdenden Ideologie, deren Bekenntnisanspruch er sich nur auf die Gefahr eines Außenseiterdaseins hin würde entziehen können. Und umso mehr Kollegen und Rivalen sich bereits im Sinne der neuen Ideologie geäußert hatten, umso mehr zahlte es sich aus, noch etwas radikalere Ansichten zu vertreten, und nicht als lauwarmer Mitläufer zu erscheinen. Als diese Ideologie dann praktisch wurde – in den Nürnberger Gesetzen, den Berufsverboten, der Enteignung jüdischen Besitzes, in der für alle sichtbaren Vertreibung und Deportation – , war man durch das eigene, vorangegangene Bekenntnis zur neuen Ideologie bereits gebunden und erschien eine wirksame Kritik, selbst wo sie noch gefahrlos möglich gewesen wäre, ohne Selbstwiderspruch unmöglich.«

Bei der Schilderung dieses – ja: Mechanismus  dachte ich an diesen Text von Simone Weil, aus dem Band „Schwerkraft und Gnade“, unter der Überschrift „Das große Tier“:
»Nur dadurch, daß er in den Bereich des Transzendenten, der Übernatur, des eigentlichen und echten Geistes eintritt, wird der Mensch dem Sozialen überlegen. […]
Im Bereich dessen, was nicht der Übernatur angehört, ist die Gesellschaft das, was uns wie durch eine Schranke von dem Bösen [von gewissen Formen des Bösen] trennt; eine Gesellschaft von Verbrechern oder Lasterhaften, und bestände sie auch nur aus einigen wenigen, hebt diese Schranke auf.
Was aber treibt uns, einer solchen Gesellschaft beizutreten? Entweder die Notwendigkeit oder der Leichtsinn oder, in den meisten Fällen, eine Mischung aus beidem; man glaubt, man binde sich nicht, denn man weiß nicht, daß, mit Ausnahme des Übernatürlichen, einzig die Gesellschaft uns hindert, natürlicherweise die abscheulichsten Verbrechen zu begehen und den verworfensten Lastern zu verfallen. Man weiß nicht, daß man ein anderer werden wird, denn man weiß nicht, wie weit sich in einem selber der Bereich dessen erstreckt, was durch äußere Einflüsse verändert werden kann. Man bindet sich immer ohne zu wissen.«


Mit dem „großen Tier“ in der Überschrift bezieht Simone Weil sich übrigens nicht auf die Zahl 666 aus der Offenbarung des Johannes, sondern auf eine Stelle aus dem sechsten Buch von Platons Politeia:
»Daß ein jeder der um Geld lehrenden privaten Lehrer, die jene „Sophisten“ nennen und für Gegner ihres Treibens halten, nichts anderes in seinem Unterrichte verbreitet als eben nur jene Grundsätze der politischen Volksmenge, über die sie in den Versammlungen salbadert, und dies dann Staatsweisheit nennt. Dies gemahnt einen dann gerade so, wie wenn jemand bei Haltung einer ungeheuren und starken Bestie ihre Leidenschaften und Begierden in der Hinsicht kennen lernte, wie man ihr näher treten und wie man sie antasten dürfe, wann sie am wildesten oder am zahmsten sei und aus welchen Gründen, sowie unter welchen Bedingungen sie gewöhnlich Töne hören lasse, und auf welche Töne eines anderen sie besänftigt und aufgebracht werde; und wenn er alles dies dann durch Beobachtung und Zeitaufwand erlernt hätte, es dann Wissenschaft hieße, in eine wissenschaftliche Form brächte und hinsichtlich dieser Lehrsätze sowohl wie jener Neigungen ohne gründliche Kenntnisse der eigentlichen Begriffe von Schön oder Häßlich, von Gut oder Schlecht, von Gerecht oder Ungerecht doch alle diese Ausdrücke von den Sinnesarten des ungeheuren Tieres brauchte, indem er das guthieße, was diesem Vergnügen machte, und das schlecht, worüber es aufgebracht würde, dabei aber sonst gar keine andere innere vernünftige Begründung geben könnte, als daß er die unbedingten Naturbedürfnisse gerecht und schön hieße; aber von dem großen Unterschiede zwischen dem eigentlichen Naturtriebe und dem wahrhaft Guten weder eine klare Ansicht bekommen hätte noch ihn einem anderen zeigen könnte. Würde bei solchem Verfahren, bei Zeus, einer dir nicht als ein entsetzlicher Lehrer vorkommen?«


Beim Nachlesen des Platon-Textes wiederum dachte ich an diesen Artikel von Andreas Weiß über Harry G. Frankfurt,aus dem ich vor kurzem zitiert habe:
»Bullshit, geht es nach Frankfurt, ist eine Aussage, die mit Wahrheit und Wahrheitsfindung so gut wie gar nichts zu tun hat. So betont er auch explizit den Unterschied zu einer klassischen Lüge. Denn um zu lügen, muss die Person, die die Wahrheit falsch darstellen möchte, sich zumindest darum kümmern, was denn nun wahr ist und somit gefälscht werden muss. Der Lügner hat in diesem Sinne mehr mit Wahrheit zu tun als ein Bullshitter. Dieser nämlich kümmert sich bei seiner Aussage und deren Inhalt nicht einmal um die Wahrheit oder Falschheit dessen, was er behauptet, sondern es geht ihm grundsätzlich nur um die möglichst positive Darstellung seiner selbst. Man könnte mit Frankfurt behaupten, dass der- bzw. diejenige das Interesse um der eigenen Wichtigtuerei willen heuchelt. […]
»Jeder kennt Bullshit. Jederträgt sein Scherflein dazu bei.« Damit sind wir für Frankfurt schlichtweg alle „Bullshitter“ (und Bullshitterinnen, um der Sache gerecht zu werden) und mehr als nur peripher in diese Problematik involviert. Für Frankfurt ist das Problem demnach tieferreichend und in jedem Einzelnen zu finden.
Die moderne Gesellschaft ist geradezu in all ihren Bereichen auf „Bullshit“ ausgerichtet und nicht nur eine bestimmte Gruppe ist davon betroffen: In der heutigen Zeit werden die Menschen nahezu genötigt, über jedes Thema oder Problem eine Meinung bereitzustellen. Deshalb sei Bullshit „immer dann unvermeidbar, wenn die Umstände Menschen dazu zwingen, über Dinge zu reden, von denen sie nichts verstehen“. Um dieser Erwartung gerecht zu werden, haben sich die Mitglieder der „New-Media“-Gesellschaften eine tiefe Kompetenz im Produzieren von Bullshit angeeignet.«


Alle diese Texte schlossen sich für mich zu einem Ganzen zusammen, als ich das Gespräch zwischen dem 90jährigen Hugo Portisch und seinem 80jährigen Freund Wolf Biermann in der TV-Sendung „Stöckl.“ sah (hier noch einige Tage lang nachzusehen).
In seiner Antwort auf die Frage, ob Angela Merkel für ihn als ehemaligen Kommunisten wählbar sei, spricht Biermann (ab Minute 23.15) von der »Grundkrankheit der Demokratie: daß man nämlich vom Pack gewählt werden muß, um an die Macht zu kommen.«

Und er zitiert Benjamin Disraeli, der bereits im 19. Jahrhundert sagte: 
»Die Welt hat Staatsmänner satt, die von der Demokratie zu Politikern degeneriert werden.«
Biermann weiter:
»Der einzige Staatsmann, den wir im Moment in Deutschland haben, ist eine Frau – die nicht nach den nächsten Wahlen schielt. Woher sie diese   Sturheit   nimmt – also nicht aus dem kommunistischen Manifest, wie Sie schon ahnen. Aber aus einem tiefen evangelischem Christentum.«
Einwurf Barbara Stöckl: »Und vielleicht aus der Naturwissenschaft, als Physikerin...«
Wolf Biermann: »Weil sie bis drei zählen kann, was ja nicht schadet: sie weiß auf jeden Fall, daß die Gesetze der Natur in der Natur gelten. Und auch in der menschlichen Natur.
Und sie ist aus meiner Sicht die einzige, die nicht (oder sagen wir: nur wenig) angefressen ist von der Grundkrankheit der Demokratie...«
Für Wolf Biermann, der mit 16 Jahren aus freien Stücken (und zum Entsetzen vieler Freunde) in die DDR gegangen ist, wäre es früher ganz undenkbar gewesen, in dieser Weise über die »Grundkrankheit der Demokratie« oder sogar über »das eingeborene Elend der Demokratie« zu sprechen.
Winston Churchills allbekannten Satz von der Demokratie, die die schlechteste aller Regierungsformen sei, aber er kenne keine bessere, habe er in seiner DDR-Zeit »nur halb verstanden« – vom ersten Teil habe er geglaubt, Churchill mache einen Witz: 
»Erst als ich in den Westen kam, hab ich begriffen: der erste Teil stimmt auch! Das kannst du aber nicht merken, wenn du in der Diktatur lebst. – Allein dafür hat sich die Ausbürgerung schon gelohnt!«

Über die »Utopie des Kommunismus« sagt Biermann, dessen Vater 1943, als Wolf sieben Jahre alt war, als Jude und Angehöriger des kommunistischen Widerstandes in Auschwitz ermordet wurde:

»Das Schlimme daran ist nicht, daß sie nicht zu verwirklichen ist. Das weiß jeder Anfänger. Das Schlimme daran ist, daß sie mit Notwendigkeit in die schlimmsten Höllen führt, die es jemals gegeben hat.
Und das ist auch der einzige Grund, warum ich mit dem Kommunismus brechen mußte. Als ausgewachsener Mann hatte ich erst die Kraft dazu. Vorher hatte ich sie nicht, weil ich immer Angst hatte, meinen ermordeten Vater nochmal totzuschlagen... «



Hier schließt sich für mich der Kreis.
Es kommt nicht darauf an, für welche Ideologie ich mich entscheide.
Sondern es kommt darauf an, ob es mir gelingt, mich so frei zu halten, daß ich dann, wenn die Ideologie, wie es im Ausstellungstext heißt, »praktisch wird«, nicht zu einem Teil eines großen Tiers“ werde, sondern Menschsein kann.
Oder ob ich, wie Wolf Biermann, sogar die Kraft aufbringe, mich zum Preis des Selbstwiderpruchs – so frei zu machen...

Rudolf Steiner dazu (in GA 254):
»Die Menschen müssen sich bestreben, gegen die Zukunft hin ihren Verstand individuell, richtig individuell handhaben zu lernen, ihren Verstand nicht unbewacht zu lassen; ja, ja niemals ihren Verstand unbewacht zu lassen. Das ist sehr notwendig, und es ist gut, wenn man weiß, in wie schönen, starken, vollen Worten Ahriman an die Menschen herantritt und versucht, wenn es auch der Mensch sich nicht gefallen lassen will, aber wie doch Ahriman versucht, den Menschen den Verstand - verzeihen Sie den Ausdruck - wie die Würmer aus der Nase herauszuziehen. Immer mehr werden die Menschen es nötig haben, auf solche Momente zu achten. Denn gerade solche Momente benutzt Ahriman zu seinem Handwerk, wo der Mensch bei vollem Tagwachen in eine Art von Schwindelzustand kommt, in eine Art von bewußtem Dämmerungszustand, wo er sich nicht recht heimisch fühlt in der physischen Welt, wo er beginnt, sich dem Zirkeltanz des Universums zu überlassen, wo er nicht mehr gehörig als Individualität auf seinen Beinen und Füßen stehen will. Das sind die Momente, wo man sich hüten muß, denn da bekommt Ahriman leicht Oberwasser in unserer Umgebung.
Wir schützen uns am besten dadurch, wenn wir uns immer mehr und mehr bestreben, ein klares und genaues Denken zu entfalten, so genau wie möglich zu denken, nicht einfach so hinzuhuschen im Denken über die Dinge, wie das heute gerade gesellschaftlicher Usus ist. Nicht hinwegspringen über die Dinge, sondern klar denken.
Man sollte sogar noch weiter gehen: Man sollte versuchen, sich immer mehr und mehr zu hüten, gangbare Redensarten und Worte zu gebrauchen. Denn in dem Augenblick, wo man gangbare Worte gebraucht, die man nicht aus dem Gedanken, sondern aus der Sprachgewohnheit heraus hat, wird man, wenn auch nur für einen kurzen Moment, gedankenlos. Und das sind ganz besonders gefährliche Momente, weil man nicht darauf achtet. Man sollte darauf achten, daß man es vermeidet, solche Worte, bei denen man nicht genügend nachdenkt, zu gebrauchen. Eine solche Selbsterziehung sollte derjenige, der es mit den Aufgaben der Zeit ernst nimmt, gerade in solchen Intimitäten in ganz hervorragendem Maße in Angriff nehmen ...«
 Und sehr viel kürzer (GA 4, letzter Satz):
»Man muß sich der Idee erlebend gegenüberstellen können; sonstgerät man unter ihre Knechtschaft.«

Das anthroposophische Om

$
0
0
Rudolf Steiners Notiz zum AUM
Von seiner frühesten theosophischen Lehrtätigkeit (Berlin, 21. 12. 1904) bis hin zu den späten Unterweisungen an seine Schüler in Esoterischen Stunden (Stuttgart, 13. Juli 1923), in, wie vom Protokoll vermerkt, geradezu verklärtem Zustand  („Es war inzwischen dunkel geworden. In dem letzten Licht war schließlich nur noch das zarte Weiß von Rudolf Steiners Antlitz und seiner Hände sichtbar“), beschäftigte sich Steiner mit den „Sanskritworten“ (1) AUM bzw „Aoum mani padme aoum“- jeweils nicht als klangliches Mantram im klassischen Sinne, sondern verbunden mit mehr oder weniger umfassenden okkulten Betrachtungen, in denen sich nicht in Länge und Breite, aber in der Tiefe die anthroposophische Weltanschauung spiegelte.

In der frühen Betrachtung - bestätigt durch eine oben wiedergegebene Notiz Rudolf Steiners - ergänzt er die Vokale des AUM jeweils mit einem Vers, den er als Grundlage für die Esoterische Stunde nahm, in der er die drei Zeilen erläuterte. Dem A schreibt er „Ich bekenne mich zu mir oder Ich bin“ zu, dem U „Ich bekenne mich zur Menschheit oder der Mensch ist“, dem M (im Widerspruch zur Notiz) „Ich bekenne mich zur Gottheit oder Gott ist“. (2)

Das „Ich bin“ ist dabei ein Zustand absoluter Eigenverantwortung - „für jeden Gedanken, jedes Gefühl und jede Handlung“- ein Moment innerer Freiheit und Souveränität, der uns - wie sich Rudolf Steiner vorsichtig ausdrückt- „etwas vorwärts“ bringt. Das Erleben des „Der Mensch ist“ entspricht dagegen der Realisation der umfassenden Verbindung mit jedem anderen Menschen, da von der Erziehung bis zum Pflastern der Straße „schon Leute für mich gearbeitet“ und mich geprägt haben. In jedem Augenblick meines Lebens hätten sich andere „um mich bemüht“. Selbst die Verbrechen Anderer könnten daran gelegen haben, dass „ich den Betreffenden vielleicht in einem früheren Leben nicht gebessert habe“. Insoweit sieht Rudolf Steiner im U die völlige karmische Verknüpfung der Zeitgenossen in gegenseitiger Verantwortlichkeit. Im M oder „Gott ist“ ist in Steiners Interpretation die meditative Realisation der Tatsache angesprochen, dass jedes menschliche Ich im Schöpfungsakt „aus einer Einheit der Gottheit geflossen“ sei, und dass es in ferner Zukunft auch ein Zurückfliessen des menschlichen „Sonderseins“ in die Gottheit geben werde. Das „Sich- Bekennen“ als Ich in der meditativen Selbstgewahrwerdung spricht in dieser Betrachtung Rudolf Steiners also Selbstverantwortung, soziale Verbindlichkeit und den göttlichen Ursprung des Menschen an.

Die späte Interpretation Steiners des Om mani padme hum ist wesentlich umfassender dokumentiert. Man muss bedenken, dass diese Unterweisungen in seinen Augen sehr intimen Charakter besaßen und für die engsten und eigentlichen Schüler bestimmt waren. Immerhin leitete er sie mit der Adresse „Meine lieben Schwestern und Brüder!“ (3) ein. Der Bezug zu den Sanskritworten besteht in verschiedenen Stufen und Hüllen, die in der meditativen Arbeit fallen. Die drei Hüllen, von denen das „Ich des Menschen .. umgeben“ ist, das keinen Egoismus kennt - „Egoistisch sind nur die Hüllen“ (4) schließen es ein wie die Blüten des Lotos: „Auch in dieser ist der innerste Kern von drei Kreisen von Blütenblättern umgeben.“ Dem entsprechend übersetzt Steiner den Sanskritspruch mit den Worten „Mein Ich ist beschlossen in der Lotosblüte“. Die esoterische Schulung im engeren Sinne bestehe darin, zu diesem „wahren Ich hin(zu)kommen“ im Durchschreiten aller drei Hüllen: „Das ergibt drei Stufen, die zum Ich hinführen“.

In der betreffenden esoterischen Stunde ging Rudolf Steiner, wozu er ja auch neigte, zu einer Art kultischen Intonation und Inszenierung über, indem er seine Arme mit dem „Fallen der Hüllen“ jeweils auf den Tisch schmetterte und dann wieder in „Blütenform“ nach oben hob. Die erste Hülle („Mein Eigenwesen ist verwoben mit der Erdenschwere“) verband er mit dem Rosenkreuzer- Spruch Ex Deo nascimur, die zweite Hülle („Mein Eigenwesen ist verwoben mit der Lichtesleichtigkeit“) mit In Christo morimur, die dritte Hülle („Mein Eigenwesen ist verwoben mit der Atemstärke“) mit Per Spiritus Sanctum reviviscimus. Eine andere Quelle gibt das Drama dieser Inszenierung, in der Steiner das, was „der Inder“ ausdrückte, mit dem „Rosenkreuzer“ und der Erleuchtung in „Lichtesleichtigkeit“ verband, noch deutlicher wieder: „Jedesmal wenn Rudolf Steiner das Fallen der Hüllen erwähnte, ließ er seine Unterarme und Hände schwer auf den Tisch niederfallen. In der Art wie er das Wort „fällt“ sprach, malte er wieder lautlich das Abfallen der betreffenden Hülle.“ (5) Die esoterische Unterweisung in einem eigentlich kultischen Akt fand seinen Höhepunkt im nochmaligen Sprechen der Sanskritworte.

Für das AOUM gibt es in anderem Zusammenhang Äußerungen Steiners, dass dies der korrekte Klang des Mysterienwortes sei. A entspreche dabei dem Staunen, O der Verehrung, U der Furcht. In diesem Sinne sei AOUM die klangliche Entsprechung der Ehrfurcht. „Mani“ dagegen sei die klangliche Repräsentation für das „Reinste, Innerste, Wesentliche“ - als Kristall, Lotos oder als - im Menschen- für das Ich.

Vielleicht ist am Vergleich der Esoterischen Stunden im Abstand von fast 20 Jahren - bei identischem Thema - interessant, dass die frühe eher rationale Deutung Steiners - im Sinne von Selbstverantwortung, geistiger Souveränität und sozialer Verbindlichkeit- weitgehend verschwunden ist zugunsten einer „erkenntniskultischen“ Veranstaltung, in der Steiner typische Versatzstücke seiner okkulten Stationen nun doch geradezu beschwörend inszeniert. Die Leichtigkeit der frühen Tage war dahin, ja, der späte Steiner war mehr Guru denn je. Diese Elemente „besonderer Feierlichkeit“, in denen manchmal auch die Damen Marie Steiner und Dr. Wegman links und rechts neben ihm sitzend präsentiert wurden, durchzogen die esoterischen Unterweisungen gerade in der späten Ära- auch, was die „sehr getragene“ Sprache betraf: „..und dabei doch mit einer Geste und Kraft der Sprache, als schriebe seine Stimme die Worte in weite umfassende Fernen, nicht für die Gegenwart allein.“ (6)

Bedenklicher noch wird die Situation, wenn man Rudolf Steiners Einschätzung seiner esoterischen Entwicklung aus einer Esoterischen Stunde für den erweiterten Vorstand ("Wachsmuth- Lerchenfeld- Gruppe“) vom 3. Januar 1924 hinzunimmt- also quasi ein internes Treffen auf der Chef- Etage. In der Erinnerung von Maria Röschl-Lehrs hat Steiner folgendes geäußert: „Esoterik verträgt keine Spielerei, alles Bisherige sei spielerisch gewesen [genommen worden]. Jetzt muß offen und ernst Esoterik hineingetragen werden ins Leben, von Dornach aus, als dem Zentrum. Nun dürfe man aber wirklich nicht mehr spielen mit Esoterik.“ (7) Steiners neuer, „offen und ernst“ aufgefasster Okkultismus war also nicht nur mit kultischen Elementen durchsetzt, sondern wurde von ihm zentralistisch, dirigistisch und stärker denn je auf seine Person bezogen verstanden- das „Bisherige“ dagegen - trotz der offenkundigen Expansion der Bewegung in zahllose Tochterunternehmen - als „spielerisch“ herabgewürdigt. Die innere Spaltung, die Steiner selbst damit hervor rief, setzte sich in den nach seinem baldigen Tod dominanten Dauerkonflikten fort, führte zu exzessiven Spaltungen quer durch die anthroposophische Gesellschaft, personifiziert in den streitbaren Damen zu Steiners linker und rechter Seite, den Vertreterinnen von Kult und Pragmatismus : Marie Steiner und Ita Wegman- ein Dilemma zwischen Zentrum und Peripherie, zwischen weltoffener, gelebter und realisierter Praxis und den engstirnigen, verbohrten Pseudo- Esoterikern, das nie recht behoben worden ist.

______________
1 in: Rudolf Steiner, Aus den Inhalten der esoterischen Stunden III 1913- 1923, S. 478
2 in: dito, S. 334
3 in: dito, S. 470
4 in: dito, S. 476
5 in: dito, S. 477
6 in: dito; S. 479
7 in: Zur Geschichte und aus den Inhalten der erkenntniskultischen Abteilung der Esoterischen Schule
 1904 - 1914

Das Licht der Dinge - meditative Konzepte im anthroposophischen Zusammenhang

$
0
0
In den „Briefen an die Mitglieder“ hat Rudolf Steiner selbst in Bezug auf die Frage, ob die kurz vor seinem Tod vollzogene anthroposophische Weihnachtstagung nun tatsächlich eine elementare Neubegründung klassischer Mysterien sei, für die beteiligten Individuen zu bedenken gegeben: „It really depends on the human being whether he merely pictures Anthroposophy in his mind or experiences it.“ In der Tat. Es besteht ein Unterschied zwischen Trockenübungen am Strand und dem tatsächlichen Schwimmen im Wasser. Diese Unterscheidung scheint aber, trotz der realen und praktischen Wirkungen anthroposophischer Praxis, im spirituellen Kernbereich bis vor wenigen Jahren immer verwischt zu werden. Auch der Autor, der Steiner in diesem Zusammenhang zitiert - Sergej Prokofieff (1) stellt die Unterscheidung, die doch wesentlich ist, nicht weiter in den Mittelpunkt der Betrachtung, sondern fordert von den Individuen lediglich einen verschwommen bleibenden „guten Willen“- der (wenn alles gut geht) - zu einer inneren Erfahrung führt, die ein Tor zum Geist öffnet, der diesen Geist füllt mit dem Licht und der Wärme der geistigen Welt (2), um den Aufgaben der Zeit begegnen zu können. Falls der „gute Wille“ nicht bestünde, bliebe das Mysterium dieser Weihnachtstagung - so Prokofieff- lediglich ein abstraktes Konzept. Allerdings, möchte man anfügen, ist der Begriff des „guten Willens“ selbst ein höchst spirituelles Konzept- nach Lukas 2,14 ein Durchdrungensein von Seiner Gnade. In den Augen Rudolf Steiners liest sich der gute Wille als Durchdringung des Alltags von „Ideen“, die den gesamten Alltag praktisch durchdringen: „Eine wahre Geistesauffassung fühlt sich fähig, Ideen hervorzubringen, die nicht allein einer inneren Seelenorientierung dienen, sondern die, indem sie entstehen, schon die Keime der praktischen Lebensgestaltung in sich tragen. Der Wille, in geistige Tiefen hinunterzusteigen, kann ein so starker werden, daß er in allem mitwirkt, was der Mensch vollbringt.“ (4)

Nun wissen wir, wenn wir ehrlich sind, alle, dass die Hölle mit unseren guten Absichten gepflastert ist. Selbst die besten Absichten haben sich oft genug - aus Unkenntnis der Komplexität der Situation, aus unausgelotet mitschwingenden Empfindungen und Intentionen uvam- in ein unausweichliches Scheitern verkehrt. Die „wahre Geistesauffassung“ hat, geprüft an der Realität, schon gezeigt, dass es am Hervorbringen eben dieser „Ideen“ gemangelt hat, die „schon die Keime der praktischen Lebensgestaltung“ in sich tragen- also tatsächlich konstruktiv wirken.

Die an diesem Punkt von Rudolf Steiner gemeinte Inspiration - der Wille, in geistige Tiefen hinunterzusteigen, steht, wie es Georg Kühlewind nannte (5), im Einklang „mit den Weltgesetzen“, ist also von Realismus so gesättigt, dass eine - nach Thomas von Aquin- Adaequatio entsteht- im Sinne eines „Identisch- Werdens mit dem, was man zu erkennen beabsichtigt.“ Damit ist gemeint: „Das zu Erkennende passt sich an uns an, an unsere erkennende Gebärde, und wir passen uns mit dieser Gebärde an es an. Es ist ein gegenseitiges Herbewegen, weil diese zwei Komponenten der Welt aufeinander abgestimmt sind. Was wir dann erkennen, ist das Resultat der zwei Bewegungen. Diese Anpassung wird im Fühlen durch den Einklang mit den Weltgesetzen vorbereitet. Das Denken wird zurückgehalten, damit die Dinge sich zeigen, uns sie zeigen sich erst dem ehrfurchtsvollen Blick. Dann kann das hören beginnen, womit der Erkennende dem Sprechen der Dinge entgegengeht. Der Einklang lässt dieses Sprechen erklingen, lässt das Fühlen von den „Dingen“ beeinflusst werden, das Fühlen, das dann das Denken im Ausdruck des Gehörten leiten kann. Die Eigenschaft der Dinge, die in dieser Seelenhaltung wirksam wird, ist ihre „Wahrheit“. Im Sinne des Thomas von Aquin - und nach dem mittelalterlichen und auch früheren Sprachgebrauch- ist Wahrheit die Fähigkeit der Dinge, ihre Bedeutung zu offenbaren, weil sie eine Bedeutung haben, ja, weil sie Bedeutung sind, und diese strahlt der vorbereiteten Seele entgegen, als das Licht der Dinge.“ Der im Neuen Testament so genannte, begnadete „Friede“ - eben die Adaequatio-, ist ein inspiriertes, intuitives Handeln, aus einer Erkenntnishaltung jenseits des Dualismus heraus.

Zugleich dürfen wir, Sergej Prokofieff folgend, schließen, dass dort, wo die Ebene des „guten Willens“ zwischen tätigen Menschen erreicht wird, „Weihnachtstagung“ stattfindet- unabhängig von Ort und Zeit. Es ist müßig, über das Gelingen oder Scheitern des von Rudolf Steiner initiierten Geschehens zu streiten. Es ist überflüssig, spirituelle Kompetenzen oder Traditionen, Normen, Gruppen- Zugehörigkeiten, einen Schulungsweg, Religion oder „Loyalität“ gegenüber Rudolf Steiner einzufordern. Eben das aber unternimmt Sergej Prokofieff im folgenden Schritt. Er macht - statt die Adaequatio als humanes Potential zu sehen- den Schritt zur exklusiven Deutungshoheit, indem er behauptet, die Weihnachtstagung sei das Zentrum der christlichen Mysterien, die in Anthroposophen durch ihre Loyalität gegenüber dem Schulungsweg eingelöst werde. Freilich, die Voraussetzungen dafür, diesen „Grundstein“ in sich zu realisieren, sieht Prokofieff auch. Für ihn ist es vor allem, das Herz als Erkenntnisorgan („heart as a cognitive organ“) auszubilden - also eine Fähigkeit entsprechend der Adaequatio Thomas von Aquins. Dass er diese Fähigkeit an die historische Weihnachtstagung bindet („for grasping the spiritual nature of the Christmas Conference“) - und nicht an das Alltagsleben schlechthin- entspricht wohl nicht nur seiner Tätigkeit als klassischer Funktionär, sondern spiegelt das verquere exklusive Selbstverständnis und die Rückwärtsgewandtheit der traditionellen, überlebten Dornacher Spiritualität des 20. Jahrhunderts.

Dass sich diese Haltung tatsächlich überlebt hat, zeigt wohl deutlich die Tagung Living Connections (Juli 7–9 2017) am Goetheanum. Anbei ein Interview mit Terje Sparbyüber seine persönliche meditative Praxis (6)- eine unprätentiöse, freie Mischung von buddhistischen und typisch anthroposophischen Elementen: „The ideal of anthroposophic meditation, as I see it, is some kind of a universal type of meditation, which would include other traditions as well, or at least aspects of them. So I think it’s good to have a thorough knowledge of other traditions as well. And also why not have other forms of meditation as part of your practice? Then it doesn’t become exclusive. And in that way you can actually provide a scientific or at least experientially based perspective on other traditions; a perspective which remains open and non-exclusive.“ Sparby spricht von einer echten Aufbruchstimmung im anthroposophischen Kontext - gerade in Bezug auf meditative Konzepte. In dieser Hinsicht ist von der Tagung am Goetheanum Einiges zu erwarten.

--------------
1. Sergej Prokofieff, May Human Beings hear it!, 2004, S. 8
2. frei zurück übersetzt aus der englischen Übersetzung Prokofieffs Buch, S. 8
3. Verherrlicht ist Gott in der Höhe / und auf Erden ist Friede / bei den Menschen seiner Gnade.
4. GA 24.247f
5. Georg Kühlewind, Der sanfte Wille, S. 52f
6. http://www.living-connections.info/texte/2017/1/26/interview-with-terje-sparby

Rudolf Steiners Kundalini- Reinigung oder: Der wahre Mediziner

$
0
0
Quelle Wikipedia
Alle paar Jahre wieder gehe ich gern auf die so lange exklusiv nur unter anthroposophischen Ärzten kursierende Wärme- Meditation Rudolf Steiners ein, die allerdings auch immer neue imaginative Aspekte in der Betrachtung hervor bringt. Die Geschichte der von Rudolf Steiner für Ärzte formulierten Meditation mit ihren spezifischen Vorübungen und rudimentären Übungsanleitungen hat Peter Selg ja - nachdem die Angelegenheit ohnehin publik geworden war- in einem seiner vielen Bücher heraus gegeben (1). Allerdings entschlüsselt sich das Mantram selbst aus den von Selg gesammelten Gesprächsnotizen nur dem tatsächlich meditativ praktizierenden Arzt und Leser; und nur dem, der die Erfahrung der Stille so weit verinnerlicht hat, dass sich ihm das Zusammenspiel der Chakren zumindest rudimentär erschließt.

Dazu - so eine von Selg wiedergegebenen Gesprächsnotizen Rudolf Steiners (S. 58) - müsse eine „Brücke“ gefunden worden sein „zum Moralischen, zum Liebevollen. Sehen Sie, wenn ich z.B. von dem spreche, was ich die Wärmeorganisation des Menschen nenne, so ist das ja für Sie zunächst eine Abstraktion.“ Denn- so interpretiere ich Steiner- auf der anthroposophischen Vokabelebene ist allein kein Weg zu finden zu den spezifischen Strömungen der wirklichen Herzkräfte, die sich ohnehin - und selbst bei regelmäßigem Praktizieren tiefer meditativer Versenkung mit „leerer“, inhaltlich freier Aufmerksamkeit- nicht ohne weiteres finden lassen. Diese strömenden Empfindungen aus der Herzmitte können nicht einfach gewollt werden, entspringen auch immer aufs Neue zu erfassenden Bildern und meditativen Situationen. Selbst wenn sie - stets neu, nie aus Routine, nie „technisch“- entdeckt werden sollten, ist es nur unter Umständen möglich, sie dadurch zu entfalten, dass das Ich ganz in ihnen aufgeht. Es sind Kräfte - so Rudolf Steiner in seinen Erläuterungen- die ursprünglich organisch gebunden sind und zu einem in der Meditation „Moralisch- Warmen“ werden, in dem der ganze Mensch aufgeht und in dem der ganze Mensch (auch im Sinne von: Ganz gewordener Mensch) ersteht: „Aber Sie müssen eben die Brücke finden, diese Wärmeorganisation so zu erleben, dass Sie aus dem Erleben der Wärmedifferenzierungen der einzelnen Organe herübergingen zum Moralisch- Warmen. Sie werden dazu kommen müssen, das, was man ein „warmes Herz“ nennt, so zu erleben, dass Sie dieses warme Herz bis ins Physische hinein fühlen werden.“(2)

Rudolf Steiners Ansatz in der Wärme- Meditation - und warum sie speziell für Ärzte und mit dem menschlichen Organismus arbeitende Menschen gedacht ist - erfordert die Arbeit an der schwingenden Korrespondenz „unterer“, organisch gebundener Kundalini- Kräfte mit dem entfalteten Herz- Chakra. Letzteres kann nur in seelischer Stille und nur nach erheblicher Festigung der meditativen Arbeit durch eine geistige Umorientierung und Festigung hindurch geschehen. Diese innere Wiedergeburt besteht im anthroposophischen Schulungsweg (und ähnlich in bestimmten buddhistischen Schulen) durch eine Entelechie- Erfahrung, die sich in einem vereinigten Kraftstrom als rein geistig bestehend erlebt. Das geschieht durch eine Vereinigung von Stirn-, Kehlkopf- und Herz- Chakra, durch die dafür ein innerer Raum geschaffen worden ist, der eine Art Kontinuität des nicht sinnlich gebundenen Selbstseins möglich macht. Insbesondere muss die Kraft des Kehlkopf- Chakras über längere Zeit nach und nach entfaltet worden sein. Aber auch die vereinigte energetische Kraft der drei oberen Zentren bedarf der Stabilisierung und Entfaltung. Das von Rudolf Steiner angesprochene Wärme- Zentrum mit seiner unbeschreiblichen Zartheit, ja Zärtlichkeit im energetischen Feld hat eine ganz eigene Qualität, die sich verströmt aus dem inneren Menschen heraus und eine Art Beseligung erlebbar macht- in mancher Hinsicht in einer Perspektive, wie sie in Patanjalis klassischem Yogasutra so beschrieben wird: „Die Erfahrung, nicht der Körper zu sein, wie sie bei Nahtod- und außerkörperlichen Erfahrungen gemacht wird, verändert unsere Perspektive völlig. (Weil das so ist, nennt Patanjali diese Erfahrung maha-videha: das »Große Sein ohne Körper« …) In Samadhi erkennen wir darüber hinaus, dass wir auch nicht Verstand und Gefühle (Citta) sind, ja überhaupt nichts von dem, was wir gemeinhin als »ich« bezeichnen, sondern Purusha, das Licht reinen Gewahrseins. (3)

In den strömenden inneren Raum kann unter diesen Voraussetzungen - aber keinesfalls willentlich - als das „Moralisch- Warme“ der ursprünglich organisch gebundene Kundalini- Strom einfliessen. Vermutlich könnte bei entsprechender Schulung umgekehrt eine Intuition der Vorgänge in den inneren Organen für den hellsichtigen Arzt möglich werden- in Bezug auf den vor ihm stehenden Patienten. Es gibt - nach Steiner- eben eine Korrespondenz zwischen „unserem Wärmeorganismus“ (und damit indirekt auch dem Luft-, Flüssigkeits- und mineralischen Organismus) und den „moralischen Idealen“, da die strukturellen Bildekräfte auch nach diesen Idealen gebildet sind. Wir sind an diesem Punkt an den Schnittstellen der „Quellen des Lebens“ (4).

Die Wärme- Meditation schließt an diese Schnittstelle an, nicht an anthroposophische Vokabeln oder Sentimentalität, wenn sie - ohne Vor- Übung und ohne Erläuterung - besagt „Ich fühle Licht in meiner Wärme/ Ich fühle tönend die Weltsubstanz in meiner Wärme/ Ich fühle in meinem Kopf sich regend das Weltenleben in meiner Wärme.

Nach der vorab „von oben“ erfolgten Sammlung, Fokussierung, Krafterfüllung- in- der- Stille, Raumschaffung in vereinter innerer Mitte kann -in den Erläuterungen Steiners zur Wärme- Meditation- in der ersten Zeile „diese Lichtempfindung“ entdeckt werden „in der Gegend, wo das physische Herz ist“ (5). In der zweiten Zeile entspringen die organisch gebundenen „unteren“ Energien („acht geben, dass die eigentümliche Ton- Empfindung vom Unterleib nach dem Kopfe, aber mit Ausbreitung im ganzen Körper geht“), die dem Kundalini entsprechen, und steigen energisch belebend auf in die meditative Bewusstseinsebene. In der dritten Zeile („acht geben, dass die eigentümliche Lebensempfindung vom Kopfe nach dem ganzen Körper sich verbreitet“), in der wieder eine Umkehr der energetischen Richtung vom Kopf in den Organismus angesprochen wird, ist vermutlich die tausendblättrige Lotosblume gemeint- die, von der Steiner meist nicht spricht, deren Energien in einem vollendeten Stadium vom Scheitel - der Zirbeldrüse- nach unten strömen. Im klassischen Yogasutra liegt - trotz der elementaren Unterschiede, die u.a. durch das Fehlen von Steiners erster, selbst gesteuerter Phase „abwärts“ bedingt sind, hier die wahre Erfüllung: „Wenn die Braut dann doch einst erwacht, strebt sie zur Krone des Kopfes, zu sahasrara chakra. Sahasrara heißt »tausend« und meint den tausendblätterigen Lotus, die Wohnstatt Shivas, den Ort, wo reines Bewusstsein lebt.“ (3) Vermutlich hat Rudolf Steiner diese Ebene im dritten Teil der Wärme- Meditation indirekt angesprochen.

Das Herunter-, Hinauf-, und wiederum Hinuntersteigen der okkulten Energiefelder entlang der Achse der Chakren verweist einerseits auf den Arztberuf im Bild des Äskulapstabs - aber auch auf die Vollendung des Buddha bis hin zu den herab strömenden Ästen des Bodhibaums - des „Weltenlebens“ nach Rudolf Steiner- in seiner Verklärung.

Was Rudolf Steiner unter einem „wirklichen“ Arzt verstand, warum er diese hoch spirituellen Übungen gerade für diesen Berufsstand empfahl, und wie er den Zusammenhang, die „Brücke“ zwischen den organ- gebundenen Kräften und dem medizinisch- okkulten Wissen um die inneren Organe sah, zeigt auch folgende Stelle: „Der wirkliche Arzt muß erkennen kosmologisch die Heilmittel, er muß erkennen anthroposophisch die innere menschliche Organologie. Er muß erkennend die äußere Welt durch Inspiration begreifen, die innere Welt durch Imagination begreifen, und er muß sich erheben zur Therapie durch eine wirkliche Intuition.“ (6)

______________
1 Peter Selg, Die „Wärme- Meditation“ Geschichtlicher Hintergrund und ideelle Beziehungen
2 Peter Selg, dito, S. 58
3 in der Interpretation von Ralph Skuban: „Patanjalis Yogasutra: Der Königsweg zu einem weisen Leben“
4 Rudolf Steiner, Die Brücke zwischen der Weltgeistigkeit und dem Physischen des Menschen, GA 202, S. 189
5 Peter Selg, S. 21
6 Rudolf Steiner, Grenzen der Naturerkenntnis, GA 322, S. 86 https://anthrowiki.at/GA_322

Akasha oder: Betäubung oder Selbstkonfrontation?

$
0
0
Hüter der Schwelle Quelle
Die süße Selbstbetäubung von Freizeit- Anthroposophen - und durchaus einer erheblichen Anzahl von Langzeit- Geistesforschern - liegt in der weiten, schönen Perspektive, die so weit über den Alltag hinaus ins Erhebende ragt: Engel, Erlösung, Ewigkeit, die Sphären der Himmel und die Sinnhaftigkeit des schnöden Seins. Viele basteln sich in Heimarbeit aus Fragmenten der Lehre ein fundamentales, nicht mehr zu erschütterndes Selbstbild und tragen ihr Anthroposophensein wie eine Monstranz vor sich her. Freilich, der Übergang von der Monstranz zum Monströsen ist manchmal nicht ganz fern.

Die ganze angemaßte Hyper- Selbstvergewisserung nimmt allerdings in Schlaglöchern Schaden, die dann auftreten, wenn tatsächliche meditative Praxis betrieben wird. Denn damit ist eine zunehmende innere Selbst- Distanzierung zwingend erforderlich. Sich als energetische, rein geistig erlebte und aus sich bestehende Entität im meditativen Feld zu erfahren, lässt auf die Schalen der Persönlichkeitsstrukturen schauen, und zwar in zunehmender Befremdung. Innere Freiheit bedeutet kein Betrunkensein von sich selbst, sondern ein möglichst objektiver, freier Blick auf die determinierenden Faktoren im eigenen seelischen, geistigen und sogar körperlichen Gefüge. Die Art des eigenen sozialen Agierens im Sinne von Automatismen und Mechanismen gerät ebenso in den Blick wie die vielen hilfreichen Interventionen, Lektionen und sogar die Wut Anderer. Plötzlich entsteht sogar Dankbarkeit dem besten und intimsten persönlichen Feind gegenüber, der die eigenen Schwächen so klar entblösst hatte, dass es selbst mir nicht entgehen konnte- ich, der ich mich als eine Art Reiz- Reaktion- Apparat entlarve, der immer nur die eigene Rechtfertigung und seelische Selbsterhaltung betrieben hatte.

Die Vokabel von der „Begegnung mit dem Hüter der Schwelle“ erweist sich dagegen als romantische Formel. Vielleicht gibt es da ein einschneidendes Erlebnis- primär entwickelt sich die höchst reale Scham wie ein Prozess der Erosion, der die Automatismen und Illusionen langsam mit sich fortschwemmt. Dabei spielen die im meditativen Prozess neu aufkommenden Erinnerungen eine weitere Rolle. Ganz offensichtlich gibt es in Regionen unserer leiblichen Identität eine Originalversion von dem, was wir mit raffinierter Schnitttechnik verfälscht als „Directors Cut“ unserer Biografie in unseren Erinnerungen mit uns herum zu tragen pflegen. Die geistig- meditative Freiheit bringt es mit sich, dass die weggeschnittenen Fragmente unserer Biografie in geradezu prächtiger Klarheit, in 3D und in voller Farbe, vor Augen treten. Plötzlich sehen die Versionen von Begegnungen und Erfahrungen, die wie von außen gefilmt vor Augen treten, völlig anders aus. Die geschönte Version mit einseitiger Perspektive war deutlich, geradezu abstrus schmeichelhafter gegenüber dem, womit wir nun konfrontiert werden- vor allem, weil uns in diesem Film auch die damals mitschwingenden verborgenen Intentionen vor Augen treten. Nach und nach sieht man die Szenen seines Lebens tatsächlich mit anderen Augen und staunt: Was man sich in die Tasche gelogen hat. Was man sich vorgemacht hat. Woraus man seine primitive äußere Person zusammen gezimmert hat. Die offensichtliche, voller Scham zu betrachtende Version zeigt: Das da, was wir Ich zu nennen pflegen, ist eine Fake- Version unserer selbst.

Man kann wohl mit Sicherheit behaupten, dass diese äußerst unangenehme, kontinuierliche Selbstkonfrontation mit den spezifischen ungefilterten Szenen des eigenen Lebens bis in die frühen Kinderjahre zurück das sicherste Zeichen für wirklichen Fortschritt beim anthroposophischen Schulungsweg darstellt. Das hat nichts mit emotionalem Harakiri oder depressiver Nabelschau zu schaffen, sondern schlicht mit der Tatsache, dass reale Schulung Wunden aufbricht, verborgene Intentionen aufbricht und seelische Muster enthüllt. Praktizierte Anthroposophie führt zum Realismus, da nur so geistige Autonomie verwirklicht werden kann, die Perspektiven eröffnet.

Im übrigen kann man die Entdeckung des „Akasha“- Charakters der Biografien ganz unterschiedlich auffassen: Tröstlich ist, dass nichts verloren geht. Es gibt tatsächlich- so die meditative Erfahrung- eine Ebene und Instanz, in der jedes Detail unseres Erlebens-bis hin zu den damit verbundenen Empfindungen und Gedanken-, in ganz neutraler Perspektive abrufbar ist. Nur tun wir alles, um diese Bilderwelt als geschönte Mini- Version zu einem persönlichen Fake- Empire zu verklären. Der Trost, dass nichts verloren geht, dass es eine Ebene gibt, in die wir zwangsläufig nach Ablegen unser Filter und illusionären Ego- Perspektiven wie in eine Landschaft eintreten, ist damit zugleich die tatsächliche Hölle: Wir entkommen uns nicht. Die gespiegelte Schein- Existenz ist das, was illusionär und temporär gebunden ist. Wenn die geliehene Existenz beendet ist, werden wir mit unserer eigenen Realität konfrontiert- spätestens dann.

Insofern erscheint auch der klassische anthroposophische Schulungsweg in anderem Licht. Die süße Selbstbetäubung ist nur ein persönlicher Missbrauch. Tatsächlich kann er zu nichts führen als zu unverstelltem Realismus, einer zunehmenden Autonomie und einer Kraft des Ichs, das in die Lage gerät, die eigenen Abgründe ins Auge zu fassen.

Chemtrails of Love

$
0
0
 "Chemtrails of Love on a higher ground,
But today there aint no chemtrails to be found.
 Some day baby when the airplane flies deep
 it`s gonna carry that chemtrail from heaven to me."
  Performed and transformed by the Uribi Chemtrails Junkies and three angry dwarfs in a Black Box.
 Verrrry Lo Fi guaranteed!

Der innere Reichsbürger oder: Geistiger Bankrott an der "Schwelle"

$
0
0
Der Alltag eines Meisters ist auch nicht ganz einfach. Das wissen wir auch aus den Briefen Rudolf Steiners an Marie, in denen er sich während seiner Vortrags - Tourneen über eiskalte Gästezimmer und nervige Gastgeber beschwerte. Der selbstauferlegte, stramme Zeitplan seiner Vorträge, Scharen von Beratung suchenden Anhängern inmitten einer Fülle von Aufgaben, schwer zu erfüllende Publikationstermine, die Ahnung von Unheil und Aufruhr in Vorkriegs- Stimmung- das war die Situation einer Vortragsreihe in München 1913*.

Man sollte glauben, dass Steiner sich hier thematisch ein wenig in eine schwankende Beliebigkeit retten würde. Denn einerseits hatte er gerade eines seiner zentralen Bücher, „Die Schwelle der geistigen Welt“, fertig gestellt, worauf er mehrfach hinweist. Andererseits war München seit 1907 fast jährlich Ort zahlreicher Uraufführungen gewesen- sei es von Edouard Schures Dramen oder Steiners eigener Mysterienstücke. Zudem bereitete er gerade die erste große öffentliche Eurythmie- Aufführung in diesen Tagen vor. So hat man im Vortragszyklus einen thematischen Mix zwischen zeitgenössischen Anekdoten, Erläuterungen zu den Mysteriendramen, Ausflügen zu spezifischen Problemen der „Schwelle“ - des Übergangs zwischen rationalem Alltags- Denken und meditativer Versenkung-, aber auch typischen Ausflügen in menschliche Abirrungen bezüglich „ahrimanischer“ und „luziferischer“ Einseitigkeiten. Aber Steiner wäre nicht Steiner, wenn er nicht in dieser mehrfach überfrachteten und überlagerten thematischen Mixtur konstruktive, praktische und konkrete Spuren entwickeln würde, die zwar in seinem typischen Jargon und in seiner Bildsprache verbleiben, aber doch fruchtbar bis in die Gegenwart interpretiert werden können.

Was also kann man einem solchen spirituellen Vortragszyklus aktuell entnehmen? Das krisenhafte - freiwillige oder unfreiwillige - Herangeführt- Werden an eine Ausnahmesituation des Bewusstseins, der moralischen Mitte, der integralen Person, die bei Steiner 1913 noch ganz in eine Mysterien- Szenerie gebettet war, ist heute aus keiner Biografie mehr heraus zu denken. Das mentale, politische, persönliche und in die Beziehungen eingreifende Krisen- Szenario hat Steiner bereits vor dem verheerenden Ersten Weltkrieg als eines beschrieben, das als das „ideale normale Hinaufleben in die geistige Welt“ nie stattfände. Es gäbe die Seele „kaum“, die „gar keine irgendwie gearteten Störungen hätte“ (1). Positiv konstatierbar sei: „Jede Seele hat ihren individuellen geistigen Pfad“. Das reale Krisenszenario sei ein Auseinanderfallen der Persona in divergierende Impulse, denen nur durch eine „erstarkte Seele“ begegnet werden könnte. Das Ausmaß der Konsequenzen personaler und psychischer Divergenz malt Steiner quer durch den Vortragszyklus aus. Dadurch wird die damalige Ausnahmesituation, die Steiner selbst - wie er sagt- bewusst „dramatisch“ darstellte, für die heutige Situation zum biografischen Normalfall.

Mit der Affinität von Grenzsituationen an der Nahtstelle zwischen Erkenntnis und psychischer Krise haben sich schon in den 80er Jahren anthroposophische Psychotherapeuten beschäftigt (2) Auch Dr. Werner Priever bezieht sich im Aufsatz „Doppelgänger und Krankheit“ auf den oben genannten Vortrags- Zyklus. Die seelisch- geistige Gesundheit bewegt sich zwischen zwei Einflussbereichen, dem (nach Steiner “luziferischen“) individuellen und dem kollektiven („ahrimanischen“) Schatten.

Der Erste kommt auf durch das „innere Vorstellen, das Sich- Erarbeiten der Weltengeheimnisse“ (3) mit der Tendenz zum Grübeln, Sich- Verspinnen, Abkapseln, individualistische Selbstreferenz im Aufbau einer komplett eigenen Wirklichkeit, um sich schließlich zu verwickeln in das nur „Seelisch- Fühlsame“ (4). Die beobachtbaren Phänomene für den Psychotherapeuten sind „Schwärmerei, illusionäres Denken, Eitelkeit, Selbstgefälligkeit, Hochmut und aller falscher schwärmerischer Idealismus“ (4). Man sieht hier, aus heutiger Sicht, die politischen Hasardeure, spekulativen Naturen, Reichsbürger- Typen mit eigenen, selbsterrichteten illusionären Königreichen, die Narzissten und rechthaberischen Spinner.

Der kollektive Schatten umfasst dagegen Typen, die „denken nicht gerne“ (Steiner, 3) und „nehmen alles auf das Hinhorchen, auf die Autorität hin an“ (Steiner, 3), lassen sich von Trends, einer „Dogmatik der äußeren Erfahrung“ (3), von Populisten und Peergroups dominieren und mitreissen: Das jeweilige Kollektiv oder die Führer- Persönlichkeit prägt den denkfaulen, passiven, unzufriedenen Mitläufer. Man möchte heute eine Verbindung sehen zwischen dominierenden Narzissten und rebellischen Grüblern, die, sich gemeinsam aufstachelnd und als Opfer inszenierend, in ihrem Hass vereint agieren gegen Aufklärung, den Liberalismus, Meinungsfreiheit, globale Bewegungsfreiheit und Emanzipation von geschlechtlichen Rollenfixierungen; Trends, die durch das Selbstreferentielle der sozialen Netzwerke endlos verstärkt werden. Im Fake- News- Zeitalter der Trumps, Erdogans und Putins kann man die medial „auf das Hinhorchen“ gedrillten Fantasten und individualistischen Grübler in Massen politisch lenken, und zwar in einem durchaus globalen Massstab. Der kollektive und individuelle Doppelgänger, verstrickt in die Parallelwirklichkeit und in ihren Narzissmus, wirken bestens zusammen.

Sicherlich hätte sich Rudolf Steiner in dieser visionären Sicht nicht träumen lassen, dass ganze Teile seiner Anthroposophischen Gesellschaft nicht nur ihn selbst als reine, wortwörtlich aufzufassende Autorität missverstehen, sondern den schlichtesten okkulten und politischen Populisten folgen würden statt das eigene, selbständige Denken so zu stärken, dass es „so lebendig in der Seele lebt, wie das Wahrnehmen lebendig lebt“ (3). Das hat er nicht kommen sehen.

________________

*Rudolf Steiner, Die Geheimnisse der Schwelle
1 dito, S. 116f
2 Therapie seelischer Erkrankungen aus anthroposophischer Sicht. Grundlagen- Wege- Aufgaben. in: Beiträge zur Ausgestaltung einer anthroposophisch orientierten Psychotherapie. Band I, Stuttgart 1979
3 Steiner, Geheimnisse der Schwelle, S. 98f
4 Formulierung von Steiner nach Priever in 2, S. 60

Von Luther zu Putin. Fake News, Sowjetgeist & mentale Dialekte

$
0
0
Im Gegensatz zu vielen naiven Anthroposophen, die ihren Rudolf Steiner gern - scheinbar ohne Deutung - beim Wort nehmen, war schon Martin Luther sehr wohl bewusst, wie viel Interpretation in seinen Bibel- Übersetzungen steckte. Nach Raoul Schrott (1) - seinerseits seit fast einem Jahrzehnt diskutierter Neu- Übersetzer der Ilias - hat sich Luther für eine Methodik entschieden, „daß nicht der Sinn den Worten, sondern die Worte dem Sinn  dienen und folgen sollen“. (2) Das bedeutet nicht schlicht, dem „Volk aufs Maul zu schauen“, sondern eine Entscheidung gegen wortwörtliche Entsprechungen in der Übersetzung, zugunsten analoger „Ausdrücke, mit denen sich die Wirkungsäquivalenz eines Gedankens erhalten ließ“ (1) Schrott führt eine Reihe von Beispielen für diese Adaequatio im Sinne der Bedeutung aus, die Luther betrieb- aber auch solche, in denen Luther bewusst den originalen biblischen Bildcharakter stehen ließ, wodurch ein gewisser Effekt zuungunsten des Verständnisses zustande kam. (3)

Bei Luther lag nun der besondere Umstand vor, dass er im heute deutschsprachigen Raum Hunderte von Dialekten und Idiomen vorfand- er hat durch die sprachliche Dominanz seiner Texte und Übersetzungen selbst die „gemeine deutsche Sprache“ jenseits der Mundarten geprägt, ja geschaffen. Dabei entschied er sich jeweils für die weiteste Verbreitung von sprachlichen Wendungen - er ebnete die mundartliche Vielfalt zugunsten eines gemeinsamen Verständnisses ein. Aber er entwickelte auch ein „eklektisches Vokabular“ (1) durch Wortschöpfungen, die heute im selbstverständlichen Sprachgebrauch sind (z.B. Feuereifer, friedfertig, Glaubenskampf, Ehescheidung, Kriegsknecht usw) und Redensarten, die heute praktisch als Synonyme für das Christentum stehen („Geben ist seliger als nehmen“). Dass die Kunstsprache Luthers in einer sehr eigenwilligen, auf das primäre Verstehen getrimmten Übersetzung- Technik nicht nur das christliche Selbstverständnis, sondern das gemeinsame Hochdeutsche erst geschaffen hat, hat im übrigen auch schon Thomas Mann konstatiert.

Möglich war eine solche revolutionäre Wirkung auf den gesamten deutschen Sprach- und Vorstellungsraum erst durch eine subversive Umdeutung und Inanspruchnahme von Technologie: Luther verwendete die Druckerpressen, die von der römischen Kirche für Ablasszertifikate und Flugschriften zum Kreuzzug gegen die Türken verwendet wurden, um gegen eben diesen Ablasshandel zu opponieren. Er usurpierte das vorhandene Netzwerk ab 1518, unterstützt von einer professoral- intellektuellen Crew, aber auch einem Star- Designer wie Lukas Cranach. Zudem professionalisierte Luther die Druckereien selbst und begründete den Handel mit Büchern schlechthin: Er „belebte die gesamte deutsche Druckindustrie“ (1) und erreichte nie auch nur annähernd gekannte Auflagen.

Solche Usurpation einer Technologie mit dem Zweck, einen gesamten Sprachraum zu gestalten und zu beeinflussen, erleben wir heute natürlich auch. Troll- Fabriken und Bot- Armeen überfluten die sozialen Netzwerke und das Internet, staatlich gelenkte TV- Anstalten präsentieren eine den autoritären Herrschern genehme Variante der Wirklichkeit und schalten tatsächliche journalistische Arbeit und Recherche mit allen Mitteln aus; die Lufthoheit über die Medien ist einem Kampfszenario ausgesetzt, das schon mit Zweitem Kalten Krieg tituliert wurde. Der Unterschied besteht allerdings darin, dass Luthers Intentionen, die christlichen Texte allgemeinverständlich zur Verfügung zu stellen, heute abgelöst worden sind von den nackten Intentionen amoralischer Diktatoren, die demokratischen Diskurse schlechthin zu unterwandern. Das angebrochene Fake-News- Zeitalter intendiert nicht die Konstituierung gemeinsamen Verständnisses, sondern die Unterminierung von Wirklichkeit schlechthin- der Rückfall in „mentale Dialekte“.

Sind auch die Techniken der technologischen Usurpation im Vergleich zu Luther ähnlich, so ist heute doch eine gewisse Diversifikation (nicht zu Verwechseln mit Meinungsvielfalt) notwendig. Sowohl in Istanbul wie in Moskau finden sich oppositionelle Stadtviertel, aber auch politische und schwule Aktivisten und Medien- in Moskau (wie Peter Pomerantsev berichtet) im Berliner Trash- Chic- Ambiente angesiedelt, oft bevölkert von Kindern der Putin- Kader, die Opposition als Dekor betreiben, als Hofnarren, als Fake- Vielfalt. Schon seit Jahrzehnten leistet sich der KGB diverse - teilweise auch extreme, faschistische - Gruppierungen und religiöse Bindungen, auch um naiven Aktivisten eine Honigrute zu bieten, an der sie kleben bleiben und notfalls aus dem Verkehr gezogen werden können: „The Kremlins idea is to own all forms of political discourse, to not let any independent movement develop outside its walls.“ (4) Alexander Dugin u.a. haben diese Ränder ihre ganze Karriere über ausgetestet- bis hin zum gefakten Staatsstreich oder Militärputsch, wodurch Dugin auch für die aktuelle türkische Regierung zum willkommenen Berater geworden ist.

Für Arkady Ostrovsky (5) hat die Unterminierung der öffentlichen Meinung unter Putin einen spezifisch russischen und, genauer, sowjetischen Charakter, nicht ausschließlich den subversiv medialen als Parallele zu dem, was wir als Strategie Luthers dargestellt fanden. Das „Leben in Ideen“ - unabhängig von Kalkül, eventuell ohne Rücksicht auf die Konsequenzen, im luftleeren Raum- ist in einem Ideen- zentrierten Kulturkreis vielleicht mitreissend, ohne den Gulag und die millionenfachen Opfer, ohne die vielfachen Morde des Putin- Regimes mit zu bedenken. Die Folgen mögen zu einem nationalen Wiedererwachen auf Kosten der umgebenden Demokratien führen, können aber auch für die russische Bevölkerung selbst mittelfristig unabsehbare Folgen haben.

Ostrovsky beschreibt die schwerelose Rolle der russischen Intellektuellen wie folgt: „Russia is an idea-centric country and the media play a disproportionately important role in it. As Ivan Pavlov, Russia’s Nobel Prize-winning physiologist famous for his work on conditional reflexes, observed in a lecture he gave in the cold and hungry Petrograd of 1918, the task of every mind is to comprehend reality accurately. But in Russia, he remarked, ‘we are mostly interested in words and have little concern for reality’. He blamed the mind of the intelligentsia – ‘the brain of the country’ – for leading Russia into the Bolshevik Revolution.“ Die fehlgeleitete Ideologie nimmt schnell einen quasi- religiösen Heilscharakter an- eine im globalen medialen Zeitalter toxische Qualität bei einem Regime, das ausschließlich von den Interessen der herrschenden KGB- Elite geleitet wird: „As with any utopia, communism disregarded reality and as a pseudo-religion it operated through words and images.

Hier kommen wir auf Luthers mediale Umdeutung zurück. Aber auch auf Rudolf Steiner, der Ostrovskys quasi- religiöse Deutung der sowjetischen Idee voll und ganz teilte: „Im Osten ist zum Beispiel die Tragkraft des Bolschewismus darauf zurück zu führen, daß er eigentlich von den Menschen des Ostens, schon vom russischen Volke, wie eine Religionsbewegung aufgefasst wird, so daß die Träger wie neue Heilande angesehen werden, gewissermaßen wie die Fortsetzer früheren religiös- geistigen Strebens und Lebens.“ (6) Und ebenso realistisch sah Steiner voraus, dass der sowjetische Geist immer wieder, und in neuen Gestalten, auftreten werde: „Mit dem, was hinter dem Bolschewismus steckt, wird die ganze Menschheit sehr lange zu tun haben.“ (7)

So mag es, wie Peter Pomerantsev in seinen Reportagen aus dem Herzen des neuen Russlands anmerkt, in Bezug auf den russischen Standpunkt, vom russischen Herausgeber von „Russia Today“ aus betrachtet, gleichgültig sein, ob man eine Banane als Nahrungsmittel, Waffe oder Mittel zur Darstellung von Rassismus betrachtet. Aber de facto steht in der Ecke seines Büros tatsächlich eine Kalashnikov: „“There is no such thing as objektive reporting,“ the managing editor of Russia Today once told me when I asked him about the philosophy of his Channel. He had been kind enough to meet me in his large, bright office. He speaks near- perfect English. 
„But what is a Russian point of view? What does Russia Today stand for?
„Oh, there is always a Russian point of view,“ he answered. „Take a banana. For someone it´s food. For someone else it´s a weapon. For a racist it´s something to tease a black person with.“
As I left the office I noticed a bag of golf clubs and a Kalashnikov leaning by the door.“ (8)

--------------------------------
1. Raoul Schrott, Martin Luther. Von der Heilsbotschaft in Volkes Sprache zum Neuhochdeutschen in: Lettre International 116, Frühjahr 2017
2. Summanden über die Psalmen und Ursachen des Dolmetschens, nach Raoul Schrott 1
3. Psalm 64, 19 „Du bist in die Höhe gefahren und hast das Gefängnis gefangen“ statt „Du hast die Gefangenen erlöst“.
4. Peter Pomerantsev, Nothing is true and everything is possible.The surreal heart of the new Russia, New York 2014, S. 67
5. Arkady Ostrovsky, The Invention of Russia: The Journey from Gorbachev's Freedom to Putin's War
6. Rudolf Steiner, GA 200, S. 49
7. Rudolf Steiner, GA 181, S. 400f
8. Pomerantsev, S. 47

Burghard Schildt: Von der Freiheit des Autors

$
0
0
Das Denken ist das sich selbst tragende Urwesen. Das Weltgeschehen ist der Wille des Denkens, sein Wesen in Selbstoffenbarung zu entfalten. Jedes Wesen ist lebendig. Und so ist das Weltganze das Gedankenleben des Denkens. Es gehört zum Wesen des Lebens, das es mit allen seinen Teilen in inniger Verbundenheit lebt. Dieses Lebewesen ist die Sozialgestalt des ursprünglichen, also freien Denkens. Als das ist es das aus Freiheit handelnde Geistwesen. Es gehört zum Wesen des freien Geistes, das Geistesleben der Freiheit zu sein. Zu dem Buch „Die Philosophie der Freiheit“, sagte Rudolf Steiner: „Dieses Buch ist nicht so wichtig durch das, was drinnen steht; natürlich, das, was drinnen steht, wollte man schon auch damals der Welt sagen, aber das ist nicht das Allerwichtigste, sondern das wichtigste bei diesem Buche ist, dass zum ersten mal ganz und gar selbstständiges Denken in diesem Buche ist.“ Der Buchtitel will also rückwärts gelesen werden. Eben so, dass das Freiheitswesen als Autor des Buches gewahrt ist. Vom selben Autor erschien das Buch: „Die Kernpunkte der sozialen Frage“. Mit „sozial“ ist gesagt, das es das Weltlebewesen ist, das diese Frage darlebt und deren Kernpunkte in Gedanken kleidet. Der Untertitel lautet daher: In den Lebensnotwendigkeiten der Gegenwart und der Zukunft.  Das Lebewesen selbst wird in dem Buch mit dem Wort 'Mensch' benannt. Der soziale Organismus der Selbstoffenbarung des Urwesens ist offenbar ein Mensch. Damit ist vom Autor der Begriff desjenigen Menschen aufgestellt, den ein jeder Mensch idealisch in sich  trägt. Dazu Rudolf Steiner: "Der durch abstrakte Schlussfolgerung angenommene Gott ist nur der in ein Jenseits versetzte Mensch..

Mithin: Der idealische Mensch in Rudolf Steiner ist der Autor der angeführten Schriften. Damit ist darauf hingewiesen, dass sie als Allgemeingut der Menschheit zuteil geworden sind. Das Allgemeingut verdankt sich der Güte derjenigen, die aus gutem Willen ihre Güter der Menschheit als Guthaben überweisen konnten. Auf Rudolf Steiner bezogen bedeutet das: Aus gutem Willen konnte er seine Seelensubstanz zu freier Verfügung stellen. Dafür, das der idealische Mensch in ihm, sich ihrer bedienen kann.

Dazu Rudolf Steiner: „Es handelt sich dabei nicht um ein Konstruieren oder Schaffen einer subjektiven Welt, sondern darum, dass wir gleichsam Seelensubstanz aus uns heraus spinnen. Und die höheren Welten, in die wir uns hineinleben, müssen diesen Umweg wählen, damit wir ihnen gegenübertreten und sie erkennen können. Sie müssen erst durch unsere eigene Seelensubstanz, die wir ihnen zur Verfügung gestellt haben, durchkriechen." Rudolf Steiner gelingt das, indem er sich von seiner Seelensubstanz unterscheidet. Und so, in Verschiedenheit, sich in idealischer Selbstkritik findet. Mithin in der Selbstunterscheidung desjenigen Menschen, der in der Menschheit seine Sozialgestalt darlebt.

Dazu Rudolf Steiner: „Es ist der Inhalt der Sachen, die durch anthroposophisch orientierte Geisteswissenschaft gegeben werden, nicht so, dass er irgendwie sich eignet für eine sektiererische Bewegung; sondern er ist durchaus so, dass er hineingestellt werden kann als etwas, was Impulse abgeben kann für Weltwirkung. Aber dazu ist eben notwendig, dass jeder seine Kraft einsetzt.“ Die erwähnten Schriften sind so verfasst, das ein gewillter Leser sich in Unterscheidungskraft üben kann. Mithin dafür, das sich jemand, anhand ihrer, in die Schulung begeben kann, aus der man eines guten Tages diejenige Kraft zu freier Verfügung hat, die Seelensubstanz für den Autor, also den idealischen Menschen, hingeben kann.


Die Artisten in der anthroposophischen Manege, ratlos

$
0
0
Gewiss, da gibt es die, die vernehmlich in den sozialen Netzwerk Beifall klatschen, wenn die nationalistischen, hetzerischen Querfront- Anthroposophen mit Hang zu Diktatoren bloggen oder posten. Es sind gerade die, die nicht eigentlich eine eigene Meinung, einen Standpunkt oder eine anthroposophische Linie vertreten, sondern immer wieder den Meister zitieren. Die passiv- aggressive anthroposophische Haltung spiegelt sich aber offenbar gern in radikalen Demokratie- Verweigerern wie Mikeondoor, der hier ein Pamphlet gegen den heute angeblich kulturbestimmenden Transhumanismus zitiert, aber zugleich für gleichgesinnte - rechte und glaubensstarke - Anthroposophen auf derbe, unfreiwillig komische Art eine Online- Partnerbörse ankündigt: „Aus aktuellen Anlass erscheint demnächst hier auf diesen Seiten eine neue Rubrik mit dem Titel: Anthroposophische Partnersuche. Für alle, die aktiv ihre „Stoßkraft und Freudigkeit des Daseins“ erweitern wollen…

Dieses brachiale, stoßkräftige anthroposophische Fussvolk wird sich, geeint in seinem gemeinsamem Hass auf Liberalismus, EU, „Materialismus“ und demokratische, offene Prozesse in einer Partnerbörse sicherlich gerne vereinigen, unter dem Banner der unerschütterlichen Treue zum großen Meister.

Aber es werden immer weniger. Die Jungen bleiben fern, die Mitgliederzahlen schrumpfen, die Gelder bleiben aus. Im Angesicht der immer schlechteren finanziellen und personellen Umstände werden die Grabenkämpfe um Ressourcen, um einen Rang, um einen Platz am Futtertrog stetig härter, die Versuchungen größer, den Einflüssen von Geldgebern und bestimmten Netzwerken nachzugeben und das abzuliefern, was eindeutig verwertbar erscheint: Esoterisches Geschwafel, das den Erwartungen eines erheblichen Teil des Marktes entspricht; spekulatives Zeug, aus Anthro- Textbausteinen gebastelt; selbstbeschönigender, selbsterhöhender, die Eitelkeit kitzelnder Pomp; trendiger neurechter, anti- globalisierender, pseudohistorischer Polit- Kitsch: Alles, worauf die verbliebenen stumpfen Pseudo- Esoteriker eben abfahren.

Wer, bitte, will sich schon ratlos, fragend, selbstkritisch präsentieren? Und doch, die Anthroposophische Gesellschaft unternimmt genau das. Es gibt durchaus nicht nur die rückwärts Gewandten und Selbstbezogenen, sich stoßkräftig untereinander Mischenden, sondern auch die, denen ihr Anthroposophensein zur offenen Frage geworden ist und die sich um die Zukunft der hundert Jahre alt gewordenen Dame Gedanken machen. So ein aktuelles Skript zur Zukunft der Anthroposophischen Gesellschaft: „In verschiedenen Kolloquien, Arbeitsgruppen, Interviews und Konferenzen wurde in der Deutschen Landesgesellschaft ab Januar 2016 das Thema «Zukunft der Anthroposophischen Gesellschaft» bearbeitet. Aus diesen Schritten entstanden zentrale «Kernthemen», die in den nächsten drei bis fünf Jahren bearbeitet und ausgestaltet werden sollen.

Klar werden viele der momentan dominanten Probleme angesprochen (die politischen Abwege bleiben ausgeklammert), teilweise in Zuschriften an die Organisatoren, vor allem aber in den dokumentierten Interviews mit engagierten anthroposophischen Persönlichkeiten, die zu Wort kommen. Der Konfliktforscher Friedrich Glasl sieht z.B. Probleme in Bezug auf „anthroposophische Forschung“: „Es wird manchmal etwas schnell von Forschung gesprochen, aber Forschungsergebnisse, die sich wirklich präsentieren können und sich einem Diskurs stellen, gibt es zu wenig. Dennoch gibt es Menschen, die Hervorragendes geleistet haben und die erkenntnistheoretische Basis dazu sehr gut durchdacht haben. Auch Geistesforschung gibt es zu wenig und was erarbeitet wird – auch Gutes – kommt zu wenig in die Öffentlichkeit. Es gibt Mitglieder, die die Auseinandersetzung mit der Wissenschaft  in der akademischen Welt nicht zu scheuen brauchen und wichtige Beiträge leisten. Was die Arbeit in der Allgemeinen Sektion betrifft , wo es um die Klassenstunden geht, um den Schulungsweg, da ist es schwierig, wenn Menschen, die schon Jahrzehnte in der Hochschularbeit aktiv sind, gefragt werden: Kannst du etwas über deine Ergebnisse sagen, Imagination, Inspiration, Intuition, Schwellenerlebnisse usw.? Das ist schwer, da gilt natürlich dieses «sei vorsichtig und nicht prahlerisch über bestimmte Dinge, das können Illusionen oder was auch immer sein». Es ist wichtig, das zu respektieren, aber es müsste doch untereinander möglich sein, bei den Lektorentreffen, dass man sagen kann: Wir machen uns nichts vor und sind absolut ehrlich, wie haben wir geforscht, was ist dabei – mit aller Vorsicht – an Erkenntnissen gewonnen geworden?

Ja, was? Und wie schafft man den fast unmöglichen Spagat zwischen einer Initiationsgemeinschaft, die auf Initiative bauen will, aber in einer in Statuten, Hierarchien und Machtgefügen erstarrten Institution? Das scheint vor allem die früher für die Öffentlichkeitsarbeit zuständige Monika Elbert umzutreiben: „Es muss vorrangig um Erkenntnisinhalte statt um Verwaltung gehen und es braucht vor allem, statt Repräsentieren, «gute Zusammenarbeit» und gute Projekte. Die Kultur der Selbstbehauptung gilt es zu überwinden zugunsten gegenseitiger Förderung und des absoluten Ernstnehmens der jeweiligen Intentionen. Verantwortliche Positionen in der Anthroposophischen Gesellschaft  müssten streng nach dem Kriterium besetzt sein, ob die Persönlichkeiten wirklich Intentionen zur Veränderung haben.

Und nicht wenige - so zeigt nicht nur diese Umfrage - engagierte Mitarbeiter ödet die toxische Wirkung erstarrter, in Tradition gegossener anthroposophischer Esoterik an: „Die alten Formen der Hochschule haben eine lähmende Wirkung und sind daher zu retardierenden Kräften geworden. Wie lange können wir es uns noch erlauben, das nicht sehen zu wollen?“ (Monika Elbert)

All diesen ganz unterschiedlichen, aber nachdenklichen Stimmen engagierter Anthroposophen nachzugehen, ist deutlich spannender als manche Lektüre anthroposophischer Literatur. Für Lydia Fechner wirkte der anthroposophische Habitus geradezu erstickend: „Ich war ungefähr sechs Mal im Jahr in Dornach und habe sozusagen mein ganzes Leben auf diese Gesellschaft  ausgerichtet, auf meine Art und Weise, mit meinen Leuten. Und andererseits, ich habe da immer schon so ein bisschen schmerzlich erlebt, dass es bei Anthroposophen eben so ist, dass man ganz schnell jemanden beurteilt, ob er dazu gehört oder nicht. Das erlebe ich als ein soziales Problem und das geht nicht nur sozusagen aus von rein Bekenntnismäßigem, «ich bin Anthroposoph oder ich identifiziere mich mit allem was Steiner sagt», sondern oft  bis in den Habitus rein, also wie man lebt, was man macht. Also, einfach so eine Art Lebenshabitus. Und das habe ich immer als sehr unangenehm erlebt.“ Für Claudia Grah-Wittich erscheint dieser Habitus selbst in den meisten anthroposophischen Publikationen: „Die Zeitschriften in der anthroposophischen Szene. Es ist wirklich einer meiner Alpträume, wenn ich sie neben meinem Bett staple und mich frage, ob nicht einer mit einem Adlerblick auf die Menge schauen könnte. – Das wurde bestimmt schon gemacht, aber ich bin jetzt mal frech: Die «Anthroposophie», «Die Drei», die «Mitteilungen», «Das Goetheanum», «Weltweit», ... letztlich sind es dieselben Themen immer wieder von einem anderen Redaktionsteam aufbereitet und Menschen werden beschäftigt und Gelder werden akquiriert und jede Zeitschriften kämpfen darum, dass sie irgendwie überlebt. Das ist für mich das Bild der anthroposophischen Szene.“

„Irgendwie überlebt“ - heilfroh, dem Habitus und der erstarrten Pseudo- Esoterik entkommen zu sein: Wie soll man aus diesen Aussagen von Akteuren Zukunft dieser Gesellschaft schaffen? Eigenartig, dass gerade diese Ratlosigkeit geradezu befreiend wirkt, mehr noch, als die Brainstorming- Stichworte für die zukünftige Arbeit im Anhang des Skripts. "Irgendwie überlebt" bedeutet auch: Hier werden wirklich die Fragen gestellt, die weh tun. Dass sich die deutsche Gesellschaft das traut und zutraut, erscheint als wirklicher Hoffnungsschimmer, ja als Zeichen neuer Stärke. Die Einsicht, dass die Probleme in der verkrusteten Struktur der Gesellschaft selbst liegen, kann nur dem Raum geben, was tatsächlich trägt, kann nur die Voraussetzung zur Bildung neuer, initiativer struktureller Formen sein. Gerade das Bekenntnis zur Ratlosigkeit, die Ehrlichkeit, Offenheit im Umgang miteinander- ja das Bekenntnis eines Scheiterns dieser Gesellschaft scheint mir der tragende Boden dafür sein, sich als Anthroposophische Gesellschaft neu zu erfinden.

»Alles wirkliche Leben ist Begegnung.«

$
0
0

Elsbeth Weymann

 


Wintertag. Nebel. Alles feuchtkalt und grau. Ich schließe fröstelnd den Gemeinschaftsraum auf. Er gleicht eher einer Garage als einem Aufenthaltsraum. Es sind Schul- und Volkshochschulferien. Wer weiß, ob heute überhaupt jemand kommt, meint eine Kollegin. Wir warten.

Dann geht die Tür auf .Ein junger Mann tritt ein. „Gibt es hier Deutschunterricht?“ 

„Goran“, stellt er sich vor. „Ich bin in der Schule, in der 11. Klasse, aber es sind Ferien, und ich will weiterlernen.“ Er hat ein paar Fragen zur deutschen Grammatik. Wenn es schwieriger wird, fällt er vom Deutschen rasch ins Englische, das er gut beherrscht.

Er erzählt von sich: Kurde, mit 17 Jahren allein aus Aleppo geflohen, monatelang, durch einige Länder, schlimmste Erfahrungen. Seine Augen verdunkeln sich. Mehr gibt es hier nicht zu sagen. „Ich will lernen, lernen(!) Medizin studieren, Arzt werden. Und dann gehe ich zurück in  m e i n  Land.“

Ein zweiter, etwas älterer junger Mann, Onur, kommt noch hinzu. Auch er will während der Volkshochschulferien weiterlernen. Die jungen Männer verständigen sich schnell, stellen überrascht und interessiert fest, dass sie beide Kurden seien. Aber beide aus verschiedenen Nationen und Religionen: Goran Syrer, Moslem aus Aleppo; Onur Jeside aus dem Irak, aus Mossul. Onur hat vor seiner Flucht im Sindschar Gebirge mit anderen jesidischen Kämpfern zusammen gegen den IS gekämpft. Monatelang. Er schaut lange stumm auf seine Hände, als er das sagt.

„Übrigens waren früher einmal alle Kurden Jesiden!“ - provoziert Onur. Und plötzlich sind wir mitten in einem Religionsgespräch. Ein Klanggemisch aus Englisch, Kurdisch, Arabisch und Deutsch ist im Raum. Ab und zu fallen beide ins Hocharabische, also der Sprache des Koran, die manchmal eine Brücke der Verständigung bildet zu den vielen nationalen Formen des Arabischen, die es gibt. Mehrfach muss ich sie bitten, Englisch oder Deutsch zu sprechen, damit ich auch verstehe. Beide wissen jeweils über die andere Religion nur Angelerntes, haben heftige gegenseitige Vorurteile.

„Ihr betet ja die Sonne an,“ meint dann Goran, der Moslem, provozierend, fast wütend. „Nein, wir beten sie nicht an. Sie ist ein Symbol“, korrigiert der Jeside Onur leise, aber kämpferisch. „In der Sonne, im Sonnenlicht lebt das Gute, lebt die Heiligkeit des Gottes. IHN verehren wir in der Sonne. Und was ist mit eurer Sure 91, Ash–Shams, der Sure der Sonne? , wenn es heißt: 'Bei der Sonne und ihrem Morgenglanz…' ?“ – „Das ist etwas ganz Anderes! Das ist ein Lobpreis Allahs durch die ganze Schöpfung – Sonne, Mond, Erde, Seele des Menschen. Die Sonne wird nicht angebetet!“ – „Ja siehst du, bei uns auch nicht. Und wir sind auch keine Teufelsanbeter!“ 

Dann vergessen beide ihre Umgebung, verschwinden in einer Sprachwolke aus Kurdisch und Arabisch in einem kämpferischen Disput, bei dem ich nichts mehr verstehe. Die Heftigkeit der Auseinandersetzung zeigt die tiefe existentielle Betroffenheit beider. Immer wieder schweigen sie. Und immer wieder schauen sie sich groß und fragend an. Alle drei hängen wir in den Schweigepausen unseren Gedanken nach.

Die Sonne als Symbol des Göttlichen gibt es auch im Christentum. Mir fallen die vielen Darstellungen aus der Frühzeit des Christentums ein: Christus als „sol invictus“, als siegreiche, segensreiche, Licht und Wärme ausströmende Sonne, dargestellt im Strahlenkranz und mit Sonnenpferden als Gespann, das über den Himmel zieht. Kirchenlieder wie „Morgenglanz der Ewigkeit“ oder „Sonne der Gerechtigkeit“ – und viele andere – besingen im Bild der Sonne den Offenbarungsglanz und die Herrlichkeit des Göttlichen. Wenn van Gogh in seiner Darstellung der Auferweckung des Lazarus Christus nicht als Person, sondern als machtvoll strahlende aufgehende Sonne darstellt, haben wir das gleiche Phänomen.

Zwei junge Männer, der gleichen Ethnie, wenn auch aus verschiedenen Staaten und Religionen, begegnen sich in der Fremde, im Exil.

Nach extremen Fluchtwegen, in völliger Ungewissheit in Bezug auf Leben und Zukunft, nach Erfahrungen von Hoffnungslosigkeit und Todesangst, nach Trennung von allem Bisherigen – Familie, Sprache, heimatlicher Landschaft, Kultur, einem tragenden Alltagsleben – begegnen sie sich hier in einer Flüchtlingsunterkunft. Sie reden, reden, brausen auf, aber hören sich auch zu, werden sehr nachdenklich, nehmen sich anfänglich wahr -– im Trennenden und im Verbindenden. Sie haben einander ins Gesicht geschaut.
Wir gehen aus dem Raum – ein wenig verändert, alle Drei.

Zwei Zitate jüdischer Philosophen fallen mir ein:

»Im Angesicht des Menschen zeigt sich die Spur, die Gott hinterlässt.« 

(Emanuel Levinas)

»Alles wirkliche Leben ist Begegnung.«

(Martin Buber)
________


Ein paar Kurzinformationen zum Jesidentum (auch Yesiden, Eziden geschrieben):

Weltweit gibt es etwa eine Million Jesiden. Über die Hälfte von ihnen befindet sich auf der Flucht oder lebt in verschiedenen Ländern im Exil, ca.100.000 in Deutschland. Ihre Heimatländer sind der Irak, Syrien, der Iran und die Türkei. Ins Bewusstsein der Weltöffentlichkeit traten die Jesiden durch den Genozid, den der IS 2014 an ihnen beging: Männer wurden getötet, junge Männer und sogar Kinder für die IS-Armee rekrutiert, Frauen und Mädchen vergewaltigt und versklavt. Nadia Murad, eine junge Jesidin, die aus Vergewaltigung und Sklaverei fliehen konnte, setzt sich seitdem für die tausenden von Frauen und Mädchen ein, die sich noch in der Gefangenschaft des IS befinden. Die RegisseurinDüzen Tekkal, Deutsche und Jesidin, hat mit den Bildern ihres Dokumentarfilms „Háwar, mein Reise in den Genozid“ diesen Völkermord im 21. Jahrhundert dem Gewissen der Weltöffentlichkeit eingeprägt.

Das Jesidentum ist eine sehr alte monotheistische Religion, etwa 2000 Jahre älter als das Christentum. Es enthält u.a. Elemente des Feuer- und Lichtkultes des Zoroastrismus. Für die Jesiden gibt es keine Heilige Schrift. Die Grundlagen dieses Glaubens werden von Mund zu Ohr durch Geistliche, Pirs und Sheichs genannt, weitergegeben. Jesiden glauben an Einen allmächtigen Gott, aber nicht an das Böse als eine eigenständige Widersachermacht. Das widerspräche der Allmacht Gottes. Der Mensch sei selbst verantwortlich für sein Handeln, denn Gott habe ihm zu sehen, zu hören, zu fühlen, zu denken und die innere Stimme des Gewissens gegeben. Damit habe er die Möglichkeit, den richtigen Weg zu finden.

Die jesidische Religion kennt keine Missionierung und ist tolerant gegenüber anderen Religionen. In einem ihrer Gebete heißt es: „Gott schütze die 72 Völker und auch uns.“




(erschienen in der April-Ausgabe der Zeitschrift Die Christengemeinschaft)

Viewing all 678 articles
Browse latest View live