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Der Meister und sein Schatten. Von Tycho Brahe zum organischen Denken des Sonnensystems

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Tycho Brahes Observatorium Wikipedia
Tycho Brahe ist eine der historischen Persönlichkeiten, die außerordentliche Gunst in der Bewertung Rudolf Steiners erhielten; als Astronom und Astrologe am Hofe Rudolf II in Prag, in einer ungewöhnlich unruhigen Zeit, zwischen Gegenreformation und aufrührerischen protestantischen und nationalistischen Bewegungen, genoß Brahe auch großes Wohlwollen des Habsburger Nonkonformisten Rudolf II. Letzterer war geprägt durch eine Kindheit an einem spanischen Königshof, der in Bigotterie, Gegenreformation und öffentlichen Hinrichtungen im Nachklang an die Zerschlagung der maurischen Kultur erstickte: „The period in which Rudolf grew up in Spain was, therefore, one of neoscholasticism and mysticism, of persecuted illuminists and burnt heretics, of extreme religious bigotry and political absolutism.“ (1) Rudolfs Reaktion darauf war eine Mischung zwischen eigenem Absolutismus und der Gewährung liberaler Freiräume, zwischen politischer Lähmung und einer aktiven Verteidigung der Künste, des Okkultismus und der Wissenschaften. Tycho Brahe sollte zu einem von Rudolfs wichtigsten Ratgebern werden- als Astronom, aber auch, vor allem, als Hofastrologe, der Rudolf eigene Entscheidungen abnehmen sollte. Damit gesellte sich Brahe in eine Lage, die ihm durchaus nicht nur angenehm, aber typisch war für den „magischen Kreis“ an diesem Hof: „During Rudolf’s reign, Prague not only attracted some of the greatest minds of the day in art and science, but also hordes of alchemists, astrologers and magicians on the make as well as soothsayers, fortune-tellers, charlatans, mountebanks and puffers who delighted in telling a tall yarn and fleecing the gullible.“ (1)

Es erscheint doch erst einmal erstaunlich, dass Rudolf Steiner eine derart schillernde Persönlichkeit wie Tycho Brahe zu den geistigen Paten seiner anthroposophischen Bewegung zählte, ja sogar zu den michaelischen Vorbereitern jeglicher Esoterik des 20. Jahrhunderts: „Und sehen Sie, will man nun für das, was man erforschen soll für die Zukunft des zwanzigsten Jahrhunderts, einen bedeutsamen Helfer haben, sozusagen jemanden, der einem raten kann in Bezug auf die übersinnliche Welt, wenn man Impulse braucht, die da drinnen sind, dann ist es die Individualität des Julianus – Tycho.“ (2) Steiner hat den karmischen Werdegang Tycho Brahes so geschildert, so verbunden mit Grals- Zusammenhängen und antiken Mysterien, dass diese Individualität über Zeiten und Kulturen hinweg eine esoterische Kontinuität darstellt: „Überall spielt da die Individualität, die zuletzt als Tycho Brahe inkarniert war, eine außerordentlich große Rolle. Er war überall bestrebt, die großen, dauernden Impulse dessen, was man Heidentum, was man altes Mysterienwesen nennt, eben auch zum besseren Verständnis des Christentumes zu erhalten. In das Christentum war sie eingezogen, während sie als Seele der Herzeloyde (3) lebte. Jetzt war er bestrebt, alles dasjenige, was er durch seine Initiation als Julianus Apostata (4) hatte, einzuführen in die Vorstellungen des Christentums. Und Tycho Brahe hatte bedeutenden Einfluß darauf, daß diese Seelen (der Michael-Strömung) nun am Ende des 19. Jahrhunderts vorbereitet auf die Erde herunterkamen, um den Christus nicht nur so zu schauen oder zu fühlen, wie ihn die verschiedenen Bekenntnisse fühlen, sondern wiederum in seiner grandiosen Weltherrlichkeit als den kosmischen Christus.“ (5) Tycho Brahe wirkte in Steiners Darstellung „fortwährend“ in dem, was seiner Vorstellung der michaelisch- esoterischen Impulse entspricht: „In den Strömungen, die ich als die Michael-Strömungen geschildert habe, findet sich eigentlich diese Individualität – Tycho Brahe – Herzeloyde – Julianus Apostata fortwährend; in irgendeiner der übersinnlichen Funktionen ist sie im Grunde genommen immer da.“ (6)

Es ist aus Steiners Disposition naheliegend, dass er den abtrünnigen römischen Kaiser Flavius Claudius Iulinanus (7) faszinierend fand- hatte dieser doch im 4. Jahrhundert den letzten Versuch gemacht, das Christentum als alles durchdringende römische Staatsreligion zu verhindern und stattdessen eine Neuauflage der eleusischen Mysterien zu fördern. Ein okkulter Nostalgiker also, ein Verehrer des praktizierten Klassizismus. Das, um dies schon anzufügen, hatte er mit Tycho Brahe gemein, der trotz hervorragender optischer Geräte und mathematischer Genies wie Kepler an seiner Seite an seiner - modifiziert ptolemäischen- Auffassung des Sonnensystems festhielt: „Moreover it was assumed that the Earth was at the centre of the universe and everything revolved around it. This view had prevailed since Aristotle had first insisted on the immutability of the spheres in the fourth century BC in Athens and it had been taken up by the great astronomer Ptolemy in Alexandria in the second century AD. By helping to destroy this carefully wrought world view Brahe and Kepler revolutionised astronomy.“ (1) Tycho Brahe kämpfte - mit dem und gegen den jungen Kepler- um sein Weltbild, aber er verlor natürlich.

Was für eine Person war Tycho Brahe tatsächlich- vor dem Hintergrund der nach Rudolf Steiner betonten, über viele Inkarnationen verlaufenden initiatorischen Genialität? (8) „Brahe was born on 14 December 1546 into the aristocratic family of Otto Brache and Beate Bille in Knutstorp (Knudstrup) near Helsingborg, now in south-west Sweden, then part of Denmark.“ (1) Mit zwei Jahren wurde Brahe seinen Eltern für eine fürstlich- lutherische Erziehung im Schloß von Tostrup entzogen. Mit 12 Jahren begann er sein Studium an der Universität von Kopenhagen. Er wechselte ein Jahr später an dieser hoch angesehenen Universität zu den Fakultäten Astronomie und Astrologie. Brahe arbeitete sich intensiv in die Mathematik ein und verbrachte seine Nächte mit der Beobachtung der Himmelskörper. Die Ordnung in der Bewegung des Kosmos war - mathematisch berechnend und beobachtend- seine Profession. Durch die Erdbewegung erzeugte Schleifen, Retrogressionen der Planeten sowie Kometen stellten zu dieser Zeit aus der Sicht des ptolemäischen Weltbildes noch unlösbare Rätsel dar. Mit 15 wechselte Brahe nach Wittenberg, um Recht und Medizin zu studieren, aber auch um aktuelle astronomische Bücher sowie systematische Tabellen der Sternbewegungen und Himmels- Zeichnungen von Albrecht Dürer einsehen zu können. Es wurde Brahe zwar klar, dass etwas an den vorliegenden Berechnungen nicht stimmen konnte: Die Erde konnte im Sonnensystem nicht absolut zentrales Element sein, aber Brahe war nicht willens, die Widersprüche in ein neues Weltbild über zu führen.

Nach einem Duell schwer verletzt, das er wenigstens in den Umrissen vorher astrologisch hatte datieren können, vertiefte sich sein okkultes Interesse auch in Richtung Alchemie. Zudem war er, durch das Duell im Gesicht entstellt, auf eine Prothese der Nase angewiesen: Man nannte ihn den „Mann mit der Silbernase“. Ab 1569 wirkte er in Augsburg- bekannt durch den Bau gewaltiger Apparate zur Observierung des Himmels, aber auch wegen seiner astrologischen Voraussagen ein Star unter der Prominenz. Nach dem Tod seines Vaters 1571 ging er, wohlhabend und in einer unverheirateten Beziehung, der acht Kinder entsprangen, zurück nach Dänemark, um an dem Zusammenhang zwischen astronomischen und meteorologischen Phänomenen zu forschen und, ohne finanzielle Ansprüche und Nöte, Bücher zu schreiben. Wiederum wurde sein Weltbild - nach dem der Kosmos unveränderlich und geordnet sei- 1573 durch die heftige Explosion einer Super- Nova erschüttert: „In the previous year, at the age of twenty-five, he had seen on 11 November from his observatory an exploding star to the north-west of the constellation of Cassiopeia which shone brighter than Venus for more than a year. It was what is today known as a supernova, resulting from the explosion of a ‘white dwarf’ star. This anomaly was yet another blow to the medieval world view of the Aristotelians who believed that the heavens beyond the Moon were fixed.“ (1) Trotz allem blieb Tycho Brahe bei der Ansicht, die Erde bewege sich selbst nicht, und der Mensch sei astrologisch zwar determiniert, aber auch fähig zur Überwindung seiner Anlagen. Außerdem war er im höchsten Maß abergläubisch. Schlechte Omen, üble Tage (davon gab es eine Menge) und ein Talisman bestimmten seine Entscheidungen. 1575 lernte er Rudolf II im Rahmen von dessen Krönungsfeierlichkeiten in Regensburg kennen und berechnete dessen Horoskop.

Zunächst aber wurde er vom dänisch- schwedischen König zurück berufen und erhielt lebenslängliches Anrecht auf die Insel Ven. Dort baute er eigenes Observatorium in einem Palast namens Uraniburg, errichtet nach den Prinzipien musikalischer Harmonie und geometrischer Symmetrie. Doch die Ordnung wurde von außen und innen gestört. 1577 entdeckte Brahe einen sehr irritierenden Kometen im neuen Observatorium, dessen Bahn, die er berechnete, sich außerhalb jeder Ordnung befand. Tycho Brahe schrieb alarmierte astrologische Briefe an den dänischen König und prophezeite schwerste Unruhen unter den Potentaten, ja sogar ein katastrophales Massensterben- die Pestwellen zogen sich bald auch über Europa. Er konzipierte und publizierte ein neues Konzept des Sonnensystems, in dem das Dogma der zentral unbewegten Erde allerdings immer noch intakt war. Diese Restbestände der katholischen Dogmen würden später die Grundlage des Prozesses gegen Galileo darstellen.

Brahe genoss die Aufmerksamkeit der Mächtigen und baute weiter Observatorien aus, jedoch ohne je auf ein Teleskop zurück zu greifen. Brahe unterrichtete Assistenten und Schüler, sagte aber auch astrologisch die Zukunft voraus. Dabei pflegte er seine falschen Prophezeiungen später zu unterschlagen oder zu beschönigen. Seine abenteuerlichen medizinisch- alchemistischen Mixturen gegen die Pest waren in jeder Apotheke zu haben, aber wirkungslos. Sein Verhalten gegenüber der Bevölkerung der Insel, die ihn zu versorgen hatte, war von Geiz, Brutalität und Willkür geprägt- er zahlte den Untergebenen niemals etwas. Brahe verlor die Unterstützung des sehr jungen neuen dänischen Königs und sah, angesichts seines autokratischen und herrischen Auftretens, allmählich dem finanziellen Ruin entgegen. 1596 packte Tycho Brahe seinen gesamten Besitz zusammen und machte sich mit Kind und Kegel auf den Weg nach Prag, an den Hof Rudolf II. Noch vor der Ankunft musste er eine Kopie eines Briefes des jungen Kepler lesen, der Brahe darin der kindlichen Schmeichelei gegenüber Mächtigen beschuldigte, und Brahe ein Verhalten wie das eines Hofhundes unterstellte (9)- nicht ohne Grund.

Kepler hielt Tycho Brahes System für ein Kartenhaus, war aber interessiert an dessen Beobachtungen und seinen Instrumenten. Aber zunächst - 1600- wurde Brahe nahe Prag mit einer fürstlichen Apanage und einem eigenen Schloss inklusive Observatorium nahe des Hofes Rudolfs platziert. Ganze Teams übernahmen ständige nächtliche Observationen der bekannten Planeten. Allerdings hatte Brahe auch dafür zu sorgen, den chronisch entscheidungsschwachen Kaiser astrologisch zu beraten, was ihm gewaltigen Einfluss einbrachte, aber auch - als persönlicher Berater- die eigene wissenschaftliche Arbeit unmöglich machte. Brahe erhielt den Ruf des „bösen Geists“ des Kaisers: „Typical of their time, both men shared an interest in the miraculous and in the rational; in astrology and astronomy; in religion and mathematics. Furthermore, Rudolf valued Brahe’s counsel because he was not attached to any clique or faction in his entourage. As part of his position as court astrologer, Brahe had to advise him not only on appointments but on the continuing campaign against the Turks. He told him that there were good and bad days for certain actions and decisions. As a result, Brahe came to be known at court as „the evil spirit of the Emperor“.“ (1)

Wenige Monate später stiess der vom sammelwütigen Rudolf (er sammelte Kunst, wundertätige okkulte Artefakte und Wissenschaftler, Esoteriker, Visionäre und Scharlatane seiner Zeit) ebenfalls eingeladene, 28jährige Johannes Kepler hinzu an den Hof- eine denkbar schwierige Konstellation, vor allem für den arrivierten 45jährigen Egomanen Brahe. Aus historischer Sicht kann man sicherlich konstatieren: „Brahe was probably the best observational astronomer of all time, whereas Kepler, with poor eyesight, had mathematical abilities second to none. Brahe was able to measure the movements of the planets while Kepler was able to formulate their laws. By bringing the two men together, Rudolf inadvertently made a huge contribution to astronomy in particular and to science in general.“ (1) Brahe repräsentierte die Weisheit der vergangenen Mysterien, determiniert vom Dogma der zentralen Position der Erde und dem im fixierten Sternenhimmel repräsentierten Logos, ein Astrologe an den Schaltstellen der Macht der Habsburger. Johannes Kepler war ein moderner Mathematiker und Entdecker, der die physikalischen Gründen für die Planetenbewegungen, aber zugleich auch musikalisch- göttliche Harmonien im kosmischen Bewegungsfeld zu entdecken suchte: „At the same time, he remained convinced, like the Pythagoreans and the Neoplatonists, that there is an underlying harmony and order in the universe. In his view, geometry, music, medicine and astronomy are all related at a fundamental level.“ (1)

Wie nicht anders vom autokratischen Meister Tycho Brahe zu erwarten, war der Beginn der Zusammenarbeit für Kepler außerordentlich schwierig. Rudolf gewährte ihm zunächst keinerlei Unterstützung, und Brahe behandelte ihn wie einen unbezahlten Dienstboten oder Assistenten. Kepler hatte kein Geld, arbeitete in einer Umgebung, die das ihm fremde Dänisch sprach und hasste das laute Treiben mit geräuschvollem gemeinsamem Essen. Brahe versagte Kepler die Benutzung seiner Instrumente, stritt sich heftig mit ihm, besorgte nach und nach aber ein wenig Geld und persönliche Audienzen bei Rudolf. Brahe war dabei durchaus eigennützig, denn er nutzte Keplers Fähigkeiten, um die exakte Mars- Bahn zu berechnen. Selbst als der alte Meister wenige Monate später überraschend erkrankte und im Sterben lag, erlaubte er Kepler zwar, künftig seine Beobachtungen und Geräte zu benutzen- aber mit der Auflage, damit seine, Brahes, Hypothesen zu bestätigen und nichts sonst. Tycho Brahe letzten, mehrfach wiederholten Worte waren „Lass mich nicht umsonst gelebt haben.“

Rudolf II soll nach Brahes Tod zunächst eine magische Séance durchgeführt haben, um dessen Geist zu beschwören und zu halten. Danach fing er sich, wandte sich Johannes Kepler zu und unterstützte dessen Arbeit bis zu seinem Tod - über ein Jahrzehnt lang. Seine Arbeit sollte, parallel zu Galileo, das Weltbild grundsätzlich verändern. Als hochbezahlter Hofastronom hatte Kepler aber auch die undankbare Position Brahes als persönlicher Astrologe des bipolaren Rudolf zu übernehmen. Kepler war also gezwungen, faktisch und praktisch die Rolle Brahes auszufüllen. Er hing aber nicht dessen antiken Dogmen an, sondern legte die Grundlagen für die moderne Wissenschaft.

Rudolf Steiners Charakterisierung sowohl Julianus Apostatas wie Tycho Brahes als Mittler zwischen Strömungen wird, je weiter man sich einliest, immer rätselhafter. Es gibt Gemeinsamkeiten: Julianus versuchte das römische Staats- Christentum Konstantinscher Prägung zugunsten einer ziemlich unzeitgemäßen Renaissance der klassischen Mysterien zurück zu drehen - Brahe versuchte das klassische Weltbild des Kosmos trotz widersprüchlicher Beobachtungen und Berechnungen um jeden Preis zu erhalten. Er spielte damit den Jesuiten und Inquisitoren des Vatikans in die Hände, indem er ihnen der Dogmatik folgende Belege lieferte. Tycho war ein stämmiger Aristokrat mit sehr gering ausgeprägten sozialen Fähigkeiten und wehenden roten Haaren, beherrscht von Rechthaberei und einem unstillbaren Machtdrang- der kaiserliche Hofhund mit Silbernase. Integrität sieht anders aus. Selbst auf seinem Totenbett versuchte er seinen Nachfolger Johannes Kepler dazu zu zwingen, seine zukünftigen Arbeiten dem antiken Weltbild Brahes unterzuordnen.

Da muss es zunächst merkwürdig erscheinen, dass Rudolf Steiner Keplers modernes Weltbild selbst im Sinne von Brahe negativ bewertet: „Die ältere Astronomie, die hat in den komplizierten Linien, durch welche sie das Sonnensystem zum Beispiel hat begreifen wollen, nicht nur die aufeinanderfolgenden, sagen wir, optischen Orte der Planeten zusammen gefaßt, sondern diese ältere Astronomie, die hat auch eine Empfindung gehabt von dem, was erlebt werden würde, wenn der Mensch drinnen stecken würde in diesen Bewegungen des Planetensystems. Man möchte sagen: In älteren Zeiten hatten die Leute eine sehr deutliche Vorstellung von den Epizyklen und so weiter, von denen man sich dachte, daß gewisse Sterne sie beschreiben. Da war überall noch wenigstens ein Schatten von menschlichem Empfinden darinnen. Ja selbst bei Kepler ist noch etwas durchaus Menschliches in den Berechnungen der Planetenbahnen.“ (10)

Aber nur etwas. Rudolf Steiner war nicht ohne Grund Anhänger Tycho Brahes. Für ihn hatte mit Kepler (und Kopernikus) die technologische Weltsicht begonnen, die er als Verarmung und als Reduktionismus auffasst: „Erst das Hereinbrechen des Kopernikanismus, erst die Vorstellung, daß die ganze Welt, die im Raume aus- gebreitet ist, auch nur von Raumesgesetzen beherrscht ist, die Vorstellung erst dieser Kopernikanischen Art, die Erde um die Sonne kreisen zu lassen, die fesselt den Menschen an das physisch-sinnliche Dasein und verhindert ihn nach dem Tode, in die geistige Welt entsprechend aufzusteigen. Man muß heute auch diese Kehrseite der Kopernikanischen Weltanschauung kennenlernen.“ (11) „Die kopernikanisch- keplersche Weltanschauung ist eine sehr bequeme Weltanschauung. Um aber dasjenige zu erklären, was der Makrokosmos ist, ist sie nicht die Wahrheit.“ (12)

Was Steiner damit tatsächlich meint, führt er bis ins Detail in seinem Astronomie- Kurs (13) aus. Er kehrt keinesfalls zurück zu Modellen eines Tycho Brahe, sondern zeigt die messbaren Ungenauigkeiten der mathematischen Berechnungen Keplers in Bezug auf die Planetenbahnen auf- es handelt sich nicht um ein starres System, sondern um einen Organismus, der noch anderen Kräften als denen der Gravitation ausgesetzt ist. Was Steiner „Saugkraft“ (13) des Äthers nennt, würde man wohl heute als Einflüsse der dunklen Materie bezeichnen. Die erheblichen graduellen Schwankungen in den berechenbaren Bahnen aller Gestirne sind heute in der gesamten Astronomie zum bedeutenden Thema und Forschungsgegenstand geworden: „Es muß im Planetensystem etwas sein, was etwas anderes ist als die Gravitationskraft und was gerade der Inkommensurabilität zugrunde liegt. (14)

Für Steiner war Keplers mathematische Erfassung der planetarischen Bewegungen die abstrakte Reduktion eines äußerst beweglichen und komplexen Bewegungsmusters, das einen bedeutsamen und signifikanten Charakter hat und eine spezifische Struktur aufweist. Für Kepler und die auf ihm fussende Astronomie waren die systematischen Abweichungen von der starren mathematischen Form lediglich Varianten gewesen, die eine ständige, fortlaufende Korrektur in den Berechnungen erforderten. Für Steiner führen die Abweichungen in ihrer Folge gerade zu einem „perspektivischen Gebilde“ (15), das Rückschlüsse auf die Charakteristika der kosmischen Körper zulässt. Die Verfolgung der gesamten Bewegungsstruktur aller planetarischen Körper zueinander führt zu einem organischen Ganzen: „Es ist notwendig wiederum abzukommen, so unangenehm das auch manchem klingen mag, von einem gewissen Prinzip, das im Beginn der neueren Zeit in unsere Naturerklärungen eingezogen ist. Es ist das Prinzip, alles nach der Einfachheit zu erklären. Ja, man möchte sogar sagen, die Natur, die Wirklichkeit ist dasjenige, was einfach ausschaut, was aber, wenn man es wirklich untersucht, kompliziert ist, so daß man in der Regel in demjenigen, was sich als einfach darbietet, ein Scheingebilde hat.“ (16)

Das Problem, das Rudolf Steiner mit dem System Keplers hat, besteht darin, dass dieses nicht die Komplexität der tatsächlichen Dynamik der Bewegungen zu denken vermag, sondern eine technische Projektion ist: Eine Reduktion auf das Modell eines mechanischen Apparates: „Was ist denn schließlich unsere Astronomie? Unsere Astronomie war lange Zeit nichts anderes als die Darstellung der Weltmaschinerie. Es war eine große Maschine, wie man sich die Sonne im Verhältnisse zu den Planeten und die Bewegungen da vorstellte. Dazu ist in der neueren Zeit der Chemismus gekommen in der Spektralanalyse. Aber weiter geht eben die Astronomie nicht. Die Astronomie, diese Wissenschaft des Weltalls, beantwortet sozusagen heute lediglich die Frage: Wie kommen wir mit der Vorstellung des Weltalls zurecht, wenn wir die aus der Technik uns bekannten Vorstellungen einfach auf das Weltenall anwenden, wenn wir uns dasjenige hinaus versetzt denken in den Weltenraum, was wir in der Technik beobachten können." (17) In der Überwindung der rein mechanischen Vorstellungen hin zu einem Denken organischer Prozesse sieht Rudolf Steiner die angemessene Esoterik der Gegenwart. Die Technik gibt die geeigneten Instrumente zur Beobachtung und Erfassung, darf aber nicht als reduktionistisches Modell über die beobachteten Phänomene gestülpt werden. Die Komplexität organischer Prozesse bedarf eines ihnen angemessenen Denkens, das sich nicht in simplifizierender Mechanik verfängt.


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1 The Mercurial Emperor: The Magic Circle of Rudolf II in Renaissance Prague by Peter Marshall, Kindle- Ausgabe ohne Seitenangaben
2 Rudolf Steiner, GA 238.103
3 Mutter Parzivals
4 „Julianus hatte im 4. Jahrhundert die Aufgabe, gewissermaßen einen letzten Anstoß dazu zu geben, die spirituellen Weisheitsschätze früherer Epochen der Menschheitsentwickelung ein letztes Mal zum gewaltigen Aufflammen zu bringen und sie zu bewahren vor dem Schicksal, das sie leicht hätten finden können, wenn es nur dem aufstrebenden Christentum überlassen geblieben wäre, mit diesem Weisheitsschatz zu wirtschaften.“ Rudolf Steiner, GA 126.88
5 Rudolf Steiner, GA 238.93
6 Rudolf Steiner, GA 238.91
7 https://de.wikipedia.org/wiki/Julian_(Kaiser)
8 Steiner deutet griechische Einweihung an: „Tycho Brahe kommt einem vor, wenn man seine Seele studiert, wie jemand, der sich aus einem früheren Leben heraus an Anschauungen erinnert, die er gehabt hat, etwa wie man in Griechenland prophetisch Dinge getrieben hat. Es ist etwas in ihm wie in der Seele eines alten Griechen, der überall Weltenharmonie sehen will.“ GA 61.89f
Aber auch ägyptische: „In ihm sehen wir die alte ägyptische Weisheit wiederum aufleuchten.“ GA 143.160 Es finden sich Hinweise zu Nostradamus: „Dann taucht in der Seele auf, taucht in Nostradamus’ Geist – man sieht es ganz genau geistig – in Bildern dasjenige auf, was er verkündet. Er sieht es wie in Bildern, in Szenen vor sich.– Wer sich in das eigentümliche Seelenleben des Tycho Brahe hineinlebt, der findet, daß es nicht gar so weit entfernt war von dem Seelenleben des Nostradamus.“ GA 61.88 Aber auch - als Inspiration - zu Schelling: „Wenn man sich in die Sprache, die Schelling führt, in die so merkwürdige Sprache vertieft, dann hört man bald nicht Schelling reden, sondern Tycho Brahe. Er inspirierte ebenfalls Jakob Froschammer, er schrieb: Die Phantasie als Grundprinzip des Weltprozesses.“ GA 238.102
9 „On opening the pages, Brahe was not only intrigued to find a brilliant mind at work but delighted when he read in the accompanying letter that he, Brahe, was ‘the prince of mathematicians not only of our time but of all times’. Praise indeed but then Kepler was the first to admit that he had ‘a childish or fateful desire to please princes’ and that had ‘in every way a dog-like nature. His appearance is that of a little house dog.’“ in: Peter Marshall
10 GA 326.106f
11 GA 178.49
12 GA 130.315
13 GA 323.160f
14 GA 323.155f
15 GA 323. 310ff
16 GA 323.313
17 GA 212.91f


Feuergeister, Manichäer und Computer- Bots. Über die Akademie von Gondischapur

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Der Tempel der Feuergeister
Selten war die Quellenlage so dünn- aber doch sprechend genug: Man denke sich ein gemeinsames spirituelles Studium von Ärzten und Theologen, die Ausprägung einer tätigen Praxis, in dem Studium und Sakrament im Sinne einer „innenweltlichen Askese“ zusammen fliessen, um in einem Opus caritatis „die tätige Seele des philosophierenden Arztes, die tätige Seele des opfernden Priesters“ (1) zu verwirklichen- die Begründung der Medizin aus religiösen Impulsen heraus, denen islamische Theologen und Forscher, christliche Nestorianer, Aristoteliker, Manichäer und - als sassanidische Staatsreligion im Hintergrund- Anhänger der tausend Jahre währenden Feuer- Verehrung der Zoroastrismus angehörten: Das ist Gondischapur.

Das spätantike Sassaniden- Reich entstand im 3. Jahrhundert und entwickelte sich aus dem heute iranisch- irakischen Grenzgebiet heraus vor allem unter Chosrau II zu einem persischen Weltreich, das die Römer vom Osten her überwältigte. Es gab aber auch - was die philosophierenden Herrscher, aber auch die Ärzte von Gondischapur betrifft- ständige Kontakte z.B. mit Indien und dem italienischen Kloster Monte Cassino. Ursprünglich entstanden ist die Akademie unter Schapur I (241- 272) nach der Gefangennahme des römischen Kaisers Valerian, der mit christlichen Priestern nach Gondischapur verschleppt wurde (und in Gondischapur starb) - damals ein Bischofssitz namens Beth Labat, heute im iranischen Ahvaz (Khzuestan) gelegen. Schapur baute die Stadt für seine prominenten Gefangenen aus und installierte ein aufwändiges Bewässerungssystem.

Zu dieser Zeit trat dort auch der 24jährige Mani auf, ein Perser, der eine Weltreligion aus der moralisch empfundenen Natur - vor allem Sonne und Tierkreis- heraus begründen wollte. Sein Dualismus zwischen Licht - und Schattenreich war letztlich ein Ableger der spirituellen „nous“- Geist- Begrifflichkeit von Aristoteles, die auch bei den christlichen Nestorianern eine zentrale Rolle spielte. Mani ist im Februar 277 auch in Gondischapur hingerichtet worden, nachdem er mit den zoroastrischen Priestern in Konflikt geraten war. Seine Haut soll abgezogen und an der Stadtmauer von Gondischapur als Abschreckung ausgestopft aufgehängt worden sein. Im Kölner Mani- Kodex liegt eine frühe (4. Jahrhundert) Biografie Manis auf Pergament vor, ein winziges Buch mit 192 Seiten, das 1969 von der Universität Köln gekauft worden ist.

Manis gescheiterter Versuch, die uralte, aber im Sassanidenreich beherrschende und bis ins 10. Jahrhundert in der Region nachweisbare (und bis heute als Parsentum bestehende) zoroastrische Religion zu reformieren, zeigt schon die Vielfältigkeit, aber auch Dynamik spiritueller Bewegungen um Gondischapur herum. Die Toleranz der sassanidischen Herrscher wurde nicht immer von den Priestern geteilt. Trotz der dualistischen Weltsicht und der Mehrheit der Götter, die Ahura Mazda begleiten (z.B. Anahita), wurde der sonnengleiche Schöpfergott doch monotheistisch aufgefasst - das Schattenelement Ahriman regierte im Totenreich. Zur Zeit der Sassaniden lebte sich dieser auf Zarathustra (2) zurück gehende Kult als zurvanistische Variante in Feuertempeln aus, ja als ein das Land bis in jeden Haushalt hinein beherrschendes System heiligen Feuers:

Die häuslichen Feuer in der Küche durften dreimal benützt werden, dann mussten sie durch die Berührung mit einem höheren Feuer gereinigt werden. "Es wurde zu diesem Zweck zum nächstgelegenen Adhuranfeuer getragen, das jeweils zehn Hausfeuern zugeteilt war und wohl von zwei (Priestern) versehen wurde. Solch ein Adhuranfeuer musste überall dort sein, wo mindestens zehn Hausfeuer zusammen angelegt waren. Offenbar war jeder Provinz sodann übergeordnet ein Bahramfeuer zugeteilt. Die letzte Instanz dieses Reinigungsweges der peripheren Feuerdienste waren die altehrwürdigen Reichsfeuer Adhur Farnbag, Adhur Gusnasp und Adhur Burzin Mihr- alle drei auf Bergen gelegen und dadurch auf den uralten Brauch der Hoch- Kultstätten verweisend. Das bedeutendste dieser Feuer war zweifellos Adhur Gusnasp. (..) Lokalisiert wird es von den Historikern allgemein nach Siz in Aserbaidschan*, dorthin, wo heute noch die „Takht-i Sulaiman“ genannten Ruinen stehen. Schon der erste Sassanide sendet Geschenke an die Stätte.“ (3) Die Kulte der Priester an diesen heiligen Feuer- Altären müssen beeindruckend gewesen sein. Nichts durfte das Feuer verunreinigen, nicht einmal der Atem der Priester, die selbst das Holz nicht mit bloßen Händen berühren durften. Die Gesänge gingen tief bis in vorchristliche Zeit (ca 1800 bC)  zurück. In den mehrmals am Tag stattfindenden Zeremonien am Feuer, das in Adhur Gusnasp 700 Jahre ununterbrochen brannte, wurden Opfer gebracht und Wahrsagungen gemacht. Erst im 11. Jahrhundert verlöschten die letzten dieser Kultstätten.

Die Anthroposophin Elisabeth Leu schreibt schwärmerisch von diesen Feuerkulten: „In die heilige Seequelle warf Zarathustra, als er sein Wirken auf Erden begann, ein reine Perle. Durch die Berührung der Perle mit dem Wasser flammte ein Feuer auf. Durch Jahrhunderte brannte das „himmlische Feuer“ an jener Stätte, sorgsam von Priestern und Königen gehütet. Eine feurige Flamme, das Zeichen des Geistes. Perle, persisch Gor oder Gohar, bedeutet auch Grundstoff, Substanz. Das manichäische Symbol für Mitleid war eine Perle, die auch als der oberste Lichtstein in der Lichtburg schimmerte. Das Zeichen der Manichäer war ein Kreuz in einem Kreis von zwölf Perlen.“ (4) Sie vergisst dabei zu erwähnen, dass Mani von den zoroastrischen Priestern in Gondischapur hingerichtet worden ist - ein damals, nach nahezu 2000 Jahren bestehender Existenz, schon überaus konservativer Kult, der auch mit den christlichen Nestorianern rang und ab dem 7. Jahrhundert mit dem expandierenden Islam.

Ein weiterer, wesentlicher Einfluss auf die Region und insbesondere auf die Akademie waren die Nestorianer. Nestorius, 381 geboren, war ebenfalls Perser und entstammte der syrischen Euphrat- Region. Er lebte im Kloster des heiligen Eupropius bei Antiochien. Nach langwierigen theologischen Differenzen wurde er in eine Strafkolonie nach Oberägypten geschickt, obwohl er eine ganze Reihe von Anhängern hatte. Große Teile seiner Lehre sind geheim geblieben- es darf aber davon ausgegangen werden, dass seine Auffassung vom Menschen, aber auch von Christus der Logos- Lehre des Aristoteles folgte. Dabei wird der schaffende Geist - nous poetikos - zwar als in einem sterblichen Gefüge verstanden, lebt darin selbst aber als aphthartos- als unsterblich und unverletzlich, unvermischt mit dem körperlich- seelischen Bild, in dem er erscheint; er ist voller schaffender, formender Energie und tritt durch eine Tür in die physische Existenz ein. Daraus abgeleitet war das Christus- Verständnis der Nestorianer so, dass der schaffende Christus- Geist ebenfalls unwandelbar und unveränderlich aufzufassen ist - auch er tritt ein in das Leib- Seele- Gefüge des Jesus; er ist daher auch nicht zu verstehen als von Maria als Gott geboren. Die Vorwürfe an die Nestorianer bestanden also darin, die gottmenschliche Einheit in Christus zu leugnen. Tatsächlich schreibt Nestor: „Sie - Maria- ist die Mutter eines Knäbleins, non deitatis, nicht einer Gottheit!“ (5) Vermutlich darf man die Nestorianer als direkte Nachfolger der Urchristen verstehen, die den Bezug auf Aristoteles eher aus Gründen der Rechtfertigung herstellten. Sie werden auch nicht als Häretiker verstanden, obwohl sie in der Doppelgestalt des Gottessohnes die Existenz eines lebenden kosmischen Christus ebenso bejahten wie die geistige Doppelexistenz des Menschen, dessen tätiger, nicht- korrumpierter kosmischer Teil nie restlos in der physischen Existenz aufgeht.

Im 6. Jahrhundert kam ein weiterer Einfluss nach der Schließung der Athener Philosophen- Akademie durch Justinian (6) hinzu: Eine Gruppe von sieben bedeutenden Philosophen, deren - durchaus klassisch - griechisch- polytheistischen Lehren nicht mehr in die eingeebnete christlich- römische Staatskirche und den kodifizierten Rechtsstaat passten, gingen von Athen nach Gondischapur ins Exil, wo sie bis 533 blieben: "Vielleicht schon 531, spätestens 532 zogen sieben der letzten Athener Neuplatoniker – darunter Damaskios, der letzte Scholarch, und sein Schüler Simplikios – an den Hof des Perserkönigs Chosrau I., wo sie mit Toleranz rechnen konnten.Doch schon vor Ende 532 kehrten sie ins Oströmische Reich zurück, nachdem Chosrau im Friedensvertrag mit Justinian eine Garantie für ihre Sicherheit ausgehandelt hatte." (Wikipedia) Sie lehrten über die Physiologie des Auges, das Verhältnis von Leib und Seele im Schlaf und im Wachen, über Klima, Jahreslauf, die Kugelform der Erde, die Natur der Winde und den Einfluss des Mondes auf das Meer, und selbstverständlich - als die Neoplatoniker, als die sie bezeichnet wurden, über Platon und die griechische Philosophie und Wissenschaft insgesamt.

Es ist faszinierend, zu lesen, dass eine der Grundfragen des Perserkönigs an die Gelehrten war: „Zum Ersten: Welches ist die Natur der Seele, und ob sie in allen Körpern eine und dieselbe ist oder ob sie differiert (von anderen)?“ Ob der Geist des Menschen geschöpft sei aus einem kosmischen Logos und sich darin nach dem Tod auch wieder auflöse, war also ein zentrales Thema dieser akademischen Erörterungen- ein Thema, das noch fast tausend Jahre später zur hitzigen Debatte eines Thomas von Aquin („de unitate intellectus“) gegen die Anhänger des Averroes gehören sollte- ein späterer Bruchpunkt zwischen Dominikanern und dem Islam. Tatsächlich ist auch die Auffassung der Nestorianer vom unberührbaren individuellen Geist des Menschen an diesem Bruchpunkt angesiedelt. Letztlich entwickelte sich die Akademie in die Richtung einer rein physischen Existenz des Menschen, dessen Geist sich nach dem Tod auflöst- und legte damit sehr früh die Grundlagen für die heute so verstandene wissenschaftliche Weltsicht. Angelegt war die Intention der Akademie - so wie sie Rudolf Steiner versteht - anders; er sah in Gondischapur die Chance einer konstruktiven Verschmelzung von altem Mysterienwissen (wie in den Feuerkulten), mit dem früh- christlichen Impuls (wie er sich in den Nestorianern auslebte): „Die Akademie von Gondishapur war vor allen Dingen damit beschäftigt, die alte orientalische, schon in Dekadenz gekommene geistige Kultur mit dem Aristotelismus zu durchdringen, sie in einer ganz neuen Form zu gestalten. Der Aristotelismus ist da erst wiederum in seiner eigenen Gestalt erstanden. Die Christen hatten ihn ja nicht fortgepflanzt.“ (7)

Rudolf Steiner versuchte Anfang des 20. Jahrhunderts, diese tausendjährige Debatte, die in Gondischapur entsprang, wieder aufzugreifen und bezog dabei eher den Standpunkt der Neoplatoniker und Nestorianer: „So dass wir also sagen können: Gewissermaßen entfaltet sich aus der Ideenwelt heraus, die Ideenwelt erlebend, die Seele, die Psyche. Und die Seele, sie schafft sich, ebenso wie die Ideenwelt die Psyche, die Seele schafft, so schafft sich die Seele ihrerseits erst die Materie, in der sie verkörpert ist. So dass also dasjenige, was da drunten ist und woraus die Psyche ihren Leib schafft, im wesentlichen ein Geschöpf dieser Psyche ist. Da aber ist erst der Ursprung der Individuation, da erst gliedert sich die Psyche, die sonst teilnimmt an der einheitlichen Ideenwelt, da gliedert sie sich in den Leib A, in den Leib B usw. ein, und dadurch entstehen erst die Einzelseelen. Die einzelnen Seelen entstehen dadurch, dass gewissermaßen die Psyche eingegliedert wird in die einzelnen materiellen Leiber.“ (8)

Nimmt man den lebhaften personellen und ideellen Austausch mit Indien hinzu, so zeigt sich in Gondischapur, der Geburtsstätte der modernen Medizin, Wissenschaft und Anthropologie, eine wirklich kosmopolitische Stätte, ein Zusammenfließen der griechischen Philosophie mit dem Früh- Christentum, den Manichäern, der sassanidischen National- und Staatskirche mit ihren überragenden, toleranten Königen und Kriegsherren, dem Zurvanismus mit seinen Ursprüngen in Zarathustra, den Aristotelikern aus Antiochien, den Neo- Platonikern aus Athen und den Nestorianern - eine Vielfalt in einem Thinktank bis zum 7. Jahrhundert, als eine Einebnung durch die Expansion des Mohammedismus einsetzte. Nach Chosrau II (628), der wohl Philosophie und luxuriöses Leben dem permanenten Krieg gegen römische, islamische, aber auch innere Fronten vorzog, wechselten die sassanidischen Könige rasch. 636 kam es zur großen Schlacht mit dem islamischen Heer bei Hira. Die sassanidische Führungselite floh nach China.

Zwar bestand die Akademie weiter, aber auch die zoroastrische Staatsreligion veränderte sich entscheidend. Der Einfluss auf die Forschung und Lehre in Gondischapur, das bisherige aristotelische Verständnis von Logik ausschließlich auf sinnliche Phänomene zu reduzieren, ging nicht auf islamische Einflüsse, sondern auf die „zoroastrische Seite“ zurück: „Von der zoroastrischen Seite sei ein Angriff innerhalb der Akademie vorgetragen worden“ (9) - so Rudolf Steiner (10), womit der bisherige Multi- Kulturalismus beseitigt, eine innere ideologische Säuberung innerhalb des religiösen Systems vorgenommen, aber auch die gesamte „christlich- aristotelische Anthropologie“ gezielt in eine exotische „Nebenentwicklung“ (10) abgedrängt wurde. Der Zoroastrismus, der sich bereits zuvor der Manichäer entledigt hatte, trug nun, von innen her vom immer dominierenderen Christentum, von außen von den islamischen Heeren bedrängt, der sassanidischen Toleranz beraubt, die meisten Feuerkulte und alle Spielarten des Zurvanismus zu Grabe: Ein Dogmatismus mit glatten religiösen Kanten sollte die Führungselite in ihren Positionen halten, in der Neuausrichtung kompatibel und im Menschenbild reduziert, ohne Anstoss zu erregen, aber förderlich für die korrupte Elite: Das waren die neuen Rahmenbedingungen für die Akademie, die von nun an auch Aristoteles reduktionistisch interpretierte: Ein mechanistisches Welt- und Menschenbild entstand, wurde gelehrt und praktiziert, das sich allerdings - medizinisch- als äußerst effektiv erwies.

Von der Perspektive her gesehen: Wie fruchtbar hätte eine im Iran gelegene Forschungs- und Begegnungsstätte zwischen Islam und Ur -Christentum, zwischen Indien und dem Kloster von Monte Cassino, zwischen Aristotelikern und Anhängern alter Kulte werden können? Rudolf Steiner wird nicht müde zu betonen, dass die Bewusstseinsgeschichte der Menschheit eine andere hätten werden können, hätte nicht jenes Zerbrechen und die Umdrehung des spirituellen Impulses der Akademie von Gondischapur der menschlichen Entwicklung „einen innerlichen Knacks bis in die Leiblichkeit hinein“ (11) gegeben. Es hätte allerdings, wäre die Korruption des ursprünglichen Impulses nicht durch die anstürmenden islamischen Truppen verwässert worden, sehr viel schlimmer kommen können: „Der Mohammedanismus war dazu bestimmt, die gnostische Weisheit von Gondishapur abzustumpfen, ihr die eigentliche, stark ahrimanisch versucherische Kraft, die sie auf die Menschheit sonst ausgeübt hätte, zu nehmen.“ (12) Die intrigante Umleitung des Impulses innerhalb der zoroastrischen Elite - insbesondere durch einen bedeutenden Meister (13), die die allmähliche individuelle Entwicklung der Intelligenz überspringen wollte durch einen „mit höchster logischer Intelligenz“ ausgestatteten „Kollektivgeist“ (14) oder einem kollektiv- „logizistischen Automatismus im Gedankenbilder- Haben“ (15), gelenkt durch eine elitäre Gruppe, wurde gestoppt - auch durch das innere Drängen der Christen, „gegen Ende der Sassaniden- Zeit (..) sassanidische Staatsreligion zu werden“ (16). Dieser Machtkampf, ja Umsturz hat sich in der Mitte des 7. Jahrhunderts - nach Rudolf Steiner eben "666"- abgespielt. Von nun an war der „Aristoteles mysticus“ als gemeinsame Verständnisgrundlage verschwunden und wurde durch eine rein rationalistische Neuinterpretation ersetzt. Berühmte Generationen von Ärzten und Astronomen wanderten aus an die Höfe der Kalifen von Bagdad. Ihr Wissen verbreitete sich und wurde allmählich über die Klöster des Westens zum geistigen Gemeingut.

Vielleicht lässt sich aus der ähnlichen Konstellation die Verbindung nachvollziehen, die Rudolf Steiner zwischen Gondischapur Mitte des 7. Jahrhunderts und dem Massenmord an den Templern im 14. Jahrhundert gesehen hat. In beiden Fällen ist ein spiritueller, internationaler und Grenzen überwindender Impuls im Kern getroffen, beraubt und geistig umgedreht worden- im Fall Philipp des Schönen zur Konstituierung des Nationalismus, aber mit Mitteln wie Desinformation, Verfolgung, Folter und Diebstahl in nie gekanntem Ausmaß. Im Fall des unbekannten Lehrers aus Gondischapur war der Zweck eine globale Bewusstseins - Blendung durch eine passiv wie eine Offenbarung aufgenommene Logizistik: „Und die Absicht bestand, die ganze damals bekannte zivilisierte Welt mit dieser Gelehrsamkeit zu überschwemmen.“ (17)

Den dritten derartigen, damit korrespondierende Impuls verortete Rudolf Steiner um die letzte Jahrtausendwende. Man muss sich fragen, ob der Optimismus eines Heinz Herbert Schöffler, der Ende der 70er Jahre schrieb, heute noch Bestand hat: „Das Problem der Selbsttätigkeit von Logik, der allvorgeformten Begriffsmatrix, in die es allzu leicht gelingt, die eigene Begriffsfähigkeit willenlos einzugliedern, das Maschinenhafte von Begriffsverknüpfungen, das man keinesfalls eigenintentionales Denken nennen könnte,- all dieses wird vermieden in der sorgfältigen von Generation zu Generation erfolgenden Ausbildung des Ichs.“ (18) Man fragt sich, ob das über Generationen ausgebildete selbsttätige Denken denn noch Bestand hat angesichts der Blendung von zwei Milliarden aktiven Facebook- Nutzern, kursierender nationalistischer, irrationaler, verschwörungstheoretischer „Begriffsmatrix“-befeuert durch technische Twitter- Bots und Fake- News- Schleudern, die nicht nur nationalistischen Interessen, sondern einer international aufgestellten neuen Elite von Superreichen dient, die heute -von Russland bis Amerika- direkt die Macht ergriffen hat und tatsächlich von großen Teilen der jeweiligen Bevölkerung nicht nur gestützt und gewählt, sondern auch vergöttert wird. Die mühsam aufgebauten demokratischen Strukturen werden durch neue Diktatoren, gelenkte mediale Bestrahlung und die sich aufschaukelnde Neigung zu hysterischen Ideologien in den Grundfesten erschüttert- jenseits aller Logik, global und vor aller Augen. Ein Meister der Lüge wie Vladimir Putin kann einen Massenmord vor laufenden Kameras inszenieren und ihn gleichzeitig leugnen lassen- es ist ihm Applaus von Millionen gewiss, wenn nur die Meinungsmacher- Bots ihre Arbeit in den sozialen Netzwerken verrichten. Das „Maschinenhafte von Begriffsverknüpfungen“ (18) wird virtuell in die jeweils gewünschte Richtung gelenkt; die Blendung des „eigenintentionalen Denkens“ (18) im globalen Maßstab vollzogen- auch im Namen von Religionen: Eine generelle Korruption jedweder Logik und Moral. Die Meinungsmacher gestalten die globale Bewusstseins- Blendung durch eine an die Technik delegierte Logizität, eine anti- individuelle geistige Enteignung durch eine neue globalisierte Elite: Gondischapur blüht und gedeiht in den neuen Gewändern des 21. Jahrhunderts.

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*Eine offenbar fehlerhafte Lokalisierung im Buch von Schöffler (1). Die korrekte Lage von Takht-i Sulayman hier
1 Heinz Herbert Schöffler, Die Akademie von Gondischapur, Aristoteles auf dem Wege in den Orient, Stuttgart 1982/2, S. 91
2 Rudolf Steiner: „Zarathustra hat seine Schüler folgendes gelehrt: Wenn ihr hinaufschaut zur Sonne, so nehmt ihr die wohltätige Wärme wahr und das wohltätige Licht, das der Erde zustrahlt; wenn ihr aber höhere Organe entwickelt, wenn ihr geistiges Wahrnehmen entwickelt, so könnt ihr das Sonnenwesen wahrnehmen, das hinter dem physischen Sonnenleben ist; und dann nehmt ihr wahr Klangeswirkungen und in den Klangeswirkungen Lebenssinn. Was so als Geistiges hinter den physischen Sonnenwirkungen als Nächstes wahrzunehmen war, das bezeichnete Zarathustra für seine Schüler als Ormuzd, als Ahura Mazdao, als die große Aura der Sonne.“ GA 123, S. 67
3 Schöffler, S. 46
4 Elisabeth Leu- Schmidt, Ein Gralsimpuls im Osten, Dornach 1980, S. 10
5 Schöffler, S. 55
6 Rudolf Steiner: „Und so war denn auch der Kaiser Justinian ein Handlanger gewisser Wesenheiten, als er, der ja ein Feind war alles dessen, was aus der hohen Weisheit des Griechentums überkommen war, 529 die Philosophenschule in Athen schloß, so daß die letzten Reste der griechischen Gelehrsamkeit mit dem hohen aristotelisch-platonischen Wissen verbannt wurden und nach Persien hinüber flüchteten. Nach Nisibis waren schon früher, als Zeno Isauricus im 5. Jahrhundert ebensolche griechische Weise von Edessa vertrieben hatte, die syrischen Weisen geflohen. Und so versammelte sich gegen das Jahr 666 in der persischen Akademie von Gondishapur wirklich dasjenige, was auserlesene Gelehrsamkeit war, die herübergekommen war aus dem alten Griechentum und die keine Rücksicht genommen hatte auf das Mysterium von Golgatha.“ GA 182, S. 169
7 Rudolf Steiner, GA 325, S. 58
8  Rudolf Steiner, Vortrag vom 22. 5. 1920
9 Schöffler, S. 85
10 Vorträge Rudolf Steiners vom 11. 10. 1918 - 16. 10. 1918 in GA 184 und GA 182
11 R.St. GA 182, S. 171ff
12 R.St GA 184, S. 282f
13 R. St. GA 184.283f: „Das ist nicht erreicht worden, was der große Lehrer, dessen Name unbekannt geblieben ist, der aber der größte Gegner des Christus Jesus war, was der den Schülern beigebracht hat, aber etwas anderes ist doch erreicht worden. Die gegenwärtige naturwissenschaftliche Denkweise hat sozusagen mit dem Christentum als solchem in Wirklichkeit nichts zu tun. Man kann Schritt für Schritt, von Jahrzehnt zu Jahrzehnt verfolgen, wie, zwar abgestumpft, die gnostische Gondishapur- Weisheit über Südeuropa und Afrika nach Spanien, nach Frankreich, nach England sich hinein verbreitet hat und dann über den Kontinent, gerade auch auf dem Umwege durch die Klöster; kann verfolgen, wie das Übersinnliche herausgetrieben und nur das Sinnliche zurückbehalten wird; und es entsteht das abendländische naturwissenschaftliche Denken. Besonders interessant ist es, den Roger Bacon nach dieser Richtung zu studieren.“
14 Schöffler, S 78
15 Schöffler, S. 123
16 Schöffler, S. 80
17 R. St. GA 184, S. 282
18 Schöffler, S. 128

Zen- Meister Bankei und Rudolf Steiner über die Ungeborenheit

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Bankei
Im Laufe vieler Jahre habe ich immer mal wieder über ihn berichtet - den Zen- Meister Bankei, mir aufgrund seiner anarchistisch- spirituellen Attitüde so überaus sympathisch ist, über den sich aber auch einiges an Zeugnissen erhalten hat. Bankei lebte im 17. Jahrhundert, fiel so vollständig aus der Zeit und auch aus den Traditionen des Zen, dass er dadurch zum Erneuerer und Impulsator des Zen wurde. Um es einfach auszudrücken, war Zen damals in Traditionen, Riten und Gewohnheiten erstickt. Dagegen setzte Bankei den Begriff der Ungeborenheit - ein Zustand unmittelbarer geistiger Selbsterfahrung- einfach indem alles, was „geboren“ - tradiert, angelernt, angemaßt, Denkgewohnheiten, Geschlecht, soziale Schicht, usw - ist, im meditativen Akt abgelegt wird. Bankei forderte also von den Zen- Mönchen (nicht unähnlich den zahlreichen diesbezüglichen Aufforderungen Georg Kühlewinds gegenüber seinen anthroposophischen Zuhörern) inneres, aktives Arbeiten statt sinnentleerter Rituale oder ständiger Rückbezüge auf interne Traditionen.

Der Vater Bankeis (mit 8 Geschwistern) war von seinem Amt als Ritter zurück getreten und war jetzt „a masterless samurai or ronin“*. Der Junge Bankei fiel als besonders intelligent, aber auch als extrem unruhig, unfügsam und willensstark auf. In früher Jugend führte er Banden an, beruhigte sich aber, als er mit 11 endlich in eine Schule durfte. Fast erwartungsgemäß machte ihm das Schreiben - also das endlose kalligrafische Kopieren von Schriften- Schwierigkeiten. Um nicht jede Anekdote zu wiederholen: Der ganze Junge war eine Schwierigkeit. Er hat z.B. etwa in dem Alter eine Hand voll giftiger Spinnen geschluckt, um sich nach einem Streit umzubringen. Dazu schloss er sich in einem buddhistischen Schrein ein- lag Stunden vielleicht sterbend in einem Sarkophag. Seine Lehrer, die reine Repetitoren waren, nervte er mit endlosen Fragen nach dem Sinn ihrer Gebete: „the awakening of religious doubt in his consciousness“.

Bankei hat diese jugendlichen Jahre damit verbracht, jede Religion, jeden Kult und jede Tradition in seiner weiteren Umgebung „nach Gehalt“ zu erkunden. Er fand leider nichts und „wandered about like a stray mountain lamb, aimlessly and alone“*. Endlich fand er in einem Zen- Kloster einen Lehrer - Umpo-, der ihm auf seine Fragen antwortete: „practice zazen“*. Bankei wurde augenblicklich Mönch, und lernte drei Jahre bei Umpo. Mit 19 verließ er das Kloster und streifte durch das ganze Land. Es war offenbar ein tiefer Abstieg. Nach den Klöstern und dem Wandern folgte ein Leben als Nichtsesshafter und Bettler, unter Brücken schlafend- und dennoch ständig Zazen praktizierend. Die Zweifel blieben, auch als er mit 23 zu Umpo zurück kehrte. Es folgten Jahre des Hungerns, des Lebens in einer nackten Zelle, des ständigen Meditierens. Bankei wird davon schwer krank, stirbt beinah- und erlebt an der Schwelle des Todes das Einssein aller Dinge in der Ungeborenheit: „I realized what it was that had escaped me until now: All things are perfectly resolved in the Unborn“*. Nach Jahren weiteren Studiums bei einem chinesischen Meister wird Bankei der Erbe und Nachfolger Umpos. Er, der zunächst stark umstritten in der Priesterschaft gewesen war, fand nun so viel Anerkennung, dass er eine eigene Schule innerhalb des Zen begründete. Bankei lehrte die nächsten 36 Jahre jeden, der vorbei kam und eine Frage stellte. Diese wunderbaren, geistreichen Gespräche zur Ungeborenheit gehören zum Weltkultur- Erbe. Wenigstens sind sie in einer englischen Übersetzung und mit einer detaillierten Einführung von Norman Waddell - auf die ich mich hier bezogen habe- versehen hier und da erhältlich*

Aber auch Rudolf Steiner hat sich zwar auch zur Ungeborenheit als besonderer Qualität geäußert, wusste aber offensichtlich nicht von Meister Bankei:

Man darf überhaupt nicht unterschätzen die Bedeutung, welche im Worte liegt. In dem Augenblicke, wo sich der Gedanke umprägt zum Worte, selbst wenn das Wort als solches nur gedacht wird, wie in der Wortmeditation, in demselben Moment prägt sich das Wort ein in den Äther der Welt. 

Der Gedanke prägt sich als solcher nicht in den Äther der Welt ein, sonst könnten wir niemals im reinen Denken freie Wesen werden. Wir sind ja in dem Augenblicke gebunden, wo sich etwas einprägt. Für die Initiations - Wissenschaft liegt ja heute einfach die Tatsache vor, dass im ganzen Erden- Äther dadurch, dass die zivilisierten Sprachen kein gangbares Wort für Ungeborenheit haben, dieses für die Menschheit wichtige Ungeborensein überhaupt nicht dem Weltenäther eingeprägt wird. 

Alles das aber, was an wichtigen Worten eingeprägt wird in den Welten- Äther vom Entstehen, von alldem was den Menschen betrifft in seiner Kindheit, in seiner Jugend, all das bedeutet einen furchtbaren Schrecken für die ahrimanischen Mächte. Unsterblichkeit im Welten- Äther eingeschrieben, das vertragen die ahrimanischen Mächte eigentlich sehr gut, denn Unsterblichkeit bedeutet, dass sie mit dem Menschen eine neue Schöpfung beginnen und mit dem Menschen hinauswandern wollen. Das irritiert die ahrimanischen Mächte nicht, wenn sie immer wieder den Äther durchsausen, um mit dem Menschen ihr Spiel zu treiben, wenn da so und so viel von den Kanzeln von Unsterblichkeit verkündet wird und in den Weltenäther eingeschrieben wird. Das tut den ahrimanischen Wesen sehr wohl. 

Aber ein furchtbarer Schrecken für sie ist es, wenn sie das Wort «Ungeborenheit» in den Weltenäther eingeschrieben finden. Da löscht für sie überhaupt das Licht aus, in dem sie sich bewegen, da verlieren sie die Richtung, da fühlen sie sich wie in einem Abgrund, wie im Bodenlosen.“ **

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*„The Unborn. The Life and Teaching of Zen Master Bankei 1622-1693“. San Francisco 1984
** Rudolf Steiner, GA 203, S. 275f

Text überarbeitet aus den Archiven

Kundschafterin im Königreich des Schmerzes. Über Simone Weil

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Dass das ganze Gewebe unseres Lebens unvermittelt zerreissen kann, ist etwas, was man nicht nur nicht antizipieren will- es ist dem Menschen einfach nicht ohne weiteres möglich, die Facetten des Abgrunds, der immer unter seinen Füßen ruht, ansatzweise zu imaginieren. Ein kleines Unwohlsein im Alltag kann, was am Morgen noch eine offene Zukunft war, durch ein Klicken der Apparaturen, die uns durchleuchten, zu einer Biografie machen, die einen Anfang und ein deutlich auszumachendes Ende hat.

In Elisabeth Strouts Roman „The Burgess Boys“ (1)- einer Familiengeschichte, in der ein hochsensible Sohn eine unerklärliche Dummheit begeht (er wirft einen Schweinekopf in die Moschee somalischer Flüchtlinge), und damit einen kaum aufzuhaltenden, auch juristischen Prozess herauf beschwört und Familien- Geheimnisse ans Tageslicht befördert -, ist der Schmerz etwas, was die Mutter unvermittelt in einen privaten (aber nicht sehr exklusiven) Club befördert, in dem sie von nun an die Intimität des Schmerzes erleben muss: „And she learned—freshly, scorchingly—of the privacy of sorrow. It was as though she had been escorted through a door into some large and private club that she had not even known existed.

So ist es mit den Diagnosen, den Enthüllungen, oder, wie der Polizeichef im Verlauf des sich entwickelnden Dramas auch in Bezug auf sein eigenes, privates Glück räsoniert, das mit einem einzigen Klopfen an der Haustür unvermittelt enden kann: „The luck could end tomorrow. He had watched people’s luck end with one phone call, one knock on their door.

Das Zerreißen der scheinbar sicheren Verankerung in unsere Existenz ist eine existentielle Notwendigkeit- wir alle wissen darum, dass der Tag für uns kommen wird. Jemand wird vor uns stehen und uns eine Nachricht hinterlassen, die uns zerstören wird; der Tod der eigenen physischen Existenz oder vielleicht der einer geliebten Person, das Ende der Gewissheit und der Beginn eines unauflöslichen Schmerzes sind unausweichlich. Das Wissen darum und der fortdauernde Versuch, dieses prekäre, geliehene, vorübergehende naive Leben aufrecht zu erhalten, die fortdauernde Leugnung raubt einen erheblichen Teil unserer Energien. In ihren hinterlassenen, teilweise unmittelbar vor ihrem Tod geschriebenen Fragmenten, Aufsätzen und Notizen (2) geht die Philosophin und Mystikerin Simone Weil auf diese existentiellen menschlichen Bedingungen ein- auch, ganz grundsätzlich, auf das Illusionäre unserer permanenten Deutung der Realität, das uns vorgaukelt, es gäbe ein festes, unerschütterliches „Äußeres“ der Welt: „Thus at each instant of our life we are gripped from the outside, as it were, by meanings that we ourselves read in appearances. That is why we can argue endlessly about the reality of the external world, since what we call the world are the meanings that we read; they are not real. But they seize us as if they were external; that is real.“ (3)

Die nach und nach aufgebaute individuelle Deutung unserer Existenz umgrenzt unser Verständnis und determiniert unsere Identität- sie schließt andere Deutungen mehr oder weniger aus: „Each reading, when it is current, appears as the only real, only possible way to look at things; the other one seems purely imaginary. These are, of course, extreme examples, but all of our life is made from the same cloth; meanings impose themselves on us successively, and each of them, when it appears and enters into us through the senses, reduces all opposing ideas to the status of phantoms.“ (3) Die naive Bannung in den Kreis unserer Welt- Deutung kann nur- so Weil- überwunden werden durch einen todes- ähnlichen Akt, eine Initiation ins Königreich des Verlustes und des Schmerzes: „The loss of something or someone to which we are attached is immediately sensed by us by a weakening that corresponds to a loss of energy. For it is necessary to lose all vital energy that is given to us by the totality of things and beings to which we are attached. It is indeed therefore a death.“ (3)

Daher ist dieser Verlust der Naivität, der Eintritt ins Königreich des Schmerzes in der Geschichte der Mysterien immer mit dem Tod verglichen worden: „Detachment is a renunciation of all possible ends without exception, a renunciation that puts a void in the place of the future just as the imminent approach of death does. This is why in the ancient mysteries, in Platonism, in the Sanskrit scriptures, in the Christian religion, and very probably everywhere and at every time, detachment has always been compared to death, and the initiation into wisdom has been regarded as a sort of passage towards death.“ (3)- wir lösen uns von der naiven Deutung ab, verlieren den Boden unter den Füßen, erleben das Loch anstelle dessen, was wir uns als Zukunft vorgestellt hatten.

Simone Weil betrachtet die determinierenden, aber auch moralischen Implikationen aber auch vom Begriff des „Charakters“ aus, der sich durch die Deutungsmuster, Erklärungsmodelle, die Art des Umgangs mit dem Schmerz, aber auch durch den Wunsch nach innerer Veränderung heraus bildet: „Our character appears to us as a limit by which we do not want to be imprisoned. We like to dream that someday we will be able to escape ourselves in one or more directions. We are happy to know that we can model our character, achieve it, go beyond it. But our character also appears to us as a support that we want to believe is unshakable. We want to believe that we are capable of never doing, saying, thinking certain things. Sometimes we are wrong.“ (3) Die illusionäre Welt- Deutung kann sich, wenn extreme Situationen auftreten, eben auch auf die Erwartung an den eigenen Charakter beziehen: Das persönliche, auch moralische Scheitern scheint so unvorstellbar wie das Ende der physischen Existenz. Aber es kommt vor. Von daher kommt Simone Weil auf die Frage, was denn überhaupt heilig zu nennen sei im Individuum. Das sei- so führt sie in einer weiteren Betrachtung aus- das im Individuellen aufzufindende Nicht- Individuelle: „What is sacred in a human being is that which is, far from the personal, the impersonal. Everything that is impersonal in a human being is sacred, and that alone.“ Dieses Un- Persönliche aber sei nur aufzufinden in absoluter Einsamkeit, ja in einer nur im eigenen Inneren aufzufindenden moralischen Integrität: „Passage into the impersonal only comes about by attention of rare quality, and is only possible in solitude. Not only actual solitude, but moral solitude.“ (3)

An dieser Stelle kommen wir zurück auf die Frage, wie der Kern menschlicher Integrität, das wirklich auch moralisch Tragende in uns, das nicht gegeben und nicht aus dem Persönlichen heraus definierbar ist, auffindbar sein kann. Simone Weil schreibt: Aus dem existentiellen Verlust heraus, in dem es möglich wird, der Erfahrung des absoluten Nichts ins Auge zu sehen, mit der Kraft der ganzen Seele zu denken und den Tod der Seele, den Verlust von allem, was wir sind, haben und zu besitzen glauben, zu akzeptieren: „Human thought cannot understand the reality of affliction. If someone were to recognize the reality of affliction, he would have to say: “The play of circumstances, over which I have no control, can snatch anything from me anytime, including everything that belongs to me and that I consider as being me. There is nothing to me that I cannot lose. An accident can at any time wipe out what I am and can indifferently put in its place any vile and contemptible thing.” Thinking that with the whole soul is to experience nothingness. It is the extreme and total state of humiliation that is also the condition for the passage into the truth. It is a death of the soul. This is why the sight of naked affliction causes in the soul the same jerking away that the nearness of death causes in the flesh.“ (3)

Der mystische Tod ist für Simone Weil kein erhabenes Erlebnis für romantische Ausnahmemomente, sondern die konkrete, todes- gleiche Begegnung mit dem Schmerz- es geht nicht um ein weiteres Umschiffen der Leere, sondern um „real life“. Sie selbst hat nicht nur den mystischen Tod gekannt und über ihre Christus- Erfahrungen geschrieben, sondern lebenslang unter extremen Migräne- Schmerzen gelitten, die sie aber nie abhielten, mitten in die konkreten Probleme hinein zu marschieren. So hat sie, während sie an ihren letzten Texten schrieb, versucht, nach Spanien in den Bürgerkrieg zu ziehen, um sich im Kampf gegen das Franko- Regime zu engagieren, wurde aber wegen ihrer Sehschwäche abgewiesen. In ihrer kommunistischen Zeit hatte sie für „La Révolution prolétarienne“ geschrieben.

Aber zugleich - so zeigt eine noch recht aktuelle Betrachtung (2012) von Robert Chevanier (4) zur Biografie Simone Weils- war der Schmerz für sie eine wesentliche existentielle Perspektive- das, was für sie „real life“ ausmachte. Einerseits verstand sie darunter Solidarität mit den Fabrikarbeitern - sie unterbrach 1934 ihre Universitäts- Karriere, um mit am Fliessband zu arbeiten, verabschiedete sich angesichts des Hitler- Regimes vom Pazifismus- erlebte aber andererseits inmitten all dieser Katastrophen (und ihrer anhaltenden Migräne) etwas, was ihrer Existenz eine andere innere Dimension gab; eine Christus- Erfahrung in Assisi:

In 1937, at Assisi, in the little Romanesque chapel of Santa Maria degli Angeli where St Francis had prayed, she recognized that something stronger than herself “obliged her, for the first time in her life, to drop to her knees.” This was her second contact, under the sign of beauty and purity. At Solesmes, during Holy Week in 1938, while she was suffering from intensely painful headaches, she assisted at the divine office sung in Gregorian chant. She said that in the course of these religious services “the thought of the passion of Christ entered into me once and for all” (Attente de Dieu, 43)“ - bis hin zu dem Punkt, an dem sie wenig später erlebt: „Christ himself came down and took possession of me” (dito, zitiert nach Robert Chevanier).

Zweifellos hat sie, während es für ihre Familie und sie nötig wurde, als Juden Frankreich zu verlassen, weiter an der Frage des „wirklichen“ Lebens, das im Zentrum des Schmerzes die reine Schönheit, die Wahrheit, das nicht- Persönliche findet, gearbeitet- auf eine Art und Weise, die vollkommen quer zur heutigen Ideologie der Selbstverwirklichung und Wellness- Kultur steht. Das Annehmen des Schmerzes, des Aussichtslosen, des inneren Abgrunds, war für Simone Weil gerade der Schlüssel, um ins „reale Land“ zu gelangen, in dem sie "frei atmen" konnte: „..keys by which one enters into the pure land, the land where one can breathe freely, the land of the real..” Was nach reiner Mystik klingt, war - neben ihrem enormen Schreibpensum- der Hintergrund für ihre Arbeit in der Resistance, hauptsächlich in Zusammenarbeit mit Dominikanern aus Marseille. Es ging konkret um subversive Aufklärung gegen die Nazis und um falsche Pässe für Flüchtlinge.

Bei Simone Weil lag in der größten äußeren Aktivität das mystische Element gleichzeitig darin, in einer der dunkelsten Zeiten der Menschheitsgeschichte das Leiden, das „über die Welt verteilt“ ist, vollkommen anzunehmen; sie fühlte sich aufgerufen, selbst „eine große Portion dieser Gefahren und Leiden“ durch zu machen: „The suffering spread over the surface of this world obsesses me (..) and I cannot restore them or free myself from this obsession unless I myself share a large portion of that danger and suffering” (Ecrits de Londres, 199; SL, 156).

Ihr Tod folgte 1943: „On April 15, 1943, a friend went to her home and found her stretched out on the floor unable to move. Sent to a hospital in London, then to a sanatorium in Ashford, Simone Weil died on August 24, 1943, eleven days after she was admitted there.“ (4)


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1 Elisabeth Strout, The Burgess Boys
2 Simone Weil, Late Philosophical Writings
3 dito, ohne Seitenangabe bei Kindle- Ausgabe. Die Zitate entstammen unterschiedlichen Texten in der Sammlung
4 Robert Chenavier, „Simone Weil, Attention to the Real“, Link: https://www3.nd.edu/~undpress/excerpts/P01544-ex.pdf

Anthro- Blogger habens auch nicht leicht

Moderne Obsessionen oder: Das Matrix- Narrativ und die Instrumentalisierung der „wahren Wirklichkeit“

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Wenn man beiläufig liest, dass rund ein Drittel der Deutschen inzwischen zu den „Truthern“ zählt, die - 16 Jahre danach- in den Anschlägen auf die Twin Towers einen US- „Inside Job“ sieht, dann weiß man, was virale ideologische Berieselung bewirken kann, und dass von der Infizierung auch intelligente Menschen, ja sogar Anthroposophen - die doch vorgeben, sich explizit der Wahrheitssuche verschrieben zu haben- befallen sein können. Jeder der annähernd 2 Milliarden Menschen, die bei Facebook unterwegs sind, werden damit in Berührung gekommen sein, geschweige denn die Millionen, die die populären Waldorf- YouTuber, „Friedensforscher“ wie Daniele Ganser, anthroposophische Zeitschriften wie Die Drei oder Das Goetheanum konsumieren oder gar UFO- Spezialisten wie Armin Risi, der beim rechtspopulistischen Kopp- Verlag publiziert (1)

Letzterer, wenn wir einmal etwas näher treten dürfen, hat in dem üblichen Mix von Verschwörungstheorien den explizit esoterischen Part, der vor allem manichäisch veranlagte Zeitgenossen, zu denen sich häufig auch Anthroposophen zählen, anspricht, die denn in solchen Facebook- Gruppen auch Zitate von ihm einflechten, in denen sich die nahende Apokalypse mit zarten Lichtkeimen der Hoffnung mischt: „Bevor das Neue Zeitalter weltweit Einzug hält, muss man also mit vielen Umwälzungen und Prüfungen rechnen: Katastrophen (Erdbeben, Fluten, Meteoriten usw.), Kriege und Kollapse und möglicherweise auch totalitäre Aktionen von seiten der herrschenden Mächte. Letzteres wird auch für die gottbewussten Menschen eine Bedrohung sein, weil sie als einzige im Volk die Pläne der Mächtigen durchschauen und diese bewusst (sprich: gottbewusst) durchkreuzen.

Die göttlichen Offenbahrungen versicheren jedoch, dass diese Menschen in Situationen großer Gefahr einen besonderen und ungeahnten Schutz erfahren werden. Sie sollten sich deshalb von der zeitweiligen Übermacht der negativen Kräfte nicht täuschen, einschüchtern oder entmutigen lassen.“ (2)

Dieser Post, der durchschimmern lässt, dass Risi zu den Erleuchteten zählt, denen die „göttlichen Offenbahrungen“ glücklicherweise persönlich zuteil werden, ist im Original schon 9 Jahre alt, aber Risi hat die großen Apokalyptiker unserer Zeit, wie etwa den US- Präsidentenberater Steve Bannon, vorweggenommen. Letzterer glaubt ja an 80- Jahres- Zyklen in Beziehung auf apokalyptische globale Krisen - hier ein Zusammenschnitt seiner Endzeit- Filme bei Quartz (3) und kann sich nun wieder ganz dem propagandistischen Hetzblatt der Ultrarechten, Breitbart News, widmen. (4) . Ein wenig aufatmen, dass Bannon aus dem Weißen Haus entlassen ist, darf man wohl schon, da er, wie auch seinen Breitbart- Filmen deutlich wird, sehr gezielt auf einen neuen Weltkrieg - vor allem mit China- zugesteuert ist.

Vielleicht müsste man den Vielschreiber Risi im Vergleich zu einer globalen Dreckschleuder wie Breitbart - oder den russischen Pendants Russia Today und Sputnik (5)  - nicht gerade besonders hervor heben, auch wenn sich Risi seit Jahren geradezu visionär zum - inzwischen durch Trump tatsächlich vollzogenen- „Machtwechsel auf der Erde“ äußert (6)  - freilich, wie zu erwarten war, esoterisch und bezogen auf Bibel Codes (666), Illuminati, Templer, außerirdische Lichtwesen und die gerade stattfindende angebliche Transformation der Erde- also das Übliche vom rechten bis esoterischen äußersten Rand. Aber es passt bei Risi schon stets, so spinnert es erscheinen mag, auch in die gegenwärtige politische Agenda, in das Strickmuster von Bannon bis Russia Today, Putins KGB- lastigem Haussender. Von daher ist es verständlich, dass ein Propaganda- Verlag wie Kopp auch einem solchen Exoten wie Risi den Raum gibt. So liest man bei Risi im Klappentext zum esoterischen Buch eigentlich auch die politischen Mantren von Moskau bis Washington: „Millionen von Menschen ahnen, daß vieles, was auf der Bühne der Weltgeschichte geschieht, eine Inszenierung ist. Was läuft hinter den Kulissen? Was sind die Pläne der Mächtigen? Welche globalen Entscheidungen stehen bevor?

Das durchgängige narrative Element - Zweifel an der in Medien präsentierten Wirklichkeit („Die „technomagische“ Wirkung der Massenmedien“ in der Diktion Armin Risis) und die Installation „alternativer“ Wirklichkeit gehört seit jeher zum Handwerk des KGB und wird in allen erwähnten populistischen Kanälen bedient. Es ist durch Filme wie „Matrix“ bis in jedes Wohnzimmer hinein getragen worden, ja ist im Unterhaltungsgenre geradezu zum Stereotyp geworden. Aber es ist natürlich auch in der gesamten Esoterik- Szene - in Bezug auf die Suche nach einer „höheren“ Wirklichkeit „hinter“ dem Erscheinungsbild der Welt, ja hinter den sensorischen Eindrücken schlechthin - eine feste Größe. Hat man vor einer Generation in Massen- Ekstasen in Poona, bedient durch einen klischee- haften Guru, diese wahre Wirklichkeit noch zu spüren gemeint, so spült heute dasselbe Narrativ einen Fake- News- Präsidenten ins Weiße Haus, hält eine russische KGB- Elite an der Macht in Russland und verhilft der deutschen AfD mit einigen weiteren Prozentpunkten in den Bundestag. Die alternative Wirklichkeit im Sinne des Matrix- Narrativs funktioniert als politische Brechstange, die keinesfalls nur esoterische Auswirkungen hat. Auch in Polen hält sich ein Kaczynski durch eine Verschwörungstheorie - die Glorifizierung des Vermächtnisses seines Bruders, der bei einem Flugzeugabsturz ums Leben kam, hinter dem angeblich die Sabotage durch die russische Regierung stand- an der Macht, anknüpfend an das nationale Trauma der Ermordung von 22000 Polen durch die Sowjets 1940.

Die gemeine Verschwörungstheorie im Sinne des Matrix- Narrativs generiert ein Wir- Empfinden, eine nationale, ethnische, Gruppen- oder Sekten- Identität. So schreibt Ivan Krastev (7) in Bezug auf die polnische- Kaczynski- Verschwörung  „Wir, die wir nicht auf die Lügen der Regierung hereinfallen; wir, die wir wissen, wie die Welt wirklich funktioniert; wir, die wir den liberalen Eliten vorwerfen, das Versprechen der Revolution von 1989 verraten zu haben..“ Die Verschwörungstheorie der jetzigen polnischen Regierung funktioniert, weil sie an ein tiefes Misstrauen gegenüber der offiziellen Darstellung von Ereignissen anknüpft und mit ihrem Selbstbild "als Opfer der Geschichte übereinstimmt. Der Aufstieg der Verschwörungstheorien verweist indessen noch auf einen weiteren wunden Punkt demokratischer Politik im Stil der EU, nämlich deren Unfähigkeit, eine politische Identität aufzubauen.“ (8)

Ja, der Planet hat sich technologisch tatsächlich globalisiert. Die Smartphone - Generation geht ihren Weg und bucht, weil gerade auf dem iPhone so eine idyllische Location in der Nähe von Phnom Penh aufpoppt, schnell einen Flug und eine Bootstour „bei Sonnenuntergang inklusive Barbecue und Getränke“: „Entfliehen Sie der Stadt, fahren Sie auf dem Tonle Sap und dem Mekong und beobachten Sie den Sonnenuntergang über Phnom Penh, während Sie sich auf der Mekong Tara Prince entspannen. Wir passieren den Königspalast bevor wir in den Mekong einbiegen und erleben schwimmende Dörfer bequem vom Oberdeck, während Sie das im Preis inbegriffene Barbecue mit Getränken genießen. Einst im Besitz des Prinzen wurde das wunderschöne Boot renoviert und bietet Komfort und Stil für eine perfekte Reise. Dank des einzigartigen Designs können wir Bereiche befahren, die für andere Boote unzugänglich sind.“ (9) Kein Problem. Allerdings benutzen die Prinzen und Untertanen rund um den Globus auch solch ein Smartphone und finden sich, unter gegeben Umständen, im Status als Flüchtlinge oder Asylsuchende ganz in der Nähe unseres hiesigen Wohnorts. Die Prinzen sollen schön bleiben, wo sie sind. Das Andere soll von uns im Tourismus konsumieriert werden, aber doch bitte nicht tatsächlich vor der Tür stehen. In solchen Fällen zünden wir das Asylantenheim an.

Die politischen Technokraten sollen unseren Status Quo, der durchaus kolonialen Beigeschmack hat, gefälligst sichern. Wenn nicht, werden die wankelmütigen Wechselwähler es ihnen heimzahlen. Aber im Untergrund wabert das Unwohlsein, die Sehnsucht nach Abgrenzung und nationaler Identität. Gegebenenfalls auch nach spiritueller Superiorität, nach einer Gruppe mit überlegenen, ja uneinholbar spirituellen Kompetenzen, die gemeinsam an den Weisheiten eines Rudolf Steiner oder wenigstens Armin Risi nascht. Im selben Ausmaß, wie der globalisierte, technologische Blick auf konsumierbare Welt begehrlich anwächst, erhebt sich die Sehnsucht nach „kulturell tiefer verwurzelter Identitäten innerhalb einzelner europäischer Länder“ (7)- aber auch der Hass auf die als technokratisch denunzierten Politiker. Der Aufstieg des neuen Rechtspopulismus ist nicht auf Regionen, Nationen, Kontinente, ja nicht einmal auf politische Richtungen beschränkt. Der Konsens besteht im illiberalen Charakter von Mehrheiten, die ihre Identität finden, Eliten stürzen, Minderheiten ausgrenzen und der Matrix- Agenda diverser verborgener Verschwörungen folgen wollen.

Natürlich ist die Vermischung von Esoterik und politischer Positionierung nicht gerade eine neue Erscheinung - Heilserwartungen an politische Missionen, nationales Pathos, Verfolgung und Ermordung von Minderheiten, Ethnien und religiösen Gruppierungen sind typische retardierende politische Elemente mit oft toxischer Wirkung auf ganze Bevölkerungsgruppen. Neu ist die globale Wucht, mit der die illiberale Bewegung auftritt. Sie verbreitet sich, obwohl sie sich anti- technokratisch gibt, häufig über genau diese Technik- z.B. soziale Netzwerke. Und sie verbreitet sich, trotz des nationales Pathos, global. Sie spült auch, obwohl sie sich anti- elitär gibt, extreme kleptokratische Eliten an die Macht. Ganz offensichtlich werden religiöse wie esoterische Motive ebenso politisch genutzt wie Esoterik - siehe das Beispiel Armin Risi- sich politische Motive zueigen macht. Man kann mit gutem Recht von einer chaotischen Vermengung sprechen.

Gerade in der anthroposophischen Szene finden sich Elemente, die sich nicht nur in diesen Untiefen manipulativer Zweideutigkeiten bewegen, häufig auch mit Quellen durchsetzt, die unzweideutig propagandistische Mittel der KGB- Netzwerke nutzen, sondern auch noch einen Anti- Intellektualismus präferieren, an dessen Ende sich wild spekulierende Autoren unklarer „geistiger Eingebungen“ bedienen. Was dann dabei heraus kommt, sind z.B. letzte Woche Massengebete des anthroposophischen „Grundsteinspruchs“ via Facebook, um die okkult angeblich schädlichen Auswirkungen der aktuellen Sonnenfinsternis abzuwenden, die sonst unzweifelhaft die Geburt des Großen Dämons mit sich brächte. Nun, möchte man solchen und anderen Internet- Propheten der anthroposophischen Fraktion zurufen, der Dämon ist schon da. Er verbreitet den Schwachsinn des Matrix- Narrativs, unterminiert die politische und esoterische Vernunft, den Anstand und die Errungenschaften ganzer Nationen, die schwer errungene Liberalität und das demokratische Selbstverständnis. Das Vakuum, das der hysterisch- nationalistischen und rassistischen Agenda der heillosen Vermischung entspringt, dagegen produziert eine neue diktatorische und kleptokratische Elite, der alle Mittel recht sind- selbst die Unterminierung jeglicher Vernunft.

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1 http://info.kopp-verlag.de/autor.html?id=47
2 Facebook- Post ohne Quellenangabe im Forum „Anthroposophie heute“ https://www.facebook.com/groups/1462827647354085/
3 https://qz.com/933459/to-understand-steve-bannon-you-need-to-watch-three-of-his-movies/ Hier eine Übersicht über die Filme Bannons
4 Die Welt über Bannons Abgang: https://www.welt.de/politik/ausland/article167816597/Steve-Bannon-Diese-Trump-Praesidentschaft-ist-vorbei.html
5 Insiderbereicht von Andrew Feinberg :“My Life at a Russian Propaganda Network. I thought they’d let me be a real journalist at Sputnik news. I was wrong.“ http://www.politico.com/magazine/story/2017/08/21/russian-propaganda-sputnik-reporter-215511
6 Bücherübersicht Armin Risi: http://armin-risi.ch/Buecher/Machtwechsel-auf-der-Erde.php
7 Ivan Krastev, Europadämmerung. Ein Essay, Berlin 2017
8 Krastev, S.94
9 https://www.tripadvisor.de/AttractionProductDetail-g293940-d11457576-Phnom_Penh_Sunset_Cruise_Including_BBQ_and_Drinks-Phnom_Penh.html

Die Zombifizierung der öffentlichen Meinung oder: Kollateralschäden an der demokratischen Kultur

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Dies ist eine Pizza.
Das Empörungspotential erscheint unerschöpflich, vor allem von Rechts. Beatrix von Storch beklagt weinerlich, wie Sascha Lobo ausführt (1), dass Angela Merkel am Ende von Wahlkampfveranstaltungen der CDU „unsere“ Nationalhymne anstimmt, während sie doch heimlich plane, den deutschen genetischen Pool durch Familien- Nachzug von hier aufgenommenen syrischen Flüchtlingen zu verwässern („Singen unsere Hymne. Schmücken sich mit unseren Farben. Und zerstören alles das. #390.000 #Syrer #Familiennachzug #AfD #TrauDichDeuschland“).

Alexander Gauland möchte, ebenfalls im Wahlkampfmodus, in seiner Empörung über die Integrationsbeauftragte der Bundesregierung, Aydan Özoguz, die es gewagt hatte, eine „spezifisch deutsche Kultur“ jenseits der Sprache nicht erkennen zu können, gleich „Gott sei Dank, in Anatolien entsorgen“ (2), was hübsche Assoziationen mit dem Holocaust für die impliziert, die für derlei empfänglich sind. Die Devise ist: Spielen wir die Empörungskarte, damit wir im rassistischen braunen Schlamm ein wenig mit unseren Förmchen spielen können- natürlich, ohne uns die Hände im juristisch relevanten Sinn schmutzig zu machen.

Das alles ist natürlich nichts gegen den Großmeister des schmutzigen Spiels, den Lobo auch den „verwirrt-egomanen Hilfsfaschisten mit Atomkoffer“ (1) nennt. Der hat ganz andere Zombies aus dem Schlamm geholt.

Nehmen wir z.B. den Zombie-der-aus-der-Pizzeria-kam, das so genannte Pizzagate (3). Dabei wurde von Mitarbeitern des Wahlkampfteams von Trump, nämlich dem später wegen seiner Lügen und Russlandkontakte entlassenen, von Trump als Nationalen US- Sicherheitsberater berufenen Michael T. Flynn und seinem Sohn, das Gerücht gestreut, in der Pizzeria Comet Ping Pong würde ein Kinderporno- Ring agieren, in dessen Mittelpunkt Hillary Clinton und Barack Obama stünden. Worte wie „Pizza“ und „Sauce“ wurden „als Code-Wörter für „Mädchen“ bzw. „Orgie“ umgedeutet“ (3). Diese hanebüchene Konstruktion wurde von Verschwörungstheoretiker wie Alex Jones mit seiner aggressiven Website Infowars (4) und Heerscharen von elektronischen Bots in den sozialen Netzwerken verbreitet. Eine die Öffentlichkeit zu Recht verunsichernde Tatsache - der tatsächlich vor allem in Familien, Heimen und Kirchenchören verbreitete Kindesmissbrauch - wurde in dieser fiktiven Schmutzkampagne mit der Unzufriedenheit vieler Bürger mit den politischen Eliten gekoppelt und zombifiziert- um der aufgerührten Öffentlichkeit im US- Wahlkampf ein paar weitere Pünktchen für den Großmeister Trump zu entlocken.

Nun kann man die Suchmaschine mit dem Stichwort „Pizzagate“ füttern, um die scheinbar anonymen Bots, die derlei verbreiten, ein wenig aus der Anonymität zu holen. Google bietet, was Stichwörter betrifft, ja ein anschauliches Ranking. Dabei ergibt sich geradezu ein Hitliste russisch orientierter Quellen: Wikileaks mit dem offensichtlich als Moskaus Agent agierenden Julian Assange steht dabei zusammen mit Russia Today (5) mit Epochtimes und Alles-Schall-und-Rauch an der Spitze- und natürlich mit diversen You-Tube- Videos. Dort findet man in den Kommentaren auch Stimmen, die noch einen spezifischen Unterton dieses Info-Zombies ansprechen, nämlich den Vorwurf des Satanismus in diesem Zusammenhang: „These aren't people.Fuckin sick satanist that have their emails exposed for the world to see.Assange risk his life to expose the evil that run the world,and there is still no public outrage.“ (6)

Die Raserei, die Eskalation der Empörung, ja der Aufbau einer globalen Empörungsspirale, die in diesem Kommentar gefordert wird (public outrage), ist in der Tat das Herrschaftsprinzip eines Populisten wie Donald Trump, flankiert von dem gern als strategischem „Leninisten“ bezeichneten Choreografen Steve Bannon. (7)  Das „Zermalmen“ (Zitat Bannon) der Demokraten und der liberalen Presse funktioniert vor allem durch die empörte persönliche Auseinandersetzung, durch die die tatsächlichen politischen Ziele der Reaktionäre im Pulverdampf verdeckt vollzogen werden können- die Eskalation dient als Verschleierungstaktik und als Ablenkungsmanöver: „Selten deckt ein politischer Stratege so offen seine Pläne auf. Und noch seltener scheitern seine Gegner so grundlegend daran, ihre Taktik im Gegenzug neu auszurichten. Von dem Tag an, an dem Trump seine Präsidentschaftskandidatur bekanntgab und Mexikaner böswillig als Vergewaltiger verleumdete bis zu der Veröffentlichung eines Videos, in dem er sich über das Befummeln von Frauen lustig machte, hat die amerikanische Linke vor allem mit solchen Slogans gegen Donald Trump gekämpft, die Identität betreffen: dass Trump ein Rassist sei, ein Frauenfeind, ein Fremdenfeind, ein islamophober Eiferer.“ (7)

So nimmt es nicht wunder, dass die Pizzagate- Affäre auch eine solche Eskalationsstufe mit sich brachte, nämlich das Narrativ, die politische Elite betreibe im Rahmen des systematischen Kindesmissbrauchs satanistische Exerzitien. Auf diese Schiene ist z.B. der frühere „Anthroposophie- Enthüller“ (8) Guido Grandt aufgesprungen, der sich inzwischen auf das offenbar lukrativere Aufdecken von Satanismus und Kindesmissbrauch kapriziert hat. (9) : „Ich weiß, von was ich spreche. Meine jahrelangen Recherchen in den dunkelsten Abgründen der menschlichen Gosse, in denen Kinder gefoltert, gequält, in satanistischen Logen rituell missbraucht werden, Sodomie und sogar Kannibalismus verüben müssen, bis hin zum Mord, haben all das gezeigt.“ Die angeblichen Verbindungen zum politischen System werden - in der deutschsprachigen medialen Umgebung- wiederum von Epochtimes (10) und vom notorischen singenden Reichsbürger Xavier Naidoo hergestellt, in einem Song namens „Wo sind sie jetzt“: „Im Lied „Wo sind sie jetzt“ prangert Xavier Naidoo geheime satanistische Kindermorde an, in die er Teile der Politik und herrschenden Eliten verwickelt sieht.“ (11)

Man kann ziemlich blind darauf wetten, dass derlei, von Reichsbürgern bis Trumpisten verbreitete schmutzige Anwürfe gegen die „Eliten“ auch von populistischen anthroposophischen Seiten verbreitet werden. Auch Holger Niederhausen ergeht sich in einer detaillierten Auflistung von rund 50 Jahren (12) des Kindesmissbrauchs („Anneke Lucas soll auf einem Fleischerblock ermordet werden.“), wobei er sachliche Informationen mit Meldungen über „Bewusstseinskontrolle“ durch den CIA, Anwürfen gegen Bill Clinton („Milliardär Jeffrey Epstein, befreundet mit Prinz Andrew, Bill Clinton, und anderen, Mitglied des einflussreichen Council of Foreign Relations [o], muss wegen Missbrauchs zahlreicher Mädchen für 13 Monate ins Gefängnis. Mit 17 Mädchen schloss er außergerichtliche Vergleiche über mehrere Millionen Dollar ab. Clinton flog mindestens 26-mal mit Epsteins als „Lolita-Express“ bekannten Privatjet.“ (12)), Charlie Chaplin und Beyonce- Songs mixt, die für ihn den Eindruck satanistischer Kulte machen. Auch das notorische Pizzagate- Narrativ wird von ihm aufgegriffen und in den Kontext ritueller Gewalt gestellt. Solche Links werden ebenso wie die von Schmutzseiten wie Epochtimes aufgeführt, um die Gerüchte über Satanismus, Aristokratie, Hochfinanz und Politik in einen gemeinsamen schmuddeligen Topf zu rühren.

Dasselbe Spiel treibt der Waldorf- Maler und Blogger Mikeondoor, der gern von Anthroposophen zitiert wird, denen er auch eine Online- Partnerbörse (13) bereit stellt, erwartungsgemäß, indem er „nur für starke Nerven“ das Ehepaar Clinton mit Kindesmissbrauch, rituellen Pädophilen- Netzwerken, Satanismus und den von David Ecke verbreiteten „Echsenwesen“ (Reptiloiden) verbindet, die von Außerirdischen gesteuert werden. Das Ganze wird mit Zitaten von Rudolf Steiner veredelt. (14)  Auf entsprechenden YouTube- Seiten wird auch behauptet, Angela Merkel sei eine dieser echsenartigen Außerirdischen. Michael Amthor, der Betreiber von Mikeondoor, bietet ansonsten Eso- Deko- Kunstware (15) mit Titeln wie „Digitalisiertes Hirn (Kopfmensch) zwischen Ahriman und Luzifer. Acryl/Sand auf Spankarton 68 x 87 cm“ an.

Bei solchen und verwandten Agitatoren zündet die nächste Eskalationsstufe mit der Behauptung systematischer „ritueller Gewalt“ (16). Darunter ist das systematische Brechen der Identität von Kindern durch rituell- satanistisch betriebene Gewalt und die erzwungene Gewalt durch diese Kinder zu verstehen- was nach Niederhausen durch „höchste Kreise“ (12) betrieben werden soll. Die durch die rituelle Praxis herbei geführte „Mindcontrol“ weist allerdings auch auf das methodische Problem hin, dass wohl der weit überwiegende Teil solcher nachträglicher Schilderungen von angeblichen Zeugen „auf Erinnerungsverfälschung, suggestive Befragungstechniken und reißerische Berichterstattung der Medien“ (16) zurück geht, aber auch auf psychische Erkrankte, die im Sinne von „Gedankenkontrolle“ Stimmen hören, bizarre Halluzinationen haben, automatisiertes Verhalten, Aggressionen und Autoaggressionen zeigen. Sie erwerben durch die wahnhaften Erklärungsversuche in einem für sie erträglicheren Zusammenhang eine Art Sinn. Damit rückt aber die ganze Argumentationskette in einen psychiatrisch relevanten Kontext- die „höchsten Kreise“, die die Bevölkerung durch Mindkontrolle und satanistische Rituale lenken und knechten sollen, sind vor allem paranoide Wahnvorstellungen von Reichsbürgern und ihrem Umkreis. Einzelfälle wie der verstorbene Thelema- Bruder Dietmar Eschner, der sich als Reinkarnation Aleister Crowleys verstand (17) mögen solche rituelle Gewalt wohl betrieben haben.

Stellen wir das ganze Thema in einen größeren Zusammenhang, bleibt die geschilderte Zombifizierung, die Denunziation der Eliten, kombiniert mit Paranoia, Hysterie, Fremdenhass und Anti- Rationalität, verbreitet durch YouTube- Welterklärer, Blogger, Facebook, Bots unter Steuerung russischer Sender und Programmierer, eine bizarre politische Einflussnahme, die das demokratische und politische System durchaus erfolgreich unterminiert. Die behauptete totale moralische Korruption der politischen und gesellschaftlichen Eliten stärkt die Strongmen, wie sie in den USA, Russland, Philippinen, Polen, Ungarn und anderswo aufkommen, die abrechnen wollen mit der liberalen und intellektuellen Ära. Die Unterstellungen gehen Hand in Hand mit der virulenten Sorge vor Überfremdung durch Migration, die „zu einer Renationalisierung der Politik und zu einer Wiederauferstehung der Ost- West- Spaltung“ (18) geführt hat, auch innerhalb Europas. Die Vorstellung, der Export des demokratischen Systems werde wie von selbst durch die implizite Rationalität, den freien Handel und die Menschenrechte weiter voranschreiten, ist zusammengebrochen- ein „Kollateralschaden der Migrationskrise“ (19), aber auch ein Problem der Legitimität des kapitalistischen Liberalismus, der durch seine immanenten Widersprüche die momentan zu beobachtende globale „Revolte gegen die Heuchelei der liberalen Elite“ (20) erst möglich gemacht hat. Die Reaktionäre und Strongmen benötigen keine Legitimation, sie nehmen sie sich und schaffen ihre politischen Gegner aus dem Weg- oder erzeugen, wie der Trumpismus, eine hitzige Nebelwand permanenter Erregung und Eskalation. In diesen wirren Zeiten gewinnt selbst das chinesische Modell, den Liberalismus punktuell rein wirtschaftlich zu interpretieren, an Gewicht:

Die chinesischen Denkfabriken untermauern den neuerdings immer deutlicher artikulierten Führungsanspruch Pekings mit seiner Fähigkeit, Ideen, Konflikte und Unterschiede jeglicher Art zu neutralisieren und einzubinden. Xis Formel von der „Chinesischen Lösung“ etwa interpretierte „Qiushi“, das Theoriemagazin der Zentralen Parteihochschule, als die Kunst, alle möglichen Widersprüche unter einen Hut zu bringen. So breche China das westliche Interpretationsmonopol auf die Moderne, ohne die Richtung der Moderne selbst in Zweifel zu ziehen.“ „Und plötzlich kann man es sich ganz gut vorstellen, wie es sein wird, wenn sich die Gewichte der Welt verschieben. Es könnte sein, dass das nach-westliche Zeitalter erst mal fast genauso aussehen wird wie das westliche – nur dass dieser Westen mit seinem Universalismus sich dann nicht mehr selbst gehört, sondern einem anderen größeren Ganzen eingegliedert ist.“ (21)

Die gesellschaftlichen Modelle sind in Bewegung geraten, wobei sich neue Koalitionen, Argumente, aber auch Waffen heraus bilden- Waffen, zu denen die Gerüchtestreuung übelster Art durch die sozialen Netzwerke gehören, um den illiberalen, hemmungslosen Ideologen zu dienen. Nach Putin, Trump, Erdogan, Orban ist zu erwarten, dass die demokratische Kultur einer langen und gefährlichen Prüfung ausgesetzt ist und sein wird. Es wird nicht hilfreich sein, der Eskalationsspirale der virtuellen Erregungen zu folgen, da Chaotisierung und emotionale Zuspitzung der öffentlichen Meinung zum Handwerkzeug der Demagogen gehören und die Sehnsucht nach Strongmen anfacht. Dass Fake- News, Mythologien, Dämonisierungen wie die denunzierende Kampagne gegen die politischen Eliten sachlich widerlegt und entlarvt werden müssen, ist dennoch selbstverständlich. Es bleibt zu hoffen, dass eine immer stärkere und reifere Öffentlichkeit einen reifen Umgang mit den schmuddeligen und manipulativen Kampagnen erwirbt.


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1  http://www.spiegel.de/netzwelt/web/sascha-lobo-ueber-politiker-tweets-im-wahlkampf-schlammschlacht-ohne-schlamm-a-1165256.html
2 http://www.faz.net/aktuell/politik/bundestagswahl/afd-alexander-gauland-traeumt-von-entsorgung-aydan-oezoguz-15171141.html
3 https://de.wikipedia.org/wiki/Pizzagate
4 https://www.infowars.com/
5 https://deutsch.rt.com/nordamerika/43487-pizzagate-halt-netz-in-atem-podesta-clinton/
6 https://www.youtube.com/watch?v=fvUKqncUdS0
7 http://www.faz.net/aktuell/politik/trumps-praesidentschaft/trumps-chefstratege-steve-bannon-usa-im-handelskrieg-mit-china-15173286.html
8 https://www.amazon.de/Schwarzbuch-Anthroposophie-Steiners-okkult-rassistische-Weltanschauung/dp/3800036517 Michael und Guido Grandt, Schwarzbuch Anthroposophie: Rudolf Steiners okkult-rassistische Weltanschauung
9 http://www.guidograndt.de/2016/11/22/niemand-schuetzt-unsere-kinder-vor-diesen-bestien-hochrangige-paedokriminelle-netzwerke-satanismus-kannibalismus-morde/
10 http://www.epochtimes.de/politik/welt/ex-banker-packt-aus-ueber-hochfinanz-geheimdienste-und-satanistische-kindermorde-video-a2117773.html
11 http://www.epochtimes.de/feuilleton/menschen/xavier-naidoo-ein-nazi-so-fiel-der-spiegel-ueber-montagsdemo-unterstuetzer-xavier-naidoo-her-video-a1176745.html
12 http://www.holger-niederhausen.de/aufsaetze-und-mehr/aufsaetze/aufsaetze/2017/2017-08-26-missbrauch/
13 http://mikeondoor-news.de/category/partnersuche/
14 http://mikeondoor-news.de/clintons-trump-teil-eines-rituellen-paedophilennetzwerkes-nur-fuer-starke-nerven/
15 http://mikeondoor-news.de/amthor-art/
16 https://de.wikipedia.org/wiki/Rituelle_Gewalt
17 https://de.wikipedia.org/wiki/Michael_Dietmar_Eschner
18 Ivan Krastev, Europadämmerung. Ein Essay, Berlin 2017, S. 54
19 Krastev, S. 46
20 Krastev, S. 32
21 „Der Beginn des chinesischen Zeitalters“ von Mark Siemons FAZ 30.08.2017


Bernhard Albrecht Hartmann: Den Willen dynamisieren

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Unter den Flügeln der Nike von Samothrake (7)


„Das, was den Gegenstand schwer verständlich macht ist … nicht, dass irgendeine besondere Instruktion … zu seinem Verständnis erforderlich wäre, sondern der Gegensatz zwischen dem Verstehen des Gegenstandes und dem, was die meisten Menschen sehen wollen. Dadurch kann gerade das Naheliegendste am allerschwersten verstanden werden. Nicht eine Schwierigkeit des Verstandes, sondern des Willens ist zu überwinden.“(1)
Ludwig Wittgenstein

Einige Anmerkungen zu Inhalt und Umkreis des Vorwortes von Eckhart Förster im Band 2 der SKA



Eckhart Förster spricht in seinem Vorwort zu Steiner Kritischen Ausgabe Band 2 etwas aus, das nach meiner Kenntnis vor ihm noch niemand aus dem Umkreis der universitären Wissenschaft so benannt hat. „Ohne den bereitwilligen Versuch, ein solches sich selbst erzeugendes Denken im Sinne Steiners selbst auszubilden, wird sich über dessen Wirklichkeit nichts   entscheiden lassen (2).“

Damit sind aus meiner Sicht, unabhängig davon in welchem Umfang und auf welche Weise es zu solchen Selbstversuchen kommt, bzw. bereits vorhandene Ansätze dazu einer akademisch wissenschaftlichen Würdigung unterzogen werden nicht wenige Auseinandersetzungen zu erwarten. Die Selbstbindung des abstrakten Denkens ist nämlich nicht so einfach aufzulösen. Und das betrifft keineswegs alleine die  akademische Wissenschaft, sondern auch und nicht weniger „anthroposophische“ Kreise und deren  Umgang mit dem Denken. Unbefangen angeschaut scheint es mir bei der Selbstanalyse des abstrakten Denkens primär um eine Vorstellungs-Befangenheit, um nicht zu sagen Vorstellungs-Blindheit bezüglich des Willens und der Art und Weise seiner Entwicklung  innerhalb des je eigenen Denkens zu gehen.

Ob der >Spielball< von Eckhart Förster aufgegriffen wird, ist in meinen Augen weniger an eine noch weiter anhaltende Vorurteilslage in Bezug auf Rudolf Steiner gebunden, als vielmehr an das methodische Paradigma des Umgangs mit dem Denken in wissenschaftlichen, wie auch in anthroposophischen Zusammenhängen und von da her bis in die Alltagswelt hinein. „Das unbeobachtete Element unseres gewöhnlichen Geisteslebens“ (3) scheint heute noch mehr dem Beobachten entschwunden zu sein als zu Lebzeiten von Rudolf Steiner. Auf die Spitze hin formuliert bedeutet das in meinen Augen, das Denken hat sich in der Abstraktheit seiner Begriffe möglicherweise etwas zu weit selbst verloren.

Von daher sind die Hemmnisse das eigene Denken gewissermassen in seiner grundständigen Ausrichtung umstellen zu müssen, um es auf eine Ebene des sich selbst Erfahren zu führen, erheblich. Es entspricht der Art und Weise einer langen Wissenschaftstradition, dass das Denken nach aussen gerichtet wird. Das aber führt dazu, dass im Interesse einer Objektivierung eines von sich selbst absehenden Denkens, dieses abstrahierende Denken vorrangig die dunklen Flecken im Denken des jeweiligen Gegenübers sucht und von dort her untersucht.

Ein allem Sprechen vorauseilender, bzw. dieses begleitend, erlebender Bezug zum eigenen Denken und seinen Schattenspielen scheint auf Grund der Abstraktheit desselben immer schwerer erreichbar zu sein. Und das bedeutet, so der Anschein, eine Betrachtung des eigenen Denkens in Bezug auf die Wesensebene des Wortes, mit dem umgegangen wird, ist immer schwerer innerlich zu bewerkstelligen. Ein Abgrund tut sich auf und zwischen den Worten, den miteinander sprechenden Menschen, breitet sich unscheinbar das Absurde in willkürlichen Faktizität-Ansprüchen aus.
Von der Wesensebene des Wortes zu sprechen erscheint im heutigen Wissenschaftsumkreis gewagt zu sein. Das abstrakte Wort gilt als das allein Objektive, das wissenschaftliche Untersuchungen begleiten kann und darf. Anders könne Wissenschaftlichkeit nicht gewährleistet werden.

Wenn ich danach Ausschau halte, diesen Umstand verstehend zu verorten, so denke ich dabei an Kant. An Kant und sein Ansinnen „der Philosophie erstmalig den Status einer Wissenschaft zu verschaffen (4).“ Dazu wie nebenbei angemerkt: Auch Rudolf Steiner wollte nichts weniger als das. Er suchte die Geisteswissenschaft in einem durch sich selbst erfahrbaren Denken zu gründen und - scheiterte wie Kant.

Diese Art der Gegenüberstellung mag den einen oder anderen Denker irritieren, ihm vielleicht sogar unzulässig erscheinen. Ich denke hier jedoch: Können wir nicht wenigstens für einige Augenblicke versuchen von der ritualisierten Denkweise des üblichen Wissenschaftsdenkens Abstand zu nehmen, sowie einer sich vor sich selbst verschleiernden anthroposophischen Exegeten Denkweise in Bezug auf Rudolf Steiner? Und wollen wir nicht wenigstens versuchen wie von einem Aussenstandpunkt unbefangen diesen möglichen Tatbestand betrachten? Geben wir uns doch den Freiraum zu einem tastenden Betrachtung und Überschau zu gelangen ohne die Angst damit sogleich bisher uns geltende Grenzen zu überschreiten, bzw. uns aus gutem Grund geltende Prinzipien und Treue Haltungen zum Wanken zu bringen oder sie gar zu verraten. Sind Kant und Steiner in ihrem jeweiligen Ansinnen gescheitert? Sich Fragen zu stellen, ohne damit beidseitig ein vermeintliches Sakrileg zu verletzen?

Für Kant, den Begründer der klassischen Transzendentalen Philosophie, war das Ich eine bloss logisch formale Identitätsbestimmung der Vernunft. Es bezeichnete den Gedanken eines Gegenstand konstituierenden Bewusstseins vor jeder Erfahrung, mithin die formale Struktur, welche eine vernünftige Ordnung der Welt mittels des Denkens grundständig überhaupt erst ermöglichen sollte. Dieses Ich war auf Logik gebaut, nicht auf Anschauung, nicht auf erfahrungsbasiertem Wissen und schon garnicht auf Bewusstsein-Gegenwärtigkeit im inneren Tun. Es war und ist nach wie vor ein abstrakter Quellcode der Denkmöglichkeit. Für Kant blieb das Denken damit ein letztlich ungelöstes Koan.

Dem gegenüber suchte Steiner mit seiner Philosophie der Freiheit und den beiden Grundschriften, die dieser vorausgingen umrisshaft einen Weg zu eröffnen, die Abstraktheit zu überwinden, in die Kant das Denken noch kleiden musste, weil er „Erfahrung“ nicht anders als zeitbedingt nach aussen gerichtet denkend verstehen konnte. Er veranlagte die Philosophie der Freiheit als einen Willensweg, der im inneren Nachvollzug dieses Gedankenweges, wie in darüber hinausgehenden eigenen Untersuchungen - die Willensbewegung, konsequent immer wieder aufgenommen und verfolgt - das Denken nur immer deutlicher in die eigene innere anschauende Erfahrung erheben kann. Denkwille als selbstinduzierte Setzung des Ich im Denkblick (5).

Eckhart Förster hat in seinem Vorwort unversehens eine Türe aufgestossen und damit unübersehbar ein weites, wie gleicherweise hoch komplexes Forschungsfeld eröffnet. Wird dieser  >Spielball< tiefer gehend aufgenommen, so sind zweifelsohne mannigfaltige Kontroversen zu erwarten. In einem bisher eher marginal betriebenen Umgang mit den wesentlichen Intentionen Rudolf Steiners in der wissenschaftlichen Auseinandersetzung könnte das zu einer langsamen Kehrtwende führen. Eckhart Förster hat mit leisen Tönen einen „bereitwilligen Versuch, (von Seiten der Wissenschaft sachlich angemahnt) ein … selbst erzeugendes Denken … selbst auszubilden.“

So wie aussen, so auch innen, gewissermassen als notwendige Fortsetzung und Ergänzung einer vor langer Zeit begonnenen Aufklärung, an der Kant einen grossen Anteil hat, was bedeutet die nach aussen hin gerichtete geschärfte Beobachtungskraft umzukehren auf eine nach innen hin nicht weniger differenziert auszubildende Beobachtungsfähigkeit. Wird diesbezüglich der Forderung Kants gefolgt alles auf Erfahrung zu gründen hiesse das, den Denkwegen nicht nur abstrakt zu folgen, sondern eine die Abstraktion durchdringende Reflexionsfähigkeit, zu einer dynamischen Beobachtung innerer Willensprozesse hin zu erweitern, … wenigstens für den, der wagt versuchsweise gewohnte Bahnen zu verlassen und „Selbstkritik“  über das bisherige Mass hinaus auf sein eigenes Tun hin grenzöffnend zuzulassen.

Eckhart Förster scheint mit seinem vorsichtigen Herantasten an das Wie des Denkens Rudolf Steiners über eigene Selbstversuche zur Selbstvergewisserung eines sich selbst erzeugenden Denkens zu gelangen, jenseits  von Polemiken das Forschungsvorhaben Rudolf Steiners, wie dieser es in seinem Untertitel zu seiner Philosophie der Freiheit: „Seelische Beobachtungsresultate  n a c h  naturwissenschaftlicher Methode“ sich selber und der Nachwelt als >Forschungsprojekt< vor Augen gesetzt hat, für die universitäre Forschung gewissermassen aus dem Dornröschenschlaf zu wecken.
Das bedeutet, so ich das „als ein Nachgeborener“ ernst nehme, sich, wie ein Fremder (6) und wie von aussen aufgefordert zu sehen, in ein derartiges Forschungsprojekt erlebend hineinzustellen. Ich sagte es ja schon, es sind Fragen zu stellen, Fragen, Fragen und noch einmal Fragen. Und ich sehe das wirklich ganz konkret so. Wer sich davor scheut, im Angesicht bestimmter Gedanken, nicht immer und immer wieder sich einmal die Augen zu reiben, um den Blick wie durch die Nebel eigener Vorstellungen hindurch bringen zu können, ihn von darüber abgelagerten Spinnweben zu befreien, der wird den eigenen Willen nicht dynamisieren können.

Fragen sind nämlich wie Keime, aus denen dynamisierte Willenskraft wachsen kann. Und dies wiederum macht es dort, wo Kant und Rudolf Steiner und andere auf ihren Wegen in ein zu erweiterndes Bewusstsein hinein Fragen ausgestreut, bzw. offen gelassen haben, diese überhaupt erst zu sehen, damit ich als Nachfahre sie mutig aufgreife, sie in mir weiter entwickle, anstatt mich hinter Kant und Steiner mit dem Finger einer ritualisierten Deutungshoheit in Vorstellungen zu verstecken. Es bedeutet „den Prinzen in sich“ auf die Reise zu schicken durch die Dornen-Landschaften eigener Vorstellungsverstrickungen und in damit einher gehender wachsender eigener Willenskraft die jungfräulich weibliche Weisheitskraft  Dornröschens in der eigenen Seele zu erwecken.
Unter einem anderen Blickwinkel gesagt bedeutet es, es wird von Kant her gesehen keine „erstmalig wirklich wahrheitsfähige Philosophie“ geben und durch sie zu einer Kulmination im Denken kommen, wenn Kants Erfahrungsbegriff nicht auf von ihm gesetzte Ausschlüsse von Erfahrung hin tiefer untersucht wird. In meinen Augen ist Kants Projekt einer „erstmaligen Philosophie“ in den Anfängen hängen geblieben und - weiter virulent einer Lösung harrend. Dass die Welt einen erweiterten inneren Erfahrungszugang zum Denken braucht kann heute noch mehr als zu Kants Zeiten einem jeden sichtbar werden, der bereit ist an ihn letztlich nur selbst schützenden Scheuklappen innerlich zu rütteln.

Ich will es einmal so anschauen, Kant hat durch seine Art der Begriffsmeditation in seinem Werk  eine nicht hoch genug zu schätzende Vorarbeit auf die noch ungeborene „erstmalige Philosophie“ (6) geleistet, die nach dem bahnbrechenden Werk von Eckhart Förster in ihrer Art noch weiter wissenschaftlich heraus zu arbeiten wäre. Er hat und musste in evolutionärer Folgerichtigkeit die Begriffe in seiner  Transzendental-Philosophie um des Erringen der  Freiheit im Selbstbewusstsein willen (seelisch beobachtet im Sinne Rudolf Steiners) in eine Art innere Lähmung versetzen. Die Abstraktion als Kunstgriff, um das Denken vor den Gefahren der Selbstillusion zu schützen, um ein durch sich selbst zu stabilisierendes Selbstbewusstsein hervorbringen zu können. Sollte „diese erstmalige Philosophie“ einmal tatsächlich in Erscheinung treten, dann wäre das der grosse zu würdigende Beitrag Kants.

Die Abstraktion als verdichtete Kraftgebärde eines im eigenen Bewusstsein zu umfassenden und zu lenkenden Denkblicks. Die Abstraktion als innerer Kraft-Umkehrpunkt in das Erfahren eigener Willensdynamik hinein. Die Abstraktion als Übergang  vom Stehen in der Kraft (Ver-Stand) in die immer bewusstere Teilhabe mit den Kräftebewegungen dieser Welt auf unterschiedlichen Bewusstseinsebenen. Die Abstraktion aber auch als fortlaufend tiefer um sich greifendes Gefahrenmoment einer unterschwelliger Angst den Boden unter den Füssen zu verlieren und sich in einem substanzlosen Nichts zu verlieren. Die Abstraktion, weil nicht bewältigt - in ihrer Kraftgebärde erfahrend erschlossen - als subjektseitige Abwehrfalle sich in eigenen Vorstellungswelten und damit einher gehenden Wirklichkeitsverschleierungen wechselnd abzukapseln oder zu verlieren. Die Abstraktion, „bildhaft,“ als Schwellengebirge vor dem möglichen Übergang in ein Bewusstsein, das diesen Namen verdient, weil selbsttätig erzeugt, bzw. hervorgebracht.

Damit berühren diese Ausführungen unausweichlich ein in meinen Augen hoch problematisches Selbstverständnis bestimmter anthroposophischer Kreise in ihrem Verhältnis zu Rudolf Steiner. Kann ein „Überhöhen“ der Persönlichkeit Rudolf Steiners hilfreich sein für die vertiefende Entwicklung seiner Intentionen? Kann ein indirekt gläubiges Aufschauen zu seiner Person ein selbsttätiges Denken wirklich unterstützen und voranbringen? Ist es so, dass Menschen, die sich dem Werk dieses Mannes zugeneigt sehen tatsächlich seinem Namen verbunden bleiben - im Sinne der Aussage Rudolf Steiners, dass sein Werk nicht von seinem Namen getrennt werden dürfe? Gibt es eine Art des Umgangs mit dem Werk Rudolf Steiners, die nicht mit seinem Namen kompatibel wäre und demgemäss zu einer Trennung des Namens Rudolf Steiners von seinem Werk führen könnte? Wer befindet über eine Verbindung/Trennung von Werk und Namen oder geschieht das in einem Prozess unscheinbar fliessend - wie nebenbei - und liegt damit in der Verantwortung eines jeden Einzelnen sich dessen bewusst zu werden und gegebenenfalls gegensteuernd darauf Einfluss zu nehmen?
Kurz zusammengefasst, hat die eigene Art mit diesem Werk zu arbeiten Einfluss auf diesen Prozess? Was ist das Kernstück von Rudolf Steiners Werkschaffen? … Das Denken selbsttätig hervorbringen zu lernen. … Wenn dem so ist, welche Konsequenzen leiten sich von daher für jeden Einzelnen ab, der sich Rudolf Steiner zugeneigt erlebt?

Das eigene Arbeiten auf ein selbsttätiges Denken hin auszurichten und zu vertiefen, um die Verbindung von Rudolf Steiners Werk mit seinem Namen zu stützen  —  wenn ich genau hinschaue, ist hier nichts in Stein gemeisselt.
Am Anfang eines Selbsttätigen Denkens und dem aus diesem hervorgehenden sich dynamisierenden Willen steht in meinen Augen die Selbstkritik. Sie öffnet aus meiner Erfahrung heraus die Quellen eigener selbsttätiger Kraft und fördert das innere Überschauen-Können und dynamische Erfassen, Durchdringen und gebändigte Integrieren von Willensprozessen im Hinblick auf eine über das Verstandesdenken hinaus reichende Bewusstheit.

Den Willen dynamisieren II

„Am Wegesrand steht eine Rose. Welch schöne Rose! Wir stellen es fest und gehen weiter.
Wir haben verlernt zu verweilen. Doch nur im horchenden Verweilen kann uns das Zeitlose 
in der Zeit, das WESEN begegnen, das in und jenseits der Rose und aller Dinge ist.“ (7)

Karlfried Graf Dürckheim


Am Anfang eines Selbsttätigen Denkens und dem aus diesem hervorgehenden sich dynamisierenden Willen steht in meinen Augen die Selbstkritik. Sie öffnet aus meiner Erfahrung heraus die Quellen eigener selbsttätiger Kraft und fördert das innere Überschauen-Können und dynamische Erfassen, Durchdringen und gebändigte Integrieren von Willensprozessen im Hinblick auf eine über das Verstandesdenken hinaus reichende Bewusstheit.
Demzufolge ist Kritik über andere Menschen auszuschütten ohne eine vorauseilende, mindestens aber parallel einzubindende Selbstkritik, wie gleicherweise grundständige Wertschätzung des fremden Denken kontraproduktiv. Ohne echte Teilhabe am wechselseitig fremden Denken ist eine konstruktive Fortführung von Denkansätzen im Felde auszutauschender seelischer Beobachtungen nicht möglich. Der Sturz in die Dualität folgt auf dem Fuss und lässt damit  allzu schnell ein Kampffeld entstehen, auf dem quasi mit Rammböcken aufgefahrene wechselseitig vorgebrachte Vorstellungen über den jeweils anderen Menschen Nebelgefechte nach sich ziehen, anstatt dass sie auf einem Weg der Verständigung bestrebt sind an gemeinsamen Problemlösungen - also weniger gegeneinander als vermehrt miteinander - zu arbeiten.

Die Spannungsverhältnisse, die dabei im eigenen Innenleben auftreten können sind nicht zu unterschätzen. Bei der Erweiterung des Erfahrungsraumes von einer klassisch naturwissenschaftlichen Betrachtungsweise - mit dem beigeordneten wissenschaftlichen Verständnis Erfahrung sei aussenbezogen zu bearbeiten und nur so wissenschaftlich anzuerkennen - um Bewusstseins-Erfahrungsräume, die seelisch beobachtbar sein sollen, müssen verstandesgeleitete Vorstellungskomplexe in Abwehrfront gehen. Dies ist eine natürliche Reaktion auf ein unterschwelliges Erfahren der Boden unter den eigenen Füssen entzieht sich mir hier und jetzt leise. Dieses Erfahren öffnet, was … übersehen werden kann, den Horizont auf die eigentliche Frage nach dem michaelischen Mut, der aus dem Erfahren dieser Schwellensituation allein zu entfalten ist.
Konnte bei Erscheinen der Philosophie der Freiheit der Untertitel dieses Buches auf die damalige Wissenschaftswelt noch wie ein Giftpfeil wirken, der nichts anderes als ein Ablehnen von Rudolf Steiners Ansinnens nach sich ziehen musste und zwar eine von der Sache her im Wesentlichen ungeprüftes Abweisen der tatsächlich von ihm vorgebrachten wissenschaftlichen Intention. Mit dieser Haltung wurde nicht einmal in Erwägung gezogen seine Grundaussagen gewissermassen als Hypothesen in wissenschaftlich Untersuchungen versuchsweise näher zu treten, was doch eigentlich zum Grundinventar wissenschaftlicher Auseinandersetzung gehört. Das zeigt nur, dass sie nicht wirklich verstanden wurden, bzw. welche grosse innere Hürde das abstrakte Denken samt seinem Selbstverständnis darstellt, das einem Verstehen von Rudolf Steiners wissenschaftlicher Intention im Wege zu stehen scheint. Womit wir wieder bei dem leisen, zu Beginn dieses Beitrags bereits angeführten, Anmahnen Eckhart Försters wären: „Ohne den bereitwilligen Versuch, ein solches sich selbst erzeugendes Denken im Sinne Steiners selbst auszubilden, wird sich über dessen Wirklichkeit nichts entscheiden lassen.

Der Tatbestand von heute ist nun der, dass sich in den letzten einhundert Jahren das abstrakte wissenschaftliche Denken sogar noch weiter verstärkt hat. Der praktische Problem-Lösungsdruck, der in Folge dieser Art zu denken sich immer deutlicher einstellt, weil allem Anschein nach in vielen Bereichen Probleme vermehrt nur noch verschoben oder zugedeckt werden können, wird im Tagesgeschäft von Mainstream Verlautbarungen, hinter vielfältigen Expertenäusserungen für den, der tiefer hinein hört dabei immer wieder deutlich. Kurz gesagt, es lässt sich nicht mehr verbergen und das erzeugt im sozialen Raum lähmende, wie gleicherweise eruptive Prozesse aus, die immer weniger zur Seite gewischt werden können.

Der Eindruck, das wissenschaftliche Denken könnte sich heute in einer selbst erzeugten Abstraktionsfalle verfangen haben, folge ich diesbezüglich etwa den Denkwegen von Thomas Nagel in seinem Buch: „Geist und Kosmos“ (8) oder dem Aufsatz von Holm Tetens: „Der Naturalismus, das metaphysische Vorurteil unserer Zeit?“ (9) ist aus meiner Sicht nicht mehr so einfach von der Hand zu weisen. Es wäre aber grundfalsch vor diesem Hintergrund sagen zu wollen, die Philosophie der Freiheit Rudolf Steiners böte die Lösung für das bezeichnete Problem heutigen wissenschaftlichen Denkens.
Rudolf Steiner hat mit diesem Buch seinen eigenen Denkweg nachgezeichnet und damit auf eine „grundständig zu verändernde Haltung,“ auf eine gegenüber dem abstrakten Denken deutlich auf Erfahrung oder innere Anschauung der dabei sich vollziehenden Prozesse verwiesen. Die Art und Weise des sich im Denken Bewegen ist nicht weniger von Bedeutung als die Gegenstände des Denkens, bzw. die sie der Möglichkeit nach ausdeutenden Begriffe. Er hat für die Wirkgeschichte dieses Buches einen Rahmen von 500 Jahren benannt, wohl wissend, dass sich der von ihm ansatzweise beschriebene Umgang mit dem Denken eine lange Zeit brauchen würde sich zu entwickeln.

Zudem ist es ein Dilemma von Pionieren im Allgemeinen und hier in Sonderheit von Rudolf Steiner, dass er den gesamten Umfang des von ihm mit seiner Philosophie der Freiheit neu betretenen Forschungsfeldes nicht von Anfang an auch nur annähernd umfassend beschreibend dokumentieren konnte. Pioniere auf einem derartig komplexen Forschungsfeld sind auf Nachfolger angewiesen, die bereit sind  sich ihrerseits auf einen inneren Forschungsweg zu begeben, den Weg ein „sich selbst erzeugendes Denkens auszubilden“ und dieses in Folge dann tiefer zu untersuchen.
Leider greift Christian Clement diesen Aspekt in seiner Einleitung zu SKA Band 2 nicht wirklich auf. Er umkreist skizzenhaft die Denkwege Rudolf Steiners von den verschiedensten Seiten her ohne auf dessen methodischen Ansatz der seelischen Beobachtung kritisch einzugehen und verbleibt so - im Wesentlichen - in einer  philologischen Textdokumentation. Was eine eigene Thesen und Hypothesenbildung in Bezug auf die wissenschaftliche Auseinandersetzung mit Rudolf Steiner betrifft, darin hält er sich bedeckt. In meinen Augen hätte es seine Arbeit die Grundschriften Rudolf Steiners kritisch editiert herauszugeben gut vertragen wenigstens ansatzweise hinweisend deutlich zu machen, unter welchen Gesichtspunkten eine wissenschaftliche Auseinandersetzung mit Rudolf Steiner heute tiefer greifend beginnen könnte, wie sie angesichts der gegenwärtigen Befindlichkeit des Denkens in Wissenschaft und gesellschaftlichen Zusammenhängen verschiedenster Art in meinen Augen mehr als überfällig ist geführt zu werden.

So bleibt er bedauerlicherweise hinter dem oben genannten leisen, aber nichts desto trotz mutigen Hinweis  Eckhart Försters zurück. Aber vielleicht kann sich Eckhart Förster nach seiner Arbeit über die 25 Jahre der Philosophie (10) in einer weiter gehenden Betrachtung dazu aufgefordert sehen zukünftig den wissenschaftlichen Dialog mit Rudolf Steiner von seiner Seite vertiefend aufzugreifen. Es könnte sich als fruchtbar herausstellen den von Kant so benannten „Beginn der Philosophie“ innerhalb dessen philosophischer Erörterungen dahingehend erneut und weitergehend ins Auge zu fassen, dass eben diesen Beginn bei Kant Rudolf Steiner in seiner Philosophie der Freiheit erneut aufgegriffen hat. Weiter könnte zu Tage treten, dass Rudolf Steiner mit dieser „ersten Skizze“ ein bis dahin nicht ins Auge gefasstes, ein auf diese Ausgangslage hin zu erweiterndes Forschungsfeld zur weiteren Bearbeitung eröffnet und der Wissenschaft hinterlassen hat. Ein Forschungsfeld, das nicht nur das „Was,“ sondern gleicherweise das „Wie“ des Denkens ins Auge zu nehmen hätte - gewissermassen als einen Versuch eine über das abstrakte Denken hinausreichende erweiterte innere Haltung und daraus hervorgehend innere Anschauung in Bezug auf den Umgang mit dem eigenen Denken zu dokumentieren.

Gewiss, ein Verständnis von der Methode der seelischen Beobachtung, wie sie Rudolf Steiner nicht nur im Untertitel, sondern durchweg untergründig seiner ganzen Philosophie der Freiheit in meinen Augen dynamisch unterlegt ist nicht so ganz einfach heraus zu arbeiten, denn Rudolf Steiner beschreibt diese Methode selber nicht direkt, d.h. als eine gleichsam kopierbare Konstrukt-Schablone. Er geht in seiner Philosophie der Freiheit einen Weg und der fragend offene Nachvollzug dieses Weges erhellt schrittweise die zu Grunde liegende Methode der seelischen Beobachtung. Genau so wie das Befragen eigener Gedankenwege, samt ihren individuell sehr unterschiedlich zugreifenden und zu bändigenden inneren Wirkfaktoren in einem fortgeschritteneren Stadium vertiefter Selbstkritik zu immer klareren Begriffen, sprich einer inneren Anschauung derselben im Denken führt.
Mit dieser Anschauung geht ein wachsendes Erfahren der inneren Bewegungen des Denkens im Umgang mit Begriffen einher. Was Wille ist erhellt sich auf eine gänzlich neue Weise. Es kann sich aus meiner Sicht darüber hinaus auch die Möglichkeit des Zugriffs auf die innere Erfahrung eines subjektfreien Denkens über den Denkblick einstellen, der im Zuge eines dynamischen, durch Selbstkritik befreiten eigenen Denkens gleichsam als Steuerorgan der Denkprozesse in Erscheinung tritt.

Zu erwarten ist in meinen Augen, dass alles, wirklich alles zukünftig auf eigene Erfahrungen im Denken gegründet werden kann und von daher wissenschaftlich zu erforschen sein wird. Und das bedeutet auch, dass nicht wie noch vor 100 Jahren weiter hilfsweise „von einer übersinnlichen Welt gesprochen werden muss,“ da diese als Kraftgestalt im eigenen Denken wirksam anwesend so lange schlummert, bis das Denken sich dynamisch weit genug entfaltet hat, dass sie einsehbar wird. Nichts mehr ist und bleibt okkult, alles tritt unmittelbar und nondual im eigenen Denken zu seiner Zeit in Erscheinung, sofern der Wille im eigenen Denken dahingehend aktiviert werden kann und bewegt in Bewegung eine neue Dimension des Seins sich öffnet.

Auf Aristoteles geht die Peripatetik, zumindest in der stringenten Anwendung derselben zurück, Denken und Sprechen im Schreiten, Denken und Sprechen in und aus der Bewegung hervor. Von was sprach Aristoteles also, wenn er in seinen Vorlesungen denkend und sprechend vor seinen Schülern auf- und abschritt? Er erzählte ihnen von seinem inneren Forschen in eben diesem Augenblick, während er zu ihnen sprach? Wer sich auf Selbstversuche die Peripatetik  innerlich auszuforschen einlässt, der kann entdecken, dass er mit etwas Übung seine Gedanken immer flüssiger aus dem Augenblick schreitend lernt zu entwickeln und ein vorgefertigtes Sprechkonzept auf diese Weise hinter sich lassen kann. Die praktische Peripatetik führt das Denken in seine Gegenwärtigkeit, begleitet es an die Grenzen des Wissens und insofern es willensdynamisch aktiviert wird über diese hinaus.

Aristoteles berichtete seinen Schülern also von seinem inneren Grenzgang entlang des Nichtwissens; mit den Worten des Sokrates, wie sie von Platon übermittelt wurden von seiner Art des: „Ich weiss, dass ich nicht weiss.“ Aristoteles schritt, wenn er sprach demzufolge entlang des Ursprungs im Denken, vermittelte die Ursprünglichkeit der Bewegung im Denken und was von daher in Erscheinung treten kann.
Er erzählte ihnen, dass „er“ sie nichts lehren könne. Nur aufzeigen, was von ihnen gefunden werden könne, das sei ihm möglich, wenn sie ihrerseits, wie er an die Grenzen des „ich weiss, dass ich nicht weiss,“ sich vorwagten. Im Zusammenschluss mit der stetig fliessenden Bewegung des Denkens würde von daher erfahrbar werden, was in diesem ihren ureigenen forschenden biographischen Augenblick zu erfahren möglich sei. Das sei das innere Geheimnis des „Aktus,“ in dessen Umfeld er so einiges forschend einer ersten Klärung zugeführt habe. Er könne ihnen nur die von ihm weiter entwickelte Fragetechnik des Sokrates ans Herz legen und sie ermuntern in Selbstversuchen niemals in einem über ihn hinaus gehenden Erforschen innerer Bewegungen nachzulassen. Der Wille dürfe unter keinen Umständen vom Denken getrennt werden.

Der Wille wird als Bewegung erst in dem Masse greifbar, wie eine unmittelbare Annäherung an ein „Erleben“ des „ich weiss, dass ich nicht weiss“ tatsächlich erfolgt. Eine Vorstellung vom Inhalt dieser Aussage, selbst so etwas wie eine Art Empfindung davon, das lehrt die Erfahrung im vertieften Ringen um Annäherung an die Tatsächlichkeit des "ich weiss, dass ich nicht weiss“ sind nicht selbsterklärend. Das Denken als Bewegung, als Willensstrom, wird erst in diesen Grenzbereichen, wenn Grenzen sich auflösen und der Forschende dennoch weitergeht wirklich erfahrbar und ist in der Isolierung, dem fliessenden immer neuen Fokussieren auf nichts als den Willen hin, gelinde gesagt, nicht einfach zu verarbeiten.
Wer sich hierher vorwagt, der weiss aus eigenem Erfahren, dass er Katarakt artige innere Erfahrungs-Abbrüche wie auch unvermittelte Stürze zu überwinden und zu verdauen hat. Die fliessende Bewegung ist eine Erfahrungsweise, die blinde Flecken in dem solchermassen Erfahrung Suchenden sehr schmerzhaft sichtbar machen. Entsprechend stark umdrängen Ego-Spiele dieses Klärungsfeld um eine tatsächliche Begegnung und innere Verbindung im Denken mit dem zum jeweiligen Forschungsaspekt gehörenden Willensanteilen.

Einen modernen Vertreter und ausgezeichneten Logiker, der in meinen Augen auf eine hintergründig keimhafte Art und Weise über die Kimme des Abstrakten Denkens auf ein Prozesshaftes im Denken hinzuschauen scheint (siehe unten unter 1.1 … Gesamtheit der  T a t s a c h e n,  nicht der Dinge) sehe ich in Ludwig Wittgenstein. Wenn er selbst in seiner auf strenge Form hin ausgerichteten Sprache dies auch wie verhüllt (11). In meinen Augen zeigt sich hier die alte Bruchlinie, welche die Logik schon bald nach Aristoteles immer deutlicher durchzieht - die langsame Trennung von Form und formbildender Kraft, mit anderen Worten die Trennung des Willens vom Denken. Was in der Peripatetik des Aristoteles noch präsent war, verliert sich in der Folgezeit mehr und mehr und endet schliesslich in der Abstraktion.

Dem Wortstamm nach kommt Logik von Logos. Bis zu Aristoteles hin waren die Menschen noch mehr oder weniger verbunden mit den Logos-Kräften. Heute können wir auf diese Art von Verbindung nicht mehr zugreifen. Wir müssen neue Wege suchen. Wege, die der modernen Wissenschaft zugänglich sind. Übersetze ich „Logos-Kräfte“ in moderner Sprache mit „Struktur bildende Kräfte,“ so könnte das ein Ansatz für eine zeitgerechte wissenschaftliche Forschungsinitiative sein. Herbert Witzenmann hat in dieser Richtung weisend die Skizze einer  Strukturphänomenologie (12) vorgelegt und Johannes Wagemann hat mit seiner Dissertation „Gehirn und menschliches Bewusstsein“ (13) diesen Ansatz in einer bemerkenswerten Weise wissenschaftlich bearbeitet. Leider haben beide Arbeiten in SKA 2 keinen Eingang mehr gefunden, denn sie hätten das Format an so prominenter Stelle benannt zu werden und in weiteren wissenschaftlichen Aufsätzen aufgegriffen und fortgeführt zu werden. Nicht zuletzt auch als ein Beispiel wie wissenschaftlich forschender Geist aus anthroposophischen Hintergrund heraus sich mit sich mit klassisch akademischer Wissenschaft fruchtbar verbinden lässt.
Schliessen will ich dieses Essay mit einer Anregung an die Leser den Anfang des Tractatus logico-philosophicus  einmal in einer von mir prozesshaft bearbeiteten Version zu betrachten und daran ein vielleicht sogar erstmaliges Gefühl für den Willen in der  Sprache zu entwickeln. Ich selber will mich dazu an dieser Stelle weiterer Kommentierungen enthalten:
   
     Das Original:
     1         „Die Welt ist alles, was der Fall ist.
     1.1      Die Welt ist die Gesamtheit der Tatsachen, nicht der Dinge.
     1.11    Die Welt ist durch die Tatsachen bestimmt und dadurch, dass es alle Tatsachen sind.
     1.12    Denn, die Gesamtheit der Tatsachen bestimmt, was der Fall ist und auch, was alles
                nicht der Fall ist.
     1.13    Die Tatsachen im logischen Raum sind die Welt.
     1.2      Die Welt zerfällt in Tatsachen.
     1.21    Eines kann der Fall sein oder nicht der Fall sein und alles übrige gleich bleiben.
     2         Was der Fall ist, die Tatsache, ist das Bestehen von Sachverhalten.
     2.01    Der Sachverhalt ist eine Verbindung von Gegenständen (Sachen, Dingen).
     2.011  Es ist dem Ding wesentlich, der Bestandteil eines Sachverhaltes sein zu können.
     2.012  In der Logik ist nichts zufällig: Wenn das Ding im Sachverhalt vorkommen kann, so 
                muss die Möglichkeit des Sachverhaltes im Ding bereits präjudiziert sein.
     2.013  Jedes Ding ist, gleichsam, in einem Raume möglicher Sachverhalte. Diesen Raum kann
                ich mir leer denken, nicht aber das Ding ohne den Raum.“ … (14)
   
    Meine Version:
    1          Die Welt ist alles, was im Bewusstsein in Erscheinung tritt.
    1.1       Die Welt ist die Gesamtheit der von mir tätig hervorgebrachten Tat-Sachen.
    1.11     Die Welt ist durch Tat-Sachen bestimmt, Tatsachen, die als Bewusstsein-Prozesse in 
                mir aktiviert, sich allesamt als tätig von mir hervorgebrachte Tat-Sachen zeigen..
    1.12     Denn die Gesamtheit dessen was tätig hervorgebracht bestimmt, was der Fall ist
                und auch, was nicht der Fall ist, weil nicht selbsttätig hervorgebracht.
    1.13     Die Tat-Sachen, d.h. das was der Fall ist, ist tätig hervorzubringender  
                Bewusstseinsprozess und der Ausdruck immanenten Universalien-Geschehens
                im Prozessraum des Logos der Welt.
    1.2       Die Welt zerfällt und ersteht in Tat-Sachen, im selbsttätigen Dekomponieren und
                tätigen Hervorbringen derselben in Bewusstseinsprozessen.
    1.21     Eines kann der Fall sein oder nicht der Fall sein, weil tätig hervorgebracht oder nicht            
                und alles übrige gleich bleiben, weil nicht von Bewusstsein erfasst.
    2          Was der Fall ist, die Tat-Sache, ist wie aus dieser eigentätig Sachverhalte hervorgehen.
    2.01     Der Sachverhalt ist eine Verbindung von Prozesssequenzen, die in geistigen und 
                materiellen Gegenständen Form annehmen.
   2.011  Es ist dem Ding wesentlich ein in eine spezifische Form hinein verdichteter Bestandteil,  eine Prozessgelenkte Ausrichtung eines Sachgeleiteten Bewusstseinsprozesses sein zu 
                können.
    

              
    2.012   In einer der Abstraktheit enthobenen Logik, mithin dem fliessenden Niederschlag der      
                Logos- bzw. Struktur gebenden Kräfte ist nichts zufällig. Alles ist mit allem in 
                beständigen Kräftebewegungen verbunden und in diesen als Kraftpotenz der
                Möglichkeit nach enthalten. Sachgeleitete Prozess-Ausrichtungen präjudizieren ein
                mehr oder weniger breites Spektrum von Sachverhalten, die in entsprechenden
                Formen sich als Ding ausdrücken. 
    2.013   Jedes Ding als in die Form geronnener Ausdruck einer sachgeleiteten  
                Prozessausrichtung konstituiert sich in Bewusstseinsprozessen als zumindest 
                vorübergehende Raumgebärde in bestimmten Sachverhalten. Dieser Potentialraum
                ist im Denkblick, der dynamisch seiner selbst bewussten Kraftmitte, dem
                Steuerungsorgan des Denkens erfahrend zu verorten, ist bestimmungslos und kann 
                damit in sich als leer oder reine Potenz erfahren werden. …

Ob gegen die Auffassung von Ludwig Wittgenstein (15) in der Zukunft vielleicht doch einmal davon gesprochen werden kann, der Wille könne der Träger des Ethischen sein, muss gegenwärtig in meinen Augen offen bleiben.  Ich weiss, das kann als verhaltene Kritik gedeutet werden. Hat nicht Rudolf Steiner in seiner Philosophie der Freiheit vom ethischen Individualismus gesprochen? Gewiss doch. Inwieweit dieser ethische Individualismus im Einzelfall eingelöst, eben das ist die Frage? Für mich besteht die Quintessenz der Philosophie der Freiheit, als einem Willensbuch durch und durch, darin, dass der durch dieses Buch auszulösenden Selbstkritik auch innerlich standgehalten werden kann. Wie soll das gehen? Eben dadurch, dass dieses Buch nicht inhaltsbezogen gelesen wird.  Dynamisch ist dieses Buch zu lesen, als beständiger Begleiter durch meinen Alltag, indem ich mich in selbst aktualisierten seelischen Beobachtungen herausfordere mein Tun und Lassen unter die Lupe zu nehmen, um auf diese Weise mehr tatsächlichen Kontakt zu meinem Denken zu bekommen. Das mündet dann in Folge gewissermassen in einem inneren Umstülpen des eigenen Erkenntnisverhaltens, lässt mich meine je soziale Umwelt mit anderen Augen sehen und meine Verantwortlichkeiten aus einer so geweiteten Sicht neu bestimmen. Bündig gesagt, die seelische Beobachtung als fortlaufende Alltagsübung entwickelt die Fähigkeit eines gelebten ethischen Individualismus. Mit ihm wiederum kann ich, in Verbindung mit Ludwig Wittgenstein, auf eine moderne Weise selbstbestimmt bestimmen, „was der Fall ist.

In einer Zeit der  >fake news<  und  >bad comments<, die Menschen und deren Biographien von einem Augenblick auf den anderen unter Umständen nachhaltig schädigen und sogar zerstören können, ist da eine neue Sicht auf das Denken nicht mehr als dringlich geboten? Mit was gehe ich da eigentlich um, wenn ich denke und wie steht es um meine Verantwortung, wann immer ich denke? Ist Denken etwas, das ich einfach so beiläufig und beliebig freisetzen kann oder erzeuge ich damit unter Umständen weitreichende  und schwerwiegende Wirkungen? Warum hat Rudolf Steiner so eindringlich darauf verwiesen, dass alle Vorstellungen zu verbrennen seien? Warum hat er dies zuletzt sogar damit in Verbindung gebracht, dass  den Grundstock der von Weihnachten 1923 her neu zu schaffenden Gesellschaft nur Menschen bilden könnten, die genau dies zu tun bereit seien? Alles sei mit Leben zu erfüllen, mit einem zu befreienden Willen aus ethischem Individualismus heraus. Und heute beinahe 100 Jahre danach? In meinen Augen ist Denken und Bewusstheit die alles entscheidende Frage.

Kant legt den Finger auf den Punkt, es geht um nichts weniger, als um die Willenskonfigurierung von Philosophie gegründet auf Erfahrung. In dieser Beziehung hat er seinerzeit auch gegen Swedenborg einen Damm errichtet, einen Damm gegen jede Art von „visionärem Zauber“ auch heute. Mit Ludwig Wittgenstein gesagt, geht es um das, was Tat - Sache ist, was als Wille durch mich in Wirkung versetzt und nicht um „ein Träumen in als ob Vorstellungen“ eines Seins-Zustandes, der nicht ist, weil nicht selbsttätig hervorgebracht.  Es geht darum Kant und Steiner als Zen-Meister einer je eigenen Gegenwärtigkeit zu sehen, die über die Zeit hinweg einander zuarbeiten „Ungeborenheit“ in ein verdichtet/fliessendes Jetzt hinein anzustossen (15) und um einen zeitgemässen offenen, wie allseits wertschätzenden Dialog im zutiefst sokratischen Sinn.

Bernhard Albrecht Hartmann



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(1)   Ludwig Wittgenstein - Ein Reader: Das Wesen der Philosophie, S. 315, Reclams Universal-                                            
        Bibliothek Nr. 9470, Druckauflage 2011
(2)   Steiner Kritische Ausgabe  (SKA) 2, Frommann-Holzboog Verlag Stuttgart-Bad Cannstatt
        2016, daselbst Vorwort von Eckhart Förster S. XVI
(3)   SKA 2, Die Philosophie der Freiheit - Das Denken im Dienste der Weltauffassung, S.103
(4)   Eckhart Förster: Die 25 Jahre der Philosophie, Vittorio Klostermann Verlag Frankfurt a.M.,
        2. Auflage 2012, S. 185.
(5)   siehe hierzu die Untersuchungen von Herbert Witzenmann in: Intuition und Beobachtung
        Verlag Freies Geistesleben, Stuttgart 1977 und 1978
(6)   SKA 7, Wie erlangt man Erkenntnisse höherer Welten, Innere Ruhe
(7)   https://wege-der-befreiung.blogspot.ch/2017/08/glockengelaut.html
(7)   Karlfried Graf Dürckheim, Ton der Stille, N.F. Weitz Verlag, Aachen 1986
(8)   siehe Thomas Nagel: Geist und Kosmos, Suhrkamp Verlag Berlin, 5. Auflage 2014
(9)   siehe Information Philosophie - Die Zeitschrift, die über Philosophie informiert - 03/2013,                                                            
       Holm Tetens: Der Naturalismus, das metaphysische Vorurteil unserer Zeit, S. 8 - 17
(10) Eckhart Förster dito S.14
(11) Ludwig Wittgenstein, dito  Tractatus logico-philosophicus S. 45 Traktate 6.54 und 7
(12) siehe Herbert Witzenmann: Strukturphänomenologie, Gideon Spicker Verlag Dornach 1983
(13) siehe Johannes Wagemann: Gehirn und menschliches Bewusstsein, Neuromythos und
        Strukturphänomenologie, Shaker Verlag, Aachen 2010
(14) Ludwig Wittgenstein, dito S. 9, Traktate 1 - 2.013
(15) Ludwig Wittgenstein, dito Tractatus logico-philosophicus S. 43 Traktat 6.423  
(16) https://egoistenblog.blogspot.ch/2017/08/zen-meister-bankei-und-rudolf-steiner.html


Die Besetzung von Begriffen- aus dem Handbuch der Kreuzfahrer und Populisten

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Kreuzfahrer Quelle Wikipedia
Heiner Geißler, der kürzlich verstorbene ehemalige politische CDU- Generalsekretär (1), jesuitisch geschult und während seiner aktiven Laufbahn ein Meister der Zuspitzung - später hingegen ein viel gehörter und geschätzter Denker und Moralist -, hat während seiner Kampagnen einmal etwas bekannt, das mich immer begleitet hat: Es ginge, ursprünglich von Kurt Biedenkopf verbreitet, in der politischen Auseinandersetzung darum, Begriffe zu besetzen: „Seit 1973 gibt es die plakative, vom damaligen Generalsekretär der CDU, Kurt Biedenkopf, geprägte Formel vom "Besetzen der Begriffe". Gemeint war damit, dass sich in der politischen Auseinandersetzung derjenige durchsetzt, der Problem- oder Sachverhalte seiner Sichtweise entsprechend benennt und dadurch interpretiert und der seine Argumente sprachlich am besten entwickelt und vermittelt. Diese Formel und die in der Folge eingerichtete "Projektgruppe Semantik" der CDU verdeutlichen, welch hohen Stellenwert die Politik der Rolle der Sprache zumisst. Nun wird nicht erst seit 1973 um das "Besetzen von Begriffen" gerungen, sondern es geht in der politischen Kommunikation grundsätzlich darum, wer über die Definitionshoheit zentraler politischer Orientierungsvokabeln verfügt. In derartigen Konflikten gibt es verschiedene sprachliche Strategien, mit denen um Wörter gestritten wird.“ (2)

Immerhin, die Siebziger waren eine Ära, in der vielleicht noch nicht so offen wie heute mit Ängsten, Wut und identitär- nationalistischen Elementen gespielt wurde („In den Auseinandersetzungen über die Einwanderungspolitik wurde z.B. mit Ausdrücken wie Ausländer- bzw. Asylantenflut, -schwemme, -strom, -welle, -lawine etc. der suggestive Eindruck hervorgerufen, als handele es sich bei diesen Zuwanderern um eine ungeheuer große, jedenfalls eine viel größere als die tatsächliche Anzahl von Menschen“(2)), mit denen heute ziemlich global Massen fasziniert, geblendet und wie ein Bär mit Ring in der Nase durch die politische Arena gezerrt werden. Aber es ging dennoch um Mittel der Manipulation wie die Prägung und Usurpation politischer Begriffe, mit denen Positionierungen medial inszeniert werden können. Nehmen wir nur z.B. den Begriff der „Entsorgung“ von Atommüll, mit dem dreissig Jahre lang unter der Oberfläche der Diskussion suggeriert werden konnte, dass es im Umgang mit diesem Material eine Methode geben könnte, gänzlich sorgenfrei zu hantieren. Natürlich wissen wir heute, dass die Fässer, die in Salzbergwerken vor sich hin korrodieren, ebenso wenig „Entsorgung“ mit sich bringen wie die in den Pazifik schwappenden Kühlwassenmengen von Fukushima, die verstrahlten Landstriche in der Ukraine oder der bröselnde Stahl der Atomkraftwerke Belgiens. Die politische Kehrtwende Angela Merkels hat den Begriff „Entsorgung“ selbst entsorgt. Und selbst auf die interessante politische Technik der CDU- Generalsekretäre, die durch Prägung, Deutung und gesellschaftliche Verbreitung solcher Begriffe das Denken und Empfinden der Wähler beeinflusste, sehen wir heute fast mit Wehmut.

Denn die zu Hochzeiten der Produktion von Atommüll grassierende Sorge vor Verstrahlung der Natur und Vergiftung von Kindern und Enkeln war ja durchaus rational. Es war die mit der Atomwirtschaft konspirativ verbundene Politik, die der Bevölkerung relativierende Begriffe implementieren wollte. Heute ist die politische Landschaft dagegen rassistisch verseucht, was durch Begriffe wie die „Flüchtlingskrise“ angeheizt wird. Mit diesem Begriff wird nicht relativiert, sondern ein ganzer Komplex nationalistischer und anti-globaler Gefühlen angestossen, mit denen eine über viele Jahre - auch in anthroposophischen Zusammenhängen- gepflegte konspirative „New- World- Order“ konnotiert ist- die Suggestion einer politischen Verschwörung der „Eliten“ zum Zwecke der Zersetzung des mitteleuropäischen Genpools und der christlichen Identität durch massenhafte Importierung von Kriegsflüchtlingen aus aller Welt, vor allem aus dem islamischen Kulturkreis.

Es ist merkwürdig, wie archaisch, ja geradezu archetypisch diese Reflexe ins Stammhirn der Mitteleuropäer geprägt sind. Man bemerkt das, wenn man eine Geschichte der Kreuzzüge wie die von Thomas Asbridge (3) liest, in der man erfährt, wie es der herrschende Papst Urban II verstand, den „Bund christlicher Brüderlichkeit“ zu beschwören, um eine angeblich „unmittelbar bevorstehende muslimische Invasion“ (4) zu verhindern. Urban verknüpfte die Eroberung der heiligen Stadt Jerusalem, dem „Nabel der Welt“ (eine über fast ein Jahrtausend prägender Begriff) durch die christlichen Krieger mit einer Pilgerschaft. Zugleich startete er eine antimuslimische Propaganda- Offensive, in der z.B. behauptet wurde, die christlichen "Sklaven" - auch dieser Begriff eine politische Suggestion- der Levante würden durch muslimische Herrscher systematisch gefoltert und ermordet, um Steuern selbst denen abzupressen, die ihr Gold verschluckt hätten: „..oder- man wagt es kaum zu schildern- sie schneiden das Fleisch auf, das die Därme bedeckt, nachdem sie den Magen ihrer armen Opfer mit einem Messer aufgeschnitten haben und mit grauenhaften Verstümmelungen offen legen, was die Natur verhüllt hat.“ (5)

Damit war aber nur der Anfang gemacht mit „aufwieglerischer Rhetorik (..), die Assoziationen hervorrief, die man heutzutage als Kriegsverbrechen und Völkermord bezeichnet“ (5) Die „drastische Dehumanisierung der muslimischen Welt“ im 11. Jahrhundert wurde nun durch Heerscharen von hoch ideologisierten Hetz- Predigern zunächst in ganz Frankreich verbreitet, wobei die Dämonisierung der Muslime stetig zunahm. Tatsächlich hatten viele dieser Hetzer - „populistische (oft von der kirchlichen Autorität nicht anerkannte) Prediger“ (5) keine direkte Verbindung zum Papst- aber sie trugen, ihm folgend, die Idee des heiligen Krieges gegen die dämonische muslimische Macht durch ganz Europa.

Die vielen Analogien zur heutigen Internet- Hetze selbst ernannter Prediger, Laien und auch anthroposophischer „Geschichts-“ und „Friedensforscher“ gehen bis hin zur Prägung des Begriffs „Kreuzzug“: „Festzuhalten ist, dass nicht Papst Urban II. den Begriff „Kreuzzug“ prägte. Das Unternehmen, das er in Clermont anstieß, war so neuartig und in vielfacher Hinsicht mit seiner Konzeption noch in einem derart embryonalen Zustand, dass es kein Wort gab, mit dem man es angemessen hätte umschreiben können. Zeitgenossen bezeichneten diesen „Kreuzzug“ schlicht als Tier (Reise) oder peregrinatio (Pilgerfahrt). Erst gegen Ende des 12. Jahrhunderts bildete sich eine spezifischere Terminologie heraus - zum einen mit dem Wort crucesignatus („mit dem Kreuz (auf der Kleidung) gekennzeichnet“) für einen „Kreuzfahrer“, zum andern schließlich mit der Verwendung des französischen Wortes croisade (das damals noch die Bedeutung „Kreuzweg“, Passionsweg hatte).“ (6) Der Begriff Kreuzzug in seiner komplexen irrlichternden Fülle, der auch die strategische Einheitlichkeit eines gerechten religiösen Krieges suggeriert, setzte sich erst ab 1095 durch. Unter die Richtung Jerusalem ziehenden Stoßtrupps, Heere, Räuberbanden mischten sich viele verwirrte und asoziale Geister, die ihr Leben bislang als Vagabunden gefristet und nun eine Mission hatten. Darunter erlangten einige - wie Peter von Amiens- solchen Star- Status, dass man von Popstars des Massenmords sprechen kann. Gerade der Gosse entsprungen, bot der Heilige Krieg die Möglichkeit, durch außerordentlich enthemmte, fanatische Hetze („Als hätte er eine göttliche Stimme in allen Herzen ertönen lassen“ (7) - so ein Zeitgenosse) Massen zu mobilisieren, ja ganze Heere aus „Gesindel“, die - gerade in Deutschland- zum „Volkskreuzzug“ des mörderischen Eiferns wurden. Dass die antimuslimische Hetze einen Vorwand zur enthemmten Gewalt darstellte, zeigte sich schon im Frühjahr 1096: „Unterwegs beschlossen einige dieser „Kreuzfahrer“, dass man die „Feinde Christi“ auch schon in größerer Nähe zur Heimat bekämpfen könne, und begingen entsetzliche Massaker unter den Juden im Rheinland“ (8). Gerade im ersten Kreuzzug zogen neben einigen geordneten Heeren marodierende Massen von bis zu 100000 Menschen- der überwiegende Teil zu Fuß- Richtung Osten- ein enthemmter, hoch ideologisierter Mob mit identitärer „christlicher“ Ausrichtung.

Wie prägend der Begriff „Kreuzzug“ doch gewirkt hat, der in der Folge durch die Entstehung des romantisierten Ritterbildes weiter verklärt wurde, zeigt sich in den unseren bis heute in Europa vorhandenen Vorstellungen. Die Legitimierung des Massenmordes durch die religiös- apokalyptische Verbrämung reicht ebenso tausend Jahre zurück wie die Dämonisierung des Fremden- vor allem in der Vorstellung des Anderen in jüdischem und islamischem Kleid. Die Bildung einer politischen Massenmobilisierung durch das Operieren mit diesen archaischen Mustern wirkt bis ins 21. Jahrhundert nach.

Die von Heiner Geißler gekennzeichnete Besetzung von Begriffen hat im deutschen Wahlkampf 2017 z.B. Alexander Gauland anschaulich demonstriert: „Die Staatsministerin im Bundeskanzleramt, Aydan Özoğuz, hatte in der Zeitung Tagesspiegel gesagt: "Eine spezifisch deutsche Kultur ist, jenseits der Sprache, nicht identifizierbar." Unter Bezugnahme auf dieses Zitat führte Herr Gauland in seiner Rede aus: "Das sagt eine Deutschtürkin. Ladet sie mal ins Eichsfeld ein und sagt ihr dann, was spezifisch deutsche Kultur ist. Danach kommt die nie wieder hierher. Und wir werden sie dann auch, Gott sei Dank, in Anatolien entsorgen können.““ (9) Sein vielschichtiger Zynismus zeigt sich dabei in den Konnotationen zum Holocaust, zur rassistischen Hetze, aber auch zur Usurpation (10) gerade dieses Begriffs, der eine Generation zuvor gerade die linken und grünen Anti- Atomkraft- Gegner beschäftigt hatte. Die Sorge vor der atomaren Verseuchung (auch des Gen- Pools) wird auf rassistische Weise umgedeutet, wobei archaische Ängste vor Überfremdung wie zur Zeit der antimuslimischen Kreuzzüge ebenso mitschwingen wie eine schallende Backpfeife ins Gesicht der Nach- Achtundsechziger. Gauland landet ein solches vergiftetes Statement mit vollem Bewusstsein und mit dem großen Können eines rassistischen Populisten, der in der Tat Begriffe besetzen kann. Das Gefolge der Laienprediger, die diesem Gift folgen, wird es verbreiten und vertiefen, auf Marktplätzen in Thüringen und Sachsen wie auf jeder Internet- Plattform. Kreuzzüge dieser Art haben ja nun Konjunktur, und die Gosse zieht wieder einmal "nach Jerusalem", setzt ihre besten Hetzer an ihre Spitze und verleiht ihnen Macht. Wir werden sehen und ertragen müssen, wohin diese moderne Version der Kreuzzüge uns global führt. Vermutlich werden autoritär geführte Wirtschaftsmächte asiatischer Prägung ihre Vorteile aus den ideologischen Verwirrungen der Demokratien ziehen- womöglich aber stärken sich auch die regenerativen, aufklärerischen inneren Abwehrkräfte der offenen Gesellschaften am Ende selbst.

Was die extreme Ideologisierung bis hin zur Massen- Suggestion und der Demoralisierung in Bezug auf die Kreuzzüge betrifft, gibt es entsprechende Äußerungen Rudolf Steiners: „Studieren Sie die Kreuzzüge. Studieren Sie, wie zunächst aus einem gewissen Impuls heraus, der durchaus mit dem Wesen der Geister der Persönlichkeit, der Archai, zusammenhängt, die Kreuzzüge sich entwickeln, wie gewaltige Absichten den Kreuzzügen zugrunde liegen. Studieren Sie dann, wie die Kreuzfahrer immer mehr und mehr Massenurteilen unterliegen, wie die Massenurteile immer suggestiver wirken. Je weiter die Kreuzfahrer sich von Westen nach Osten bewegen, desto mehr wird der Einzelne eingefangen in die Massenurteile. Wir sehen, wie die Menschen ihre Persönlichkeit verlieren. Wir sehen, wie die europäischen Kreuzfahrer im Orient in bezug auf ihre Seeleneigenschaften verfallen.“  (11) Typisch für Rudolf Steiner ist aber auch, dass er im Nachsatz das Paradox negativ bewertet, dass gerade durch die kriegerische Öffnung des Westens während der Kreuzzüge langfristig die damals arabisch geprägte Wissenschaft und Vernunft im mittelalterlichen Europa Einzug hielt: „Und unter dieser moralischen Dekadenz gutmeinender Menschen, die von Westen nach dem Osten gezogen sind, gewinnen wiederum an Herrschaft die von Osten nach Westen strebenden Impulse, welche in dem muselmanischen, in dem türkischen Menschen leben.“ (11)

Das kann man durchaus anders bewerten. Aber politisch nutzen kann man die tief verankerten Reflexe einer scheinbaren kulturellen Unvereinbarkeit zwischen Ost und West bis heute. Vielleicht kann man die von Rudolf Steiner erwähnten grassierenden „Massenurteile“ der Kreuzfahrer- Ideologie mit dem einher gehenden seelisch- geistigen Verfall ebenso mitbedenken wie den von ihm im selben Kontext angesprochenen geistig- abnormen Impuls, der in den ideologisierten Massen „vor allen Dingen“ durch „ein emotionelles Verhältnis zu ihren Sprachen“ (12) bewirkt wird- eben durch eine Kombination von nationalistisch- identitärer Gruppen- Gefühligkeit, der Abgrenzung gegenüber dem Fremden und dem kulturell Anderen, und beeinflussbar und lenkbar durch aufgeladene, besetzte Begriffe. Die kulturelle Identitätskrise der Gegenwart lässt die vorhandenen, uralten Konflikte wieder an die Oberfläche kommen, beflügelt von den Macht- Instinkten der Populisten- im Dienste „eines furchtbaren, unpersönlichen, unindividuellen Gemeingeistes“ (12), der nach Rudolf Steiner in „verschiedene(n) Epochen der Weltgeschichte .. waltet“. (12)

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1  http://www.sueddeutsche.de/politik/ehemaliger-generalsekretaer-cdu-politiker-heiner-geissler-ist-tot-1.3659139
2 http://www.bpb.de/politik/grundfragen/sprache-und-politik/42715/begriffe-besetzen?p=all
3 Thomas Asbridge, Die Kreuzzüge, Stuttgart 2015
4 Asbridge, S. 48
5 Asbridge, S. 49
6 Asbridge, S. 52f
7 Asbridge S. S. 53
8 Asbridge, S. S. 54
9 http://www.zeit.de/gesellschaft/zeitgeschehen/2017-08/volksverhetzung-alexander-gauland-thomas-fischer-strafanzeige
10 „Man versucht, sich des Fahnenwortes eines Gegners zu bemächtigen, also ein Wort mit anderen Inhalten zu füllen, es umzudeuten, oder man versucht, ein vom politischen Gegner benutztes Fahnenwort zu diskreditieren, es gleichsam seiner positiven Bedeutung zu berauben.“ in: 2
11 Rudolf Steiner, GA 222, S. 65ff
12 Rudolf Steiner, GA 222, S. 68ff


Vom Gehen der Berge und vom Kommen des Buddha- Geistes

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Foto: Titel des Buches
Warum über das Unsagbare sprechen? Warum Worte über das Nichts verlieren? Warum dem Bedeutung verleihen, das vollkommen in seiner Nicht- Bedeutsamkeit ist?

Diese Fragen sind tausend Jahre alt, tausendfach besprochen, ausgeführt und beantwortet, aber dennoch so offen wie eh und je. In „Das Shobogenzo des Dogen Zenji“ (1) bespricht Dagmar Doko Waskönig Texte und Lehren des frühen japanischen Zen- Lehrers Dogen Zenji (1200 - 1253) und macht sie damit der deutschen Öffentlichkeit zugänglich- immerhin wird Zenji in Japan in etwa die Bedeutung zugeschrieben, die zeitgleich Martin Luther für den deutschen Sprachraum gehabt hat.

Trotz der erheblichen Probleme, die die zeitgenössische Übersetzung der mittelalterlichen buddhistischen Miniaturen mit sich bringen, da viele denkbare Bedeutungsfelder in jedem Begriff mitschwingen, wirken die originalen Texte frisch, unverbraucht, aber auch so rätselhaft, dass Waskönig breite und weite, umkreisende verbale Erläuterungen vornimmt. Jede Silbe der Originale ist bedacht gewählt, was die Übersetzung dazu zwingt, Schwerpunkte zu setzen: „Jijuyu bedeute, dass ein Erwachter in sich selbst (ji) die Freude des Erwachens erlange (ju) und benutze (yu).“ Diese im frühen Zen betonte freudige Aktivität des Geistes schließt das eher passive europäische „Intuition haben“ oder „Erleuchtung erlangen“ aus - es ist auch kein Schritt auf etwas zu, kein Weg zu etwas hin- es ist auch kein Zustand, der willentlich durch Selbstüberwindung zu erreichen wäre, denn es ist alles immer schon da: „Dieser Dharma ist im Überfluss in jedem Menschen vorhanden, doch wenn man nicht praktiziert, manifestiert er sich nicht. Wenn es keine Verwirklichung gibt, wird er nicht erlangt.“ (2)

Damit sind die jedem Praktizierenden seit Urzeiten vor Augen stehenden Widersprüche angesprochen: Es ist alles vorhanden, bleibt aber angreifbar, verbirgt sich, ist verschüttet. Die Übung selbst kann den Blick auf den Ursprung verstellen. Aber ohne Übung ist Verwirklichung auch nicht zu erreichen. Die Verwirklichung entzieht sich dem, der sie erlangen will. Aber dennoch: „die wunderbare Praxis abwerfen“, um das „ursprüngliche Erwacht- Sein unsere Hände“ (3) erfüllen zu lassen, kann nur der, der vorher praktiziert hat. Das „ursprüngliche Erwacht- Sein“ stellt sich auch nur als ein Stadium heraus, in dem eine unerschöpfliche „wunderbare Praxis unseren Körper“ durchdringt. Man sollte, wie an so vielen Stellen der originalen Texte, genau lesen. Das Durchdringen und Wirken der Praxis (des Schaffenden) in unserer Leiblichkeit ist tatsächlich ein direkt mit der Meditation auftretendes Phänomen, das systematischen Charakter hat- d.h. Praktizierende können sich darüber austauschen. Es hat, andernorts, Begrifflichkeiten gewonnen wie "Weben des Hochzeitskleids", Ausbilden und Gestalten der "ätherischen Leiblicheit" oder der Lotosblüten. In dieser Hinsicht wörtlich nehmen kann man auch Hinweise in den Originaltexten in Bezug auf die "Erfüllung" der Hände.

Der „Anfänger- Geist“ (über den Waskönig immer wieder rätselt), ist meiner Meinung nach eher nicht - wie sie interpretiert- der energiegeladene, hoch motivierte Novize, sondern der Geist, der immer Anfang ist, immer reine Präsenz; indem dieser sich realisiert, erhalten „alle Dinge ohne Ausnahme das Buddha- Siegel“ (4). Erlebt wird das präsente Ich als Zustand, in dem „Körper und Geist wirklich abgeworfen“ sind, in dem „das Wirken der ichbezogenen Strebungen wie von selbst“ abgeklungen und in dem im Augenblick spürbar „alles Tun von karmischer Wirkung frei“ (5) ist. Das bedeutet wohl: Die verstellenden, belastenden, Persönlichkeits- gebundenen Faktoren sind in diesem Augenblick in ihrer determinierenden Wirkung überwunden.

Der Anfänger- Geist, möchte man sagen, ist bei jedem Anfang dabei- daher lässt er sich belehren von den „Wohltaten von Wind und Wasser“ (6), und „Bäume, Gräser und das Land .. predigen den tiefgründigen und unfassbaren Dharma“- und das „geschieht ohne Ende“ (9). Ein Christ, könnte man anfügen, könnte in diesen wogenden Predigten von Land und Wasser die sanften, aber bestimmten Schritte des Gärtners ahnen, der den atmende Lebensbereich im Durchschreiten segnet, erneuert und durchlichtet- und auch das "geschieht ohne Ende". Tatsächlich sieht auch Zenji ein „helles, leuchtendes Licht“ im Strahlen der natürlichen Elemente- dieser elementare Segen durchdringt nicht nur den Anfänger- Geist, er ist der Geist selbst: So die Erfahrung des Zen, so die Erfahrung des modernen Christen. Der Logos der natürlich geschaffenen Welt und der der aktuellen Erkennens berühren sich, offenbaren sich gegenseitig und erwecken den ewigen Anfänger- Geist- und auch das "geschieht ohne Ende".

Wie aber lässt sich das Nicht- Denkbare denken? Wie das Nicht- Übbare üben? Wie das Nicht- Sagbare sagen? Dogen Zenji zitiert einen Meister aus dem 8. Jahrhundert: „Der Mönch fragte: Wie kann man nicht- denkend denken? Der Meister erwiderte: Mit dem Undenkbaren.“ Das Nicht- Denken, erläutert Zenji, sei„das Denken des Wie (8). Dieses „Wie“ als das „unbeschreibliche Erfahren der Dinge“ berührt eine Ebene, die in Rudolf Steiners Mantren auch als der „Strom des Welt- Geschehens“ (9) bezeichnet wird: Eben die Ebene, auf der Natur und Geist miteinander verschränkt sind und sich daher gegenseitig erkennen und enthüllen.

Ja, auf dieser Ebene wird der Mensch, indem er „im Welt- Geschehen“ nicht- denkend denkt, erst wahrnehmbar. In vielerlei Hinsicht erwacht seine Existenz zur Realität; er wird, indem er sich vergisst und übersteigt, geistiger Welt-Bürger. In den Worten Zenjis ist dieser Akt ein „Aufrichten“ - das „Gleichgewicht von Körper und Geist aufzurichten (..), den Buddha (..) aufzurichten, den Kopf und den Lebensstrom aufzurichten.“ (10) Die Selbst- Aufrichtung ist tatsächlich unmittelbar vergleichbar mit dem Stehen und Gehen- Lernen des kleinen Kindes. So wie das Kind seine Schritte in die Welt zu setzen lernt, versteht der Praktizierende meditativ „sofort über die ganze Welt hinauszugehen und ein großes, verehrungswürdigen Leben im Hause der Buddhas und Dharma- Ahnen zu leben.“ (11).

Und: Erhöht das den Menschen? Nein, es ist nur ein Zulassen.
Glorifiziert es das Ego? Nein, es ist eine Erfahrung existentiellen Menschseins.
Erleichtert es den Gedanken an den Tod? Nein, die Schmerzen des Kommens und Gehens, des Erscheinens und Verschwindens bleiben bestehen.
Gibt es dir einen höheren Sinn? Nein, es bringt den Geist und die Welt zum Stillstand, damit ihre Schönheit zutage tritt. Es ist ein Akt der Liebe, der Hingabe und des Respekts.

In den Worten Zenjis realisiert der Anfänger- Geist lediglich, dass das in ihm, das existentiell stört, zum Schweigen kommt: „Der verkörperte Buddha bringt keinen Buddha hervor. Doch wenn die Netze und Käfige zerbrochen sind, stört ein sitzender Buddha nicht länger das Hervorbringen eines Buddha.“ (12) Die geistige Verzerrung und Verbannung, die Dislokation und Entfremdung wird gemildert, indem ein sanfter, empfangender Wille sich entfalten kann, der sich selbst als ewiger Anfang, als initiativ und durch nichts zu brechen erlebt: Als geistige Entität. Das „Hervorbringen des Buddha“ ist nie beendet, es ist kein Stadium, keine Eigenschaft und kein Ziel- es ist eine Initiative, immer situativ, immer nur in reiner Präsenz erlebbar.

Von hier aus wandert der Anfänger - Geist nicht mehr allein, sondern- nach Zenji- z.B. in Gesellschaft von Bergen, von denen er sagt, dass sie - wie der Geist des erwachten Menschen- zugleich „ständig in Ruhe“ sind und doch ständig „gehen“. Waskönig versucht diese Bewegung zunächst physikalisch zu deuten. Vermutlich schauen die Berge auf den Geist wie der Geist auf die Berge, und sie freuen sich aneinander, in einer ihnen gemeinsam eigenen Tugend: „Den Bergen fehlt keine der ihnen angemessenen Tugenden. Daher sind sie ständig in Ruhe und gehen ständig. Wir müssen uns dem detaillierten Studium dieser Tugenden des Gehens widmen.“ (13)

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1 Das Shobogenzo des Dogen Zenji. Die zentralen Passagen- erschlossen und kommentiert von Dagmar Doko Waskönig. Frankfurt am Main 2010
2 dito S. 20
3 dito S. 23
4 dito Zenji, S. 26
5 dito Waskönig, S. 27
6 dito S. 28
7 dito, S. 29
8 dito, S. 34
9 http://www.infameditation.de/anthroposophische-meditation/beispiele/gedankenmeditation/
10 dito; S. 58
11 dito, Zenji, S. 52
12 dito, S. 39
13 dito, S. 65

Vom politischen Spuk: Das Identitäre und die Anthroposophie

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Ein Duell, das der Staat mit seinen Bürgern führt- könnte es ein passenderes Bild für das Selbstgefühl der Neo- Rechten, AfDler, Trumpisten, und Reichsbürger geben? „Das Duell spielt sich nicht auf dem Felde ab, das man gemeinhin als das Feld der Politik betrachtet; der Privatmann ist keineswegs ein Politiker, noch weniger ein Verschwörer, ein „Staatsfeind“. Er befindet sich die ganze Zeit über durchaus in der Defensive. Er will nichts weiter, als das bewahren, was er, schlecht und recht, als seine eigene Persönlichkeit, sein eigenes Leben und seine private Ehre betrachtet. Dies alles wird von dem Staat, in dem er lebt und mit dem er es zu tun hat, ständig angegriffen, mit äußerst brutalen, wenn auch etwas plumpen Mitteln. Unter furchtbaren Drohungen verlangt dieser Staat von diesem Privatmann, dass er seine Freunde aufgibt, seine Freundinnen verlässt, seine Gesinnungen ablegt, vorgeschriebene Gesinnungen annimmt, anders grüßt als er es gewohnt ist, anders ißt und trinkt als er es leibt, seine Freizeit für Beschäftigungen verwendet, die er verabscheut, seine Person für Abenteuer zur Verfügung stellt, die er ablehnt, seine Vergangenheit und sein Ich verleugnet, und vor allem für alles dies ständig äußerste Begeisterung und Dankbarkeit an den Tag legt.“ (1)

Ist dies ein stilistisch gelungenes Pamphlet Alexander Gaulands gegen die Islamisierung des Abendlandes? Ist das eine Charakterisierung der PEGIDA- und AfD- Bastionen im fernen Sachsen, die die Überfremdung durch die Moderne beklagen, da sie doch nicht einmal in DDR- Zeiten West- Fernsehen hatten empfangen können, und sich nun als Opfer der Globalisierung empfinden? Nein, der „Privatmann“, der sich vorbereitet auf „den Griff, dessen Opfer er ist“, ist der politisch hellsichtige, stilistisch unangefochtene Sebastian Haffner in seinen Erinnerungen von 1933. Er hat die politische und moralische Erosion Deutschlands seit 1914 aufmerksam verfolgt und dokumentiert, inklusive der diversen rechten Freicorps, die in revolutionär- blutrünstiger Weise und Tonlage schon seit dem Ende des Ersten Weltkrieges gewirkt und schließlich in das Wüten der SS übergegangen waren. Aber Haffner schildert aus seiner persönlichen Perspektive feinfühlig auch Stimmungen zwischen Lähmung, manisch- vaterländischen Aufbrüchen und Gefühlen kaum entrinnbarer fatalistischer Depression, die das Land in den Jahren bis zum Hitlerismus durchzogen: Die Weimarer Zyklothymie, ein Auseinanderfallen in politischen Extremen und in einer alles zersetzenden Brutalität in der Auseinandersetzung.

Einer solchen Krisenstimmung steht die Republik, selbst angesichts der mehr oder weniger andauernden Flüchtlingskrise und einem immer wieder drohenden Zerfall Europas, heute denkbar fern. Der verängstigte Bürger wird freilich von den Populisten ebenso in die Defensive gedrängt, wie seine Demütigung durch den ihn angeblich total determinierenden Staat herbei geredet wird. Der Bürger „in der Defensive“ ist ein hetzerisches Stilmittel, ein subversives Unterminieren des demokratischen Status Quo. Vielerorts hat die Selbstaufhebung demokratischer und liberaler Strukturen mit dieser Hetze verfangen- die Stimmung, die dem Brexit voran ging, die mediale Schlacht eines Donald Trump haben erfolgreich den Fatalismus des Privatmanns-als-Opfer beschworen und in dessen reaktiven apokalyptischen Fanatismus umgemünzt.

Wie steht es in diesem Umfeld nun mit der anthroposophischen Bewegung und ihrem Verhältnis zum Identitären? Schließlich hat der Begründer Rudolf Steiner in seinen vielen Vorträgen auch reichlich Apokalyptik betrieben, Verschwörungstheorien verbreitet und anti- amerikanische, anti- demokratische und - in seinen frühen Jahren- sogar antisemitische Positionen vertreten; das Ganze in einem Wust von Initiativen und Denkansätzen, zu denen auch grundsätzlich humanistische, christliche und individualistische Grundsätze gehören. Es ist eben Teil der persönlichen und gesellschaftlichen Verantwortung des mündigen Anthroposophen, aus den widersprüchlichen Essenzen dieses Lebenswerks eine Positionierung zu gewinnen, ohne durch manipulative Deutungshoheit Kapital daraus zu schlagen. Derlei Bedenken treiben allerdings Identitäre nicht um- im Gegenteil, in Zeiten der Blütezeit apokalyptischer Endzeit- Strategen und nationalistisch- reaktionärer Bestrebungen rund um den Globus war zu erwarten, dass sich, schon aus Opportunismus, die Rechten unter den Anthroposophen brav in die Querfront- Reihe stellen.

Man merkt dann aber schon auf, wenn ein langjähriger Funktionär, Jurist, Redakteur des „Goetheanums“ wie Martin Barkhoff ideologisch aufschließt zu den Identitären und ein Loblied auf Alexander Gauland anstimmt: „„…mein Freundeskreis ist weitgehend chinesisch und meine Anthroposophie verwandelt sich in Taoismus. Meine Nachbargemeinde, das Garnisonsdorf Yangfang, ist islamisch … Leuchtende, dem Himmel zugewendete Halbmonde können in mir die Begeisterung für die Hingabe (Islam) an den Willen Gottes wecken. ‚Angst vor dem Fremden‘ ist bei mir nicht das Hauptmerkmal. Aber ich bin AfD-Wähler. Alexander Gauland macht großen Eindruck auf mich. Allein wie freundlich der bleiben kann … Geduld wie die des alten Rabbi Hillel, und die hebt real das Wut-Denken auf. Wenn alle um ihn herum erregt bis voll wütig sind, bleibt er nicht nur kühl, sondern spürbar freundlich … Hat was von Beuys und den Grünen, früher. Der stand auch konsequent gegen die Parteienherrschaft.“ (2) Martin Barkhoff, der schon früher ein oft erfrischend unorthodoxer Denker aus prominenter anthroposophischer Familie war, und der inzwischen in Peking lebt, hatte in diesem Statement auf Jens Heisterkamps kritischen Überblick über die „Wutdenker“ (3) in Info3 reagiert, in dem dieser nach der Abrechnung mit Kubitschek, Höcke und Gauland resümiert: „Alle Symptome weisen auf den Versuch eines Rollbacks des Projekts der Moderne: Weg mit der EU und dem Parteiensystem, Schluss mit Freizügigkeit und Minderheitenschutz, Emotionen statt Aufklärung, autoritärer Personenkult statt Freiheit, Ethnozentrik statt Pluralismus, die Durchsetzung des Stärkeren anstelle von Mitmenschlichkeit. Es ist der Versuch, das Soziale noch einmal aus dem Blut heraus statt mit dem Herzen zu denken. Seien wir wachsam, welche Geister sich da einnisten wollen.“ (3)

Die Reaktion aus der rechten Szene ließ nicht auf sich warten, worauf ich in diesem Blog in „Die Rechten mögen Info3 nicht“ (4) auch aufmerksam gemacht hatte: „Jedenfalls kommt die anthroposophische Zeitschrift in einem aktuellen Artikel Caroline Sommerfelds in Kubitscheks Blättchen Sezession -„Den Weltgeist verraten und verkauft“ -, wie der Titel des Artikels schon verrät, nicht gerade gut weg. Sommerfeld möchte dabei untersuchen, wie der „Mainstream“ in dieser Szene, die ja „ein bißchen anders als die anderen“ ist, tickt- wobei schon diese Ursprungsfrage ganz offensichtlich voreingenommen ist, da der Begriff „Mainstream“ für die Rechten negativ besetzt ist.
Dabei gibt es eine gewisse ideologische Nähe zu Rudolf Steiner, da dieser, wie Sommerfeld meint, ein strammer Anti- Amerikaner, „Antiglobalist“ und gegen den Marxismus gewesen sei. Steiner sei auch gegen die „verdiesseitigte Massengesellschaft“ gewesen, was ihn eigentlich dazu geeignet zu machen scheint, von der neuen Rechten vereinnahmt zu werden.“

Zu Caroline Sommerfeld, die für das identitäre „Sezession“- AfD- Vordenker- Blatt schreibt, äußert sich nun im aktuellen Heft Die Drei- Chefredakteur Claudius Weise, der in seinem Artikel „Identitäre Anthroposophie“ (5) als Untertitel das Statement hinzu setzt „Was in der Anthroposophischen Bewegung leider vorgeht“. Darin setzt sich Weise mit Sommerfeldt auseinander: „Die Autorin stellt sich darin als »Philosophin und Waldorfschulmutter« vor. In der Tat ist die 1975 geborene Sommerfeld eine promovierte Philosophin, deren 2003 vorgelegte Dissertation ›Wie moralisch werden? – Kants moralistische Ethik‹ mit dem Karl Alber-Preis ausgezeichnet und in der FAZ als bahnbrechende Leistung gewürdigt wurde. Seither ist Sommerfeld als Betreiberin eines Internet-Blogs mit dem adornitischen Namen ›fauxelle – Blicke unter den Verblendungszusammenhang‹ sowie als Autorin der rechtsintellektuellen Zeitschrift ›Sezession‹ hervorgetreten. Sie lebt gegenwärtig in Wien und gehört dort der als rechtsextrem eingestuften Identitären Bewegung an.“ (5) Sommerfeld schreibt nicht nur für „Sezession“, sondern auch für das anthroposophische ›Ein Nachrichtenblatt‹ (6), das sich, seit 2011 elektronisch für Abonnenten vertrieben, als Nachfolger eines inzwischen fusionierten Mitglieder- Hefts für Anthroposophen versteht- aber inzwischen, offenbar die Marktlücke witternd, zum Sprachrohr der Identitären innerhalb der anthroposophischen Szene wird. Da die Herausgeber schon 2014 nach eigenen Angaben (7) über 1000 Leser hatten, von denen sie jeweils 120 Euro pro Jahr verlangen und auch jahrelang per Heft und Emails spamartig um Geld warben, scheint das Geschäftsmodell, sich am rechten Rand zu verorten, nicht ganz abwegig zu sein.

Claudius Weise führt nun eine Auseinandersetzung mit Sommerfeld, die, in zwei anthroposophischen Publikationen abgedruckt, eine ideologische Verankerung der nationalistischen, rassistischen Positionierung der Identitären mit anthroposophischen Grundlagen sucht, vor allem hergeleitet aus Rudolf Steiners Volksseelenzyklus: „Schwieriger wird es allerdings, wenn sie (Sommerfeld, M.E.) anschließend das benennt, was ihr als weltanschauliche Schnittmenge zwischen Anthroposophie und Identitärer Bewegung erscheinen mag: »Statt der politisch durchsichtigen ›Diskriminierung‹ von ›Rassismus und Nationalismus‹ führen wir uns das Bekenntnis zur eigenen Kultur und Identität und eine Bejahung der Vielfalt, Freiheit und Integrität der Völker vor Augen, Steiner nannte dies ›die Volksseelen‹.

Die seit Jahrzehnten von anthroposophischer Seite penetrant verleugneten rassistischen Aspekte insbesondere von Rudolf Steiners Volksseelenzyklus (8) werden nun also von Sommerfeld auf überraschende Weise offen für die Rechte instrumentalisiert- ein „Bumerang“, vor dem Ansgar Martins schon 2010 bei den „Ruhrbaronen" gewarnt hatte: „Waldorfschüler, -eltern, und oft genug auch -lehrer, stehen vor diesem immer wieder durch die Medien gehenden Unfug „ihres“ Schulgründers genauso ratlos wie Nicht-Waldorfianer. Aufklärung würde man eigentlich von der Waldorf-Dachorganisation erwarten. In der Tat distanzierte sich der „Bund der Freien Waldorfschulen“ 2007 in seiner „Stuttgarter Erklärung“ formal von „jeglicher Form“ des Rassismus und Nationalismus und gab schon 2001/02 zwei Bände zum Thema „Anthroposophie und der Rassismusvorwurf“ heraus (..) Statt Aufarbeitung und sachlicher Distanzierung von Steiners rassistischem Unfug geht es den Autoren und dem Herausgeber „Bund der Freien Waldorfschulen“ nur um Abwehr und Apologie, sowie darum, Kritikern eine „unhistorische und selektive“ Arbeitsweise zu unterstellen (..). Das kann höchstens dazu führen, Waldorfvertreter auf eine – sachlich falsche – ideologische Linie einzuschwören. Und natürlich dazu, dass die Debatte um Steiners Rassismen und die Waldorfschulen weiterhin explosiv bleibt. Auch manche Anthroposophen, denen diese Rassismen peinlich sind, fürchten daher inzwischen, Zitat Ralf Sonnenberg: „Das apologetische Unternehmen der Autoren Bader, Leist und Ravagli könnte sich somit auf lange Sicht hin noch als Bumerang erweisen.“ (9)

Tatsächlich geht es Sommerfeld, wie Claudius Weise ausführt, darum, die ohnehin schon halb- gare „Stuttgarter Erklärung“ auszuhöhlen: „Von ähnlicher Qualität ist ihr Versuch, die ›Stuttgarter Erklärung‹ als Ansammlung von »Leerformeln« darzustellen. Besonders anstö­ßig findet sie offensichtlich folgende Passage: »Die Anthroposophie als Grundlage der Waldorfpädagogik richtet sich gegen jede Form von Rassismus und Nationalismus. Die Freien Waldorfschulen sind sich bewusst, dass vereinzelte Formulierungen im Gesamtwerk Rudolf Steiners nach dem heutigen Verständnis nicht dieser Grundrichtung entsprechen und diskriminierend wirken. Weder in der Praxis der Schulen noch in der Lehrerausbildung werden rassistische oder diskriminierende Tendenzen geduldet. Die Freien Waldorfschulen verwahren sich ausdrücklich gegen jede rassistische oder nationalistische Vereinnahmung ihrer Pä­dagogik und von Rudolf Steiners Werk.«“ (5) Übrigens wird Frau Sommerfelds Argumenten gegen die - wie die gängige neu- rechte Chiffre lautet - "Denkverbote" auch auf Lorenzo Ravaglis Anthroblog Raum gewährt- und es geht Sommerfeld ja nun ums Große und Ganze: "Alles, was der globalistischen Weltordnung entgegensteht, wird als »Rassismus«, »Nationalismus« und »Diskriminierung«, wenn auch geschönt und indirekt, diskriminiert.." (10) Möchte Herr Ravagli als langjähriger Repräsentant von Anthroposophie und Waldorf- Bewegung, tatsächlich mit Sommerfeld die "globalistische Weltordnung" einreißen, und sich damit einreihen in die Riegen der Ultrarechten, Anti- Merkel- Brüller und Höcke- Anhänger? Wo genau sind wir hier gelandet?

Wie weit die Entgleisungen gehen, zeigt Claudius Weise am Beispiel Martin Barkhoffs auf, der selbst auch für das notorische „Ein Nachrichtenblatt“ schreibt, und darin die Unverfrorenheit besitzt, den angeblichen Widerstand von Waldorfschulen gegen die „Meinungsdiktatur“ der Nazis gleichzusetzen mit einer heute, in der offenen demokratischen Gesellschaft, angeblich bestehenden „neueren Meinungsdiktatur“:

"Jedenfalls schloss in der folgenden Ausgabe Martin Barkhoff an genau diese Kritik an, indem er daran erinnerte, dass die Berliner und die Dresdner Waldorfschule angesichts der nationalsozialistischen Unterdrü­ckung unterschiedliche Wege gegangen seien: »Die Regierung legte 1938 in einer Sprechvorschrift fest, mit welchen Grussworten die Schü­ler morgens zu begrüssen seien. Die Lehrer der Berliner Waldorfschule wollten so nicht unterrichten. Sie beschlossen die geordnete Schliessung der Schule. Ein nur zwei Worte umfassendes Ideologiebekenntnis reichte ihnen aus, um die ganze Schule aufzugeben.« Die Dresdner hingegen verzögerten durch Kompromisse und die Pflege ihrer Kontakte zum Regime die Schließung um vier Jahre: »Nach dem Ende der Meinungsdiktatur erschwerte die Dresdener Lö­sung einen Neuanfang. Die beispielhafte Gradlinigkeit der Berliner (und der Stuttgarter usw.) machte den Neustart möglich und kraftvoll.« So weit, so gut. Dann aber heißt es: »Anders als damals gehen heute die anthroposophischen Institutionen mehrheitlich den Dresdener Weg. Der künftige Neustart wird daher nach dem Ende der neueren Meinungsdiktatur kaum aus der Kontinuität erfolgen können, wie es noch nach ’45 möglich war.«“ (5)

So reden die inner- anthroposophischen Identitären die von Sebastian Haffner geschilderte Opfer- und Angst- Stimmung herbei, als stünden ausgerechnet sie im Widerstand gegen eine allmächtige Nazi- Diktatur. Die Dreistigkeit, die offene, liberale Gesellschaft mit einem faschistischen Regime gleich zu setzen und dabei die viel diskutierten zwiespältigen Vokabeln Rudolf Steiners aus dem Jahre 1910 zu instrumentalisieren, müssen diejenigen alarmieren, die seit Jahrzehnten relativierend mit den rassistischen Aspekten im Werk Rudolf Steiners umgehen. Es ist dankenswert, dass auch Die Drei sich des Themas annimmt und dabei hoffentlich auch die interne Diskussion, Klärung und Abgrenzung anregt. Es ist sonst zu befürchten, dass Rudolf Steiners Werk immer weiter ideologisch vereinnahmt wird von einer identitären Bewegung vom äußersten rechten Rand der Gesellschaft- befeuert von Apokalyptikern wie Martin Barkhoff, der auch im „Goetheanum“ (11) vom politischen „Spuken“ raunte: „Wenn sich eine Gesellschaft bis in ihren Kern auflöst, kommt der Zeitpunkt, an dem das Gespenstische bis ins Öffentliche bemerkbar wird.“

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1 Sebastian Haffner, Geschichte eines Deutschen. Die Erinnerungen 1914- 1933, München 2002
2 Martin Barkhoff, Leserbrief zu Jens Heisterkamp, in: Info3, Juni 2016, 5, zitiert in: https://waldorfblog.wordpress.com/category/martin-barkhoff/
3 https://www.info3-magazin.de/die-wut-denker/
4 https://egoistenblog.blogspot.de/2017/04/die-rechten-mogen-info3-nicht.html
5 die Drei 10/2017 online: http://diedrei.org/hefte-anzeigen/inhalt/heft-10-2017.html Link zum Artikel: http://diedrei.org/tl_files/hefte/2017/Heft10_2017/08-Weise-Identit%C3%A4re-DD_1710.pdf
6 https://www.iea-enb.com/intentionen/
7 https://www.iea-enb.com/bestellen/
8 Die Mission einzelner Volksseelen im Zusammenhange mit der germanisch-nordischen Mythologie (Rudolf Steiner) GA 121
9 https://www.ruhrbarone.de/rudolf-steiners-rassenlehre/5637#
10 https://anthroblog.anthroweb.info/2017/denkverbote-gegen-die-angst-vor-rassismusvorwuerfen/
11 Das Goetheanum 16. März 2017




Herrmann stubengoogelt: Rothschild

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H. von Finkelsteins Chill Out Lounge (Stube)

Neulich auf einer Geburtstagsparty wurde plötzlich über Politik geredet. Ich bin etwas später dazu gestossen und war gerade dabei meine Wurst zu verzehren, als eine aufrechte Blonde mit aggressiv nach vorne gestrecktem Oberkörper und kräftigen Oberarme fuchtelnd den Namen Rothschild über den Tisch rief, der mit Grillresten wie Hühnchenknöchelchen, schwarz angbrannten Rotwürsten und schlabbrigen Kartoffelsalatresten auf Papptellern bedeckt war.
Ja die stecken doch hinter allem Übel. 
Rothschilds? Woher kenne ich diesen Namen? Rothschild Zigaretten? Waldorf Astoria Zigaretten? Die waren doch auch schon Schuld, dass die Deutschen den 1. Weltkrieg verloren hatten? So hatte das doch die Oma immer erzählt? Leider konnte ich der Frau mir gegenüber nichts erwidern oder weitere Verständnisfragen stellen, da ich mich sonst an meiner Wurst verschluckt hätte. Dann wurde wieder über Hunde gesprochen, die sich unter dem Tisch tummelten und die freiliegenden Beine der Geburtstagsgäste nach Belieben abschleckten.
Eine davon war eine deutsche Dogge mit roten Kanninchenaugen, der THC haltige Nahrung vor der Party verabreicht wurde, damit sie sich nicht zuviel bewegte und die anderen Gäste darunter auch Kinder nicht verängstigte. Ich verliess die Party, als heftig übers Impfen debattiert wurde. 

Vor ein paar Tagen unterhielt ich mich dann zur Abwechslung mit Freunden über die Statik von Stahlgebäuden in den USA, speziell auf Manhattan NYC und was passiert, wenn diese Gebäude brennen oder gesprengt werden. Mein langjähriger Freund meinte immer wieder da seien noch viele Fragen offen zum Einsturz von WTC 7. Am Anfang versuchte ich mit einfachen Verständnisfragen mich in seine Ausführungen hineinzudenken. Was er meinte? Das war ganz eindeutig eine Sprengung und dann  erklärte mir mein langjähriger Freund warum und wieso? Dann schauten wir uns ein You Tube Video dazu an. Ich muss sagen ich war fasziniert, wie mein Freund plötzlich in seiner neuen Begeisterung für Baustatik von Stahlgerüstgebäude regelrecht aufblühte. Als ich meine Zweifel einwarf immer noch freundlich, verfinsterten sich seine Augen und ihm wurde klar, dass er kein Experte in Baustatik und Sprengungen war, sowenig wie ich es bin. Wir haben uns von den Naturwissenschaften verabschiedet damals, als wir in der Schule mit Buchstaben anfangen mussten zu rechnen. Herr der Ringe war aufregender und auch irgendwie wahrer. 
Ja ist ja auch egal, meinte er, aber irgendetwas ist daran faul.......die haben das gebraucht um einen Kriegsgrund zu haben....WTC7 musste gesprengt worden sein....
Als ich ihn vorsichtig darauf aufmerksam machte, was ich in einem You Tube Filmchen gesehen hatte, dass in den Trümmern keine einzige Spuren gefunden wurden wie Plastikteile u.s.w. die darauf hindeuten könnten, dass es eine Sprengung gegeben haben könnte...meinte er, warum ich die Amerikaner verteidigen wollte. Dieser Obama hat einen nie dagewesenen Drohnenkrieg entfacht...ja und dann unterhielten wir uns über den Drohnenkieg im mittleren Osten und wie man kleinere Drohnen z. B. Paketdrohnen von Amazon oder Alibaba mit einer Steinschleuder abschiessen könnte.......

Und gestern dann bei meiner Physiotherapeutin, die, während sie die Knoten aus meiner Beinmuskulatur knetete, von ihrem früheren Beruf in einer Werbeagentur erzählte; sie sei so froh jetzt mit Menschen am Menschen arbeiten zu dürfen und nicht mehr am PC. Überhaupt sei das verrückt was in der Werbebranche so gehen würde und dann ja Sie raten richtig wo enden wir bei den Rothschilds, die sind schuld und hätten in der Werbebranche beim Geld überall ihre Finger drin. Ich erwiderte nichts ich wollte unsere harmonische non verbale medizinale Beziehung nicht aufs Spiel setzen.

Auch im Internet wurde ich mit dem Namen konfrontiert vor allem vor einem Jahr als US Wahlkampf war, posteten Freunde Artikel über die geheime Machenschaften zwischen der Familie Clinton und der Familie Rothschild.

 "Hillary Clinton is so deeply entrenched in the elite New World Order establishment that she even bows down to Moloch, the same occultist god they perform human sacrifice rituals for at the annual Bohemian Grove meetings." aus:
http://yournewswire.com/wikileaks-reveal-clinton-ties-to-rothschilds-and-occult-cabal/ 

Meinten diese Facebookfreunde im Ernst, dass Hillary Clinton jährlich einmal im Jahr beim Kannibalengrill der Rothschilds zu Ehren Molochs   teilnahm? Ein Freund antwortete mir auf die Frage, ob er denn das glaube, was er da poste mit Achselzucken und einem frustrierten "An was kann man denn heute noch glauben? Der Presse?"
Wenn man sich weiter mit dem Namen durchgoogelt, stösst man auf unendlich viele Seiten, die so was schreiben:

 "Wer wirklich an der Wahrheit interessiert und nach einem Schlüssel zum mysteriösen Aufstieg der Geldwechseler aus dem jüdischen Ghetto sucht, wird zwangsläufig bei den Geheimorden der Illuminaten und der Freimaurerei fündig."aus: 
http://freiheitdurchwissen.blogspot.ch/2014/01/die-rothschilds-illuminaten-freimaurer.html

"Die Rockefellers sind ein weiteres gekauftes, faschistisches Beispiel – in der Tasche der Rothschilds. Die Rockefellers sind mit IG Farben und deren Filiale Auschwitz sowie der Finanzierung von Nazi-Deutschland eben so wie die Rothschild-Agenten in der Wall Street verantwortlich.
Diese Faschisten verdienten am Krieg auf beiden Seiten auf Kosten von 60 Millionen Menschen." aus: 
http://new.euro-med.dk/20150408-fascismus-rockefellerrothschild-konzerne-kaufen-personen-und-staaten-favorit-fur-us-prasidentschaft-hillary-clinton-und-usa.php
Countries
Man könnte aus dem ganzen Googlesalat meinen, dass die Familie Rothschild auch noch Ausschwitz finanziert hat und es dieser Familie dann auch noch gelungen ist, dem einfachen Deutschen die Schuld am Holocaust  in die Schuhe zu schieben. Nun das sind die ersten Seiten, die Ihnen vom Screen springen, wenn Sie Clinton Rothschild googeln.

Da stecke ich mir erstmal eine Rothschild Zigarette an..........aber vielleicht haben die im Tabak.. ist ja auch egal ....ist sowieso zu spät.


Meinungsterror, Denkverbote und identitäre Sprungbretter zur Macht

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Machiavelli
Dass die politische Landschaft ins Schwimmen geraten ist, Parteien aus dem Nichts an die Macht schießen, separatistische Bewegungen scheinbar stabile Nationen in alte Spannungen und Spaltungen hinein treiben, und sicher geglaubte Mehrheiten von Parteien in Meinungsumfragen angesichts neuer Kampagnen in sozialen Netzwerken und in der Presse unversehens ins Wanken geraten, ist nur ein Teil der problematischen Lage. In Deutschland bricht die mit dem Fall der Mauer scheinbar überwundene Spaltung der Nation durch die Präferenzen des Ostens für rechte Parteien wie die AfD wieder auf, und die jungen östlichen europäischen Nachbarn kultivieren insgesamt Widerstand gegen jegliche Migration, verweigern europäische Solidarität und fordern die Gemeinschaft dadurch hinaus, dass sie diejenigen transnationalen Verträge, die ihnen nicht unmittelbar wirtschaftlich nützen, aussetzen.

Auch Großbritannien taumelt mit dem Abgang aus der EU in eine bizarre Krise, die nicht zuletzt - ein paradoxer Effekt- vom nationalistischen Impuls ausgehend zu einer schwer aufzuhaltenden internen territorialen Krise mit separatistischen Tendenzen werden könnte- der Abgang Schottlands würde Großbritannien zerstören. In jedem Fall scheint der Sprung ins europäisch geeinigte politisch- wirtschaftliche, transnationale Gebilde - für die Einen ein Ideal, um aus Europa einen starken Partner auf der Weltbühne zu machen, für die Anderen ein administrativer Alptraum - verfehlt, der interne Zerfall in regionale Egoismen und Interessenkonflikte unausweichlich, die wie Gespenster der Vergangenheit aus den Rissen der europäischen Idee auftauchen. Es geht ja nicht nur um den grassierenden Nationalismus, sondern um den vollständigen Zerfall.

Das alles geschieht zu einem Zeitpunkt, in dem beim Partner USA ein populistischer Präsidenten- Clown eine rein destruktive und isolationistische Politik fortsetzt, im ehemaligen Partnerland Türkei eine Art diktatorisches Sultanat entsteht, und in Russland ein vom KGB geführter aggressiver und gedemütigter Riese mit allen Mitteln zu verflossener Größe zurück strebt. Die Politik mit Holzhammer und Kalashnikov wird begleitet von einem im Verborgenen ablaufenden medialen Krieg um Hoheitsgebiete der öffentlichen Meinung, der zielsicher die inneren Risse in den politischen Landschaften auch durch Mittel wie Desinformation verstärkt. Die Melange, mit der wir es zu tun haben, hat ein vulkanisch unberechenbares, pseudo- revolutionäres Zeitgefühl erzeugt; die Risse gehen durch Freundschaften und Familie; auch durch Interessengemeinschaften wie die anthroposophische Bewegung- und es handelt sich sehr schnell um fast unversöhnliche, zutiefst separierende Positionierungen, die dabei entstehen.


Aber gehen wir zunächst auf die pseudo- revolutionäre, anti- elitäre Stimmung in Europa ein, die unversehens neue Parteien und Jung- Politiker wie Sebastian Kurz in Österreich und Emmanuel Macron in Frankreich an die Macht gespült hat. Kurz, ebenso wie Macron ein buchstäblich jungenhafter Darsteller auf der politischen Bühne, hat sich mit seinem ebenso jungen Beraterteam  - das als "loyal und gnadenlos" beschrieben wird- eher rechts und nationalistisch positioniert, während Macron als der Pro- Europäer schlechthin gilt. Dennoch gilt für Beide, was Der Standard über Kurz schreibt: Die Agenda bleibt vage, die populistischen Positionierungen bleiben womöglich nur Mittel zum Zweck, die politische Positionierung gleicht einem „schwarzen Loch“: „Selbst Anhänger, die den Umbau der Partei unterstützen, sagen: "Sein Büro ist wie ein Schwarzes Loch. Man schickt Vorschläge hin, kriegt aber keine Rückmeldung."Ein anderer bemüht einen historischen Vergleich: "Schüssel wollte die Macht und hatte eine Agenda. Bei Kurz hat man den Eindruck, er will die Macht, hat aber keine Agenda.““ (1)

In Die Drei sind im Oktoberheft (2) Alain Morau & Stephan Eisenhut daran gegangen, Emmanuel Macrons Aufstieg zu charakterisieren: „Der Aufstieg Emmanuel Macrons und die Zukunft Europas“- ein einerseits dankenswert sachlicher und fundierter Beitrag, der andererseits schon im einleitenden Textteil typisch anthroposophische Insinuationen und Polit- Phrasen vom rechten Rand einbringt, die das Lied von den Euro- Eliten („bestimmte Kreise“), Bilderbergern, der determinierten Presse, usw singen- ja die sogar Emmanuel Macron unterstellen, ein mediales, rein kosmetisches Produkt langfristiger elitärer Strategien der alten Eliten zu sein.

Dass Macron, wie in dem Artikel breit heraus gestellt, moderne Vermarktungsmethoden in seiner politischen Strategie genutzt hat, ist unbestritten- ihn auf eine „mediale Blase“ zu reduzieren, wirkt dagegen übertrieben und bemüht: „Politik beruht auf Inszenierung und nicht auf Inhalten. Dem Wähler muss etwas vorgespielt werden. Macron war sich dessen vollkommen bewusst.“ (2) Gewiss. Und natürlich wird ein solcher moderner Napoleon (2) durch politische Netzwerke, Kampagnen und mediale Inszenierungen an die Macht getragen. Aber reichen diese Feststellungen aus, das politische Wahlsystem so weit ausgehöhlt zu betrachten, dass Morau und Eisenhut sich veranlasst sehen, „demokratisch“ in Anführungszeichen zu setzen und zum bloßen „Ritual“ im Interesse der immer-gleichen politischen Elite zu erklären? „Das Beispiel zeigt: Im heutigen »demokratischen« Wahlsystem bestimmt nicht die Bevölkerung, welche politischen Positionen in einem Land in Zukunft richtungsweisend werden. Allenfalls verdeutlichen diese Rituale dem Wähler und der Welt, welche Gruppe innerhalb der politischen Elite eines Landes ab nun den Ton angeben wird.“ (2)

Nach Morau und Eisenhut ist selbst der Aufstieg des Front National („Dieses beherrschende Gruppendenken basiert auf neoliberalen Grundlagen, treibt die Vertiefung der Europäischen Union voran und hat für die Wiedereingliederung Frankreichs in die NATO gesorgt. Als einzige Alternative wurde von den Medien der ›Front National‹ (FN) aufgebauscht.“) von Bilderbergern, Eliten, assoziierten Medien und von Macrons Polit- Strategen nur als Schreckgespenst aufgebaut worden, um Macron den Franzosen als „alternativlos“ präsentieren zu können.  Wieder einmal wird in dieser anthroposophischen Karikatur demokratischer Systeme eine systemische Verschwörung suggeriert und damit die Wahl des pro- europäischen Emmanuel Macron zur reinen Farce stilisiert. So etwas stellt in seinen gewollten Zuspitzungen und suggestiven Verzerrungen ein Pamphlet dar, das durchaus aus identitärer Feder stammen könnte und die politische Analyse einer infantilen, ideologisierten Simplifizierung opfert.

Es soll aber nicht verschwiegen werden, dass Claudius Weise, wie bereits in diesem Blog erwähnt, (3) im gleichen Heft auch deutlich gegen identitäre Anthroposophie - vor allem aus der Feder Martin Barkhoffs- polemisiert. Die Auseinandersetzung dieser Beiden ist im Online- Blatt Ein Nachrichtenblatt - Nr. 21 | 2017 („Nachrichten für Mitglieder der Anthroposophischen Gesellschaft und Freunde der Anthroposophie“) weiter gegangen, mit weiteren Zuspitzungen Roland Tüschers und Martin Barkhoffs: „Die westliche Welt lebt im Zeitalter der Gesinnungs- und Sprech-Polizei. Im Internet löschen "Fake News"- und "Hate"-Verfolger länderweit vorsorglich alles, was vielleicht auch nur falsch aufgefasst werden könnte – und die Strafmassnahmen nehmen dauernd zu. Verstösse gegen Gender-Sprechvorschriften werden in amerikanischen Staaten bereits mit Geldstrafen bis zu der Biographie vernichtenden Summe von 250.000 $ oder mit Gefängnis bis zu einem Jahr belegt. Diese Denk- und Sprechverbote bedrängen und bedrohen schon jahrzehntelang auch die anthroposophische Bewegung. "Ein Nachrichtenblatt" hat hierzu kürzlich die "Gegen- erklärung" von Caroline Sommerfeld gebracht und den Artikel "Berliner und Dresdener Lösung" von Martin Barkhoff. Gegen beide Artikel hat Claudius Weise, Chefredakteur der in Stuttgart erscheinenden "Die Drei", ausführlich und scharf Stellung bezogen.“ (4)

Mit einem Wort: Die sich identitär- rechtsrevolutionär verstehende anthroposophische Bewegung, die sich frei macht in Bezug auf angebliche „Denk- und Sprechverbote“, möchte den Rassismus- Verdacht gegen Anthroposophie jetzt - "Basta"- ohne weitere Diskussion beenden, um damit „dem das Denken abschaffenden Zeitgeist“ zu widerstehen. Barkhoff formuliert etwas wirr: „..sich gegen den herrschenden Meinungsdruck, den mainstream zu stellen, je stärker er wird, um so mehr. Und nicht nur in der Nazi- Zeit.“ Die Analyse und Diskussion von gewissen Steiner- Zitaten und - Positionierungen (Neger und Indianer, Sie wissen schon) stellen in Barkhoffs Sicht nichts als Rufmord dar: „Sehr anders verpackt, mit einem ganz anderen ‚word- ing‘, besteht schon länger ein existenzbedrohender Meinungsdruck, Sie wissen es, ich weiss es, und das ‚Establishment' (sagen wir mal: der Bund und die Info3-artigen Zeitschriften) tut nun zwei sehr schädliche Dinge: a) es leugnet den Druck und b) es beugt sich. Schon seit den späten 90er Jahren droht den Waldorfschulen die Vernichtung, die Abschaffung durch den Rassismusvorwurf in der Presse. Ich war damals beruflich mit der Abwehr befasst. Wie dieser Rufmord organisiert wurde, kannte ich bis in Einzelheiten.“ (4) Erwartungsgemäß antwortet Barkhoff auch auf Weises Argumente und Hinweise in Bezug auf Barkhoffs Sympathie- Kundgebungen gegenüber Alexander Gauland mit weiteren elaborierten Bausteinen aus dem identitären Baukasten wie „Hexenjagd“, „erzwungene Sprechakte“ und „Duckmäusertum“. (4)

Eigenartig bleibt die Infantilität und Uniformität dieser Selbstbeschreibung der Rechten als Opfer von Denk- und Sprech- Konventionen. Die Projektion der eigenen Geistlosigkeit auf das von „Mainstream“ und „Eliten“ dominierte öffentliche Diskursfeld wirkt wie ein Stauen aggressiver, wirrer Auflehnung ohne jede Perspektive. Die Schuldzuschreibungen anthroposophischer Lesart bedienen sich verschiedener heute altertümlich wirkender Chiffren (vor allem Freimaurer und Jesuiten), die daher im aktuellen Morau/ Eisenhut- Artikel auf die „gewissen Kreise“ verallgemeinert werden. Sollten die behaupteten „Denk- und Sprechverbote“ tatsächlich einmal ganz gefallen sein, werden die Chiffren sicherlich gefüllt und konkret werden. Bei Leuten, die Demokratie gern in Gänsefüßchen schreiben, ist dabei einiges zu befürchten. Tatsächlich aber reiten Populisten, Separatisten, Nationalisten, Anti- Globalisten und Rassisten auf diesem pseudo- revolutionären Anti- Mainstream- Mainstream an die Macht. Die Barkhoffs und Eisenhuts, die sich so frei fühlen im Widerstand gegen den angeblich „herrschenden Meinungsdruck“ singen das übliche anti- elitäre Liedchen, und bereiten autoritären, vielleicht destruktiven neuen Eliten den Weg- immer entlang der Schnittlinien der inneren Widersprüche der bestehenden Systeme. Je mehr sich die separierenden Kräfte durchsetzen, desto mehr sind die Systeme gezwungen, sich gegen den Zerfall von Innen zu wehren- der politische, wirtschaftliche, geistige Spielraum wird immer enger, die Perspektive verkürzt. Nicht selten haben die neuen Eliten, wie sich zeigt, einen ungehemmten kleptokratischen und autoritären Charakter. Am Ende der Anti- Globalisierungswelle steht die primitive mafiöse Struktur der Clans und Machiavellis. Man wundert sich sehr, dass das die Perspektive heutiger Wortführer und Publizisten in der anthroposophischen Landschaft sein kann.

______
1 derstandard.at/2000066407118/Die-Kanzlermacher-hinter-Sebastian-Kurzschnell-loyal-und-gnadenlos
2 http://diedrei.org/tl_files/hefte/2017/Heft10_2017/02-Morau-Eisenhut-DD_1710.pdf
3 https://egoistenblog.blogspot.de/2017/10/vom-politischen-spuk-das-identitare-und.html
4 Ein Nachrichtenblatt - Nr. 21 | 2017





Verheerungen und Bemächtigungen, aber auch eine Liebeserklärung an die Wirklichkeit. Zu Jens Heisterkamps „Schöne neue Wirklichkeit“

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In „Berliner Kindheit um Neunzehnhundert“ erinnert sich Walter Benjamin an den Einbruch in die Wirklichkeit des bürgerlichen 19. Jahrhunderts, die die Installation der ersten Telefone bewirkte:

Es mag am Bau der Apparate oder der Erinnerung liegen – gewiß ist, daß im Nachhall die Geräusche der ersten Telefongespräche mir anders in den Ohren liegen als die heutigen. Es waren Nachtgeräusche. Keine Muse vermeldet sie. Die Nacht, aus der sie kamen, war die gleiche, die jeder wahren Geburt vorhergeht. Und eine neugeborne war die Stimme, die in den Apparaten schlummerte. Auf Tag und Stunde war das Telefon mein Zwillingsbruder. (..) Nicht viele, die den Apparat benutzen, wissen, welche Verheerungen einst sein Erscheinen in den Familien verursacht hat. Der Laut, mit dem er zwischen zwei und vier, wenn wieder ein Schulfreund mich zu sprechen wünschte, anschlug, war ein Alarmsignal, das nicht allein die Mittagsruhe meiner Eltern sondern das Zeitalter, in dessen Herzen sie sich ihr ergaben, gefährdete.“ (1)

Die „Verheerungen“ bestanden aber nicht nur im offensichtlichen Ende eines ganzen Zeitalters, sondern, individuell, auch in den Folgen, die zu Beginn jeder einzelne Anruf auf das Individuum hatte. Denn das Zwingende, das in den Botschaften dieser „Nachtgeräusche“ lag, bestand auch darin, dass der Junge, der den Anruf empfing, sich so „bemächtigt“ davon erlebte, dass „ich mich dem ersten besten Vorschlag, der durch das Telefon an mich erging .. ergab“. (1)

Diese Ergebenheit wiederholt sich offensichtlich mit jeder Technik neu und beinhaltet ihre eigenen Gefahren, bis eine Gewöhnung, Relativierung und Souveränität im Umgang entsteht- gefährlich waren auch der Volksempfänger, das Fernsehen und sind - aktuell- die sozialen Netzwerke des Internet. Das unwirkliche Nachtelement, das Benjamin beschreibt, ist keineswegs aus der Welt, und mit jeder Technik geht eine neue „wahre Geburt“ (1) ebenso einher wie das Ende eines Zeitalters.

In seinem aktuellen Buch „Schöne neue Wirklichkeit“, das auch eine solche Zäsur und ihre individuellen und gesellschaftlichen Folgen beschreibt, geht Jens Heisterkamp aber nicht nur den technologischen Bannungen und Ergebenheiten der Zeitgenossen nach, sondern - so der Untertitel- „Sieben post- faktische(n) Denkblockaden und ihre(r) Überwindung“ (2). Womit wir es zu tun haben, sind angeblich „alternative Tatsachen“ eines post- faktischen Zeitalters, das mit seinen tief gehenden Zweifeln und Beliebigkeiten den „Neo- Despoten unserer Zeit“ (S. 11) den Boden bereitet hat, die vor keiner Verdrehung von Fakten, keiner Manipulation zurück schrecken und damit auch Erfolg haben.

Heisterkamp möchte der tiefgreifenden Verunsicherung nachgehen, der „intellektuellen Immunschwäche“ (S. 17) in uns, die solche Erfolge möglich macht. Es haben sich „Glaubenssätze“ in den postmodernen Positionierungen durchgesetzt, die „nicht nur unser Denken, sondern unser ganzes Lebensgefühl definieren“ und einen tiefen „Zweifel an der Wirklichkeit“ begründen, aber auch „das Infragestellen der Möglichkeit von Objektivität“. Letztlich besteht eine „Verunsicherung über die eigene Ich- Identität“ ebenso wie eine "tiefe Krise des Ethischen“ (S. 18) schlechthin. Ganz offensichtlich sind postmoderne Zweifel an der Wirklichkeit des Denkens, des Ich und der Welt allmählich zu „Denk- Schablonen des Relativismus der Erkenntnis wie der Werte“ (S. 20) geworden, die wie Blockaden wirken, mit denen die modernen Populisten in Politik und sozialen Netzwerken arbeiten können.

Schon zu Anfang des Buchs setzt Jens Heisterkamp dagegen, dass „Erkenntnisvertrauen und Selbstvertrauen“ (S. 22) zusammen gehören, und dass unser individueller Bezug zum Denken und zur Wirklichkeit unsere Initiativen auch in gesellschaftlicher Hinsicht determiniert. Wer z.B. das Denken nur als „subjektive Spielerei“ und „Verstandeskälte“ (S. 28) ansieht - wie „manche traditionalistische(n) Katholiken, materialistische(n) Naturwissenschaftler, Hirnforscher und Zen-Buddhisten“ (S. 28) dem geht die „kommunikative Vernunft“ (Habermas) verloren, um sich in einer Arena voller „Troll- Fabriken und Social Bots“ zu behaupten. Er liefert sich der „massenhafte(n) maschinelle(n) Propaganda in den sozialen Netzwerken“ (S. 30f) so aus, dass es zu einer „Dekonstruktion jeder denkend- vernünftigen Auseinandersetzung“ (S. 31) kommt.

Letztlich löst sich - nach Hannah Arendt- damit der "menschliche Orientierungssinn im Bereich des Wirklichen“ vollkommen auf. Ähnliche Aussagen zitiert Jens Heisterkamp auch von Marina Weisband. Was dann, wenn das Vertrauen ins eigene Denken derartig erschüttert ist, dem Individuum bleibt, ist eine Vorherrschaft von Emotion und nacktem Willen, den der AfD-Vordenker Marc Jongen z.B. als „Thymos“ einfordert - die „Wut“ als angeblich orientierende Kraft anstelle des Denkens.

Im Verlauf des ganzen Buchs arbeitet sich Jens Heisterkamp durch die Facetten kultureller Geringschätzung: Die Verachtung des Denkens, der Wahrheit, des menschlichen Ichs, der Sprache. Es gibt dabei Parallelen in Bezug auf die Art der „Denkblockaden“ (S. 45), die vor allem in der postmodernen Beliebigkeit liegen, der Phrasenhafigkeit, der Bequemlichkeit. Heute ist nicht die Zeit der Steppenwölfe und Wahrheitssucher, sondern die derer, die schulterzuckend Toleranz heucheln: „Ja ja, jeder hat seine eigene Wahrheit“. Allerdings kippt der Verzicht „auf Verbindlichkeit schnell in die Diktatur der Beliebigen“ (S. 48), wobei „alternative Fakten“ der brutalen Demagogen die Leerstellen der Formeln und Phrasen überrollen- und die Populisten gleichzeitig die Vormacht des  behaupteten Mainstream pathetisch beklagen. Dies, analysiert Jens Heisterkamp, ist die Stunde des postmodernen Narzissmus, der die „persönlichen Vorlieben“ zur Wahrheit verklärt, die absolut gesetzt und in sozialen Netzwerken verteidigt werden- oft nur im Kreisen um den eigenen Standpunkt herum, was häufig den Eindruck eines Kategorienfehlers in dem Sinne macht, dass politische Statements im Sinne eines Wahrheitsanspruchs aufgeladen werden, ohne diesem Anspruch im geringsten genügen zu können- ganz im Gegenteil. Nicht selten werden Wahrnehmung und eigene Position und Interpretation heillos vermischt oder gar die Beliebigkeit alles Wahrgenommenen im Sinne einzelner Konstruktivisten, indischer Gurus oder des Films Matrix konstatiert.

Wirklichkeit existiert in diesen Sichtweisen nur in unseren Köpfen. Das menschliche Bewusstsein ist demnach ein isolierter Innenraum, in dem eine subjektive Spiegelung der „Welt da draußen“ stattfindet. Nach dem gleichen Schema der postmodernen Beliebigkeit wird auch der Mensch selbst betrachtet, dessen Ich als reines Konstrukt erscheint, das, in seiner Innenwelt gefangen, in seine Subjektivität verdammt ist- ein Produkt der Gene und der Umwelt, in das aufgrund der Gegebenheiten seines Sinnesapparats bestimmte Aspekte der Außenwelt auftreffen und das sich nur im Rahmen bestimmter sprachlicher Konventionen artikulieren kann.

Diese destruktiven Bilder vom Menschen als passivem Konstrukt rufen geradezu nach autoritären Führern und Lenkern, da ein verantwortungsfähiges, selbstbestimmtes Individuum im Rahmen einer offenen Gesellschaft, das sehr wohl vernünftig und ethisch handeln kann, in diesen Vorstellungen nicht existiert. Es ist die Absicht von Jens Heisterkamp, an das reife, komplexe, soziale und vernunftbegabte Individuum zu appellieren, die Flügel nicht hängen zu lassen, und zwar auf allen genannten Ebenen, um genau dies zu verhindern: „Wenn ich nämlich annehme, dass ich nichts über die Wirklichkeit wissen kann, dass meine Gedanken und Gefühle nur subjektives Innenleben sind, ja dass ich selbst nur ein Konstrukt bin, dann ist es nur folgerichtig, dass ich mit anderen Konstrukten dieser Art nicht wirklich kommunikationsfähig bin, sondern dass jeder von uns letztlich in einer Blase lebt.“ (S. 116) So kämpft Heisterkamp gegen den zeitgenössischen „ontologischen und ethischen Relativismus“ (S. 125) auf allen Ebenen an- ein Unterfangen, mit dem er sich gegen die Suggestion des Postfaktischen und der „interessengeleiteten Manipulation“ (S. 125) stemmt.

Es ist ein Buch, dem man viele, auch gerade junge Leser, wünscht, die sich im Fokus der „Verheerungen“ (Walter Benjamin) bewegen, den die Bots der Netzwerke, die Nihilisten, Populisten und Spiritualisten anstimmen- der Chor derer, die Liberalismus, offene Gesellschaften und die Treue gegenüber der Vernunft und Selbstbestimmung aus eigenen Interessen zertreten wollen. Jens Heisterkamp setzt einen wichtigen Stein in die Mauer gegen diesen zersetzenden Strom.

_________________

1 Benjamin, Walter. Berliner Kindheit um Neunzehnhundert: Fassung letzter Hand (German Edition) (Kindle-Positionen147-150). Hofenberg. Kindle-Version. n 2017
2 Jens Heisterkamp, Schöne neue Wirklichkeit. Sieben post- faktische Denkblockaden und ihre Überwindung, Frankfurt am Mai https://www.info3-verlag.de/produkt/schoene-neue-wirklichkeit/

bobby: Selbstfindung in einer Scheinwelt giftiger Prophetien der Suggestion und Täuschung

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Der Illusionist



Der Werbespot eines Zauberkünstlers lautet:
"Buchen Sie unvergessliche Momente mit dem Zaubermeister - Auf witzige und charmante Weise verzaubert er Ihre Gäste. Wunderschöne Rosen erscheinen aus dem Nichts, Geld vermehrt sich auf magische Weise und verschwundene Spielkarten tauchen an den unmöglichsten Orten wieder auf. Alles geschieht hautnah vor den Augen der Zuschauer! Zum Berühren, zum Mitspielen, zum Erstaunen, zum Vergnügen. Lassen Sie sich also von ihm verzaubern."

Zauberkunststücke werden heute von manchen Zeitgenossen als echte Zauberei interpretiert. Dazu regen insbesondere die sogenannten Mentalisten oder Illusionisten an, die zwar vorgeben, es ihrem Publikum zu überlassen, ob die Darbietung als Realität oder Illusion bewertet werden soll, aber in Wirklichkeit gerade mit diesem Aberglauben spielen und ihn dadurch nähren.

So auch Doktor Daniele Ganser. Sein neuerdings aufgeführtes Hypnoseschauspiel hilft ihn nicht gerade dabei, Seriosität aufzubauen.

Siehe dazu:
Der Manipulator (*1)
Der umstrittene Basler Historiker Daniele Ganser ist mit einem Hypnotiseur in Aarau aufgetreten. Thema: mediale Gehirnwäsche. Ein denkwürdiger Abend – mit einem Ganser, der unter dem Mantel des Skeptikers sein Publikum an der Nase herumführt.

Gansers These am 23. Oktober 2017 bei seiner Zirkus-Show im Kultur -und Kongresszentrum im schweizerischen Aarau: "Wir sind unter Hypnose".

Mit Hilfe des Hypnotiseurs Gabriel Palacios werden Experimenten im Saal versucht um den Vorgang der Hypnose erlebbar zu machen. Einmal gesetzt, so Ganser, bleibe der "Anker" drin im Kopf.

Die politische Elite und die Medien bedienen sich systematisch Methoden der Hypnose um die Menschen zu manipulieren und so ihre kriegerischen Verbrechen durchzusetzen. Diese pauschalisierende Ansicht Gansers wird von ihm allerdings nicht belegt sondern er wird suggestiv im Raum gestellt. Er sucht wie mit der Lupe nach Einzelereignissen zur scheinbaren Bestätigung seiner kruden Behauptung, nach dem Motto: es lässt sich immer irgendetwas finden. Und kommt dann, unter Ausblendung der Tatsachen die nicht ins Bild passen, zu seinem Konstrukt der Wahrheit. Besser gesagt eine Verzerrung der Wirklichkeit. Nach der Methode der Deduktion: Ganser formuliert eine These, ein Feindbild, und sucht sich selektiv die passenden Beispiele für deren Bestätigung zusammen.

Etwa der Propagandakrieg der Russen. Auf Russland lässt sich Ganser nicht ansprechen, sein Fokus gilt den USA und der Nato. Der Überfall der Ukraine? Kommt nicht vor, obwohl sich jeder "Friedensforscher" brennend dafür interessieren müsste. Über Trumps Intervention in Syrien spricht er minutenlang. Putins Bombenkrieg, die schweren und zerstörerischen Bombenangriffen seit 30. September 2015, erschöpft sich in einer hastig weggedrückten Grafik. Stattdessen lobt er als Alternativen zu den manipulativen Westmedien Putins Propagandaschleudern "Sputnik News" und "Russia Today".

Gegen Ende der Veranstaltung wird, wie bei jeder Gelegenheit, die abgenutzte Schallplatte des Einsturzes von WTC7 aufgelegt. Das macht er schon über seit über zehn Jahre so und er weiß inzwischen wie er die Tastatur der Suggestion und Manipulation bei seine Zuhörer bespielt. In perfekter Beherrschung. Er weiß wie man essentielle Fakten dreist weglässt und wirre Web-Mythen als Fakten darstellt. Jede Pointe sitzt, jeder Lacher kommt an der richtigen Stelle, die Anspannung im Saal geht in Gejohle über und am Ende heißt es dann: Wie kann man nur so blöd sein, der US-Propaganda zu glauben?

Die passende Warnung am Publikum des Verschwörungs-Propagandisten zur Veranstaltung: Man würde nach dem Vortrag nie mehr Medien so konsumieren können wie vorher. Auch hier gilt, allerdings in der Umkehrung, einmal gesetzt, der "Anker" bleibt drin im Kopf.

Die Wahl


Sahra Wagenknecht und die Partei "Die Linke" neuerdings als Wahlempfehlung für Anthroposophischen Wähler bei der vergangenen Bundestagswahl? Eine marxistische Kandidatin der Nachfolgepartei  SED/PDS der ehemaligen DDR? Aber Ja!

Der Marxismus als Inbegriff materialistischer Weltanschauung. Marxismus, im Osteuropa mit Hilfe englischer und amerikanischer Hochfinanz als Bolschewismus umgesetzt als "sozialistisches Experiment", Teil einer "bösartiger Verschwörung", einer "imperialistischen Langzeitplanung", hin zu einer "neuen Weltordnung im Sinne der Ordnungspläne des anglo-amerikanischen Establishments". Das soll die Wahlempfehlung fürs anthroposophische Wahlvolk sein? Ist das eine Utopie oder  eine bemerkenswerte Wandlung gegenwärtigen Geisteslebens, vielleicht sogar eine Sensation neuen Denkens.

Die sonderbare Wandlung war aber keine Utopie sondern Realität des vergangenen Bundeswahlkampfes. Unabhängig von der Tatsache das auch die AfD ein Rückhaltebecken ist  für besonders fundamentalistische Zeitgenossen dieser Geistesrichtung. Aber das war schon länger bekannt.

Die heutige Partei "Die Linke" als Kopie der SED gleichzusetzen wäre, gelinde gesagt, eine Verkürzung der Wirklichkeit. Aber trotzdem, es bleibt die große Frage wie eine solche Gemütswandlung in gewissen esoterischen Kreisen so unerwartet und vor allem so radikal sich vollziehen konnte. War es vielleicht die gemeinsame Abneigung gegen die "monopolare Weltordnung" der Westmächte, gleichzeitig das Bewusstsein, dass nur eine deutsch-russische Freundschaft Europa retten kann, Wladimir Putin sogar die Verkörperung einer letzten Hoffnung für die Zukunft? "Russland hilft, der Westen schießt" konnte man da schon mal sagen hören. Ja, das musste die Lösung dieser Schicksalswahl  sein. Die Herkunft dieser Inspiration konnte dann wenige Tage später hier gefunden werden:

"Sahra Wagenknecht von der Partei Die Linke lehnt Krieg strikt ab. Sie fordert: "Auslandseinsätze der Bundeswehr beenden. Holt unsere Soldaten nach Hause zurück!" Ich teile diese Auffassung. Hier in der Schweiz ist es mir sehr wichtig, dass wir neutral bleiben und auf keinen Fall dem NATO Angriffsbündnis beitreten. Auch die Schweiz sollte keine Soldaten im Ausland haben, die wenigen Soldaten, die wir im Kosovo haben, sollten in die Schweiz zurückkehren. Ich bin fest davon überzeugt, dass die Welt friedlicher wäre, wenn alle Staaten ihre Soldaten, Spezialeinheiten und Geheimdienste in den eigenen Landesgrenzen behalten würden. In diesem Kontext bin ich auch der Meinung, dass das US-Imperium seine Soldaten und Atomwaffen aus Deutschland abziehen sollte."

So am 20. September 2017 Daniele Ganser auf Facebook. (*2)

Wenn Friedensforscher Daniele Ganser das sagt, ja dann…  Wenige Tage später, am 24. September, war es soweit: Wahltag!


Deutschland wird immer niedergedrückt


Im Rahmen der Aktionswoche "Stopp Airbase Ramstein 2017" kam es am 8. September in der Versöhnungskirche Kaiserslautern zu einer Rede des Verschwörungsideologen und selbsternannten "Friedensforschers". Der Wortlaut Gansers (*3) zu Beginn seines Vortags zu der Zuhörerschaft:

"…was hier läuft: Deutschland wird immer niedergedrückt mit dem Stichwort Hitler/Nationalsozialismus. Das ist eine psychologische Kriegsführung, die Sie schon seit vielen Jahren erleiden. Man kann jeden Abend um 10 Uhr Hitler-Waffensysteme so, die Schergen so. Immer, das läuft immer. Und das ist ein Trick, um Sie runter zu bügeln. Und da sage ich, man müsste eigentlich diese Verbindung Deutschland/Hitler, die müsste man kappen und man müsste machen Deutschland/Goethe. Ja! …"

(Ganser wird unterbrochen vom langen und frenetischen Beifall des Publikums)

Wir haben es hier zu tun mit einer klassischen, perfekt ausgeführten Täter-Opfer-Verstellung in Bezug auf die nationalsozialistische Vergangenheitsbewältigung:

Daniele Ganser sieht Deutschland als Opfer einer psychologischen Kriegsführung. Und positioniert sich bei der Abendvorstellung der "Friedensaktivisten" und "Versöhnungsbedürftigen", offensichtlich mit der Sprache der Rechtsextremen, in Bezug auf nationalsozialistische "Vergangenheitsbewältigung". Die Bühne dazu, die Versöhnungskirche in Kaiserslautern vor einem linken Publikum der Friedensbewegung. Die Veranstaltung müsste demnach sinngemäß eigentlich heißen "Stopp-Ramstein, macht Frieden mit Nazis“, das wäre die passende Bezeichnung der gefeierten Inszenierung.

"Deutschland leidet", so Ganser. Und wird seit vielen Jahren in einer Psychologischen Kriegsführung "runtergebügelt".

Von wem soll Deutschland eigentlich niedergedrückt worden sein?
Diese Frage schwebt suggestiv im Raum aber sie wird weder konkret gestellt noch beantwortet. Die Kraft der Suggestion, ihre gezielt-unbewusste Wirkung auf die Zuhörer wirkt aber sofort, der Publikumsbeifall ebenso. Ganser ist, auch hier, ein Könner der Manipulation. Er weiß es und jeder im Saal weiß es natürlich auch,  sofort und unausgesprochen, wer gemeint sein soll: Das Imperium USA und seine kriegslüsternen, bösartigen Eliten der Weltfinanz. Und ihre Marionetten der Medien und der Politik, in diesem Fall in Deutschland, die Verschworenen, sie allen sind zur Verschwiegenheit verpflichtet und verfolgen systematisch und rücksichtslos das geheime Ziel: Die absolute Weltherrschaft des Imperiums. Auch darüber wortloses Einverständnis zwischen Vortragender Ganser und seine Gefolgschaft. Selbstverständlich.

Ganser beklagt die Tricks die angeblich verwendet werden um Deutschland "runter zu bügeln". In Wirklichkeit ist aber er, Daniele Ganser, derjenige der sich immer wieder Propaganda-Methoden bedient. In gekonnter Inszenierung betreibt er bewusst die Entfesselung Instinkte dunkler, hier sogar tiefbrauner Vergangenheit. Goethe soll dabei als Feigenblatt dienen.

Schon zu Zeiten des Dritten Reiches, und davor, war das Feindbild der anglo-amerikanischen Verschwörung immanenter Bestandteil der damaligen Weltanschauung. Sie war zugleich völkisch und rassistisch geprägt. So auch der Glauben an die "verderbliche Rolle des Weltjudentums" im Denken der Nationalsozialisten. Sie zeigt in dieser Hinsicht (Feindbild der anglo-amerikanischen Verschwörung) durchaus eine Verwandtschaft  mit dem Feindbild heutiger Ideologen wie Ganser und die Extremen Akteure zur rechten Seite, die Neue Rechten, aber auch zur linken Seite. Die sogenannten Friedenveranstaltungen zeigen beispielsweise häufig Rechtsextremen und Linksextremen als Querfront fanatischer, anti-westlicher, anti-amerikanischer und Putin-ergebener Eintracht. Das Feindbild der Weltfinanzeliten mit ihrem Imperium USA ist dabei allgegenwärtig und ist das verbindende Element. Die Begriffe und ihre Anwendung der Vergangenheit und der Gegenwart sind nahezu austauschbar. Zu offener Antisemitismus darf heute natürlich nicht aufgerufen werden. Da steht (noch) die "Gesinnungsdiktatur" der "politisch Korrekten" mit ihren "Denkverboten" und mit ihrem "Meinungsterror" im Wege. Wie lange noch?

So erfahren Täter und Opfer einen perversen Rollentausch. Täter werden heute von den Opfern verfolgt und haben darunter schwer zu leiden, so Daniele Ganser, der Erfinder dieser Verschwörungsmythe. Der Regisseur der Inszenierung sollte gefragt werden, was er damit bezweckt. Was ist sein wirklicher Antrieb, seine Motivation für seine Umtriebe als getarnter "Friedensforscher"?

"…Verschwörungsgläubigen machen so ihre sogenannten "Feinde" zum Opfer ihrer Fantasien. Als Gesinnungstäter vertreten und praktizieren sie aber paradoxerweise genau das, was sie an ihren Sündenböcken kritisieren und dämonisieren. Die Umkehrung ist damit perfekt. In dieser negativen Projektion werden Opfer zum Täter und nebenbei, und das ist folgenreich, wird auch die Schuldfrage eigenes Fehlverhaltens, auf die Anderen mitübertragen. Dieser Vorgang der negativen Projektion wird aber von den meisten Gläubigen nicht erkannt oder zumindest nicht eingestanden..."
(Samuel Salzborn in: Angriff der Antidemokraten. Die völkische Rebellion der Neuen Rechten, Beltz Verlag, Weinheim 2017)

Verschwörungsmythen als die negative Projektion seelischer Affekte ihrer Verbreiter. Nicht die angeblich bösartige "Täter" von Verschwörungsmythen sollten hinterfragt werden. Es sollte gerade auf die Urheber, Daniele Ganser und seine Seilschaften, die Aufmerksamkeit gelenkt werden. Ist seine Tätigkeit als "Friedensforscher" in Wirklichkeit nichts mehr al Propaganda, vielleicht sogar Propaganda einer Gesinnung, einer Weltanschauung? Was sind seine Hintergründe dabei, welche Ziele verfolgt er?


Nicht nur Daniele Ganser


Genauso so unerträglich wie  Gansers Täter-Opfer-Verstellung ist die E-Mail in der "Lille-Affäre" der AfD. Der neuerdings aufgetauchte E-Mail der Alice ("Lille") Weidel, AfD-Spitzenkandidat im Wahlkampf, mittlerweile Co-Vorsitzende der AfD Bundestagsfraktion ist authentisch, dieses wurde aber zunächst abgestritten. Wir haben hier ein authentisches Dokument neo-nazistischer Verschwörungsglauben in Reinkultur vorliegen. Wie bei Ganser auch hier ein Mix von historischen Mythen und offenkundige Unwahrheiten.

Der E-Mail der Alice ("Lille") Weidel in Wortlaut, ungekürzt:

Von: Alice Weidel [mailto:alice.weidel@----------]
Gesendet: Sonntag, 24. Februar 2013 12:42
An: J----------
Betreff: Zu unserem Gespräch am Freitag (22.02.2013)

Lieber J---------

Der Grund, warum wir von kulturfremden Voelkern wie Arabern, Sinti und Roma etc ueberschwemmt werden, ist die systematische Zerstoerung der buergerlichen Gesellschaft als moegliches Gegengewicht von Verfassungsfeinden, von denen wir regiert werden. 
Diese Schweine sind nichts anderes als Marionetten der Siegermaechte des 2. WK und haben die Aufgabe, das dt Volk klein zu halten indem molekulare Buergerkriege in den Ballungszentren durch Ueberfremdung induziert werden sollen. 
Dass D gar nicht souveraen ist, duerfte doch fuer den ekelhaften Fatalismus in der Tagespolitik z.B unsere Enteignung durch die Eurorettung, korrumpierte Judikative (Bundesverfassungsgericht) erhellend sein… 
Mehr dazu ein anderes Mal:
http://www.terra-kurier.de/Deutschland.htm 

Liebe Gruesse,
Lille

Ebenso-AfD-Spitzenkandidat und Co-Vorsitzender der AfD Bundestagsfraktion Alexander Gauland braucht da nicht zurückzustecken mit seinen Aussagen über eine Neubewertung der Geschichte Deutschlands beim Kyffhäusertreffen am 2. September: So "haben wir das Recht, stolz zu sein auf Leistungen deutscher Soldaten in zwei Weltkriegen". Mit Blick auf die NS-Zeit von 1933 bis 1945 fügte Gauland, übrigens in erstaunlicher Übereinstimmung mit Daniele Ganser, hinzu: "Man muss uns diese zwölf Jahre nicht mehr vorhalten… Deshalb haben wir auch das Recht, uns nicht nur unser Land, sondern auch unsere Vergangenheit zurückzuholen". Auch nach Gaulands Schlussstrich unter die Nazi-Vergangenheit sind laute Applaus und "Bravo"-Rufe der AfD-Anhänger zu hören. Bemerkenswert sind ebenfalls Gaulands Entsorgungsphantasien zur Person Aydan Özogus, Staatsministerin und Beauftragte der Bundesregierung für Migration, Flüchtlinge und Integration: Bei einer Wahlkampfveranstaltung im thüringischen Eichsfeld am 27. August spricht er einer deutschen Staatsbürgerin und dazu Bundesministerin ab, zu Deutschland zu gehören. In einer abwertenden Sprache, die sie mit "Müll" gleichsetzt, sollte hier unmissverständlich entwürdigend vorgeführt werden "was spezifisch deutsche Kultur" zu sein hat. Es wird für jeden offen sichtbar gemacht mit welcher menschenverachtenden Gesinnung die AfD bereit ist zu ihrer "kulturhistorischen Mission" einer erinnerungspolitischen Wende um 180 Grad (Björn Höcke). Wer einmal den Weg eingeschlagen hat Menschen zu entsorgen, der ist nicht mehr weit entfernt vom Ziel zu  "Entsorgungsanlagen" im Sinne einer Endlösung.

Sehr Aufschlussreich auch der Link von Alice Weidel zu der Terra-Kurier von Joachim Schmidt (*4) am Ende ihres E-Mails.

Auf dieser Adresse lief im Hintergrund die Stimme von "Lilles Masters Voice": die Stimme des "Führers" als akustische Dauerbegleitung. Diese Zumischung ist seit den 11.09.2017 abgeschaltet. Die verbreitete Medienbeachtung wegen der Bekanntmachung des E-Mails dürfte die Änderung herbeigeführt haben.

Dazu noch ein passender Bericht auf der Webseite von Terra-Kurier zur "Lille-Affäre (*5) der AfD:

"…Nun, liebe Leser, außer ein paar Kraftausdrücken, die man einer jungen, gutaussehenden Frau ohnehin nicht zutraut, steht in dieser e-Post, eine Kopie wurde der Redaktion vom TK zugespielt, nichts verwerfliches oder gar inhaltlich Falsches, auch „rassistische“ Formulierungen lassen sich nicht finden. Die e-Post, die mutmaßlich Alice Weidel damals versandt haben soll, enthält eine Verknüpfung zur Terra-Kurier-Seite, um damit dem Empfänger die Frage nach der Souveränität Deutschlands zu erklären. Da dieser TK-Artikel nachprüfbare Tatsachen beschreibt, kann man daraus schließen, dass auch die AfD vom Terra-Kurier lernt, sofern die besagte e-Post denn aus der gemutmaßten Feder stammt…"

Die AfD lernt vom Terra-Kurier. Das ist gut zu wissen. Reichsbürgertum und Führer-Speech mit dabei im Gepäck. Kann die AfD auch von Daniele Ganser lernen?

Offensichtlich ja. Augenfällig ist in vorherigem Zusammenhang die Nähe Gansers zur AfD. Aber nicht nur inhaltlich. So wurde Ganser vom Verein Mittelstandsforum der AfD e.V. zu einem Vortrag am 8. Mai 2017 eingeladen. Am 22. März 2017 sagte aber Daniele Ganser diesen Vortrag beim Mittelstandsforum der AfD wieder ab. In seiner Begründung heißt es vielsagend dazu:

"Doch weil verschiedene Medien derzeit versuchen mich wegen meiner Forschung zu den NATO Kriegen und zu WTC7 zu diffamieren und auch die AfD in die rechte Ecke rücken, kann ich diesen Vortrag leider nicht halten..."

Daniele Ganser sieht sich und die AfD von den Medien, wie immer die böse Medien, in die rechte Ecke gerückt. Absurder geht es wohl kaum, und leicht durchschaubar. Auch hier wird mal wieder die Technik der negative Projektion angewendet: Nicht die Medien rücken Ganser und die AfD als Opfer in die rechte Ecke sondern sie tun das selber in Eigenregie.

Weitere Auftritte Gansers im Umkreis der Neuen Rechten sind bekannt und sollen hier nur kurz angerissen werden:

Im November 2014 auf einem "Quer-Denken.TV-Kongress" auf, organisiert von Michael Vogt. Zusammen mit Andreas Clauß, Konstantin Meyl, Andreas Popp, Franz Hörmann und Gerhard Wisnewski.

Bemerkenswert war vor allem auch seine Auftritt zusammen mit Jürgen Elsässer (Compact) am 26. Juli 2014 auf der AZK-Konferenz des Schweizer Sektengründers und  Holocaust-Leugners Ivo Sasek.

Nicht weniger vielsagend die Beteiligung am Kongress des neurechten Kopp-Verlags am 29. Oktober 2016. Auch hier nahm er als Vortragender teil, zusammen mit Frederick William Engdahl, Peter Orzechowski, Friederike Beck und Wolfgang Effenberger.

Da Ganser in Folge seines Vortrages an der Uni Witten/Herdecke sich in der Presse als Verschwörungstheoretiker bezeichnet worden sah, gab er bekannt, dass er in Deutschland nicht mehr frei seine Meinung äußern kann, ohne diffamiert zu werden. Mit ähnlicher Begründung sagte er auch schon seine Beteiligung am "2. Alternativen Wissenskongresses" in Iserlohn im Februar 2016 ab. Er sollte dort gemeinsam mit Christoph Hörstel und Michael Vogt vortragen. Immer wieder platziert sich Daniele Ganser in der Opferrolle und sieht seine Tätigkeit im Dienste der "Friedensforschung" von den bösen Medien behindert.

Die Reihe ließe sich fortsetzen. Ganser ist außerdem regelmäßiger Interviewpartner von Russia Today und Ken Jebsen, auf der Youtube-Kanal KenFM wo seinen zahlreichen Vorträge und Interviews zu sehen sind.

Und jetzt die Mitarbeit bei der Aktionswoche "Stopp Airbase Ramstein 2017". Ken Jebsen war auch dabei, Oskar Lafontaine von der Partei "Die Linke" ebenfalls. In verschwörungsideologischer Gemeinsamkeit. Allerdings gab es während und auch nach der Aktionswoche bei den Beteiligten Organisationen, leider zu wenigen aber sehr kritischen Stimmen zu Daniele Ganser. Es wurde aber auch die mangelnde Distanzierung gerade seitens prominenterer Stelle beklagt. Auch Ken Jebsen steht im Spektrum der Kritik. Zwei Beispiele zeigen um was er hier geht:


Zur Kampagne ‚Stopp Airbase Ramstein 2017’: Licht und Schatten (*6)

Vertreter von
Die Linke Neukölln und Friedensbewegung Berlin, Bundesausschuss Friedensratschlag, NaturFreunde Deutschlands, Attac usw.
Am 12.10.2017

"…An die Veranstalter von ‚Stopp Ramstein’ aus der Friedensbewegung geht die dringende Aufforderung, endlich die Zusammenarbeit mit problematischen politischen Kräften einzustellen. 
…Hinter den meisten der sog. ‚Mahnwachen für den Frieden’ bzw. was davon noch übrig ist, steht – von Ausnahmen abgesehen - auch die sogenannte  ‚Wahrheits-Bewegung’, auf Englisch Truther genannt bzw. Gruppen und Menschen, die keine Probleme mit deren Positionen haben. Wir halten diese Bewegung für eine zutiefst reaktionäre Bewegung, die mit immer wieder neuen Verschwörungstheorien bzw. –ideologien gesellschaftszersetzend wirkt und zum Teil offen für rechtsextremes Gedankengut wirbt, was sie zum Beispiel regelmäßig mit … Debatten einer vermeintlichen Opferrolle Deutschlands als besetztes Land oder Kolonie der USA unter Beweis stellt…"

Zum Auftritt vom Daniele Ganser:
…Aussagen wie die von Dr. Daniele Ganser gehören zu einem geschichtsrevisionistischen Diskurs, der einen Schlussstrich unter die Aufarbeitung der deutschen Vergangenheit ziehen will. Es handelt sich daher nicht um „inhaltliche Differenzierungen, über die wir weiter reden müssen“, sondern um Aussagen, die in der Friedensbewegung klar zurückgewiesen werden müssen. So erfreulich das klare Bekenntnis zum Antifaschismus ist, müssen wir doch bedauern, dass die Veranstalter zu einer solchen Zurückweisung nicht einmal im Nachhinein die Kraft gefunden haben, geschweige denn unmittelbar, als diese Äußerung gefallen war. Unser Dank gilt an dieser Stelle Henning Zierock, der diesen Skandal bei seinem persönlichen Beitrag auf der Abschlusskundgebung der Menschenkette klar benannt und Gansers Aussage dort zurückgewiesen hat…
…Es sind nicht die Medien, die die AfD in eine rechte Ecke rücken, sondern das ist der Ort, an den sich die Partei selbst stellt. Die Organisatoren der Kampagne ‚Stopp Airbase Ramstein’ haben sich im Vorfeld erfreulich klar von der AfD distanziert, in dem sie deutlich auf „den rassistischen und fremdenfeindlichen Charakter dieser Partei“ hinwiesen. Aber was nützen derartige Aussagen, wenn gleichzeitig jemandem als Hauptredner eine Bühne geboten wird, der das offensichtlich ganz anders sieht? Dass Dr. Daniele Ganser hier immer wieder entsprechend agiert, zeigt auch sein Auftritt bei dem unter dem Motto ‚Geopolitik – Warum die Welt keinen Frieden findet!’ vom als verschwörungstheoretisch und rechtsgerichtet bekannten Kopp-Verlages veranstalteten Kongress am 29. Oktober 2016 in Augsburg. Auch trat Daniele Ganser bei der sogenannten ‚Anti-Zensur-Konferenz’ mit Jürgen Elsässer, dem Chefredakteur des rechtspopulistischen Magazins Compact oder der AIDS-Leugnerin Juliane Sacher auf. Wir halten deshalb Daniele Ganser nicht für einen Referenten, der bei Aktionen der Friedensbewegung auftreten sollte…"

Zum Auftritt von Ken Jebsen:
"…Ken Jebsen durfte eine der Reden bei der Auftaktkundgebung zur Menschenkette in Ramstein halten. Vom Moderator wurde er angekündigt als ein Mensch, „der seit vielen Jahren Volksaufklärung im besten Sinne und massenwirksam betreibt“. Unabhängig vom problematischen Begriff können wir uns dieser Wertung nicht anschließen, da auf dem Portal KenFM, neben durchaus hörenswerten Inhalten, auch regelmäßig kruden Verschwörungstheorien Raum gegeben wird. In seinem Redebeitrag unterstellte er Kritiker*innen wie uns indirekt, Agenten der Rüstungsindustrie zu sein: „Wenn wir nicht untersuchen, wer von der Rüstungsindustrie, wer von der Friedhofsindustrie, die Friedensbewegung bereits unterwandert hat, werden wir nie den gemeinsamen Nenner erreichen, nämlich einen globalen Frieden.“ Wer so argumentiert, macht deutlich, dass er keinerlei Bereitschaft hat, sich mit Kritik ernsthaft auseinanderzusetzen. Während seiner weiteren Rede verstieg er sich zu einer ganzen Reihe kruder Vergleiche mit der NS-Zeit. So sei Auschwitz auf Grund von Ignoranz möglich geworden. Den damals weitverbreiteten Antisemitismus erwähnt er hingegen nicht. Auch die spezielle Form seiner Aufrufe zum Nichtwählen und seine rigorose Haltung zu Massenmedien zielen auf eine gesellschaftszersetzende Politik, wie sie in der Truther-Szene verbreitet ist…"


Zur Kampagne ‚Stopp Ramstein 2017‘ - Kritische Betrachtungen (*7)


Für den "Kampagnenrat Krieg beginnt hier":
Pax Christi, Friedensinitiative Westpfalz, Military Counseling Network e.V, DKP Saarland und Friedensnetz Saar usw.
Am 20.10.2017

"…Inhaltlich sind zwei der Prominenten, die als Zugpferde wirkten, problematisch bis inakzeptabel: Ken Jebsen und vor allem Daniele Ganser mit seinem ahistorischen Schlussstrichplädoyer...Und es mangelt an anderer noch viel prominenterer Stelle an dieser Distanzierung - wie die Rede von Daniele Ganser zeigt:

Es ging um mit Applaus bedachte Grenzüberschreitungen eines Historikers, der genau weiß, was er da gesagt hat. Distanzierungen gab es nicht, einige verließen den Saal, andere versuchten ihn danach vergeblich zur Rede zu stellen. Vom Veranstalter, also den OrganisatorInnen von Stopp Ramstein kam nichts dergleichen.
Von Ganser gab es inhaltlich ansonsten wenig Substanzielles bzw. nichts Neues: Die USA sind seit 1945 ein Imperium, dann eine alt bekannte Aufzählung US-amerikanischer Kriegsverbrechen. Die Kritik an der deutschen Außenpolitik beschränkte sich auf der Teilnahme am NATO-Krieg unter US-Führung "gegen Serbien". Er propagierte eine deutsch-russische Freundschaft und appellierte, sich nicht von außen spalten zu lassen, auch die Spaltung in Oberschicht und Unterschicht lehnte er ab.
Seine Inhalte sind mit denen von Rechtsradikalen kompatibel. Nicht umsonst promotet Vogt Gansers Buch. Ganser tritt auch bei Rechtsradikalen auf (bisher Vogt und Kopp). Dazu passt auch, dass Daniele Ganser am 8. Mai 2017 (sic!) beim Mittelstandsforum der AfD in NRW auftreten wollte, aber mit der Begründung absagte: „[...] weil verschiedene Medien derzeit versuchen, mich wegen meiner Forschung zu den Nato-Kriegen und zu WTC7 zu diffamieren und auch die AfD in die rechte Ecke rücken, kann ich diesen Vortrag leider nicht halten.

Der Beitrag von KenFM alias Ken Jebsen fällt negativ auf (Menschenkette am 09.09.2017):
„Krieg ist ein internationales Elitenprojekt…die Friedhofsindustrie […] und die Friedensbewegung ist eine internationale Bewegung, die sich noch nicht einmal national einigen kann, die Friedensbewegung hat ein großes Marketingproblem sogar im deutschsprachigen Raum und wenn wir das nicht überwinden, wenn wir nicht untersuchen, wer von der Rüstungsindustrie, von der Friedhofsindustrie bereits die Friedensbewegung unterwandert hat, werden wir nie den gemeinsamen Nenner erreichen, nämlich einen globalen Frieden.“
„Woran erkennst Du, dass Du Teil der Friedensbewegung bist? Dass Du gegen Krieg und gegens Töten bist“ (...) „Ignoranz wird über Massenmedien hergestellt.“
„Die Geschwister Scholl haben über alternative Medien kommuniziert. Das waren aus Sicht der NSDAP natürlich Verschwörungstheoretiker.“
„Wir haben einen großen Feind im Land, das sind die Massenmedien finanziert durch eure GEZ-Gebühren.“
 „Seid empathisch, Leute! Nicht empathisch sind die Massenmedien, die zu Ignoranz erziehen. Tote kommen dort nur in Zahlen, nicht plastisch, vor. Lest keine Massenmedien! Schaut kein GEZ-finanziertes Fernsehen, sondern alternative Medien. Hat Sophie Scholl auch gemacht. Sie nutzte alternative Medien.“
„Wählen macht keinen Sinn, alle Parteien sind Betrugsunternehmen. Sie sind alle für den Krieg. Siehe Grüne. Er habe sie gewählt und 1999 sei seine Wählerstimme missbraucht worden, um in Jugoslawien zu töten. Zudem brauche die Friedensbewegung ein besseres Marketing.“ …"

Teilweise gab es aber auch heftigen Widerspruch zur Kritik an Ganser, die NRhZ (Neue Rheinische Zeitung aus Köln: "Krieg gegen Daniele Ganser") sieht da eine Schmutzkampagne, sogar die Entfesselung eines Krieges gegen den Dornacher "Friedensforscher". Ein besonders "infamer Versuch", dem Historiker Daniele Ganser zu unterstellen, er beteilige sich an "rechten Schlussstrichdebatten" und seine Inhalte seien "antilinks" und mit denen von Rechtsradikalen kompatibel. Die NRhZ dürfte als Zeitung der Extremen zur linken Seite bezeichnet werden. Sie vergibt den Kölner Karls-Preis (Karl Marx) für engagierte Literatur und Publizistik. Preisträger 2017 wird sein: Ken Jebsen.


Ein esoterischer "Giftschrank"?


Vieler sogenannter Forschungsergebnisse Gansers sind zum größten Teil zurückzuführen auf einseitigen, fragwürdigen und undurchsichtigen Quellen von Verschwörungstheoretiker der Truther-Szene die häufig gedeihen in unmittelbarerer Nähe radikal-extremistischer und antisemitischer Sichtweisen. Das dürfte bekannt sein.

Zu hinterfragen beim ehemaligen Waldorfschüler  ist nicht nur das Wissen über, sondern auch die Wesensverwandtschaft zu esoterisch geprägten Verschwörungsmythen anthroposophischer Prägung. Sie bestimmen das Denken und die Ansichten nicht nur mancher Vertreter dieser Weltanschauung sondern auch von Verschwörungsideologen unterschiedlicher Herkunft. Finden sie eine Entsprechung im Verschwörungsdenken Daniele Gansers?

"Demokratie als verdecktes Herrschaftsmittel.
Der Österreicher Rudolf Steiner, Begründer der Anthroposophie, hat in einem Vortrag vor rund 100 Jahren behauptet, dass Demokratie und Wahlen nur eine Fassade seien, und dass im Hintergrund mächtige Finanzeliten die Fäden ziehen und die Politiker und Medien steuern. Ob das wahr ist oder nicht, wird bis heute unter dem Stichwort "Tiefer Staat" in der historischen Forschung debattiert. Hier der 100 Jahre alte Originaltext von Steiner als 15 Minuten Youtube-Video:
Demokratie als verdecktes Herrschaftsmittel
https://www.youtube.com/watch?v=NunK8CGTUhk  "

So steht es auf der Facebook Seite von Dr. Daniele Ganser (*8)

Es lohnt sich sehr auch die verschiedenen Kommentare auf Facebook zu lesen.
Im Videoabschnitt wird folgender Text gesprochen:
"Demokratie als verdecktes Herrschaftsinstrument (*9)

25.11.1917, GA 178: Seiten 232-233:
Das wirksamste Prinzip in der neueren Zeit, um die Macht auszudehnen über so viel Menschen als man braucht, ist das wirtschaftliche Prinzip, das Prinzip der  wirtschaftlichen Abhängigkeit.Aber diese  ist  nur  das Werkzeug. Um was es sich handelt, das ist etwas ganz anderes. Um was es sich handelt, das ist eben, was Sie entnehmen können aus all den Andeutungen, die ich gemacht habe. Das wirtschaftliche Prinzip ist mit alldem verbunden, um eine große Anzahl von Menschen über die Erde hin gewissermaßen zum Heer für diese Prinzipien zu machen.
Das sind die Dinge, die einander gegenüberstehen. Da wird hingewiesen auf das, was eigentlich gegenwärtig in der Welt kämpft: im Westen verankertes Prinzip des 18., 17., 16. Jahrhunderts, welches sich dadurch unbemerkbar macht, daß es sich gerade umkleidet mit den Phrasen der Revolution, mit den Phrasen der Demokratie, das diese Maske annimmt und die Bestrebung hat, auf diesem Wege möglichst viel Macht zu erlangen. Günstig ist für diese Bestrebungen, wenn möglichst viele Menschen nicht darnach trachten, die Dinge anzusehen, wie sie sind, und sich auf diesem Gebiete immer wieder und wieder von der Maja einlullen zu lassen…

08.01.1917, GA 174: Seiten 90-91:
Wenn man nach  den tieferen Gründen  dieser Politik  frägt,  muß man, um die Sache zu verstehen, die neuere Geschichte ein wenig zu Hilfe nehmen. Diese geht seit dem 17. Jahrhundert - seit dem 16. bereitet sich das schon vor - darauf aus, zu demokratisieren, in dem einen Land mit größerer, in dem andern mit geringer Geschwindigkeit, indem man den Wenigen die Macht wegnimmt und sie über große Massen ausbreitet. Ich treibe nicht Politik, daher werde ich mich weder für oder gegen Demokratie oder für oder gegen etwas anderes aussprechen; ich will nur Tatsachen hinstellen. Der Drang nach Demokratisierung geht durch die neuere Zeit in mehr oder minder beschleunigtem Tempo,  so daß sich verschiedene Strömungen dabei bilden. Aber es ist ein Fehler, überall da, wo mehrere Ströme in Betracht kommen, nur den einen zu verfolgen. Strömungen verlaufen eben in der Welt so, daß immer die eine das Komplement der andern ist. Ich möchte sagen: eine grüne und eine rote Strömung laufen nebeneinander, wobei die Farbe nichts Okkultes bedeuten, sondern nur besagen soll, daß eben zwei Strömungen nebeneinander laufen. Aber die Menschen werden gewöhnlich, ich möchte sagen, hypnotisiert, immer nur auf die eine Strömung zu blicken und sehen dann die historische Parallelströmung nicht. Wenn man einem Huhn den Schnabel in den Erdboden drückt und eine Linie zieht, so läuft es bekanntlich dieser Linie entlang. So sind die Menschen heute, besonders die Universitätshistoriker, sie betrachten immer nur eine Seite, daher können sie niemals den historischen Gang wirklich verstehen.

Als eine Parallelströmung zu der demokratischen ergab sich die Benutzung okkulter Motive in den verschiedenen Orden, vereinzelt auch in den Freimaurerorden. Geistig sind sie ja durch ihre Zwecke und Ziele nicht, aber, sagen wir, es entwickelte sich eine geistige Aristokratie parallel zu jener Demokratie, die in der Französischen Revolution wirkte, es entwickelte sich die Aristokratie der Loge. Wollte man als Mensch in der heutigen Zeit klar sehen, um der Welt offen gegenübertreten und sie verstehen zu können, so müßte man sich nicht durch die demokratische Logik, die ja nur in ihrer eigenen Sphäre berechtigt ist, durch Phrasen über den demokratischen Fortschritt und so weiter blenden lassen; man müßte eben auch hinweisen auf jenes Einschiebsel, das sich geltend machte in dem Bestreben, den Wenigen die Herrschaft zu verschaffen durch die Mittel, die man im Schoß der Loge hat, dem Ritual und seiner suggestiven Wirkung. Auf dieses müßte man auch hinweisen.
Im materialistischen Zeitalter hat man das wohl verlernt, aber vor den fünfziger Jahren haben die Leute schon auf diese Dinge hingewiesen. Und schlagen Sie philosophische Historiker aus den Jahren vor 1850 auf, so werden Sie sehen, daß die auf den Zusammenhang der Französischen Revolution und aller folgenden Entwickelung mit den Logen hinweisen. In den Zeiten, die als vorbereitend für die Gegenwart in Betracht kommen, hat sich die westliche geschichtliche Entwickelung, die westliche Welt niemals von den Logen emanzipiert. Immer war der Einfluß der Logen stark wirksam, das Logentum wußte die Kanäle zu finden, um den Gedanken der Menschen gewisse Richtungen einzuprägen. Und wenn man ein solches Netz gesponnen hat, wovon ich Ihnen nur einzelne Maschen angegeben habe, dann braucht man nur auf den Knopf zu drücken und die Sache wirkt weiter.

08.01.1917, GA 174: Seite 92:
Sie werden leicht überall Wege finden können, durch die innerhalb der westlichen Kultur der letzten Jahrhunderte, die  der Gegenwart vorangegangen sind, die Prägung der Gedanken in der exoterischen Welt durch die Esoterik der Logen nachgewiesen werden kann. Selbstverständlich gilt dies nicht von der Zeit vor Elisabeth, vor Shakespeare; aber von dem, was später kommt,  gilt es. Die an Lessing, Herder, Goethe angeschlossene deutsche Geisteskultur steht ohne einen solchen Zusammenhang da. Sie werden sagen: Es gibt doch eine deutsche Maurerei - in Österreich ist sie bekanntlich verboten, da gibt es sie nicht - und eine magyarische Maurerei. Aber die haben sie nicht mittun lassen, die andern. Das ist eine recht harmlose Gesellschaft, die zwar mit ihren Geheimnissen sehr dick tut, aber nur den Worten nach. Jene realen, mächtigen Impulse, die ausgehen von jenen Seiten, die ich Ihnen geschildert habe, die finden Sie im deutschen Freimaurertum, dem ich ja nicht zu nahe treten möchte, wahrhaftig nicht…

28.10.1917, GA 177: Seiten 264-267:
Sie werden vielleicht schon gehört haben, daß von gewissen Leuten immer wiederum in die Welt posaunt wird: Die Demokratie muß die ganze Kulturwelt ergreifen. Demokratisierung der Menschheit ist dasjenige, was das Heil bringt; dafür muß man nun alles kurz und klein schlagen, damit die Demokratie sich ausbreitet auf der Welt. — Ja , wenn die Menschen einfach so fortleben, daß sie die Dinge, die als Begriffe an sie herantreten, nur so an sich herankommen lassen, also ganz aufgehend in dem Begriffe Demokratie, dann haben sie eben den Begriff Demokratie so, wie ich ihn als Definition des Menschen angeführt habe: Ein Mensch ist ein Wesen, das zwei Beine und keine Federn hat - wie ein gerupfter Hahn. — Denn ungefähr so viel, wie der, dem man einen gerupften Hahn zeigt, vom Menschen weiß, wissen die Menschen, die heute die Glorie der Demokratie verkündigen, von der Demokratie. Man nimmt Begriffe für Wirklichkeiten. Dadurch aber ist es unschwer möglich, daß die Illusion sich an die Stelle der Wirklichkeit setzt, wenn es sich ums Menschenleben handelt, indem man die Menschen einlullt und einschläfert durch Begriffe. Dann glauben sie, in ihrem Streben gehe es dahin, daß jeder Mensch seinen Willen zum Ausdruck bringen könne durch die verschiedenen Einrichtungen der Demokratie, und merken nicht, daß diese Strukturen der Demokratie so sind, daß immer ein paar Menschen an den Drähten ziehen, die andern aber werden gezogen. Doch weil man ihnen immer vorredet, sie sind in der Demokratie drinnen, merken sie nicht, daß sie gezogen werden, daß da einzelne ziehen. Und um so besser können diese einzelnen ziehen, wenn die andern alle glauben, sie ziehen selbst, sie werden nicht gezogen. So kann man ganz gut durch abstrakte Begriffe die Menschen einlullen und sie glauben das Gegenteil von dem, was Wirklichkeit ist. Dadurch können aber die dunkeln Mächte gerade am allerbesten wirken. Und wenn einmal einer aufwacht, so wird er eben nicht berücksichtigt.

Interessant ist es, wie 1910 einer den schönen Satz geschrieben hat, daß es dem Großkapitalismus gelungen sei, aus der Demokratie das wunderbarste, wirksamste, biegsamste Werkzeug zur Ausbeutung der Gesamtheit zu machen. Man bilde sich gewöhnlich ein, die Finanzleute seien Gegner der Demokratie, schreibt der betreffende Mann - ein Grundirrtum; vielmehr seien sie deren Leiter und deren bewußte Förderer. Denn diese - die Demokratie nämlich - bilde die Spanische Wand, hinter welcher sie ihre Ausbeutungsmethode verbergen, und in ihr fänden sie das beste Verteidigungsmittel gegen die etwaige Empörung des Volkes.

Da hat einmal einer, der aufgewacht ist, gesehen, wie es nicht darauf ankommt, von Demokratie zu deklamieren, sondern wie es darauf ankommt, die Wirklichkeit zu durchschauen, nichts auf alle solche Schlagworte zu geben, sondern zu sehen, was wirklich ist. Heute wäre dies ganz besonders notwendig, denn man würde dann sehen, von wie wenigen Zentren aus die Ereignisse heute eigentlich gelenkt und geleitet werden, die so furchtbar, so blutig über die ganze Menschheit hin walten. Darauf wird man nicht kommen, wenn man immer in dem Irrwahn lebt, die Völker bekämpfen sich; wenn man sich immer einlullen läßt von der europäischen und amerikanischen Presse über irgendwelche Beziehungen, die in den gegenwärtigen Ereignissen zwischen den Völkern sein sollen. Das alles, was da  gesagt wird  über  Antagonismus und  Gegensätzlichkeiten der Völker, das ist dazu da, um über die wahren Gründe den Schleier zu breiten. Denn nicht dadurch, daß man von Worten heute zehrt, um diese Ereignisse zu erklären, kommt man zu irgendeinem Resultat, sondern dadurch, daß man auf die konkreten Persönlichkeiten hinzeigt. Das wird nur manchmal unbequem. Und derselbe Mann, der diese Sätze niedergeschrieben hat 1910, der aufgewacht ist, der hat auch in demselben Buche eine höchst unangenehme Rechnung angestellt. Er hat nämlich eine Liste aufgestellt von fünfundfünfzig Männern, die in Wirklichkeit Frankreich beherrschen und ausbeuten. Diese Liste gibt es in dem Buche «La Democratie et les Financiers», 1910, von Francis Delaisi, von demselben Mann, der das ja mittlerweile berühmt gewordene Buch «La Guerre qui vient» geschrieben hat, das letztere 1911, das Buch «La Democratie et les Financiers» 1910. In diesem Buche finden Sie Sätze von fundamentaler Bedeutung. Da ist einmal ein Mensch aufgewacht gegenüber der Wirklichkeit. In diesem Buche «Die Demokratie und die Finanzwelt» liegen Impulse, um vieles von dem zu durchschauen, was heute durchschaut werden sollte, vieles aber auch zu zerhauen von dem, was als Nebel über die  Gehirne der Menschen hin zum Fluten gebracht wird. Auch über diese Dinge muß man sich entschließen, die Wirklichkeit ins Auge zu fassen.

Natürlich ist das Buch unberücksichtigt geblieben. Aber in diesem Buche werden gewisse Fragen aufgeworfen, die heute in der ganzen Welt aufgeworfen werden sollten, weil sie manches über die Wirklichkeit lehren würden, die man so begraben will unter all den Deklamationen von Demokratie und Autokratie und was die Schlagworte alle sind. In diesem Buche finden Sie zum Beispiel auch eine sehr schöne Darstellung von der üblen Lage, in der eigentlich ein Parlamentarier ist. Nicht wahr, die Menschen glauben, so ein Parlamentarier stimmt nach seiner Überzeugung ab. Aber würde man alle die Fäden kennen, durch die ein solcher Parlamentarier zusammenhängt mit der Wirklichkeit, dann würde man erst wissen, warum er in einem Fall ja und im andern Fall nein sagt. Denn gewisse Fragen müssen aufgeworfen werden. Delaisi wirft sie auf. Zum Beispiel wirft er die Frage auf, indem er einen Parlamentarier ins Auge faßt: Auf welche Seite soll sich der arme Mann stellen? Das Volk zahlt ihm jährlich dreitausend Francs Diäten, die Aktionäre dreißigtausend Francs! - Die Frage stellen heißt sie schon beantworten. Also der gute arme Mann bekommt vom Volk seine dreitausend Francs Diäten, von den Aktionären dreißigtausend! Nicht wahr, es ist ein sehr schöner Beweis, zeugt manchmal von großem Scharfsinn zu sagen: Wie schön ist es doch, daß einmal in einem Parlament ein Sozialist, ein Volksmann wie Millerand, einen Platz gefunden hat! Es ist etwas Großartiges, daß eine solche Errungenschaft möglich geworden ist. Delaisi fragt etwas anderes. Er fragt: Wie steht es mit der Unabhängigkeit eines Menschen wie Millerand, der jährlich dreißigtausend Francs als Vertreter von Versicherungsgesellschaften verdiente?

Da ist einmal einer aufgewacht; der weiß ganz gut, wie die Fäden gehen von den Taten eines solchen Mannes in die verschiedenen Versicherungsgesellschaften hinein. Aber solche Dinge, die heute im Wachzustand über  die  Wirklichkeit erzählt  werden,  die  werden eben nicht berücksichtigt. Man kann natürlich sehr schön den Menschen von der Demokratie der westlichen Welten deklamieren. Wenn man ihnen aber die Wahrheit sagen wollte, müßte man ihnen sagen: Wer soundso heißt, macht es so, und wer soundso heißt, macht es so. - Und da rechnet Delaisi fünfundfünfzig Männer heraus, nicht eine Demokratie, sondern fünfundfünfzig bestimmte Männer, von denen er sagt, daß sie Frankreich beherrschen und ausbeuten. Da ist man auf die realen Tatsachen gekommen, denn auch im gewöhnlichen Leben muß der Sinn erwachen für reale Tatsachen."

"Demokratie als verstecktes Herrschaftsmittel".  Unter dieser Überschrift bezeugt  Verschwörungsideologe Ganser sein Glaubensbekenntnis. "Dass Demokratie und Wahlen nur eine Fassade seien, im Hintergrund mächtige Finanzeliten die Fäden ziehen und Politiker und Medien steuern".  Er stellt es ja auch jetzt wieder "nur" als Frage hin, "Tiefer Staat" (Deep State) soll das Forschungsprojekt (sein Forschungsobjekt?) zu diesem Thema heißen. Er bedient sich hiermit bewusst der Sprache der teilweise antisemitischen "Truther" und der Neuen Rechten. So wie er das immer macht, auch bei den Ereignissen um den 9/11. Ernstzunehmende Forschungen gibt es nicht. Schon gar nicht von Seiten des "Friedensforschers". Er bringt inhaltlich nichts Neues. Er versteht es aber suggestive "Fragen" im Raum zu stellen, losgelöst von jeglichem Bezug zur Wirklichkeit. Da wo Fragen gestellt werden, auch wenn sie keine Substanz haben, bleibt aber immer der Eindruck zurück, dass da auch etwas dran sein müsste. Nach dem Motto "Wo Rauch ist wird es mit Sicherheit auch irgendwo brennen". Das ist die Methode Ganser. Schall und Rauch gibt es bei ihm immer. Die Substanz der Argumentation liegt aber beim Nullpunkt, stattdessen wird reichlich Suggestion und Illusion verbreitet.

Er bedient sich dabei der Hilfe eines Ton/Bilddokumentes ebenfalls unter den Namensgebung "Demokratie als verstecktes Herrschaftsmittel… Ein Hellseher macht eben auch hier Licht!". Ein Musiker aus Mannheim, Marcus Baader (Hochschule für Musik und Darstellende Kunst Mannheim im Fach elektronische Musik, dazu freischaffender Produzent /Arrangeur/Komponist/Fachbuchautor) hat das Filmmaterial online gestellt. Dieser Hochschullehrer hat Anthroposophie als ertragreiche Zusatz-Einnahmequelle entdeckt und bietet auf seiner Webseite ein umfangreiches Programm mit Steiner-Vorträgen  (*10) an, von ihm persönlich gesprochen, mit Bildern und Musik untermalt:

"Wer wissen will, wie, warum, wodurch auditive Schwingungen Freude, Schmerz, Lust und Leid beseelen können, der informiert sich bei einem beseelten Musikwissenschaftler. Wer dagegen wissen möchte, wie und warum er geistig, seelisch, physisch erstarkt oder erkrankt, sowie, was in der kurzen Pause im Schlaf, was in der "Generalpause" nach dem Tode geschieht, der fragt einen hellsichtigen Geisteswissenschaftler wie Rudolf Steiner." 

So liest es sich auf der Webseite und das ist alles bei ihm zu haben. Nicht kostenlos, selbstverständlich. Es findet sich sogar eine "Hellseher CD" im "Angebot". Zum stolzen Preis von 45,00 €. Auf der CD steht: "Rudolf Steiner – Ein Hellseher macht das Licht an!"
Daniele Ganser spricht es ihm nach.

Es gibt aber auch einen Vorsprecher in diesem Spiel und der heißt Herbert Ludwig, Anthroposoph und Waldorflehrer in Rente aus Pforzheim. Wie Daniele Ganser, ausgewiesener und langjähriger Verschwörungsideologe. Und Betreiber einer abenteuerlichen Webseite namens "Fassadenkratzer" wo er sein Hobby nachgeht. Er hat in dieser Sache aber wirklich gründliche Arbeit geleistet. Das muss gesagt werden. Das Gesamtwerk Rudolf Steiners durchforscht und ausführliche Zitaten aus 33 Vorträgen auf 93 Seiten zusammengestellt, allesamt Vorträge der problematischen Art, aus Zeiten der Kriegspropaganda von 1916 bis 1921, gibt Ludwig die Strategie vor, nahezu mit den gleichen Worten wie Daniele Ganser:

"Demokratie als verdecktes Herrschaftsinstrument" so heißt es bei ihm in der Überschrift in seiner Zusammenstellung "über Ziele und Wirkungsweisen westlicher 'linker' grauer Geheimgesellschaften". Von Marcus Baader gesprochen und von Michael Amthor (Mikeondoor) (*11) online gestellt.

Ludwig betreibt Geschichtsrevisionismus höchsten Grades.  Es werden Zeiten kriegerischer Vergangenheit hinaufbeschworen und unter Bezugnahme offensichtlicher Geschichtsfälschungen wird mit suggestiver Verführungskraft versucht in Bezug auf die heutige weltpolitische Lage Ängste von Menschen der Gegenwart zu mobilisieren und zu missbrauchen. Die Extremen der heutigen Gesellschaft, meistens zur Rechten Seite aber auch zur Linken Seite, nehmen das Angebot  wohlwollend entgegen und wissen es zu nutzen. Es ist aber gut endlich zu wissen mit welchen Inhalten sich auch "Friedensforscher" Ganser in Verbindung bringt und damit faktisch seine Selbstentlarvung bezüglich seiner Hintergründe offenlegt. In inhaltlicher Hinsicht aber noch mehr in Bezug auf Motivation und Antrieb, so ist zu vermuten.

Im Video werden Index und Textabschnitte von Herbert Ludwig exakt übernommen:
00.55-01.10Index der Zusammenstellung von Herbert Ludwig
01.10-06.23II. Demokratie als verdecktes Herrschaftsinstrument, Seiten 31-32, GA 178, 174
06.23-07.36 Nicht vorhanden in der Zusammenstellung Ludwigs, GA 174
07.36-16.00II. Demokratie als verdecktes Herrschaftsinstrument, Seiten 32-34, GA 177

Die Quellen in der Gesamtausgabe sind:
25.11.1917, GA 178: Seiten 232-233
08.01.1917, GA 174: Seiten 90-91
08.01.1917, GA 174: Seite 92, nicht vorhanden in der Zusammenstellung Ludwigs
28.10.1917, GA 177: Seiten 264-267

Herbert Ludwig sieht die Hinweise Rudolf Steiners über die Wirksamkeit der westlichen Geheimgesellschaften, die er vor hundert Jahren gegeben hat, auch heute noch als Grundlage für eine "wirklichkeitsgemäße Urteilsbildung der Weltereignisse". Denn, so schreibt er im Vorwort, es gibt keinen Grund für die Annahme, die westlichen Geheimgesellschaften hätten  ihre Wirksamkeit inzwischen eingestellt. Es sollten, so Ludwig, die von ihm zusammengestellten Äußerungen Steiners eine Hilfe sein sich  für die Beurteilung der gegenwärtigen Zeitereignisse zu schulen. Auch  empfiehlt er, die Zitate, obwohl sie recht ausführlich wiedergegeben sind, in ihrem ursprünglichen Zusammenhang nachzulesen.

Beim Letzten kann zugestimmt werden. Die Zitate sind in der Tat großzügig und entstellen weder Sinn noch Inhalt der Äußerungen Rudolf Steiners. Die Behauptung, es gäbe keinen Grund für die Annahme, die westlichen Geheimgesellschaften hätten  ihre Wirksamkeit inzwischen eingestellt und die Hinweise Steiners könnten deshalb noch Grundlage sein für die Urteilsbildung zur heutigen Weltlage, ist aber unverantwortlich und inakzeptabel. Es würde zur Folge haben:  Die höchst fragwürdige Projektion eines 100 Jahren alten Giftschrankes in die Gegenwart. Der Begriff "Giftschrank" wird hier bewusst verwendet da die Vorträge Steiners, der Schwerpunkt liegt in den Jahren 1916 und 1917, in Zusammenhang gesehen werden müssen mit der kriegerischen Propaganda eines Weltkrieges den sich auch Steiner häufig nicht entziehen konnte. Auch deshalb sind seine Äußerungen in Zusammenhang mit den westlichen Geheimgesellschaften, die Freimauerlogen und alles was da an Unterstellungen noch dran hängt, schon für die damaligen Zeit, aber erst recht aus heutiger Perspektive, als äußerst fragwürdig, teilweise auch als fehlerhaft zu sehen. Nichts ist aber einfacher aus der Sichtweise der Gegenwart als die leichtfertige Verurteilung von Menschen die in vergangenen Krisenzeiten und Kriegszeiten gelebt haben und fehlerhafte Einschätzungen gemacht haben. Auch Steiner war ein Kind seiner Zeit. Seine Aussagen mögen in diesem Zusammenhang, situationsbedingt, fragwürdig, teilweise fehlerhaft, manchmal auch widersprüchlich sein. An anderen Stellen hat er sich gegensätzlich geäußert und vor allem, sein Gesamtwirken spricht eine andere Sprache. Wenn das nicht berücksichtigt wird, dann würde man die Bedeutung seiner Persönlichkeit nicht gerecht werden und verkennen. Anthroposophen sollten leben lernen mit den Widersprüchen im Lebenslauf Rudolf Steiners, auch sie gehören zu seiner Persönlichkeit. Nicht die Fehler Steiners im zeitbedingten Umkreis des Ersten Weltkrieges sollten  heute entscheidend sein, sondern die Möglichkeiten seines Wirkens insgesamt, auch in der Gegenwart.

Hier, zur Konkretisierung und zur Übersicht noch einige, vielsagende Stellen aus dem größeren, vorher zitierten  Zusammenhang. Die Entsprechungen zu den heutigen Ideologen der Verschwörung fallen dabei sofort ins Auge. Die Wortwahl, die Formulierungen, die dahintersteckende Suggestionen und die Methode der  Deduktion selektiver Elemente festigen das Feindbild: Die Knechtung der Menschheit durch die manipulativen Eliten vom Großkapitalismus im Dienste eines okkulten und bösartigen Logentums. Die Demokratie als Phrase, als Tarnung für die Machtsinteressen dieser Gruppen, wobei die Menschen absichtlich und ohne es zu merken in einem Zustand willenloser und gedankenloser Gefolgschaft versetzt werden, wie hypnotisiert. Das Feindschaftliche Denken gegen die Westeuropäischen Staaten und Amerika, die in Gegensatz zu Deutschland, von den geheimen und dunklen Logen des Bösen gelenkt werden und zur Weltherrschaft streben. Die Feindschaft gegen die Demokratie, gegen die bestochenen demokratischen Volksvertreter. Als Resultat zeigt sich eine pauschalierende, die Wirklichkeit verzerrende und manipulative Mischung aus politischer Kriegspropaganda und esoterische Mythen theosophischer Vergangenheit. Sie zur Grundlage heutiger Beurteilung des Weltgeschehens zu machen, genau das machen die Fanatiker heutiger Verschwörungsmythen, ist verantwortungslos und brandgefährlich. Darin liegt das eigentliche Problem.

08.01.1917, GA 174: Seiten 90-91:
…Das wirtschaftliche Prinzip ist mit alldem verbunden, um eine große Anzahl von Menschen über die Erde hin gewissermaßen zum Heer für diese Prinzipien zu machen…

…umkleidet mit den Phrasen der Revolution, mit den Phrasen der Demokratie, das diese Maske annimmt und die Bestrebung hat, auf diesem Wege möglichst viel Macht zu erlangen…

…Ich treibe nicht Politik und werde mich weder für oder gegen Demokratie oder für oder gegen etwas anderes aussprechen…

…Günstig ist für diese Bestrebungen, wenn möglichst viele Menschen nicht darnach trachten, die Dinge anzusehen, wie sie sind, und sich auf diesem Gebiete immer wieder und wieder von der Maja einlullen zu lassen…

…die Menschen werden gewöhnlich, ich möchte sagen, hypnotisiert, immer nur auf die eine Strömung zu blicken und sehen dann die historische Parallelströmung nicht…

…so müßte man sich nicht durch die demokratische Logik, die ja nur in ihrer eigenen Sphäre berechtigt ist, durch Phrasen über den demokratischen Fortschritt und so weiter blenden lassen; man müßte eben auch hinweisen auf … dem Bestreben, den Wenigen die Herrschaft zu verschaffen durch die Mittel, die man im Schoß der Loge hat, dem Ritual und seiner suggestiven Wirkung. Auf dieses müßte man auch hinweisen…

…Immer war der Einfluß der Logen stark wirksam, das Logentum wußte die Kanäle zu finden, um den Gedanken der Menschen gewisse Richtungen einzuprägen. Und wenn man ein solches Netz gesponnen hat, wovon ich Ihnen nur einzelne Maschen angegeben habe, dann braucht man nur auf den Knopf zu drücken und die Sache wirkt weiter…


08.01.1917, GA 174: Seite 92
…Sie werden leicht überall Wege finden können, durch die innerhalb der westlichen Kultur der letzten Jahrhunderte…die Prägung der Gedanken in der exoterischen Welt durch die Esoterik der Logen nachgewiesen werden kann. Die an Lessing, Herder, Goethe angeschlossene deutsche Geisteskultur steht ohne einen solchen Zusammenhang da…


28.10.1917, GA 177: Seiten 264-267
…Denn ungefähr so viel, wie der, dem man einen gerupften Hahn zeigt, vom Menschen weiß, wissen die Menschen, die heute die Glorie der Demokratie verkündigen, von der Demokratie…

…Dann glauben sie…daß diese Strukturen der Demokratie so sind, daß immer ein paar Menschen an den Drähten ziehen, die andern aber werden gezogen. Doch weil man ihnen immer vorredet, sie sind in der Demokratie drinnen, merken sie nicht, daß sie gezogen werden, daß da einzelne ziehen. Und umso besser können diese einzelnen ziehen, wenn die andern alle glauben, sie ziehen selbst, sie werden nicht gezogen…Dadurch können aber die dunkeln Mächte gerade am allerbesten wirken…

…daß es dem Großkapitalismus gelungen sei, aus der Demokratie das wunderbarste, wirksamste, biegsamste Werkzeug zur Ausbeutung der Gesamtheit zu machen…

…Denn…die Demokratie…bilde die Spanische Wand, hinter welcher sie ihre Ausbeutungsmethode verbergen, und in ihr fänden sie das beste Verteidigungsmittel gegen die etwaige Empörung des Volkes…

…Heute …würde dann sehen, von wie wenigen Zentren aus die Ereignisse heute eigentlich gelenkt und geleitet werden, die so furchtbar, so blutig über die ganze Menschheit hin walten. Darauf wird man nicht kommen, wenn man sich immer einlullen läßt von der europäischen und amerikanischen Presse über irgendwelche Beziehungen, die in den gegenwärtigen Ereignissen zwischen den Völkern sein sollen…

…die Menschen glauben, so ein Parlamentarier stimmt nach seiner Überzeugung ab. Auf welche Seite soll sich der arme Mann stellen? Das Volk zahlt ihm jährlich dreitausend Francs Diäten, die Aktionäre dreißigtausend Francs! - Die Frage stellen heißt sie schon beantworten…

Die Zitate entsprechen den oben angeführten, ausführlichen Audio-Text-Abschnitt von Ganser/Baader /Ludwig. Um fehlerhalte Inhalte zu vermeiden wurden sämtliche Texte vom Verfasser dieses Beitrages aber direkt der Rudolf Steiner Gesamtausgabe entnommen (siehe die Quellenangaben). Die Wahl des Textes ergibt sich ausschließlich aus der Verknüpfung Daniele Gansers mit Herbert Ludwig (Kapitel II.2, Demokratie als verdecktes Herrschaftsinstrument, siehe ganz unten in der Übersicht der Zusammenstellung). Bei jedem anderen Kapitel aus der Ludwig-Sammlung könnten ähnlichen Verwandtschaften mit heutigen Verschwörungsideologen offengelegt werden. Das würde aber den Rahmen des Beitrages sprengen.

Geheime Machtpolitik, das Streben verborgener Logen nach Weltherrschaft und Macht, Elitenbildung, Großkapitalismus, bestochene Politiker, Demokratie als Scheinfassade zur Tarnung von Machtsinteressen, Manipulationen, Beeinflussung der Bevölkerung durch Hypnose-ähnliche Mechanismen, Gehirnwäsche. Sie mögen sich zu jeder Zeit und überall finden lassen. Nebenbei: Vieles davon findet sich auch im deutschen Kaiserreich und noch mehr danach, in den dunklen Zeiten der deutschen Diktatur.

Es geht aber darum ob die Symptomen des Machtmissbrauches in ihren tatsächlichen Umfang gesehen werden, oder ob sie, unter Annahme einer Verschwörung, durch das konspirative Wirken geheimer Personen oder Organisationen, selektiv vergrößert werden zu einer wirklichkeitsfremde Verallgemeinerung, zu einer Verzerrung, zu einem Wahrheitskonstrukt der Suggestion. Die Mythenbildungen können reichhaltig sein. Die Macht der Täuschung und Massensuggestion sind allgegenwärtig dabei. Sie hat die Menschheit in zwei verheerende Weltkriege verführt.

Auch Caroline Sommerfeld, neurechte Autorin der "Sezession" um Götz Kubitschek, Aktivistin der Identitären Bewegung in Wien, hier marschiert sie bei den Fackelzügen mit, hat offensichtlich aus den gleichen Texten geschöpft in ihr umstrittenerer und fragwürdiger Beitrag  in der Zeitschrift "Ein Nachrichtenblatt für Mitglieder und Freunde", Nr. 17 vom 27. August 2017 ("Denkverbote - Eine Gegenerklärung zur Angst des Bundes der Freien Waldorfschulen vor Rassismusvorwürfen"):

"Es wird gar nicht lange dauern, wenn man das Jahr 2000 geschrieben haben wird, da wird nicht ein direktes, aber eine Art von Verbot für alles Denken von Amerika ausgehen, ein Gesetz, welches den Zweck haben wird, alles individuelle Denken zu unterdrücken. (...)
Und damit nicht gestört wird das feste Gefüge des sozialen Zusammenhangs der Zukunft, werden Gesetze erlassen werden, auf denen nicht direkt stehen wird: Das Denken ist verboten, aber die die Wirkung haben werden, daß alles individuelle Denken ausgeschaltet wird. Das ist der andere Pol, dem wir entgegen arbeiten.
Dagegen ist das Leben heute immerhin nicht gar so unangenehm. Denn wenn man nicht über eine gewisse Grenze hinausgeht, so darf man ja heute noch denken, nicht wahr? Allerdings eine gewisse Grenze überschreiten darf man ja nicht, aber immerhin, innerhalb gewisser Grenzen darf man noch denken. Aber das, was ich geschildert habe, das steckt in der Entwicklung des Westens, und das wird kommen durch die Entwickelung des Westens.
Also in diese ganze Entwickelung muß sich auch die geisteswissenschaftliche Entwickelung hineinstellen. Das muß sie klar und objektiv durchschauen. Sie muß sich klar sein, daß das, was heute wie ein Paradoxon erscheint, geschehen wird: ungefähr im Jahre 2200 und einigen Jahren wird eine Unterdrückung des Denkens in größtem Maßstabe auf der Welt losgehen, in weitestem Umfange. Und in diese Perspektive hinein muß gearbeitet werden durch Geisteswissenschaft."
(04.04.1916, GA 167: Seiten 98,100,101)

Auch hier wieder hat Michael Amthor (Mikeondoor) (*12) das Dokument online gestellt.

Nebenbei: Das "Verbot für alles Denken welches den Zweck haben wird, alles individuelle Denken zu unterdrücken" gab es nicht erst im Jahr 2000, schon gar nicht von Amerika und vom Westen ausgehend sondern in der deutschen Diktatur des Völkischen, in seiner brutalsten Erscheinungsform verbunden mit einem absoluten Willen zur Macht und Weltherrschaft in einem noch nie dagewesenem Umfang. Daran sollte immer wieder erinnert werden in der Auseinandersetzung mit den Neuen Rechten. Die neurechten Bewegungen definieren Identität über das Völkische und verachten und hassen die demokratische und rechtsstaatliche Gesellschaft die ihre Berechtigung sucht in dem Ideal der Identität als Ausdruck der freien Persönlichkeit.

Die "Kriegsvorträgen" Rudolf Steiners, gerade auch ihre gegenwärtige Verbreitung im Internet, teilweise ihre missbräuchliche Nutzung von Gruppen völkisch-nationalistischer, radikaler und identitärer Gesinnung, sie sollten dazu führen, dass ihre Problematik umfassend erkannt und offengelegt wird. Das will heißen auch ohne den von Anthroposophen geprägte Denkverbote und Meinungsterror. Das ist bitter notwendig in der heute unausweichlichen Konfrontation mit den menschenverachtenden Feindbildern und ihre Sprache des Hasses und Gewalt. Der "Giftschrank" der Verschwörungsmythen öffnet sich und die "Venena", die Giftstoffe und die Betäubungsmittel, sie treten aus und die Wirkung ihres Hasses entfaltet sich in den Legenden heutigen Zuschnitts. Ihre betäubende und vergiftende Wirkung bewirken eine schleichenden Erosion und Aushöhlung der Grundlagen der freiheitlichen, demokratischen und rechtsstaatlichen Gesellschaftsordnung.

Hier zeigt sich die Wirkung des Giftes bei der "Sezession" der neurechten Identitären:                                                                                                                                                                                         "Auch  die  neurechte  Sezession  spricht  vom  "permanenten Ausnahmezustand", in dem Merkel während der Flüchtlingskrise die "linksliberale Gutmenschenideologie der bundesrepublikanischen Elite" retten wollte, wobei die Medien "die politische Klasse"  nicht  kontrollieren  würden,  sondern  "Teil  des  Establishments"  seien.  Und  in  der  auflagenstarken Wochenzeitung Junge Freiheit ist die Rede vom "anschwellende Strom"  von Flüchtlingen, der sich "ins Sehnsuchtsland Deutschland Bahn" breche, als "Produkt von politischen Fehlentscheidungen und Interessen", bei denen "Flüchtlinge als Waffe" fungieren würden. An den Universitäten herrsche, mit Blick auf die Initiierung von Zivilklauseln, eine "Gesinnungsdiktatur", es existierten "zeitgeistige Denkverbote", man befinde sich "unter geistiger Besatzung". Die Erfolge der AfD bei Landtagswahlen seien Folge eines "stickigen Zwangskonsenses", bei dem "eine abgehobene politisch-mediale Klasse" das "Publikum mit dem Dämmschaum politischer  Korrektheit"  umschlossen  habe:  "Die  Bürger  haben  den von oben verordneten Konsens satt und begehren dagegen auf.""

(Samuel Salzborn in: Angriff der Antidemokraten. Die völkische Rebellion der Neuen Rechten))

Unwissen schützt nicht vor Schuld. Das war so in der Vergangenheit und das wird auch zukünftig nicht anders sein.

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Weblinks

*1) https://tageswoche.ch/gesellschaft/der-manipulator/
*2) https://de-de.facebook.com/DanieleGanser/posts/1565165496878259
*3) https://www.facebook.com/redoc.eu/videos/1146290192137082/
*4) http://www.terra-kurier.de/Deutschland.htm
*5) http://www.terra-kurier.de/alleWeltArchiv15.htm
*6) http://www.krieg-beginnt-hier.de/attachments/article/106/Kritik%20Kampagne%20Stopp%20Airbase%20Ramstein%20Lichjt%20und%20Schatten.pdf
*7) http://www.krieg-beginnt-hier.de/attachments/article/108/Kritik%20Stopp%20Ramstein%202017%20Kbh%20Endfassung.pdf
*8) https://www.facebook.com/DanieleGanser/posts/1568154063246069
*9) https://www.youtube.com/watch?v=NunK8CGTUhk
*10) www.Rudolf-Steiner-Audio.de
*11) http://mikeondoor-news.de/wp-content/uploads/2016/09/Rudolf-Steiner-über-Ziele-und-Wirkungsweisen-westlicher-Geheimgesellschaften-Herbert-Ludwig.pdf
*12) http://mikeondoor-news.de/wp-content/uploads/2017/09/2017-Nr.17-Ein.Nachrichtenblatt.pdf

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Die anthroposophische Melancholie und ihre freßsüchtigen Idiotengötter. Über Karen Swassjan

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Lassen wir den Blick auf anthroposophische Autoren mit Substanz schweifen, fällt dieser bald auf den armenischen Karen Swassjan, der durch seine Originalität besticht, aber in seinem sehr spezifischen, mäandernden Schreibstil, seinen oft schillernden Formulierungen, aber auch einer bestimmten melancholischen Attitüde nicht in die leicht verdaulichen Raster passt.

Seine biografischen Daten (1) hat er in einem Interview für die Zeitschrift Agora hinterlegt, in dem er auch auf seine distanzierte Positionierung gegenüber dem etablierten anthroposophischen Mainstream zu sprechen kommt: „Wie würden Sie dann die immer wieder aufgestellte Behauptung erklären, Anthroposophie sei eine Sekte?“ Swassjan:  „Durch den sektiererischen Geist jener Anthroposophen (und wären es auch die meisten), die Rudolf Steiners Erkenntnisse so vor der Welt vertreten, dass es dieser nicht zu verübeln ist, wenn sie zu dieser Ansicht kommen muss. Die Menschen, die so denken, sind freilich zu faul, den ursprünglichen Impuls von seinen zahlreichen Entstellungen zu unterscheiden (ein Beispiel, an dem sich dies gut zeigen lässt, ist übrigens das Christentum in seiner Geschichte). Es ist schon tragisch, dass die Welt durch die Vertreter des anthroposophischen Impulses bis heute keinen Zugang zur echten Anthroposophie gefunden hat, wie sie bei Rudolf Steiner auch in der Gegenwart noch in ihrer ganzen Wucht zu finden ist.“ (1)

Die „ganze Wucht“ Karen Swassjans, der wir hier ein wenig folgen wollen, ist in zahlreichen Büchern, Aufsätzen und Vorträgen auf einer der Geisteswissenschaft gewidmeten Website (2) zu finden- auf Deutsch und Russisch, und mit einer originellen Definition dessen, was in seinen Augen unter Anthroposophie zu verstehen ist: „Es ist deswegen nur mit Vorbehalt zulässig, Anthroposophie als Okkultismus zu bezeichnen: Sie ist zwar ein Okkultismus, jedoch einer, der sich in jedem Fall ohne irgend welche Geheimlehren indischer oder sonstiger Prägung, keineswegs aber ohne Ernst Haeckel erschließt. Das bedeutet: Ihr liegt nicht Tradition und Autorität zugrunde, sondern die Naturwissenschaft, die sich auf die eigenen Gründe besinnt und organisch in die Geisteswissenschaft hinüberwächst.“ (3) Der impulsive, präsente, gegenwärtige Charakter des Geistes, wie ihn Swassjan versteht, passt sich in die Erfordernisse und Notwendigkeiten von vorgefundenen Aufgabenfeldern ein und lässt sich durch keine Tradition fassen- er lebt „nicht in den Totenmasken des Gewesenen, sondern in der Vergegenwärtigung ihrer Energeia“ (3) und wird daher sowohl vom traditionellen Okkultismus wie von der Wissenschaft leicht missverstanden. Das letzte (2016) Thema Swassjans, dem er auch Kurse und Vorträge widmet, ist eine „Geschichte der Philosophie in karmischer Perspektive: Ein Nachruf auf das Denken von Plato bis Stirner“ (4)

Ein solcher „Nachruf auf das Denken“ freilich liegt im denkbar größten Gegensatz zur von Swassjan postulierten Energeia des Geistes- seine melancholische Attitüde wird sogar von seinem brodelnden Schreibstil widerlegt; wird aber in all ihrer zivilisatorischen Skepsis zu einem Kontinuum in seiner Positionierung. Das wird deutlich, wenn man auf seine 1998 erschienene Schrift auf Europa („Europa, quo vadis II. In Erinnerung an eine versäumte Genesung“ (5)) blickt. Es geht Swassjan darin um nicht weniger als um einen Abriss der geistigen Situation Deutschlands nach dem Zweiten Weltkrieg bis zum Ende des alten Krieges, zwischen Holocaust und drohender atomarer Vernichtung. Im Gegensatz zu so vielen anthroposophischen Sonntagsrednern macht sich Swassjan nichts vor: Die von ihm vertretene Geisteswissenschaft war in dieser schwierigen Ära nicht kulturell prägend oder auch nur engagiert, denn „wir hielten es für allein angezeigt, diese uns überantwortete Wissenschaft des Heiligen Geistes in den Dienst unserer dichterischen, malerischen, philosophischen, künstlerischen, schwätzerischen, sonstigen, jedenfalls eitlen, flapsigen und miserablen Kreativität zu stellen, kurz: Wir legten uns längslang ins Zeug, willens, unser Kreativstes zu tun, nur daß der Verdacht nicht auf uns fiele, daß es uns gibt; nur daß die Welt an uns vorüberginge, ohne uns auch nur eines flüchtigen Blicks für würdig befunden zu haben.“ (6)

Freilich kommen auch die Anderen, vornehmlich die Philosophen, bei Swassjan nicht gut weg. Er verdächtigt die Zeitgenossen vor, aber auch nach 1945 vor allem Elias Canettis „Masse und Macht“ gefolgt zu sein- einer Analyse, hinter der Swassjan unschwer „das Zugegensein des Auftraggebers Ahriman“ erkennt; die totale Berührbarkeit besteht nach Swassjan im Willen, nicht nur in der Masse aufzugehen, sondern „selber Masse“ (7) zu werden. Dieses Sich- Verlieren sieht Swassjan in Nazi- Fackelmärschen ebenso wie im Hinterher- Hecheln der Wirtschafts- Wunderzeit - dem modernen „wohltätigen Drachen“ verfallen, dessen moderne Sündenfall- Fassung im Vergleich zu der klassischen zumindest den Vorzug hat, "daß sie außer eines gesunden Appetits keiner weiteren Anstrengung bedarf“ (8) Das Sich- Verlieren sieht Swassjan auch in den Philosophen der Nachkriegszeit, die vor allem kollektiv philosophierten, wie man sich selbst aus der nationalsozialistischen Patsche befreit, um dabei selbst „glimpflich davonzukommen“. Dabei bekommen vor allem Jaspers und der gedrechselte Heidegger ihr Fett weg: „Die Deutschen haben ihrem fatalen Führer genau soviel Gefühlsüberschwang und Fanatismus entgegengebracht, wie ihnen an Bewusstsein und Geistesgegenwart von ihren Philosophen abgenommen wurde.“ (9) Der „Seinshirt“ und „Hitlerrektor Heidegger“ (10), dem das „Große des zu Denkenden zu groß“ erschien, hat allerdings hauptamtlich die philosophische Vernebelung der antisemitischen Reflexe im Nachkriegsdeutschland vertreten - ein „weltweit beachteter Philosoph, der seinen Lesern zeit seines Lebens blauen Dunst vormachte“ (11).

Diesen Sündenfällen der Intellektuellen, die es fertigbringen, „an der Intelligenz vorbeizudenken“, setzt Karen Swassjan „im Zeitalter des wild gewordenen Nominalismus“ anthroposophische Begriffe entgegen, die allerdings weder frömmelnd „als Buckel (der) Frömmigkeit und Spiritualität“ (12) noch als abstrakte Begriffe aufgefasst werden dürfen- es gilt ihnen gegenüber „die terminologische Schwelle zu überschreiten und mit Anschauungen zu beginnen“ (12). Rudolf Steiner habe die religiös- spirituelle Symbolik nur als Scheinbild oder Gleichnis gewählt, da er ein Publikum nur bei Theosophen gefunden hatte, die „der Sprache der „Philosophie der Freiheit“ weder gewachsen noch geneigt“ waren: „Was allein zu tun blieb, war, das Philosophische ins Theosophische umzuformulieren.“ (13)

Aber die „lieben Anthroposophen“ (14) neigen eben immer wieder dazu, die theosophischen Begriffs- Zöpfe fortzuspinnen, statt die an jeden Menschen verschenkte immanente Transzendenz so zu entdecken, zu pflegen und weiter zu geben, „dass jeder Mensch sie als sein Höheres in sich zu entdecken vermag“ (15) Das ist für Swassjan der notwendige Wechsel vom Vorrecht „christlich (zu) glauben“ zu dem, „christlich denken zu können“ (15). Er nennt das die „immerwährende Präsenz des Weltsinnes“- eines Logos, der weder in Begriffen und Symbolik noch „in der kirchlichen Dogmatik“ (16) zu finden sei: „Will man christlich denken, so beobachtet man alles, was einem unter die Augen kommt, und wird seiner in dem Licht gewahr, das vom gegenwärtig wirkenden Christus auf es fällt.“ (16) Der von Swassjan gemeinte Logos wirkt in dem „Denken und Erkennen, indem er sich in den individuellsten Gestalten der menschlichen Intelligenz geistig sichtbar macht“ (16).

Die globalen apokalyptischen Erschütterungen, die wir erleben, sind nach Swassjan die äußeren Bilder der in diesem Sinne nicht vollzogenen individuellen Geist- Geburt: „Apokalypse heißt: Ein sich im Ich nicht vollbringen lassen wollendes Mysterium wird ins Geschichtliche verdrängt- als Katastrophe“ (17). Man muss Karen Swassjans Formulierungen tatsächlich auf der Zunge zergehen lassen, um die in ihnen liegende Wucht zu schmecken, auch wenn der Wahrheitsgehalt womöglich minimal sein mag - sie klingen auf jeden Fall gut und haben suggestive Macht: „Wo die Erkenntnis mißlingt, treibt sie ihre ungeborenen Imaginationen als apokalyptische Bilder ab.“ (18) Oder, angesichts der Bedrohung einer nuklearen Zuspitzung: „Man konnte doch nicht im Ernst glauben, die Welt offenbare ihr Ich- Wesen spiritualistisch eigens für Theosophen, nicht aber auch physikalisch für Physiker.“ (19) „Man legt doch nicht umsonst schon ein halbes Jahrhundert lang nukleare Waffenvorräte an.“ (20)

Nun, die nukleare Bedrohung, die Swassjan hier sieht, ist von ihm vor zwei Jahrzehnten beschrieben worden, aber mit Trump, dem Wiedererstarken des sowjetischen Geistes im Sinne der Putinschen Kleptokratie, der iranischen Aggression  und dem nordkoreanischen Pubertärismus wieder höchst aktuell. Manches in der melancholischen und arroganten Attitüde Swassjans hat heute allerdings ein deutliches Geschmäckle. Da jeglicher Trend, jede Gruppe, Schule oder Richtung Swassjan zuwider ist, („die modernen Philosophen, von denen zwölf bekanntlich ein Dutzend machen“ S. 10), siedelt er sich recht komfortabel in einer elitären Nische an, die die Heimatlosigkeit eines wahren Steiner- Schülers widerspiegeln mag, womöglich aber ihrerseits auch sein - Swassjans-  Urteil korrumpieren mag. So geht er denn von der „Todesursache des Westens: Darm- und Gehirnverschluß“ (S. 8) über zum Widerwillen, die Deutschen nach Auschwitz als ein „Volk von Mördern“ zu sehen, dem die „ganze zivilisierte Welt“ „Umerziehung“ (S.9) angedeihen lässt. Die No Problem - Mentalität des Westens wird ebenso gegeißelt wie sein Konsumismus, bis hin zur Demokratie schlechthin: „Im 20. Jahrhundert kämpft man gegen das Ich entweder dadurch, daß man es demokratisch vertuscht, oder aber dadurch, daß man es totalitär aufbläst. Der eine Pol ruft dann jeweils das Bedürfnis nach dem anderen hervor. Schon Plato wusste, und wir wissen es besser, daß es keinen kürzeren Weg gibt, Tyrannen ins Leben zu setzen, als die Demokratie.“ (21) Der Führer ist dann lediglich eine missglückte, pur ins Leben umgesetzte „Ich- Imagination“. Die demokratischen Prozesse werden mit Ängsten der Völker vor solchen diktatorischen Persönlichkeiten - wie z.B. Stalin- gelenkt.

Dann kippen bei Swassjan die Schrnken weiter, indem er ziemlich nahtlos über in eine generelle Verächtlichmachung der ganzen deutschen Nachkriegsphilosophie als „Orientierungskrisenbusiness“ übergeht. Die melancholische, elitäre Positionierung, die sich in Selbstverzückung gefällt, verachtet einerseits „die typisch deutsche Verrenkung, auf einen gralssüchtigen Psychotiker zu setzen“, hält aber eben gleichzeitig „seinen demokratischen Gefühlsüberschwang im Zaume“ (22), angesichts der „Volksabstimmungen“ in Deutschland 1933 und „bei Kaiphas in Jerusalem 33“ (22).

Aus der Perspektive des geistigen Melancholikers ist die Schuld der Deutschen nach 1945 letztlich nur eine Variante des „Schattens“ der Hitlerzeit: „Die Umerziehung des deutschen Volkes durch die moralisch- polizeiliche Sanierungsmaßnahme Denke nicht, lebe! stellt nicht mehr und nicht minder als eine Schatten- Transplantation dar. Der deutsche Schatten, der zwischen 1933 und 1945 Deutschland und Europa unter dem Namen Adolf Hitler überzog, heißt ab 1945 und fortan- Schuld.“ (23) Der „deutsche Doppelgänger“ sei lediglich so ausgetauscht worden, „daß er in Washington, London und Moskau ohne Dolmetscher verstanden wird.“ (23) Überhaupt seien die russischen und amerikanischen „Eroberer“ von einer ihnen nicht bewussten „abgrundtiefen Sehnsucht getrieben“ gewesen und kamen in Wahrheit als „Pilger“ (24) - ganz offensichtlich auf der Suche nach dem wahren deutschen Geist.

Solche treibenden Kräfte seien den „liberalen Gecken“ (24), vor „lauter Humanität und Correctness“ blind, nicht klar zu machen. Um es kurz und brutal auf den Swassjanschen Punkt zu bringen: „Ähnlich wie die römischen Legionen Griechenland erobern, um Platos Gastmahl zu empfangen, wie fortan die wildgermanischen blonden Bestien über Rom herfallen, um dem Christusimpuls durch alle Maja hindurch zu begegnen und ihn in sich aufzunehmen, so ziehen die Rotten aus dem wilden Westen und dem wilden Osten in das gelobte deutsche Land ein, um desselben Impulses, diesmal aber in einer völlig unerwarteten Artung, über alle Gräuel hinweg gewahr zu werden.“ (25) Die, die als Sieger von den „Weltenden“ „zu den Besiegten der Weltmitte“ (26) strömten - nicht, um die Konzentrationslager zu öffnen, sondern aus Hunger nach dem, was diese „Weltmitte geistig hätte geben können“ (26)- gingen leer aus, weil - so der sich immer weiter in Rage schreibende Swassjan- die Anthroposophen „inzwischen ahnungslos im Luxus des Geistes (schwelgten) und ließen sich’s wohl sein, ohne auf eine Lappalie wie den Weltkrieg Rücksicht nehmen zu wollen“ (27). Die „verlotterte Weltmitte“ wurde so durch den „freßsüchtigen Idiotengott Dada des Westens und des Ostens“ (28) überflutet, was wohl den Blick Swassjans auf den demokratischen Aufbruch nach 1945 beschreiben soll.

Vielleicht reicht es auch den wohlwollenden Lesern an dieser Stelle und sie möchten von den nun folgenden Ausführungen Swassjans zur Erdenmission, zu Christus und den Widersachern verschont bleiben. Es sei nur erwähnt, dass Swassjan auf political correctness ebenso wie auf spiritual correctness von kritischen Anthroposophen abzielt, die dem „Fürsten dieser Welt ihre anthroposophische Loyalität“ (28) dadurch beweisen wollen, dass sie sich vom Rassismus Rudolf Steiners distanzieren. Eine solche Distanzierung ist für Swassjan ebenso undenkbar wie die Leugnung der besonderen Mission des Deutschen, das für ihn schlicht ein Synonym zu Weltmitte darstellt. Die vorgebliche melancholische Verschwebtheit in mäandernden Begriffen und verwinkelten argumentativen Zügen fällt bei ihm schließlich in einem fanatischen Fanal zusammen, das sich als anti- demokratisch, elitär und Kriegsgräuel relativierend entpuppt. Die spirituelle Selbstfindung ist bei ihm verankert in der deutschen Weltmitte- ein identitäres Wurmloch, das im Humanismus und demokratischen Prozessen nicht mehr als Ablenkungsmanöver irrelevanter Idealisten sieht. Dieser Apokalyptiker sieht in zivilisatorischen Zusammenbrüchen nichts als die Geburtswehen zu einer spirituellen Verwirklichung, die er bislang vor allem in sich selbst realisiert sieht. Der Logos dieser Geistesart kann einen schaudern lassen- diese „Vergegenwärtigung der Energeia“ (Swassjan) geht offenbar über Leichen.


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1 „Karen A. Swassjan, der auch diesen Herbst wieder verschiedene Kurse in der Schweiz anbietet, ist einer der engagiertesten anthroposophischen Redner und Autoren der Gegenwart. 1948 in der armenischen Hauptstadt Erevan geboren, studierte er Philosophie sowie englische und französische Philologie an der dortigen Universität und promovierte mit einer Arbeit über Henri Bergson. 1981 erschien seine Habilitationsschrift über «Das Problem des Symbols in der Philosophie der Gegenwart». Karen Swassjan war Professor für Philosophie, Kulturgeschichte und Ästhetik an der Universität Erevan. Daneben trat er als Übersetzer ins Russische und Herausgeber von Werken Nietzsches, Spenglers und Rilkes sowie als Autor zahlreicher Bücher zu Philosophie und Literatur, Kultur- und Wissenschaftsgeschichte hervor; darunter eine im russischsprachigen Raum weitverbreitete Goethe-Biographie und das Werk «Der Werdegang der europäischen Wissenschaft» sowie Bücher u. a. über Nietzsche, Spengler, Husserl, Cassirer (zu seinen deutschsprachigen Büchern: s. Kasten). Karen Swassjan ist Forschungspreisträger 1994/95 der Alexander-von-Humboldt-Stiftung (Bonn) und hatte 1997
eine Gastprofessur in Innsbruck inne. Heute lebt er als freier Schriftsteller und Vortragender in Basel.“ in http://www.geisteswissenschaft.net/fileadmin/Interview_K._Swassjan_fuer_AGORA.pdf
2 http://www.geisteswissenschaft.net/index.php?id=4
3 http://www.geisteswissenschaft.net/fileadmin/Swassjan_Karen_-_Was_ist_Anthroposophie.pdf
4 https://www.amazon.de/Geschichte-Philosophie-karmischer-Perspektive-Nachruf/dp/3906891011/ref=sr_1_1?ie=UTF8&qid=1511274131&sr=8-1&keywords=swassjan
5 in: Urphänomene. Die Zerstörung der Kultur - 2. Lichtblicke. Dornach 1998
6 dito, S. 75
7 dito, S. 12
8 dito, S. 8
9 dito, S. 20
10 dito, S. 25
11 dito, S. 26
12 dito, S. 33
13 dito, S. 34, Anmerkung 17
14 dito S. 39
15 dito S. 40
16 dito S. 41
17 dito S. 42
18 dito S. 43
19 dito S. 45
20 dito S. 44
21 dito, S. 53
22 dito, S. 62
23 dito, S. 63
24, dito S. 65
25 dito, S. 67
26 dito, S. 75
27 dito, S. 76
28 dito, S. 77

Ralf Sonnenberg: Vergangenheit, die nicht vergehen will

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Kritische Nachlese zum Erscheinen der Schriften »Rassenideale sind der Niedergang der Menschheit« (1)
Zugleich ein Plädoyer wider die »anthroposophische Korrektheit« 

(2009 bei den Egoisten erschienen)

In den letzten Jahren häufen sich die Stimmen derer, die eine Konvergenz anthroposophischer Inhalte mit »rassistischen« bzw. »antisemitischen« Anschauungen für ausgemacht halten. Während in dem ersten Band der vom Bund der Waldorfschulen herausgegebenen Reihe »Rassenideale sind der Niedergang der Menschheit« die Verfasser (noch unter Mitwirkung des inzwischen verstorbenen Manfred Leist) den Antisemitismus-Verdacht zu entkräften suchen und den Nachweis führen, dass Steiners »ethischer Individualismus« den Hintergrund für dessen Zurückweisung judenfeindlicher Gesinnungen bildete, nehmen sich in einer zweiten, etwas umfangreicheren Studie Hans-Jürgen Bader und Lorenzo Ravagli des eher allgemein erhobenen Rassismus-Vorwurfes an.

Zur Widerlegung der Kolportage, der Begründer der Anthroposophie sei »Rassist« gewesen, können die Autoren vordergründig auf eine Fülle von Zitaten aus dem mündlichem und schriftlichen Werk Steiners zurückgreifen, deren Inhalte die Essenz seines Menschen- und Weltverständnisses unmittelbar berühren. Wenn Steiner prognostizierte, dass »nichts mehr« als atavistische »Rassen-, Volks- und Blutsideale« die moderne Menschheit in den »Niedergang« führen würden, wenn er die Aufnahme des Christus-Impulses durch den freien Willen als ein Mittel zur Genesung der in Nationen, »Rassen«, Religionen und Kulturen zersplitterten, einen Menschheitsfamilie anempfahl, wenn er nicht müde wurde, den völkerverbindenden und rassenübergreifenden Charakter der Anthroposophie herauszustreichen, dann sind dies nicht beiläufig oder operational geäußerte Lippenbekenntnisse, sondern dann handelt es sich hierbei um die Quintessenz einer Menschenkunde, die den Primat der Individualität gegenüber »Gattungsmerkmalen« wie »Rasse«, Ethnie oder Geschlecht betont. Man könnte solche Äußerungen auch als Bekenntnisse einer kosmopolitischen Weltanschauung deuten, die im »ethischen Individualismus«, der Möglichkeit gedanklicher Intuitionen, ihren Quellgrund hat.

Mit den beiden Studien sind somit vor allem durch die Medienberichterstattung verunsicherten Waldorfeltern und -lehrern bzw. jedem ernsthaft an der Anthroposophie Interessierten Materialien und Argumente an die Hand gegeben, die es ermöglichen, Gespräche mit Kritikern nicht länger nur aus einer Position der Defensive heraus zu bestreiten. Zumindest scheint es so auf den ersten Blick.

Je mehr man sich jedoch in die Lektüre dieser beiden Studien vertieft, desto mächtiger werden die Zweifel, ob der dezidiert apologetische Ton, welcher den Kommentaren der Autoren zu Äußerungen Steiners über »Rassen«, Ethnien und das Judentum unterlegt ist, nicht eher kontraproduktiv ist. Beim Leser könnten so ungewollt Idiosynkrasien freigesetzt und Abwehrressourcen mobilisiert werden, was weniger dem Inhalt als vielmehr dem Stil der Darstellung zuzuschreiben wäre. Schnell könnte infolgedessen der Eindruck entstehen, dass die Autoren letztlich doch voreingenommen und somit ideologisch argumentierten. Der Verdacht eines überwiegend apologetisch motivierten Rundumschlags bestätigt sich denn auch nach wenigen Seiten. Nahrung erhält er etwa dadurch, dass die Verfasser über einzelne, durchaus prekäre Implikationen des bewusstseinsevolutionären Geschichtsbildes Steiners großzügig hinweggehen, so als ob diese gar nicht existierten. Denn als rassistisch muss aus heutiger Sicht Steiners sporadisches Bemühen gewertet werden, biologische «Rassen» mit dem Grad der mentalen «Entwicklungsreife» ihrer Angehörigen zu korrelieren und so- mit eine Hierarchisierung von Menschengruppen spirituell zu begründen, deren unterste Sprossen den – aufgrund ihrer physischen «Degeneration» zum Aussterben verurteilten – Indianern sowie den von «Trieben» und «Witterungen» dominierten «Negern» vorbehalten bleiben.

Die Tatsache, dass Steiner bisweilen auch anerkennende Worte über den Animismus der Indianer, die «Naturgeistigkeit» der Afrikaner oder die «Tao-Religion» der Chinesen verlor, wie die Autoren Bader und Ravagli nicht müde werden zu betonen, markiert eine entscheidende Schwachstelle der sich geschichtsevolutionären Denkmustern verpflichtet fühlenden Anthroposophie: Folgt deren historisches Verständnis doch einer zutiefst eurozentrischen Binnenlogik, derzufolge außereuropäische Kulturen, selbst wenn sie über spirituelle Ressourcen beträchtlichen Umfangs verfügen, fast grundsätzlich «atavistisch» seien und sogar noch unter der materialistisch geprägten Zivilisation des modernen Europa rangierten, die immerhin eine Vorbereitungs- und Durchgangsstufe zur Entwicklung der «Bewusstseinsseele» darstelle. Die «arische» oder europäische hielt Steiner, der hieraus allerdings keine imperialen oder kolonialistischen Zielsetzungen ableitete, denn auch für die «zukünftige, da am Geiste schaffende Rasse». Sie repräsentiert innerhalb seines Weltanschauungskosmos die «fünfte nachatlantische Kulturepoche», deren Anfang er auf den Beginn der frühen Neuzeit datierte. Die diskriminierenden Implikationen des evolutionsgeschichtlichen Stufenmodells hoffte Steiner durch eine Dialektik einzuholen, die er seinen gelegentlich auch rassenkundlichen Überlegungen vorschaltete: Die Reinkarnationsfolgen der menschlichen Individuen führten demnach durch die verschiedenen biologischen «Rassen» hindurch, so dass, «obgleich man uns entgegenhalten kann, dass der Europäer gegen die schwarze und die gelbe Rasse einen Vorsprung hat, doch keine eigentliche Benachteiligung» (2) bestehe. Natürlich könnte zur Entlastung Steiners ins Feld geführt werden, dass dieser an anderen Stellen seines voluminösen Vortragswerkes das hierarchische Modell der »Rassen« und Kulturen wieder verwarf und diesem somit offensichtlich nur eine Teilberechtigung zugestand. Dies schließt jedoch das Bemühen um geschichtliche Kontextualisierung bzw. um Historisierung entsprechender Auffassungen nicht aus. Gerade unter anthroposophischen Interpreten sollte es überdies Usus sein, den Maßstab der kritischen Beurteilung an einen Denker, der den »Eingeweihten« zugehörte, höher anzulegen als bei durchschnittlich wahr- nehmenden und urteilenden Zeitgenossen. De facto geschieht jedoch meist das genaue Gegenteil.



Von Kant bist Steiner: Antijudaistische Geschichtsdeutungen idealistischer Philosophen und ihr Fortwirken in der Anthroposophie 

Im Folgenden werden Beispiele angeführt, die zu einer kritischen Auseinandersetzung mit rassentheoretischen Äußerungen Rudolf Steiners herausfordern. In einem Fall werden auch Aussagen beleuchtet, die von Friedrich Rittelmeyer (1872-1938), dem protestantischen Theologen, Mitbegründer und ersten Erzoberlenker der anthroposophisch inspirierten Christengemeinschaft, stammen. Um Missverständnissen vorzubeugen: Es kann hierbei nicht um das »Verurteilen« von Menschen aus der sicheren Distanz der Nachgeborenen gehen, um die selbstgerechte Diskreditierung von Personen also, die überaus Bedeutsames auf ihrem Gebiet geleistet haben. Der moralisierende Jargon der »Political Correctness«, wie er heute viele Beiträge auszeichnet, liegt dem Verfasser dieses Aufsatzes fern.

Anthroposophen sollten sich jedoch – so die Kernthese des Beitrags – mit aus heutiger Sicht problematischen Traditionssträngen auseinandersetzen, die im Überlieferungshorizont des christlichen Abendlandes tief verwurzelt sind und deren Spuren sich auch in Werken Steiners und denen seiner Schüler aufweisen lassen. Gemeint ist vor allem die Tradition eines bereits unter christlichen Denkern der Aufklärung virulenten Antijudaismus, dessen Vertreter die jüdische Religion als historisch überholt abwerteten, ihre Existenzberechtigung aufgrund geschichtsphilosophischer Erwägungen negierten und somit folgerichtig die »Euthanasie des Judentums« (3) (I. Kant) durch völlige Assimilation ihrer Angehörigen an die christliche Umgebungskultur einforderten.

Steiners peripheren Beschäftigungen mit dem zeitgenössischen Judentum bewegten sich im Spannungsfeld zwischen einem aufgeklärten, die Assimilation bedingungslos einfordernden Antijuduaismus und der christlichen Tradition soteriologisch untermauerter Judenfeindschaft, ohne dass dessen Anschauungen über jüdische Kultur und Religion bereits restlos in dieser ideengeschichtlichen Schnittmenge aufgingen. Seine Urteile über das Diasporajudentum, die zwischen einer spirituellen Wertschätzung jüdischer Kultur und Esoterik auf der einen und einer Deligitimation der »jüdischen Denkweise« und des »Judentums als solchem« auf der anderen Seite oszillierten, partizipierten an antijüdischen Stereotypen, Chiffren und Denkmustern, wie sie im ausgehenden 19. und frühen 20. Jahrhunderts unter Angehörigen des europäischen Bildungsbürgertums vielfach verbreitet waren. (4) Es ist zudem gewiss kein Zufall, dass Steiner wesentliche Anstöße bezüglich der Genese seines philosophisch-anthroposophischen Werkes den Schriften Kants, Fichtes, Hegels und Herders verdankte, Denkern also, die stellvertretend für die Mehrheit der christlichen Aufklärer an der Überzeugung von der Obsoletheit des Judentums festhielten und ein evolutionshistorisches Stufenmodell favorisierten. (5)


Der Versuch idealistischer Geschichtsphilosophen, dem europäischen Judentum seine Existenz streitig zu machen und dessen Vorhandensein – wie Rudolf Steiner in einem Aufsatz von 1888 – als einen »Fehler der Weltgeschichte« (6) zu inkriminieren, hat spätestens seit dem »Zivilisationsbruch Auschwitz« (Dan Diner) seine ideengeschichtliche Unschuld verloren. Letzteres gilt auch für Rassentheorien, die der Begründer der Anthroposophie dem theosophischen bzw. dem gesellschafts- und fraktionsübergreifenden Diskurs damaliger Zeit entnahm und die er sukzessive seinen eigenen Einsichten und Forschungen im Über- sinnlichen anverwandelte. (7) Steiner gebrauchte die Vorstellungs- und Ausdrucksformen, die Bilder und »wissenschaftlichen« Fragestellungen seiner Zeit und Umgebung, um seine durch übersinnliche Forschung gewonnenen Erkenntnisse in ein Medium zu übersetzen, dessen Sprache von den damaligen Zuhörern und Lesern »verstanden« werden konnte. Heute wäre es freilich vonnöten, die Anthroposophie von jenen zeitbedingten Modi der Vermittlung zu lösen, durch die sie vor fast einhundert Jahren räumlich und zeitlich in Erscheinung getreten ist. Denn die Anthroposophie ist nicht einfach nur das Werk Rudolf Steiners, sondern das Werk Steiners legt Zeugnis ab von den unablässigen Bemühungen und Anstrengungen eines Menschen, Anthroposophie zu individualisieren und zugleich Ausdrucksformen zu schaffen, die es anderen ermöglichen, an den Ergebnissen dieser Individualisierungs- Bemühungen Anteil zu nehmen.

Da Steiner nicht immer eindeutig zwischen Übernahmen aus der zeitgenössischen Literatur und eigenständig Erforschtem differenzierte, seine Gedanken überdies oftmals zwischen unterschiedlichen Wahrnehmungs- und Bewusstseinszuständen changierten, besteht für den heutigen Interpreten zudem eine erhebliche Herausforderung darin, dessen Werk mit den Mitteln der historisch-kritischen Forschung nach zeitbedingten Engführungen oder auch Irrtümern zu durchforsten. Neben Erkenntnissen »höherer« Art sind in das Werk Steiners nachweislich Elemente damaliger Bezugsquellen sowie situations- und zeitabhängige Urteile eingegangen, die nicht selten von heutigen Anthroposophen als «Anthroposophia perennis» unreflektiert weitertradiert werden.

Die quellenphilologische Analyse und Deutung kann freilich nur der erste Schritt eines verschiedene Grade der Bewusstheit durchlaufenden »Prüfens« von »geisteswissenschaftlichen« Mitteilungen sein. Zur Ebene des unbefangenen Verstandesdenkens, das nach Steiner die Grundlage der anthroposophischen Schulungswege bildet, können früher oder später andere Erkenntnisstufen und -fähigkeiten treten, die Steiner in seinem Buch »Die Stufen der höheren Erkenntnis« (und in vielen anderen Schriften und Vorträgen) mit den Begriffen »Imagination«, »Inspiration« und »Intuition« benennt. Das imaginative Bewusstsein vermag eines geistigen Inhalts auf bildhaft-vorstellungshafte Weise, das inspirative Bewusstsein in inspirativ-Zusammenhang stiftender Art und das intuitive Bewusstsein in Form eines individual- universalen Wesensaustauschs inne zu werden. Über die »materielle Erkenntnisart« und ihr Verhältnis zu den genannten Ebenen höherer Erkenntnis führt der Verfasser aus: »Bevor der Mensch den Pfad höherer Erkenntnis betritt, kennt er nur die erste von vier Erkenntnisstufen. Es ist diejenige, welche ihm im gewöhnlichen Leben innerhalb der Sinneswelt eigen ist. Auch in dem, was zunächst ›Wissenschaft‹ genannt wird, hat man es nur mit dieser ersten Erkenntnisstufe zu tun. Denn diese Wissenschaft arbeitet ... das gewöhnliche Erkennen feiner aus, macht es disziplinierter.« (8)

Die Ausführungen und Deutungen des vorliegenden Beitrags wenden sich vor allem an jenes Urteils- und Denkvermögen, welches der ersten Erkenntnisstufe des von Steiner beschriebenen vierstufigen Initiationsweges entspricht. Damit soll nicht in Abrede gestellt werden, dass sich auf den Ebenen der Imagination, Inspiration und Intuition andere «Fragestellungen», «Antworten» oder «Evidenzen» ergeben als auf der Stufe der so genannten materiellen Erkenntnisart. Das von Steiner vielfach beschriebene «intuitiv erlebte Denken» (9) bzw. die «seelische Beobachtung» (10) bilden eine Art Bindeglied zwischen dem Bereich des «unbefangenen Denkens» und den Stufen höherer Erkenntnis, auch wenn die Möglichkeiten zur Entwicklung letzterer bereits keimhaft in dem ersteren veranlagt sind. Wer allerdings die Möglichkeiten des an das Verstandesdenken geknüpften Forschens, Fragens und Deutens geringschätzt, diese nicht soweit wie möglich auszuschöpfen trachtet und stattdessen darauf hinarbeitet, möglichst schnell zu »höheren« Einsichten vorzustoßen, der gleicht einem Heilpraktiker, der die Anwendung schuldmedizinischer Wissensinhalte und Methoden mit der Begründung verschmäht, dass diese auf einer reduktionistischen Wahrnehmung des Menschen aufbauten. Welcher Patient aber würde sich von einem solchen Dilettanten den Blinddarm operieren lassen?


Anthroposophische Rassentheorie: Rudolf Steiner über das »Aussterben« der Indianer 

Aus heutiger Sicht befremdlich erscheint das Maß schier grenzenlosen Vertrauens, das Rudolf Steiner der Auffassungs-, Urteils- und Differenzierungsgabe seiner aus unterschiedlichen sozialen Schichten und weltanschaulich-politischen Milieus stammenden Zuhörer- und Leserschaft entgegenbrachte. In seinen Vorträgen findet sich nur selten der warnende Hinweis, dass die von ihm so unbekümmert verwendeten Völker- und Rassentypologien zugleich ein gefahrvolles Ferment darstellen, in dem Vorurteile und Klischeevorstellungen einen idealen Nährboden vorfinden. In diesem Zusammenhang wäre es sicher interessant, einmal der Frage nachzugehen, welche Wirkungen negative Attributs- Zuschreibungen rassen- und völkertypologischer Art, wie Steiner sie als eine unter Anthroposophen weithin unangefochtene Autorität vornahm, im Bewusstsein der damaligen Leser und Zuhörer entfalteten. Eine kritische Bestandsaufnahme der Rezeptions- Geschichte anthroposophischer Rassenlehren steht bislang noch aus. Waren die damaligen Zuhörer und Leser »reif« genug, um vor der Gefahr einer rassistischen Instrumentalisierung derartiger Charakterisierungen gefeit zu sein?

Über eine solche Frage kann hier natürlich nicht pauschal entschieden werden. In den Vorträgen des 1910 in Kristiania (Oslo) gehaltenen »Volksseelen-Zyklus« deutete der Referent immerhin mehrmals die Gefahr eines solchen Missverstehens an. Im weiteren Verlauf dieser kosmopolitisch und emanzipatorisch orientierten »Volksseelenkunde« will es Steiner allerdings nicht so recht gelingen, die seinen völker- und rassentheoretischen Klassifikationen stets immanente Gefahr der Stereotypisierung und der rassistisch verkürzten Exegese vollständig zu bannen. Enthält der vom Redner nachträglich durchgesehene und autorisierte Text doch etwa jene Passage über die Ursachen des »Aussterbens« der Indianer, welche aufgrund ihrer freischwebenden Vieldeutigkeit wohl schon damals von Theosophen so gelesen werden konnte, dass hier die Vernichtung der Einheimischen durch europäische Kolonisatoren als karmische Notwendigkeit gerechtfertigt werde: »Nicht etwa deshalb, weil es den Europäern gefallen hat, ist die indianische Bevölkerung ausgestorben,  sondern weil die indianische Bevölkerung die Kräfte erwerben musste, die zum Aussterben führten.« (11)

Zur Aufschlüsselung dieses Satzes, dessen Inhalt oft von Kritikern als Beleg für das »Menschenverachtende« des anthroposophischen Karmagedankens herangezogen wird, schreiben die Autoren Bader und Ravagli: »Gemeint ist, dass in den Populationen, die Amerika bevölkerten, der Prozess der Rassenbildung insgesamt zum Stillstand gekommen ist, dass die Menschheit nach Westen gehen musste, ›um als Rasse zu sterben‹, d.h. um an das Ende der Abhängigkeit von physischen Differenzierungen zu gelangen. Die Leiblichkeit der so genannten indianischen Rasse repräsentiert innerhalb der gesamten Variationsbreite des menschlichen Organismus jene Form, die dem Geist, damit aber auch dem Tod am nächsten steht, denn der Geist ist die Verneinung des Stoffs, so wie das Alter die Verneinung der jugendlichen Lebensfülle ist. Die nord-, mittel- und südamerikanischen Indianer wurden zwar von den europäischen Kolonisatoren ausgerottet, ein Vorgang, den Steiner an anderen Stellen auch beim Namen nennt und verurteilt.« (12)

Tatsache bleibt jedoch, dass Steiner in diesem grundlegenden Vortragszyklus den Genozid an der autochthonen Bevölkerung Amerikas nicht beim Namen nennt, sondern im Gegenteil den Eindruck erweckt, als sei der millionenfache Mord an den Bewohnern der Neuen Welt lediglich ein »Aussterben« gewesen, das überdies einer karmischen Gesetzmäßigkeit folgte und somit als Bestandteil einer weisheitsvollen Vorsehung akzeptiert werden müsse. Die karmische Unausweichlichkeit des »Aussterbens« der Indianer ergebe sich ja gerade daraus, dass die indianische »Rasse« als absterbender Zweig des Menschheitsbaumes ohnehin dem Untergang geweiht sei. Die Rede vom »Aussterben« der amerikanischen Urbevölkerung ist und bleibt in diesem Zusammenhang ein Euphemismus, dessen Wirkung auf zeitgenössische Leser und Zuhörer die Autoren Bader und Ravagli vergeblich zu entkräften suchen. Darüber hinaus zeigt dieses Beispiel auf beklemmende Weise, dass der Verknüpfung des Schicksalsgedankens mit dem theosophischen Modell der einander ablösenden Völker- und Kultur- »Missionen« stets die Gefahr einer Relativierung von Genoziden und ähnlichen Verbrechen innewohnt. Denn auch wenn – so ließe sich Steiners Gedankenfaden aufnehmen – die Kolonisatoren aus niederen Motiven ihre Mordtaten verrichteten und so- mit schwere Schuld auf sich luden: Waren sie nicht dennoch Werkzeuge einer göttlichen Vorsehung, die den kulturellen und physischen Untergang der Indianer bereits lange vorher beschlossen hatte? – Eine kritische Aufarbeitung des oft schillernden Karmaverständnisses damaliger Theosophen könnte den Nachweis erbringen, dass die Möglichkeit einer verkürzten Interpretation dieses Gedankens unter Zuhörern sowie Lesern des »Volksseelen«-Zyklus real gegeben war. (13)


Anthroposophie und Antijudaismus I: Rudolf Steiner über den Ahasver-Mythos 


In dem Gesamtwerk Steiners finden sich einige Äußerungen des Vortragenden zum Thema »Rassen«, die beim heutigen Leser für erhebliche Irritationen sorgen, die absolut »unverdaulich« erscheinen, deren Brisanz sich meinem Dafürhalten nach auch nicht – wie es das Bestreben der Autoren Bader, Leist und Ravagli ist – durch inhaltliche oder historische Kontextualisierungs- Bemühungen weg disputieren lässt.

Als Beispiel sei im Folgenden Rudolf Steiners Ausdeutung der mittelalterlichen Legende vom »ewigen Juden« Ahasver genannt. Die Quintessenz der in Rede stehenden Passage, welche in einem Vortrag des 1908 vor Berliner Publikum gehaltenen Zyklus’ »Das Hereinwirken geistiger Wesen in den Menschen« enthalten ist (14), lässt sich folgendermaßen wiedergeben: Demnach verkörpern sich »höher entwickelte« Seelen in »höheren Rassen«, während weniger »vollkommene« Seelen sich in »untergehenden« bzw. »dekadenten Rassen« inkarnieren würden. Diese Gesetzmäßigkeit gelte auch für die gegenwärtigen Verhältnisse. Steiner lässt seine Zuhörer darüber im Unklaren, welche Definitionen er den Begriffen »höhere Rasse«, »Dekadenz« oder »Vollkommenheit« zugrunde legt. Für das sich vornehmlich aus Angehörigen europäischer Bildungsschichten rekrutierende Auditorium, das sich wohl einiges auf die Errungenschaften seiner christlich-abendländischen Kultur zugute hielt, wird sich die Frage nach der Bedeutung solcher Begriffe vermutlich gar nicht erst gestellt haben. Waren doch Ausdrücke wie »Dekadenz«, »höhere Rasse« oder »Vollkommenheit« Bestandteil eines kulturellen Codes des selbstbewussten europäischen Bildungsbürgertums im ausgehenden 19. und beginnenden 20. Jahrhundert, dessen semantischer Gehalt stillschweigend vorausgesetzt werden konnte, der folglich nicht eigens aufgeschlüsselt oder »übersetzt« werden musste.

Um seine Deutung von »höheren« und »niederen Rassen« bildhaft zu untermauern, bemüht Steiner die Legende von Ahasver, den im Hochmittelalter entstandenen Mythos vom »ewigen Juden«. Ahasver, der in später entstandenen Holzstichen und Lithographien der Volksliteratur oft als gebeugter Greis mit wehendem Rauschebart dargestellt wird, ist aufgrund seiner Abweisung des zum Kreuzestod bestimmten Heilands dazu verurteilt, in ruheloser Vagabundage umherzuziehen – solange, bis ihn eines Tages die Erlösung finden werde. Steiner interpretiert nun diese Legende dahingehend, dass Seelen, welche den Christus-Impuls in verschiedenen, aufeinander folgenden Inkarnationen von sich gewiesen hätten, dazu verurteilt seien, in einer »dekadenten, untergehenden Rasse« zu verbleiben, mit dieser gar zu »verwachsen«: »Das ist die tiefere Idee des ›Ahasver‹, der immer in derselben Gestalt wiederkommen muss, weil er die Hand des größten Führers, des Christus, von sich gewiesen hat. So ist die Möglichkeit für den Menschen vorhanden, mit dem Wesen einer Inkarnation zu verwachsen, den Menschheitsführer von sich zu stoßen, oder aber die Wandlung durchzumachen zu höheren Rassen, zu immer höherer Vervollkommnung. Rassen würden gar nicht dekadent werden, gar nicht untergehen, wenn es nicht Seelen gäbe, die nicht weiterrücken können und nicht weiterrücken wollen zu einer höheren Rassenform.« (15) Zwar nimmt der Vortragende die Konnotation von »untergehender, dekadenter Rasse« und Judentum nicht explizit vor, doch liegt auf der Hand, dass der Rekurs auf die mittelalterliche Ahasver-Sage bei den christlich sozialisierten Zuhörern eben jene Assoziation hervorrief, die sich auf eine Jahrtausende alte Tradition der Verunglimpfung des Judentums als dem Untergang geweihter Religion des Alten Bundes stützten konnte. Steiner ist in diesem Fall auch Kind seines in naturwissenschaftlichen Begriffen denkenden Zeitalters, wenn er die mythische Trias Ahasver-Christusleugner-ewiger Jude um die Ingredienz »Rasse« bereichert, der er in Fortschreibung des traditionellen antijudaistischen Ressentiments eine »Minderwertigkeit« attestiert, die nun nicht mehr ausschließlich durch religiöse, sondern durch biologische Metaphern wie »dekadente Rasse« und »Untergang« charakterisiert wird. (16)
Die Autoren Ravagli, Bader und Leist taten gut daran, als sie in ihrer Studie zum Antisemitismus-Vorwurf diese Stelle im Vortragswerk Rudolf Steiners schlichtweg ignorierten. Denn der fragliche Passus hätte sich schwerlich in einem argumentatorischen Kontext unterbringen lassen, welcher dem Versuch gewidmet ist, den Begründer der Anthroposophie von dem Vorwurf antijudaistischer und rassistischer Vorurteile freizusprechen.

Man mag es drehen und wenden wie man will: Die Botschaft der von Steiner angebotenen, »modernen« Interpretation der mittelalterlichen Ahasver-Legende bleibt für den heutigen Leser unerträglich: gerade aufgrund ihrer schillernden, zu allerlei Assoziationen einladenden
Semantik, der Unbedarftheit, mit welcher der Redner seine Deutungen vorträgt, ihres an traditionell judenfeindliche Denkfiguren und Topoi anschließenden Subkontextes, wie ihn damals jeder mit der Muttermilch aufgesogen und internalisiert hatte, der dem christlichen Abendland zugehörte. Unerfindlich bleibt, warum der Vortragende, der sich an anderer Stelle scharf gegen die Propaganda politischer Antisemiten aussprach und sich wiederholt vom antisemitischen Diskurs damaliger Zeit distanzierte (17), hier nicht den Versuch unternimmt, die gefahrvollen antijudaistischen Stereotypen und Bilder seiner Zeit aufzulösen oder zumindest deutlich zu machen, welche Folgerungen sich nicht aus ihrer Rezeption ab- leiten lassen.


Anthroposophie und Antijudaismus II
Friedrich Rittelmeyers »Deutschtum« anno 1934 


Dass Steiners offenbar beträchtliche Vertrauensinvestition in das Urteils- und Unterscheidungsvermögen seiner Anhänger keinesfalls immer gerechtfertigt gewesen sein dürfte, zeigen nicht zuletzt Beispiele des Missbrauchs anthroposophischer Inhalte in der Zeit des Dritten Reichs. So inkriminierte etwa Friedrich Rittelmeyer in seinem 1934 erschienenen Buch »Deutschtum« die »Überlebtheit« der jüdischen Religion, deren geschichtliche Bedeutung er auf eine Vorbereiter- und Hebammenfunktion für das »Mysterium von Golgatha« reduzierte – und das, obwohl sich die jüdische Weltreligion erst in den Jahrhunderten nach Christi Geburt allmählich zu formieren begann und zum Zeitpunkt der Veröffentlichung dieses Buches bereits auf eine zweitausendjährige geistige und kulturelle Blüte zurückblicken konnte. Bezeichnenderweise verwendet Rittelmeyer die Begriffe »Religion« und »Rasse« zum Teil synonym. In den Juden seiner Zeit kann der Autor des »Deutschtum« nicht viel mehr als die Multiplikatoren eines »zersetzenden Ungeistes« erblicken, der sich in den vier negativen Phänomenen »Intellektualismus«, »Materialismus«, »Kapitalismus« und »Egoismus« widerspiegele.

Zwar seien diese pejorativen Eigenschaften der Möglichkeit nach in allen Menschen veranlagt, doch verkörpere sie »der Jude« (Rittelmeyer bevorzugt die Verallgemeinerungen und Abstraktionen zugänglichere Singularform) in geradezu idealtypischer Weise. (18) »Der Jude« wird somit zum »Symbol der Zeit« (Theodor Barth), der gesellschaftlichen Missstände schlechthin stilisiert und auf diese Weise depersonalisiert – eine Vorgehensweise, wie sie in der antisemitischen Propaganda Legion ist. Man rufe sich das Datum des Erscheinens dieser Schrift in Erinnerung, um die politische Tragweite einer solchen Aussage zu ermessen: Nach dem Boykott jüdischer Geschäfte, der Entlassung »nichtarischer« Beamter und Anwälte, der Einführung eines Numerus Clausus für Juden an Schulen und Universitäten, den ersten antisemitisch motivierten Verhaftungswellen und Gewalttaten konnte das von Rittelmeyer in erster Linie theologisch gemeinte Verdikt nicht anders als ein politisches Urteil, als Duldung, wenn nicht gar als Rechtfertigung der nationalsozialistischen Maßnahmen gelesen werden.

Heutige, der Anthroposophie nahestehende Interpreten sehen bisweilen in dem religiös motivierten Antijduaismus des Theologen Rittelmeyer eine Art Gegengewicht zum »problematischeren« (Rassen-) Antisemitismus der Nationalsozialisten. Gerhard Wehr etwa liest Rittelmeyers »Deutschtum« als eine Verteidigungsschrift des kosmopolitischen Christentums gegenüber dem völkisch verengten Religionsbegriff der NS-hörigen »Deutschen Christen«. (19) Die Propagandisten der DC verlangten eine Entfernung jüdisch-stämmiger Christen aus der Kirche und eine »Wiedereinsetzung« des Christentums als »arteigener Religion«. Tatsächlich finden sich in Rittelmeyers Schrift Äußerungen, aus denen ersichtlich wird, dass es dem Autor vorrangig um eine Entgegnung auf den Rassismus und Nationalismus der neuen Machthaber ging. Diese Entgegnung bleibt jedoch in entscheidenen Punkten fragwürdig, da sich Rittelmeyers Argumente – was Wehr in seiner Biografie unterschlägt – im klassischen Begründungsrahmen der kirchlich- antijudaistischen Traditionen bewegen. Wehr rechnet es Rittelmeyer hoch an, dass dieser zu einem Zeitpunkt der politischen Gefährdung der Christengemeinschaft und ihrer Pfarrer klärende Worte zur Blut-und- Boden-Ideologie und somit indirekt auch zum Antisemitismus des NS-Regimes gefunden habe: »Auch wenn Rittelmeyer hier und an anderen Stellen seines Schrifttums immer wieder auf Wesen und Mission der Deutschen zu sprechen kommt, so geschieht es so, dass das rassisch oder volkstümlich Typische stets dem Allgemein-Menschlichen untergeordnet ist. So geht es ihm letztlich nur um einen sehr eingeschränkten, vorläufigen Sinn um ›Deutschtum‹. Es geht ihm um Menschentum, um die volle Menschwerdung des Menschen, um einen Prozess, der jeweils dort anzusetzen hat, wo sich ein Volk, eine Gesellschaft gerade befindet.« (20) Viel mehr, so versucht Wehr in seiner Deutung den Eindruck zu erwecken, hätte auch ein Rittelmeyer zu diesem Zeitpunkt nicht zu sagen vermocht. Ein solches als Wertschätzung gemeintes Urteil mutet allerdings wenig plausibel an, da Rittelmeyer ja nicht gezwungen war, überhaupt etwas über die Juden zu diesem Zeitpunkt zu sagen. In den ersten Monaten ihres Bestehens war die nationalsozialistische Diktatur noch keineswegs flächendeckend konsolidiert und ließ in publizistischen Bereichen diverse Freiräume für die Äußerung von Zwischentönen, ja von moderater Kritik zu. Solche Residuen wurden denn auch vielfach von Regimegegnern sowie von protestantischen und katholischen Kritikern der »Deutschen Christen« genutzt. Zu jenen, welche die sich hier auftuenden Freiräume vorsichtig nutzten, zählte auch Friedrich Rittelmeyer.

Die antijüdische Argumentation seiner Schrift »Deutschtum« stützte sich nicht auf einen völkischen Rassismus, sondern auf den traditionellen Antijudaismus der christlichen Konfessionen, von dem sich Rittelmeyer als Apostat der evangelischen Kirche offenbar zeit seines Lebens nicht loszusagen vermochte. Seine Einschätzung des zeitgenössischen Judentums mag überdies durch eine selektive Ausbeute von Äußerungen Rudolf Steiners motiviert gewesen sein, dessen Sichtweisen auf das Diaspora- Judentum nicht ausschließlich ablehnend waren, sondern Zwischentöne zuließ. Rittelmeyers Gleichsetzung von »Rasse« und jüdischer Kultur, deren Repräsentanten bis auf Ausnahmen wie den »Logiker Husserl« oder seinen »Rassegenossen Spinoza« kulturell nichts Zukunftsweisendes mehr zustande brächten, näherte sich den antisemitischen Argumentationsmustern der Machthaber bedenklich an, die mit eben solcher Propaganda ihrer Politik der Verfolgung und Entrechtung der jüdischen Minderheit den Boden zu bereiten suchten.


Wie gehen Anthroposophen mit dieser antijudaistischen Tradition um? 


Die Haltung Friedrich Rittelmeyers zur jüdischen Kultur und Religion seiner Zeit – in dem wenige Monate nach Hitlers Machtübernahme erschienenen Buch »Deutschtum« für die Nachwelt dokumentiert – offenbart ein Problem, das bis heute unter »anthroposophisch Korrekten« weitgehend tabuisiert ist und das von den Autoren der Studien »Rassenideale« nicht einmal ansatzweise in den Blick genommen wird: Wie gehen Anthroposophen mit den Erb- und Folgelasten einer überwiegend religiös motivierten Judenfeindschaft um?

Nachdem evangelische und katholische Theologen bereits seit Jahrzehnten mit der Aufarbeitung der antijudaistischen Geschichte der Großkirchen beschäftigt sind und an einer Rehabilitierung der Vaterreligion durch die Sohnesreligion arbeiten, ergeht die Frage an uns, wie lange wir noch an den Zeugnissen unserer eigenen Vergangenheit vorübergehen wollen, wie lange wir noch so tun wollen, als sei diese Vergangenheit längst abgeschlossen und als werfe sie nicht fortwährend ihre Schatten auch in die Gegenwart hinein. (21)

Nachzugehen wäre Fragen wie diesen: Inwieweit stehen heutige anthroposophische Sichtweisen des Judentums noch in der antijudaistischen Tradition der vergangenen Jahrhunderte? Welche Bemühungen haben Angehörige der Anthroposophischen Gesellschaft und der Christengemeinschaft bislang unternommen, um sich der historischen Abhängigkeit ihrer eigenen Anschauungen und Deutungen bewusst zu werden? Haben jüdisch- stämmige Mitglieder anthroposophischer Einrichtungen mit antijudaistischen Bekenntnissen in den eigenen Reihen Erfahrungen gesammelt und wenn ja: inwiefern und in welchem Umfang? Unter »kritischer Geschichtsaufarbeitung« verstehe ich nicht zweifelhafte Vorhaben einer »Symptomatologie« deutsch-jüdischer Geschichte oder gar einer »esoterischen Wesensbestimmung« des Nationalsozialismus (die dann doch nur Funktionen der moralischen Selbstentlastung wahrzunehmen hätten), sondern eine nüchterne, an den historischen Quellen orientierte Rekonstruktion des Gewesenen. Einen Schritt in diese Richtung stellt die 1999 erschienene Studie »Anthroposophen in der Zeit des Nationalsozialismus« dar, deren Verfasser jedoch die Frage, inwieweit antijudaistische oder antisemitische Anschauungen unter damaligen Anthroposophen verbreitet waren, vollständig ausklammert. (22)

In den letzten Jahren haben einige Autoren anthroposophischer Zeitschriften den Versuch unternommen, sich mit der in eigenen Reihen fortwirkenden antijudaistischen Überlieferungstradition kritisch auseinanderzusetzen. (23) Die Ausgangsprämissen solcher Bemühungen sind jedoch nicht immer unproblematisch: Denn die Versuchung ist gerade unter christlich-esoterischen Interpreten groß, aus einem oberflächlichen, dem schlechten Gewissen zuzuschreibenden Philosemitismus heraus in die mannigfaltigen, zum Teil noch heute bestehenden Traditionsbestände jüdischer Spiritualität das verborgene Wirken eines »Christus-Impulses« hineinzuprojizieren, um auf diese Weise die jüdische Religion dem eigenen Empfinden oder Urteil schmackhafter zu machen. Natürlich ist es legitim (und zahlreiche Hinweise Rudolf Steiners legen dies auch nahe), sich das Wirken des Christus-Wesens als überkonfessionell vorzustellen und infolgedessen auch in so genannten nichtchristlichen Religionen nach Spuren der Christus-Wirksamkeit zu fahnden. Zunächst kann es meiner Ansicht nach jedoch nur darum gehen, das Fremdartige und vielleicht auch Anstößige eines anderen Gedankenkosmos möglichst unbefangen auf sich wirken zu lassen. In einem weiteren Schritt könnte der Versuch unternommen werden, diesen weltanschaulichen Kosmos auch immanent, d.h. aus sich selber heraus zu erschließen. Ein »Verstehen« wird freilich immer nur bis zu einem gewissen Grade möglich sein, da wir unsere kulturelle Identität, unsere begrifflichen Voreingenommenheiten, unsere gesellschaftlichen Prägungen und persönlichen Dispositionen nicht einfach abstreifen können wie ein Kleid, das zu eng oder zu alt geworden ist. Unser hermeneutisches Bemühen liefe jedoch ins Leere, wenn wir den Ideenkosmos der Angehörigen fremder Religionen ausschließlich oder auch nur vorrangig mit dem Inventar der eigenen Vorstellungs- und Erfahrungswelt auszustaffieren suchten. Durch eine vorschnelle Harmonisierung unterschiedlicher religiöser Anschauungen – wofür es in der Geschichte der nach dem »gemeinsamen Wesenskern« der Weltreligionen suchen- den Theosophen und Anthroposophen einige Beispiele gibt – erweist man aber weder dem Judentum noch dem esoterischen Christentum einen wirklichen Dienst.


Unzeitgemäße Wagenburg-Mentalität der anthroposophischen Autoren Bader, Leist und Ravagli und des Bundes der Waldorfschulen 


Im Subkontext transportierten Rudolf Steiners Forderungen nach völliger Assimilation der jüdischen Minderheit sowie seine oft stereotypen Miniaturen jüdischen Daseins Elemente eines «antisemitischen Codes» rechtsbürgerlicher sowie linksliberaler Kreise in den Jahrzehnten vor und nach dem Ersten Weltkrieg. Als manifesten (Rassen-) Antisemiten könnte man ihn freilich nur dann apostrophieren, wenn sich herausstellte, dass seine wiederholten Distanzierungen vom judenfeindlichen, nationalistischen und rassistischen Diskurs damaliger Zeit nicht ernst gemeint waren und somit lediglich als Vorwand dienten, um unter der Hand eine politische Agitation zu betreiben, die auf eine gesellschaftliche Ausgrenzung bzw. Benachteiligung von Juden abzielte. Eine solche Deutung erscheint jedoch angesichts der Fülle an gegenteiligen Belegen und Zeugnissen als wenig überzeugend.

Ob Steiner als ein Angehöriger des 19. und frühen 20. Jahrhunderts jedoch »rassistische und diskriminierende Auffassungen völlig fremd« waren, wie der Klappentext des zweiten Bandes der vom Bund der Waldorfschulen herausgegebenen Studien versichert, hängt nicht zuletzt auch davon ab, welcher Lesart des Begriffes »Rassismus« man den Vorzug gibt. (24) Warum, so habe ich mich immer wieder bei der Lektüre dieser Schriften gefragt, können die Autoren nicht einfach zugeben, dass einzelne Äußerungen Steiners, die etwa Rassen nichteuropäischer Herkunft als »verholzt«, »absterbend« oder »dekadent« ausweisen, aus heutiger Sicht als rassistisch zu bewerten sind? Als Vortragsredner und Autor rezipierte Steiner Elemente des rassentheoretischen und eben auch rassistischen Diskurses damaliger Zeit durchaus positiv, wenngleich dieses nicht ohne den ernsthaften Versuch geschah, über Engführungen desselben hinauszuweisen und damit zugleich den Keim zur Überwindung dieses Diskurses zu legen. Den von Helena P. Blavatsky in erster Linie zu Periodisierungs- Zwecken verwendeten Begriff »Wurzelrasse« ersetze er allmählich durch semantisch zutreffendere Ausdrücke wie »Epoche«, »Hauptzeitraum« oder »Zeitalter«. Blavatskys »Unterrassen«, welche die »Wurzelrassen« untergliedern sollten, nannte Steiner nach 1907 zunehmend und dann ausschließlich »Kulturepochen«, »Kulturperioden« oder »Kulturzeitalter«, worin ein Versuch gelesen werden kann, rassentheoretische Konnotationen vollständig in den Hintergrund treten zu lassen. (25)

Die Ausdifferenzierung der Menschheit in biologische »Rassen«, so die Überzeugung Steiners, sei ohnedies nur eine vorübergehende Erscheinung der Geschichte. Sie werde in Zukunft an Bedeutung verlieren und eines Tages völlig überwunden sein. Es werde dahin kommen, so prognostizierte er bereits 1907, »dass alle Rassen- und Stammeszusammenhänge wirklich aufhören. Der Mensch wird vom Menschen immer verschiedener werden. Die Zusammengehörigkeit wird nicht mehr durch das gemeinsame Blut vorhanden sein, sondern durch das, was Seele an Seele bindet. Das ist der Gang der Menschheitsentwicklung«. (26)

»Ein Mensch«, so urteilte Steiner 1917 im Hinblick auf die Ursachen des Ersten Weltkrieges, »der heute von dem Ideal der Rassen und Nationen und Stammeszugehörigkeiten spricht, der spricht von Niedergangsimpulsen der Menschheit. Und wenn er in diesen so genannten Idealen glaubt, fortschrittliche Ideale vor die Menschheit hinzustellen, so ist das die Unwahrheit. Denn durch nichts wird sich die Menschheit mehr in den Niedergang hinein bringen, als wenn sich die Rassen-, Volks- und Blutsideale fortpflanzen.« (27) Stattdessen sei es notwendig, dass die anthroposophische Bewegung »... gerade im Grundcharakter dieses Abstreifen des Rassencharakters aufnimmt, dass sie nämlich zu vereinigen sucht Menschen aus allen Rassen, aus allen Nationen, und auf diese Weise überbrückt diese Differenzierung, diese Unterschiede, diese Abgründe, die zwischen den einzelnen Menschengruppen vorhanden sind.« (28)

Reichlich Material für eine Auseinandersetzung mit dem Zeitbedingten im Werk Rudolf Steiners bietet ein Beitrag des katholischen Theologen und Politologen Helmut Zander über »Anthroposophische Rassentheorie«, der auch Beispiele selektiver Ausbeute von Aussagen Steiners und deren Instrumentalisierung für rassenpolitische Zwecke dokumentiert. (29) Trotz Irrtümern und Verzerrungen, welche die Darstellung Zanders mancherorts auszeichnet, ist es diesem gelungen, die problematischen Implikationen, welche das von Steiner entworfene Geschichtsmodell einander ablösender Völker-»Missionen«, Kulturen oder Religionen bereit hält, freizulegen. Warum es Anthroposophen bisweilen schwer fällt, bestimmte Aussagen ihres Lehrers kritisch zu hinterfragen oder sich von diesen zu distanzieren, hängt Zander zufolge damit zusammen, dass dieser von seinen Anhängern weniger als Begründer einer Wissenschaft denn als Religionsstifter behandelt würde; ein Beobachtung, die nicht unbedingt neu ist, der jedoch in dem Zusammenhang mit dem Rassismus-Vorwurf eine Brisanz ganz eigener Art zukommt. Zanders Bemühen, die Anthroposophie unter die neureligiösen Weltanschauungen zu subsumieren, folgt einer inneren Konsequenz, sofern man bereit ist, nicht die theoretischen Ansprüche von Anthroposophen, sondern die vielfache Praxis des Umganges mit Aussagen Steiners zum Maßstab der Beurteilung zu erheben. Charakteristisch für Religionsgemeinschaften ist es ja gerade, dass deren Mitglieder weniger von Forschungs- als vielmehr von Glaubensinteressen und -bedürfnissen geleitet werden. Kritik wird in anthroposophischen Kreisen auch heute noch vielfach nicht als Chance zur Erweiterung des Erkenntnishorizontes begriffen, sondern als eine Gefährdung binnensozialer Plausibilitäts- und bisweilen auch Machtstrukturen wahrgenommen. Oder mit Worten Helmut Zanders ausgedrückt: »Das entscheidene Problem scheint mir die Furcht von Anthroposophen vor einem legitimationsgefährdenden Domino-Effekt zu sein: Wenn ein Teil von Steiners Weltanschauung fällt, weiß niemand, was am Ende noch stehen bleibt.« (30)

Zanders Versuch einer kritischen Darstellung anthroposophischer Rassentheorien wird von den Verfassern der beiden Studien nicht einmal ansatzweise gewürdigt, sondern stattdessen der »gegnerischen Literatur« zugerechnet – und somit keiner weiteren Beschäftigung für würdig erachtet. Dabei wäre gerade der Artikel Zanders eine Gelegenheit gewesen, über den heutigen Umgang mit Steiners Rassenklassifikationen und über die oft problematische Geschichte ihrer Rezeption nachzudenken und dieser Reflexion nach außen hin sichtbare Konsequenzen folgen zu lassen. Man muss sich nicht von der Anthroposophie oder ihrem Begründer distanzieren, wie manche »linke« Autoren in einem Akt vorauseilenden Gehorsams gegenüber der »Political Correctness« verlangen, wenn man öffentlich einräumt, dass nicht alles, was Steiner in nahezu drei Jahrzehnten emsiger Vortragstätigkeit und unausgesetzter literarischer Schaffensfreude der Nachwelt übergeben hat, für bare Münze zu nehmen ist. Protestanten haben Vergleichbares in Bezug auf den Antijudaismus des späten Martin Luther geleistet, undogmatische Linke in Hinsicht auf antisemitische und rassistische Ansichten von Karl Marx und Friedrich Engels – und selbst ausgesprochene Bewunderer der Philosophie Immanuel Kants räumen mittlerweile ein, dass jener Repräsentant der Aufklärung, der eine Ethik der Menschenrechte formulierte, den »Ausgang des Menschen aus seiner selbstverschuldeten Unmündigkeit« forderte und eine Monogenese menschlicher Rassen vertrat, andernorts weniger aufgeklärt räsonierte, sondern rassistischen und antijudaistischen Ressentiments anhing. (31)

Leist, Bader und Ravagli geht es jedoch nicht um eine ernsthafte, geschweige denn wissenschaftliche Auseinandersetzung mit Einwänden von Anthroposophie-Kritikern, sondern ausschließlich um Verteidigung und Abwehr. Diese Wagenburg-Strategie mag nachvollziehbar erscheinen angesichts dessen, was auf dem Spiel steht, mutet aber in jedem Fall anachronistisch an. Es könnte zudem sein, dass der Funken dieser Mentalität von den Schriften auf einige anthroposophische Leser überspringt. Wenn jedoch erst einmal das Gewissen beruhigt und das durch die Rassismus-Vorwürfe angeschlagene Selbstbewusst- sein wiederhergestellt ist, lässt es sich dann nicht umso bedenkenloser zu den unkritischen Rezeptions- Gewohnheiten der Vergangenheit zurückkehren? Die Debatte um rassistische Inhalte anthroposophischer Anschauungen und deren Tradierung durch heutige Interpreten erschiene von dieser Warte aus betrachtet nicht viel mehr als eine Verschwörung, die Gegner der Anthroposophie böswillig ins Werk setzten, um deren Vertreter von ihren eigentlichen spirituellen Aufgabenstellungen abzubringen. Das apologetische Unternehmen der Autoren Bader, Leist und Ravagli könnte sich somit auf lange Sicht hin noch als Bumerang erweisen.

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Zum Autor:

Ralf Sonnenberg, geb. 1968, lebt als Historiker und Religionswissenschaftler in Berlin. Zwischen 2001 und 2007 war er Redakteur der anthroposophischen Zeitschrift »Die Drei«. Er ist u.a. Autor der Studie »Keine Berechtigung innerhalb des modernen Völkerlebens«. Judentum, Zionismus und Antisemitismus aus der Sicht Rudolf Steiners, erschienen in: Wolfgang Benz (Hg.): «Jahrbuch für Antisemitismusforschung» 12 (2003), Berlin 2003, S. 185-209 sowie Herausgeber des Sammelbandes Anthroposophie und Judentum. Perspektiven einer Beziehung, Frankfurt a.M. 2009.

Anmerkungen:

1 Hans-Jürgen Bader/ Manfred Leist/ Lorenzo Ravagli: Rassenideale sind der Niedergang der Menschheit. Anthroposophie und der Antisemitismusvorwurf, Stuttgart 2002 sowie Hans-Jürgen Bader/ Lorenzo Ravagli: Rassenideale sind der Niedergang der Menschheit. Anthroposophie und der Rassismusvorwurf, Stuttgart 2002.

2 Rudolf Steiner: Die Mission der einzelnen Volksseelen im Zusammenhang mit der germanisch-nordischen Mythologie (GA 121), Dornach 1983, S. 78.

3 Immanuel Kant: Der Streit der Fakultäten. 1. Abschnitt, Allg. Anmerkung. Band 7, Berlin 1907, S. 53.

4 Vgl. hierzu ausführlich Ralf Sonnenberg: »Keine Berechtigung innerhalb des modernen Völkerlebens«. Judentum, Zionismus und Antisemitismus aus der Sicht Rudolf Steiners, erschienen in: Wolfgang Benz (Hg.): «Jahrbuch für Antisemitismusforschung» 12 (2003), S. 185-210. Eine aktualisierte und vollständig überarbeitete Fassung des Artikels siehe www.hagalil.com/antisemitismus/deutschland/steiner.htm.

5 Zur gegenwärtigen Kontroverse um antisemitische Positionen in den Werken herausragender Vertreter der Aufklärung, der Romantik und des philosophischen Idealismus vgl. folgende Literaturauswahl: Hans-Joachim Becker: Fichtes Idee der Nation und das Judentum, Amsterdam 2000; Micha Brumlik: Deutscher Geist und Judenhass. Das Verhältnis des philosophischen Idealismus zum Judentum, München 2000; Horst Gronke/ Thomas Meyer/ Barbara Neißer (Hg.): Antisemitismus bei Kant und anderen Denkern der Aufklärung, Würzburg 2001; Gudrun Hentges: Schattenseiten der Aufklärung, Schwalbach/Ts. 1999.

6 So eine antijudaistische Formulierung Steiners in einer 1888 erschienenen Rezension eines Werkes des österreichischen Dichters Robert Hamerling. Zu diesem Komplex ausführlich www.hagalil.com/antisemitismus/deutschland/steiner-2.htm.

7 Ahnherren anthroposophischer Rassenlehren waren neben Helena Petrowna Blavatsky (1831-1891) und Ernst Haeckel (1834-1919) vermutlich auch Johann Friedrich Blumenbach (1752-1840) und Carl Gustav Carus (1789-1869). Vom letzteren stammte die auch von Rudolf Steiner in variierter Form gebrauchte Einteilung der Menschheit in »Tagvölker« (Europäer), »Nachtvölker« (Äthiopier) und »Dämmerungsvölker« (Asiaten und Indianer). Vgl. hierzu Klaus Endres/ Wolfgang Schad: Die Vielfalt der Menschen, in: »Sonderheft der Mitteilungen aus der anthroposophischen Arbeit in Deutschland«, Sommer 1995, S. 36-70.

8 Rudolf Steiner: Die Stufen der höheren Erkenntnis (GA 12), Dornach 1986, S. 11.


9 Rudolf Steiner: Die Philosophie der Freiheit. Seelische Beobachtungsresultate nach naturwissenschaftlicher Methode, Dornach 1986, S. 256.

10 Siehe den Untertitel von Steiners Philosophie der Freiheit, in dem die Methode der seelischen Beobachtung programmatisch angekündigt wird. Vergl. auch ders.: Theosophie. Einführung in übersinnliche Welterkenntnis und Menschenbestimmung (GA 9), Dornach 1990, S. 65.

11 Steiner: Die Mission der einzelnen Volksseelen, S. 29.

12 Bader/ Ravagli: Rassismusvorwurf, S. 73 f.

13 Im Wortlaut auffallend ähnliche, kaum minder missverständliche Aussagen über eine »karmische Notwendigkeit« des »Verlöschens« der »greisenhaften Stämme« Amerikas, über welche die »Flutwelle der inkarnierten Egos« hinweg rolle, finden sich bei H.P. Blavatsky, deren Hauptwerke Steiner intensiv studiert haben dürfte. Vgl. H.P.Blavatsky: Die Geheimlehre, Bd. 2, S. 824 f.

14 Rudolf Steiner: Das Hereinwirken geistiger Wesenheiten in den Menschen (GA 102), 10. Vortrag, Berlin, 16.5. 1908, Stuttgart 2001.

15 Ebenda , S. 174.

16 Die vermeintliche physische Minderwertigkeit und Dekadenz der jüdischen »Rasse« war Gegenstand eines Diskurses um 1900, der gesellschafts- und fraktionsübergreifend verlief. Siehe Klaus Hödl: Die Pathologisierung des jüdischen Körpers. Antisemitismus, Geschlecht und Medizin im Fin de Siecle, Wien 1997.

17 Vgl. www.hagalil.com/antisemitismus/deutschland/steiner-4.htm.

18 Friedrich Rittelmeyer: Deutschtum, Stuttgart 1934. Kapitel: Juden und Deutsche. Der Niedergang des Judentums.

19 Gerhard Wehr: Friedrich Rittelmeyer: Sein Leben – Religiöse Erneuerung als Brückenschlag, Stuttgart 1998.

20 Wehr: Rittelmeyer, S. 235.

21 Dazu Ralf Sonnenberg: Holocaust-Leugnung und der Umgang mit der deutschen Geschichte, in: Lorenzo Ravagli (Hg.): »Jahrbuch für anthroposophische Kritik 1999«, München 1999, S. 158-185.

22 Uwe Werner: Anthroposophen in der Zeit des Nationalsozialismus, München 1999. Dem von Werner gemiedenen Fragekomplex ist stattdessen umso eifriger der Politologe Peter Bierl nachgegangen, der das einschlägige Quellenmaterial überaus selektiv aufbereitet und mit stark polemischer Einfärbung präsentiert: Peter Bierl: Wurzelrassen, Erzengel und Volksgeister. Die Anthroposophie Rudolf Steiners und die Waldorfpädago-gik, Hamburg 1999.

23 Vgl. zum Beispiel Samuel Ichmann: Was Gott ist – oder auch nicht. Aufzeichnungen eines jüdischen Waldorflehrers, in: »Info3«, Nr. 6/2000, S. 25-29 oder Andreas Heertsch/ Benedikt Marzahn/Rainer Marks: Antisemitismus im Oberruferer Dreikönigsspiel?, »Mitteilungen aus dem anthroposophischen Leben in der Schweiz«, Nr. 10, Oktober 2002, S. 1-4.

24 Zur wissenschaftlich nicht immer eindeutigen Semantik des Rassismus-Begriffs, der schnell als politischer Kampfbegriff missbraucht werden kann, siehe etwa Helmut Zander: Anthroposophie in Deutschland, 2 Bde., Göttingen 2007, hier Band 1: S. 631 ff. Eine zum Teil fundierte Kritik mancher Deutungen Zanders bietet die Studie Zanders Erzählungen. Eine kritische Analyse des Werkes «Anthroposophie in Deutschland» (Berlin 2009) von Lorenzo Ravagli.

25 Die Begriffe «Arier» und «arische Wurzelrasse» gebrauchte Steiner ohnedies äußerst selten. Auf den über 89000 Seiten in über 300 Bänden der Rudolf-Steiner-Gesamtausgabe kommt der Terminus «arische Wurzelrasse» auf genau zehn Seiten vor. Zur semantischen Aufschlüsselung der in der Anthroposophie gebräuchlichen Periodisierungen «Wurzelrasse», «Unterrasse» oder «Kulturepoche» siehe Bader/ Ravagli: Rassismus- Vorwurf.

26 Rudolf Steiner: Die Theosophie des Rosenkreuzers, Dornach 1986, S. 129.


27 Rudolf Steiner: Die spirituellen Hintergründe der äußeren Welt. Der Sturz der Geister der Finsternis, Dornach 1998, S. 205.

28 Rudolf Steiner: Die tieferen Geheimnisse des Menschheitswerdens im Lichte der Evangelien, Dornach 1986, S. 152.

29 Helmut Zander: Anthroposophische Rassentheorie. Der Geist auf dem Weg durch die Rassengeschichte, in: Stefanie von Schnurbein / Justus H. Ulbricht (Hg.): Völkische Religion und Krisen der Moderne, Würzburg 2001, S. 291-341.

30 Ebenda, S. 340.


31 Siehe etwa Meyer/ Neißer: Antisemitismus bei Kant.

Die anthroposophische Hybris und ihre politischen Implikationen - von Ganser über Boardman bis zu Douglas

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Bildschirmfoto von aim4truth
Natürlich nahm man - sagen wir, vor 20 oder 30 Jahren-, wenn im Zweig oder auf einer Veranstaltung der örtlichen Waldorfschule, dieser gewisse ältere Herr mit schütterem Haar, fahrigen Gebärden und einer Neigung zu braunen Faltenhosen aus Polyacryl, das Wort ergriff, die Sache nicht so ernst. Je mehr er von Christus, höherem Bewusstsein, Engelwesen schwadronierte, desto lustiger erschien er, da der Gegensatz zwischen der verbalen Hybris und der onkelhaften Beschränktheit nicht größer hätte sein können. Allerdings machte man, wenn man die Szene länger beobachtete die Erfahrung, dass die esoterischen Onkels ihre Tücken haben können. Manchmal fungieren sie als Gründerväter einer Schule, als Finanzvorstand der Christengemeinschaft oder als Geschäftsführer. Dann war nicht selten Schluß mit lustig. Abgesehen von dem Terror, den ein Geistesforscher mit irrealer, reaktionärer Hybris so in Teams über Jahre und Jahrzehnte verbreiten kann, zeigte sich nicht selten, dass unter der Hybris noch eine ganz andere Agenda verborgen war, die sich dann in einem Umfeld fehlender staatlicher und institutioneller Kontrolle in finanziellem Bankrott, jahrzehntelangen Unterschlagungen und systematischem sexuellem Fehlverhalten offenbarte. Affären dieser Art wurden stets durch plötzliche Entfernung des Täters geahndet, wenn es gar nicht mehr anders ging, aber vor Gemeinden, Schulgemeinschaften und staatlichen und städtischen Instanzen vertuscht und klein geredet - auch wenn, beispielsweise, sehr große Summen Geldes oder die Pensionen der Priester versickert oder verzockt worden waren. Man hält so etwas gern im eigenen Kreis, was Lerneffekte und eine Umstellung in Richtung systemischer Kontrolle zuverlässig verhindert.

Die Affinität zu bieder auftretenden Schwätzern, Verbal- Okkultisten und Betrügern bleibt ungebrochen. Bei den normalen Mitarbeitern und Angestellten überwiegt die Erleichterung über den Abgang des biederen Exoten, also weiter wie gehabt. Manchmal herrscht auch eine Art stiller Kumpanei. Der anthroposophische Arzt, aus esoterischen Gründen gegen jede institutionelle staatliche Kontrolle und für „Freiheit des Geisteslebens“ eintretend, riskiert zwar in seinen Scharmützeln gegen die Heimaufsicht Sanktionen gegen das anthroposophische Pflegeheim, in dem er verantwortlich ist, erleichtert aber das interne systematische Kaschieren des Pflegenotstands.

Die biederen Brandstifter sind besonders angesehen, wenn sie aus dem eigenen Stall stammen, d.h.- wenn sie Nachkömmlinge anthroposophischer Dynastien sind, oder doch zumindest eine Erziehung im Waldorf- Zusammenhang vorweisen können- und werden seit einigen Jahren gern als politische Aufklärer gehört, die dem staunenden Publikum die Verschwörungen der Welteliten erklären. So eine moderne Variante des Biedermanns ist der Waldorfschüler und Friedensforscher Daniele Ganser (1), der nicht nur dem anthroposophischen Publikum auch mit Hilfe eines Hypnotiseurs deutlich macht, dass dessen Gehirne leider durch „die Medien“ gewaschen seien. Er aber ist vom Berge herabgestiegen, um sie zu befreien: „Gemeinsam mit dem TV-Hypnotiseur Gabriel Palacios spricht Ganser über «Manipulation durch die Medien – verdeckte Kriegspropaganda durch unbemerkte mediale Gehirnwäsche». 35 Franken im Vorverkauf kostet der Abend im mondänen Kultur- und Kongresshaus, 40 Franken an der Abendkasse. Der Ticketverkäufer hat die Veranstaltung mit einem Warnhinweis versehen: Man würde nach dem Vortrag nie mehr Medien so konsumieren können wie vorher.“ (1) Diese Evergreens der Verschwörungstheorien, die Ganser zelebriert und inszeniert, ziehen tatsächlich immer noch viele Zuhörer an, was doch ein wenig verwundert, da dergleichen aus allen Richtungen ertönt, von Breitbart, Russia Today, Trump, Linken, Rechten, bis hin zu ungarischen Regierung: „Jeder Platz ist besetzt, 400 Zuhörer sind gekommen. Ganser ist ein sicherer Wert, seit Jahren tingelt er von Vortrag zu Vortrag, erhält viel Geld für seine kräftigen Thesen zum US-Imperialismus, zu 9/11 und den Medien.“ (1)

Der Waldorf- Biedermann und Brandstifter im Gewand des Friedensforschers, der gern und ausführlich in russischen Fake- News- Sendern wie RT und Sputnik agiert, wirkt gegenüber den nachwachsenden Polit- Okkultisten allerdings blass. Dieses Metier, das auf der schrillen Welle der Trumpisten und Anti- Soros- Agitatoren reitet, bedarf ständiger Steigerung, um schon mit den Tweets eines Donald Trump mitzuhalten. Da ist der bisherige Star der michaelischen Anti- New- World- Order- Okkultisten, Terry Boardman (2), schon aus anderem Holz geschnitzt. Hat er vor einigen Jahren noch die Apokalypse in Form der geheimen Offenbarungen des Maya- Kalenders gesehen, jubelt er jetzt über Trumpismus und Brexit, in 2017 sei das „Jahr des schwarzen Schwans“ (3) ausgebrochen, das er mittels eines Mixes aus Astrologie, anthroposophischen Zahlenzaubers und hysterischer Spekulation als Beginn des Endes des Kapitalismus, wie wir ihn kannten, berechnet. Der Prophet der neuen Weltordnung ist für ihn natürlich Donald Trump: „Donald Trump, like him or loathe him, is the man who has emerged in this moment of transition. If one looks at an astrological chart of where planets and Zodiac constellations related at the time of his birth, the commencement of his earthly destiny, certain themes become visible, now that he is in the latter phase of his life. He has a down-to-earth, Taurean feeling for buildings and property and has made his career out of it; he has an unstoppable bull-like nature emphasised by much Mars energy in his horoscope, but he is also an unpredictable Gemini, an Air sign. His feeling for family and for America and its past (Make America Great Again! – nostalgia for the past) is rooted in his Venus and Saturn, both in Cancer. He wants to communicate that feeling in an emotional way (Mercury in Cancer) but often does so in a drastic, shocking fashion (Uranus in Gemini) as well as a typical Geminian sanguine chattering style (his frequent use of Twitter, the internet messaging facility via smartphones). A battling, ambitious, lead-from-the-front personality (Mars in Leo), his Jupiter in Libra gives him open-mindedness and a certain impartiality or flexibility.“ (3)

Mit Trump wird die amerikanisch geführte Weltordnung, die sich durch ihren eigenen Liberalismus ausgehöhlt hat, in den selbst gewählten Abgrund verabschiedet, auch wenn die Welt- Eliten sich dagegen auflehnen: „The domestic costs of that ‘liberal’ world order in terms of lost jobs, crime and drug addiction, the decay of physical infrastructure, moral values and social cohesion were what led to Trump’s victory. Sensing this American decline despite the ever growing hubris of the liberal internationalist elite (e.g. Obama’s Nobel Peace Prize award), more and more American citizens who do not live in the metropoles of Washington DC, New York City or Los Angeles became increasingly frustrated by the inability of successive administrations, Democrat and Republican, to address the obviously worsening problems at home while involving America in steadily increasing and ruinous commitments abroad. This was the hollowing-out process that negatively affected the Roman Empire and led to its downfall. Americans’ desperation has finally resulted in their election of Trump.“ (3)

Freilich hat der zusammen gerührte Quark von Boardman auch seine Halbwertzeit, denn die sehr viel weiter entwickelten Polit- Okkultisten stehen in den Startlöchern. Man nehme z.B. das kaum zu toppende Pärchen Tyla und Douglas Gabriel, das sich hier vorstellt (4) und okkult schon so einiges ausprobiert hat. Douglas war Waldorflehrer, Jesuit, Mitarbeiter der NSA, Publizist und Aktivist für Publikationen von Rudolf Steiner in den USA. Tyla war schon Uni- Dozentin für Religion, Mythologie und Philosophie mit breit gefächerten okkulten Erfahrungen („a wide variety of esoteric energetic practices“), was sie offenbar über eine Christus- Erfahrung zu einer Bemühung um eine Einweihung in die Sophien- Weisheit gebracht hat („From the first revelation of Sophia through Pele, to the Etheric Christ experience several years later, Gabriel has followed the luminous path of study and communion with Sophia Christos to become an initiate of Sophia. The teachings about the Being of Sophia are the result of living Imaginations given to her by spiritual beings that inspired her over many years, guiding her to active Intuitions that unveil the hidden nature of the Great Goddess.“) (4) Nun, dagegen können die Biedermänner schwer anstinken.

Überschwemmt von Imaginationen, Inspirationen und Intuitionen der „Großen Gottheit“ offenbaren Tyla und Douglas jetzt den wahren anthroposophischen Spirit. Sie sehen sich als „digitale Architekten“ von „Sophias Weisheit- Tempel“ (5) Aber die vergeistigten Douglas sollen auch hinter der Esoterik- Agitatoren- Propaganda- Maschine aim4truth stecken, auf der Donald Trump als der Messias verherrlicht wird, der gegen Luzifer zu Felde zieht, oder, in anderen Worten: „The American Intelligence Media is more than an alternative news site or a cutting-edge news aggregator. Citizens are rewriting history–real time, based on truth, not on the lies of the main stream media and government controlled propaganda.“ (6)

Viele stramm Rechts stehende Anthroposophen sollen sich an den okkulten Auswürfen dieser nach der „Wahrheit“ zielenden amerikanischen Seite orientieren, die sich einen Anschein von Geheimdienst gibt, aber doch als „anonyme Patrioten“ die „Giganten des Verborgenen Staates“ weltweit als Agenten Luzifers enttarnen möchte und mit dem Trumpismus bereits den apokalyptischen Endkampf um Gut und Böse entflammt sieht (7). Hier werden auch die Offenbarungen von Tyla und Douglas Gabriel angepriesen, die offenbar das probate Mittel gegen die Weltverschwörung in Bezug auf Kindesmissbrauch, Menschenhandel, Organ- und Bluthandel und satanischen Kulten (7) darstellen, und nun die KRAFT ERWECKEN sollen, die latent global im Menschen sitzen und eben der Erweckung harren. Das anthroposophische Pärchen Douglas gibt die Mittel an die Hand, um Rudolf Steiners Prophezeiung zu erfüllen (7), dass es 48 Personen auf dem Planeten bedürfe, um die Gegenmächte in höheren Dimensionen effektiv zu bekämpfen. Sie rufen auch DICH auf, Krieger und guter Soldat in diesem Schlachtfeld zu werden (8). Damit werden zweifellos der Sonnendämon Sorath besiegt, aber auch  „fortschrittliche spirituelle Wesen“ wie Christus und Sophia gestärkt werden. Direkt an diese Offenbarungen für den New- Age- Anthroposophen gliedert sich der Post des heutigen Präsidenten- Tweets an, wie denn auch aus der spirituell- intuitiven Quelle die Gewissheit sickert, dass nicht Donald Trump mit den Russen, sondern der ehemalige Präsident Obama Wahlen gefälscht habe (9), ebenso wie Hillary Clinton mit Facebook- Gründer Zuckerberg die Welt betrogen hätte. (10)

So gehen die anthroposophischen Christus- Eingeweihten direkt dazu über, die Breitbart- und Russia- Today- Propaganda - Schlacht auf okkultem Felde zu führen, immer im Dienst ihres Messias Trump. Die Nachfolger der biederen Brandstifter, die sich als Christus- Eingeweihte und Inhaber der Sophien- Weisheit sehen, pumpen die gängigen Verschwörungstheorien also auf, indem sie sich als Kämpfer in einer apokalyptischen Schlacht gegen den Sonnendämon wähnen. In diesen visionären Bildern, die sich speziell an Esoteriker, Christen und Anthroposophen wenden, besteht das Ziel der gegenwärtigen okkulten Schlacht in der Zerschlagung demokratischer und liberaler Strukturen, die detailliert ausgeführt werden. So wird Trumps in diesen Augen erfolgreiches erstes Jahr gekrönt werden (11) mit einer Ende aller UN- Aktivitäten zur Friedenssicherung, einer Schließung der US- Börsen und einem Aussetzen aller Schulden von Hausbesitzern- aber auch derer der USA schlechthin. Das Zusammenbrechen aller internationalen Rechte und Finanzprobleme sei nicht genug, auch der jüdische Investor George Soros sei wegen Verrats zu verhaften, die Internet- Industrie sei zu übernehmen und alle NGOs seien des Landes zu verweisen. Tatsächlich bewegen sich Donald Trump und die Seinen in einer isolationistischen Agenda, die hier im Rahmen des okkulten Think Tanks bis zum bitteren Ende gedacht wird.

Freilich hat die Abkehr von international geltenden Menschenrechten, Finanzsystemen und Handelsbedingungen keinerlei zukunftsweisende, sondern nur destruktive visionäre Kraft- eine Fragmentierung, die sich gegen jede Vernunft, gegen Humanismus und Liberalismus richtet und vor allem den kleptokratischen Kräften im Kreml nutzen dürfte, die mit Alexander Dugin vom Aufstand der panslawischen Erweckung träumen und von globalen Koalitionen ohne jeden amerikanischen und europäischen Einfluss. Wieder einmal riecht es in der vorgeblich durch Sophia erleuchteten Anthroposophen- Ecke stark nach russischem Einfluss, zumindest aber nach der Sehnsucht nach strammen Führern und nach Zerstörung der offenen, diskursiven Gesellschaft.

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1 https://tageswoche.ch/gesellschaft/der-manipulator/#
2 http://threeman.org/
3 http://threeman.org/?p=2391
4 http://www.ourspirit.com/the-gabriels
5 https://gospelofsophia.com/about/tyla-and-douglas-gabriel/
6 https://aim4truth.org/about/
7 https://aim4truth.org/2017/07/08/examining-l-u-c-i-f-e-r-in-the-light/
8 „All humanity is engaged in the battle that Max Igan describes so well in his audio. We want to “arm” as many of you as possible to fight these forces at higher dimensions. Rudolf Steiner says that it takes 48 of us to do so. If these words resonate with you, then you are one of the 48 who have been called upon to lift the consciousness of humanity by keeping your own consciousness above the mortal battlefield.

Sometimes it takes only a few dedicated people or “warriors” to turn the tide and win the day. The brave soldier who lifts up the fallen flag and leads forward may bring the rest of the army along with him. Often, history is changed by one single person following her inner truth. Even when insurmountable odds may stand in the way, a truth seeker may become the David that slew Goliath with a single stone. How much more encouraged we can be when four groups of twelve gather together, virtually, physically, or spiritually, to “hold the light” for humanity and focus on truth, goodness, and beauty.

These 48 fully awake and conscious individuals are a homeopathic remedy for the world’s ills and can be the pillars that hold up the edifice of the temple that houses wisdom and integrity as a stronghold against the onslaught of evil from Lucifer, Ahriman, the Ausuras and even the Sun-Demon himself – Sorath.“ (in 7)
9 https://aim4truth.org/2017/11/24/absolute-proof-obama-not-russians-rigged-elections/
10 https://aim4truth.org/2017/10/26/hillary-paid-facebook-to-rig-elections-while-colluding-with-russian-uranium-one/
11 https://aim4truth.org/2017/11/05/trump-conquers-the-new-world-order/








Flirten mit dem Desaster. Mitwirkende: Tom Mellett, Douglas Gabriel und Frank Thomas Smith

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Michael,

here is the text I tried to post on Egoisten.  It is perhaps too long for one comment and may have to be split up.  My MacBook died and I am on iPad Air which I still have dicciculty with 

Facebook conversation involving Tom Mellett, Douglas Gabriel and Frank Thomas Smith:

DOUGLAS GABRIEL TO TOM MELLETT:
Thanks old buddy. Three different German authors interviewed me about Star Wars but I never saw the finished articles. The author of the "Official Star Wars History" (written with George Lucas), interviewed me and said he is dedicating a chapter on my influence in Star Wars in his new book. I am not sitting around waiting to see the end product. Two of them were Anthropops and seemed quite sincere. Another Anthro interviewed me about Indiana Jones movies and the help I gave to inspire the stories. I am bummed out that ME seems to be a whimpy troll who I can't even get to come out of his cave, or from under his bridge, wherever he hides in. You know Tom old buddy, I don't pay any attention to the PR, I just keep working. Lots of people write to Tyla to say they love our work, but I just keep working. But when nasssty, small-minded trolls pop up, its like Wack-a-Mole time. Thanks again. Hope you are feeling fine.

FRANK THOMAS SMITH TO TOM MELLETT
Yeah, I saw a piece about Douglas in a German anthroposophical publication as well, forget which one; the anthroassholes eat that Starwars stuff up. But I think we should give your old buddy D. Gabriel credit where due: he at least acknowledges that George Lucas helped him write the screenplay. You know, though, Tom, I have the impression that Douglas actually believes all that scrum he emits. I knew a guy like that once in Switzerland – a super-anthropop German with whom I made the mistake of working with. He could look you in the eye and lie, knowing that you must know its a lie; called compulsive lying. Trump may suffer from the same malady. A big difference is – when Douglas does it, who cares? When my German friend did it, he destroyed an initiative; when Trump does it, he could destroy the world, or a least a big piece of it.


TOM MELLETT TO FRANK THOMAS SMITH:
Dearest Elder Archbishop Francisco, I must castigate both you and Brother Douglas with the same Truth rod but for different reasons. Both of you are stuck in the morass of the Intellectual Soul (Verstandsseele), you because you still believe that truth matters while Brother Douglas seeks to engage in a pissing contest with Michael 

Now your Eminence Francisco, may I lecture you now with stuff from a Steiner lecture of 1911 in Berlin where the good Herr Doktor tells us that Anger (Zorn) educates the Sentient Soul (Empfindungsseele) until we arrive at Truth (Wahrheit) which educates the Intellectual Soul (Verstandsseele) until reverence (Andacht) educates the Consciousness Soul (Bewusstseinsseele)

Today we live in a post 1998 (666 x 3) world where Truth no longer matters.  Yet Truth still matters greatly to you, or else you wouldn’t be so het up about Douglas being a truth bender.  That is a sign that your are stuck in the Intellectual Soul and cannot move past that position.

I am not saying that Truth does not exist; no, I believe that truth still exists, but nonetheless, it is totally irrelevant in this new phase of our Consciousness Soul Age.  Why else is Trump President of the United States?

Now, as for your charge about Douglas being a compulsive liar, well, you are correct in your diagnosis because Douglas has allowed Lucifer to gain too much power in his etheric body and the result is that Christ allows Ahriman to take over Douglas’ etheric body and turn him into a “compulsive liar” (Gewohnheitslügner).

I quote Dr. Steiner from a lecture given 16.11.1922, GA 218

“Wenn Sie einen Einblick haben in die ätherische Natur des Menschen, nicht in die physische Natur bloß, sondern in die ätherische Natur, dann haben Sie da eben solche Bedingungen für Enttäuschungen der ahrimanischen und luziferischen Mächte, denn wenn im Ätherleibe die luziferischen Mächte über die ahrimanischen Mächte siegen, wird der Mensch zum Gewohnheitslügner.”

Now, Frank, you don’t need to become a Gewohnheitslügner because you are just too old-fashioned and believe that truth matters when it doesn’t anymore.   

Well, let me stop pontificating here an send this off.

Fr. Thomasius

Wenn Linke mit Rechten reden und Rechte mit Linken leben - Was ist dran am Smarties-Dogma?

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Ingrid Haselberger

Immer mehr Menschen empfinden in letzter Zeit, daß unsere Gesellschaft gespalten ist. Man meint zwei „Fronten“ wahrzunehmen, die oft mit den althergebrachten Bezeichnungen „die Rechten“ und „die Linken“ benannt werden.
In vielen Diskussionen (nicht zuletzt auch hier im Blog) scheinen diese beiden „Fronten“ einander unversöhnlich gegenüberzustehen: man wirft reflexartig mit stereotypen Argumenten hin- und her, findet allerlei despektierliche Bezeichnungen füreinander oder macht dem jeweiligen Gegner Therapievorschläge - - - bis man sich schließlich frustriert voneinander abwendet und jeweils die eigenen Vorurteile (daß man eben mit „denen“ nicht wirklich reden kann) bestätigt findet.

Dazu sind vor kurzem zwei sehr unterschiedliche Bücher 1) erschienen, die – jeweils von ihrem Standpunkt aus – versuchen, ein wenig Farbe in dieses traurige Schwarz-Weiß zu bringen. Ich habe alle beide mit großem Vergnügen gelesen. Die insgesamt fünf Autoren nähern sich ihrem Thema mit Humor, Freude an pointierten Formulierungen und - ja, wirklich! - liebevollem Augenzwinkern. 2)

Der fundamentale Unterschied laut wikipedia (vgl. die jeweils ersten Sätze der Artikel): Während die politische Linke von der prinzipiellen Gleichheit aller Menschen ausgeht und sich daher die »Aufhebung von Ungleichheit und als Unterdrückung begriffenen Sozialstrukturen, zugunsten der wirtschaftlich oder gesellschaftlich Benachteiligten, zum Ziel« gemacht hat, betont die politische Rechtedie prinzipielle Verschiedenheit der Menschen und »befürwortet oder akzeptiert daher eine gesellschaftliche Hierarchie.«

Martin Lichtmesz und Caroline Sommerfeld (von der hier im Blog schon die Rede war) formulieren das in ihrem Buch »Mit Linken leben« (MLL) auf ihre Weise (und lassen ahnen, daß es ihnen nicht nur um Unterschiede zwischen individuellen Menschen geht, sondern auch um Gleichheiten innerhalb gewisser Menschengruppen):
Während die Linke andauernd von »Vielfalt« redet, will sie von echten, konkreten Unterschieden zwischen Menschen nichts wissen – seien diese kultureller, religiöser, biologischer, ethnischer, nationaler, geschlechtlicher oder politischer Art, auf der individuellen ebenso wie auf der kollektiven Ebene. Ihre Vorstellung von »Buntheit« und »Vielfalt« nennen wir das »Smarties-Dogma«: Ein »Smartie« ist eine Schokolinse mit einem knallbunten Zuckerguß; unterhalb dieser Schicht bestehen jedoch alle Smarties aus der gleichen Schokolade.
(MLL S 62)

Per Leo, Maximilian Steinbeis und Daniel-Pascal Zorn (die sich selbst allerdings ausdrücklich nicht als »Linke« sehen, sondern als »Nicht-Rechte«) verfolgen in ihrem Buch »mit Rechten reden« (MRR) einen anderen Ansatz:
Wir begreifen, so viel sei verraten, als »rechts« keine eingrenzbare Menge von Überzeugungen oder Personen, sondern eine bestimmte Art des Redens. […] Fast alle »rechten« Phänomene, mit denen wir es derzeit zu tun haben, lassen sich als Formen der Rede auffassen, genauer gesagt: der reaktiven Rede. Der rechte Diskurs reagiert auf eine demokratische Öffentlichkeit in der Krise.
Die strukturelle Dummheit von Talkshows und Meinungsforschung, eine von der Ausnahme zur faktischen Norm erhobene Große Koalition und das Internet als Medium der Meinungsbildung haben eine Diskussionskultur geschaffen, die sich vor allem durch zwei Merkmale auszeichnet: Nervosität und Erwartbarkeit. Und damit haben sie den Nährboden für Sprechweisen bereitet, die vor allem einen Zweck verfolgen: Störung.  
(MRR S 10f)

Die MLL-Autoren stimmen dieser Schlußfolgerung ganz unverhohlen zu – in ihrem abschließenden »Tugendkatalog« heißt es:
6. Es ist nicht die Hoheit über den Diskurs erstrebenswert, sondern seine Zerstörung!
(MLL S 318)

Es ist nicht meine Absicht, in diesem Aufsatz zu untersuchen, welches der beiden „Lager“ mit seinen politischen Vorstellungen inhaltlich recht hat– ob »rechts richtig und links giftig« ist, wie es in MLL heißt, oder ob es sich genau umgekehrt verhält (einige Gedanken dazu seien einem künftigen Aufsatz vorbehalten).
Ich werde vielmehr einzelne Zitate aus beiden Büchern einander direkt gegenüberstellen, um einerseits unterschiedlichen Stil und Sichtweisen der jeweiligen Autoren erlebbar zu machen und andererseits eine gewisse Spiegelbildlichkeit aufzuzeigen, die – trotz ihres unerschütterlichen Glaubens an die prinzipielle Verschiedenheit der Menschen – auch den beiden Autoren von MLL aufgefallen ist:
Wir haben uns erlaubt, ein paar Sätze aus dem Büchlein Aufstehen statt wegducken. Eine Strategie gegen Rechts von Bundesjustizminister Heiko Maas und seinem Ghostwriter Michael Ebmeyer zu entnehmen und ein wenig zu verfremden. Wo bei Maas »Rechte« stand, setzen wir »Linke« ein, und das Ergebnis paßt unheimlich genau. 
(MLL S 17)

Und in ihrer Betrachtung von Klaus-Peter Hufers Buch »Argumente am Stammtisch. Erfolgreich gegen Parolen, Palaver und Populismus« heißt es:
Die Einleitung zu diesem Kapitel verschafft uns ein inzwischen wohlbekanntes Erlebnis: Nahezu jeder Satz läßt sich problemlos umkehren und auf all die Situationen anwenden, in denen man als Rechter einer Übermacht von linken Parolen gegenübersteht: »Wer mit einer Stammtischparole [setze für unseren Gebrauch ein: Gutmenschen-, Antifa-, Gegen-Rechts-Parole] konfrontiert wird, der gerät sofort in die Defensive. Denn die Sprüche sind plötzlich und unerwartet da, selten ist man auf sie vorbereitet. Sie kommen aus der Mitte der Gesellschaft: am Arbeitsplatz, in der Straßenbahn, bei der Familienfeier, im Gespräch mit dem Nachbarn, im Taxi, beim Friseur, an der Ladentheke und selbstverständlich auch in der Kneipe.« […] Das Schlagwort »Stammtischparole« dient Hufer als eine Art Löschschaum, mit dem er jede politische Aussage, die ihm mißfällt, bannt und neutralisiert. »Stammtisch« findet nicht notwendigerweise am Stammtisch statt, sondern kann immer und überall sein. Der Unterschied zu unserer Lage ist, daß die »Sprüche« des Gutmenschentums für unsereinen nicht ganz so unerwartet kommen, eben deshalb, weil seine Geschwader quasi überall anzutreffen sind (außer im Safe Space unserer, äh, Stammtische).
Hufer weiter: »Es macht sich das fatale Gefühl breit, daß man auf die aggressiv daherkommenden Äußerungen zwar viele und gute Gegenargumente hätte, aber dann müßte man weit ausholen, Pro und Contra abwägen, eine differenzierte Sicht nahe bringen, Fakten heranziehen. Doch will der Parolenverkünder dieses überhaupt hören?« Danke, Herr Hufer! Sie haben treffend beschrieben, wie man sich als Rechter inmitten aggressiver linker Parolenschwinger fühlt!  
(MLL S 125f)

Die MRR-Autoren sehen »rechtes« Verhalten zunächst als Reaktion auf die anfängliche »Übermacht der Linken« – und zwar nicht nur reflexartig, sondern in vielen Fällen als ganz bewußte Spiegelung:
Mussolini imitierte Lenin vor dem Spiegel, als Noske auf Arbeiter schießen ließ; Goebbels studierte Eisenstein, als Adorno und Horkheimer zum Institutsfasching in SA-Uniformen erschienen; und als Andreas Baader mit Knarre und Tigerunterhose über die deutsche Autobahn raste, las Alain de Benoist mit roten Ohren Antonio Gramsci und Guy Debord. 
(MRR S 58)

Als Voraussetzung für die »rechte Erfolgsgeschichte« benennen sie das »ideologische Desaster der Linken« – und kommen dabei wieder auf den Spiegel zu sprechen, diesmal von der anderen Seite aus:
Die neue Linke […] hatte kaum noch etwas mit der alten zu tun. Sie war mehr Kind des Krieges als der Revolution. […] Der Zweite Weltkrieg hatte mit einem Triumph der Linken geendet. Aber […] sie triumphierte in einer Welt, die vom rechten Widerstand gegen die Revolution geformt worden war. Einer Welt aus Freunden und Feinden. […]
Die alte Linke hatte mit Karl Marx noch dialektisch und humanistisch gedacht. Sie kannte nicht nur die Stärken ihres Gegners, sie schätzte sie auch. Sie konnte Nein und Ja sagen. Nein zu den Ausbeutern, ja zu ihrer Bildungsidee. Nein zu den Produktionsverhältnissen, ja zu den Produktionsmitteln der Industriegesellschaft. Nein zum Bürgertum, ja zur Verbürgerlichung der Arbeiterklasse. Die Strategie der alten Linken bestand darin, den Gegner zu bekämpfen und sich dabei dessen Stärke anzueignen. Und genau das machte sie ideologisch stark.
Die neue Linke konnte dagegen nur noch Nein zu ihren Feinden sagen, so wie diese zu ihr. Aus einer Bewegung zur Emanzipation der Arbeiterklasse war eine Partei von Anti-Faschisten, Anti-Imperialisten und Anti-Kapitalisten geworden. Und genau das machte sie ideologisch verwundbar. Denn der geistige Preis für den Sieg war hoch. Um sich in der Welt zu behaupten, hatte die Linke ihre beiden größten Schätze, die Dialektik und den Humanismus, geopfert. Übrig blieb eine entkernte Ideologie, die nur notdürftig verhüllen konnte, wie sehr sie sich ihrem Feind angeglichen hatte. Die Linke dachte im Freund-Feind-Schema. Wie die Rechte. Sie behauptete sich selbst in einer Welt von sich selbst behauptenden Völkern und Nationen. Wie die Rechte. Und dann entdeckte sie auch noch die Unterschiede zwischen den Rassen, Kulturen, Religionen und Geschlechtern, die alle um die eigene Identität kreisen. Wie die Rechte.
Aus einem Gegner, dem die Linke ins Gesicht sehen konnte, war ein Feind geworden, dessen Züge sie fürchten musste, wenn sie selbst in den Spiegel sah. Ein kaum erträglicher Zustand, aus dem nur Selbsterkenntnis, eine Rückkehr zu Marx, und Erneuerung, eine Hinwendung zu Nietzsche und Hannah Arendt, herausgeführt hätten. Aber die Linke entschied sich für den Selbstbetrug. Statt das Denkschema eines nicht besonders denkstarken Feindes zu kritisieren, fügte sie sich ihm. Und schminkte es mit Moral. 
(MRR S 39ff)

Spätestens wenn es um den Islam geht, wird deutlich, daß die Zuschreibungen »Links=Gleichheit« und »Rechts=Individualismus« so nicht funktionieren:
Warum könnt ihr es nicht mit AKP, Salafismus, IS etc. als Quelle von Gefahren genug sein lassen? Warum muss es unbedingt der komplette Islam sein? Warum verwendet ihr so viel Mühe darauf, auch noch die letzte fromme Muslima, die nur irgendwo in Ruhe ihre Gebete verrichten will, dem Lager eurer Feinde zuzuschlagen?
Fällt euch auf, dass das Bild, das ihr vom Islam zeichnet, demjenigen des Islamischen Staats und anderer Fundamentalisten zum Verwechseln ähnlich sieht? Ihr unterstellt theoretisch genau das, was diese Fundamentalisten gerne in der Praxis sähen – einen einheitlichen Islam als handelnde Einheit. 1,7 Milliarden Gläubige zwischen Neuguinea und Marokko, regional sehr unterschiedlich und oft nur rudimentär organisiert – aber für euch ein kompakter geschichtlicher Akteur. 
Die gläubigen Muslime, vor denen ihr euch so fürchtet, sind euch ironischerweise in vieler Hinsicht ähnlich. Sobald sie ihren Glauben radikal ins Politische wenden, tun sie exakt das, was ihr unzerbeißbaren Kirschkerne im Mund der Gesellschaft auch tut, wenn ihr eure persönlichen Ansichten zum Maßstab erklärt: Sie setzen das, was für sie unbedingt gilt, für alle anderen absolut. Ihr könntet euch ineinander erkennen. Das wäre ein Gesprächsthema, das uns sehr interessieren würde: Erkennt ihr, dass sie euer Spiegelbild sind? 
(MRR S 119f)

Die Autoren von MLL sehen den Islam zwar grundsätzlich als »paradoxen Verbündeten der Progressiven« (MLL S 83), stimmen der obigen Argumentation in MRR aber implizit zu, wenn es heißt:
Als Rechte respektieren wir so manche »konservativen« Züge des Islams, die ihm heute eine gewisse Überlegenheit über die westliche Dekadenz und den liberalen Individualismus verleihen (was sich besonders in den Geburtenraten niederschlägt) […] 
(MLL S 170)

Die erwähnten von den »Rechten« respektierten »konservativen Züge des Islam« finden sich im Kapitel Womit man Linke »triggern« kann:
[…] gibt es eine ganze Reihe von spezifischen Ansichten und Präferenzen, mit denen man sein Publikum, je nach Milieu und Zusammensetzung, aufs Schönste »triggern« und ärgern kann. Hier eine unvollständige Liste in loser Folge (alle genannten Beispiele sind wirklichkeitserprobt):
Wenn man etwa der Ansicht ist, daß die meisten Frauen als Mütter und Hausfrauen wesentlich glücklicher wären, als sich dem Zwang unerfüllbarer feministischer Ideale zu unterwerfen;
wenn man der Ansicht ist, daß die traditionellen Geschlechterrollen auch in der modernen Welt sinnvoll sind und große Vorteile für Männer, Frauen und Kinder bieten, wenn sie passend modifiziert und gut erfüllt werden;
[…]
wenn man für Kopftuch- Schleier- und Burkaverbot ist;
wenn man andererseits findet, daß auch westliche Damenbekleidung wieder geziemender werden sollte und die Finessen der weiblichen Kopfbedeckung der Wiederentdeckung harren;
wenn man der Ansicht ist, daß Gewalt so manche Probleme löst (sie hat immerhin Wien von der Türkenbelagerung befreit und Helms Klamm vor Saurons Armeen gerettet);
[…] 
(MLL S 52)

Das von den »Rechten« vertretene Paradigma der »traditionelle Geschlechterrollen« kommt deutlich zum Ausdruck im heiteren Kapitel Patriotship.de: Partnersuche für Rechte(MLL S 253ff), in dem der angebliche Verlust der »Männlichkeit« der linker Männer thematisiert wird:
Bei Schnecken können dieselben Individuen Weibchen oder Männchen oder beides zugleich sein, je nach Paarungsgelegenheit. […] 
Linke Männer sind Schnecken, weil sie sich weder trauen, ihre eigenen Erwartungen noch die der Frauen voranzustellen. […]
Daß es auf dem linken Ufer offenbar einen wachsenden Bedarf an verlorener Männlichkeit gibt, läßt sich aus einem »Manifest« der Journalistin Hannah Lühmann (1987) mit dem programmatischen Titel »Warum haben linke Männer keine Eier?« (welt.de, 20. Juni 2016) entnehmen: »Die Männer müssen ihre Körper zurückerobern. […] Wo ist der wilde linke Mann? Der Pöbelmann? Der Sehnsuchtsmann? […] die Reaktion frißt unsere Männer. Nehmt das, ihr Gender-Feministinnen, der Mann, er eiert noch, der Mann, er reitet wieder, der Mann, er kämpft.« Der Linke, so er kein gewaltbereiter Antifant ist, sei beleidigt, »weil ihm die prolligen Strahlo-Männer die Schau stehlen. Er ist so beleidigt, daß er sich noch nicht einmal eingestehen kann, daß er beleidigt ist, er sagt stattdessen: „Das ist ein archaisches Geschlechterbild, da sollen wir auf gar keinen Fall hin zurück.“«
Manche linke Frauen haben gelegentlich Glück und werden überwältigt vom Thymos rechter Männer, die sie wirklich verteidigen wollen und die auch körperlich dazu in der Lage sind, die einen Ehrbegriff haben und wissen, was auf dem Spiel steht. Männer, die keine Scheu haben, auf Frauen zuzugehen, und genderlosen Schnecken sind. […] Da hat sich eine Frau in einen wirklich männlichen Typen verliebt, liegt ihm zu Füßen, himmelt ihn an, ihr inneres Bild vom Alphamännchen ist perfekt. Doch irgendwann haut die Mehrheitsgesellschaft brutal rein in die Liebesszene: der Mann ist ein sozialer Outcast, ein Problem- oder sogar Schadbär, die junge Dame muß sich womöglich rechtfertigen oder gar distanzieren. […]
Die heutige Linke, verstrickt in einen »intersektionalen« Antidiskriminierungskanon, zu dessen fixen Bestandteilen Feminismus, Schwulenkult und Genderismus zählen, hat sich zum Feind männlicher Prinzipien und zum Agenten der Feminisierung der Männer gemacht.
(MLL S 255ff)

Das wissen offenbar auch die »Linken« – ein paar Seiten später erzählt Caroline Sommerfeld eine Anekdote aus ihrem Leben:
Ich entsinne mich besonders eines Gesprächs mit einem befreundeten (und nunmehr entfreundeten) Psychoanalytiker […]
Ich darf aufzählen, was ich allein an diesem Abend alles war, allein durch meine Konversion nach rechts: mehrere Male »hysterisch«, einer »Masche« aufgesessen, es sei »schade« um mich als Intellektuelle und Freundin […], ich hätte irgendetwas ganz Tiefenpsychologisches nicht ganz aufgearbeitet (er könne mir gern dabei helfen), sei sexuell frustriert (danke, mein Mann saß daneben) und suchte mir jetzt in der rechten Szene Kompensationsobjekte. 
(MLL S 299)


Insgesamt finde ich sehr viel Übereinstimmung in diesen beiden Büchern.
Zum Beispiel darüber, daß weder »Rechte« noch »Linke« in reiner, ungemischter Form existieren:
Das Hilfsangebot eines Ratgebers sollte eine Frage betreffen, die unmissverständlich genug ist, um in Form eines nüchternen How-to-do-Titels benannt zu werden: Wie man ein Aquarium einrichtet. Wie Sie bei Ihrem Chef mehr Gehalt rausschlagen. Wie Sie Ihr Moppel-Ich lieben lernen usw. […]
Nun heißt unser Buch aus guten Gründen nicht: Wie man mit Rechten redet. Denn das würde ja voraussetzen, eine »man« und eine »Rechte« genannte Gruppe ließen sich ebenso deutlich voneinander unterscheiden wie Untergebene und Chefs oder Sie und Ihr Moppel-Ich. Weil das aber nicht möglich ist, haben wir es gar nicht erst versucht. 
(MRR S 9f)

und:
[…] da es uns vor allem auf die alltägliche, zwischenmenschliche, soziale Ebene ankommt, werden wir rasch entdecken, daß es »Linke« und »Rechte«, die nur links oder nur rechts sind, im strengen Sinne kaum gibt, nicht einmal unter den dezidiert politisch Engagierten.  
(MLL S 33)

Oder darüber, daß es sich mit »Gleichheit« und »Ungleichheit« komplizierter verhält, als es zunächst den Anschein hat:
»Wer Gleichheit sagt, sagt auch Ungleichheit«, konstatiert Niklas Luhmann in seinem rechtstheoretischen Aufsatz »Der Gleichheitssatz als Form und als Norm«(1991). »Und wenn es gelänge, alle Menschen in jeder Hinsicht gleich zu behandeln? Dann würde die Ungleichheit im Verhältnis von Mensch und Nichtmensch entsprechend zunehmen; und praktisch würde jede die Gesellschaft differenzierende Beziehung zwischen dem Gesellschaftssystem und seiner Umwelt abreißen.« 
(MLL S 61)

und:
Wer aber unterscheidet, hat zuvor verglichen. Immer. Auf die Frage, was den einen Menschen von einem anderen unterscheidet, kann man erst sinnvoll antworten, wenn man beide unter dem gleichen Gesichtspunkt vergleicht. Wenn ihr über die Unterschiede zwischen Menschen redet, dann gebt ihr damit zu, dass sie jedenfalls in einer Hinsicht gleich sind: als Menschen. […]
Menschen sind unterschiedlich – und sie sind darin gleich, dass sie Menschen sind. Dasselbe gilt für Kulturen und Gesellschaften. Und anders als bei Steinen unterscheiden sie sich nicht voneinander in Exemplaren, sondern durch das, was sie sind, indem sie etwas tun. Das geht so weit, dass derjenige, der anderen das Menschsein abspricht, das nur tun kann, weil er es vorher voraussetzen muss. Menschen sind gleich darin, dass sie als Menschen – im doppelten Sinn – angesprochen werden können. Genau deswegen kann man oft beobachten, dass man dann lieber über Menschen spricht, wenn es darum geht, sich von ihnen abzugrenzen. Und jetzt könnt ihr euch mal überlegen, warum wir kein Buch über Rechte, sondern für Rechte geschrieben haben.  
(MRR S 117)


Oder darüber, daß »Rechte« und »Linke« einander brauchen:
[…] die Verteidiger des linksdrehenden Status quo […], die sich durch die Abgrenzung von echten oder imaginierten »Rechten« geradezu konstituieren, also unsereinen nötig haben, damit sie die Rolle der »Guten« spielen und dabei allerlei riskante Gesellschaftsexperimente durchsetzen können. 
(MLL S 36)

und:
Die Rechten, Sie erinnern sich, brauchen für ihr Spiel das Nein der anderen. Aber weil sie es ohne Anlass nicht bekommen, schon gar nicht permanent, müssen sie es sich holen. Also provozieren sie den Widerspruch. 
(MRR S 71)

Im Kapitel »Die linke Klischeekiste« (MLL S 123ff) kritisieren Sommerfeld/Lichtmesz das oben erwähnte Buch von Klaus-Peter Hufer: offenbar fingiert Hufer ein Stammtischgespräch mit erfundenen »Rechten«, denen Argumente in den Mund gelegt werden.
Obwohl sie dieses fingierte Gespräch für »nicht realistisch« halten, liefern die Autoren im folgenden ausführliche Begründungen für die Richtigkeit jedes einzelnen der von Hufer den »Rechten« in den Mund gelegten Sätze – und bestätigen damit, daß jedenfalls Hufer den »Rechten« nichts unterstellt, sondern ihre Argumente korrekt wiedergibt.

Umgekehrt scheinen viele Aussagen in MLL, unter anderem, daß die Rechten so etwas wie »die neuen Schwulen« seien (MLL S 28), gut zu der Schilderung in MRR zu passen, daß die »Rechten« sich gern als Opfer inszenieren:
Wir haben [den Mythos der »Rechten«, I.H.] nur genau genug studiert, um uns darin frei bewegen zu können. Es ist der Mythos vom ewigen, unerlösten Opfer. Er ist grausam und schön, so wie die unverstandene Natur, von der er handelt. Für uns ist er ein wilder Garten, in dem wir schweifen und wandern, den wir hier beschneiden, dort wuchern lassen, den wir betreten und verlassen, ganz wie es uns beliebt. Aber die Rechten, so hatten wir nun begriffen, können das nicht. Besessen von seiner Schönheit, Grausamkeit und vermeintlichen Ewigkeit, sind sie Gefangene ihres eigenen Mythos. Seit hundert Jahren träumen sie ihn. Bei Tag und bei Nacht. […] 
Die Rechten sind die Minderheit, die sich selbst Deutschland nennt. Und daran wollen sie um jeden Preis leiden. Im Felde unbesiegt, haben sie den Dolchstoß aus der Heimat und das Friedensdiktat des Feindes erlitten. Sie haben die Republik erlitten und das Dritte Reich. Den 30. Juni 1934 und den 20. Juli 1944. Die Gebietsverluste im Osten und die Vertriebenen in ihrer Stadt. Die deutsche Teilung und die Wiedervereinigung. Die Kriegsverbrechen der Roten Armee und die Wehrmachtsausstellung. Und heute leiden sie an Europa und Amerika, an der modernen Welt und der Einwanderung von Muslimen. Sie leiden am Meinungskartell der Eliten und an den Manieren des Pöbels. Sogar an Auschwitz leiden sie: Die Juden haben es wenigstens hinter sich, sie aber tragen schwer an einer Schuld, deren Unvergänglichkeit außer ihnen schon lange niemand mehr behauptet. Und all dies Leid haben immer andere verursacht. Sie haben es Deutschland und damit ihnen angetan, und sie tun es immer wieder. Und dagegen, sagen sie, werde man sich ja wohl noch wehren dürfen. Jeder, der das nicht einsehen will, ist blind oder dumm. Und darum kann, wer nicht mit ihnen leidet, nur gegen sie sein. Aggressive Jammerlappen sind sie. Wehleidige Arschlöcher. Unerlöste, tatbereite Opfer.
Das, liebe nicht-rechte Leser, ist unser Problem mit den Rechten. Nicht weil sie irgendwelchen Ideen anhängen, die vielleicht ein bisschen skandalös klingen mögen, aber tatsächlich nur schlicht und undurchdacht, jedenfalls nie im Leben mehrheitsfähig sind, machen sie uns zu schaffen, sondern weil sie anderen die Schuld dafür geben, dass kein Gott und kein Präfekt erscheint, um sie zu erlösen. Sie spucken und fauchen von ihrem selbstgewählten Kreuz auf uns hinab – und hoffen, dass wir zurückfauchen. Und wenn wir es tun, dann klagen und jammern und schimpfen sie so lange über diese entsetzliche Schandtat gegen ein wehrloses Opfer, bis einige Zuschauer tatsächlich Mitleid mit ihnen kriegen. So mobilisieren sie ihren Anhang. Nicht durch Programme, sondern durch Provokationen. Und Gejammer. 
(MRR S 66f)

Die Autoren von MRR konstatieren zudem einen »Vernunftvorbehalt« der »Rechten«:
[…] wir sehen, dass ihr selbst dann, wenn ihr miteinander redet oder mit einem klugen Nicht-Rechten, der zufällig euer Ehemann ist 3), die Vernunft unter einen entscheidenden Vorbehalt stellt. Und dieser Vorbehalt lautet: Wann immer es mir passt, lasse ich die Vernunft Vernunft sein und behaupte einfach, dass ich Recht habe. Letztlich sind alle Einwände, so der Vorbehalt, doch nur »Theorie«, während mir das »Leben« doch permanent bestätigt, dass es in Wirklichkeit so ist, wie ich es sehe. 
(MRR S 78)

Und unfreiwillig komisch lesen sich so manche einander widersprechende Stellen in MLL, die diesen »Vernunftvorbehalt« irgendwie zu bestätigen scheinen:

Da wird zum Beispiel eine Theorie des amerikanischen Bloggers Michael Trust 4) vorgestellt (MRR S 112f), nach der die Amygdala, der Teil des Gehirns, der für Angstreaktionen zuständig ist, »bei »Konservativen« in der Regel stärker ausgeprägt [ist] als bei Liberals«. Das erkläre zwar, wieso die »Linken« den »Rechten« vorwerfen, ihre Politik auf Angst zu bauen. Vor allem aber:
Für einen Konservativen hingegen bieten die Forschungen zur Korrelation zwischen Amygdala-Ausprägung und politischer Einstellung eine verlockende Erklärung dafür, warum Linke so unfähig erscheinen,die Realität wahrzunehmen und adäquate Schlußfolgerungen daraus zu ziehen. In unseren Augen erscheinen Linke als fahrlässig naiv, weltfremd, infantil, »gutmenschlich« sentimental, stets bereit, sich in ideologische Illusionen zu flüchten. Da nun die Amygdala durch Erfahrungen wie Angst, Schmerz und Konflikt stimuliert wird, die ihre Herausbildung fördern, liegt der Schluß nahe, daß Gesellschaften, in denen der Ernst des Lebenskampfes durch Wohlstand, Wohlfahrtsstaat und technischen Komfort drastisch reduziert wird, massenhaft Menschentypen hervorbringen, deren entsprechende Gehirnteile verkümmert sind. 
(MLL S 113f)

Dem direkt widersprechend, wird einige Seiten später zustimmend aus »All They Have Is Fear« 5) zitiert und den »Linken« eben jene Angst zugeschrieben, die sie wegen verkümmerter Amygdala doch angeblich gar nicht empfinden können:
»Wenn ein Mann mir versichert, er sei gegen Rassismus oder Sexismus oder Xenophobie oder Homophobie oder Transphobie oder was auch immer gerade angesagt ist, dann ist alles, was ich sehe: Angst. Er hat Angst, seinen Job zu verlieren. Er hat Angst, seine Kunden zu verlieren. Er hat Angst, von der Schule geschmissen zu werden. Er hat Angst, von den Medien angeschwärzt zu werden. Er hat Angst, verklagt zu werden. Er hat Angst, sein Haus zu verlieren. Er hat Angst, seine Freundin oder Ehefrau zu verlieren. Er hat die Dienstvorschriften unterzeichnet, er hat die Videos und Powerpoint-Präsentationen gesehen. Er kennt die Regeln und er hat gesehen, was mit denen passiert, die gegen sie verstoßen haben. Viele Männer haben Angst, die Gedanken auch nur zu denken, die zu den Worten führen könnten, die ihnen Ärger einbringen könnten. Es ist gruselig. Ich verstehe es.«
(MLL S 176)

Oder: 
Linke seien meist Utopisten, Rechte Realisten (MLL S 41); Rechte beziehen ihr Weltwissen aus der Geschichte und fragen, wie die Welt ist, Linke beziehen ihr Weltwissen aus einer imaginierten Zukunft und fragen, wie die Welt sein soll (nach Manfred Kleine-Hartlage, MLL S 65).
Aber: gerade die Rechten seien es, die sich »dem Zeitgeist verweigern« (MLL S 55), und:
Während also der Rechte […] heute tendenziell eher der Außenseiter, der Dissident, der Abweichler, der Nonkonformist, der Systemkritiker, der Aus-der-Reihe-Tänzer ist, ist der Linke dementsprechend heute eher der Insider, der Normalo, der Konformist, der (konservative?) Systemerhalter […] 
(MLL S 66)

Die Autoren von MRR hingegen sehen sich selbst als Vertreter des »Logos« und ordnen den »Rechten« den »Mythos« zu:
Über den Gebrauch, den wir von unserem Verstand machen, sprecht ihr ja oft und gerne abfällig. Wir erscheinen euch als Vertreter eines abstrakten Denkens, das sich nicht nur der Planeten, Atome und Molekülverbindungen, sondern auch der menschlichen Angelegenheiten bemächtigt hat. Mithilfe des Verstandes stellt die Vernunft Naturgesetze auf, schon das erscheint vielen von euch als Zerstörung des organischen Bandes, das alle beseelten und unbeseelten Dinge eint. Vor allem aber empört ihr euch, dass die Vernunft auch Verfassungen und Menschenrechtskataloge schreibt. Diese Art des Denkens eignet sich also zur Markierung eures Gegners, von dem ihr meint, fundamental verschieden zu sein. Ihm schreibt ihr ein Prinzip zu, das ihr wahlweise »Geist«, »Abstraktion«, »Bewusstsein«, »Theorie«, »Aufklärung«, »Doktrin« oder eben »Vernunft« nennt, euch selbst dessen mal »Seele«, mal »Bild«, mal »Wirklichkeit«, mal »Symbol«, mal »Sein«, aber besonders gerne »Leben« genannten Gegensatz. Die kürzeste Version dieses Gegensatzes lautet aus eurer Sicht: ihr Logos, wir Mythos. 
(MRR S 78)

- - -

Was läßt sich also nach der Lektüre dieser beiden Bücher zur »Smarties-Frage« sagen?
»Rechte« wie »Linke« provozieren einander, reagieren aufeinander, diskutieren immer wieder spiegelbildlich. Dabei stehen sie oft ganz deutlich auf einander gegenüberliegenden Seiten des jeweils zu Betrachtenden, haben daher jeweils eine andere „Aussicht“.
Statt sich aber wirklich probeweise auf den jeweils „gegnerischen“ Standpunkt zu stellen, finden beide „Lager“ ihr jeweiliges Gegenüber häufig von vornherein im naiven Irrtum, in der bewußten Lüge oder in krankhafter Realitätsverkennung befangen und fragen gar nicht erst ernsthaft danach, ob man vom anderen Standpunkt aus vielleicht tatsächlich etwas sieht, das die eigene Ansicht ergänzen könnte:
Die Begriffe, mit denen Linke Rechte abstempeln, sind das, was in der Kommunikationswissenschaft Frames genannt wird – Deutungsrahmen mit moralischer, normativer, emotionaler Aufladung. Unsere Aufgabe besteht nun darin, auf diese Begriffe und Attacken mit Reframings zu antworten, also mit Umdeutungen, Umwertungen, Perspektivenwechsel, alternativen Akzentsetzungen und so weiter. Sobald wir die Definitionshoheit abgeben, uns auf die Fragen unserer Gegner einlassen, ihre Fragestellungen akzeptieren, haben wir verloren. Wir müssen sie vielmehr in unseren Deutungsrahmen ziehen. […] Wir haben bereits festgestellt, daß die überwiegende Mehrheit der politischen Debatten und Auseinandersetzungen nur wenig mit sachbezogener Wahrheitsfindung, sondern nach Schopenhauer sehr viel mit der »Kunst, recht zu haben« zu tun hat. Die Kriegserklärungen von links sind eindeutig, und wir haben keine andere Wahl, als sie anzunehmen. Es genügt also nicht, die Begriffe der Linken zu demontieren und zu »reframen«: Wir müssen unsererseits Schlagwörter prägen, die unsere Gegner griffig etikettieren und moralisch diskreditieren. Daß es dabei zu manchen Ungerechtigkeiten und Pauschalisierungen kommen wird, ist leider unvermeidlich […] 
(MLL S 173f)

Solange uns keine anderen als reflexartige, spiegelbildliche Reaktionen einfallen, gleichen wir alle meiner Ansicht nach tatsächlich Smarties: wir unterscheiden uns nur durch den „Zuckerguß“ unserer unterschiedlichen Standpunkte – teilen aber die angeborenen, instinktmäßigen Reaktionsmuster und die tiefinnerliche Überzeugung („Schokolade“), daß wir selbst diejenigen sind, die recht haben. 6)

Es ginge auch anders.
Und auch dazu sind erfreulicherweise in beiden Büchern Ansätze vorhanden.
So heißt es – an Voltaire gemahnend – in MRR:


Euer Protest gegen die real existierende Demokratie in Deutschland hat viel damit zu tun, dass ihr eure Redefreiheit beschnitten seht. Ihr seid zwar um Wege, euch Gehör zu verschaffen, nur selten verlegen und habt wenig Grund, euch über mangelnde öffentliche Resonanz zu beklagen. Aber es ist nicht zu leugnen: Eure Kommentare werden gelöscht, eure Meinungen vielerorts zensiert, ihr werdet moralisch und oft auch als Personen ausgegrenzt – und so zum Schweigen gebracht. Nur noch eure eigenen Zeitungen drucken eure Texte. Wer euch in seine Talkshow einlädt, riskiert den Boykott der anderen Gäste, wer euch ein öffentliches Podium gibt, den Besuch der Antifa.
Wenn ihr aber ehrlich seid, kann das durchaus seine strategischen Vorteile haben. Schließlich könnt ihr nun die Linken und Liberalen als Heuchler brandmarken, die skrupellos ihre eigenen Ideale verraten, wenn es ihnen im Kampf gegen den politischen Gegner nutzt. Da sieht man mal, so könnt ihr sagen, was ihr Gerede von Meinungs- und Redefreiheit wert ist, wenn sie es mit jemandem zu tun bekommen, der nicht immer nur sagt, was ohnehin alle richtig finden!
Wir hätten dieses Buch nicht geschrieben, wenn wir euch in diesem Punkt nicht zustimmen würden. Ihr habt das Recht, zu reden. Und dass euer Reden vielleicht irgendjemandes Gefühle verletzt, ist kein hinreichender Grund, euch von vornherein zum Schweigen zu bringen. […] Ihr sollt sagen können, was ihr denkt. Aber wenn wir daraufhin eure Ansichten bestreiten und angreifen und kritisieren, dann nehmen wir euch die Redefreiheit nicht weg – dann machen wir selbst Gebrauch von ihr. Das versteht sich so sehr von selbst, dass man sich wundert, wie oft ihr »Das wird man doch noch sagen dürfen!« grummelt, wenn ihr aufgefordert werdet, eure Rede zu rechtfertigen. Das wirkt nicht selten unfreiwillig komisch. Insbesondere wenn es sich um Redebeiträge handelt, die anderer Leute Gefühle verletzen. 
[…]
Selbst also, wenn ihr Feinde des Grundgesetzes seid – das Grundgesetz ist nicht euer Feind. Es lässt euch einfach stehen mit eurer Feinderklärung. Es erwidert sie nicht. Stattdessen gibt es euch Rechte. Unter anderem das Recht, sich ausdrücklich gegen die Verfassung und die deutsche Politik auszusprechen. Und wer euch diese Rechte wegnehmen will, den zählen auch wir zu unseren Gegnern.  
Mancher Nicht-Rechte würde euch nämlich aus moralischen Gründen diese Rechte gerne beschneiden – eure Meinungen unter Strafe stellen, eure Demos auflösen, eure Webseiten löschen. Das halten wir für falsch. Nehmt eure Redefreiheit in Anspruch! Macht Gebrauch von ihr! Denn solange ihr das tut, werdet ihr uns das auch tun lassen müssen. Dann reden wir. Mit Rechten. 
(MRR S 112ff)

Und im »Tugendkatalog« von Lichtmesz/Sommerfeld heißt es sogar:

10. Versuche, Dich in jeder Diskussion in die Position des anderen zu versetzen.
[…]
Man gewinnt an Überzeugungskraft, wenn man versucht, zu verstehen, warumder andere bestimmte Dinge sagt, aus welcher Perspektive er spricht, von welchem moralischen Feld […] aus er die Dinge beurteilt und was er einem dabei über sich selbst mitteilen will. Darum empfahl der Philosoph und Mathematiker Blaise Pascal (1623-1662), dem anderen immer zuerst einzugestehen, wo er recht hat: »Will man mit Nutzen tadeln, und einem anderen zeigen, daß er sich irrt, so muß man beobachten, von welcher Seite er die Sache ansieht, denn von der Seite ist sie gewöhnlich wahr und muß ihm diese Wahrheit zugestehen. Er ist damit zufrieden, weil er sieht, daß er sich nicht geirrt und nur unterlassen hat, alle Seiten zu sehn.« Damit wächst seine Bereitschaft, sich einem anderen Blickwinkel und der Kritik zu öffnen, und er hat im Falle einer argumentativen Unterlegenheit die Möglichkeit, sein Gesicht zu wahren. 
(MLL S 324f)

Das erinnert beinahe an Rudolf Steiner:
Jede Ansicht kann eine wahre sein, wenn sie treu das Beobachtete wiedergibt.
Und sie ist erst dann widerlegt, wenn nachgewiesen ist, daß ihr eine andere
berechtigterweise widersprechen darf, welche von demselben Gesichtspunkte
aus gegeben ist. Ein Unterschied hingegen von einer Ansicht, die von einem
anderen Gesichtspunkt aus gegeben ist, besagt in der Regel nichts. 

(GA 45)  

--- allerdings sprechen Lichtmesz/Sommerfeld aus anderer Motivlage: Rudolf Steiner geht es nämlich durchaus nicht um ein »Gewinnen an Überzeugungskraft« für die eigene Ansicht, sondern um ein ergebnisoffenes Suchen nach der Wahrheit, um ein Erkennen, dem Ansichten von möglichst vielen unterschiedlichen Standpunkten aus zugrundeliegen...

Leo/Steinbeis/Zorn schließen ihr Buch mit dem Kaptel Parley:

Uns verbindet ja nicht nur die Literatur, sondern auch Hollywood. Darum gehen wir davon aus, dass ihr, genau wie wir, mit euren Kindern Fluch der Karibik im Kino gesehen habt. Ihr wisst also, dass Elizabeth Swann, gespielt von Knightley, sich dort auf das im Piratenkodex zugestandene »Recht zu reden« beruft. Die vom französischen Wort für »sprechen« abgeleitete Chiffre für dieses Recht, das es womöglich außerhalb von Film und Literatur gar nicht gibt, lautet: Parley. Und sein Symbol ist die schwarze Fahne. Ohne Totenkopf. Wer um Parley bittet, dem wird mitten im Konflikt das Recht gewährt, angehört zu werden, um über das weitere Vorgehen zu verhandeln. Es ist also, wie jedes Recht, eine zivilisatorische Errungenschaft. Und von ihr wollen wir nun Gebrauch machen, indem wir euch Keira Knightley an Bord schicken, eine bildschöne Nicht-Rechte, Tochter der größten Seefahrernation und ein ganz anderer Vogel als euer Bussard. Und durch sie lassen wir euch folgende Botschaft übermitteln:
Wir möchten, sagt Keira und lächelt dabei so, wie nur sie es kann, euch einen Vorschlag machen. Weil wir, wie ihr auch, keine Soldaten mehr sind, sondern in die Jahre gekommene Piraten, die das Abenteuer lieben, wollen wir den Konflikt mit euch gar nicht beenden. Im Gegenteil, wir wollen ihn auf Dauer stellen. Wir wären bereit, bis ans Ende unserer Tage mit euch zu streiten. Aber anders als bisher. Dazu sind aber vorweg ein paar ernste Worte nötig. Uns scheint, sagt sie und lächelt schon wieder – mein Gott, dieses Lächeln! –, als würdet ihr euch über die Natur unseres Konflikts, gelinde gesagt, falsche Vorstellungen machen. Nennt ihr das, was hier abgeht, im Ernst einen geistigen Bürgerkrieg? I mean, come on, ihr ballert hier von morgens bis abends in der Gegend herum, manchmal auch die ganze Nacht, und womit? Mit Platzpatronen! Und womit schießen wir schon seit fast 200 Seiten zurück? Mit Papierkugeln! Aber habt ihr auch nur eine einzige davon entfaltet und nachgeschaut, ob da vielleicht etwas draufsteht? Nein, habt ihr offenbar nicht, denn sonst würde ich jetzt ja nicht vor euch stehen. 
[…] Und jetzt schlagen wir euch ein Spiel für Erwachsene vor. Ein Spiel, bei dem alles zur Sprache kommen könnte, was uns trennt, aber auf eine Weise, die ein bisschen an die guten alten Zeiten erinnert, als wir noch Basketball und Rollhockey miteinander spielten und es weder eurem noch unserem Charakter geschadet hat. Ein Spiel, dessen Regeln Verhandlungssache wären. Aber der Rahmen könnte zum Beispiel so aussehen:
Jede Seite sucht sich vier, sechs oder acht gute Frauen und Männer aus, die dann zu einem verabredeten Zeitpunkt jeweils paarweise zusammenkämen, um auf zivilisierte Weise miteinander zu reden. Und zivilisiert heißt in diesem Fall nicht: sich gut verstehen. Sondern, um es mit einer Lieblingsvokabel of your friend Charlie Schmitt zu sagen: eingehegt zu streiten. Eine gerade Teilnehmerzahl wäre sinnvoll, weil wir uns dann, quasi im Modus von Heim- und Auswärtsspiel, paritätisch mal an einem von euch, mal an einem von uns vorgeschlagenen Ort treffen könnten.
Es gäbe keine Vorbedingungen. Niemand müsste sich zu irgendetwas bekennen oder von irgendetwas distanzieren. Und es gäbe auch keine Verpflichtung auf fair play. Wir vertrauen darauf, dass sich unter vernünftigen Leuten vernünftige Gespräche von allein ergeben. Oder, wenn nicht, man es auch zum Äußersten kommen ließe – und über das Reden spräche.
Was die Themen betrifft, wäre alles Mögliche denkbar. Solche, bei denen vermutlich die Fetzen fliegen würden, wie Demokratie, deutsches Volk, Faschismus, Meinungsfreiheit, Einwanderung, Heimat oder Erinnerungskultur. Aber gerne auch solche, bei denen sich Gespräche entwickeln können wie auf einer Zugfahrt zwischen Unbekannten: über Literatur, Auslandserfahrungen oder Wege der politischen Sozialisation. Nett wäre auch ein Erfahrungsaustausch zwischen Soldaten, die ihren Arsch fürs Vaterland hingehalten, und Zivis, die Windeln an Wehrmachtsärschen gewechselt haben.
Überlegt’s euch mal. Da ihr ja ohnehin nicht von uns lassen könnt, werdet ihr schon wissen, wie wir zu erreichen sind.
Also, wenn ihr mich fragt, sagt Keira, that sounds like a fair idea. Und es wäre mir a bloody honour, für unsere Seite die Verhandlungen mit euch führen zu dürfen. One more chance hat jeder verdient. Always.  
tl;dr: Tristesse droite: Tertium datur. 
(MRR S 132ff) 


Ich nehme mir die augenzwinkernde Schlußbemerkung zum Vorbild und schließe selbst mit:

tl;dr: solange reflexiv-reaktiv – Smarties. Individualität potentiell.

___

1) Per Leo, Maximilian Steinbeis, Daniel-Pascal Zorn: mit Rechten reden (MRR)
Martin Lichtmesz, Caroline Sommerfeld: Mit Linken leben (MLL)

2) Zumindest im Fall von Caroline Sommerfeld besteht dieses liebevolle Augenzwinkern ganz konkret auch im täglichen Leben: sie ist mit dem »Linken« oder doch jedenfalls »Nicht-Rechten« Helmut Lethen verheiratet.

3) Direkte Bezugnahme auf Caroline Sommerfeld, die ihre »Dialoge mit H.« im Netz veröffentlicht: 
https://sezession.de/57304/dialoge-mit-h.:-rahmenbedingungen



6) vgl auch »Der Rechthaber in uns allen«, Egoistenblog 7. Oktober 2014, https://egoistenblog.blogspot.co.at/2014/10/der-rechthaber-in-uns-allen.html




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