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Even Richard Nixon has got soul...

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Nagorno Krabakh, 2017; Photo: Nazik Armenakyan

Auf dem Höhepunkt der Proteste gegen den Vietnam-Krieg, deren bejubelter Barde er mit seinem Song über die vier erschossenen Demonstranten von Ohio geworden war, tourte Neil Young durch Amerika. Eines Abends, es war gerade Wahlkampf, lag er auf dem Bett eines Hotelzimmers im Nirgendwo und schaltete den Fernseher an. Die Nachrichten zeigten Richard Nixon, die Hassfigur der Bewegung, den Kriegstreiber, diesen machtversessenen amerikanischen Präsidenten, wie er aus einem Krankenhaus trat und, ohne zu winken, mit versteinertem Gesicht in eine Limousine stieg. Der Sprecher sagte, dass Richard Nixon seinen Vater besucht habe, der im Sterben liege.
In derselben Nacht, auf dem Hotelbett, schrieb Neil Young „Campaigner“, das eines seiner rührendsten Lieder ist: ein Lied für Richard Nixon.

[…]

Wie Sie vielleicht wissen, bin ich viel auf Reisen und komme dann oft in Gebiete, in denen Krieg, Terror und Not herrscht. Gerade erst bin ich für den „Spiegel“ durch den Osten Europas bis nach Iran gefahren und stand nacheinander an drei Fronten, in der Ostukraine, im Norden Georgiens und in Bergkarabach. Man trägt dann auch als Berichterstatter, der noch nie eine Waffe in der Hand gehalten hat, einen Helm und eine schwere Schutzweste und sieht damit, nun, nicht martialisch, aber doch ziemlich unentspannt aus.
Dabei passiert in so einem Schützengraben nicht viel, wenn nicht gerade eine Schlacht tobt oder wieder mal ein Scharmützel. Man hockt neben den Soldaten, die zusätzlich zu Schutzweste und Helm auch ein Sturmgewehr tragen, gibt Acht, dass man nicht aus der Deckung der Sandsäcke und Erdhügel gerät, und hat eigentlich Zeit. Ja, man hat Zeit. Die Soldaten langweilen sich ja besonders häufig ausgerechnet im Krieg. Man fängt an zu plaudern, nein, nicht nur über die Gefechtslage, sondern über alles Mögliche, übers Wetter, über die gekaufte Weltmeisterschaft in Qatar, über Led Zeppelin.

Und warum auch immer habe ich mir angewöhnt, in einem Schützengraben zu fragen, was den Soldaten – fast überall junge Leute, achtzehn, zwanzig, fünfundzwanzig Jahre alt – am wichtigsten ist im Leben: Was sind eigentlich eure Ziele, eure Wünsche, eure Pläne, wenn der Krieg vorbei ist? Und ungelogen, egal, in welchem Krieg ich gerade bin, höre ich auf beiden Seiten der Front das Gleiche, das Übliche, das Einfachste: Gesundheit, Familie, eine gute Arbeit, Freunde. Dann frage ich die Rekruten – an vorderster Front dienen meistens Rekruten, denen keine Wahl blieb –, ob sie denn ernsthaft glaubten, dass die Rekruten im gegenüberliegenden Schützengraben, dreihundert oder achthundert Meter entfernt und genauso jung wie sie, andere Wünsche haben als sie. Und zu meiner Verblüffung antworten die Rekruten im Krieg oft mit „ja“. Ja, die anderen, die Feinde seien verblendet, seien hasserfüllt und wünschten sich nichts sehnlicher, als unser Land zu zerstören. Sie seien nicht wie wir. Wenn das Gespräch verebbt, murmele ich im Stillen dann jedesmal ein Lied: „Hospitals have made him cry / But there’s always a freeway in his eye / Though his beach got too crowded for a stroll. / Roads stretch out like healthy veins / And wild gift horses strain the reins / Where even Richard Nixon has got soul, / Even Richard Nixon has got soul.“

Aus der Dankesrede Navid Kermanis anläßlich der Verleihung des Staatspreises des Landes Nordrhein-Westfalen; hier geht’s zur ganzen Rede:
href=http://plus.faz.net/feuilleton/2017-11-28/577c1b0ebfc1fd225c9ee8a96963874a/?GEPC=s2

Fürchtet Euch nicht! Siehe, ich verkündige Euch große Freude...

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Willst Du, ich soll Dir geben, sei, bitte, erst Schale und
schön, sei erst bereit zu empfangen und ruhig zum Halten...


(Rainer Maria Rilke)







In der zweiten Kantate seines Weihnachtsoratoriums spürt Johann Sebastian Bach dem Mysterium der Offenbarung an die Hirten nach.
In der einleitenden, das Mysterium vorbereitenden Sinfonia (hier eine schöne Aufnahme mit dem Freiburger Barockorchester) lassen die »Engel« ihre (Streicher-)Klänge herabströmen, und die »Hirten« (Holzbläser) antworten mit ihrer schlichteren Weise.
Bach vertraut diese Hirtenweise den Oboi d'amore an – die Hirten tragen ihre Liebe, ihr Herz hinauf zu den Engeln.
Es entspinnt sich ein Dialog, in dessen Verlauf nicht nur die »Hirten« den »Engeln«, sondern auch die »Engel« den »Hirten« lauschen und antworten.
Gegen Ende dieser Pastorale haben die »Hirten« die Stellen gefunden, an denen sie harmonisch in das Thema der »Engel« einfallen können, und die »Engel« haben sich die Weise der »Hirten« zu eigen gemacht; im Schlußakkord klingen Streicher und Bläser einig zusammen.

Nun kann der Engel den Hirten erscheinen.

Frohe Weihnachten!

Rudolf Steiner, die Mahatmas und die geheime Loge

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Quelle gechannelte Mahatma- Mitteilungen
Natürlich existiert der Prototyp des zeremoniellen Anthroposophen nicht in der realen Welt. Er gehört in die Welt der Karikaturen. Vielleicht ist er auch ein Spiegelbild von abgelegten Zerrbildern, die sich wie transparente Häute an der Leine spannen- der Honigsauger, der sich selbst Altar, Sinnsucher, Gott und Zeremonienmeister ist:

Natürlich hat man Verständnis für die Honigsauger, die seit jeher die anthroposophische Bewegung umschwärmen. Was wäre die schönste spirituelle Lehre ohne Sinnsucher, die sich mit ihr identifizieren, sich selbst aber damit auch in ein ewiges Licht stellen, das dem so vergänglichen und zerbrechlichen Ich ein seelisch- geistiges Fundament geben kann? Dazu gehört: Zu glauben, wiedergeboren zu werden als derjenige welcher. Zu glauben, einer geheimen NGO anzugehören, die seit Jahrtausenden die geheimen Mysterien der Hochkulturen durchwabert- mit geheimem Wissen gefüttert wie mit Gelee Royal und zur Königin mutiert, einem Wanderer zur endlichen Erlösung des Planeten, seiner Kreaturen und der Restmenschheit. Zu glauben, die geheime geistige Führung der Menschheit habe einen Plan mit mir, für den meine augenblickliche Existenz nur eine gewisse Vorbereitung darstellt. Zu glauben, ich hätte, da übersinnlich Botschaften aufzunehmen zu meiner geheimen Superkraft gehört, die zu meiner zweiten Natur geworden ist, via Inspiration zu jedem beliebigen Fachgebiet etwas zu sagen, auch wenn es niemand hören will und Andere es für plumpe Vorurteile halten. Zu glauben, dass es durchaus keinen Zufall darstellt, dass das Schicksal mich an die Spitze der menschlichen Kulturentwicklung im deutschsprachigen Raum gestellt hat, damit ich durchdrungen werden kann von den aktuellsten Transformations- Prozessen in der Weltentwicklung und mit dazu beitragen kann, die brüderliche Philadelphia- Zivilisation der Zukunft geistig vorzubereiten, indem ich auf noch vollkommenere Weise selbstlos werde. Zu glauben, dass es moralisch, geistig und selbst für die Natur existentiell notwendig ist, dass ich den Umgang mit Intellektuellen und anderen geistig wenig entwickelten Individuen möglichst einschränke, außer wenn es karmisch dienlich sein kann. Die meisten Individuen sind einfach in ihrer Entwicklung noch nicht zur Selbstlosigkeit durchgedrungen. Zu glauben, all diese mehrfachen Umstellungen des Sonnensystems und des planetarischen Körpers insgesamt, die auf- und untergegangenen Königreiche und Erdreiche, Tierleiber - Entwicklung und Engel- Einwirkungen haben schließlich in mir - mir- kulminiert, als esoterischer Vertreter des Meisters, seines Meisters- seiner Meisterkollegen, der geistigen inspirierenden Meister, und so weiter. In aller Bescheidenheit. Aber immerhin- zu glauben, das in mir praktizierte Selbsterwachen des Planeten, seiner Geister und Meister, die sich nach Erlösung sehnen, das adelt mich schon ein bißchen, denn die gesamte planetarische Entwicklung verwirklicht sich in mir. Es hat auch, wie in Werken von Seherinnen wie Judith von Halle ausgedrückt wird, direkte karmische Vorteile. So würden Anthroposophen z.B. nicht an Demenz erkranken, da das ein rein ahrimanisches Phänomen sei. Praktisch ist aber auch, dass der Meister der Meister mir auch nach meinem Tod - ebenso wie Christus und die Seinen, St. Michael und der Graf von Monte Christo- sofort Hallo sagen werden. Man ist eben als Anthroposoph auch in den widrigsten Situationen nie ganz allein.

Andererseits stellt für solche Karikaturen anthroposophischer Selbstvergottung jede kritische Auseinandersetzung mit Anthroposophie oder ihrem Meister einen Angriff auf ihr Selbstkonzept dar. Kritisches Denken wird daher einerseits dämonisiert, andererseits erstarrt das mögliche Potential der Bewegung in diesem unproduktiven Verteidigungsreflex. Das Selbstkonzept, sich auf geheimer Mission des Erzengels Michael zu befinden, verfängt allerdings nur bei Persönlichkeiten, die einer strukturellen, ideologisierten Persönlichkeit- Krücke bedürfen - sie sind die unproduktiven, aber fanatisierten Anhänger, die den Kult- Aspekt benötigen und ständig Futter und Bestätigung suchen. Unabhängige Geister gingen und gehen souverän mit den Ego- Fallen des anthroposophischen Systems um und praktizieren die unkonventionellen, produktiven und humanistischen Impulse, die sie aus derselben Grundlage heraus beziehen.

Ja, es war ein langer Weg Rudolf Steiners vom Goethe- Herausgeber, Philosophen, Mackay- Anhänger und Freiheits- Kämpfer bis hin zum Vorsitzenden einer zunehmend geschlossenen und bizarren sektierischen Esoterik- Vereinigung mit Logen- ähnlichem Zuschnitt. Auch Steiner ist allmählich zum Zeremonienmeister des eigenen Kults geworden. War das theosophische Ambiente ursprünglich vielleicht nur ein Publikum, das ihn überhaupt ernst nahm, wurde er allmählich darin eingesponnen- vor allem, nachdem er 1923 wieder die alleinige Leitung übernahm und sich mit seiner Frau Marie und dem getreuen Sprachrohr Albert Steffen, schon krank und zutiefst erschöpft, auf dem Dornacher Hügel einigelte. Die heutige Hybris mancher seiner Erben geht allerdings voll und ganz auf Rudolf Steiner selbst zurück- vor allem im Rahmen seiner esoterischen Unterweisungen für den engeren Kreis. So beantwortete er die berechtigterweise von ihm selbst gestellte Frage „Bin ich nicht vielleicht ein spiritueller Genussmensch?“ im Rahmen einer Instruktionsstunde (1) so: „Hier, in unserer Loge, weil die Menschen mit ihren Gedanken dabei sind, geschieht mehr für das Heil der Welt als durch alle philanthropische Arbeit. (..) So ist es also kein unbefugtes Genießen, wenn die Mitglieder sich befleißigen, dasjenige in sich aufzunehmen, was hier geboten wird. Ohne dieses Entgegennehmen durch die Mitglieder könnte nichts für die weitere spirituelle Entwicklung der Menschen getan werden. Dann müssten die Menschen ganz dem Materialismus verfallen; die zukünftigen Generationen würden krank an Leib und Seele sein..“

Die Entgegennahme der Mitteilungen des Meisters wirkte danach wie eine Impfung in einem sklerotisierten Weltkorpus- auf die spirituellen Kompetenzen der Mitglieder kam es nicht an. Dennoch sorgte sich Steiner auch um die geistige Entwicklung seiner Anhänger- rührig, unermüdlich, umfassend, aber offenbar vergeblich. Die „erkenntniskultischen“, Logen- ähnlichen Intensivmaßnahmen, die er seit 1906 bis zum Ausbruch des Ersten Weltkrieges durch einen Vertrag mit Theodor Reuß betrieben hatte und die Steiner zum einzigen legalen Leiter des Misraim Ritus in Deutschland machten, wurden am Ende seines Lebens wieder aktuell. Die Beziehung zu Reuß, dem Steiner mit guten Gründen misstraute und mit dem er den Kontakt so schnell wieder abbrach, hat Rudolf Steiner schwer geschadet. Reuß hat- auch durch gefälschte Dokumente- den Eindruck zu vermitteln versucht, Steiner sei Mitglied der durch Reuß und Aleister Crowley repräsentierten, seit 1912 aktiven Loge O.T.O gewesen- eine Unterstellung, die bis heute immer wieder kolportiert wird. Steiner hätte eigentlich gewarnt sein müssen, war doch die ganze Geschichte der Theosophischen Gesellschaft durchzogen von Scharlatanen, Betrügern, gefälschten „Meister- Briefen“ und einem Fake- Messias wie dem jungen Krishnamurti.

Der okkultistischen Schmuddelszene, die von unsichtbaren Meistern wimmelte, hat sich Rudolf Steiner zwar durch die eigenständige Gründung der Anthroposophischen Gesellschaft entzogen - „Es ist eben die Grenzscheide zwischen Wahrheit und Scharlatanerie im Okkultismus eine haarscharfe“. (2)- aber strukturelle Probleme wie die Teleologie, die kultisch- zeremoniellen Klassen und Logen, die Führung durch „Meister“ wurde auch innerhalb der Anthroposophischen Gesellschaft nie ganz überwunden.

In Bezug auf seine esoterische Kernarbeit, die im Rahmen des Misraim- Kultus bis zum Ausbruch des Ersten Weltkrieges mit bis zu 600 Mitgliedern durchgeführt wurde, hat Steiner nicht nur (3) den Bezug zur Artus- Tafelrunde, der Grals- und Rosenkreuzer- Bruderschaft (alles in einem Aufwasch) hergestellt, einen hierarchischen Aufbau in neun Grade angekündigt (4), sondern auch eine „Versprechensformel“ (5) im Sinne eines Treueschwurs formuliert:

 „Ich ________  geboren zu _______ wohnhaft in ______   gelobe und verspreche hiemit die Regeln des echten und wahren Misraim Dienstes getreulich zu halten und zu befolgen; das heilige Geheimnis streng zu wahren, nach Kräften für die Erhaltung des Sanktuariums zu sorgen und einzutreten und den Generalgroßmeister als oberste Entscheidungs-Instanz in allen Misraim- Angelegenheiten rückhaltlos anzuerkennen. Ich gelobe und verspreche ferner, daß ich mich nicht durch Hypnose, Suggestion usw. in einen unfreien Zustand versetzen lassen werde, so daß alles, was im Leben je auf mich wirken wird, mich in dem Zustande des Wachens antreffen werde, auf daß durch mich niemals die Geheimnisse des großen Dienstes an Außenstehende verraten werden können.
Sollte ich dieses mein feierliches Gelöbnis jemals brechen, so möge meine Seele ruhelos wandern ohne Ziel und Bestimmung im Raume, möge sie richtungslos sein in der unermeßlichen Zeit.
Dieses gelobe ich bei den weisen Meistern des Ostens, die ihr Auge heften mögen auf meine Taten.“ (6)

Dass er eine derartig abgeschirmte Geheimgesellschaft innerhalb der Anthroposophischen Gesellschaft in Kriegszeiten nicht aufrecht erhalten konnte, da dies als Subversion und Konspiration hätte verstanden werden können, war Rudolf Steiner auch klar. Am Ende seines Lebens und Wirkens allerdings hat er sich nach der „Liebeswärme“ einer solchen geheimen Loge (7) gesehnt.

Hatte Steiner 1905 noch gemeint, das „maurerische Leben aus den veräußerlichten Formen aufzufangen und neu zu gebären“ (8) - mithin also das Freimaurertum zu reformieren- stellte er spätestens 1923 fest, dass der postulierte „umgekehrte Kultus“ (die Selbst- Einweihung der Anthroposophenschaft)  durch das typische öffentliche anthroposophische Arbeiten offensichtlich nicht funktionierte und plante nach der organisatorisch- okkulten Neugestaltung der Anthroposophischen Gesellschaft durch die „Weihnachtstagung“ auch einen neuen Kultus: „Gleichwohl hätte Rudolf Steiner, wenn er noch längere Zeit hätte wirken können, auch einen äußerlich zu vollziehenden Kultus (begründet), gewissermaßen als eine wirksame Hilfe auf dem schweren Weg zu dem im rein Geistigen zu suchenden kosmischen Kultus.“ (9) Allerdings sind seine Äußerungen in Bezug auf die Gestalt kryptisch geblieben: „Man könnte nun sagen: die Anthroposophische Gesellschaft könnte ja auch einen Kultus pflegen. Gewiss, das könnte sie auch; das gehört aber jetzt auf ein anderes Feld.“ (10) Auch in einem Gespräch mit Rene Maikowski ist Steiner auf dieses Thema eingegangen: „Zu meiner Überraschung ging er auf den Gedanken einer kultischen Arbeit für die Gesellschaft als durchaus positiv ein. Er erklärte, dass es ja vor dem Krieg auch ein Kultisches gegeben habe. In der Zukunft werde das aber eine andere Gestalt erhalten müssen..“ (11)

Zu dieser Reform durch einen internen „maurerischen“ Kultus ist es durch den Tod Rudolf Steiners nicht mehr gekommen. Es ist nicht ganz frei von Ironie, dass Steiner 1905 die Freimaurer- Kulte durch Anthroposophie hatte reformieren wollen, und zwanzig Jahre später Anthroposophie durch einen noch zu gestaltenden eben solchen Kultus. Es ist auch nicht frei von Ironie, dass er während der Kriegsjahre das Freimaurertum der Weltverschwörung bezichtigte- was Wiesberger „die damalige scharfe Verurteilung politischer Sondertendenzen gewisser westlicher Geheimgesellschaften“ (12) nennt. Nach dem Ende des Krieges hat Rudolf Steiner einigen Mitgliedern der AG sogar den Rat gegeben, in Freimaurerlogen einzutreten. Es gab zwischen offiziellen Logen und Anthroposophen einen regulären Austausch und keinerlei Berührungsängste.

Letztlich hat sich Rudolf Steiner auch durch die Einsetzung seiner Ehefrau Marie Steiner- von Sivers als Erbin seines Werkes für die kultisch- symbolische Ausrichtung entschieden: «An der Spitze, als Haupt der Schule und als Vermittler der geistigen Wirklichkeiten stand Rudolf Steiner; ihm zur Seite als Genosse und Mitarbeiter Marie von Sivers. ... Bei einer Handlung in einem höheren Grade, bei der nur eine geringe Anzahl von Teilnehmern zugegen sein durften, wurde uns durch Rudolf Steiner selbst kundgegeben, daß die Mitarbeit Marie von Sivers' in einem vollberechtigten Sinne zu nehmen sei - nicht symbolisch wie bei uns andern allen. Und zwar so, daß auf eine Wirklichkeit hingewiesen wurde, die über Geburt und Tod hinausgeht.» (13) Die Entscheidung für die Ehefrau Steiner- von Sivers, die dem zeremoniell- Symbolistischen nahe stand - und nicht z.B. einer Pragmatikerin wie Ita Wegman- hatte wegweisenden Charakter und führte zu jahrzehntelangen Grabenkämpfen. Es ist auch eine Entscheidung Rudolf Steiners, die die Rhetorik der Aufbruchsstimmung um die „Weihnachtstagung“ Lügen straft- mit der organisatorischen Übernahme der Gesellschaft kehrte er zurück zur okkultistischen Theatralik, die er mit seiner Frau zwei Jahrzehnte zuvor gepflegt hatte. Die „Ritualtexte“ für die jeweilige Logeneröffnung und - Schließung liegen im Wortlaut für den 1.- 3. Grad komplett vor (14) und haben heute, im Zeitalter der Jedi- Ritter, auch schon mal etwas unfreiwillig komisches: „Lerne schweigen und dir wird die Macht“ (15) Es gibt auch magisch- lateinische und rosenkreuzerische Ritualtexte, die zum Teil auf Helena Blavatsky, die Kabbala und auf alchimistische Überlieferungen zurück gehen (16) - rätselhafte, schöne, symbolträchtige Texte.

Der reaktionäre, pseudo- maurerische Einschlag zeigte sich z.B. bald nach Steiners Tod in Marie Steiners Inszenierung der Gedenkfeiern zu seinem einjährigen Todestag:
Zur ersten Wiederkehr von Rudolf Steiners Todestag, am 30. März 1926, gestaltete Marie Steiner-von Sivers, die nicht nur als Mitbegründerin und Mitleiterin des erkenntniskultischen Arbeitskreises, sondern auch durch innere Kompetenz in demselben eine besondere Stellung eingenommen hatte, im Rahmen der ersten Klasse der Freien Hochschule für Geisteswissenschaft eine Gedenkfeier mit symbolisch-kultischem Charakter. Auf der mit schwarzen Vorhängen verkleideten Bühne des Saales in der Schreinerei des Goetheanums, in der damals alle Dornacher Veranstaltungen stattfanden, ließ sie drei Altäre aufstellen, an deren Ostaltar sie stets an der Seite Rudolf Steiners gedient hatte. In den folgenden Entwürfen für ihre Ansprache kommt zum Ausdruck, was ihr die Lebenstat Rudolf Steiners bedeutete, nämlich: die Tempellegende dargelebt zu haben.“

So begann Marie Steiner denn auch die Zeremonie mit den pathetischen Worten: „Wir haben uns hier versammelt zum Angedenken desjenigen, der vor einem Jahr von dieser Erde Abschied nahm, der hier an dieser Stätte für uns, unter uns gewirkt hat, der uns Richtlinien gegeben hat für unser Handeln, den Dienst an den Altären der Weisheit, Schönheit und Stärke, als Zeichen welcher wir diese Altäre hingestellt haben, die uns sein Wirken versinnbildlichen. Wir haben als Zeichen seines werktätigen Schaffens diese Werkzeuge auf die Altäre gelegt. Mit ihnen prägte er dem Holz die neuen Formen ein. Es sind sein Zirkel und sein Richtmaß, seine Kelle und sein Hammer. Sie sind noch durchseelt vom Feuer seiner Hände, sie sprechen zu uns und fordern Taten.

Das Pathos und die Intimität einer internen Geheimgesellschaft waren offenbar das Rezept, mit dem sowohl Rudolf Steiner wie seine Frau das in ihren Augen intime anthroposophische Element - in einer Bewegung, die sich in Schulen, Krankenhäusern, Heilpädagogik, Landwirtschaft erfolgreich realisierte- in die Zukunft retten wollten. Nach Steiners Tod inszenierte Marie von Sivers ihn als „Führer“ der „Menschheitswende“ und „Großen“, dem die Mitglieder an drei Altären nicht nur gedachten, sondern sich ritualisiert unterwarfen, auf dass „unser Handeln diene seinem Geist“ :

Seiner gedenkend und dessen, was wir zu tun haben, entzünden wir diese Kerzen: Das Licht, das er in unsern Herzen entzündet hat, es leuchte hell auf und werde Weisheit. Es steige in Reinheit zu ihm empor, so rein, wie er es in unsere Seelen gesenkt hat. Es erkrafte an ihm im werktätigen Schaffen, auf daß unser Handeln diene seinem Geist, unser Geist erstarke in der Ich-Durchchristung.
Wir stehen in diesem Raume der Trauer, gedenkend des Großen, der uns verlassen hat. Die drei Altäre stehen als Zeichen und Siegel seines Wirkens vor uns. Der Führer, der dieser Menschheitswende vorstand, hat dauernd an diesen Altären gedient. Er durfte sie herausholen aus den Tiefen des Tempels, in denen sie gestanden haben, seitdem es Mysterien gegeben hat und durfte sie der Menschheit übergeben. Er gab sie uns im Bilde, in der Kunst, indem er sie hineinstellte in seine Mysteriendramen, an den Etappen des Fortschritts der Geistesschüler. Er gab sie uns in seinem Wort, indem er in den Mittelpunkt seines Wirkens stellte die Ideale der Weisheit, der Schönheit, der Stärke, sie in ihrer Einzelauswirkung und in ihrem Ineinanderwirken uns ständig vor Augen führte. … Wir haben den Bau erlebt, wir haben erlebt, wie Rudolf Steiner den Hammer hob zum Werk und wie seine Schüler herangeströmt sind, um dem Werk zu dienen; der Tempel hatte sich hehr und strahlend erhoben aus seines Geistes Kraft und seiner Hände Geschicklichkeit, und wir durften lernen und werken. Aber auch wir haben neben unsern Schwächen und Unvollkommenheiten unter uns die drei bösen Gesellen gehabt, die bis zum Verrat gegangen sind und bis zum Vernichtungswillen. Die Saat des Hasses trug ihre Früchte. Der Bau stand in Flammen, wie einst das Eherne Meer in Flammen gestanden hat. Rudolf Steiner lebte die Legende dar; er hat sie in der physischen Tat realisiert; er ist die Legende geworden. Er hat sie durch sein Leben der Menschheit kundgetan.
Und Rudolf Steiner stürzte sich selbst ins sengende Feuer des Mittelpunktes. Wir sind dies sengende Feuer für ihn gewesen, wir, die Kainskinder. Er nahm unser Karma auf sich, auf daß wir freier würden zum Dienen. Aber unser Karma war zu hart und zu schwer und zerbrach seine physische Kraft, fast unmittelbar nachdem er den Bund vollzogen hatte. Sein letztes Lebensjahr war ein mächtiger Aushauch seines Geistes ...
Wenn wir so zusammenkommen wie heute, so ist es, weil wir uns bewußt sind, einen Moment in der Weltgeschichte erlebt zu haben, der ein Angelpunkt, nicht nur ein Wendepunkt gewesen. Der Geist senkte sich hinunter in nie geahnten Strömen durch einen Menschen, der sich fähig dazu gemacht hatte, in Geist, Seele, Leib den Geist zu empfangen. … In seinem Geiste versammeln wir uns heute, bittend, daß er unsere Schwächen und unsere Unzulänglichkeiten mit dem Glanze seines Wesens überdecke. In seinem Namen rufen wir an den Erzengel, dessen Dienst er uns geweiht hat, trachtend, den Hüter zu erkennen, der vor dem Tore steht des Tempels zum jenseitigen Reiche: (3 Hammerschläge: lang kurz kurz; lang kurz kurz; lang kurz kurz).“ (17)

Der Unterschied zu den originellen, sakralen Texten Steiners in den Freimaurer- Kulthandlungen ist der, dass seine Frau ihn nach seinem Tod als den alleinigen Meister inszeniert, der sich geopfert hätte, um „unsere Schwächen und unsere Unzulänglichkeiten mit dem Glanze seines Wesens“ zu überdecken. Nicht nur der pure Guruismus, sondern die Betonung der schwachen, sündigen Mitglieder, die sich bestenfalls durch gehorsame Devotion ein wenig am Glanz des Meisters laben dürfen, ergeben eine spezifische Note, zwischen Kult und Selbstkasteiung schwankend, aber geadelt durch den Glanz des Verblichenen, durch den seinerseits die Meister wirkten. So entsteht eine seltsame, selbst-referentielle Pseudo- Esoterik aus zweiter Hand, der der christliche Stempel aufgedrückt wird: „Nicht ich, sondern der Christus durch mich..“

Das Prinzip klingt bei Rudolf Steiner selbst auch an, als er (1) das „Entgegennehmen durch die Mitglieder“ zum passiven spirituellen Prinzip erklärte, das meist eben leider erst in der nächsten Inkarnation wirke. Auch das Meister- Verhältnis hat er durchgehend beibehalten- wenn auch mit Hilfskonstruktionen. Helena Blavatsky, die bekiffte russische Ur- Theosophin, war nach Steiners Ansicht durch dieselben östlichen Meister KH und M in okkulte Gefangenschaft genommen worden wie später, 1907, der sterbende führende Theosoph Henry Steel Olcott, dem „an seinem Krankenlager vor Zeugen die beiden Meister KH und M erschienen wären um ihm zu sagen, er solle A. Besant zu seinem Nachfolger bestimmen“ (18)- was die Abspaltung Rudolf Steiners von der Theosophischen Gesellschaft einleitete. Dem waren eine Reihe von Skandalen vorangegangen wie die Coulomb- Affäre 1884/1885, in der Blavatsky selbst durch gefälschte Meisterbriefe korrumpiert wurde, was ihre endgültige Heimkehr von Indien nach Europa zur Folge hatte: „Das Ehepaar Coulomb, das in Adyar Mme Blavatskys Haushalt besorgte, war mit seiner bescheidenen Stellung in der T.S. unzufrieden. Es fühlte sich zurückgesetzt und inszenierte einen Betrug, teils als Erpressungsversuch, teils als Racheaktion. Die beiden setzten sich in den alleinigen Besitz von HPB´s Wohnung und bauten dort geheime Durchreiche- Türen ein..“ (19), um ein Komplott zu schmieden, in dem Blavatsky als Fälscherin der „Meisterbriefe“ erschien.

Das sind nur einige Beispiele für die jahrzehntelangen Manipulationen, Betrügereien und Fälschungen in Bezug auf die „Meister“ bzw „Mahatmas“, die auch häufig in voller Öffentlichkeit diskutiert wurden. Es hielt Rudolf Steiner nicht davon ab, die Wirkung der Mahatmas auf Helena Blavatsky zu bestätigen: „Und obwohl H.P. Blavatsky sehr gut wusste, was sie selber schauen konnte- sie war dadurch auch besonders bedeutsam, dass sie nicht bloß ein passives Medium war, sondern eine ungeheuer starke Erinnerung hatte für alles, was sich ihr aus den höheren Welten kundgab-, so mussten allerdings doch gewisse Persönlichkeiten auf sie einen Einfluss haben, wenn sie Kundgebungen aus der geistigen Welt hervorrufen wollte. Deshalb berief sie sich immer auf das, was eigentlich wegbleiben müsste, auf die Mahatmas. Die können ja dahinterstehen, darauf kommt es aber nicht an, wenn es gilt, die Menschheit zu fördern.“ (20)

Rudolf Steiner übernahm die Führung durch die „Meister“ trotz aller aufgedeckten Betrügereien und blieb ihr bis zum Ende treu: „Sie wissen, dass hinter der ganzen theosophischen Bewegung hochentwickelte Wesen stehen, die wir „Meister“ oder „Mahatma“ nennen (..) Auf dem physischen Plane wirken sie durch die von ihnen beauftragten „Boten“, deren erster H.P. Blavatsky war, das heißt für die theosophische Bewegung erster..“ (21) Nach seinem Tod wurde Rudolf Steiner dann folgerichtig selbst, wie die oben dargestellte Inszenierung von Marie Steiner- von Sivers andeutete, zum Meister gemacht- ein Eldorado für Scharlatane und Second- Hand- Okkultisten der Szene bis zum heutigen Tag. Momentan vertritt solche Spekulationen vor allem die angeblich stigmatisierte anthroposophische Hellseherin Judith von Halle (22).

Man kann den Einfluss der Mahatmas z.B. auf Helena Blavatskys auch in ganz anderem Licht sehen- etwa aktuell wie der renommierte Esoterik- Forscher Wouter J. Hanegraaff (23), der nicht nur dem Haschisch- Konsum Blavatskys nachgeht, sondern auch einer minutiösen Auflistung der von ihr verwendeten Quellen, die heute völlig vergessen sind. Eine von ihnen, auf die sich Blavatsky am häufigsten bezieht, ist der Autor (24) Samuel Fales Dunlap (1825–1905), der seinerseits nichts als okkulte Quellen aneinander gereiht hatte. Blavatsky hat ihre umfangreichen, wirren Kompilationen aus solchen Kompilationen als Hörensagen von Hörensagen, gemixt mit ihren umfangreichen Kenntnissen okkulter Literatur, unter dem intensiven Einfluss des Konsums von Tabak und Haschisch aufgeschrieben und dem sehr weit reichenden Einfluss von wechselnden Lektoren überlassen: „Blavatsky was an enthusiastic user of hashish. At the time, this was a perfectly legal substance that could be bought at pharmacies and was often advertised (..) as an “Eastern remedy, Used for Thousands of Years by the Ancient Hindoos, Persians, Jews, Greeks, Chinese, Japanese, Arabians, Egyptians, Chaldeans and the Assyrians.”“ (23) Nichts - nicht einmal Opium- könne, so hat Blavatsky geäußert, ihre Inspiration so nachhaltig beeinflussen wie der Konsum von Haschisch. (25)
Aber - ähnlich wie von Carlos Castaneda berichtet- wären Blavatskys Schriften, wie Hanegraaff aufzeigt, ohne den enormen Einfluss ihrer Lektoren wohl nie in lesbare Form gekommen. Die wechselnde Ausrichtung ihrer Schriften war nicht durch die Inspiration durch die von Rudolf Steiner angenommenen Mahatmas zustande gekommen, sondern durch ihre Co- Autoren, die eher als „Ghostwriter“ zu bezeichnen sind.

Freilich, wer wie der am Anfang persiflierte stereotype Steiner- Anhänger, sein Selbstbild mit der geheimen geistigen Führung der Menschheit verquickt hat, wird von solchen Untersuchungen nicht zu beeindrucken sein. Hanegraaff selbst beendet seine Untersuchung mit dem theosophisch- anthroposophischen Totschlag- Argument „Theosophists ended up with classic no-win logic: “if you had reached enlightenment, you would agree – therefore if you do not agree, clearly you have not yet reached enlightenment” (23) oder- der kritische Betrachter sei eben noch nicht reif, noch im Materialismus gefangen oder gar ganz und gar in Ahrimans Hand.

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1 Berlin, 28.10.1911
2 Helsingfors, 11.4.1912 GA 158
3 Köln 7.5.1912 in GA 265, S. 145
4 GA 265, S.148: „In den drei unteren Graden wird symbolisch all das erlebt, was an Erkenntnis der Welt der höheren Wesenheiten und Kräfte errungen werden kann. In den sechs höheren macht man dann intimere Bekanntschaft mit den okkulten Kräften selbst.“
5 handschriftliche Vorlagen aus Notizbuch Archivnummer 611
7 „In unserer okkulten Bruderschaft ist, wie in allen, eine Hierarchie statt der Demokratie, da nicht eine Volksabstimmung entscheiden kann, was Wahrheit ist, sondern hierüber nur solche befinden können, denen durch spirituelle Mächte die einzig richtige Erkenntnis geschenkt ist. Es wird eine Vergöttlichung der Arbeit und des Lebens, Weisheitslicht und Liebeswärme gewonnen und jeder erkennt im anderen als dem gleichstrebenden Bruder den göttlichen Wesenskern.“
8 Brief an Marie Steiner, 25.11.1905
9 Hella Wiesberger, Rudolf Steiners esoterische Lehrtätigkeit, Dornach 1997, S. 226
10 R. Steiner, Dornach 3.3.1923, GA 257
11 Wiesberger, S. 228
12 Wiesberger S. 181f
13 Adolf Arenson in einem Rundbrief an die Mitglieder der Anthroposophischen Gesellschaft vom Oktober 1926 in: GA 265, Anhang
14 GA 165, S. 151 ff „Ritualtexte“
15 dito S. 160
16 dito S. 161
17 Anhang GA 165
18 Hella Wiesberger, S. 145
19 Hella Wiesberger, S. 139
20 Hella Wiesberger, S. 136 R.St Dornach 11.10.1915
21 GA 264, S. 86
22 in: Judith von Halle, Rudolf Steiner – Meister der weißen Loge: Zur okkulten Biographie Gebundene Ausgabe – 10. Juni 2011
23 http://correspondencesjournal.com/wp-content/uploads/2017/12/16401_20537158_hanegraaff.pdf
24 „We learn from him that Dunlap was a wealthy Harvard-educated New York lawyer who had spent a period in Berlin where he studied ancient philology and delved into German Orientalist scholarship. His confused and unsystematic writings on ancient religion and mythology are largely grounded in German Orientalist scholarship, most of which was never translated into English. As already noted by Coleman, Dunlap’s books “consist almost wholly of quotations from and summaries of the writings of other authors, strung together by connecting remarks,” and Dunlap himself admitted that his works were “written by quotations.” Quelle Hanegraaff 23
25 „[Blavatsky] was addicted to the use of haschish. She several times endeavoured to persuade me to try the effect upon myself. She said she had smoked opium, seen its visions and dreamed its dreams, but that the beatitudes enjoyed by the use of haschisch were as heaven to its hell. She said she found nothing to compare with its effect in arousing and stimulating the imagination.“ in Hanegraaff 23


 

Henning Kullak-Ublick: Identität ist individuell

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Vorbemerkung: Henning Kullak- Ublicks folgender Beitrag ist im Dezember 2017 bereits in der "Erziehungskunst" erschienen und wird hier mit seinem Einverständnis gepostet, da dieser Artikel auch ein Statement zu einigen hier in Blog diskutierten Beiträgen liefert, was Identitäre Anthroposophie betrifft- z.B. "Vom politischen Spuk", "Meinungsterror, Denkverbote und identitäre Sprungbretter zur Macht" u.a.m. (M.E.)

Seit einiger Zeit geistert eine »Gegenerklärung« der Philosophin und Waldorfmutter Caroline Sommerfeld zu der 2007 verabschiedeten »Stuttgarter Erklärung« und der wortgleichen »Wiener Erklärung« der jeweiligen Waldorfschul-Bünde durch Teile der anthroposophischen Medienlandschaft.

Sie wendet sich insbesondere gegen den Satz: »Die Anthroposophie als Grundlage der Waldorfpädagogik richtet sich gegen jede Form von Rassismus und Nationalismus. Die Freien Waldorfschulen sind sich bewusst, dass vereinzelte Formulierungen im Gesamtwerk Rudolf Steiners nach dem heutigen Verständnis nicht dieser Grundrichtung entsprechen und diskriminierend wirken«, und sieht die gesamte Erklärung als Unterwerfung unter die Gesinnungsdiktatur der herrschenden Eliten und als Verrat an Rudolf Steiners Freiheitsimpuls.

Die Autorin bekennt sich zu der rechtsextremen »Identitären Bewegung«, die unter anderem die »ethnokulturelle Identität« im Grundgesetz verankern und Angehörige anderer Ethnien und Kulturen in ihre jeweiligen Ursprungsländer »remigrieren« will. Die plötzliche Konfrontation mit den Lebensbedingungen eines Siebtels der Weltbevölkerung, als Millionen Flüchtende an die Türen unserer heilen europäischen Enklave klopften, hat zuerst Ratlosigkeit, dann Angst und in der Folge jene Welle des Nationalismus erzeugt, die derzeit durch Europa schwappt und dessen Vorreiter sich immer offensiver anschicken, Volk und »Identität« wieder blutsmäßig (»ethnokulturell«) zu definieren.

Die Debatte über den Weg, den Europa gehen muss, um den Herausforderungen unserer Zeit im Geiste der Freiheit, der in Jahrhunderten erkämpften Menschenrechte und einer solidarischen Weltwirtschaft zu begegnen, darf die Begriffsbestimmungen von Heimat, Volk, kultureller Identität und Grenzen nicht denjenigen überlassen, die sich über die Ausgrenzung alles Fremden definieren.

Die Stuttgarter und Wiener Erklärungen stehen zu dieser Art kollektiver Schein-Identitätsbestimmung allerdings in diametralem Widerspruch, weil sie den einzelnen Menschen, um den es in der Pädagogik immer geht, in ein Verhältnis zur Gemeinschaft stellen, das Rudolf Steiner 1923 so formulierte: »Sie werden gesehen haben, dass es sich wahrhaftig, wenn auch das Waldorfschul Prinzip einem ganz bestimmten Sprachgebiete entstammt, dabei durchaus nicht um etwas Nationales handelt, sondern um etwas im besten Sinne Internationales, weil Allgemein-Menschliches. Nicht den Angehörigen irgendeiner Klasse, nicht den Angehörigen irgendeiner Nation, nicht den Angehörigen überhaupt irgendeiner Einkapselung, sondern den Menschen mit den breitesten, herzhaftesten menschlichen Interessen wollen wir erziehen.«

Genau diese Weltoffenheit ist der Grund, warum sich die Waldorfpädagogik seither um die ganze Welt verbreiten konnte: In jeder Schule, wo sie auch beheimatet sein mag, geht es um die Entwicklung des individuellen Menschen, damit er als Erwachsener in Freiheit Verantwortung für sich und die Welt übernehmen kann. Völkische oder nationalistische Reinhaltungsprogramme haben damit nichts zu tun.

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Zum Autor:

Henning Kullak-Ublick, von 1984 – 2010 Klassenlehrer an der FWS Flensburg; Vorstand im Bund der Freien Waldorfschulen, den Freunden der Erziehungskunst Rudolf Steiners, der Internationalen Konferenz der Waldorfpädagogischen Bewegung – Haager Kreis sowie Koordinator von Waldorf100 und Autor des Buches Jedes Kind ein Könner. Fragen und Antworten an die Waldorfpädagogik.

Marco Pogacnik lehrt, wie man mit einem Baum intim werden kann

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"In dieser Meditation erklärt uns der bekannte slovenische Künstler und Geomant wie man mit einem Baum Kontakt aufnehmen kann. Es geht um eine ganzheitliche, liebevolle und erotische-emotionale Beziehung zur Natur, seinen Pflanzen und Lebewesen."

Vom Mäandern des Geistes und der Flüsse

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Foto: Michael Eggert
Es gibt ja diese Bücher, die man beim ersten, vielleicht sogar beim zweiten Lesen unterschätzt- vielleicht weil man sie im Sinne von „Informations- Verarbeitung“ oder „Mal- schnell- Konsumieren“ aufgenommen hat. Dabei kann man ein eigenartiges Verhältnis zu ihnen gewinnen. Man merkt, als man, in einer Pause des Tages, einen Blick in sie wirft, mit diesem einen Blick einen Satz, ein Bild, einen Zusammenhang, der sich, knapp unter dem Bewusstsein, über den ganzen Tag hält und immer mal wieder aufsteigt. Vielleicht begleitet er einen durch die Abenteuer des Traums und des Tiefschlafs und klopft am nächsten Morgen schon wieder ans Fenster. Vielleicht- ich bin nicht sicher, ob es anderen auch so geht.

Man muss wohl mit den Büchern Karsten Masseis- hier das immer mal erwähnte „Zwiegespräche mit der Erde“, wenn einem das liegt, so umgehen und sich ihnen wie einem guten Wein annähern: Das ist nichts zum Herunterkippen. Die Tiefe des Geschmacks erschließt sich mit der Art des Aufnehmens, ohne unnötig verschlüsselt oder kompliziert zu wirken, weder ambitioniert noch naiv.

Es gibt sogar eine Reihe von Hindernissen, die sich vor mir auftürmen, wenn ich Bücher von Karsten Massei vor mir habe: Seine Erzählungen sind mir unzugänglich, die manchmal beiliegenden anthroposophischen Malereien abschreckend, das Thema Elementarwesen, das er so oft und prominent abdeckt, sozusagen verdächtig. Aber das macht alles nichts, weil Massei die intimen eigenen geistigen Erfahrungen meines langen Lebens- das, worin sie münden, die Art, das Feingefühl, das Hören zwischen den Tönen- das alles in einer Art zu Papier bringt, die unprätentiös, ungeschwätzig, sachlich und knapp ist.

Zweifellos, Massei stösst immer wieder zum Wesentlichen durch, auch wenn es vielleicht merkwürdig ist, dass er sich immer wieder auch zum Sprachrohr von Elementen der Natur, „Heilenden Pflanzenwesen“ und so weiter macht, die ihm sozusagen ihre Botschaften diktieren. Massei kann auch nichts dafür, dass nicht nur die Sprache der diversen geistigen Wesen, sondern auch die seine inzwischen manchmal eingeholt worden ist von den Konventionen der esoterischen Internationalen, dass man im okkulten Supermarkt den überbordenden Regalen dasselbe Stückgut findet, das er postuliert: „Der Eigenwille muss schon lernen, zu schweigen.“ (1) Oder: „Die Stille wächst durch das Bewusstsein, dass sie vergeht, sobald sie gewollt wird.“ (1) Auch das ist eben auch dann, wenn jemand wie Massei ein durch und durch wertvolles und authentisches Buch über seinen inneren Erfahrungsweg schreibt, ein nicht zu vermeidendes Hindernis, dass die Sprache selbst die konventionellen Formen hervor bringt, durch die man hindurch schreiten muss, um als Leser an die Essenz zu kommen, die wiederum nur wahrnehmbar wird, wenn man für sie bereits bereit gewesen ist oder sich an sie erinnert.

Nur dann kann man sich - vermutlich - mit Massei annähern an das Hinneigen gegenüber den inneren Kräften der Erde: „Die Geste zur Empfängnis dieser Krone ist eine innere: Man neigt sich durch die Schichten des verborgenen geistigen Lebens der Erde zu.“ (2) Der „Lebensstrom“, der einen dann erfasst und durchdringt befähigt die Seele, „vor allen Widrigkeiten ruhig stehenzubleiben, auch vor dem Tod.“ (2) Die innere „Geste der Empfängnis“ (2), die an diesem Wendepunkt des Erlebens steht, wendet sich dem „verborgenen geistigen“ Leben der Erde zu- wenn man „wirklich von selbst absieht“ (2). Es ist bei Massei mehr ein kristallines, bewusstes Einsickern in die Tiefen als ein hybrides Aufsteigen im Sinne einer kitschigen Selbst- Vollendung, die sowieso meist nur eine Ego- Projektion darstellt. Die übelsten „Materialisten“ sind ja meist die den „Materialismus“ verdammenden Spiritualisten, die an ihren Phrasen kleben. Der „Lebensstrom“, den Massei schildert, „der seine Quelle ganz in der eigenen Persönlichkeit hat“ (3) dagegen, ist jedem Einzelnen von uns ganz nah, nur durch den Lärm, den wir selbst verursachen, von unserer inneren Realität getrennt. An diesen Prozessen des lauschenden Vertiefens ist für Niemanden etwas unvertrautes.

Natürlich nähern sich Viele diesem Leben, dieser Mündung, diesen Quellen, und Viele schreiben auch darüber. Das sich Zuwenden gegenüber der Stille, der „Leere“ des Eigenwillens und dem Lebensstrom identifiziert z.B. A.H. Almaas mit einer Loslösung von der totalen Identifikation mit sich selbst, den psychischen Strukturen und der Geschichte: „Dieses Loslösen der Identifikation lockert die feste Struktur der Persönlichkeit. Es entsteht mehr Raum in uns.“ (4) Das Freiwerden einer inneren Perspektive als Desidentifikation wird als „vollkommen leerer Raum“ erlebt- einerseits ein Zeichen für den Verlust der totalen biografischen Identifikation („Man hat ein Selbstbild, aber man identifiziert sich nicht mit ihm“ (4)), andererseits der Gewinn einer neuen inneren Perspektive: „Es gibt nur die Erfahrung des leeren, offenen Raumes, ohne Grenzen und sehr klar. Im Zentrum der Aufmerksamkeit steht nicht der Inhalt des Geistes, sondern die weite Leere, die sein Wesen ist.“ (4) Das bedeutet: Die offene weite Aufmerksamkeit ohne assoziative, sensorische und intellektuelle Inhalte wird als Raum erlebt, vor allem aber auch als Befreiung von der Annahme, unsere Persönlichkeit hinge ab vom permanenten Kleben und Haften an sensorischen und intellektuellem Füllmaterial. Die „Leere“ ist eine beglückende, befreiende Erfahrung, denn sie „schafft Raum für Ausdehnung und Entwicklung der Essenz“.

Auch Almaas macht Schluss mit den kitschigen esoterischen Selbst- Vollendungs- Phantasien, die die Spiritualisten verkaufen, denn die Leere oder der „Ich- Tod“ ist kein Drama, keine krachende Erleuchtung, sondern eine wiederholte und, "mit der Zeit, eine ununterbrochene Erfahrung (..), eine sich vertiefende Wahrnehmung“ (5): „Entwicklung und Entfaltung der Essenz haben kein Ende. Diese Entwicklung  schreitet voran, indem immer mehr, mit der Zeit sehr subtile Aspekte der Persönlichkeit freigelegt werden. Nachdem die Identifikation mit der Persönlichkeit grundsätzlich durchbrochen ist, wird die Auflösung dieser subtilen Aspekte des Selbstbildes normalerweise leichter. Dieser Prozess ist eine fortschreitende Auflösung der Begrenzungen, die mit dem Selbstbild gegeben sind und führt zu immer mehr Ausdehnung. Es ist aber nicht so, dass erst die Persönlichkeit nicht mehr da ist und sich dann die Essenz entwickelt. Vielmehr wird in dem Maß, in dem sich Essenz entwickelt, Persönlichkeit freigelegt und ihre Grenzen aufgelöst. Erfüllung und Ausdehnung der Essenz sind ohne Ende und grenzenlos.“ (6) Die Essenz selbst wird erlebbar als „eine intensive Präsenz“ (7) - eine Präsenz, in der sowohl die eigene geistige Natur als auch der Geist der Natur ins Erfahrungsfeld rücken. Man darf wohl sagen, dass hier auch das Lauschen am Herzschlag der Erde beginnt, das Erleben des „Lebensstroms“, von dem Carsten Massei schreibt.

Der Geist erwacht in den Tiefen der Leere zu sich selbst - nicht mehr nur als gespiegelte Oberfläche sensorischer und intellektueller Bruch- und Füllstücke, sondern als kraftvoller Strom in einem inneren Raum, in dem sich Natur und Mensch gegenseitig aussprechen. Im Buddhismus wird dies die Erfahrung der Buddha- Natur oder „Dharmakaya“ genannt. Dabei sind Natur und Wesen des Geistes ein einziger, zusammenhängender Begriff.

Worauf die beiden genannten Autoren nicht eingehen, ist die Tatsache, dass der erlebte leere Raum keine Metapher und keine Projektion darstellt, sondern ein aktiv gestaltetes, dynamisches Feld. Man kann diese Dynamik zurück verfolgen auf sich selbst und dabei charakteristische, seit Jahrtausenden bekannte wirbelnde Knotenpunkte entdecken, die in einem inneren Zusammenhang stehen, der sich erst allmählich und mit sehr viel Übung erschließt. Die Dynamik entspringt immer einer Inanspruchnahme gekoppelter Knoten, die in der Literatur Lotosblumen, Chakren oder Energiewirbel genannt werden. Das voll entwickelte „Herzdenken“ entspricht einer vollkommenen Gebärde im Zusammenwirken aller Knotenpunkte, das wie eine nicht- körperliche Leiblichkeit erlebt wird. In der sich immer weiter vertiefenden Hingabe an die Dynamik des Zusammenklangs der Energiepunkte erfährt sich der Mensch als rein geistige Entität, die sich in Denken, Fühlen und Wollen zersplittert, auslebt und individualisiert, aber nicht erschöpft. Eine sehr diesseitige, konkrete, lebendige und persönliche Darstellung dieser energetischen Felder stellt der Anthroposoph und Astronom Dr. Fritz Helmut Hemmerich aktuell in einem langen YouTube- Vortrag vor. (8)

Aber kehren wir zurück zum Sickern und Fließen. Aus dem Blickwinkel eines dieser eingeebneten und mit Deichen zum Nutzen des Handels begradigten Flüsse ist die Rückkehr zum natürlichen Mäandern wie eine Erfahrung der Essenz: Fort vom linearen Ausfüllen des Flussbetts hin zu einem mäandernden Geben und Nehmen- in „untrennbarer Wechselseitigkeit und einem Prozeß komplexer Interaktionen“ (9). Diese Linearität und ihre Auflösung ins interaktive Mäandern, die Voller Demuth in Bezug auf Flussverläufe charakterisiert, ist vielleicht eine passende Metapher für die hier gemeinte innere Vertiefung:

Wichtig ist, den Mäander als Bewegung zu begreifen, die sich auf das Umliegende passiv wie aktiv bezieht: nämlich sowohl davon geformt wird als auch dieses selbst formt. Die stetig sich verändernde Kurvenlinie mit ihrer Variation an Krümmungen bringt eine zweifache Wirkung oder Beeinflussung zum Ausdruck. Sie ist eine Art Grafik fremder und eigener Kräfte, von deren untrennbarer Wechselseitigkeit und einem Prozeß komplexer Interaktionen. Aus der gewundenen Form dynamischer Fließsysteme läßt sich die unablässige gegenseitige Infiltration ablesen. Strömung und Ufer, Fluß und Umgebung- das eine löst das andere aus und beide zusammen bilden eine selbstentwickelnde Korrelation. Während lineare Gebilde aus ihrer Einseitigkeit einen Machtanspruch über den Raum ableiten, liegen die organisierenden Kräfte des Fließen im Gefälle, dem Zuströmen und einem dynamischen Wechselspiel.“ (10)

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Zum neuen Buch von Karsten Massei „Erde und Mensch Was uns verbindet“ (März 2018) https://www.futurumverlag.com/de/futurum-verlag/in-vorbereitung/erde-und-mensch

Zur Homepage von Karsten Massei https://www.karstenmassei.ch/
Zur Website von Lettre International https://www.lettre.de/

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1 Karsten Massei, Zwiegespräche mit der Erde, Basel 2014, S. 30 f
2 dito, S. 58
3 dito, S. 59
4 A. H. Almaas, Essenz, Arbor Verlag 1997, S. 62
5 dito, S. 62 f
6 dito, S. 63
7 dito, S. 64
8 https://youtu.be/KPM8shttAjs
9 Volker Demuth, Dem Ufer nah. Die Linie, der Fluss, die Zeit und das Geheimnis des weitesten Weges in: Letter International 119, Europas Kulturzeitung, Winter 2017, S. 22
10 dito. S. 23

Der Elefant und sein Pressesprecher – und ein mögliches Erwachen

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Ingrid Haselberger


Quelle
Mein Freund H., mittlerweile 95 Jahre alt, erzählt aus der Zwischenkriegszeit:
Man war sich durchaus bewußt, daß es sich um eine Zwischenkriegszeit handelte und nicht etwa um eine Friedenszeit. Man sagte »Damals, im Frieden…« – und meinte damit die Zeit vor dem 1. Weltkrieg. Man rechnete ganz allgemein mit einem Krieg, auch wenn man sich keine exakte Vorstellung davon machte, worum genau es gehen oder was der Auslöser sein würde.
Und: damals war so gut wie jeder entweder ein Sozi oder ein Nazi.
Und ob jemand Sozi oder Nazi wurde, dafür spielte weniger die Überzeugungskraft der jeweiligen Ideologie eine Rolle als vielmehr das „Ideal“, dem man nachstrebte. 
Jeder junge Mann hatte ein Vorbild. Für die meisten war das der ältere Bruder, oder ein um ein paar Jahre älterer Freund… diesem „Idol“ folgte man nach, denn selbstverständlich hielt man alles, was der tat und dachte, für „richtig“ - - -

Soweit also die Männer – über die H. gern auch sagt: »Männer müssen kämpfen!« – als Beleg dafür zitiert er oft Friedrich Schiller:
Wohlauf Kameraden auf´s Pferd, auf´s Pferd,
in das Feld, in die Freiheit gezogen;
im Felde, da ist der Mann noch was wert,
da wird das Herz noch gewogen;
da tritt kein anderer für ihn ein,
auf sich selber steht er da ganz allein.

Über die Frauen heißt es in dem einen der hier besprochenen Bücher (»Mit Linken leben« von Martin Lichtmesz/Caroline Sommerfeld; im folgenden MLL):
Die meisten Frauen sind rechts weniger aus Entschluß, sondern milieu- und erziehungsbedingt, weil sie aus traditionellen (christlichen, deutsch-nationalen, bündischen, anthroposophischen, ländlich-abgeschiedenen) Elternhäusern kommen. Diese sind dann aber zumeist nicht bewußt auf der Suche nach gleichgesinnten Männern, sondern heiraten einfach im Milieu. Daß in unserer Gesellschaft dezidiert rechte Frauen seltener als linke sind, dafür hat auch die feministische Propaganda mit ihren Schwarzweißmärchen über die »Unterdrückung der Frau« in der Weltgeschichte und ihrer Verteufelung »patriarchaler Rollenklischees« gesorgt – und bis zu einem gewissen Grad die Natur selbst. Harmoniesucht, warmes Gefühl statt kalter Vernunft und ein angeborener Unterordnungstrieb machen Frauen zu perfekten Mainstreamgutmenschen: Die Bewertung durch andere Frauen ist ihr Maßstab. 
(MLL S 258)

Freilich kann »traditionelle Erziehung« auch zur Folge haben, daß man dagegen aufbegehrt:
H. zum Beispiel ist in streng anthroposophischem Elternhaus aufgewachsen. Sein Vater sagte Dinge wie »Ich bezahle Dir die Tanzstunden, wenn Du Wahrheit und Wissenschaft liest« --- das Ergebnis: H. reagierte abwehrend, interpretierte die Anthroposophie als Unterdrückung jeglichen freien Denkens zugunsten eines dogmatischem Glaubens an Rudolf Steiners Offenbarungen – und wendete sich schon als ganz junger Mann sehr vehement davon ab. Er ist bis heute ein „Freigeist” geblieben, der sich nirgends einordnen lassen will, und hat immer noch eine „Allergie“ gegen alles, das auch nur entfernt mit Offenbarungen oder Dogmatismus zu tun haben könnte (– was ihn allerdings nicht daran gehindert hat, das Anthroposophentum seiner Frau respektvoll zu akzeptieren).

Und natürlich gibt es auch »rechte« Frauen, die früher einmal »links« waren (Caroline Sommerfeld mag hier aus eigener Erfahrung sprechen):
Wenn Frauen links sind und rechts werden, liegt diesem Sinneswandel mitunter ein Schockerlebnis oder eine wachsende Besorgnis, die ihnen regelrecht den Hals zuschnürt, zugrunde. »Die Straßenseite zu wechseln«, wird wegen der zunehmenden aggressiven Migrantendichte in den Straßen, in der Schule, im Schwimmbad und in allen möglichen sozialen Berufen immer schwieriger. 
(MLL S 259)

Diese Schilderungen passen gut zur These des US-amerikanischen Psychologen Jonathan Haidt, den Sommerfeld/Lichtmesz zustimmend zitieren:
Jonathan Haidt (1963) hat […] ein geniales Konzept entwickelt, das vielleicht mehr zur Verständigung und Toleranz beitragen kann als die frommen Denkapelle an »demokratische Debattenkultur«, die […] meist ohnehin ziemlich verlogene Nummern sind. Haidt zufolge verändern rationale Argumente die Haltung eines Menschen kaum – die Sache verhält sich vielmehr umgekehrt: Erst nachdem er unbewußt bestimmte intuitive (1) Entscheidungen getroffen hat, sucht und »findet« er Argumente, um diese Entscheidungen zu bestätigen und zu rechtfertigen. […]
In einem Interview mit dem Spiegel(2/2013) (2) faßte Haidt diese These folgendermaßen zusammen: »Die moralischen Intuitionen kommen zuerst, die strategischen Überlegungen folgen. Der Geist ist gespalten; der bewußte, räsonierende Teil dient vor allem dazu, die Entscheidungen und Neigungen des unbewußten, intuitiven Teils im Nachhinein zu begründen und zu rechtfertigen. Man kann unser Bewußtsein mit einem Reiter auf einem Elefanten vergleichen. Das große Tier hat seine eigene Intelligenz und seinen eigenen Willen. Es neigt dazu, den Weg einzuschlagen, den es für den richtigen hält. Der Reiter liefert die Kommentare dazu, sein Job besteht darin, dem Elefanten zu helfen, aber das Hauptgeschehen spielt sich nicht in seinen Erklärungen ab. Wir sind gewissermaßen nur die Pressesprecher unseres tieferen, verborgenen Selbst.« 
(MLL S 103 f)

In seinem Buch »The Righteous Mind«, das ich inzwischen sehr interessiert gelesen habe, belegt Jonathan Haidt seine These mit überzeugenden Studien; und er liefert auch die Erklärung: die Evolution hatte viele Jahrtausende lang Zeit, den »Elefanten« zu entwickeln und fein auszuarbeiten – also ist es nur natürlich, daß der »Elefant« wichtige Entscheidungen nicht so ohne weiteres dem zwar mit Bewußtsein und Denkfähigkeit ausgestatteten, aber sehr viel jüngeren und unerfahreneren »Reiter« überläßt.
Unsere »Elefanten« reagieren instinktmäßig, reflexhaft – allerdings nicht immer weise (sehr drastisch zeigt Haidt auch ihre Manipulierbarkeit); und die »Reiter« sind sehr erfolgreich darin, auch die absurdesten moralischen Urteile ihrer »Elefanten« im Nachhinein rational zu begründen – ganz wie es der Pressesprecher eines Politikers mit den Entscheidungen seines Chefs macht...

Wie schwierig es ist, das Instinktive, Reflexartige an den Urteilen des eigenen »Elefanten« zu bemerken, zeigt sich für mich deutlich in der folgenden Schilderung der Autoren von MLL:
In dem von Platons Höhlengleichnis inspirierten Science-Fiction-Film Matrix (1999) wird dem Protagonisten Neo enthüllt, daß die alltägliche Wirklichkeit, in der er lebt, nur eine virtuelle Sinnestäuschung ist, während die Menschen, die sie wahrnehmen, in Wahrheit in einer Art Retorte als »Gehirne im Tank« existieren, wo sie von intelligenten Maschinen als Bioenergiequelle benutzt werden. Der Widerstandskämpfer Morpheus kennt den Weg zurück zur Realität und stellt Neo vor die Wahl: »Das ist deine letzte Chance. Danach gibt es kein Zurück. Nimm die blaue Pille – die Geschichte endet, du wachst in deinem Bett auf und glaubst, was immer du glauben willst. Nimm die rote Pille – du bleibst hier im Wunderland, und ich werde dir zeigen, wie tief das Kaninchenloch reicht.« Die »rote Pille« zu schlucken, bedeutet ein unsanftes Erwachen aus vertrauten Illusionen und flächendeckend verbreiteten Lügen; es bedeutet aber in der Folge auch einen Zugewinn an Erkenntnis, Souveränität und Freiheit. In unserem Kontext ist sie eine schlagende Metapher für den Moment, wenn man den linken Quatsch, in den wir eingewebt sind wie in ein Spinnennetz, endlich durchschaut hat. Der politisch-medial-gesellschaftliche Komplex und sein ideologischer Überbau sind sozusagen unsere »Matrix«, aus der es zu erwachen und sich zu befreien gilt. […] häufig ist Redpilling ein Vorgang, der einem »passiert«, und der nicht mehr aufzuhalten ist, wenn er erst mal in Gang gesetzt ist. 
(MLL, S 205f)

Vor meinem inneren Auge erscheint beim Lesen dieser Zeilen das trostlose Bild eines Elefanten, der von einer Seite her Schläge empfängt und daraufhin reflexartig zur anderen Seite springt – und wenn er auch dort auf irgendeine Weise erschreckt wird, wird er abermals reflexartig reagieren... während sein mit Scheuklappen behafteter »Reiter« unentwegt damit beschäftigt ist, auch noch die abenteuerlichsten Sprünge seines Reittiers „rational“ zu rechtfertigen, zum Beispiel, indem er das »Wunderland« eines Science-Fiction-Films für die Wirklichkeit nimmt und alles andere, bisher für wahr Gehaltene, von A bis Z zur Illusion, zum »Quatsch« erklärt – bis zum nächsten »Schockerlebnis« ...

Es ginge auch anders.
Auch Jonathan Haidt bezieht sich auf die »rote Pille« in der »Matrix« – doch er kommt dabei zu ganz anderen Ergebnissen:
In one of the most famous scenes, the protagonist, Neo, is given a choice. He can take a red pill, which will disconnect him from the matrix, dissolve the hallucination, and give him command of his actual, physical body […]. Or he can take a blue pill, forget he was ever given this choice, and his consciousness will return to the rather pleasant hallucination in which nearly all human beings spend their conscious existence. Neo swallows the red pill, and the matrix dissolves around him.
It wasn't quite as dramatic for me, but Shweder's (3) writings were my red pill. I began to see that many moral matrices coexist within each nation. Each matrix provides a complete, unified, and emotionally compelling worldview, easily justified by observable evidence and nearly impregnable to attack by arguments from outsiders.
(Jonathan Haidt: »The Righteous Mind. Why Good People are Divided by Politics and Religion«; im folgenden RM; Pos 1888;meine Übersetzung siehe Fußnote 4)

Als Haidt für einige Zeit nach Indien ging, machte er dort Erfahrungen, die seine bisherige Sichtweise grundlegend veränderten – er erlebte nun eine soziozentrische, hierarchische Gesellschaftsordnung, von der er zuvor bei Shweder nur gelesen hatte:
When I returned to America, social conservatives no longer seemed so crazy. I could listen to leaders of the “religious right” […] with a kind of clinical detachment. They want more prayer and spanking in schools, and less sex education and access to abortion? I didn't think those steps would reduce AIDS and teen pregnancy, but I could see why Christian conservatives wanted to “thicken up” the moral climate of schools and discourage the view that children should be as free as possible to act on their desires. Social conservatives think that welfare programs and feminism increase rates of single motherhood and weaken the traditional social structures that compel men to support their own children? Well, now that I was no longer on the defensive, I could see that those arguments made sense, even if there are also many good effects of liberating women from dependence on men. I had escaped from my prior partisan mindset (reject first, ask rhetorical questions later) and began to think about liberal and conservative policies as manifestations of deeply conflicting but equally heartfelt visions of the good society.
It felt good to be released from partisan anger. And once I was no longer angry, I was no longer committed to reaching the conclusion that righteous anger demands: we are right, they are wrong. I was able to explore new moral matrices, each one supported by its own intellectual traditions. It felt like a kind of awakening. 
(RM Pos 1921; meine Übersetzung siehe Fußnote 5)

Jonathan Haidts »Reiter« ist es offensichtlich gelungen, seine »Scheuklappen« abzunehmen und rundum zu blicken.
Nun kann er die Berechtigung anderer Standpunkte anerkennen, ohne dabei die des eigenen in Frage zu stellen oder gar seine bisherige Ansicht für »Quatsch« zu halten – sein »Elefant« springt nicht mehr instinktiv von der einen zur anderen Seite, und der »Reiter« gewinnt zusätzliche Erkenntnismöglichkeiten.

Nach einem Hinweis auf die chinesische Philosophie und die Polarität des Yin und Yang, die einander nicht nur nicht feindlich gegenüberstehen, sondern einander ergänzen und erst gemeinsam ein flexibles Gleichgewicht ermöglichen, warnt Haidt eindringlich vor „moralischen Monisten“:
Beware of anyone who insists that there is one true morality for all people, times, and places – particularly if that morality is founded upon a single moral foundation. Human societies are complex; their needs and challenges are variable. […] anyone who tells you that all societies, in all eras, should be using one particular moral matrix, resting on one particular configuration of moral foundations, is a fundamentalist of one sort or another. 
(RM, Pos. 5245; meine Übersetzung siehe Fußnote 6)

Ich freue mich – und denke an eines meiner Lieblingszitate von Rudolf Steiner:
Nun aber steht es mit der menschlichen Erkenntnis nicht so, daß sich ihr das Wesen der Dinge auf einmal ergeben kann. Es ist mit ihr vielmehr so, wie mit dem Bilde, das man zum Beispiel von einem Baume von einer gewissen Seite aus malt oder photographisch aufnimmt. Dieses Bild gibt das Aussehen des Baumes, von einem gewissen Gesichtspunkte aus, in voller Wahrheit. Wählt man einen anderen Gesichtspunkt, so wird das Bild ganz anders. Und erst eine Reihe von Bildern, von den verschiedensten Gesichtspunkten aus, kann durch das Zusammenwirken eine Gesamtvorstellung des Baumes geben. […]
Jede Ansicht kann eine wahre sein, wenn sie treu das Beobachtete wiedergibt.
Und sie ist erst dann widerlegt, wenn nachgewiesen ist, daß ihr eine andere
berechtigterweise widersprechen darf, welche von demselbenGesichtspunkte
aus gegeben ist. Ein Unterschied hingegen von einer Ansicht, die von einem
anderen Gesichtspunkt aus gegeben ist, besagt in der Regel nichts. 
(Rudolf Steiner: Anthroposophie. Ein Fragment – SKA 6; GA 45)




Nun könnte man mir freilich einwenden (was heißt: man könnte– man tut es. Sowohl hier im Blog als auch im real life...), das sei eine sehr naive, gar gefährliche Vorgehensweise, der alle Meinungen, die irgendjemand äußert, gleichviel gelten; ein solcher Relativismus leugne, daß es überhaupt so etwas wie Wahrheit gibt...

Auch Jonathan Haidt ist sich dieses Einwandes bewußt, und er entgegnet darauf in den Worten des Philosophen Isaiah Berlin:
I am no relativist. I do not say “I like my coffee with milk and you like it without; I am in favor of kindness and you prefer concentration camps” – each of us with his own values, which cannot be overcome or integrated. This I believe to be false. […] 
I came to the conclusion that there is a plurality of ideals, as there is a plurality of cultures and of temperaments. […] There is not an infinity of [values]: the number of human values, of values which I can pursue while maintaining my human semblance, my human character, is finite – let us say 74, or perhaps 122, or 27, butfinite, whatever it may be. And the difference this makes is that if a man pursues one of these values, I, who do not, am able to understand why he pursues it or what it would be like, in his circumstances, for me to be induced to pursue it. Hence the possibility of human understanding
 (Isaiah Berlin, The Power of Ideas, S 11f, zitiert nach RM, Pos. 5252; meine Übersetzung siehe Fußnote 7)


Wieder fällt mir Rudolf Steiner ein: 
Wer diese Sache so faßt, der ist gegen den leichtwiegenden Einwand geschützt, daß jede Meinung bei solcher Auffassung gerechtfertigt erscheinen müsse. So wie das Bild eines Baumes eine ganz bestimmte Gestalt haben muß von Einem Gesichtspunkte aus, so muß auch eine geistige Ansicht von Einem Gesichtspunkte aus eine solche haben. Doch aber ist klar, daß man einen Fehler in der Ansicht erst nachweisen kann, wenn man sich über den Gesichtspunkt klar ist, von welchem aus sie gegeben ist.
(SKA 6, GA 45)

Das mag alles schön und gut sein, solange es um harmlose Dinge geht,„höre“ ich immer noch die Einwender. Aber Du kannst dieses Konzept doch nicht ernsthaft hinaus in die wirkliche, böse Welt tragen! (»Besonnenheit ist ein so aufwendiges Geschäft in diesen Tagen, daß man leicht plötzlich ohne Brieftasche dasteht«, entgegnete man mir kürzlich...)
--- Mir ist bewußt, daß ich ein Risiko eingehe, indem ich gerade das dennoch tu.

Jonathan Haidt dazu:
It's a risk because partisan readers may be able to accept my claims about yin and yang in the abstract, but not when I start saying that the “other side” has something useful to say about specific controversial issues. I'm willing to run this risk, however, because I want to show that public policy might really be improved by drawing on insights from all sides. 
(RM, Pos 4920; meine Übersetzung siehe Fußnote 8)


So kann man vielleicht reden, wenn man die Sache vom hohen Roß der Wissenschaft aus untersucht, oder sie im geschützten Raum einer Waldorfschule oder eines anthroposophischen Zweiges hin-und herbewegt, sagt der Einwender. Frag mal einen der vielen Menschen, die hier Schutz suchen vor Krieg und Folter, was er dazu sagt, angesichts brennender Flüchtlingsunterkünfte...

Also gut. Mach ich.
(Fortsetzung folgt.)


= = = = =

1) mit »intuitiv« ist hier der Begriff des allgemeinen Sprachgebrauches gemeint: unbewußt, ohne zu überlegen, aus dem Bauch heraus. Vgl. aber auch Michael Eggerts Gedanken zur Intuition: https://egoistenblog.blogspot.co.at/2016/12/man-kann-lange-suchen-aber-nicht-lange.html

2) http://www.spiegel.de/spiegel/print/d-90438239.html

3) Richard Shweder, psychologischer Anthropologe, lebte lange an der Ostküste Indiens und veröffentlichte 1987 seine Erkenntnisse über die Unterschiede zwischen einer (in Indien vorherrschenden) soziozentrischen und einer (in der „westlichen Welt“ dominierenden) individualistischen Moral.

4) In einer der berühmtesten Szenen wird der Protagonist Neo vor eine Wahl gestellt. Er kann eine rote Pille nehmen, die ihn von der Matrix trennen, die Halluzination auflösen und ihm die Herrschaft über seinen wirklichen physischen Körper geben wird […]. Oder er kann eine blaue Pille nehmen, vergessen, daß er jemals diese Wahl gehabt hat, und sein Bewußtsein wird zurückkehren zu der eher angenehmen Halluzination, in der fast alle Menschen ihr bewußtes Leben verbringen. Neo schluckt die rote Pille, und die Matrix um ihn herum löst sich auf.
Es war nicht ganz so dramatisch für mich, aber Shweders (3) Schriften waren meine rote Pille. Ich fing an zu sehen, daß innerhalb jeder Nation viele moralische Matrizen koexistieren. Jede Matrix bietet ein komplettes, einheitliches und gefühlsmäßig überzeugendes Weltbild, leicht zu rechtfertigen durch beobachtbare Beweise, und fast undurchdringlich für Angriffe durch Argumente von Außenseitern.

5) Als ich nach Amerika zurückkehrte, erschienen mir Sozialkonservative nicht mehr so verrückt. Ich konnte den Führern der „religiösen Rechten“ […] mit einer Art klinischer Distanz zuhören. Sie wollen mehr Gebete und Prügel in Schulen, und weniger sexuelle Aufklärung und Zugang zu Abtreibung? Ich glaubte zwar nicht, daß durch diese Schritte AIDS oder Teenager-Schwangerschaften weniger würden, aber ich konnte sehen, warum christlich Konservative das moralische Klima in Schulen „verdichten“ und die Ansicht zurückdrängen wollten, daß Kinder so frei wie möglich nach ihren Wünschen handeln sollten. Sozialkonservative denken, daß Wohlfahrtsprogramme und Feminismus die Anzahl alleinerziehnder Mütter erhöhen und traditionelle soziale Strukturen schwächen, die die Männer dazu bringen würden, ihre eigenen Kinder zu unterstützen? Nun, da ich nicht mehr in der Defensive war, konnte ich den Sinn solcher Argumente erkennen, obwohl es natürlich auch sein Gutes hat, Frauen aus der Abhängigkeit von Männern zu befreien. Ich war meiner früheren parteiischen Denkweise (erst ablehnen, dann rhetorische Fragen stellen) entkommen und begann, progressive und konservative Politiken anzusehen als Manifestationen von zwar tief miteinander in Konflikt befindlichen, aber gleichermaßen tiefempfundenen Visionen einer „guten“ Gesellschaft.
Es fühlte sich gut an, von parteiischem Zorn befreit zu sein. Und sobald ich nicht mehr zornig war, war ich nicht mehr zu der Schlußfolgerung gezwungen, die gerechter Zorn verlangt: wir haben recht, sie haben Unrecht. Ich konnte nun neue moralische Matrizen erforschen, jede einzelne getragen von ihren eigenen intellektuellen Traditionen. Es fühlte sich an wie eine Art Erwachen.

6) Hütet Euch vor jedem, der darauf besteht, daß es eine einzige wahre Moral gibt für alle Menschen, Zeiten und Orte – vor allem, wenn diese Moral auf einem einzigen moralischen Fundament beruht. Menschliche Gesellschaften sind komplex; ihre Bedürfnisse und Herausforderungen sind unterschiedlich. […] jeder, der Euch erzählt, alle Gesellschaften, in allen Zeitaltern, sollten eine bestimmte moralische Matrix gebrauchen, die auf einer bestimmten Konfiguration moralischer Fundamente beruht, ist ein Fundamentalist der einen oder anderen Art.

7) Ich bin kein Relativist. Ich sage nicht: „Ich mag meinen Kaffee mit Milch, und du magst ihn ohne; ich ziehe Freundlichkeit vor, und du bevorzugst Konzentrationslager” – jeder von uns mit seinen eigenen Werten, die weder überwunden noch integriert werden können. Das, davon bin ich überzeugt, ist falsch.
[…] 
Ich bin zu dem Schluß gekommen, daß es eine Vielzahl von Idealen gibt, genauso wie es eine Vielzahl von Kulturen und Temperamenten gibt. […] Die Anzahl der Werte ist nicht unendlich: die Anzahl der menschlichen Werte, jener Werte, die ich hochhalten kann, ohne meine Menschenähnlichkeit, meinen menschlichen Charakter, zu verlieren, ist endlich – sagen wir 74, oder vielleicht 122, oder 27, aber endlich, wie viele es auch sein mögen. Und der Unterschied: wenn ein Mensch einen dieser Werte anstrebt, kann ich, obwohl ich das selbst nicht tue, verstehen, warum er ihn anstrebt, oder wie es wäre, wenn ich, in seiner Situation, mich veranlaßt sähe, ihn anzustreben. Deshalb ist menschliches Verstehen möglich. 

8) Es ist ein Risiko, weil parteiische Leser zwar meine Yin und Yang betreffenden Behauptungen im Abstrakten akzeptieren mögen, nicht aber, sobald ich davon zu spreche, die „andere Seite“ habe zu spezifischen kontroversiellen Themen etwas Wertvolles zu sagen. Dennoch, ich will dieses Risko auf mich nehmen. Denn ich will zeigen, daß das Staatswesen wirklich verbessert werden könnte, indem Einsichten aller Seiten herangezogen werden.

Der ganze, der rühmliche Teppich...

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Ingrid Haselberger

 
Vincent van Gogh: Roter Weinberg                       Bearbeitung: Christian H.

In einigen vor gut hundert Jahren gehaltenen Vorträgen über die Verbindung zwischen Lebenden und Toten schildert Rudolf Steiner, was im Augenblick des Todes und danach geschieht, und zwar nicht vom „irdische Plan“ aus gesehen, sondern von der „anderen“ Seite her, aus der „geistigen Welt“ betrachtet.
Das erste Erlebnis eines Menschen, der durch die Pforte des Todes geht, so Steiner, sei das Zurücklassen seines physischen Leibes auf der Erde.
Mit diesem Erleben: »Dein Leib geht von Dir weg« sei eine ganz besondere Erfahrung verbunden – eine Erfahrung, die (im Gegensatz zur Geburt im irdischen Leben, an die wir uns ja normalerweise während des Lebens nicht mehr erinnern) der Seele im Nachtodlichen immer wahrnehmbar bleibe:

Es ist etwas schwierig, über diese Dinge zu sprechen, weil, wie gesagt, keine entsprechenden Erfahrungen hier in der physischen Welt vorhanden sind, aber man muß versuchen, diese Dinge auch zu charakterisieren, so wie sie eben sind. Wenn wir also im weiteren Fortleben nach dem Tode hinblicken auf unser Gestorbensein, dann haben wir vor allen Dingen den empfindungs-, vorstellungsmäßigen Eindruck, daß da, wo wir gestorben sind, nunmehr, nachdem wir gestorben sind, nichts ist, nicht einmal Raum. Es ist, wie gesagt, schwer zu beschreiben, aber es ist so: Nichts ist da. Und im äußeren Sinne gesprochen: Herrlich, erhaben erscheint die Sache aus dem Grunde, weil überall sonst uns eine neue Welt aufgeht. Es drängt sich die flutende Geistwelt von allen Seiten heran, aber nichts ist da, aus dem wir herausgestorben sind.
So theoretisch beschrieben hat vielleicht die Sache etwas Grauenvolles, aber in der Empfindung nach dem Tode ist es nichts Grauenvolles. In der Empfindung nach dem Tode läßt es eine tiefe Befriedigung in die Seele quellen. Man lernt gleichsam sich ausdehnen in die ganze Welt und hinschauen auf etwas, was wie leer ist in der Welt. Und daraus entsteht die Empfindung: Das ist dein Platz in der Welt, der Platz, der aus allen den Weiten heraus ist, und der dein ist. - Und man bekommt die Empfindung, gerade aus dieser Leere, daß man einen Sinn hat für die ganze Welt, daß jedes einzelne Menschendasein – man bekommt es zunächst natürlich als Erklärung für sich selber – da sein muß. Dieser Platz würde immer leer sein, wenn ich nicht da wäre – so sagt sich jede Seele. Daß jeder, jeder als Mensch einen Platz zugeteilt hat im Weltenall, diese Empfindung, die unglaublich innerlich erwärmende Empfindung, die geht aus dieser Betrachtung hervor: daß die ganze Welt da ist, und daß diese ganze Welt herausgetrieben hat wie aus einer Symphonie die einzelne Note, die man ist, und die da sein muß, sonst wäre die Welt nicht da.
(Rudolf Steiner: GA 168 S 43; Kassel, 18. Februar 1916)

Daß jeder – jeder einzelne!– Mensch seinen Platz hat in der Welt, diesen einen Platz, den nur er allein ausfüllen kann; und daß damit jeder einzelne Mensch ein notwendiger Teil der ganzen Welt ist, die ohne all diese einzelnen Menschen gar nicht da sein könnte --- das hat Rainer Maria Rilke schon als ganz junger Mann empfunden. Mit dreiundzwanzig Jahren (1898) schreibt er vierzig (zunächst unveröffentlichte) Notizen zur Melodie der Dinge nieder. Da heißt es:

III. Das fällt mir ein: bei dieser Beobachtung: daß wir die Menschen noch immer auf Goldgrund malen, wie die ganz Primitiven. Vor etwas Unbestimmtem stehen sie. Manchmals vor Gold, manchmals auch vor Grau. Im Licht manchmals, und oft mit unergründlichem Dunkel hinter sich.

IV. Man begreift das. Um die Menschen zu erkennen, mußte man sie isolieren. Aber nach einer langen Erfahrung ist es billig, die Einzelbetrachtungen wieder in ein Verhältnis zu setzen, und mit gereiftem Blick ihre breiteren Gebärden zu begleiten.

V. Vergleiche einmal ein Goldgrundbild aus dem Trecento mit einer von den zahlreichen späteren Kompositionen italienischer Frühmeister, wo die Gestalten zu einer Santa Conversazione vor der leuchtenden Landschaft in der lichten Luft Umbriens sich zusammenfinden. Der Goldgrund isoliert eine jede, die Landschaft glänzt hinter ihnen wie eine gemeinsame Seele, aus der heraus sie ihr Lächeln und ihre Liebe holen.

[…]

XVI. Sei es das Singen einer Lampe oder die Stimme des Sturms, sei es das Atmen des Abends oder das Stöhnen des Meeres, das dich umgiebt – immer wacht hinter dir eine breite Melodie, aus tausend Stimmen gewoben, in der nur da und dort dein Solo Raum hat. Zu wissen, wann Du einzufallen hast, das ist das Geheimnis deiner Einsamkeit: wie es die Kunst des wahren Verkehres ist: aus den hohen Worten sich fallen lassen in die eine gemeinsame Melodie.

Im Folgenden stellt Rilke Überlegungen dazu an, wie diese »gemeinsame Melodie« künstlerisch auf der Bühne darzustellen wäre, und sagt dann:

XXXV. Diese Bemühungen erscheinen mir notwendig, weil sonst die Erkenntnis der feineren Gefühle die eine lange und ernste Arbeit sich errang, im Lärm der Bühne ewig verloren gehen »würde«. Und das ist schade. Von der Bühne her kann, wenn es tendenzlos und unbetont geschieht, das neue Leben verkündet, das heißt auch denen vermittelt werden, die nicht aus eigenem Drang und eigener Kraft seine Gebärden lernen. Sie sollen nicht bekehrt werden von der Szene her. Aber sie sollen wenigstens erfahren: das giebt es in unserer Zeit, eng neben uns. Das ist schon Glückes genug.

XXXVI. Denn es ist fast von der Bedeutung einer Religion, dieses Einsehen: daß man, sobald man einmal die Melodie des Hintergrundes gefunden hat, nicht mehr ratlos ist in seinen Worten und dunkel in seinen Entschlüssen. Es ist eine sorglose Sicherheit in der einfachen Überzeugung, Teil einer Melodie zu sein, also einen bestimmten Raum zu Recht zu besitzen und eine bestimmte Pflicht an einem breiten Werke zu haben, in dem der Geringste ebensoviel wertet wie der Größte. Nicht überzählig zu sein, ist die erste Bedingung der bewußten und ruhigen Entfaltung.

XXXVII. Aller Zwiespalt und Irrtum kommt davon her, daß die Menschen das Gemeinsame in sich, statt in den Dingen hinter sich, im Licht, in der Landschaft im Beginn und im Tode, suchen. Sie verlieren dadurch sich selbst und gewinnen nichts dafür. Sie vermischen sich, weil sie sich doch nicht vereinen können. Sie halten sich aneinander und können doch nicht sicheren Fuß fassen, weil sie beide schwankend und schwach sind; und in diesem gegenseitigen Sich-stützen-wollen geben sie ihre ganze Stärke aus, so daß nach außen hin auch nicht die Ahnung eines Wellenschlages fühlbar wird.

XXXVIII. Jedes Gemeinsame setzt aber eine Reihe unterschiedener einsamer Wesen voraus. Vor ihnen war es einfach ein Ganzes ohne jegliche Beziehung, so vor sich hin. Es war weder arm noch reich. Mit dem Augenblick, wo verschiedene seiner Teile der mütterlichen Einheit entfremden, tritt es in Gegensatz zu ihnen; denn sie entwickeln sich von ihm fort. Aber es läßt sie doch nicht aus der Hand. Wenn die Wurzel auch nicht von den Früchten weiß, sie nährt sie doch.

XXXIX. Und wie Früchte sind wir. Hoch hangen wir in seltsam verschlungenen Asten und viele Winde geschehen uns. Was wir besitzen, das ist unsere Reife und Süße und Schönheit. Aber die Kraft dazu strömt in einem Stamm aus einer über Welten hin weit gewordenen Wurzel in uns Alle. Und wenn wir für ihre Macht zeugen wollen, so müssen wir sie jeder brauchen in unserem einsamsten Sinn. Je mehr Einsame, desto feierlicher, ergreifender und mächtiger ist ihre Gemeinsamkeit.

XXXX. Und gerade die Einsamsten haben den größten Anteil an der Gemeinsamkeit. Ich sagte früher, daß der eine mehr, der andere weniger von der breiten Lebensmelodie vernimmt; dem entsprechend fällt ihm auch eine kleinere oder geringere Pflicht in dem großen Orchester zu. Derjenige, welcher die ganze Melodie vernähme, wäre der Einsamste und Gemeinsamste zugleich. Denn er würde hören, was Keiner hört, und doch nur weil er in seiner Vollendung begreift, was die anderen dunkel und lückenhaft erlauschen.
(Rainer Maria Rilke, Notizen zur Melodie der Dinge)

Gegen Ende seines Lebens, im Jahre 1922, scheint Rilke in diese Gedanken nicht nur die irdische, die „seiende“, sondern auch die geistige, nicht irdisch „seiende“ Welt mit einzubeziehen – und er formt daraus dieses Sonett:

Singe die Gärten, mein Herz, die du nicht kennst; wie in Glas
eingegossene Gärten, klar, unerreichbar.
Wasser und Rosen von Ispahan oder Schiras,
singe sie selig, preise sie, keinem vergleichbar.

Zeige, mein Herz, daß du sie niemals entbehrst.
Daß sie dich meinen, ihre reifenden Feigen.
Daß du mit ihren, zwischen den blühenden Zweigen
wie zum Gesicht gesteigerten Lüften verkehrst.

Meide den Irrtum, daß es Entbehrungen gebe
für den geschehnen Entschluß, diesen: zu sein!
Seidener Faden, kamst du hinein ins Gewebe.

Welchem der Bilder du auch im Innern geeint bist
(sei es selbst ein Moment aus dem Leben der Pein),
fühl, daß der ganze, der rühmliche Teppich gemeint ist.

(Rainer Maria Rilke, Sonette an Orpheus, Zweiter Teil, XXII)

 




Erquicklicher als Licht...

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Ingrid Haselberger

(tl, dr: Eine gute Diskussionskultur basiert […] zu allererst auf der wertschätzenden Haltung eines Philosophen. Wo, wenn nicht in Deutschland, dem Land der Dichter und Denker, sollte das zu schaffen sein?)



Daß kein einziger Mensch auf dieser Welt überzählig ist, daß jeder einzelne wie ein Ton in einer großen Symphonie ist, und daß diese Symphonie erst durch den Zusammenklang aller dieser Töne entstehen kann (1) – das empfindet offenbar auch Ali Can.

Ali Can ist der älteste Sohn einer immigrierten, türkisch-kurdisch alevitischen Familie aus dem Südosten der Türkei. Aufgrund der Diskriminierung der Aleviten in ihrem Heimatland entschloß sich die Familie 1995, in Deutschland um Asyl anzusuchen.
Über sich selbst sagt Ali Can (HBB (2) S 20):
Ich bin in der Türkei geboren und lebe seit meinem dritten Lebensjahr in Deutschland. Bis zu meinem 16. Lebensjahr habe ich nie ernsthaft über meine Herkunft nachgedacht. Unter den Jungs, mit denen ich damals auf dem Marktplatz, auf dem Schulhof oder im Jugendzentrum in Warendorf abhing, war völlig klar: Unter uns sind Türken, Kurden, Russen, Albaner, aber das geht in Ordnung. Hauptsache, du bist cool oder spielst gut Fußball.

Das klingt nach wunderbarer Integration, von Anfang an!
Allerdings (HBB S 140):

Vielleicht mache ich den Eindruck, als hätte ich nie Probleme mit dem Integrieren gehabt. Doch so einfach war es nicht – vor allem wenn ich mich ausgegrenzt fühlte oder nicht damit umgehen konnte, dass ich aufgrund meiner Herkunft »anders« bin. So ging ich zum Beispiel schon in der Grundschule mit zum Elternsprechtag, um für meinen Vater zu übersetzen. Mir war etwas mulmig zumute, weil außer mir kein anderer Schüler da war. Bei Klassenfesten wiederum sollten die Schüler ihre Eltern mitbringen und etwas zum Buffet beisteuern. Alle anderen hatten selbstgebackenen Kuchen, Nudel- oder Kartoffelsalat mit. Nur meine Eltern, die ja keinen Streusel- oder Marmorkuchen kannten, gaben mir immer türkische Speisen wie Börek oder Lahmacun mit. Dann roch es sofort im ganzen Klassenzimmer nach türkischem Essen, und die Eltern meiner Mitschüler wunderten sich, was da so anders riecht. »Na, die Mama von Ali hat wieder türkisch gekocht.« Obwohl ein allgemeines »Ohoo, toll!« ausbrach und sich alle neugierig auf das Essen meiner Mutter stürzten, bekam ich Herzklopfen, wurde knallrot und übersetzte schnell für meine Mutter, die gefragt wurde, was sie denn da gebacken habe. Ich schätze, ich habe so mancher Mutter ein falsches Rezept weitergegeben, da ich die Zutaten weder im Türkischen noch im Deutschen so genau kannte.

Auf jeden Fall aber schämte ich mich: diese ganze Aufmerksamkeit, die vielen Fragen und die Tatsache, dass meine Mutter nur gebrochen Deutsch sprach … Erst viel später verstand ich, dass Anderssein kein Makel sein muss. Bis dahin aber wäre ich so gern wie meine deutschen Freunde gewesen. Dann wäre mir auch jene peinliche Situation im Biologie-, genauer im Sexualkunde-Unterricht erspart geblieben. Das Thema der Stunde: die körperlichen Unterschiede zwischen Mädchen und Jungen. Hierzu hatte der Lehrer eine Folie an die Wand projiziert, auf der die Genitalien von Jungen und Mädchen abgebildet waren. Als wir den Penis des Jungen genauer betrachteten, erklärte der Lehrer: »Und hier am vorderen Ende befindet sich die Eichel. Die Haut um sie herum wird auch Vorhaut genannt. Muslimische Jungs werden allerdings beschnitten, bei ihnen fehlt diese Vorhaut – nicht wahr, Ali?«

25 Augenpaare drehten sich zu mir um. Am liebsten wäre ich im Erdboden versunken … […] auf dieses Erlebnis hätte ich gut verzichten können, denn natürlich wurden danach Witze über mich und meine »Eigenheit« gerissen. Und ich hatte das Gefühl, nicht dazuzugehören. Diese Gefühle von Ausgegrenztsein und Einsamkeit waren noch einmal besonders schrecklich, als ich mit ein paar anderen Jungs in eine Jugenddisco gehen wollte. Jeder von uns zeigte dem Türsteher seinen Ausweis und wurde in die Disco reingelassen. Nur ich wurde mit den Worten »Heute nicht« abgewiesen. »Wieso das denn?«, fragte ich den Türsteher, der mich aber bloß zur Seite schob, murmelte »Ist schon zu voll da oben« – und weitere Leute hineinließ. Wütend, enttäuscht und traurig fuhr ich nach Hause, wo ich das Gedicht »Ich bin Kanacke und das ist kacke« schrieb.


Trotz solcher Schwierigkeiten fühlt Ali Can sich als Deutscher. Wie sehr, das bemerkt er erst mit 16 Jahren (HBB S 21):
Ein wichtiger Meilenstein in meiner Selbstwahrnehmung war unser erster Familienurlaub in Pazarcik, meiner Heimatstadt im Südosten der Türkei. Diese Reise vor acht Jahren hatte eine große Wirkung auf meine Identität und Integration.

Als ich in Pazarcik ankam, verschlug es mir die Sprache. Eine Berglandschaft, aber kaum Grünflächen, keine richtigen Straßen, niemand hielt sich an Verkehrsregeln (ohne die türkische Gelassenheit hätte ich die Taxifahrt bestimmt nicht überstanden). Die Bevölkerung ist sehr arm, die Häuser sind klein, oft ohne Fensterscheiben und Türen. Und überall laufen gackernde Hühner herum, Katzen und Straßenhunde wühlen in den unzähligen Müllhaufen … Hier also war ich geboren, hatte aber das Gefühl, im falschen Film zu sein. Über 3200 Kilometer weit musste ich reisen, um erstmals richtig zu begreifen, dass Deutschland meine Heimat ist.


An der Realschule entscheidet der Heranwachsende sich für das Wahlfach praktische Philosophie (HBB S 155):
Ich war zwölf, als ich zum ersten Mal Philosophie-Unterricht hatte – und mich Hals über Kopf in dieses Fach verliebte. Fragen über Moral, Logik, gutes Handeln … Ich war hin und weg, über so etwas öffentlich nachdenken zu dürfen. Im Ethik-Unterricht der Oberstufe habe ich dann am eigenen Leibe gemerkt, wie wichtig die Haltung der Philosophie treibenden Menschen in hitzigen Diskussionen ist. Unsere Ethik-Lehrerin legte glücklicherweise viel Wert darauf, auch bei konträren Meinungen sachlich zu bleiben und nicht davon auszugehen, es gebe nur eine richtige Meinung. Und in der Auseinandersetzung mit dem »Dilemma« wurde mir klar, dass es bisweilen nicht die Lösung für ein Problem gibt, sondern verschiedene Blickwinkel auf ein und dieselbe Sache mit jeweils unterschiedlichen Ansätzen.


Der Unterricht dieser Ethik-Lehrerin fiel auf fruchtbaren Grund – wie sehr Ali Can diese Haltung verinnerlicht hat, zeigt sich nach dem Aufkommen der Pegida im Herbst 2014 (HBB S 9):
Mit besorgten Bürgern könne man einfach nicht reden – vor allem nicht mit jenen, die auf der Pegida- oder AfD-Welle mitschwimmen. So oder so ähnlich höre ich es immer wieder in meinem Umfeld. Selbst der ehemalige Bundespräsident Joachim Gauck hat sich auf die Frage, ob Pegida-Demonstranten durch Gespräche zu erreichen seien, folgendermaßen geäußert (3): »(…) wer so gründlich und ausdauernd seinen Frust pflegt, dass er nicht mehr zuhört, den erreicht man auch mit noch so vielen Angeboten für Gespräche nicht.« Als ich das las, fragte ich mich, ob er selbst denn zugehört hat und wie viele Gespräche er geführt haben muss, um so ein Urteil über tausende Menschen fällen zu können.


Soweit zur Vorgeschichte.
Wir kommen zum Februar 2016 (HBB S 11):
Als ich Anfang Februar 2016 das sogenannte Clausnitz-Video (4) gesehen hatte, war mein persönliches Fass übergelaufen: Ich war echt schockiert. Dieser wütende Mob, der einen Bus mit geflüchteten Menschen, die zu ihrer Flüchtlingsunterkunft gebracht werden sollen, blockiert. Die Männer, die aus der Meute »Ab nach Hause«, »Widerstand«, »Verpisst euch« brüllen oder chorisch »Wir sind das Volk« rufen. Und im Bus völlig verängstigte und weinende Frauen und Kinder.

[…]

Während in meinem Umfeld ein großes Pegida-, AfD- und Sachsen-Bashing stattfand, hatte ich Hemmungen, tatenlos zuzusehen. Ich wollte aktiv werden. In meinem Kopf sprudelten die Fragen: Wie komme ich als jemand mit Migrationshintergrund und -vordergrund mit aufgebrachten Bürgern ins Gespräch? Wie kann ich an ihr Mitgefühl appellieren? Wie reagiere ich auf ihre Argumente und Sprüche? Schaffe ich es, ihre Feindbilder und Sorgen abzubauen? Hat es überhaupt einen Sinn, das Gespräch zu suchen?

Um Antworten zu finden, musste ich vor Ort sein, also jene Gegenden aufsuchen, die ich nur aus den negativen Berichten kannte. Und so beschloss ich, die aufgebrachten Menschen aus den Nachrichten zu treffen, um wenigstens miteinander und nicht übereinander zu sprechen. Denn ich war der Überzeugung, dass dies ein, wenn nicht sogar der einzige Weg zu gegenseitigem Verständnis sei.


Ali Can entschließt sich also, gegen die eindringlichen Warnungen von Familie und Freunden, zu einer Reise nach Sachsen.
Die erste Station ist Leipzig. Auf der gerade stattfindenden Buchmesse macht er Erfahrungen darüber, wie das „Setting“ ein Gespräch beeinflussen kann (sobald sich Zuschauer einstellten, beobachtete er, daß sowohl er selbst als auch sein Gegenüber, mit dem er sich zuvor friedlich und »auf Augenhöhe« unterhalten hatte, nervöser wurden und nicht mehr authentisch miteinander sprachen).
Aber (HBB S 13):
Abgesehen von einzelnen schlechten Erfahrungen habe ich in Leipzig fast nur interkulturell aufgeschlossene und weltoffene Menschen getroffen. Ich musste meine Schubladen im Kopf also dringend aufräumen. So merkwürdig es klingen mag: Ich war wirklich verblüfft, wie schön Leipzig ist und wie offen die meisten Menschen dort sind. Zwar hören die Leipziger das nicht gern, aber ich fand, es lag schöne Berlin-Stimmung in der Luft.


Auf dem Theaterplatz in Dresden findet gerade eine Pegida-Veranstaltung statt.
Während auf der Bühne fremdenfeindliche Reden geschwungen werden, gelingt es Ali Can auch hier (allerdings erst, nachdem er seine Kamera wieder eingepackt hat), mit einzelnen Menschen ins Gespräch zu kommen. Man spricht über Goethe und Schiller, über die Semperoper, ist sich einig über den wichtigen Beitrag des Theaters zur »moralischen Erziehung«; jemand klagt über die Jugend, die keinen Sinn mehr für Theater besitzt und lieber am Handy klebt...

Und dann bricht der nächste Sprechchor los (HBB S 17):
»Abschieben, abschieben, abschieben.« Prompt gingen mir meine eigene Geschichte, das Schicksal mancher Freunde und die Bilder aus dem zerstörten Aleppo durch den Kopf. Wohin abschieben? Warum? Ich konnte einfach nicht glauben, dass all diese Menschen den Schutz von geflüchteten Menschen infrage stellten. Von weitem erblickte ich den netten, älteren Herrn von vorhin. Auch er rief mit. Ich war fassungslos. War das Flüchtlingsthema womöglich ein Ventil für andere Probleme? Auf jeden Fall meinte ich zu spüren, dass alle um mich herum unzufrieden waren, wenn auch aus unterschiedlichen Gründen.


Dann hilft der Zufall weiter – in Gestalt eines Schokolade-Osterhasen, den Ali Can zufällig in der Tasche trägt. Als er ihn herausnimmt, um ihn zu essen, zieht er damit die Aufmerksamkeit der Umstehenden auf sich. Man schmunzelt – und es gibt einen Anknüpfungspunkt für ein Gespräch (HBB S 18f):
Spontan zügelte ich meine Lust auf Schokolade und spazierte mit dem goldenen Schokohäschen durch die Menschenmenge auf dem Theaterplatz. Vielleicht hatte ich ja endlich das gewisse Etwas in der Hand. Demonstrativ hielt ich den Osterhasen hoch, dazu ein charismatischer Blick … Und? Hatte ich zuvor das Gespräch mit den Pegida-Anhängern gesucht, wurde ich nun auch mal von ihnen angesprochen.

[…]

Mit meinem Schokohasen in der Hand gelang es mir, viele Gespräche zu beginnen und die anfängliche Barriere des Misstrauens aufzulösen. Mit dem einen oder anderen konnte ich auch diskutieren, ohne dass wir uns gegenseitig verletzten. Die meisten verabschiedeten sich mit einem freundlichen Lächeln. […] Dank des Osterhasen in meiner Hand nahmen die Demonstranten meine positive Haltung ihrer Kultur gegenüber wahr, so dass einige sich automatisch von dem Schubladendenken, das auf der Bühne fabriziert wurde, distanzierten.

Ali Can fährt wieder nach Hause, um einige Erfahrungen reicher (HBB S 20):
Mein Fazit? Wer bei besorgten Bürgern wie Pegida-Demonstranten eine wertschätzende Haltung gegenüber Migranten anstoßen möchte, muss den Demonstranten erst einmal selbst mit Wertschätzung begegnen.
[…]

Auf meiner »Osttour« habe ich jedenfalls Sorgen mitbekommen, die ich nachvollziehen kann.


Kurz darauf erhält Ali Can einen Anruf (HBB S 26):
Wenige Wochen nach meiner Tour durch Ostdeutschland rief mich eine Frau an, die ich auf dieser Reise kennengelernt hatte. Wir hatten uns über muslimische Männer und die Silvesternacht in Köln unterhalten, darüber, dass ihr das, was man so in den Medien höre, sehe und lese, Angst mache. Nun, sagte sie, müsse sie mir von einer Begegnung berichten, die sie sehr bewege.

»Neulich hat mich ein Flüchtling an der Bushaltestelle nach dem Weg gefragt. Ich habe ihm den Weg erklärt und bin auch ein Stückchen mitgegangen, weil er kaum Deutsch konnte. Er war mir dafür so dankbar, hat gar nicht mehr aufgehört, sich zu bedanken. Ich war richtig gerührt. Der war eigentlich ganz nett …« Diese positive Erfahrung wollte sie nun mit mir teilen. Die Reise zu Pegida und Co. trug also erste Früchte, worüber ich innerlich jubelte.


Und da Ali Can nicht jeden Montag nach Dresden fahren konnte, um der »Migrant des Vertrauens« zu sein, entschloß er sich zur Einrichtung der »Hotline für besorgte Bürger«. Seither kann man jeden Mittwoch- und Donnerstagabend am Telefon mit Ali Can (und einigen anderen ehrenamtlichen Mitarbeitern) anonym über alle mit Flüchtlingen, Asyl, Migration und Integration zusammenhängenden Themen und Sorgen sprechen.
Auf der website der hotline (5) heißt es:
Was uns wichtig ist: Wir sind FÜR etwas, nämlich für freie Meinungsäußerung und gelebte Demokratie, bei der es eben auch Meinungsverschiedenheiten geben darf.
[…]

Wir sind nicht GEGEN etwas. Nicht gegen Politiker, Parteien, Sie als besorgter Bürger, nicht gegen eine spezifische Meinung, nicht gegen eine spezielle Partei. Wir sind ausschließlich FÜR etwas! Das Besondere unserer Hotline ist also unsere parteiübergreifende, überkonfessionelle und möglichst neutrale Position, daher können Sie gerne anrufen, egal, welche Partei Sie wählen oder nicht wählen.

Unser Motto, frei nach Evelyn Beatrice Hall, die dem französischen Aufklärungsdenker Voltaire folgendes in den Mund gelegt haben soll:

»Ich mag verdammen, was Du sagst! Aber ich werde mein Leben dafür einsetzen, dass Du es sagen darfst!«


Diese niemals destruktive, sondern durchwegs konstruktive Haltung läßt mich an ein Bonmot von Karl Kraus denken: »Würde ist die konditionale Form von dem, was einer ist.« So steht es in seinem 1908 in der Fackel erschienenen Essay über die Menschenwürde (6), der Kraus die Eigentümlichkeit zuschreibt, »immer dort zu fehlen, wo man sie vermutet, und immer dort zu scheinen, wo sie nicht ist«– womit die Spitze seiner Feder, wie so oft, auf einen bedauerlichen zu beobachtenden Tatbestand gerichtet ist.
Wenn ich diese Sätze allerdings in anderer Richtung weiterdenke, indem ich nicht nur das betrachte, was mein Gegenüber in diesem Augenblick ist, sondern auch auf seinen Konditional blicke, auf seine Würde – auf das, was er sein könnte; wenn ich mich bemühe, in Gesprächen »auf Augenhöhe« den Reiter anzusprechen, und nicht den Elefanten, über den ich mich vielleicht grad ärgere (7) – dann wirke ich mit daran, dieser Möglichkeit zur Wirklichkeit zu verhelfen.
Ich denke auch an eine Stelle aus Jens Peter Jacobsens Roman Niels Lynhe:
»Du sollst nicht gerecht sein gegen ihn; denn wohin kämen die Besten von uns mit der Gerechtigkeit; nein; aber denke an ihn, wie er die Stunde war, da du ihn am tiefsten liebtest...«

Ali Cans Anliegen ist das Brückenbauen, mithilfe des Gesprächs von Mensch zu Mensch.
Er ist davon überzeugt, daß wir alle unsere Ängste verlieren, »wenn aus Fremden Bekannte werden«, und plädiert für »Räume des Miteinanders, wo wir einander kennenlernen und wo sich kulturelle Werte im Tun und Erleben vermitteln.«
Dabei kümmert Ali Can sich natürlich nicht nur um „besorgte Bürger“, sondern er bemüht sich auch darum, jungen Geflüchteten die Verfassung näherzubringen, »zum Beispiel in Sachen Religionsfreiheit. Es geht nur in beiderseitigem Bemühen.«

Die grüne Schlange aus Goethes Märchen (8) fällt mir ein, die ihren eigenen Körper als Brücke über den Fluß zur Verfügung stellt:
„Was ist herrlicher als Gold?“ fragte der König.
„Das Licht,“ antwortete die Schlange.

„Was ist erquicklicher als Licht?“ fragte jener.
„Das Gespräch,“ antwortete diese.

[…]
„Was hast du beschlossen?“
„Mich aufzuopfern, ehe ich geopfert werde.“

In seinem Buch Hotline für Besorgte Bürger. Antworten vom Asylbewerber Ihres Vertrauens berichtet Ali Can, wie es zu dieser Hotline kam, und dokumentiert sowohl den Wortlaut einiger Telefongespräche als auch, unmittelbar anschließend, seine Empfindungen und Gedanken während dieser Gespräche.
Die Anrufer sind einerseits Menschen, die ehrenamtlich in der Flüchtlingshilfe tätig sind und dabei auf so manche kulturell bedingten Schwierigkeiten stoßen, andererseits (die eigentliche Zielgruppe) „besorgte Bürger“, die der Pegida und der AfD nahestehen.
Im Verlauf eines dieser Gespräche staunt man gemeinsam über die Fragen aus dem Einbürgerungstest, die »ein junger Mann aus Köln, der sich über integrationsunwillige Migranten aufregt« selbst nicht alle beantworten könnte. Und ein AfD-Mitglied bietet Ali Can schließlich sogar die Mitgliedschaft in der AfD an; er würde annehmen, antwortet Ali Can – allerdings nur unter der Bedingung, daß die AfD seine Werte übernehme, und daß ihr Kürzel künftig „Ali für Deutschland“ bedeuten solle...
Nun, so weit ist es doch noch nicht.
Und es geht natürlich auch nicht immer so glatt, wie man jetzt vielleicht meinen könnte. In manchen Fällen hilft auch kein Schoko-Osterhase... Ali Can gibt trotzdem nicht auf:
Es gibt auch gewalttätige Rechtsextreme, die wollen nicht mehr reden. Aber um die geht es eher weniger bei meinem Angebot. Ich richte mich an diejenigen, die AfD wählen, zu Pegida gehen, die unzufrieden sind, die sich vielleicht auch rechtspopulistisch äußern. Die sehe ich wie in einer Drehtür: Die können nach rechts gehen, aber sie können auch wieder umdrehen. Die sind orientierungslos. Und je mehr wir uns gegen sie positionieren, umso mehr identifizieren sie sich als Rechte. Auf meiner Reise durch den Osten haben mir viele gesagt: Wenn wir immer als Rassisten abgestempelt werden, sobald wir den Mund aufmachen, dann sind wir es eben auch.

(Interview mit Hendrik Ternieden (9))


In seinen Gesprächen mit „Menschen in der Drehtür“ versucht Ali Can, jegliche Etikettierung zu vermeiden – und damit auf seine Weise »neue Impulse im Selbstverständnis rechtsgesinnter Menschen zu setzen«(HBB 112f):
Mit meinen Gesprächen will ich schließlich das Individuum erreichen und nicht irgendeine vermeintlich homogene Gruppe. Das kann ich jedoch nur, wenn ich den Gesprächspartner nicht sofort in eine wie auch immer geartete Schublade stecke. Ich spreche ja nicht mit dieser oder jener Partei, sondern mit einem ihrer Mitglieder. Insofern durfte ich Herrn Wengert natürlich weder vorwerfen, er habe meinen Gesprächsansatz nicht verstanden, noch mich persönlich von seinem Gutmenschen-Stempel angegriffen fühlen. Stattdessen hielt ich kurz inne, wenn ich mich über eine Aussage ärgerte, und konzentrierte mich auf einen möglichen gemeinsamen Nenner, den ich heraushörte. Ich picke mir also heraus, was allgemein vertretbar ist, und bestätige es. Erst danach nehme ich mir die Aspekte vor, die ich nicht teile.


Denn, so ist Ali Can überzeugt (HBB S 156):
Eine gute Diskussionskultur basiert […] zu allererst auf der wertschätzenden Haltung eines Philosophen. Wo, wenn nicht in Deutschland, dem Land der Dichter und Denker, sollte das zu schaffen sein?


Ich wünsche diesem besonderen jungen Mann von Herzen viel Erfolg für sein Brückenbau-Projekt!

= = =

1) vergleiche dazu meinen Aufsatz Der ganze, der rühmliche Teppich... https://egoistenblog.blogspot.co.at/2018/01/der-ganze-der-ruhmliche-teppich.html
2) Ali Can: Hotline für Besorgte Bürger. Antworten vom Asylbewerber Ihres Vertrauens
3) Sächsische Zeitung 11.12.2015, http://www.sz-online.de/nachrichten/pegida-missbraucht-den-ruf-wir-sind-das-volk-3274376.html
4) http://www.spiegel.de/video/fluechtlinge-rechte-bepoebeln-bus-mit-fluechtlingen-clausnitz-video-1651667.html
5) http://www.hotline-besorgte-buerger.de/
6) Karl Kraus: Menschenwürde (Essay), http://gutenberg.spiegel.de/buch/-4687/44
7) siehe I.H.: Der Elefant und sein Pressesprecher – und ein mögliches Erwachen, https://egoistenblog.blogspot.co.at/2018/01/p-margin-bottom-0.html
8) Goethe: Das Märchen, http://gutenberg.spiegel.de/buch/-3633/1
9) http://www.spiegel.de/panorama/gesellschaft/fluechtlinge-ali-can-bietet-hotline-fuer-besorgte-buerger-an-a-1111169.html

Alexander Dugin steht im Nachthemd im Vorgarten und erklärt mir den Okkultismus

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Können diese Augen lügen?
Frau Brings steht seit gestern Abend im Vorgarten im Blumenbeet in ihrem Nachthemd. Aber, freilich, Frau Brings aus dem Dorf, ist vor zwanzig Jahren gestorben, nachdem sie, dement und verwirrt, oft im Nachthemd durch das Dorf geeilt war- orientierungslos. Freilich war sie der Pflegerin gegenüber so hellsichtig, ihr einen Ableger ihrer Frühblüher abzutreten. Seitdem genießen wir jeden Januar- in der letzten Woche des Monats- die hervorquellende dunkelgelbe Pracht und sagen: Frau Brings lässt grüßen. Freilich, es ist ein Gedenken, das jedes Mal einige Erinnerungen an Frau Brings hervorruft, und man könnte sagen: Sie ist uns in diesem Gedenken nah, ja vielleicht sogar präsent. Es ist kein Visualisieren oder assoziatives Selbst - Suggerieren eines Gespenstes im Nachthemd gemeint.

Genau das aber tut der in anthroposophischen Kreisen so verbreitete naive Realismus. Da werden der „Wesenszoo“ Rudolf Steiners- von Engeln über verschiedene Teufel bis hin zum Doppelgänger, aber auch diverse innere Entwicklungsschritte (nach oben, höher, leibfrei!) im Muster der sensorischen Erfahrung so lange vorgestellt, bis die Einbildungskraft - so weit kann es gehen- womöglich eine „Erfahrung“ vermittelt. Ich gedenke heute also nicht nur der Frau Brings, sondern auch dem Begriff „Naiver Realismus“, den Georg Kühlewind 1981 (1) in mein Bewusstsein gebracht hat: „Wird der naive Realismus, d.i. jeder Realismus, theoretisch überwunden, kann die Intuition des lichtvollen und lebendigen Charakters der Erkenntnisquellen aufgehen. Dieses Gebiet wird dann nicht mehr vorstellbar sein, da unser Vorstellungsvermögen durch das gegebene Erkennen geprägt ist, aber die gedankliche Intuition eines lichteren und lebendigeren Erkennens kann dem Denkenden aufgehen, und damit kann die Suche nach den Methoden beginnen, mit denen die Erkenntnis-, die Bewusstseins- Fähigkeiten erweitert werden können, um das ideell Begriffene zur Erfahrung zu machen.

Allerdings ist die magische Macht der Selbstsuggestion faktisch vorgegeben durch den Vergangenheit- Charakter unseres Denkens selbst - bei dem die Faktizität, nicht die intuitive Dynamik ins Bewusstsein tritt und damit auch das scheinbare „materiell“ und Fertig- Sein der natürlichen Welt um uns herum. Auch deren „Ausdruck“, ihr Willens- und Gefühlscharakter wird so wenig erlebt wie die Dynamik des Denkens selbst. Noch schlimmer, ist mit diesem Zug des Gegenüber- Tretens gegenüber einem objekthaft Erfahrenen das Subjektsein unseres Ego verknüpft- das Ich konstituiert sich am geschlossenen Weltbild und fürchtet eine dynamische, willen- hafte Überschreitung jeder Grenze, die dieses Gefüge infrage stellen könnte. Das Eintreten in ein rein „lebendiges“ Feld, in dem das Ich sich nicht an einem Gegenüber, der Welt der Objekte, konstituieren könnte, ist daher mit Furcht belegt: „In diesem Sinne ist Wahrnehmen ein fortwährendes Grenzerlebnis in seinem undenkbaren, nicht- begrifflichen Teil, dem Element, das Willenscharakter hat. In diesem von außen auf den Menschen einwirkenden „Willen“ ist das „Begriffliche“ zwar auch enthalten, doch noch in lebendiger Form, da es eben noch im Willensmäßigen ist. Der Willenscharakter des Schöpferwortes „Es werde“ lebt in dem Wahrnehmen als Wille und zugleich als Idee von übermenschlichem Maß weiter.“ (2)

Und ja, die neuen Zeiten machen es nicht einfacher. Wo ist deine Existenz geblieben? Du hast dir das Alter anders vorgestellt. Die neuen Nachbarn kennst du nicht mehr, sie haben ihre Freunde bei Instagram, deine Ex- Frau wischt sich durch Tinder und sucht athletische Männer, deine Kinder leben in weit entfernten Städten und Ländern und gehen Berufen nach, von denen du nicht wusstest, dass sie existieren, deine Sprüche und Belehrungen will niemand hören, dein Job wird jetzt von einer 24jährigen Praktikantin mit Smartphone gemacht, dein Auto, das du noch 8 Jahre abbezahlen musst, ist schon ein digitaler Dinosaurier und deine Wohnung sinkt laut Immobilienscout jedes Jahr 3,5% im Wert. Deine Straße wird jetzt bewohnt von langbärtigen Hipstern und Flüchtlingen aus weit entfernten Bürgerkriegen, aber auch jungen Leuten, deren Augen merkwürdig glasig wirken. Dein Supermarkt ist ins Internet verzogen und dein Fahrkartenautomat spricht eine merkwürdige Symbolsprache. Ist es ein Wunder, dass du dich innerlich in die Phalanx der Abgehängten und Frustrierten einreihst? Ist es ein Wunder, dass dein naiver Realismus eine universelle Verschwörung gegen dich produziert und du denen folgst, die deinem angeschlagenen Ich noch ein wenig Nahrung gönnen? Etwas spirituelle Erklärung? 

Nein, von Engeln und Dämonen will der moderne naive Realist nichts mehr hören, so wenig wie von Gespenstern und Frau Brings im Vorgarten. Das postmoderne Ich sucht den ganz großen Endgegner, deine Wut sucht die Revolte gegen die globalen Eliten, die demokratischen Spielregeln haben versagt, die neuen Propheten sind smarte Welterklärer. Was willst du noch im CDU- Ortsverein, wo früher die schweren, bierlastigen Dickschiffe dominierten? Auf nichts mehr ist Verlass. Heute sitzt da ein 30jähriger Milchbart und diskutiert die Flüchtlingsquoten. Nein, da gehst du lieber dorthin, wo es noch klare Kante und eindeutige Stellungnahmen gibt- sagen wir, zur AfD oder in den anthroposophischen Zweig. Dort wird dir noch erklärt - wie hier auf der Tagung „Terror, Lüge und Wahrheit“ (3), wie die Welt wirklich tickt, und zwar von kompetenten Menschen wie Dr. Daniele Ganser, Elias Davidsson, Thomas Mayer (der ein echter „Europäer“ ist) und natürlich dem unvermeidlichen YouTube- und Waldorfstar Ken Jebsen. Hier werden dir die verdeckte Kriegsführung der westlichen Eliten, Kinderpornografie, verdeckter Staatsterrorismus (was man früher Demokratie nannte) und 9/11 erklärt. Dein angeschlagenes Ego kann aufatmen, deine Wut kann verrauchen, Frau Brings steht mit einem Erzengel im Vorgarten und dein Weltbild ist immer noch in Ordnung.

Im Ernst: Der naive Realismus ist mit dem Übergang ins digitale Zeitalter, in dem die Sicherheit, Gewissheiten, die Kontinuität der Lebensentwürfe und der Moral aufgelöst werden, zur bestimmenden Macht geworden. Freilich sind die eigentlichen Okkultisten, die den „Wesenszoo“ der geistigen Welt beschwören, selbst auch irrelevant geworden. Inflationär dagegen drängen die Erklärer der angeblich okkulten, verborgenen politischen Kräfte *hinter* den Phänomenen in den Vordergrund- zumal der politische Trend genau auf dieser Soros-Clinton— Welle reitet- eine kaum verbrämte postmoderne Variante des Antisemitismus, angereichert mit Narzissmus, Nationalismus, Fremdenhass, anti- demokratischen, anti- elitären und autoritären Strukturen. Der eigentliche Star der neuen Polit- Okkult- Stars ist natürlich Alexander Dugin, der sich in jungen Jahren als Schwarzmagier sah und dann zum KGB- Fachmann für praktizierten Staatsstreich entwickelte. Seine Kontakte zur AKP, zu iranischen Extremisten, zur französischen und österreichischen Rechten sind legendär. Die Stars der Neo- Okkultisten folgen ihm und seinen Manövern und fesseln Hunderttausende Follower auf Vorträgen, Seminaren und YouTube- Channels.

Es ist nicht Frau Brings, die bei uns im Nachthemd im Vorgarten steht. Es ist Alexander Dugin.

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1 Georg Kühlewind, Die Diener des Logos, S. 54
2 dito, S. 55
3 http://www.paracelsus-zweig.ch/programm/2018/Plakat_Scala_A2_Terror_6.pdf

BOBBY: SCHEIN ODER SEIN. NEBELKERZEN ANONYMER GLAUBENSKRIEGE IDENTITÄRER TÄUSCHUNG - ESOTERISCHE SEELENPREDIGER UND SELBSTERNANNTE FRIEDENSDOKTOREN

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Januar 28, 2018
Nebelverhüllter Landschaft - Erscheinungsbild einer anonymen Maske 

Wer in der Demokratie schläft...wacht in der Diktatur auf.




Offener Brief


Michael Eggert, Sonntag, 21. Januar 2018 um 22:49:00 MEZ
Bobby: Selbstfindung in einer Scheinwelt giftiger Prophetien der Suggestion und Täuschung:
https://egoistenblog.blogspot.de/2017/11/bobby-selbstfindung-in-einer-scheinwelt.html

Zu:
Terror, Lüge und Wahrheit
3 Vorträge  mit Doktor Daniele Ganser, Thomas Meyer, Elias Davidsson und Ken Jebsen
https://www.perseus.ch/veranstaltungen-2/tagung-terror-luege-und-wahrheit

"…Bobby, Dank für den Hinweis auf diese Zweig- Veranstaltung mit denkwürdigen Titel und inhaltlich offensichtlich propagandistischer Intention. Zweigarbeit versteht sich hier offenbar als FSB- Auslegung. Wäre es nicht Zeit für einen neuen Thread?…"

Michael, ich danke für deine Anfrage!

Zweigarbeit als "FSB-Auslegung"?

So könnte man das ohne weiteres nennen. Als "Quartetto Unisono Conspiratione Daniele Ganser", so habe ich die Veranstalter bezeichnet: Es wird vom weltberühmten Friedensdoktor und Vortragsreisender aus Dornach, in Querfront der Eintracht mit dem Chef-Ideologen der esoterisch-anthroposophischen Verschwörungswerkstatt Perseus, angereichert mit den wirksamen Spaltstoffe eines berüchtigten antisemitischen Zionismus-Kritikers eine Kettenreaktion esoterischer Nebelkerzen ausgebrütet werden. Unter der Regie vom neuerdings euphorisch umjubelten Preisträger des alternativen Karlspreises, dazu Leiter seiner unbestechlichen Web-TV Medienanstalt für Volksaufklärung im Sinne des Kreml-Zaren, ein "Organ der Demokratie", soll das wahre Eurasien auferstehen.

Zu Deiner Frage zum Thread :
Ich habe etwas Zeit gebraucht da ich für Deine Überlegung zu einem neuen Thread meinerseits gerne etwas ausführlicher und grundsätzlicher antworten möchte.

Einerseits ist das Schreiben eines neuen Beitrages ist für mich mit einem relativ großen Zeitaufwand verbunden. Ein Aufwand den ich zurzeit leider nicht leisten kann. Dieser Gesichtspunkt dürfte aber von vorübergehender Natur sein. Anderseits sehe ich auch, dass sich im Blog in den letzten Monaten manches geändert hat was meine Unsicherheit nährt ob ein neuer Beitrag von mir hier überhaupt noch sinnvoll passen würde, ob der Ort dafür der richtige ist.

Zu eventuelle Möglichkeiten eines Beitragskonzeptes hatte ich mir schon vorher, unabhängig von Deiner Anfrage, Gedanken gemacht und auch einige Fragmente erstellt. Sie fließen teilweise in diesen Ausführungen mit ein. Auch Bilder dazu hatte ich schon vorbereitet. Zwei Bilder mit Überschrift habe ich mit angehängt als Anlage.

Zu den Entwicklungen im Blog:
Leider scheinen sich einige langjährige, für die Diskussion wertvolle Teilnehmer definitiv verabschiedet zu haben. Es formierten sich dabei eindrucksvoll die selbsternannten "Truppen der Anonymen" und ihre Bruderschaften, die "Krieger der Fleischlingen". Sie entpuppten und profilierten sich in ihrer identitären Sinnsuche als Ordensbrüder und Ordensschwester eines Seelenpredigers aus Niederhausen, ich möchte ihn nicht unnötig bewerben und erwähne deshalb nicht den Namen, der seine mädchen-beschwängerte Heilsbotschaft der "Unschuld", als Tarnung einbettet in einer ganz und gar nicht unschuldigen, dafür aber umso verführerischen und propagandageschwängerten Rhetorik des Hasses seiner nicht endenden esoterischen und egozentrischen Nabelschau:

"…Die Seele ist längst mit Fremden mitgegangen, hat sich mit diesen ins Bett gelegt und "Unzucht" betrieben, und daraus hervorgegangen sind all die hässlichen Kinder, die in ihr geboren wurden: Hochmut, Gier, Neid, Spott, Boshaftigkeit, Selbstsucht – kurz: Schuld…"

So beschwert er sich und spricht dabei anscheinend aus eigener Erfahrung. Die hässlichen Kinder seiner seelischen Unzucht werden im Egoistenblog entsorgt wobei der Seelenprediger und seine Glaubensbrüder mal wieder umfassend im Mittelpunkt von langen egoistischen Auseinandersetzungen gestellt werden. In Unwürdigkeit und auf  Kosten persönlicher Verletzungen der Blogteilnehmer werden seine bizarren Erzählungen über Mädchen beworben. Der Seelendienstleister offenbart sich dabei unter ausopfernder Enthaltsamkeit als Diener "heiliger" Mädchenphantasien (oder Männerphantasien?) und vermittelt eine Kostprobe vermeintlicher "Kommunion mit höheren Welten": Selbstverständlich einhergehend mit einer umfassenden "Wandlung der ganzen Seele" unter "Abwesendsein von eigenen Hineinmischungen" und bösgläubigen Heimsuchungen egoistischer Verfälschung in ebenso vermeintlicher Reinheit und Unschuld seiner erhabenen Erkenntnisse.

Ideologisch verblendet zelebriert der Seelensorger aber in schrillem Kontrast dazu auch seine zeitgeschichtliche Rhetorik der Propaganda und des Hasses. Populistisch und in esoterisch-identitärer Prägung. Als Ausdruck einer von Moskau gesteuerten Querfront voller Verschwörungsmythen ist sie gleichermaßen mit der Sprache der Neuen Rechten und der Linksextremen verwand. Es gestaltet sich das Weltbild nach dem Motto: "Glaube nichts, bevor es der Kreml dementiert!"

Ich möchte hier nicht von Angst vor Kontaktschuld (guilt by association) sprechen. Dieser Begriff gehört zum Standardrepertoire von Extremisten wie Ganser & Jebsen, wobei sie sich als Opfer sehen von Vorwürfen sie würden Verbindungen zu höchstumstrittenen Kreisen unterhalten (das tun sie aber unentwegt!). Ich sehe es allerdings als nicht unproblematisch mitzuarbeiten an einem Ort wo regelmäßig neurechte und identitäre Inhalte, auch in schein-esoterischer Machart, verbreitet, verharmlost oder unkritisch-verständnisvoll dargestellt werden. Teilweise in Form verdeckter, anonymer Glaubenskriegen.

Eine wiederholte Bezugnahme auf  Rudolf Steiner fällt dabei ins Auge und befremdet wenn "mit Augenzwinkern" geworben wird um persönliches Verständnis und Enthaltsamkeit von Urteilen über Ansichten Anderer in eine zwar nicht unkritische aber doch sehr einfühlsamen und milden Auseinandersetzung mit den Identitären Sommerfeld und Semlitsch. Bei der Bezugnahme des entsprechenden Textes wird wesentliches nicht berücksichtigt:


"Jede Ansicht kann eine wahre sein, wenn sie treu das Beobachtete wiedergibt. Und sie ist erst dann widerlegt, wenn nachgewiesen ist, daß ihr eine andere berechtigterweise widersprechen darf, welche von demselben Gesichtspunkte aus gegeben ist. Ein Unterschied hingegen von einer Ansicht, die von einem anderen Gesichtspunkt aus gegeben ist, besagt in der Regel nichts."
(Rudolf Steiner: Anthroposophie. Ein Fragment – SKA 6; GA 45)

Es ist dabei von der "Treue" der Beobachter zum Beobachteten auszugehen wenn es um Wahrheitsbildung geht und die ist im Falle der Identitären ausdrücklich nicht gegeben. Mit Stimmungsmache und Propaganda zeigen Identitären unverblümt  ihre Wesensart, manifestieren und radikalisieren ihren völkischen Denkmuster und Intentionen. Immer dabei: menschenfeindlicher, rassistischer und antisemitistischer Hetze und Agitation in verschwörungsideologischer Verlogenheit. Ansichten und Aktivitäten der Neuen Rechten wie die Identitären stehen nicht ohne Grund unter Beobachtung der Verfassungsdienste. Das ist vielsagend.

Offenlegung, Aufklärung und unmissverständlicher Distanzierung und Verurteilung von entsprechenden Tendenzen der Meinungsbildung sollten dabei jenseits der Toleranz eine Selbstverständlichkeit und eine Herzenssache sein. Das ist für mich eine Grundvoraussetzung moralischer Orientierung. Über die Wege zu mehr Menschenwürde kann man sicherlich unterschiedlicher Meinung sein, kann und sollte auch sachbezogen gestritten werden.

Michael, Deine Integrität als Bloginhaber möchte ich hiermit ausdrücklich nicht in Frage stellen. Deine Beiträge sind anregend und schätze ich sehr als Hilfe zur Erweiterung vorhandener Horizonten.

bobby




Benutzte Bilder:

Quelle: Pixabay
Freie kommerzielle Nutzung

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Die Horstkapelle spielt einsam auf

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            „No matter how I struggle and strive,
           I'll never get out of this world alive“
                 H. Williams 1952

 Die Horstkapelle ist rechtzeitig aus den uribischen Bergen zur Fasnacht, Fasching, Karneval, die in Mitteleuropa zur Zeit ausgetragen wird, zurückgekehrt. Sie spielen, das wie Elvis Presley meinte, traurigste Liebeslied der Welt von Hank Williams " I am so lonesome i could cry" , das im Jahre 1949 zum ersten Mal veröffentlicht wurde in diesem Video in freier deutscher Sprache nach.
Für 500 Euro können auch Sie liebe Leserin und Leser einen Abend mit dieser Gruppe in ihrem Wohnzimmer erleben. Der Preis ist Verhandlungsbasis nach unten kann auch verhandelt werden (oder auch der afghanische Perserteppich Ihrer Oma kann  eingetauscht werden). Sie seien da sehr flexibel meinte die Horstkapelle und ihr unsichtbarer Drummer Mista Loopz. Am liebsten spielen sie wie sie mir sagten in einer Garage mit Heizstab und Weihnachtslametta (silbern) ihre Karnevalsmusik. Die Horstkapelle grüsst alle Egoisten und die es noch werden wollen.
Es grüsst sie Herrmann Finkelsteen ( Tourmanager der Horstkapelle)
P.S. Vielleicht fragen Sie sich warum ich so einen Job mache für die Horstkapelle, nämlich, weil mir die Organisation der Volksbildung und Propaganda in Uribistan entzogen wurde.

Kuscheln ohne Fummeln oder: Vom wohligen anthroposophischen Credo

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Anti- Intellektualismus in der Praxis
Das angeblich anthroposophische Diktum, ohne Voreingenommenheit und ohne manipulative Absicht Anderen im Gespräch zu begegnen, ist eine den klassischen buddhistischen Tugenden entlehnte meditative Alltags- Praxis, die Rudolf Steiner bescheiden als „Nebenübungen“ benannt hat. Nebenübungen sind insofern durchaus zentral (ich habe nur einige genannt), als die kommunikative Ebene, das Sich- Geltenlassen, dem Anderen Räume geben, und nicht sie zuzustellen, die Nahtstelle ist, an denen meditative Praxis sich im Alltag und im Umgang mit Anderen bewährt- oder eben nicht.

Burghard Schildt hat die damit verbundene Haltung gerade bei Facebook in einem Dialog auf seine eigene, unnachahmliche Weise formuliert: „Es gibt keinen Weg „ins“ Jenseits. Aber es gibt die, einem jeden Menschen bereits innewohnende, „andere“ Bewegung. Die der Bereitwilligkeit. Also die des Willens ohne jeglichen Vorsatz. Eben des Willens, der seine Bewegung selber setzt. Diese Bewegung gibt sich allen Menschen bereitwillig hin. Ein Jeder kann mit ihr „setzen“, wie und was er will. Aber: Man kann sich mit ihr auch festsetzten.
Ins Jenseits wenden will bedeuten: Den Willen umwenden. Wobei? Dabei, indem man den Willen des „anderen“ Menschen anerkennt. Also selber nicht festsetzt, wie und was ein Anderer zu tun oder zu lassen hat. Sondern: Einfach damit aufhören, „andere“ ändern zu wollen. So ein Aufhören ist zugleich die Wendung. In das Hören auf….

Die innere Wendung, die damit angesprochen ist, bedeutet aber auch, das schnelle Urteil über den Anderen aufzuheben und die in seinem Statement mitschwingenden Intentionen und Möglichkeiten zu erwägen- auch den Kontext, aus dem er sich äußert- ja, womöglich auch das, was er anstösst und was ihm in seiner Äußerung noch nicht klar ist, was er noch nicht voll formulieren konnte. Die Potentialität des Anderen anzunehmen, ihn sich ganz aussprechen zu lassen, fördert, im Ideal, dessen innere Bewegung und damit das Gespräch selbst. Dies zumindest sehr viel mehr als ein schroffes Entgegenhalten eines eigenen Urteils, das zu folgenden Abwehr- und Verteidigungsreaktionen führt. Bedenkenswert sind aber auch die Voraussetzungen der dialogischen Haltung, die auf ein Klima des wirklichen Geltenlassens, Raum- Gebens aufbaut, das den Weiterfluss des Gesprächs wünscht, begünstigt: Der „gute Wille“.

Nun gibt es eine Reihe von Faktoren, die eben dies verhindern- vor allem dann, wenn der scheinbar gutwillig Übende die Übung dogmatisch auffasst. Die Erwartung (die häufig in diesen Kreisen auch so ausgesprochen wird), der Andere hätte „Herzensbildung“ zu praktizieren, d.h. eine eigene Meinungsbildung zu unterdrücken, gehört wohl zu den folgenschwersten Missverständnissen in dieser Szene. Die Unvoreingenommenheit als Dogma, die jede Stellungnahme lediglich unterdrückt, erscheint dann als Mangel an Haltung und Positionierung, die das ideologische Kraut ins Uferlose schießen lässt. Völlig haltlose Gerüchte, esoterischer Blödsinn und politisch abgründige Einseitigkeiten gedeihen unwidersprochen, ja, es gelingt einzelnen Personen, in einem Klima des Schweigens und Wegduckens mächtig zu werden und zu dominieren. Der Vorwurf des Mangels an „Herzensbildung“ wird zum Instrument der Unterdrückung, die scheinbare Unvoreingenommenheit zum Duckmäusertum. Das gegenseitige Freilassen funktioniert nur in einem Klima der gegenseitigen Anerkennung, nicht als Dogma und missbräuchlich eingesetztes Kampfmittel. In der Praxis und in der Geschichte der anthroposophischen Gesellschaft mit ihren gnadenlos durchgeführten und exerzierten Auseinandersetzungen, Spaltungen und Ketzerbildungen hat diese Bigotterie- das frömmelnde scheinbare Nichtaufmucken bei maximaler intriganter Partisanen - Kampftaktik- eine lange und bis heute präsente Tradition. Man muss nur in eine der großen internationalen anthroposophischen Facebook- Gruppen gehen, um diese gnadenlosen Grabenkämpfe auch heute zu erleben. Die bigotte Unaufrichtigkeit, die dem Dogma der missbrauchten „Nebenübungen“ entspringt, trägt erheblich zur Verschärfung der Auseinandersetzungen bei. Häufig sind sich die aggressivsten Teilnehmer in ihrem vernebelten, unaufrichtigen Selbstbild nicht einmal bewusst, wie widersprüchlich ein dogmatischer Kampf um Positionen betrieben wird, der vorgibt, „spirituell“ und "offen" zu sein.

Das Problem besteht wohl gerade in der Kombination mit dem ebenfalls propagierten Anti- Intellektualismus, der ja in vielen sich spirituell gebenden (aber auch rechten und antisemitischen) Traditionen zuhause ist. Rudolf Steiner wurde nicht müde, den Intellekt als Geißel der Menschheit zu brandmarken. Leider ist aber jegliche Introspektion, jede Analyse eigener Intentionen und Positionierungen, jede selbstkritische Reflexion von einer intellektuell reifen Haltung abhängig. Die Fraktion der „Herzdenker“ betreibt auch sich selbst gegenüber einen naiven Realismus: Sie machen sich selbst über sich selbst etwas vor. Über den nicht- reflektierten primitiven Dogmatismus mit Versatzstücken spiritueller Vokabeln wird der Deckmantel des „Herzdenkens“ gelegt, unter dem die aggressive Rechthaberei grassiert. Das postulierte Ideal wird zum reinen Feigenblatt, die Verdammung jeglicher Reflexion zur Brutstätte für dumpfe Machtkämpfe und Voreingenommenheit. Die toxische Kombination von postulierter Selbstlosigkeit und praktizierter intellektueller Kastration scheint ein intrinsisches anthroposophisches Credo zu sein, das die internen Diskussionen seit jeher und ohne sichtbare Änderung zumindest mitdiktiert.

Das Paradox, das in der Folge entsteht, ist ebenfalls gut in anthroposophischen Gruppen zu entdecken. Als Gegenmittel zu den zersetzenden unreflektierten und daher nicht auflösbaren Auseinandersetzungen suchen die „Herzdenker“ gern extreme Positionen, bei denen sie miteinander kuscheln können, ohne zu fummeln. Den gemeinsamen Nenner, in denen die Mitglieder der Gruppe sich gegenseitig anschmiegen können, findet man häufig in kitschigen und abstrusen spirituellen Aussagen oder Verschwörungstheorien. Da schmiegt sich der Gruppengeist wohlig aneinander und folgt einem Leittier ebenso unreflektiert wie der eigenen inneren Verfassung gegenüber. Ein kleiner Guru postuliert das „reine Denken“, und die Lämmer folgen ihm willig. Man hat die Schar z.B. hinter sich, wenn man - wie Reto Andrea Savoldelli - populistische -„objektive“- Behauptungen über die „Verbrecher“ Clinton heraus haut, sich selbst als „Historisch forschend“ und in einer „Fassaden- Demokratie“ befindlich ansieht: „Ich bin allgemein historisch forschend und da scheint es mir eine Minderheit zu sein, die sich objektiv ein Bild der Verhältnisse machen will, in denen politische Führungspuppen entstehen und welche die Wände vor Betrug, Lüge, Mord, untermalt von sexueller Perversion, errichten. Diese sind von Land zu Land, von Kontinent zu Kontinent verschieden. In Amerika hat die Fassaden-Demokratie zweifellos eine betrügerische Höchstform angenommen (es ist das meiste Geld damit verbunden) und deshalb sind die emotionalen Reaktionen auf solche Dinge unverhältnismässig. Viel zu schnell werden naive Urteile getriggert. ("Den mag ich, der kann gut tanzen und ist witzig. Die mag ich nicht, die schaut immer so verbissen. Das ist ein A..loch, weil der spricht wie ein solcher" usw.usw.) - Fassadenurteile halt.“ Die „Fassadenurteile“ sind die der anderen. Und so kuscheln sich die Follower sofort an den „Herzdenker“ an: „Aber es ist gut das es diese Minderheit gibt,die sich die Mühe machen hinter die Fassade zu schauen.Ganz ungefährlich ist es ja auch nicht.wer will schon,das Außenstehende von diesen Macht und Perversionsgeflecht weiß.So mancher Kinofilm ist da Recht nahe an der Wahrheit dran..auch wenn man ruhig das ganze dann nochmals potenzieren kann.“ Das sich potenzierende Spiegel-Blasen- Kabinett hat eine gemeinsame Ebene der abstrusen Empörung gefunden und kann sich daran aufschaukeln.


Die unreflektierte Wiedergabe von propagandistischen Schauermärchen und Querfront- Positionierungen erscheint in diesem Beispiel wie in vielen anderen ebenso wie das Posten von angeblichen karmischen Hintergründen, geistigen Erweckungserlebnissen oder anderen pseudo- esoterischen Standardaussagen der gemeinsame Nenner zu sein, auf dem das anthroposophische Diktum des Sich- Geltenlassens, des Unvoreingenommenseins und der eingebildeten Einsicht in Okkultes noch funktioniert- eine sich verstärkende Bewegung in die Gruppen- Normierungen der Anti- Mainstream- Herzdenker, denen der Wille zur kritischen Positionierung und zum Abgleich mit der Realität abhanden gekommen ist. Im politischen und spirituellen Nirgendwo kann man das eben noch, sich Wiegen im wohligen, wenn auch verblödeten Miteinander.

BOBBY: KUSCHELIG-BASLER FASCHINGSSCHWANK IM PARACELSUS-ZWEIG

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@ Stephan Birkholz: "…Aargauer Zeitung: Verschwörungsmystiker wie der Basler Daniele Ganser kapern Rudolf-Steiner-Bewegung…"

Kuschelig-Basler Faschingsschwank im Paracelsus-Zweig Basel der Anthroposophischen Gesellschaft
Die "drey scheenschte Vorträäg" im Jahr, nicht nur für Mitglieder!


Missionsarbeit in Sachen Eurasien soll dabei ganz unvoreingenommen kommuniziert werden. Und sie erstrahlt mit einem quasi-wissenschaftlichem Anstrich des Friedensdoktors. Bei der Veranstaltung esoterischer Verschwörungs-Nabelschau, mit hohem Wohlig-Kuschel-Gehalt, dürfte eine ideologische Ruhestörung andersartiger Vorstellungen daher strikt unerwünscht sein.

Nur so kann der Abbau bösartiger atlantischen Fassaden pur und unverfälscht betrieben werden und dürfen die segensreichen Impulse sogenannter Friedenstänze gegen "Terror und Lüge" und für "Wahrheit in Putinscher Deutung", zensurfrei selbstverständlich, zelebriert werden. "Wir können es kaum erwarten und ersehnen uns die Übertragung auf KenFM die uns Zeitzeuge werden lassen von diesem Ereignis wahrhaft schicksalhafter Bedeutung…" So die Stimmungslage mancher Zeitgenossen die für sich in Anspruch nehmen die "Zeichen der Zeit" verstanden zu haben.

Zensurfreiheit gab es nicht immer am Basler Fasnacht:

Friedenstanz Quelle Basler Zeitung

Weil die Eliten der Obrigkeit sich am "Friedenstanz" von Adolf Hitler und Benito Mussolini auf der Laterne der Schnurebegge von 1939 störte (rechts), musste der Maler die Gesichter einschwärzen (links).

Der Maler respektierte die Zensur und unterlief sie doch zugleich: Er übermalte die Gesichter, verwendete dafür aber keine Deckfarbe – mit dem Resultat, dass nachts, wenn die Laterne von innen beleuchtet wurde, die beiden Konterfeis deutlich zu erkennen waren.

Zum Artikel "Provokation und Zensur an der Fasnacht":
https://bazonline.ch/basel/stadt/Provokation-und-Zensur-an-der-Fasnacht/story/22951869

Der Maler Daniele Ganser versteht es mit geschickter Hand das Antlitz Putins in seine verschwörungsträchtigen Bilder zu verbergen. Auch er benutzt dabei keine Deckfarbe. Wenn die Laterne von innen beleuchtet wird durch die Kraft der Analyse und Aufklärung des Denkens verlieren die propagandistische Nebelkerzen ihre Wirkung, offenbart sich gnadenlos die Maske des Dienstherren.

Der Verfasser des Artikels in der Aargauer Zeitung heißt interessanterweise Christian Mensch. Vielleicht ein Schutzname? Er scheint sich aber auszukennen in den Verhältnissen anthroposophischer Lebensweisen. Am gleichen Tag schreibt er in der gleichen Zeitung einen Artikel zu Ita Wegman und ihre gescheiterte "Rehabilitierung" vor einem Jahr:

"…Der Ausschluss von Wegman und anderer Frauen habe dazu geführt, dass "ganze Teile der übersinnlichen anthroposophischen Bewegung" abgespaltet wurden. Die damals Zuständigen sollten für das "Unrecht" aber nicht verantwortlich gemacht werden. Denn in ihren Taten könne auch das "Wirken der Gegenmächte" erkannt werden. Selbst im Zentrum der Anthroposophen hätten wir es in Steiners Worten mit "starken gegnerischen Mächten, dämonischen Mächten" zu tun, die "gegen die anthroposophische Bewegung anstürmen" und "die sich ja doch der Menschen auf Erden bedienen"…"

Bemerkenswert ist ebenfalls die Bezeichnung Daniele Gansers als "Redner aus der ersten Fraktion der Verschwörungsmystiker". Diese Bezeichnung dürfte zutreffen. Ganser bezieht sich neuerdings immer häufiger explizit auf die umfangreichen Äußerungen Rudolf Steiners in den Vorträgen der Kriegsjahre des Ersten Weltkrieges. Gansers antiwestliche Propaganda in Bezug auf die Zeitereignisse der Gegenwart, seine Definition des Tiefen Staates (Deep State) "dass Demokratie und Wahlen nur eine Fassade seien, im Hintergrund mächtige Finanzeliten die Fäden ziehen und Politiker und Medien steuern" ist ohne diesen Hintergrund nicht denkbar. Darüber habe ich ausführlich berichtet. Auch die Teilnahme an der jetzigen Veranstaltung ist ein wichtiger Hinweis in dieser Richtung.

Quelle Perseus- Verlag
Das anthroposophische Diktum Unvoreingenommenheit und Duldsamkeit zu praktizieren, es findet meistens nur Anwendung in eigener Sache,  wird zur Mittäterschaft pervertiert wenn Manipulation und Propaganda abgründiger Tendenzen der Gegenwart nicht erkannt und den Weg geebnet wird unter dem Schutzschild eines freies Geistes- und Kulturleben. In peinlicher Verantwortungslosigkeit zeigt sich bei den Stellungnahmen derjenigen die Verantwortung tragen sollten, die Unfähigkeit solche Tendenzen angemessen zu begegnen:

Marcus Schneider, Präsident des veranstaltenden Paracelsus-Zweiges der Anthroposophischen Gesellschaft, sieht keine Probleme: "Das ist doch interessant" sagt er und plädiert für ein "offenes Geistesleben". "Die Einseitigkeit sei gerechtfertigt zur Einseitigkeit, die einem sonst durch die Medien um die Ohren geschlagen" werde. Die Vorträge seien ganz im Sinn von Rudolf Steiner, da man versuche, "hinter die Kulissen" zu schauen und hätten eine "hygienische Funktion".

Gerold Häfner, Leiter der Sektion Sozialwissenschaften der Allgemeinen Anthroposophischen Gesellschaft  zur "Scala"-Veranstaltung: "Wir nehmen nicht urteilend Stellung zu Ankündigungen anderer Veranstalter." Und: "Anthroposophie setzt sich für die Freiheit jedes einzelnen Menschen sowie für ein freies Geistes- und Kulturleben ein." Dazu gehörten die Denk- und Redefreiheit sowie auch das Recht, Veranstaltungen durchzuführen.

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Zum Artikel "Verschwörungsmystiker wie der Basler Daniele Ganser kapern Rudolf-Steiner-Bewegung":
https://www.aargauerzeitung.ch/schweiz/verschwoerungsmystiker-wie-daniele-ganser-kapern-rudolf-steiner-bewegung-132179380

Zum Artikel "Wie Ita Wegman in Ungnade fiel und nun rehabilitiert werden soll":
https://www.aargauerzeitung.ch/schweiz/wie-ita-wegman-in-ungnade-fiel-und-nun-rehabilitiert-werden-soll-132179383

Plakat Öffentliche Tagung "Terror, Lüge und Wahrheit"
https://www.perseus.ch/wp-content/uploads/2017/12/Plakat_Scala_A2_Terror_6_kl.pdf




Friedrich Benesch, Nationalsozialist, Priester und Anthroposoph

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Eine zwielichtige Person
2007 wurde im Rahmen der inzwischen nicht mehr bestehenden Website Egoisten.de und einer Kooperation mit Frau Dr. Regina Reinsperger deutlich, dass der im anthroposophischen Kontext bedeutende Theologe, Priesterausbilder, Publizist und Priester der Christengemeinschaft Friedrich Benesch nationalsozialistisch involviert gewesen ist. Bei einer Persönlichkeit, die in den 70ern und 80ern des letzten Jahrhunderts gerade auf junge Menschen begeisternd wirkte, und zwar als der Ausdruck von Integrität schlechthin, als Priester und persönlicher spiritueller Lehrer, wirkten diese Erkenntnisse schockierend. Über seine nationalsozialistische Vergangenheit war zumindest der Öffentlichkeit nichts bekannt. Ob der forschend, lehrend und publizierend tätige Benesch wenigstens der Lenkung der Christengemeinschaft bei seinem Eintritt 1947 entsprechende Erklärungen über seine Vergangenheit abgegeben hat, war dagegen zunächst nicht bekannt. In diesem vorliegenden Beitrag werden einige meiner damaligen Untersuchungen und Überlegungen neu zusammen gestellt- ebenso wie aus einem Aufsatz von Dr. Regina Reinsperger zitiert wird. Das früher in viele Teile zerlegte Dossier wird aufgearbeitet und punktuell wieder hergestellt, aber - mit fast einem Jahrzehnt Abstand- auch neu bewertet.

Kurt Brotbeck (1) sprach wohl für viele, als er zwei für die damalige anthroposophische Gegenwart bedeutende Vorträge Beneschs, in denen dieser die Entwicklung ganzer Generationen, deren angebliche Eigenheiten und Gestimmtheiten, beschrieb, in typischem Anthro- Speech äußerte: "Manches klarstellend sind zwei Vorträge, die Friedrich Benesch über die vier Generationen unseres Jahrhunderts 1984 gehalten hat. Die menschliche Wärme, vereint mit einer granitenen Gedankenklarheit, haben uns in allen Vorträgen und Schriften Beneschs immer tief beeindruckt.” Wem konnte man schon zutrauen, die innere Gestimmtheit mehrerer Generationen in treffende Worte fassen zu können- vor allem in „granitener Klarheit“? Beneschs christologische und wissenschaftliche Arbeiten schienen aus der Sicht der 90er Jahre und Anfang des neuen Jahrhunderts nicht nur untadelig, von hoher Qualität, mit wissenschaftlichen, aber auch spirituellen Bezügen versehen zu sein- sie waren auch Bestseller. (6)

Erst 2004, 13 Jahre nach dem Tod Beneschs (1907 - 1991) ergaben „Untersuchungen des Historikers Johann Böhm, eines Schülers von Benesch 1941/42 in Siebenbürgen, in der von ihm herausgegebenen Halbjahresschrift für südosteuropäische Geschichte (16 Jg., Heft 1),” (2) „ein überraschend aufgetauchtes unbekanntes Kapitel nationalsozialistischer Verirrung in der Biographie Friedrich Beneschs”:

"Nach Kennenlernen der Anthroposophie während seines naturwissenschaftlichen Studiums ab 1925 in Marburg und Halle er sich ab 1931 als Kreisjugendführer in der nationalsozialistischen «Erneuerungsbewegung» in Sächsisch-Regen betätigt. Er heiratete 1934 die Tochter seines Professors in Halle, der zugleich stellvertretender Gaukulturwart und Schulungsleiter für Rassenkunde sowie Leiter des NS-Museums war.“ Benesch wurde nach seinem Theologiestudium 1933/34 Pfarrer in Siebenbürgen und 1936 dort wegen seiner nationalsozialistischen Aufwieglertätigkeit vom kirchlichen Oberdisziplinargericht seines Amtes enthoben. Er setzte dann sein Studium in Halle fort und trat im Juli 1939 hier in die Waffen-SS (dazu s.u.) ein. Nach Anschluß Nord-Siebenbürgens an Ungarn wurde er in Sächsisch-Regen zum Kreisleiter ernannt, avancierte erneut zum Pfarreramt und leitete 1944 den Flüchtlingszug des Dorfes Birk gen Westen. Ein biografischer Überblick findet sich bei anthrowiki. (3)

Nach dem Krieg 1947 zum Pfarrer der Christengemeinschaft geweiht und als Seminarleiter lange Jahrzehnte als Theologe, Naturforscher und Redner tätig, hatte Benesch nicht über seine nationalsozialistische Vergangenheit gesprochen oder geschrieben. Auch seine nächste Umgebung und Pfarrerkollegen ahnten angeblich davon nichts. Seitens der Christengemeinschaft wurden die von Böhm genannten Quellen im Bundesarchiv Koblenz überprüft und als richtig bestätigt. Benesch sagte einmal: «Denn die wirkliche Wahrheit ist nicht die Wahrheit, sondern der überwundene Irrtum». Er hat nur leider nicht davon berichtet.

War die Biografie Hans-Werner Schroeders (4), die 2007 erschien, noch in Bezug auf die nationalsozialistische Vergangenheit Beneschs geschönt, hat sich die Rezeption inzwischen in Richtung Transparenz verändert: „Friedrich Benesch (1907-1991) hat in der Christengemeinschaft eine bedeutende Rolle gespielt – als langjähriger Leiter des Stuttgarter Priesterseminars und als weltweit gesuchter Vortragsredner. Bevor er 1947 zum Priester geweiht wurde, hat er sich als evangelischer Pastor in Siebenbürgen als begeisterter Nationalsozialist betätigt. Vor einer eventuellen Priesterweihe hat jeder Kandidat den Pfarrern der Christengemeinschaft sein bisheriges Leben zu schildern. In Beneschs Lebenslauf steht von seiner politisch exponierten Tätigkeit nichts. Ob er dem damaligen Leiter der Christengemeinschaft, Emil Bock, unter dem Siegel der Vertraulichkeit davon berichtet hat, ist nicht überliefert; mit Sicherheit aber nicht so vollständig und wahrheitsgetreu, dass z. B. sein mehrfacher Versuch, in die SS aufgenommen zu werden, bekannt geworden wäre. (..) Benesch – dem auch in späteren Jahren herrisches und zugleich unbeherrschtes Verhalten von mancher Seite vorgeworfen wurde – war sicherlich nach dem Kriege kein Neonazi. Aber dass er sich früher fanatisch und glühend zum Nationalsozialismus bekannt und dies später verborgen hat, stellt die Leitung der Christengemeinschaft vor Fragen, die wohl nach seinem Tode nicht mehr gelöst werden können.

Die Christengemeinschaft will in ihren Gemeinden keine politische Agitation dulden. Sie hat sich stets für die Gleichbehandlung und gleiche Wertschätzung aller Menschen eingesetzt. Nationalismus und Rassismus haben in ihr keinen Platz. Dies gehört zu den Gründen für die Unterdrückung, die sie von 1934 an in Deutschland erfuhr, und die 1941 in dem Verbot und der Inhaftierung ihrer Mitarbeiter gipfelte. Auch die Juden wurden – in klarer Einschätzung des Risikos – nicht von den Altären verwiesen.

Die Aufarbeitung einer Biographie hat nichts damit zu tun, über einen irrenden Menschen zu Gericht zu sitzen. Aber die Leitung der Christengemeinschaft betrachtet es zumindest als Missgeschick, dass ein Mitarbeiter in ihren Kreis aufgenommen wurde, bevor die Leitung und die Priesterschaft wissen konnten, welche persönliche Vergangenheit er mitbrachte.

Hannover, 3. Januar 2009
Frank Hörtreiter
Öffentlichkeitsbeauftragter der Christengemeinschaft“ (5)


Selbstdarstellung Beneschs


In der Zeitschrift der Christengemeinschaft hat Benesch 1947 - nachdem er mit Teilen des Dorfs und Gefolge, dem ihm ergebenen Personal und der Familie nach Baden— Württemberg gekommen war- eine Selbstdarstellung (7) gegeben, die seiner eigenen Legende diente- u.a. auch die Tatsache verdrehte, dass einer wie er, der mit Schlägertrupps den eigenen kirchlichen Vorgesetzten attackiert, als nationalsozialistischer Statthalter und Verwalter gedient hatte und damit zumindest gewusst haben muss von Vertreibung und Ermordung hunderttausender Juden in seiner siebenbürgischen Wahlheimat, in der evangelischen Kirche nicht mehr willkommen war. Sehr wohl aber in der Christengemeinschaft:

Es war kurz vor Abitur, als mein Onkel Michael Weiß, ein einfacher Bauer in der unteren Vorstadt in Bistritz, mir in dem breiten Dialekt meiner Siebenbürgischen Heimat während einer lebhaften Diskussion über Berufsaussichten zurief: ",Wier dau Farra" (Werde du Pfarrer). Dieser Ausspruch erregte hellen Protest in meiner Seele. Niemals wollte ich Pfarrer werden. Was konnte man im 20. Jahrhundert noch mit dem im Grunde doch abgetanen Christentum anfangen? Die Naturwissenschaft stand im Mittelpunkt des Interesses jenes kleinen Kreises von Mittelschülern, der sich auf unserem deutschen Gymnasium gebildet hatte. Wir lasen Nietzsche und Weininger, lasen die Naturphilosophen von Schelling bis Mach und waren uns alle darin einig, dass die Beschäftigung mit den Naturwissenschaften die Menschheit dazu führen würde, alle Rätsel des Lebens im Laufe der Zeit zu lösen.
Als Beruf gab es eigentlich für mich nur den des Arztes oder des Lehrers, denn Helfen und Heilen, Erkennen und Lehren, das waren die Ideale, die uns damals bewegten. Voll der schönsten Hoffnungen kam ich im April 1925 nach Deutschland, um das heiß ersehnte Studium an einer deutschen Universität beginnen zu können. Aber bereits die ersten zwei Jahre an der Universität Marburg genügten, um die Erwartungen in tiefe Enttäuschung zu verwandeln. 

Die Naturwissenschaften: man fühlte deutlich, es ist ein ungeheures Gebiet, in das man sich langsam und systematisch hineinarbeiten muss. Eine Fülle von Einzeltatsachen ist vorhanden, die zu verarbeiten viele Jahre erfordert. Man sah sich um nach Menschen, die imstande wären, die Fülle von Einzeltatsachen zu umfassender, durchdringender und erklärender Schau zu vereinigen. Wo waren diese Männer? Man suchte auf den Universitäten unter den Fachwissenschaftlern. Aber überall da, wo die eigentlichen Antworten erwartet werden mussten, standen die großen Fragezeichen oder öder Materialismus. Zum Schicksal wurde mir, dass für das naturwissenschaftliche Studium als Nebenfach auch Theologie vorgeschrieben war, wenn man das Lehramt an den siebenbürgischen Schulen anstrebte. Die Theologie trat ja mit dem Anspruch auf, über die letzten Fragen Auskunft zu geben. Aber wo waren die großen Theologen? Bultmann und Heiler, Heim und Gogarten, alle versuchten mit den geistigen Problemen des Christentums in der einen wie der anderen Art fertig zu werden. Aber nun klaffte der große Riss gegenüber der Naturwissenschaft.- Wo war die Brücke? War die ganze Antwort der Theologie nur diese, dass für die menschliche Erkenntnis auf wissenschaftlichem Wege die letzten Fragen verschlossen bleiben und sich nur einem im Glauben vollzogenen inneren Akte öffnen können?

Mitten hinein in diese Spannungen fiel die Begegnung mit einem Menschen, durch den ich die ersten Nachrichten von der anthroposophischen Bewegung erhielt. Man konnte unmittelbar den Eindruck haben, dass hier etwas am Werke sei, was vielleicht den quälenden Abgrund zu überbrücken imstande wäre. Aber diese Ahnung musste erst an allen Einzelheiten der Naturwissenschaft wie der geistigen, insbesondere theologischen Disziplinen erwiesen werden; und so blieb nichts anderes übrig, als zunächst das Studium der Naturwissenschaft gründlich durchzuführen; So ging ich denn nach zwei Jahren an die Universität Klausenburg, und es folgte ein intensives Arbeiten als Assistent am zoologischen Institut, das mich mit den neuesten biologischen Problemen bekannt machte. Ich erkannte immer deutlicher, dass in dem, was Rudolf Steiner in der Weiterführung der naturwissenschaftlichen Schriften Goethes gab, die Möglichkeit vorhanden sei, , alle offenen Fragen der Biologie in positiver Weise zu lösen. Das bestätigte sich mir insbesondere an Stammbaumforschungen innerhalb der Egelwürmer-Gruppe. Aber auch die andere Seite musste mit derselben Exaktheit durchgearbeitet werden, und so entschloss ich mich denn, nach dem Staatsexamen in den Naturwissenschaften noch einmal Student zu werden und führte in den Jahren 1932-1934 das theologische Studium zu Ende. Auch das tat ich immer im Zusammenhang mit dem Studium der Anthroposophie, und auch hier zeigte sich bis in alle Einzelheiten hinein, mit welcher überlegenen Sicherheit die geisteswissenschaftliche Erkenntnis die Fragen der Bibelexegese und Christologie, der Kirchengeschichte und Dogmatik zu lösen imstande ist. Die Universitätslaufbahn, die sich mir am Ende dieses Studiums in Halle eröffnete, schlug.ich aus. Ich wollte nach Siebenbürgen zurückkehren, um das Erarbeitete in das praktische Leben meiner Heimat hineinzutragen.

Am 12. September 1934 zog ich mit meiner jungen Frau als Pfarrer in das nordsiebenbürgische Dorf Birk bei Sächsisch- Regen ein.(Der alte Bauernonkel hatte richtig gesehen.) Das Flusstal, aus den Bergen kommend, öffnet sich hier zum ersten Male zu einer breiten Aue, an deren Rand das Dorf unter den Weinbergen am Flusse liegt. Eine einzige lange breite Dorfstraße, zu beiden Seiten große Ziehbrunnen, die Bauernhäuser im fränkischen Stil, mit den Giebeln nach der Straße, in der Mitte des Dorfes die Kirche, das Schulgebäude und das behagliche Pfarrhaus mit hohen Tannen und Kastanien. Es war schon !eigentümlich, wie mitten in das 20. Jahrhundert hinein im siebenbürgischen Deutschtum etwas erhalten geblieben war von einer Seelenstimmung, die im Westen unter den Einwirkungen der technischen Zivilisation längst unterging. Das Leben dieser Bauern war noch getragen von den Kräften dörflicher Volksgemeinschaft, von dem gesunden alten Brauchtum, das sich am stärksten in der Tracht zum Ausdruck brachte. Im Mittelpunkt des Gemeinschaftslebens stand die deutsche Schule und die deutsche Kirche. Für ihre Erhaltung wurde jedes Opfer gebracht. Unter der Beteiligung des ganzen Dorfes fanden Schulfest und jährliche Schulprüfungen statt. Aus den Reihen der Bauern wurde das Presbyterium gewählt, dem die Sorge um die Erhaltung dieser Kulturgüter anvertraut war. Die Konfirmierten und festlich aus der Schule Entlassenen kamen in die Bruder- und Schwesternschaften, in denen ein intensives Gemeinschaftsleben gepflegt wurde.

Alle Veranstaltungen, der sonntägliche Tanz, der Kirchgang, die Fortbildungsschule und auch die Wanderungen der jungen Menschen waren noch von alten starken Ordnungen unter der Führung von Lehrer und Pfarrer getragen, und es gehörte zu den eindrucksvollsten Bildern, wenn die Schulkinder in der Christmette um; die sechs brennenden Lichterbäume versammelt den alten Quempas sangen,  oder wenn zu Pfingsten die Burschen das ganze Dorf mit Maien schmückten und nach dem Kirchgang in ihren wunderschönen Trachten zum Maientanz zogen. Verlobung und Hochzeit, Schwangerschaft, Geburt, Taufe, Einsegnung der jungen Mütter, alles hatte seinen althergebrachten geregelten Gang. Und wenn es dann zum Sterben kam, da kam der Nachbar und holte den Pfarrer, und das ganze Dorf nahm Anteil, wenn der Kelch vom Pfarrhaus in feierlichem Gange an das Bett des Todkranken getragen wurde.
Mitten in diese Welt hinein war ich nun gestellt- mit dem, was ich an Erkenntnissen aus dem 20. Jahrhundert und an Arbeiten aus der Geisteswissenschaft heraus gewonnen hatte. Es war eigentümlich genug zu beobachten, wie diese einfachen Bauern zwar gern die Früchte dieser Arbeit aufnahmen, aber ihrer ganzen Seelenhaltung nach nicht imstande waren, selber mitarbeitend daran teilzunehmen.

Mitten in dieses Leben hinein schlugen die Wellen der Ereignisse, die sich in den Jahren nach 1933 in Deutschland abspielten. Vor allem der Gedanke der Volksgemeinschaft, der durch Rundfunk und Presse und auch durch Redner an die Volksdeutschen herankam, schien auf die eigenen Lebensverhältnisse aufzutreffen und bewegte die gutgläubigen Gemüter. Um so furchtbarer musste der Zusammenbruch der Jahre 1944-1945 gerade die Volksdeutschen treffen. Die ganze Seelenhaltung, in der noch so viel altes Volkstum lebte, war ja eigentlich ein Anachronismus und musste von den schicksalsharten Ereignissen um so härter getroffen werden. Bereits im Herbst 1944 drangen die Russen in Siebenbürgen ein und sprengten den kleinen deutschen Volksstamm in zwei Teile auseinander. Die Bevölkerung des Nordens verließ die Heimat,und zog in einem ungeheuren Treck den weiten Weg aus den siebenbürgischen Bergen über die ungarische Tiefebene nach Deutschland. Damit war die äußere Bindung, die für mich in der Zusammenarbeit mit den Menschen meiner Heimat bestand, gelöst. Das Schicksal hatte gesprochen, die Gemeinschaft zerstört und die Menschen zur Erfahrung ihres persönlichen Einzelschicksals geführt. Jetzt mussten sie erleben, dass die Lebensgestaltung nicht mehr aus dem Blute möglich ist, sondern von dem einzelnen Menschen im persönlichen Umgang mit dein Geiste gesucht und gefunden werden muss. Erschütternd ist es, zu erleben, wie nun diejenigen unter diesen Menschen, deren Schicksale sie zu Begegnungen mit unserer Bewegung geführt haben, gerade aus ihrer eigenartigen, beweglichen und anpassungsfähigen Seelenhaftigkeit heraus unmittelbare Zugangsmöglichkeiten zu der Welt des Geistes finden.

Es war für mich selbst von besonderer Bedeutung, dass ich in den Jahren 1945-1947 noch eine andere Seite des Protestantismus kennen lernen konnte, und zwar die kirchlichen Verhältnisse im mitteldeutschen Industriegebiet. Ich kam als evangelischer Pfarrer in eine aus 7 Dörfern bestehende Pfarrgemeinde im Kreise Merseburg.

Die Bevölkerung, mit der ich es hier zu tun hatte, war genau das Gegenteil von dem, was ich in meiner Heimat erlebt hatte. Die vollständige Entwurzelung des Industriearbeiters, der Egoismus des Stadtrandbauern und die Seelenlosigkeit des Intellektuellen und Halbgebildeten begegnete mir hier in der Zeit des Zusammenbruchs in erschreckendem Ausmaß. Ich versuchte auch hier, ein erneuertes, geistdurchdrungenes religiöses Leben an die Menschen heranzubringen, und es zeigte sich, dass die Bevölkerung des Industriegebietes ganz andere Möglichkeiten hatte, den Unterschied zwischen einer herkömmlichen kirchlichen Tätigkeit und einer solchen, wie ich sie aus der Anthroposophie heraus versuchte, wahrzunehmen.

In zwei Jahren bildete sich bereits ein kleiner Kreis von Menschen, die von sich aus kamen und fragten, wo das Neue und nach ihrem eigenen Empfinden Tiefere herstamme, das sie in meiner Arbeit empfanden. Mehr und mehr wurde mir klar, dass es nicht mehr richtig sei, die Erneuerung des Christentums durch die kirchlichen Gegebenheiten beschränken zu lassen. Die evangelische Kirche verschliesst sich ja immer eindeutiger gegen die Möglichkeit einer wirklichen Erneuerung, wie sie insbesondere durch den erneuerten Sakramentalismus gegeben ist. Was in der jahrzehntelangen Beschäftigung mit der Geisteswissenschaft in mir selber gereift war, suchte jetzt nach einer Wirksamkeit, die ihm angemessen war. Es war mit dem Wissen um diese Dinge innerhalb der sich mehr und mehr verengenden kirchlichen Verhältnisse nicht mehr auszuhalten, und so entschloss ich mich zur Mitarbeit in der Christengemeinschaft.“


Eine andere Selbstdarstellung Beneschs

Im Rahmen seiner Dissertation 1941 - zur Erlangung eines Doktorgrades der Philosophischen Fakultät der Martin- Luther- Universität Halle (8)- hat Benesch eine durchaus anders gelagerte biografische Skizze gegeben, die seine sehr frühe Orientierung (1928) zum Nationalsozialismus zeigt, aber auch die geringe Relevanz des kirchlich - religiösen Rahmens, der für ihn vor allem als Karriere- Vehikel diente:

Ich, Friedrich Benesch, wurde am 6. Juli 1907 als erstes von fünf Kindern des Mittelschulprofessors Georg Benesch in Sächsisch-Regen, Siebenbürgen, heute Ungarn, geboren. Nach Besuch von deutschen Schulen in Siebenbürgen studierte ich an der Universität in Marburg (Lahn) mit der Absicht, die Laufbahn als Mittelschulprofessor in Siebenbürgen mit naturwissenschaftlichen Fächern einzuschlagen. Da die deutschen Schulen in Siebenbürgen konfessionell sind, wurde mir auch das Mitbelegen theologischer Fächer vorgeschrieben. In Marburg lernte ich Professor Hahne kennen und folgte ihm für das W.S. 1926-27 und das S.S. 1937 nach Halle, wo ich Vorgeschichte, Rassenkunde, Naturwissenschaften und Theologie studierte. Daneben arbeitete ich an der Landesanstalt für Volkheitskunde. Meine Tätigkeit in Halle weckte mein Interesse für die Vorgeschichte, ich wollte jedoch nicht mehr umsatteln und ging im Herbst 1927 nach Klausenburg, Rumänien, um mich für das Examen vorzubereiten.

    Seit 1928 war ich Mitglied der nationalsozialistischen Erneuerungsbewegung der Deutschen in Rumänien. Da in meiner Heimat die Kirche im Mittelpunkt des völkischen Lebens steht und ich erkannt hatte, daß dort die Erneuerung am nötigsten ist, beschloß ich, in kirchliche Dienste zu treten.
    Ich studierte zu diesem Zwecke 1932-34 wieder in Marburg und bestand im April 1934 in Hermannstadt, Siebenbürgen, das theologische Examen mit allgemeiner Auszeichnung. Im September 1939 wurde ich Pfarrer in Birk bei Sächsisch-Regen. Hier versuchte ich das religiöse, völkische und wirtschaftliche Leben zu erneuern. Die weltanschaulichen Auseinandersetzungen brachten mich jedoch in Gegensatz zu der Leitung der Kirche. Ich ging daher 1938-39 wieder nach Halle, um mich bei Professor Schulz für mein Doktorexamen mit Vorgeschichte als 
Hauptfach vorzubereiten und arbeitete gleichzeitig an der Landesanstalt für Volkheitskunde.“


„An meiner nationalsozialistischen Weltanschauung hat sich nicht das Geringste geändert… Sieg Heil!“


Als weiteren Schritt der Untersuchung nehmen wir weitere Quellen hinzu- nämlich als Zeitzeugen den Vorgesetzten Beneschs, den Bischof der Evangelischen Landeskirche, Viktor Glondys, dessen Tagebuch (9) 1997 veröffentlicht worden war.

Nach seinem Eintritt in die Waffen-SS 1939 kehrte der evangelische Pfarrer Friedrich Benesch kurzfristig nach Siebenbürgen zurück, um seine - dem Anschein nach seelsorgerische, in Wirklichkeit propagandistische Tätigkeit - bei „seinen Bauern“ wieder aufzunehmen. Benesch war bereits seit 1935 Mitglied der „radikal nazistischen DVR“ (9) und als nationalsozialistischer Propagandist in dauernde Auseinandersetzungen mit der Kirchenleitung, insbesondere mit dem Bischof der Evangelischen Landeskirche A.B. in Rumänien, Dr. Viktor Glondys, verwickelt. Die DVR- Leute gehörten, wie Glondys in seinem Tagebuch schreibt, der Cuza-Partei an, einer antisemitischen Splitterpartei. Sie traten öffentlich in blauen Hemden auf und sangen das Horst-Wessel-Lied. Benesch selbst übte, während seit 1936 kirchliche Disziplinarverfahren auch gegen ihn liefen, in seiner Gemeinde in Birk (Kreis Sächsisch Regen) „eine autoritäre Herrschaft“ (10) aus. Gleichzeitig führte er eine aggressive Kampagne gegen seine eigene Landeskirche, um eine „neue Kirche“ (11) im Sinne der nationalsozialistischen Weltanschauung zu etablieren.

Daher wurde er auch 1940 anerkennend in internen Schreiben von dem Direktor der Landesanstalt für Volksheilkunde -Dr. Walther Schulz- an den Reichsgeschäftsführer des Ahnenerbes als jemand beschrieben, der „wohl nicht gerade an der Theologie hängt“, der „führend in der jetzt auch vom Reich anerkannten Nationalsozialistischen Bonfertbewegung“, der „rednerisch sehr gut begabt“ sei- „Kämpfernatur und Führereigenschaft“ (12). Daher kam die Gemeinde in Birk tatsächlich nie zur Ruhe, solange Benesch in der Nähe war. Der Bischof konstatiert in seinem Tagebuch (18.1.1937): „Birk befindet sich wieder in vollem Aufruhr“ (13). Der „amtsenthobene Pfarrer Benesch (halte) das Heft in Birk wieder in seinen Händen“ (14). Die faschistische DVR mit Benesch „unterwühle den ganzen Reener Bezirk“ (15).

Um gewalttätige Saalschlachten wie anderswo zu unterbinden, war ein öffentliches Treffen bzgl erneuter disziplinarischer Maßnahmen der Kirche gegen Benesch nur unter erheblichen Sicherheitsmaßnahmen wie Saalschutz und Polizeiaufgebot möglich. Theologisch erschienen Beneschs Kenntnisse der Kirchenleitung als „sehr mangelhafte“ (16). Dafür konnte er jederzeit lokale Schlägertrupps organisieren, die er später gern als „seine Bauern“ titulierte. Die Vorwürfe seiner Kircheoberen gegen Benesch bestanden schon 1936 in den Punkten: Erregung öffentlichen Ärgernisses, Verletzung der Amtspflichten und Widersetzlichkeit gegen das Landeskonsistorium. Benesch antwortete darauf schriftlich am 3.11.1936: „So gehen wir in den Kampf. Wir haben ihn nicht gesucht, aber wir nehmen ihn getrosten Mutes auf (..). Sieg-Heil!“ (17)

Benesch, in seinem Kampf gegen die „reaktionäre Kirchenleitung“ (18) zunächst gescheitert, bekam spätestens 1940 mit der Ernennung Andreas Schmidts zum „neuen Volksgruppenführer der Deutschen in Rumänien durch die SS-Zentrale in Berlin“ (19) wieder Oberwasser. Der neue Bischof Staedel war stramm auf Parteilinie. Benesch wird heute von Böhm als „weithin völkisch-rassistisch umgeprägter und sich artikulierender extremer Nationalsozialist“ (20) beschrieben.

Warum sich Benesch trotz dieses Erfolges am 6.9.1940 wieder in SS-Kreisen in Halle vorstellte, ist mir nicht bekannt. Es besteht aber eine Abschrift seiner Äußerungen bzgl. einer „Vorsprache“ (21) beim stellvertretenden Führer des SS-Abschnitts XVIII. Benesch entschuldigt dabei seine theologischen Ambitionen damit, „weil in meiner Heimat bis vor kurzem Deutschtum und Kirche seit Jahrhunderten fest miteinander verbunden und in jeder Weise von einander abhängig waren“ (21). Die Kirche in Rumänien war für ihn die „einzig staatsrechtlich fundierte Organisation des Deutschtums“ (21). So gab er bereits bei seiner „Amtseinsetzung“ gegenüber der Kirchenbehörde „bestimmte Erklärungen über meine nationalsozialistische Einstellung ab“ (21), was von Anfang an zu „schweren Bedenken“ gegenüber Benesch geführt hatte. Bischof Glondys selbst habe ihm vorgeworfen, „germanisches Heidentum“ zu predigen. Nur aus strategischen Gründen habe er einen Kirchenaustritt mitsamt der Aktivisten seiner Gemeinde vermieden. Nach seiner endgültigen Absetzung habe er in Halle „Vorgeschichte, Rassenkunde und Volkskunde“ (21) studiert. 1940 habe sich seine Gemeinde erneut für seine Wiedereinsetzung („in einem „Ultimatum“) eingesetzt. Nun gab die Kirche „überraschenderweise“, aber schon („wie ich annehme“) „angesichts der geschichtlichen Entwicklung“ (Zitate 21) verständlich, nach. Die „geschichtliche Entwicklung“ bestand für Benesch wohl in der Installation von Schmidt. Benesch aber hatte sich inzwischen „restlos von der Kirche getrennt und war in Halle im Juli 1939 der SS beigetreten“. Nach seiner eigenen Darstellung war er also von Anfang an nationalsozialistischer Propagandist gewesen und betrieb seine kirchliche Berufung aus reinem Kalkül. Der Beitritt in die Waffen-SS war der konsequente Schritt einer kontinuierlichen Entwicklung und sollte nun -1940- endlich Früchte tragen.

Daher stand er mit dem „Nachgeben der Kirche“ 1940 vor einer „sehr schwerwiegenden Entscheidung“. Er entschied sich gegen „seine Bauern“ (er schreibt wirklich und wortwörtlich von „meinen Bauern“) und für „eine grosse nationalsozialistische Aufgabe“. Dies empfand er als seine wirkliche „Berufung“. Er suchte eine „fundierte Organisationsform“, die das „völkische Leben unabhängig von der Kirche“ garantierte. Die SS war sicherlich die für ihn geeignetste Organisationsform, um den rumänischen Staat von innen her anzugreifen. Die vorübergehende erneute Tätigkeit in Kirchendienst habe an seiner „durch eigene Erkenntnis und Erfahrung und eigenen Glauben gewonnenen nationalsozialistischen Weltanschauung nicht das Geringste geändert“. Man muss, nebenbei bemerkt, für einen wenige Jahre später als Pfarrer und Ausbilder der „Christengemeinschaft“ tätigen Menschen den in diesem Zusammenhang von Benesch benutzten Glaubensbegriff beachten. Er hat ein antiklerikales, inhumanes, rassistisches Credo als nationalsozialistischer Propagandist abgegeben. Es war, wie er sagt, „meine Entscheidung“.

Kein Wunder, dass die SS Leute wie Blümel, der das Protokoll dieser Vorsprache führte, beeindruckt waren: „Seine weltanschauliche Einstellung scheint vollkommen gefestigt zu sein. Sein Entschluss entspringt logischen, auf Grund der gegebenen Verhältnisse gewonnenen Erkenntnissen“.

Nach 1945 waren die „gegebenen Verhältnisse“ wiederum andere. Der Opportunist Benesch wechselte wieder die Farben und erinnerte sich seiner anthroposophischen Beziehungen. So wechselte er wiederum auch die „weltanschauliche Einstellung“ und wurde - obwohl die religiöse Bindung nach seinem Bekenntnis für ihn nicht bindend war, sondern die nationalsozialistische Weltanschauung- wieder Priester und Anthroposoph- peinlich, dass er nun nicht mehr Hitlers Herrschaft anpries, sondern „Christus in der Gegenwart“ (22).

Birk


In der Selbstdarstellung Friedrich Beneschs (7) aus dem Jahr 1948 wird das Bauerntum seiner Herkunft sowohl als auch das seiner Wirkensstätte im siebenbürgischen Dorf Birk der Jahre 1936-1940 von ihm romantisiert dargestellt.

In Bezug auf sich selbst schreibt er von seinem Onkel, der ein „einfacher Bauer“ gewesen sei, der mit dem „breiten Dialekt meiner Siebenbürgischen Heimat“ gesprochen habe. Unmittelbar nach Abschluss seines Theologie-Studiums 1934 „zog ich mit meiner jungen Frau als Pfarrer in das nordsiebenbürgische Dorf Birk bei Sächsisch- Regen ein.“ Benesch schwärmt von der Landschaft und der „Seelenstimmung“, die sich dadurch auszeichnete, dass „mitten in das 20. Jahrhundert hinein im siebenbürgischen Deutschtum“ erhalten geblieben wäre, das sich gegen die Auswirkungen der „technischen Zivilisation“ wehrte- ein Momentum, das sich gut gegenüber dem traditionell techno- phobischen anthroposophischen Publikum machte: „Das Leben dieser Bauern war noch getragen von den Kräften dörflicher Volksgemeinschaft, von dem gesunden alten Brauchtum, das sich am stärksten in der Tracht zum Ausdruck brachte. Im Mittelpunkt des Gemeinschaftslebens stand die deutsche Schule und die deutsche Kirche. Für ihre Erhaltung wurde jedes Opfer gebracht. Unter der Beteiligung des ganzen Dorfes fanden Schulfest und jährliche Schulprüfungen statt. Aus den Reihen der Bauern wurde das Presbyterium gewählt, dem die Sorge um die Erhaltung dieser Kulturgüter anvertraut war. Die Konfirmierten und festlich aus der Schule Entlassenen kamen in die Bruder- und Schwesternschaften, in denen ein intensives Gemeinschaftsleben gepflegt wurde.“ (7) Das ganze Leben war „noch von alten starken Ordnungen unter der Führung von Lehrer und Pfarrer getragen“ (7)- nicht nur, muss man sagen, denn Benesch war nach eigenem Bekunden bei „meinen Bauern“ von Anfang an tätig als nationalsozialistischer Aktivist von erheblichem Einfluss. „Diese einfachen Bauern“ waren zwar „ihrer ganzen Seelenhaltung nach nicht imstande“ (7) zu verstehen, was der junge Pfarrer eigentlich wollte, folgten ihm aber bedingungslos.

Diese Darstellung, in der Benesch auch fälschlich suggeriert, er habe damals schon aus dem Impuls der anthroposophischen „Geisteswissenschaft“ heraus gehandelt, wird aber von Zeitgenossen wie etwa Beneschs zuständigem Bischof Glondys ganz anders gesehen. Der junge evangelische Pfarrer hatte schließlich schon bei seinem Amtsantritt an seiner nationalsozialistischen Gesinnung keinerlei Zweifel gelassen. Bei disziplinarischen Maßnahmen gegen Benesch wurden die von diesem romantisierten Bauern als Schlägertrupps gefürchtet. Zum Teil rekrutierte Benesch seine prügelnden Einheiten aber auch aus den Kreisen seiner Schüler. Daher konstatiert der Bischof in seinem Tagebuch: „Birk befindet sich wieder in vollem Aufruhr“, Benesch halte „das Heft in Birk wieder in seinen Händen“ und „unterwühle den ganzen Reener Bezirk“ (9) Benesch hatte also das Dorf Birk und die anliegende Provinz im Griff- so vollkommen, dass das Auftreten des Bischofs in einer zerrissenen und innerlich gespaltenen Priesterschaft als mutig zu bezeichnen ist. Ab 1940 war ja auch tatsächlich ein Nachfolger installiert, der dann stramm nationalsozialistischen Kurs im Sinne von Benesch fuhr.

Zu dieser Zeit waren bis zu einem Drittel der Bevölkerung des weiteren Umkreises jüdischen Glaubens. Am Ende des Alptraums waren in ganz Rumänien 420000 Juden ermordet. In der Namensliste der Opfer der Shoah von Yad Vashem finden sich wenige Namen aus dem Dörfchen Birk (23). Wenn man gezielt danach sucht, findet sich z.B. ein gewisser Herr Nakhum, Vorname unbekannt. Sein Name ist nur erhalten in der Liste der Opfer, den „Yizkor books“, die auf Hebräisch in Tel Aviv gepflegt werden. In den politischen Wirren von 1939 wurden in der Region Bukovina und Nord-Moldawien bereits Hunderte von Juden von der Bevölkerung und in Pogromen der rumänischen Armee ermordet: „In all, about 420,000 Jews who had been living in Romania in 1939 died in the Holocaust. This includes those killed by the Romanian army, those who died in or on the way to Transnistria, the victims of pogroms, and the Jews of Hungarian-occupied Northern Transylvania who were murdered at Auschwitz. This number does not count those Jews living in the Soviet territory taken over by Romania during the war who also died during the Holocaust.“ (24) Ob das auch in Beneschs unmittelbarem Wirkungsumfeld geschah, ist unbekannt. Er jedenfalls trat genau in diesem Jahr dort in die Waffen-SS ein, und er war in einer Funktion - 1941 zumindest vorübergehend Kreisleiter des Kreises Sächsisch-Regen -ein örtlicher Ansprechpartner der SS, der ihn für die Vorbereitung von Deportationen prädestinierte. Er hatte auch die nötigen Handlanger unter seinem Befehl.

Aber auch wenn eine Mitschuld Beneschs an diesem Genozid nicht nachweisbar ist, zeigt sich zumindest seine Mitwirkung am ideologischen Ziel der „Abschaffung artfremder Gesittung“- so z.B. im „Arbeitsprogramm“ seiner ersten Dienstzeit - die zweite erfolgte nach seiner zeitweiligen Entlassung ab 1940- als Pfarrer der Ortschaft: „Folgendes Arbeitsprogramm entwarf Pfarrer Benesch 1934 bei seinem Amtsantritt:
„Die Gemeinde steht vor folgenden Aufgaben:
1. wirtschaftlich: Erhaltung der Mühle,
   Vermehrung der Einnahmen durch Arbeit am Pfarrgrund,
   Einbau eines Siebes in der Mühle,
   mindestens 90 % Einlauf der Kirchentaxe,
   Abzahlung der Schulden (2.250.000 Lei)
2. politisch: Aufrüttelung der Bauern aus dem Schlaf der Gleichgültigkeit.
   Anschluß der Gemeinde an die Erneuerungsbewegung.
3. moralisch/gesittungsmäßig: Abschaffung artfremder Gesittung (Zigeuner, Juden,
   städtische Tracht, fremde Tänze usw.)
4. lebensmäßig: Erzeugung eines neuen, freudigen, starken Lebensgefühls. Feste und Feiern.
5. blutsmäßig: Erzeugung von Stolz auf das eigene Blut und dessen Werte:
    Ordnung, Ehre, Sauberkeit, Geradheit.
6. Blut und Boden: Werdet bewusste Bauern! Erhaltet den Boden!
7. religiös: Locken und rufen – in Freiheit und Güte. Hilf Herr!“ (25)

Aus dem „Birker Heimatbuch“ sind sämtliche Gepflogenheiten der Zeit unter Benesch vermerkt- bis hin zur Anzahl von Vieh, das er besaß und der Blutwurst, die er aß. Als Eindruck, wie diese faschistische dörflich- klerikale Gemeinschaft unter seinem Regiment verlief, soll hier das organisierte Tanzen erwähnt werden: Um das Volkstanzen machten sich besonders Pfarrer Benesch, der letzte Birker Pfarrer vor der Flucht, und seine junge Frau, die aus Deutschland stammte, sehr verdient. Nicht nur das. Frau Benesch stand auch über viele Jahre den „Schwesternschaften“ vor, dem weiblichen Pendant zu den „Bruderschaften“. Die jungen Leute mussten nach der Konfirmation in diese Organisationen eintreten. Sie fanden dort auch die einzige Möglichkeit, sich gegenseitig in Singen und „anständigen“ Tanzveranstaltungen etwas näher zu kommen. Ansonsten nähte man für die Frontsoldaten. Mitglieder konnten selbstverständlich nur „Deutsche“ werden. Pfarrer und Lehrer (der Pfarrer war ja quasi dessen Vorgesetzter) kontrollierten alle Veranstaltungen. In der Kirche hatten alle feste Plätze, sortiert nach Alter und Geschlecht. Alle hatten in Tracht zu erscheinen. Alle Verstösse wurden strengstens geahndet. Ein solcher schwerer Verstoss war schon das einmalige Fehlen im Gottesdienst. Ganz gravierend war das Tanzen mit einem „fremdvölkischen“ Tanzpartner. Ein solches „sittenloses“ Verhalten hatte Ausschluss aus der Schwestern- oder Bruderschaft zur Folge. Ein auf solche Weise Geächteter durfte die Kirche nicht mehr betreten und an keiner einzigen geselligen Zusammenkunft der Gemeinde mehr teilnehmen. Er war total und auf Dauer isoliert. Die einzige Möglichkeit, aus der totalen Kontrolle zwischen Brauchtum, Faschismus und kirchlicher Oberherrschaft zu entkommen, war die Heirat. Für einen Geächteten aber war auch dieser Weg verbaut. Man musste sich Benesch und seinem Regime unterwerfen. Die Jugend - so wurde in der Dorfchronik vermerkt- ächzte unter dem Terror. Einen Ausweg aber gab es nicht.

War Benesch SS- Mitglied?


Frau Dr. Regina Reinsperger hat sich 2008 mit der genannten Frage beschäftigt und ihre folgenden Recherchen dazu auf meiner Website Egoisten.de (besteht nicht mehr) veröffentlicht:

Die Verwirrung, ob Friedrich Benesch der SS angehört hat oder nur SS – Bewerber war, löst das Dokument des „SS – Abschnitt XVIII – VIAz. 18a/6.9.40 – Halle / Saale , den 6. 9. 40“ aus. Um es ganz zu verstehen, braucht man ein wenig geschichtliches Hintergrundwissen, den dieser Beitrag zusammen mit der Besprechung dieses Dokumentes liefern soll. Methodisch möchte ich zuerst den Textteil des Dokumentes besprechen und anschließend die behördlichen formalen Zeilen ( Ämter, Betreff) und dann noch einiges zu Beneschs Studienfach „Rassenkunde“ sagen.

Das Dokument beginnt mit der Zeile:: „Der obengenannte SS - Angehörige sprach heute beim SS – Abschnitt XVIII vor und meldete:“  Benesch schildert dem stellvertretenden Führer, des SS – Abschnittes XVIII, Obersturmführer und Adjutant Blümel im Beisein des protokollierenden SS – Untersturmführer Hagener (beide haben das Dokument unterschrieben) seinen politischen und beruflichen Lebenslauf ab 1934. Er „meldet“: „als im Jahr 1934 das Problem der deutschen Christen akut geworden war, entschloss ich  mich im Kirchendienst als Pfarrer tätig zu sein.“  Er fasste diesen Entschluss deshalb, weil gegenüber dem rumänischen Staat „die Kirche die einzig staatsrechtlich fundierte Organisation des Deutschtums war, was besonders für das Schulwesen von grundlegender Bedeutung war.“  (Die Evangelische Kirche war Schulträger der Deutschen Schulen und bekam vom Rumänischen Staat nur minimale finanzielle Unterstützung. )                                                                                                
Die von Benesch erwähnten Deutschen Christen (DC) waren die rassistische  und faschistische Gruppe innerhalb der deutschen evangelischen Kirche. Sie wurden 1932 (!) gegründet. Nach der Machtergreifung gewannen die DC die Mehrheit innerhalb der Deutschen Evangelischen Kirche und sie lösten mit ihrer Gleichschaltungspolitik und dem Versuch den Arierparagraphen in die Kirchenverfassung aufzunehmen und Christen jüdischer Herkunft auszuschließen, einen Kirchenkampf aus. 1934 gründeten die Gegner dieser Kirchenpolitik die „Bekennende Kirche“. Die Deutschen Christen betrachteten die BK als Häresie und  schloss sie aus der Kirchengemeinschaft aus. Benesch versuchte diese „Glaubensrichtung“ (DC) in Siebenbürgen zu verbreiten.
                                                      
Benesch führt weiter aus, dass er bereits bei seinem Amtsantritt in Hermannstadt gegenüber der obersten Kirchenbehörde seine nationalsozialistische Einstellung offenbart habe, was den Bischofsvikar in Stellvertretung des Bischofs veranlasst habe, „schwere Bedenken gegen seine Amtseinsetzung vorzubringen.“ Bereits nach kurzer Amtszeit stand er „ aus politischen und weltanschaulichen Gründen“ in scharfem Gegensatz zu Kirchenführung. Bischof Glondys warf ihm vor: „ germanisches Heidentum zu predigen und Wotan anzubeten.“ Wegen seiner Weigerung eine „kirchliche Zwangverordnung, die das Verbot der Zugehörigkeit zur nationalsozialistischen Partei aussprach“ zu unterschreiben, wurde er, Benesch,„schließlich 1936 amtsenthoben und abgesetzt.“
         
Aus diesem Gesprächsteil geht ganz deutlich hervor, dass Friedrich Benesch zuallererst gläubiger Nationalsozialist war und sein Christentum und seinen Pfarrberuf dem völlig untergeordnete. Er vertrat insbesondere die Menschen auslesende Rassenideologie, die damals unter dem Gewand der Wissenschaftlichkeit daherkam, davon später noch etwas.
Benesch berichtet dann weiter, dass die Bauern seiner damaligen Gemeinde Birk ihm „restlos gefolgt“ waren und ihn im Kampf gegen die Kirche unterstützt hätten. Von einem Kirchenaustritt musste er ihnen aber abraten, da sonst die deutsche Schule geschlossen worden wäre. „Trotz der raffiniertesten und gewalttätigsten Versuche der Kirchenführung einen anderen Pfarrer hereinzubringen“ hätten die Bauern ihre Forderung nach seiner Wiedereinsetzung aufrecht erhalten und der Kirche im Juli 1940 ein Ultimatum gestellt, worauf die Kirche überraschender Weise nachgegeben habe,„wie ich annehme angesichts der geschichtlichen Entwicklung“.                                      

Die geschichtliche Entwicklung, die Benesch anspricht, waren die Ereignisse im Zusammenhang mit dem 2. Wiener Schiedsspruch:  Am 28.6.1940 besetzte die rote Armee das seit 22 Jahren zu Rumänien gehörende Bessarabien, das Rumänien nach einem nur 48 stündigem Ultimatum kampflos aufgab. Hiervon ließ sich die Ungarische Horthy – Regierung inspirieren, am 27. Juni 1940 forderte sie von Rumänien Siebenbürgen und traf militärische Vorbereitungen. Im Juli schaltete Hitler sich in die ungarisch – rumänischen Verhandlungen ein. Im August erwog Ungarn eine Militäraktion infolge der bisher ergebnislos verlaufenden Verhandlungen und aufgrund dieser Drohung befahl Hitler am 27. August die von deutschen Experten ausgearbeitete Grenzvariante zur Aufteilung Siebenbürgens, die am 30. August 1940 in Kraft trat. Ungarn erhielt Nord – Siebenbürgen mit den Bezirken Bistritz und Sächsisch -  Regen, Beneschs Heimat. Daher musste sich auch die Evangelische Kirche neu organisieren. Zum Generaldechanten wurde jetzt der den Deutschen Christen nahe stehende Dechant und Stadtpfarrer von Bistritz, Dr. Carl Molitoris, ernannt. Deshalb konnten jetzt die Birker Bauern die Wiedereinsetzung ihres Pfarrers Friedrich Benesch erreichen, der ja auch glücklicherweise im Juli 1940 sein „Doktorexamen“ bestanden hatte.
Mit dieser Entwicklung hatte Benesch nicht gerechnet. Er berichtet: „Ich selbst hatte mich inzwischen restlos von der Kirche getrennt und war in Halle im Juli 1939 der SS beigetreten.“ Und: „Alle meine persönlichen Wünsche und Bedürfnisse hätten mich hier festgehalten. Es wäre mir materiell und vor allem auch seelisch besser gegangen.“

Es kann sein, dass Benesch jetzt zum zweiten Mal von einer anderen zeitgeschichtlichen Entwicklung, als er gedacht hatte, eingeholt wurde. Man darf nicht vergessen, dass er kein deutscher Staatsangehöriger war, sondern einen rumänischen Pass besaß. Dieser Umstand schützte ihn vor einer Einberufung und Kriegsteilnahme. Das dritte Reich legte aber einen weitaus größeren Wert auf das „Volkstum“ als auf die Staatsangehörigkeit. ( Siehe die Umsiedlungsaktionen „Heim ins Reich“ von ca. 1 Million Volksdeutscher in den Jahren 1939 – 1940 durch das SS – Hauptamt Volksdeutsche Mittelstelle). So war es für Benesch kein Problem in Halle Mitglied  in der Allgemeinen -  SS zu werden, wenn er angab, dass er plane im „Reich“ zu bleiben. Die  Mitglieder der Allgemeinen - SS waren meist Berufstätige, die ihren Dienst in der SS freiwillig und unentgeltlich nach Feierabend versahen. Auch diese unbewaffneten Mitglieder erhielten durch ihre ca. 100.000 hauptberuflichen Führer regelmäßig eine militärische Ausbildung. Benesch musste nur  für sich und seine Frau arische Ahnen bis 1800 nachweisen,  wollte er SS -  Führer werden, musste sein Nachweis bis 1750 vorliegen. Außerdem musste er sich der SS – Rassenkommission  vorstellen. Dort wurde das „ rassische Erscheinungsbild“ des Bewerbers in Augenschein genommen, dessen körperliche Kondition und allgemeine Haltung. Hierfür gab es eine Wertskala, ein Neun – Punkte –Programm. Es wurden nur die Bewerber genommen, die eine der ersten vier Noten erhielten: „Ideale Statur“, „ausgezeichnet“, „sehr gut“, „gut“. Professor Schulz schreibt am 18. 10.1940 in seiner Beurteilung über Benesch: „Benesch vereinigt in sich bestes Erbgut und bietet rassisch eine gute Erscheinung.“  Intellektuelle Fähigkeiten wurden bezeichnender Weise bei   SS - Bewerbern nicht überprüft.                                                                                                                                  

Benesch konnte nach Eintritt in die SS als „nachgewiesener Volksdeutscher“ nun jederzeit einen deutschen Pass bekommen. Vielleicht hatte er im „Reich“ eine Karriere geplant, fürchtete aber jetzt nach Kriegsausbruch eine Einberufung zur Wehrmacht ( er war ja mit 32 Jahren im besten wehrfähigem Alter) und hatte deshalb bisher auf einen deutschen Pass verzichtet, er hatte ja Frau und die einem SS – Mann vorgeschriebenen vier Kinder. Vielleicht plante er dann, über die Volksdeutsche Mittelstelle Berlin  in seine Heimat zurückzukehren und innerhalb der „Erneuerungsbewegung“ dort eine Führungsstelle anzutreten. Die Volksdeutsche Mittelstelle war die SS – Behörde, die für die „Volksdeutschen“ (=Auslandsdeutschen) in Ost- und Südosteuropa zuständig war. Diese Behörde hatte seit ihrer Gründung 1935 immer wieder SS – Leute nach Rumänien geschickt um in der deutschen Volksgruppe nationalsozialistische Strukturen aufzubauen. Auch  die Führungsgruppe der radikalnazistischen Deutschen Volkspartei in Rumänien (DVR) um Andreas Schmidt  waren in den Jahren 1938 – 1940 nach dem vorübergehenden Verbot ihrer Partei im „Reich“ ausgebildet worden. Wir wissen nicht, was und wie Benesch geplant hat, aus einer Partei - Karriere in Rumänien konnte  nun auch nichts werden, da er nun  seit dem 30. 8. 1940 ungarischer Staatsbürger war.  Eines steht jedenfalls fest: er konnte keinesfalls als rumänischer oder ungarischer Staatsbürger in seiner Heimat der SS angehören, in beiden Fällen drohte ihm  Ausbürgerung und Landesverweis. In Rumänien war eine Zugehörigkeit zur SS erst aufgrund des „Volksgruppen – Gesetzes“ vom 20. 11. 1940 möglich, also erst zwei Monate nach dieser Vorsprache, in Ungarn, dessen Staatsbürger Benesch nun war,   erst ab 1942 aufgrund eines bilateralen Abkommens zwischen Ungarn und dem Deutschen Reich.  Über die drohende Ausbürgerung, wenn er ins ungarische Siebenbürgen zurückginge, wußte Benesch Bescheid und deshalb stellte er sich seiner vorgesetzten  SS – Dienststelle vor. Da im 3. Reich immer Spionage gefürchtet wurde, diese aber auch intensiv durch die Volksdeutsche Mittelstelle betrieben wurde, ist es möglich, dass die Akten  volksdeutscher  SS – Angehöriger wegen der für sie schwerwiegenden Gründe: Ausbürgerung und Landesverweis durch den Heimatstaat, in den SS – Behörden zu ihrem  Schutz unter der Kategorie „ SS – Bewerber“ geführt wurden. Das würde auch die Einlaufzeile des Protokolls erklären:
     

„Betr.: SS – Bewerber Dr. Friedrich Benesch, geb. am 6.7.07, 1/26“ 

Benesch schildert jetzt im weiteren Gesprächsverlauf, dass er sich nach ernster Gewissensprüfung sich entschieden habe, die ihm von seinen Bauern erwiesene Treue durch seine Treue zu erwidern und wieder ihre Führung zu übernehmen. Er musste sich selbstverständlich für sein Volk in seiner Heimat und gleichzeitig für eine große nationalsozialistische Aufgabe entscheiden, nämlich der Herausführung des politischen Lebens des deutschen Volkes in seiner Heimat aus der Kirche und seine weltanschauliche Prägung. Er erklärt: „Die nächste Aufgabe wird dabei sein, gegenüber dem fremden Staat eine rechtlich fundierte Organisationsform zu finden, die das völkische Leben unabhängig von der Kirche garantiert.“ Ausdrücklich betont er dann gegenüber seinen SS – Vorgesetzten: „Selbstverständlich hat sich in meiner durch eigene Erkenntnis und Erfahrung und eigenen Glauben gewonnenen nationalsozialistischen Weltanschauung nicht das Geringste geändert, wiewohl ich jetzt zunächst gezwungen bin, noch einmal in kirchliche Dienste zurückzukehren.“  Er erklärt weiterhin, dass seine Entscheidung, seinen Bauern Treue mit Treue zu vergelten, „unabänderlich“ sei und er würde „wenn das sein müsste, auch einen zeitweiligen Verlust der Zugehörigkeit zur SS auf mich nehmen.“

Am nächsten Tag, am 7. 9. 40, hat er einen Termin bei der Volksdeutschen Mittelstelle und bittet, diese Meldung trotzdem auf dem Dienstweg weiterzuleiten. Der Vorgesetzte, SS – Obersturmführer Blümel kommentiert diese „Meldung“ des SS- Angehörigen Benesch im Protokoll mit den Worten: „Benesch macht einen ganz ausgezeichneten Eindruck. Er meint es mit seiner Aufgabe durchaus ernst. Seine weltanschauliche Einstellung scheint vollkommen gefestigt zu sein. Sein Entschluss entspringt logischen, auf Grund der gegebenen Verhältnisse gewonnenen Erkenntnissen.“
Die Meldung wird dann auf dem Dienstwege weitergegeben: eine Ausfertigung des Protokolls erhält die 26. Standarte ( =Regiment), der wie hieraus ersichtlich,  Benesch angehörte. Die übergeordnete SS – Behörde des SS – Abschnittes XVIII Halle/Saale ist der SS – Oberabschnitt Elbe, dem wiederum die SS - Hauptämter übergeordnet waren. Für Benesch war die „Volksdeutsche Mittelstelle“ (VoMi) zuständig und das „Ahnenerbe“ aufgrund seines wissenschaftlichen,  nationalsozialistisch ausgerichteten Studienabschlusses, den er in den  den Fächern: „Vorgeschichte, Rassenkunde und Volkskunde“ erlangt hatte , wie er im Protokoll erklärt. Über alle Ämter aber regierte der Reichsführer – SS – Persönlicher Stab ( Heinrich Himmler).

Dieser schreibt durch SS – Sturmbannführer Brandt (?) am 2. 10.1940 unter dem  Aktenzeichen: „Tgb.Nr. A/2/123/40 Wa./C.“ an das Ahnenerbe Berlin, dem er als Anlage obiges Protokoll übersendet, „Der Reichsführer – SS lässt auf Dr. Benesch, der nach seiner Rückkehr aus Siebenbürgen bestimmt aufgrund seines anständigen Verhaltens wieder in die SS aufgenommen werden kann, aufmerksam machen.“ Das heißt, die SS – Führung akzeptierte Beneschs Gründe und Entscheidung und hob die Mitgliedschaft aufgrund der staatsrechtlichen Gegebenheiten auf, solange Benesch sich in Siebenbürgen aufhielt. Das Horthy – Regime hatte trotz deutschfreundlicher Politik tausende junge wehrpflichtige Deutsch- Ungarn, die der Wehrmacht oder Waffen – SS beigetreten waren,  ausgebürgert und des Landes verwiesen. Diese Praktik änderte sich erst 1942 nach dem  bilateralen Abkommen. Allein diese Gründe waren für den formalen Austritts Benesch aus der Allgemeinen – SS entscheidend, keineswegs das alte Kirchenverbot von 1936 sich politisch zu betätigen oder gar eine Gesinnungsänderung. Es fanden sich bisher keine Dokumente, die darüber Aufschluss geben, ob Benesch nach 1942 oder nach seiner Flucht aus Siebenbürgen im September 1944 einen Wiederaufnahme – Antrag an die SS gestellt hat. Im Angesicht des nahen Kriegsendes ist das auch nicht wahrscheinlich.
                                                                                                                                  
Benesch hatte auch nach seiner Rückkehr als Pfarrer nach Birk noch Kontakt mit SS – Behörden. In den Berliner -  Akten liegt  ein Schreiben des „ SS – Ahnenerbes“ vom 21. 11. 1940 ( D/B/13), unterzeichnet vom Geschäftsführer Wolfram Sievers , adressiert an Beneschs Anschrift „Birk bei Sächsisch – Regen, Ungarn“. Mit diesem Schreiben wird Benesch mitgeteilt, dass aufgrund seiner Meldung vom 6.9.40 in Halle/Saale der Reichsführer – SS angeordnet habe, mit Benesch Verbindung aufzunehmen und zu halten. Sievers freut sich: „dass sich auf unserem Arbeitsgebiet mit Ihnen vielfältige Arbeitsverbindungen ergeben“ und er würde es begrüßen: „wenn dies in Fühlungsnahme mit uns geschehen könnte und bitte dazu um Ihre Vorschläge.“ Dieses Schreiben schickt SS – Obersturmbannführer nicht direkt an Beneschs Anschrift, sondern an die Volksdeutsche Mittelstelle mit der Bitte, es auf zuverlässigem Wege an ihn weiterzuleiten. Das heißt, um Benesch Schwierigkeiten mit dem ungarischen Staat zu ersparen, wurde die Post mit Kurier übermittelt. Man vermutete also konspirative Aktivitäten der Ungarn.
Als letztes Schreiben liegt ein Brief der Volksdeutschen Mittelstelle vom 10. 6. 1941 vor, die dem Ahnenerbe mitteilt, dass Benesch jetzt in Sächsisch – Regen, Mittelgasse zu erreichen ist, privat weiterhin in Birk (Petele) und dass er zum Kreisleiter des Kreises Sächsisch – Regen ernannt worden ist.




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1 http://www.flensburger-hefte.de/uploads/tx_ttproducts/datasheet/46-DCSIN.pdf
2 https://www.hsozkult.de/journal/id/zeitschriftenausgaben-1471 Darin Tribüne: Johann Böhm: Fritz Benesch (1907-12991). Naturwissenschaftler, Anthropologe, Theologe und Politiker.(100)
3 https://anthrowiki.at/Friedrich_Benesch
4 Hans Werner Schroeder: Friedrich Benesch. Leben und Werk 1907–1991. Mayer, Stuttgart/Berlin 2007
5 https://christengemeinschaft.org/07_2benesch.html
6 Werke Beneschs in der Deutschen Nationalbibliothek: http://dispatch.opac.d-nb.de/DB=4.1/REL?PPN=101418337
7 aus: „Die Christengemeinschaft“ 7/8 1948, Verlag Urachhaus, Stuttgart
8 Friedrich Benesch, Die Festung Hutberg, eine jungnordische Mischsiedlung bei Wallendorf, Kr. Merseburg, in Preußische Staatsbibliothek, Berlin
9 Viktor Glondys, Tagebuch. Aufzeichnungen von 1933 bis 1949. Dinklage 1997
10 Glondys, S. 221
11 Glondys, S. 221
12 Das Ahnenerbe Berlin, 21. 10.1940, Akt.Z. D/B/13 aus dem Bundesarchiv Berlin, SS-Abschnitt XVIII, VI, Az 18/6.9.40
13 Glondys, S. 237
14 Glondys, S. 237
15 Glondys, S. 238
16 Glondys, S. 243
17 Glondys, S. 517
18 Selbst geschriebener Lebenslauf von Benesch am 11.7.1938 in einem Bewerbungsschreiben an das „Ahnenerbe“
19 Dr. Johann Böhm in: Halbjahresschrift für südeuropäische Geschichte, Literatur und Politik 1/2004, S. 117
20 Böhm, S. 116
21 Bundesarchiv Berlin, siehe Anmerkung 4. Alle folgenden Zitate aus diesem Dokument.
22 Buchreihe Friedrich Beneschs im Urachhaus- Verlag
23 Birk heisst rumänisch Petelea, was bei Recherchen zu beachten ist
24 in: http://www.yadvashem.org/lwp/workplace/!ut/p/.cmd/cs/.ce/7_0_A/.s/7_0_2C4/_s.7_0_A/7_0_2C4?New_WCM_Context=http://namescm.yadvashem.org/wps/wcm/connect/Yad+VaShem/Hall+Of+Names/Lexicon/en/Romania
25 aus: „Das Birker Heimatbuch“, herausgegeben von Susanne Dienesch unter Mitarbeit von Mag.Walter M. Dienesch und Natascha Salfinger – Selbstverlag 1996



Klodeckel zu oder: Die anthroposophische Regression

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Hinter den Kulissen des Weltgeschehens
Grausame Meta- Bewusstseinswelt, in der Glaubensinhalte, Anthroposophentum, politische Positionierungen nicht ohne Einbeziehung der individuellen Reife oder persönlichen Not betrachtet werden können- und dadurch relativiert werden. Der reife Zeitgenosse, der Anteil haben möchte am erwachsenen „Bewusstseinsseelen- Zeitalter“, muss wohl oder übel die eigenen Statements, Haltungen, Sehnsüchte und Denkreflexe vor dem persönlichen Kontext infrage stellen lassen, will er nicht in den Verdacht geraten, sie lediglich als Krücke eines verlorenen, brüchig gewordenen Ichs zu missbrauchen.

Stephan Birkholz hat dies gerade in einem Kommentar so benannt: „Alle Süchte haben eine Gemeinsamkeit: Sie schaffen Weltbilder oder erleichtern durch 'Aufweichung' die Erschaffung von Weltbildern. Wenn jemand sein Weltbild auf eine bestimmte Vorstellung gebaut hat, so kann die Korrektur dieser Vorstellung u.U. (wenn sie eine tragende Säule darstellt) das gesamte Weltbild zum Einsturz bringen.
Es ist nicht immer eine gute Idee, Illusionen extrinsisch zu beenden; der Betroffene wird dadurch biografisch genau an jenen Punkt zurückkatapultiert, an dem er die Illusion in sein Leben eingebaut hat; da sich die Verhältnisse aber insgesamt verändert haben, reißt der Faden und der Betroffene fällt in eine regressive Unzugänglichkeit; er hat quasi den Anschluss verloren.

So ist das Manöver führender Anthroposophen, die gemeinsamen Veranstaltungen mit Verlegern, die mit Autoren des Kopp- Verlages kooperieren, rechtslastigen YouTubern, Verschwörungstheoretikern der billigsten Kategorie und Einflüsterern, die die New- World- Order- Paranoia vertreten, zu behaupten, eben diese Regression auf die flachste Ebene des Populismus sei ein Zeichen von Toleranz und Offenheit, ein Manöver wie aus den berüchtigten Tweets Donald Trumps: „Marcus Schneider, Präsident des veranstaltenden Paracelsus-Zweiges der Anthroposophischen Gesellschaft, sieht keine Probleme: "Das ist doch interessant" sagt er und plädiert für ein "offenes Geistesleben". "Die Einseitigkeit sei gerechtfertigt zur Einseitigkeit, die einem sonst durch die Medien um die Ohren geschlagen" werde. Die Vorträge seien ganz im Sinn von Rudolf Steiner, da man versuche, "hinter die Kulissen" zu schauen und hätten eine "hygienische Funktion“.“ (bobby)

Nein, die Regression im Sinne jeglicher Ausblendung von Reflexion, im freien Fall auf die Ebene der Populisten, KGB- Propagandisten und Trumpisten aufzuschlagen, schaut weder "hinter die Kulissen" des Weltgeschehens noch hat es "hygienische Funktion". Es erscheint so hygienisch wie sich in der Gemeinschaftstoilette zu verrammeln und Anthroposophie unter dem Klodeckel zu betreiben. Freilich, der gemeine anthroposophische Deckel passt auf diesen Topf. Man kann nicht gerade von einer Usurpation der Rechtspopulisten in die Szene sprechen- sie werden mit offenen Armen empfangen. Die Tendenz des geschlossenen Welt- und Selbstbildes, das sich selbst als Krone der Steinerschen Evolution des Menschen und seiner Rassen betrachtet, passt einfach zu schön zur Fremdenfeindlichkeit der politischen Rassisten; die Freimaurer- und Jesuiten- Verschwörungen Rudolf Steiners gehen nahtlos über in den zeitgenössischen Soros-, Clinton-, EU-. Macron- und „Eliten“- Hass, die Sympathien für die heute herrschenden Diktatoren - allen voran Putin- passen hervorragend zum anthroposophischen Misstrauen gegenüber parlamentarischer Demokratie. Ja, dieser Deckel passt auf diesen Topf.

Über die weiteren Motive, abgesehen vom Weltanschaulichen, kann man nur spekulieren. Anthroposophischer Populismus bis hin zur puren, identitären Anthroposophie entspringt sicherlich auch der immer schmaler und älter werdenden Mitgliederbasis. Da kommen die YouTuber und Politik- Schwadroneure mit ihren vollen Sälen und hunderttausenden Klicks wie gerufen. Man fragt sich unwillkürlich, ob die Basler und Dornacher Biedermänner, die dies als ihr Verständnis von „freiem Geistesleben“ erklären, wohl auch zu Goebbels geströmt wären? Ob ihre Fremdenfeindlichkeit den kleinen Sprung zum offenen Antisemitismus (der sich bislang noch als Anti- Intellektualismus tarnt) schaffen wird? Ob sie, wie vereinzelt schon aus anthroposophischem Mund vernommen, für die Einrichtung von Lagern oder Nordseeinseln für Schwarzafrikaner und Syrer stimmen werden? Wie weit wird der anthroposophische Populismus gehen? Und wann, wann darf der Reichsbürger Xavier Naidoo endlich im Großen Saal des Goetheanums singen, während die Zweigleiter und Klassenleser mit den Fußspitzen im Takt wippen?

Die Sucht, das eigene sterile Weltbild permanent bestätigt zu bekommen, kann in jeder normalen anthroposophischen Facebook- Gruppe betrachtet werden. Es sind Rituale, deren intrinsische Selbstentblössung und Erniedrigung vollständig übersehen wird. Wieder und wieder wird die eigene eingebildete Überlegenheit zelebriert in der Betrachtung aktueller Katastrophen, die stets der „ahrimanischen“ Intellektualität zugeschrieben werden. Das entbindet von jeglicher politischen Reflexion. Es gibt auch dieses schöne, süchtig machende Selbstgefühl gerechter Empörung. Klodeckel zu. Das Weltbild ist gesichert. Die Sekte feiert sich selbst.

Ein weiteres Motiv für den anthroposophischen Populismus könnte auch darin liegen, dass die vielen ewig zerstrittenen Lager, die sich teilweise seit Jahrzehnten im Streben nach Dominanz und dem wahren Erbe Rudolf Steiners intern bekämpfen, schlichtweg endlich einen gemeinsamen Nenner in den Eckpunkten der postfaktischen Anthroposophie finden: Eliten- und Fremdenfeindlichkeit als archaischer, aber gemeinsamer Nenner. Die Rituale der Selbstvergottung und Abgrenzung gegenüber dem angeblichen ahrimanischen Zeitgeist finden im politischen Populismus zu sich selbst.

Mr. Spock und andere Außerirdische im Goetheanum

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Screenshot aus dem "Goetheanum"
Natürlich, so erklärt sich das, dass einem sarkastische Gedanken ins Bewusstsein strömen, während andere vielleicht nur die Osterhasen springen sehen- jedenfalls hat das jemand -M. Kiske- aus den Judith- von- Halle- Freundes- Zirkeln über mich geäußert: "Alles was Herr Eggert dort schreibt, lässt sich doch vor allem ganz besonders auf Rudolf Steiner selbst anwenden, von dem wir all unsere Ideen ja doch haben. Den Rest können Sie sich sicher denken. … Die größte Gegnerschaft Rudolf Steiners maskiert sich heute vor allem mit dem Namen "anthroposophische Geisteswissenschaft"… 
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Moin! Alles Diskutiert sich heute den Kopf heiß; es geht aber schon lange nicht mehr darum, wer Recht hat und wer nicht, sondern darum, dass wir uns entscheiden sollen, wohin wir wollen; und für Anthroposophen ist das heute eine weichenstellende Schicksalsentscheidung. Wenn zu viel unbewusste Angst bei uns im Spiel ist, kann alles immer leicht ins Faschistoide abrutschen; das ist wahr. Aber Ahriman hat sich die Anthroposophie in vielen Menschen lange schon gründlich angeeignet und ist mit überklugen intellektuellen Argumenten dabei, die Spiritualität und christliche Wahrheit als Rechtsradikalismus hinzustellen. Dabei geht es meistens tatsächlich genau darum, die zur Spiritualität notwendige Überwindung der toten Intellektualität - und damit des Jahve in uns allen - als Antisemitismus anzuprangern. Auch wenn die Gedanke des Herrn Michael Eggert natürlich nicht völlig falsch sind - das sind sie ja nie - atmen sie genau diesen Geist. - 
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 In vielen empört sich immer wieder bloß der uns allen innewohnende Ahriman-Jahve moralisch über den christlichen Willen derjenigen, die mit der Spiritualität ernst machen wollen. Damit will ich auch den Herrn Eggert nicht zum bösen Buhmann machen; diese Zeit ist alles andere als leicht für uns! Aber alles was wir tatsächlich tun mit unserem Argumentieren in diese oder jene Richtung heute, ist uns zu entscheiden, wohin wir wollen; und das dürfen und sollen wir; das schauen sich die Hierarchien genau an und nehmen es zur Kenntnis. -

 P.S.: Wissen Sie dass eine zu  übermächtige Intellektualität immer Folge schwarzmagischer Verfehlungen in früheren Leben ist? Rudolf Steiner führte das irgendwo einmal direkt aus; ich weiß gerade nicht mehr wo. Der überstarke Intellekt ist wahrlich kein Geschenk! Für viele Anthroposophen ist er das Grab, in dem sie ihre Zukunft beerdigen. Diese Kraft in uns IST konkret der alte Jahve-Gott, der längst ein radikaler Gegner des Christus in uns geworden ist. Die Kämpfe finden in Wahrheit alle vor allem IN UNS heute statt.“

Dieser schwarzmagische Filter in meinem Bewusstsein hat nun auch wieder einen Goetheanum- Artikel gegen gelesen, in dem sich Vorstandsmitglieder des Dornacher Goetheanums - Paul Mackay und Bodo von Plato-  für eine weitere Amtszeit per Interview - kann man sagen- „bewerben“?
Beide haben diesen distinguierten Mr- Spock- Look, der sich seit Jahren für den modernen Geistesforscher gehört und der auch gewisse Anklänge an die modischen Gewohnheiten Rudolf Steiners beinhaltet. Es ist ein Look und Style für den ergrauten Denker und Wirker, der geistig potente Bemerkungen im Nebensatz heraus haut; vernünftig, bestimmt und tolerant wirkt, während sich das anthroposophische Fussvolk ja gern gruppenweise zu Populisten der rechten Peripherie begibt, um dort primitive Schuldzuweisungen für den Untergang des weißen mitteleuropäischen Bürgertums zu goutieren.

So etwas gibt es auf dieser Etage der Außerirdischen und gepflegten Kaschmirträger nicht. Von Plato und Mackay spielen sich gegenseitig die Bälle zu, in denen es von Freiheitlichkeit wimmelt, aber auch, zwischendurch, ein wenig Kritik anklingt: „Die Hauptqualität, die ich in der Arbeit von Paul Mackay sehe, ist eine empfindliche Aufmerksamkeit für alles, was mit Freiheit zusammenhängt. Jeder hat seine Maßstäbe, seine Werte, nach denen er seine Handlungen orientiert – und bei Paul ist es meines Erachtens immer die Freiheitlichkeit.“ (Zitate Das Goetheanum) Wobei, wenn von Plato Kritik an der Machtorientierung Mackay äußert, tut er es nur indirekt, indem er artikuliert, dass Außenstehende das so empfinden könnten: „Wenn jemand einen so starken Fokus hat, kommt auch das Gegenbild zur Erscheinung. Manche Menschen empfinden gerade das Gegenteil seines Anliegens: dass er das letzte Wort haben will oder Macht. Ich verstehe, dass sich dieser Eindruck einstellen kann.“

Jeder versteht das. Auch die eigentlich vorhandenen Interviewer von der Zeitschrift Das Goetheanum, die sich jedoch selbst jede Kritik verkneifen und nur brav die Stichworte für die Soloauftritte der Künstler geben. So präsentieren sich, auf der leeren Bühne, die Spocks gegenseitig als „Kosmopoliten“ und als Ästheten „in jeder Lebenssituation“ (Das Goetheanum). Die schärfste Kritik an von Plato ist die, dass er „nicht Wischiwaschi“ (dito) sei: „Bei ihm muss alles in Punkte geordnet sein, nicht Wischiwaschi, es soll Gestalt bekommen, aussagekräftig werden.“ (dito)
Ansonsten sei „Bodos Schicksal“ die Möglichkeit der „Zeitrelevanz“ (dito) der Anthroposophie, wodurch er quasi zum einzig vorstellbaren Vollstrecker derselben wird. Mit einem Wort: Gegen die Selbsternennung dieser Vorstandsmitglieder gibt es keine relevanten Argumente. Es handelt sich um eine Deklamation des Machtanspruchs, und basta. Allerdings wird das dann wieder in pfirsichblütfarbene Schleifen verpackt, wenn Mackay im Anschluss flüstert: „Anthroposophie als Wesen – natürlich in Entwicklung – etwas ist, das unglaublich intim mit dem Menschen als Wesen zusammenhängt. Sie ist ein geistiges Wesen, von dem Steiner gesagt hat: «Es klopft an deinem Herzen und sagt: Lass mich ein, ich bin du selbst; ich bin deine wahre Menschenwesenheit!» Dieser Wesensaspekt hat eine Identität, eine Unverwechselbarkeit. Und dann erscheint dieses Wesen ganz verschieden, je nach Situation. Das ist eine große Herausforderung: Kann man Erscheinung und Wesen differenzieren?

Das sind nicht so die ganz konkreten Perspektiven für die anthroposophische Bewegung, auch wenn man die anthroposophische Allzweckwaffe herausholt: Man wolle sich nicht „dem Zeitgeist anbiedern“ (dito). Natürlich will man das nicht. Allerdings will das niemand, schon gar nicht die Populisten, neuen Rechten, Verschwörungstheoretiker und Rassisten, von denen man sich wünschen könnte, dass sich - wenn man sich in der „Zeitrelevanz“ doch so gut auskennt- dieser Vorstand vielleicht einmal von ihnen distanzieren könnte. Die eigene Hof- Zeitschrift „Das Goetheanum“, deren Redakteure die Interviewer sind, präsentiert ja gerne mal das eine oder andere Ganser- Interview, vor allem Louis Defèche. Aber es geht wohl mehr darum, dass von Plato und Mackay ihre Ämter um weitere sieben Jahre verlängern wollen, nachdem sie auf eine lebenslängliche Amtszeit verzichtet hätten: „Am 24. März stimmt die Generalversammlung der Allgemeinen Anthroposophischen Gesellschaft darüber ab, ob Paul Mackay und Bodo von Plato ihr Vorstandsamt am Goetheanum um sieben weitere Jahre verlängern werden. Sie selbst haben diesen Zäsurmoment in die Satzung eingebracht und damit das Amt auf Lebenszeit verabschiedet.“ Statt einer Auseinandersetzung mit und Abgrenzung gegenüber den Umtrieben im Fußvolk und in der Hofberichterstattung und dem allgemeinen Niedergang, was Mitgliederzahlen, Gelder und Mitarbeiter betrifft, erhält man an Zukunftsvision genau das Wischiwaschi, was man doch gerade negiert hat: Man wünscht sich ein „Diskursmilieu“, eine „Reflexionsoffenheit“ und eine „Michaelische Intelligenz“ (dito) - also alles das aus dem anthroposophischen Phrasen- Baukasten, was seit Jahrzehnten verbal eingefordert, aber nie ausgefüllt worden ist. Mackays rhetorische Frage „Es geht heute darum: Bin ich bei der Lebenswirklichkeit oder greife ich daneben?“ beantworten der Artikel, das Interview und die Selbstdarstellung der Protagonisten auf diese Weise selbst.

Quelle dieses Friedensforschers
Nichts fürchtet man so sehr wie die emotionalen Untergründe der nie bearbeiteten hundert Jahre Konfliktgeschichte dieser Gesellschaft. Daher verhalten sich Mackay und von Plato eben wie außerweltliche Rationalisten, von denen es heißt: „"Vulkanier sind Rationalisten, die – aufgrund ihrer gewalttätigen, kriegerischen Vergangenheit – ihren Gefühlen entsagt haben und sich ganz der Logik verschrieben haben. In früheren Zeiten sind Vulkanier eine leidenschaftliche, gewalttätige und sehr emotionale Rasse. Erst der vulkanische Philosoph Surak legt vor über 2.000 Jahren den Grundstein für ein Leben in Meditation und Logik. T'Plana-Hath, die „Mutter der Philosophie“, sagt später darüber, dass die Logik der Zement der vulkanischen Zivilisation sei.““ (http://memory-alpha.wikia.com/wiki/Surak)

Auf weitere 2000 Jahre der Spocks!

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Burghard Schildt: Versuch eines anthroposophisch orientierten Bildevorganges – Oder: Von der Richtung, in der die Sonne aufgeht

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Bevor uns die Sonne aufgehen kann, davor muss sie uns erst einmal untergehen. Wer ist uns? Das sind mindestens zwei. Einer davon ist jeweilig ein Leser, also ist der Zweite der Anbieter dieses Textes. Mit einem Angebot ohne Nachfrage.

Seine durchwachten Nächte haben unseren Tag erhellt“. So Goethe im Hinblick auf Schiller. Und was sollen die Beiden hier? Das hier: Eine Nachfrage für dieses Textangebot wecken.

Und das hier: Rudolf Steiner sagt in dem Buch „Mein Lebensgang“, zu seiner Philosophie der Freiheit: “Im Geist-Erleben lag die Quelle für die Gestaltung, die ich den Ideen meines Buches gab. Es ist zunächst die Darstellung einer Anthroposophie, die auf die Natur hin und auf das Stehen des Menschen in der Natur mit seiner ihm individuell eigenen sittlichen Wesenheit orientiert ist.“ Orientiert ist? Also darauf hin ausgerichtet ist, dass einem jeweiligen Leser die Sonne aufgehen kann.

Ebenso orientiert ist sein erstes Buch „Grundlinien einer Erkenntnistheorie der Goetheschen Weltanschauung.“ Dessen Untertitel lautet: „Mit besonderer Rücksicht auf Schiller.“
Das Zusammenkommen von Goethe und Schiller, das ist also bereits ein anthroposophisch orientierter Bildevorgang. Was kommt zusammen? Und bei wem? Bei Steiner, Goethes Erinnern und Schillers Sinnen. Und da es sich dabei, laut Steiner, um ein Geist-Erleben handelt, daher kann zudem gesagt werden: Geist-Erinnern und Geist-Besinnen. Kommt beides zusammen, ist es Geist- Erschauen. Und da das anthroposophisch orientiert ist, daher wird „im“ Lichte der Sonne erschaut.

So einem Schauen geht etwas voraus. Was? Jedem Aufgang geht ein Untergang voraus. Und das ist zunächst ein Vorgang im „Seelisch- Geistigen“ des Menschen. Dass dabei etwas untergehen kann, dafür bedarf es zugleich der Mitwirkung des „Geistig- Seelischen“ im Menschen.
Dieses Mitwirken wirkt sich im seelisch-geistigen Menschen „in“ Besonnenheit aus. Mit der Wirkung, dass die seelisch-geistige Konstitution sich in einer anderen Erziehung empfinden kann. Wie anders? Zuvor wurde sie gezogen durch Vererbung und Umwelt. Diesem „Veranlagungsleib“ ermächtigte man sich Kraft des Eigenwillens des Verstandes. Und suchte so, sich dem übrigen Leib des Naturgeschehen entgegen zu stellen. Dabei wurde ein Lebenslauf zunehmend im Lichte des Verstandes gesehen.

Daher will ein Untergang hier gesehen werden als der Austritt aus Standpunkten. Mit so einem Austritt erlischt das Licht des Verstandes. Man findet sich im Geistig- Seelischen des Menschen. Es ist zunächst alles dunkel. Daher beginnt man zu tasten. Das Tasten wirkt sich so aus, dass, nun im Geistig- Seelischen, das Geist-Erinnern in Kraft treten kann. Mit Geist-Erinnern ist gesagt: Es ist der Geist selbst, der sich erinnert.

So sinnend im Tasten und dabei sich seiner selbst erinnernd, entfacht der Geist sich in Besonnenheit. In ihr sich seiner selbst besinnend, erlebt sich der Geist in Selbstbesinnung. Sich so erlebend empfindet er sich als der Geist des Lebens. Und so im Geistesleben sich findend und dabei selbiges besinnend, schaut der Geist sich selbst als Leib und Seele und Geist. In diesem Geist-Erschauen erinnert sich der Geist in Selbstbesinnung, dass er der Anthropos ist.

80 Jahre „Anschluß“

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Foto: APA/Hans Punz

»Herrschaften! Wir leben an einem der sichersten, reichsten und insgesamt privilegiertesten Plätze der Welt. Wir haben den Haupttreffer in der Geburtsort-Lotterie gewonnen. Nun müssen wir bereit sein, faire Preise zu bezahlen und permanent etwas abzugeben und mit jenen zu teilen, die etwa von den katastrophalen Umständen in ihren Ländern zur Flucht gezwungen sind.
Wir müssen dazu beitragen, ihnen ein, zumindest einigermaßen, würdevolles Dasein in Frieden, mit gerechtem Einkommen, medizinischer Versorgung, sauberem Wasser und gesunder Nahrung in ihren Heimatregionen zu ermöglichen. Das Verdrängen, das Ausblenden, das Wegschauen im Antlitz der grausamen Tatsachen, sowie Amerika zuerst!- oder Österreich zuerst!-Haltungen, befördern logischerweise die Katastrophe. Die Bewältigung der globalen Probleme und Bedrohungen bedürfen fast ohne Ausnahmen globaler Anstrengungen, solidarischer Verbündetheiten und der leidenschaftlichen gegenseitigen Anteilnahme.«

Zur Video-Aufzeichnung und Transkription der ganzen Rede André Hellers beim Gedenkakt am Wiener Heldenplatz: 12. März 2018 - 80 Jahre „Anschluß“

Eine Mischung aus Schamlosigkeit und Zynismus

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Wozu Okkultismus? Wozu Verschwörungstheorien? Ist die Welt nicht verrückt genug, war sie es nicht selbst vor der sagenhaften Ära Trump? Muss man Shitstorms und Empörungswellen um den Planeten pumpen, wenn die agierenden Persönlichkeiten doch Jahrzehnte lang wie Untote und Zombies die Politik determinieren, während die vernünftigen Stimmen, Parteien und Wähler gerade noch einmal in der letzten Kurve - sagen wir mal zum Beispiel- die Europäische Union retten können? Wie lange wird das noch gut gehen? Geht es schon lange nicht mehr gut? In was für eine verrückte Szenerie sind wir geraten?

Werfen wir nur einen Blick in Michael Days Biografie „Being Berlusconi: The Rise and Fall from Cosa Nostra to Bunga Bunga“, um den Wahnsinn zu betrachten, der bis heute die italienische - und damit die europäische - Politik unterminiert. Berlusconi war bereits in seinen ersten Investments in Bauprojekten rund um Mailand - bevorzugt auf minderwertigem Boden wie in Sümpfen und am Flughafen- aufgefallen, da nie geklärt werden konnte, woher auch nur ein Cent der Gelder herrührte, mit denen seine kleine Hausbank ihn überhaupt finanzierte: „But already, a great many people had their suspicions. Opaque investments and unexplained circular flows of money through shell companies at home and abroad suggested that Berlusconi was using highly disreputable sources—namely, the Mafia—to kick-start his burgeoning real-estate empire. It was a suspicion that was to grow ever stronger over the coming years.“ Sein Vermögen machte Berlusconi damit, dass er Parlamentarier „überredete“, die Flugrouten des Flughafens so zu verändern, dass das bislang wertlose Land, das er besaß, nun plötzlich nicht mehr überflogen wurde: „He persuaded parliamentarians in the notoriously corrupt Christian Democrat Party …to propose new flight paths that spared Milano 2 residents the worst of the noise..“ Falls Journalisten, Staatsanwälte oder Richter den Geldströmen um Berlusconi zu nahe kommen sollten, wurden sie entweder gekauft oder endeten wie Paolo Borsellino 1992: „The prosecutor was killed by a Mafia bomb two months later.“ (2)


Während sich Berlusconi als Freund der Paten etablierte und sich durch Fußball- Clubs und zunächst private TV- Sender als der landesweit wichtigste Geldwäscher und Investor einen Namen machte, war er geradezu gezwungen, in die Politik zu gehen, um die Kontrolle über das wachsende Imperium zu behalten und durch Immunität der Strafverfolgung zu entgehen, wie seine engsten Mitarbeiter freimütig gestanden: „Sixteen years later Fedele Confalonieri, Berlusconi’s faithful pal, and Mediaset president, was equally frank: “If Berlusconi hadn’t entered politics, if he hadn’t created Forza Italia, today we’d be sitting under a bridge or in prison accused of mafia offences.“

Schon Ende des letzten Jahrhunderts setzte er - wie heute die Populisten der Welt- auf eine Mischung aus Dreistigkeit, Vulgarität und angeblicher Auflehnung gegen „die Eliten“: „In November 1993, Team Berlusconi began setting up the National Association of Forza Italia! (Go Italy!) clubs. The name Forza Italia! was inspired by the chants of supporters of the national football team. A catchy title—even a little vulgar. Crucially, though, it was entirely different from the language of the political establishment that had just imploded.“ Es ist schwer zu glauben, dass dieses primitive Rezept - und die verbreitete Korruption und die Unterstützung durch das organisierte Verbrechen-Berlusconi reichten, um in die höchsten Staatsämter zu gelangen und bis heute der bedeutendste Strippenzieher Italiens zu bleiben. Seine unbestrittene Begabung zum Volkstribun ließ ihn diese Ziele geradezu spielerisch erreichen: „And selling himself to the masses ought to be child’s play.“ Wurden Berlusconis Vertreter, Anwälte und Mitarbeiter tatsächlich der Mafia- Zugehörigkeit überführt, setzte er - mit wachsender Beherrschung der Presse- und TV- Sender- mit inszenierter Empörung auf angebliche Ermittlungsfehler oder ließ die Legitimität der Beweise bezweifeln - eine Strategie, die man wie nach der Uhr getaktet bis heute auch in Russland beobachten kann, zuletzt nach den Giftgas- Anschlägen auf einen russischen Doppelagenten und seine Tochter in England: „More dangerously, rumors grew that magistrates in Palermo might make a move against Dell’Utri because of his mafia ties. Bizarrely, however, Berlusconi was even able to turn this embarrassment to his advantage. When La Stampa printed comments from the left-wing head of the parliamentary Anti-mafia commission, Luciano Violante, confirming that Dell’Utri was indeed officially under investigation for mafia-related offenses, the Berlusconi TV stations howled in outrage that this confidential information had been improperly leaked to hurt the tycoon’s election chances.“ (S. 54)

Berlusconi hatte also bereits vor der Jahrtausendwende die anti- elitäre Gangster- Attitüde einer neuen Politiker- Schicht etabliert, die sich mit Hilfe von Mord, Mobstern und medialen Inszenierungen nicht nur langfristig in der Macht einnistet, sich trotz offensichtlicher Verbrechen jeder rechtlicher Verantwortung entziehen und sogar der Bewunderung, ja Verehrung großer Teile der Bevölkerung sicher sein kann. Die anti- moralische Attitüde wird von Typen wie Berlusconi und Putin geradezu höhnisch öffentlich zelebriert- in einem „mix of cynicism and shamelessness“ (S. 84) So machte Berlusconi einen seiner schwer belasteten privaten Rechts- Berater erst zum Justiz-, dann, als das gerade noch verhindert werden konnte, zum Verteidigungsminister. Ähnlich wie bei Trump verwischen bei Berlusconi private, familiäre und staatliche Grenzen, aber stets zu seinen Gunsten: „No one can tell where the family business ends and where the business of state begins“ (S. 61)

Wie Trump und Putin hatte Berlusconi seinen sagenhaften Aufstieg auch zu seinem finanziellen Vorteil genutzt - letzterer vom Staubsaugervertreter und Vorstadt- Immobilienhändler zum Milliardär: „By 2001 Berlusconi’s empire was well and truly in the black again. And he was a very wealthy man indeed. Forbes magazine estimated that his fortune might now be as high as $14 billion. Not bad for an average Joe who had started his career selling vacuum cleaners.“ Gerade dieses sich aus bescheidenen Verhältnissen mit allen Mitteln an die Spitze kämpfen ist wohl das Element, das viele Anhänger an diesen Gestalten so bewundern. Der Journalist Albert Link schrieb (12.04.2014) in der BILD ganz ähnlich über Wladimir Putin: „Die Familie hauste auf 20 Quadratmetern ohne eigene Küche und Bad. Wladimir, Jahrgang 1952, hatte nach seiner Darstellung gar keine andere Wahl, als sich auf der Straße durchzubeißen: „Ich war wirklich ein Rowdy, ein Gassenjunge“. Die Autoren seiner Biografie („Aus erster Hand“, Heyne Verlag, vergriffen) überrascht er mit einer drastischen Anekdote:
„Im Aufgang hausten Ratten. Meine Freunde und ich jagten sie immer mit Stöcken. Einmal entdeckte ich eine riesige Ratte und begann mit der Verfolgung, bis ich sie in die Ecke getrieben hatte. Nun konnte sie nicht mehr entkommen. Da bäumte sie sich plötzlich auf und ging auf mich los. Das geschah völlig unerwartet, und ich war einen kurzen Moment geschockt. Jetzt hatte sie den Spieß umgedreht und jagte mich! Sie sprang über die Treppenstufen nach unten. Ich war aber doch schneller und schlug ihr die Tür vor der Nase zu.“

Mehrfach deutet Putin in dem Buch an, welche Schlüsse er aus diesem Erlebnis gezogen hat. Angst nicht als lähmendes Element, sondern als Mutquelle, wenn man „in die Enge getrieben“ wird – diese Lektion lernte Jung-Spion Putin später auch auf der Geheimdienstschule, ehe ihn der KGB für (eher unbefriedigende Jahre) nach Dresden schickte: „Man muss in Gefahrensituationen angespannt sein, um angemessen reagieren zu können. Das ist wirklich wichtig“, erklärte Putin den Reportern.

Den Gegner überraschen, statt sich in sein Schicksal zu fügen. Sich aufbäumen, wenn der andere mit Aufgabe rechnet..“ So funktionieren Politik- Mythen: Das „in die Enge getriebene“, „abgehängte“ einfache und bescheidene Wesen setzt sich zur Wehr und wird in der Folge autoritärer Staatspräsident. Mit demselben Mythos erklärt Putin jede seiner hanebüchenen Gewalttaten, kriegerischen Handlungen und verbrecherischen Handlungen des russischen Staatsapparats. Es funktioniert.

Aber es funktioniert auch nicht. Zumindest zahlen Leute wie Putin, Trump und Berlusconi durch ihre massiven Persönlichkeitsstörungen. Während Donald Trumps Narzissmus geradezu sprichwörtlich geworden ist, ist Putin von obsessiver Rachsucht geprägt, die erst durch physische Vernichtung von lebensfrohen Herausforderern wie Boris Nemzov (3) gestillt wird- immer wieder, selbst wenn es ihm selbst schaden könnte. Bei Berlusconi hat seine infantil- sexuelle Obsession, die so eindeutig und vielseitig dokumentiert ist, zumindest seiner Karriere nur vorübergehend geschadet. Als dieser Skandal im Sommer 2010 durchsickerte, sah es so aus, als würde es sich um einzelne Sex- Partys mit jungen, teilweise minderjährigen Prostituierten handeln: „It was during these four interrogations that El Mahroug told prosecutors that the prime minister regularly held X-rated soirees at his principal home, Villa San Martino in Arcore, just outside Milan. El Mahroug also introduced them to the exotic phrase “bunga bunga,” which they learned referred to a sort of extreme lap-dancing competition with added groping, in which the lucky winner or winners got to sleep with Berlusconi. Participants referred to their host as “Papi,” the term of endearment used by Noemi Letizia“ (S. 144).

Aber „Papi“ ließ durch ein System von hochrangigen Zuhältern und Zuträgern in Italien viele junge Frauen in seine weitläufigen Anwesen und Villen transportieren, um sich in einem bizarren, post- cäsarischen Kult von ihnen phallisch verehren zu lassen, wobei auch Drogenhändler in die Organisation des Frauenhandels involviert und hochrangige Personen als Gäste geladen waren: „The flow of leaked wiretaps continued to undermine what little credibility he had left. In mid-September details of his conversations with the seedy Bari businessman Giampaolo Tarantini were splashed in the newspapers. Tarantini, a convicted cocaine dealer, had supplied starlets and hookers for dozens of the mogul’s parties. At first, magistrates suspected the drug-dealing pimp had attempted to blackmail the prime minister. Subsequently, their inquiries would focus on the suspicion that Berlusconi had, in fact, bribed Tarantini to lie about the prostitute ring in which they were both involved.“ (S. 165)

Der cäsarische Ego- Kultus wurde von Berlusconi in Räumen vollzogen, in denen Plakate an den Wänden hingen, auf denen ihm selbst langes Leben gewünscht wurde. Den involvierten Gästen und Prostituierten war die Nutzung von Kameras nicht verboten. Eine Zeugin (S. 148) beschreibt den typischen Vorgang so: „After the umpteenth obscene joke, Berlusconi brings in a statue, it’s in a kind of case. From it emerges a little man with a huge penis. The statuette is the size of a half-liter bottle of water. Its penis is disproportionately big. Berlusconi begins passing it around among the girls. And he asks them to kiss the penis. They kiss it and simulate oral sex with it, or they approach him with bared breasts. They all laugh. Ambra and I don’t take part in indecent games. The girls, visibly happy, start to approach the prime minister, they make him kiss their breasts and they touch him … they do the same with Emilio Fede. At a certain point, the prime minister, visibly content, asks: “Are you ready for bunga bunga?” The girls shout together: “Yessss!!!” Ambra and I didn’t know what bunga bunga was, even if the statue gave it away. I felt agitated and unwell.“

Aber Berlusconi wäre nicht Berlusconi, hätte er letztlich nicht auch diesen Skandal um sein desolates Ego überwunden: ganz gleichgültig, wie lächerlich sich diese Figur auch macht, wie komisch er in seiner krankhaften Besessenheit wirkt. Dergleichen ficht diese Leute gar nicht an- diese Unberührbarkeit scheint es eben möglich zu machen, dass sie einfach nicht zu belangen sind. Viel unheimlicher als die Frage, was diese Typen - Putin, Berlusconi, Trump - so langlebig, obsessiv und machtbesessen macht, ist die, was Anhänger, Wähler, Völker an dieser Leere anziehend finden mögen. Das Vertrauen in und die Liebe zu solchen schwarzen Löchern mit ihren Verbindungen zum organisierten Verbrechen bleibt einfach ein Rätsel, das im Raum steht wie ein unheilbares Geschwür.
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1 Michael Day: „Being Berlusconi: The Rise and Fall from Cosa Nostra to Bunga Bunga“
2 Grund für den Auftragsmord an Borsellino war vielleicht der, dass er Berlusconi zu dicht auf den Fersen war: „..the murdered anti-mafia magistrate Paolo Borsellino gave to two French journalists. In that testament, filmed just two months before he was killed by a Cosa Nostra bomb, Borsellino referred to Palermo investigators’ interest in the links between Berlusconi, Dell’Utri and the Mafia. Remarkably, the magistrate’s interview was never deemed important enough to merit prime-time broadcast on any of the major channels.“ (S. 102)
3 Dokumentation zu Nemzow bei ARTE: https://youtu.be/f4cJob-pkdI
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